RC Premium 2/2020

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lungseffekte eintreten. „Point of no Return“ nennen das die Klimawissenschaftler vom Potsdam Institut für Klimaforschung – und weisen zur Begründung auf mehrere Teufelskreise hin, die letztlich zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion führen können: Steigende Temperaturen lassen die Pole schmelzen. Eisbedeckte Flächen, die Lichtstrahlen reflektieren, weichen dunklen absorbierenden Flächen, wodurch sich der Temperatureffekt verstärkt. Die Permafrostböden tauen auf – möglicherweise für immer. Es werden enorme Mengen darin gebundenen Methans freigesetzt. Methan in der Atmosphäre hat sich im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter schon jetzt nahezu verdreifacht. Diese Gaskonzentration wirkt ungleich stärker auf die Zersetzung der Erdatmosphäre und beschleunigt Temperaturanstiege. Wärmeres Meerwasser nimmt weniger CO2 auf, gerodete und gebrandschatzte Wälder können kein CO2 mehr absorbieren und zu Sauerstoff umwandeln. Anstatt zu dekarbonisieren beraubt man der Erde die Ressourcen zur Selbstheilung des Klimas. Unter Jair Bolsonaro wurde im Sommer 2019 viermal so viel Amazonas Regenwaldfläche gerodet als in den Jahren zuvor (DIE ZEIT online v. 7. August 2019). Der Amazonas Regenwald verarbeitet jährlich zwei Milliarden Tonnen CO2 und erzeugt ein Fünftel des weltweit verfügbaren Sauerstoffs. Daher die Bezeichnung „Lunge der Erde“. Waldrodungen jedoch finden auch an anderen Stellen dieser Erde statt, insbesondere auch in Afrika. Alles in allem verschwand insgesamt allein zwischen 2002 und 2012 eine 1100 mal 1100 Kilometer große Waldfläche. Hinzukommen trockenheitsbedingte Waldbrände ungeheuren Ausmaßes, die das Leben in Australien um die Jahreswende beeinträchtigten, derzeit in der südostsibirischen Taiga wüten und auch in Deutschland immer häufiger auftreten. Den Wäldern der

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Erde droht der Hitzekollaps. Sie verlieren ihre Fähigkeit, CO2 aufzunehmen, Sauerstoff abzugeben und Wasser zu verdunsten. Die Schätzung der mittleren Durchschnittstemperatur, ab der es zu sogenannten klimatischen Kipppunkten kommt, ist abhängig von den Prognosemodellen und wird daher in der Wissenschaftswelt kontrovers diskutiert. Wenn ab einer solchen Temperatur der Golfstrom versiegt oder der Jetstream mit dem Monsun durcheinandergerät, sind die Szenarien drastisch. Doch völlig unabhängig davon führt der Weg noch immer in die falsche Richtung – von Umkehrung kann folglich keine Rede sein. Und daher ist es ohne Belang, noch länger darüber zu reden, ob es diese Kipppunkte gibt und wann deren Eintritt zu erwarten ist. Mojib Latif, Meteorologe und Vorstandsmitglied des Deutschen Klima-Konsortiums, einer der bekanntesten Klimaforscher Deutschlands und frühester Warner bezweifelt, ob das 1,5°-Ziel überhaupt noch erreicht werden kann. Nach seiner Auffassung befinden wir uns längst auf der Schnellstraße zur 3°-Marke – ohne Stoppschild. Der Klimawandel ist real, wir spüren ihn schon heute und er schreitet schneller voran als je prognostiziert. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren für ein Umsteuern … „Aber, aber, aber – warum tut man denn dann nichts …?“ Ja, warum wohl? Genau deshalb! Die Antwort ist in der Fragestellung bereits enthalten. Es ist das kleine Wörtchen „Aber“, das allem entgegensteht, was an Zielen zu vereinbaren und an Maßnahmen umzusetzen ist. Das „Aber“ steht als semantisches Symbol für Diskrepanz und Gegensätzlichkeit. Am Satzbeginn benennt es von vornherein den Kern der Argumentation. Indem das „Aber“ ständig im Raum steht, sorgt es für ein überhitztes Diskussionsklima. Das vergangene halbe Jahrhundert war geprägt von einer Aneinanderreihung von „Abers“. Man könnte auch diesen Aufsatz mit Aber-Fragen seitenweise verlängern: Aber die Kosten, die Arbeitsplätze,


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