Essen, trinken, torkeln: Die Beiz der Bündner Weine Hier passt das Essen zum Wein, nicht umgekehrt: Oliver und Julia Friedrich erfüllen sich im Alten Torkel in Jenins GR einen Traum. Im Fokus stehen der Bündner Wein, die Winzer und deren Geschichten. Lust auf Blauburgunder aus dem Jahr 1948? TEXT BENNY EPSTEIN
Der Duft des Spargels macht sich breit, man möchte sich am liebsten in den Teller legen: Fläscher Spargelravioli mit Morcheln und Erbsen. Der Teig hat den perfekten Biss, ein wunderbares Frühlingsgericht mit regionalem Akzent. Aber das ist hier Nebensache. Im Alten Torkel in Jenins GR, mitten in den Rebbergen der Bündner Herrschaft gelegen, geht es um den Wein. Der Pinot Blanc Spotläs 2018 von Gian-Battista von Tscharner ist leicht, frisch und beschwingt. Er passt perfekt zu den Ravioli. Gastgeber Oliver Friedrich (42) korrigiert: «Die Ravioli passen zum Wein.» Es ist viel los im Alten Torkel an diesem Sonntagmittag. Die Gäste geniessen es, wieder auswärts zu essen. Sich verwöhnen zu lassen, zu verweilen, sich auf einen Gastgeber einzulassen, der gewiss etwas Spannendes empfiehlt. Gerade hier sollte man dies tun. Denn Friedrich weiss Bescheid. 800 Positionen bietet er an. Allesamt aus Graubünden. Frühere Weggefährten fragen Oliver Friedrich, ob er sich mit dieser regionalen Auswahl nicht eingeschränkt fühle. Das Gegenteil ist der Fall: «Die Einschränkung auf Bündner Weine wirkt auf mich horizonterweiternd.» Friedrich ist ein Weinfreak, liebt das Piemont und das Burgund, kennt Weine aus aller Welt. Als Sommelier in Dreisterne-Betrieben
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durfte er Gäste mit grossen, berühmten Tropfen begeistern. Doch jetzt verfolgt Friedrich einen anderen Plan. Sommelier des Jahres bei Caminada Die Liebe zum Bündner Wein nahm 2009 ihren Lauf. Der Sommelier aus Freiburg im Breisgau heuerte bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein an. Immer stärker setzte Friedrich auf Bündner Gewächse. Dank der Jahrgangstiefe auf der Karte und des Zelebrierens des einheimischen Weins in Grossflaschen zeichnete ihn GaultMillau als Sommelier des Jahres 2013 aus. Logisch, dass Friedrich hie und da im Alten Torkel einkehrte. Dank Gastgeberin Susanne Bucher und Küchenchef Christian Kaiser war die Beiz im ganzen Land bekannt. Hier ass man herzhaft und gut und pflückte sich eine Flasche Bündner Wein aus dem Wandregal. «Meine Frau Julia und ich waren gerne hier», erinnert sich Friedrich. Doch er sah in dem Betrieb noch viel nicht ausgeschöpftes Potenzial. Als Schauenstein-Sommelier baute Friedrich Kontakte zu den Bündner Winzern auf. «Ich erzähle dem Gast lieber Geschichten über den Winzer und über Momente, die ich mit seinen Weinen hatte, als irgendwelche technische Daten und Degustationsnotizen herunter-
zubeten.» 2012 zogen die Friedrichs nach Jenins, 500 Meter Luftlinie vom Alten Torkel entfernt. «Eines Abends sassen wir bei einer Flasche Wein auf unserem Balkon und sinnierten über den Alten Torkel: Wäre das etwas für uns, wenn Susanne Bucher in Rente geht?» 72 Jahre alter Blauburgunder Die Schlüsselübergabe erfolgte Anfang 2020. Friedrich war vorbereitet. Dank eines überzeugenden Konzepts schaffte er es, den Winzern alte Raritäten zu entlocken. Die Älteste: Blauburgunder vom Maienfelder Schloss Salenegg, Jahrgang 1948. «Der Winzer degustierte kürzlich eine der letzten Flaschen blind. Der Wein sei überraschend frisch. Er schätzte ihn in die Achtzigerjahre», weiss Friedrich. Wer den 72 Jahre alten Pinot Noir geniessen möchte, bezahlt für das einmalige Erlebnis 599 Franken. Doch auch Velofahrer, die im Alten Torkel einen Rast machen und bei einem einfachen Schluck Wein die Aussicht auf die Rebberge geniessen möchten, kommen auf ihre Kosten: Das günstigste Glas im Offenausschank – der 2018er Blauburgunder vom Maienfelder Winzer Martin Tanner – kostet 5 Franken. «Wir freuen uns ebenso, eine Apfelschorle auszuschenken. Wir sind unkompliziert. Jeder Gast soll sich wohlfühlen.»