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Aus den USA kommt eine neue Architekturbewegung, das Small House Movement.40 Der Vorreiter der gesellschaftlichen Bewegung, die das Leben in eigenständigen 8 – 55 Quadratmeter großen Minihäusern propagiert, ist der US-Amerikaner Jay Shafer. »Er wollte ein winziges Häuschen für sich, dafür erhielt er aber keine Baugenehmigung«41, deshalb baute er sich sein Haus auf die Ladefläche eines Anhängers. Mit einem Tiny House ist man absolut flexibel, deshalb bedeutet es für seine Bewohner nicht nur eine Einschränkung auf ein Minimum an Platz, sondern auch grenzenlose Freiheit. Die Idee fand nicht nur wegen der Finanzkrise in den USA Nachahmer, sie zog auch in Deutschland ihre Kreise. In Städten, in denen die Mieten teuer sind und es nur begrenzten Wohnraum gibt, sind neue Ideen der Flächennutzung und Wohnraumschaffung gefragt.
Zudem unterstützt diese Art des Wohnens einen anderen Trend, den des multilokalen Arbeitens. Zum einen gibt es heute viele digitale Nomaden, »Unternehmer oder auch Arbeitnehmer, die fast ausschließlich digitale Technologien anwenden, um ihre Arbeit zu verrichten, und deren Lebensstil eher als nicht sesshaft, ortsunabhängig oder multilokal zu bezeichnen ist«42, und zum anderen viele Jobprofile, die es unabdingbar machen, an mehr als einem Ort Raum zu bewohnen. In seinen Studien zur Zukunft der Arbeit legt der Trendforscher
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Sven Gábor Jánszky dar, »dass es in Deutschland in einigen Jahren neben den rund 20 Prozent Selbstständigen bis zu 40 Prozent sogenannte Projektarbeiter geben wird«.43
Ein Leben ohne festes Büro, ohne Chef und ohne Heimatstadt führt auch der 34 Jahre alte Architekt Tim Chimoy. Er hatte genug davon, »jeden Tag seine Persönlichkeit an der Garderobe abzugeben«44 , und wohnt und arbeitet seitdem überall dort, wo er möchte. Für City-Hopper wie ihn, ist der Heimatbegriff nicht mehr fest an einem Ort verankert. Die City-Hopper möchten zwar gerne viele Gegenstände wie eine Waschmaschine oder ein Auto nutzen, müssen diese aber nicht zwangsläufig besitzen. Die Sharing-Economy nimmt dort an Bedeutung zu, auch was den Wohnraum betrifft. Wer nicht in trendigen Mini-Apartments oder einer Airbnb Wohnung Unterkunft findet, zieht vorübergehend in eine Wohngemeinschaft.

Als Sonderfall gilt die 88-jährige Witwe Lee Wachtstetter, die ihren Lebensabend an Bord eines Kreuzfahrtschiffes verbringt und so dauernd um die Welt reisen kann.45 Natürlich kann sich nahezu keiner 140.000 Euro pro Jahr für eine Luxuskabine leisten, aber die Geschichte sorgt für allerhand Berechnungen, ob eine Langzeitreise als Rentner, die pro Tag 135 Euro kostet, nicht tatsächlich komfortabler ist als der Platz in einem Altersheim mit 200 Euro pro Tag.46
Airbnb, gegründet im August 2008 mit Sitz in San Francisco, Kalifornien, ist ein Community-Marktplatz, auf dem Menschen Unterkünfte auf der ganzen Welt inserieren und buchen können. www.airbnb.de
Die Menschen neigen dazu, den vorhandenen Raum mit Dingen zu füllen. Wo Platz entsteht, wird er schnell wieder zugestellt, so beschreibt es Martin Warnke in seinem Aufsatz über die Couchecke. Das Wohnzimmer war ein Raum, in dem früher Arbeit, Schlafen und Essen Platz fand. Durch die Trennung der Funktionsbereiche auf mehrere Räume entstand ein Leerraum. Dieser wurde mit einer Couchecke gefüllt. Um Sofa, Sessel und Couch herum entstand ein Museum, das diverse Erinnerungsstücke für den Besucher zur Schau stellte.47
Eine konträre Bewegung, »der Minimalismus«, inspiriert dazu, mit nur so vielen Dingen wie nötig sein Leben zu gestalten.
Martin Warnke (* 12. Oktober 1937 in Ijuí, Brasilien) ist ein deutscher Kunsthistoriker. Er analysierte im Jahr 1979 in einem Aufsatz Form und Funktion der Couchecke.
»Einfach Leben« heißt das Buch von Lina Jachmann (Kreativdirektorin und Autorin aus Berlin), der Guide für einen minimalistischen Lebensstil. Sie beschreibt den Minimalismus als ein Tool, eine Geisteshaltung, eine Bewegung, die aus unterschiedlichsten Gründen gelebt und angewendet wird.

Lina Jachmann, gebürtige Hamburgerin, ist Kreativdirektorin und Autorin. Die Berlinerin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Lifestyle und Zeitgeist. Im Fokus liegt der nachhaltige Minimalismus.

Die Beweggründe für diesen Lebensstil reichen von der Begeisterung für eine cleane, aufgeräumte Ästhetik über den Wunsch, mit der Natur im Einklang zu leben und dabei die Umwelt und Ressourcen zu schonen bis hin zu dem Aspekt, das eigene Leben in »den Griff« zu bekommen.
Der gemeinsame Nenner der Minimalisten ist das Bedürfnis nach Klarheit. Klarheit bedeutet Kontrolle, über das eigene Leben zu haben, bewusst und zufrieden zu leben. Jachmann schreibt, dass »wir oft zu viele Dinge und zu wenig Zeit
(haben): »Minimalismus hilf!«49
Beim Minimalismus gibt es keine festen Regeln. Jeder muss für sich individuell entscheiden, wie viele Dinge zu viel sind oder ob eine Wohnung zu groß ist, um genügend Raum im Leben für die Dinge zu haben, die einen wirklich glücklich machen. Der Minimalismus umfasst alle möglichen Bereiche des Lebens. Lina Jachmann unterteilt ihr Buch in vier Kapitel: Wohnen, Mode, Körper und Lifestyle.
Im Kapitel Wohnen bezieht sich die Autorin auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur stetig steigenden Quadratmeterzahl der Wohnungen und der steigenden Anzahl der Single-Haushalte in Deutschland. Sie widerlegt die Aussag: »Viel hilft viel.«50 Denn mehr Raumfläche kann auch höhere Kosten, mehr Zeitverbrauch für Ordnung und Reinigung und mehr Platz für störende, unnütze Dinge bedeuten, die uns ablenken. Jachmann vergleicht das Zuhause mit Urlaub. In einer Ferienwohnung sind die Gegenstände meist stark reduziert (z. B. vier Teller, vier Tassen, ein Bett, eine Couch) und auf das Nötigste beschränkt. Im Urlaub sind wir eher entspannt, denn dort warten nicht die vielen alltäglichen Aufgaben auf uns.
Joachim Klöckner ist 67 Jahre alt und stellt sich immer wieder die Frage: »Was brauche ich wirklich, wirklich, wirklich?«51 In seiner Berliner Wohnung hat er keine Küche, er besitzt eine Schale und einen Löffel für sein Müsli. Seine warmen Mahlzeiten nimmt er täglich in den günstigen Restaurants in der Stadt zu sich. Sein Besitz beschränkt sich auf 50 Dinge, die in einen Rucksack passen, und das einzige Möbelstück ist eine Hängematte, in der er schläft.
Joachim Klöckner sieht den Minimalismus als eine Form der Lebensgestaltung an. Die Menschen entwickeln sich in Richtung innere Autonomie, Individualität und Selbstständigkeit. Minimalismus ist ein Tool, das eigene Leben zu gestalten. »Der Minimalismus tut dem Individuum gut, aber gleichzeitig auch der Mitwelt: weniger Konsum, weniger Abfall, weniger Ressourcen, die verbraucht werden.«52
Er sieht in dieser Bewegung, dass wir gemeinsam die Welt »hinbekommen« www.overshootday.org
Seit dem 2. August 2017 leben wir, für dieses Jahr, auf Pump auf dem Planeten. Ständig werden Ressourcen verbraucht. Sein Appell ist, dass dringend etwas getan werden muss. Der Minimalismus hilft, den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Es bedarf keiner Energieaufwendung Dinge zu kaufen oder zu pflegen oder sie wieder zu entsorgen. Der Blick wird geschärft: Was brauche ich wirklich?
Earth Overshoot Day: Am 2. August 2017 hat die Menschheit das Budget der Natur für dieses Jahr aufgebraucht. Berechnet wird der Earth Overshoot Day vom Global Footprint Network, einer Forschungsorganisation, welche dieses Datum jedes Jahr mit ihrer Ressourcenbuchhaltung (dem Ökologischen Fussabdruck) ermittelt.
Wie wohnt die Mehrheit der Deutschen? Was darf der Quadratmeter wo kosten? Wie hoch ist der Raumbedarf des Einzelnen?Die Bundeszentrale für politische Bildung hat zusammen mit dem Statistischen Bundesamt, dem Wissenschaftszentrum Berlin und dem Sozio-oekonomischen Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung einen Sozialbericht verfasst, der Daten der amtlichen Statistik mit denen der Sozialforschung kombiniert.