
2 minute read
Das neue Frankfurt
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in vielen deutschen Großstädten, wie auch in Frankfurt am Main, Wohnungsnot. Mit geringen finanziellen Mitteln stellte sich Frankfurt der Aufgabe, massenhaft Wohnungen zu bauen, die sich jeder leisten konnte. Der Architekt Ernst May entwickelte das städtebauliche Konzept »Das neue Frankfurt«. Es galt als vorbildliches Modell für die soziale Planungspolitik. In der Abteilung »Typisierung und Planung« beim Hochbauamt, die für die Realisierung eingerichtet worden war, entwickelten die Mitarbeiter industrielle Baumethoden für die Massenherstellung von Wohnungen.
Von 1925 bis 1930 wurden Wohnungen für die Bevölkerung in Plattenbauweise und aus Fertigteilen gebaut. Zentralheizung, Bad, Einbauschränke und Radioanschluss gehörten zur Standardausstattung des rationalisierten Wohnungszuschnittes. Denn auch auf kleinem Raum sollte der größtmögliche Wohnkomfort gegeben sein. Durch die Minimierung des Mobiliars sollte genügend Bewegungsfreiheit in dem kleinen Wohnraum entstehen. Dafür wurden in Serienfertigung »Typenmöbel« produziert, die sich jeder leisten konnte. Die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky befasste sich mit dem Aspekt der Rationalisierung der Hauswirtschaft. Ihr Ziel war es eine »Architektin für ein besseres Leben für alle«16 zu sein.
Advertisement
Margarete Schütte-Lihotzky entwarf das Konzept der »Frankfurter Küche«. Durch die Raumökonomie und eine streng funktionale Anordnung auf 6,5 m² sollten die Arbeitsabläufe erleichtert und somit ein wichtiger Beitrag zur Rationalisierung der Hauswirtschaft geleistet werden.17
Wohn- und Essbereich wurden im Frankfurter Siedlungsbau in einem Raum kombiniert. Zusätzlich konnte durch eine breite Öffnung, mittels einer Schiebetüre, die Küche mit dem Wohnraum verbunden werden. Während die Frau in der Küche ihrer Arbeit nachging, konnte sie zeitgleich mit der Familie kommunizieren. Die Küche beinhaltete eine
Reihe funktionaler Details, die die alltägliche Hausarbeit vereinfachten: Deckenhohe Wandschränke vermieden Staubablagerung auf den Schränken, ein hochklappbarer Arbeitstisch unter dem Fenster sorgte für eine variable zusätzliche Fläche, die Schubkästen aus Aluminium zum Aufbewahren von trockenen Lebensmitteln hatten die praktische Funktion des einfachen Dosierens beim Kochen, ein an der Wand montiertes Bügelbrett ersparte der Frau das Schleppen der Gerätschaften, und ein Kochtopfschrank bot die Möglichkeit zur Trocknung.
Diese bis ins Detail durchdachte Küche erleichterte vielen Familien die Hausarbeit. Die »Frankfurter Küche« fand sich in den Jahren 1926 bis 1930 in etwa 10.000 Wohnungen. Sie war die erste seriell hergestellte Einbauküche.
Margarete Schütte-Lihotzky:
(* 23. Januar 1897 in Wien Margareten;
† 18. Januar 2000 in Wien) war eine der ersten Frauen, die in Österreich Architektur studierten und wahrscheinlich die erste Frau, die den Beruf in Österreich umfassend ausübte.
Zeitlich parallel dazu entwickelte sich das Bauhaus, welches in ästhetischer Hinsicht ähnliche Positionen vertrat. Gestaltung, die auf einfache geometrische Formen reduziert war und eine serielle Produktion forderte. Gute Gestaltung sollte für jeden erschwinglich sein, Arbeiter und Angestellte sollten die gleichen Rechte und Pflichten haben wie Industrielle und Großbürger. »Dem Bauhaus ging es um Revolution, nicht um Dekoration. Und Revolution funktioniert nicht mit hochpreisigen, selbstverliebten Einzelstücken für eine kleine Geschmackselite. Deshalb gehört es zum Programm, jeden Produktionsprozess zu beobachten, um ihn zu vereinfachen, damit man billiger und schneller größere Mengen erhält.«18
16 MEYER; PETERS: REVOLUTION IM HAUSHALT: DIE »FRANKFURTER KÜCHE« a Herd b Arbeitsplatte c Kochkiste d Ausklappbares Bügelbrett e Speiseschrank f Drehstuhl g Tisch h Abfalleinwurf i Abtropfbrett j Spülbecken k Aluminium-Schubkästen l Topfschrank m ausziehbares Brett


Heimstätte: früher Grundstück, bestehend aus einem Einfamilienhaus mit Nutzgarten, landwirtschaftlichem oder gärtnerischem Anwesen, zu dessen Bewirtschaftung die Familie nicht ständiger fremder Hilfe bedurfte. Heimstätten wurden durch Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände oder gemeinnützige Siedlungsgesellschaften zu günstigen Bedingungen ausgegeben. In den 30er-Jahren förderte die Heimstättenbewegung besonders die Stadtrandsiedlungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Heimstätten bevorzugt an Vertriebene, Heimkehrer und Kriegssachgeschädigte ausgegeben.19