FamilienSONNTAG 2/2018 Sommer

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Interview • mit Alexander Herfort

Also müssen wir die Faulheit dringend neu lernen? Es geht um eine gute Balance zwischen Faulheit und dem Wunsch, etwas zu leisten, der in jedem Menschen steckt – wenn er nicht kaputt gemacht worden ist. Was passiert bei diesen hohen Ansprüchen mit der Seele von Kindern? Sie können in einem Kind das Empfinden aus­ lösen: Ich bin nicht gut genug. Da wird es für mich auch biblisch. In der Schöpfungsgeschichte sieht Gott seine Schöpfung an und es war alles sehr gut. So müssen wir auch an ein Kind herantreten. So wie es ist, ist es sehr gut gemacht. Wenn ein Kind dauerhaft das Gefühl hat, es müsse immer noch ein bisschen besser werden, um gut zu sein – dann ist das ungesund für seine Seele und Persönlichkeit. Wie wichtig ist denn Langeweile für Kinder? Sie fördert Kreativität, wenn sie nicht zugedröhnt wird mit Medien. Aber wenn ich sie aushalte, macht sie schöpferisch. Sind wir es überhaupt noch gewohnt, Langeweile nicht gleich mit dem Handy totzuschlagen? Es gibt im Familienalltag meist keine zweckfreie Zeit mehr. Sobald sich ein Zeitfenster öffnet, überlegen wir, wie wir es nutzen können. Schnell noch einen Einkauf machen oder E-Mails lesen oder mit den Kindern etwas schaffen – anstatt einfach nur da zu sein. Das fehlt uns wirklich. Woher kommt das? Langeweile und ungenutzte Zeit haben einen schlechten Ruf. Das sieht so nach Faulheit und Rumgammeln aus. Vielleicht liegt es am Kapitalismus, der alles nutzen will. Vielleicht liegt es auch an unserer protestantischen Arbeitsethik, dass auf dem ersten Blick sinnlos verbrachte Zeit uns ein schlechtes Gewissen macht. Quelle: Kinder-Stress-Studie der Universität Bielefeld 2015. Befragt wurden 1100 Kinder und Jugendliche sowie 1039 Eltern.

18 %

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der Kinder leiden unter hohem Stress.

Wie finden Sie in Ihrem Kindergarten diese Balance zwischen Leistung und Langeweile? Unser Tagesrhythmus ist von dem Gedanken bestimmt, dass Kinder Zeit brauchen für ­A nspannung und Entspannung. Das ist so eine Wellenbewegung. Es gibt den Morgenkreis, Themen und eine Andacht, wo die Kinder von uns Impulse bekommen. Und dazwischen können sich die Kinder von sich aus beschäftigen oder auch nicht, und einfach nur auf dem Teppich liegen und träumen. Kann es nicht auch gut sein, wenn Kinder Stress erleben? Er gehört doch zum Leben dazu. Das stimmt. Die Motivation des Kindes, sich selbst zu entwickeln, löst einen positiven Stress und Energie aus. Denn es will ja etwas lernen. Ein Spielzeugturm fällt dreimal zusammen und das Kind probiert es wieder und wieder – das ist ein ganz gesunder Stress, der am Ende vielleicht sogar mit Glückshormonen belohnt wird. Wo würden Sie denn die Grenze zwischen positivem und negativem Stress ziehen? Eine allgemeine Antwort darauf gibt es nicht. Was dem einen Kind noch gut tut, ist dem anderen Kind schon zu viel und überfordert es. Um das herauszufinden, braucht man eine gute Beziehung. Lässt sich erkennen, wo diese Grenze verläuft? Wenn man merkt, dass ein Kind aussteigt, sich verschließt und zurückzieht, dann ist es zu viel, was wir von ihm verlangen.

50 %

der Eltern von Kindern mit hohem Stresslevel machen sich Sorgen, ihre Kinder nicht genügend zu fördern.

60,2 % der Kinder mit hohem Stress werden nur manchmal bis nie nach ihrer Meinung gefragt.


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