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Wie vereinen wir Gesundheit und Cannabis?

Eine gesundheitsökonomische Perspektive

Die prohibitive Politik im Umgang mit Cannabis ist als gescheitert zu betrachten. Der neue Weg der Legalisierung von Cannabis in Deutschland stellt daher sowohl kulturell, ökonomisch als auch ökologisch einen einschneidenden Paradigmenwechsel dar. Viele Fragen sind noch offen: Wie, wo, und wie viel abgeben? Wie kann ein effektiver Jugendschutz gewährleistet werden? Gibt es Mindestpreise für Konsumeinheiten? Wie balanciert man den ökonomischen Anreiz, möglichst viele tägliche Konsumenten zu generieren, mit dem gesellschaftlichen Bedarf einer gesunden Bevölkerung? Von Fritz Arndt und Jonas Ohlwein

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Im Vordergrund politischer Diskussionen steht daher das aktuelle Erkenntnisziel „Wie vermeidet Deutschland die Fehler anderer Länder und Regionen bei der Legalisierung und der Formulierung der Rahmenbedingungen?“ Eine elementare Grundlage der Legislative ist dazu die Vision der WHO von „Health in All Policies” (HiAP)1. Die HiAP-Vision zielt darauf ab, dass bei allen politischen Initiativen die Bevölkerungsgesundheit konsequent mitgedacht wird. Dies trifft insbesondere auf Gesundheitssysteme zu, deren Segment der Cannabis-Heilpflanzen Anbau und Handel ist. Für Gesundheitssysteme bedeutet „Health in All Policies“ konkret, die theoretischen und praktischen Leitfragen von „Wie Krankheit behandeln?“ (Pathogenese) bzw. „Wie Geld verdienen mit Krankheit?“ zu „Wie Gesundheit fördern?“ (Salutogenese) bzw. „Wie Geld verdienen mit Gesundheit?“ zu verändern. Und so stellt sich für die junge Cannabisindustrie in Deutschland die Frage: Wie ist der Wertstrom von „seed-to-sale-to-health“ (SSH) zu gestalten, um tatsächlich mit Gesundheit Geld zu verdienen?

Das gesundheitsfördernde Produkt

Qualitativ hochwertige, geprüfte Cannabisblüten sind eine notwenige Ausgangsbedingung, um eine faire Diskussion über den positiven und negativen Einfluss des Konsums führen zu können. Der Cannabis-SSH-Wertstrom beginnt klassisch mit dem Herstellungsprozess von getrockneten Cannabisblüten, auch als Ausgangsmaterial für Folgeprodukte. Die Qualitätskriterien getrockneter Cannabisblüten lassen sich wissenschaftlich als notwendige Bedingung, sowie aus Kundensicht als sinnhafte Bedingung definieren. Zunächst zu den wissenschaftlichen bzw. notwendigen Qualitätskriterien. Hilfreich ist hier das deutsche Arzneibuch mit der Monographie Cannabis Flos (Cannabis Blüten), welches eine medizinische Vorgabe für die Qualität getrockneter Cannabisblüten definiert: • Geruch: Charakteristisch nach Cannabisblüten • Max. 3 % Fremdbestandteile • Max. 11 % Trocknungsverlust • Max. 14 % Asche • Max. 5 % säureunlösliche Asche • Max. 10 % Schwankung THC/CBD bezogen auf Etikettierung

Darüber hinaus werden Rückstände von künstlich chemisch hergestellten Pestiziden, Herbiziden, Fungiziden oder Schwermetallen sowohl von Regulatoren als auch von Kunden als qualitätsmindernd und der Gesundheit nicht zuträglich wahrgenommen und dementsprechend durch zertifizierte Analysen ausgeschlossen. Über diese notwendigen Qualitätskriterien hinaus haben Konsumenten aber zusätzliche, individuelle Kriterien, was die Qualität von Cannabisblüten und abgeleiteten Produkten ausmacht. Es wird aktuell mit zwei groben Wirkspektren der Pflanze um Konsumenten geworben. Hersteller und Marken von „Freizeit-Cannabis“ werben um Kunden, deren Fokus auf THC und Geschmack liegen, während Hersteller von medizinischem Cannabis für ihre Patienten ein Bouquet aus Cannabinoiden (THC, CBD, CBN, etc.), Terpenen und Flavonoiden präferieren. Insgesamt können hochwertige Cannabisblüten sowohl notwenige regulatorische Bedingungen, als auch die individuellen Bedürfnisse der Kunden und Bedarfe von Patienten effizient erfüllen.

Die Abgabe

Nach der Herstellung von qualitativ hochwertigen Cannabisprodukten folgt die Abgabe an Kunden und Patienten. Klar ist, ohne die Argumentation zu vertiefen, dass insgesamt ein angemessener Jugendschutz gewährleistet sein muss. An dieser Stelle soll aber nicht weiter auf die wichtige Frage des Jugendschutzes, sowie die abgeleiteten Fragestellungen rund um die Sicherung des

zukünftigen Sozialstatus von Heranwachsenden eingegangen werden, da dieser Aspekt von Bevölkerungsgesundheit einen eigenen Artikel verdient. Im Weiteren sollen die gesundheitlichen Auswirkungen von qualitativ hochwertigen Cannabisblüten auf gesunde Erwachsene, im Folgenden als 18 Jahre und älter definiert, auf Bevölkerungsebene erörtert werden.

Grundlegende Aspekte der Bevölkerungsgesundheit

Deutschland leidet an Wohlstandskrankheiten, die einerseits durch unnatürliche Mengen an Zucker- und Fettaufnahme, sowie andererseits durch Bewegungsmangel (<4.000 Schritte pro Tag) zustande kommen. Zucker- und fleischlastige Überernährung, sowie Bewegungsmangel sind Faktoren, die bereits jetzt auf fehlgeleitete Kommerzialisierung von menschlichen Bedürfnissen zurückzuführen sind. In Bezug auf Bewegung wurde z. B. systematisch das Bedürfnis, nicht der Bedarf, zu Sitzen befriedigt. Über das Auto für den Transport zur Arbeitsstätte, das Sitzen während der Arbeit, bis hin zum Fernseher, dem PC und Spielesysteme für die Freizeit… Um grundlegende Zusammenhänge zu visualisieren, nutzen wir das Gleichnis vom Spiel Team Krankheit vs. Team Gesundheit. Der Fokus liegt auf jenen Krankheitsbildern, die, dank des medizinisch-technischen Fortschritts, als längerfristig überlebbar (chronisch) gelten. Dies sollte aber nicht über den negativen Einfluss einer solchen chronischen Erkrankung auf die Lebensqualität hinwegtäuschen. Ziel des modernen Bevölkerungsgesundheitsmanagements ist mitunter die Zahl gesunder Lebensjahre zu erhöhen, was im Kontext der Sterbestatistik, die mehrheitlich von chronischen Krankheiten gekennzeichnet ist, aussagekräftiger geworden ist, als der historische Fokus auf die reine Sterberate (Mortalität). Die Folgen moderner Lebensverhältnisse und individuellen Verhaltens ist ein starkes Team (chronische) Krankheit. Team Krankheit stellt mit der Zeit immer mehr Spieler auf dem Platz, um das Team Gesundheit zu besiegen.

Am Anfang kommen üblicherweise folgende Umstände auf Menschen zu: • Übergewicht • Bluthochdruck • Zuckerwechselstörung (Diabetes Vorstufe) • Fettstoffwechselstörung • Asthma

Später entwickeln sich: • Diabetes Typ2 • Muskel- und Gelenkschmerzen („Rücken“) • seelische Unausgeglichenheit (Anpassungsstörungen, Angst,

Depression) • „Verkalkung der Arterien“  Schlaganfall, Herzinfarkt • Herzschwäche

Wir sehen uns daher bereits mit systematischen Problemen der Bevölkerungsgesundheit konfrontiert, bevor typische Verdächtige, wie Alkohol und Tabak, als Einflüsse beleuchtet werden, welche die vorherigen Krankheitsbilder zusätzlich meist negativ beeinflussen. Um gesund zu bleiben, kann man sein eigenes Team Gesundheit zunächst mit gesunden Alltagsroutinen (Spielposition Offensive) aufstellen: • Gesundes Trinken (Wasser: 2,5 L/Tag) • Gesunde Alltagsbewegung (Schritte: 8.000/Tag) • Gesundes Essen (Mikrobiom) (5 Teile Obst oder Gemüse/Tag) Die Offensive ist die erste Verteidigungslinie gegen chronische Krankheiten.

Zusätzliche gesundheitsförderliche Faktoren im Alltag (Spielposition Mittelfeld) sind: • Positive soziale Kontakte • Seelische Ausgeglichenheit • Erholsamer Schlaf • Rauchfreiheit

Schlussendlich, im Falle von Krankheit, besteht die optimale Sekundärprävention (Spielposition Verteidigung) aus: • Medikationstreue • Therapieplantreue • Gute Orientierung im Gesundheits- & Sozialsystem Dies sind die typischen Spieler, die ein Patient in Deutschland, zusätzlich zu seiner ärztlichen Diagnose und Verlaufskontrolle, 365 Tage im Jahr gegen das Team Krankheit aufstellen kann.

Die Erkenntnis ist, dass die Prävention der Fehlverhältnisse • Mangelnde Trinkmenge, • Bewegungsmangel, • Fehlernährung gewichtiger ist, als das politische Argument des Jugendschutzes. Dies trifft insbesondere auf Menschen zu, die altersbedingt über geringere Regenerationspotentiale verfügen, um täglich ungesundes Verhalten zu kompensieren.

Cannabis im spielerischen Gleichnis

Wie kann es nun von der Abgabe von Cannabis an die Bevölkerung hin zu Gesundheit auf Bevölkerungsebene kommen („sale-to-health“). Cannabis im Gleichnis ist kein eigenständiger Spieler mit einer speziellen Funktion. Stattdessen ist ersichtlich (siehe Visualisierung), dass Cannabis einen Einfluss auf die Spieler beider Teams hat. In Bezug auf das Team Krankheit ist festzuhalten, dass nach aktuellem Forschungsstand die Cannabisentourage keinen direkt ursächlichen Effekt auf Blutzuckerwechselstörung, Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Herzschwäche, Herzinfarkte oder Schlaganfälle hat. Cannabis hat aber durch die Steigerung der Herzfrequenz und Blutdruckabfall, nach akuter Einnahme, einen Effekt auf das HerzKreislaufsystem. Jedoch ist keine relevante Nebenwirkung auf Herz und Kreislauf im üblichen Dosisbereich (5-15 mg) zu erwarten. Der Effekt der Cannabisentourage auf seelische Ausgeglichenheit, welcher im Gleichnis bewusst in beiden Teams auftaucht, um die

doppelte Effektstärke der psychischen Verfassung zu betonen („Wo kein Wille, da kein Weg!“), ist wissenschaftlich nachvollziehbar. Oft können negative Erfahrungen (Angst, Unruhe, Verwirrtheit) aber wohl auch auf die geläufige Überdosierung durch unerfahrene/ungeübte Menschen zurückgeführt werden. Eine ärztlich eingestellte Therapie ist sehr viel seltener mit stark negativen Nebenwirkungen und Erfahrungen verbunden. Insbesondere, wo gesundheitsförderliche Effekte bereits unter der psychotrop wirkenden Schwelle nachgewiesen werden können und die Medizin entsprechend dosiert werden kann. Der positive Effekt der Cannabisentourage auf Schmerzen und Schmerzempfinden ist belegt, wobei noch viel Forschung möglich ist. Die Cannabisbegleiterhebung der Bundesregierung zeigt, dass Schmerz bisher der häufigste Therapiegrund in Deutschland war. Der Effekt der Cannabisentourage auf COPD wird aktiv erforscht, da die Differentialanalyse zu Tabak(rauch) wichtig ist. Bisher konnte kein ursächlicher Effekt des Rauchens von Cannabis (ohne Tabak) auf die Entstehung einer COPD nachgewiesen werden. U. a. die antioxidantische, antiallergische, atemwegserweiternde und entzündungslindernde Wirkung von Cannabis scheinen eine entscheidende Differenzierung zu Tabakrauch zu sein. Ähnlich den positiven Effekten im Schmerzempfinden, gibt es Hinweise, dass die Cannabisentourage das Empfinden von „Lufthunger“ positiv beeinflusst. Diese Effekte kommen auch Asthmatikern zu Gute. Es besteht die Annahme, dass Cannabiskonsum mit einem geringeren Diabetesrisiko verbunden ist. Der positive Effekt wird auf einen geringeren Nüchterninsulinspiegel und eine bessere Funktion von Beta-Zellen, die in der Bauspeicheldrüse Insulin

Der herausragende Stellenwert der zukünftigen Beratung im Fachgeschäft wird dadurch erhöht, dass sich der Fachkräftemangel, durch die Pensionierung der Baby-Boomer-Generation, auch unter Ärzten und Apothekern massiv verschärfen wird.

produzieren, zurückgeführt. Auch wurde in Studien Cannabiskonsum mit einem geringeren Bauchumfang assoziiert. Insgesamt ist der Effekt von Cannabis auf die Faktoren des Teams (chronische) Krankheiten neutral bis positiv, und bei der Schmerztherapie aktuell am deutlichsten. Es gibt aber eine große Forschungslücke zum Einsatz bei psychischen und neurologischen Einsatzmöglichkeiten.

Kritisch ist festzuhalten, dass die Cannabisentourage einen direkten Einfluss auf die Grundroutinen gesundes Trinken/Bewegung/Ernährung hat. Dies gilt deutlicher für das Rauchen und Dampfen, als für andere Applikationsformen. Geschulte Menschen sind in der Lage mögliche akute Negativwirkungen vorhersehen zu können: • Cannabis verursacht Mundtrockenheit, also sollte man zum

Konsum ausreichend trinken. • Cannabis lässt den Blutzucker fallen und löst Hunger aus. Die

Vorbereitung von gesunden Snacks ist möglich. • Cannabis kann zu Bewegungsunlust verleiten. Der Konsum in der Gruppe im Freien in Bewegung (Spaziergang) ist eine

Gegenstrategie. • Psychische Negativwirkungen (negative Gedanken o. ä.) können mit Tagebuchnotizen eingeordnet werden. • Negativwirkungen auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, Feinmotorik, Bewegungskoordination bedingen, dass man sich nicht in ein Setting bringt, in dem diese Einschränkungen schwere Unfälle fördern können.

Ihre Stärke spielt die Cannabisentourage bei der Stärkung positiver sozialer Kontakte, erholsamen Schlafes und der seelischen Ausgeglichenheit aus. Der positive Effekt auf die Psyche ist hier zu betonen, da man von Selektionsbias ausgehen kann, was bedeutet, dass geschichtlich die überwiegende Mehrheit der Konsumenten positive Erfahrungen macht und jene mit schlechtem Erleben den Konsum stoppen. Dem Effekt auf die Medikationstreue und die Therapieplantreue allgemein, muss vorurteilsfrei begegnet werden. Die Annahme, dass mehr Medikationseinheiten vergessen werden, ist wohl bei nicht berauschender Wirkung nicht so erheblich, wie der positive Umstand, dass Patienten am ehesten jene Medikation regelmäßig nehmen, die minimale Nebenwirkungen verursacht. Die verhaltenspsychologische Erkenntnis (GegenwartsBias), dass sichere zeitnahe kleine Verluste (Nebenwirkungen) gewichtiger sind, als unklare (große) negative Ereignisse in der Zukunft, läßt sich übertragen. Insgesamt bietet Cannabis, in einem sinnvollen Rahmen, d. h. gesunde Alltagsroutinen und Faktoren erhaltend, die Möglichkeit, die Gesundheit überwiegend zu stärken, anstatt Krankheit zu fördern. Dies passt letztlich operativ sehr gut zu dem strategischen Zeitgeist, Bevölkerungsgesundheit in allen Politikfeldern zu priorisieren (HiAP). Wichtiger für die Alltagsrelevanz ist aber, dass schlechter Schlaf, seelisches Ungleichgewicht und Schmerzen das Erleben aller anderen bestehenden chronischen Krankheiten negativ verstärken. Genau diese drei Dimensionen werden von der Cannabisentourage aber explizit effektiv und effizient positiv angesprochen.

Erhöhter Beratungsbedarf trifft Fachkräftemangel

Wichtig ist aber nicht nur das Potential der Inhaltsstoffe, sondern auch der zwischenmenschliche Kommunikations- und Austauschprozess, der bei der Abgabe an Konsumenten stattfindet. Dieser Prozess sollte explizit darauf wirken, dass Konsumenten den akuten Negativwirkungen des Konsums holistisch begegnen können. Erfahrungen aus Projekten mit Gesundheitskiosken, Gesundheitslotsen und Gemeindepflegerinnen zeigen, dass Menschen mit einer kreativen Palette an Fragen das Gespräch und die Orientierung im Gesundheits- und Sozialsystem suchen. Und obwohl der Weg über ärztliche Verschreibung leichter werden wird, bleibt eigenverantwortliche Selbstmedikation, wie bei vielen OTC-Produkten, verbreitet. Der herausragende Stellenwert der zukünftigen Beratung im Fachgeschäft wird dadurch erhöht, dass sich der Fachkräftemangel, durch die Pensionierung der Baby-Boomer-Generation, auch unter Ärzten und Apothekern massiv verschärfen wird. Eine Delegation der Beratung zu Phytopharmaka an lizensierte Fachgeschäfte und Apotheken ist deswegen ein Ansatz, der in Kombination mit einem therapiebegleitenden Arzt vielversprechend ist. An technischen Applikationen zur Ermöglichung dieses Therapienetzwerkes wird es nicht scheitern. Aber es ist zu befürchten, dass sich viele Menschen auf Grund falscher Heilsversprechen an Fachgeschäfte wenden werden, was sich in einem ziellosen und übermäßigen, d. h. gesunde Alltagsroutinen einschränkenden, Konsum ausdrücken kann. Es ist deswegen wichtig, zwischenmenschliche Kommunikation neben der physischen Abgabe als Kerngeschäft von Cannabis-Fachgeschäften zu betrachten. Diesen Aspekt sieht der BvCW bereits voraus und hat mit dem ELEMENTE Band 23-Positionspapier „Prävention & Risikominimierung“ und den darin beschriebenen Anforderungen an ein Sozialkonzept eine Vorlage für die praktische Umsetzung formuliert. „Cannabis ist kein Allheilmittel“ ist eine ehrliche Überzeugung, die auf Bereitstellungsseite einer übereifrigen und unehrlichen Kommerzialisierung entgegenwirken kann. In einem gelebten Sozialkonzept könnte dieser Leitspruch zusätzlich den Wert einer holistischen Beratung unterstreichen, um Kunden und Patienten im Gesundheits- & Sozialsystem zu orientieren. Vergleichbar zu Apotheken und Arztpraxen könnten Cannabis-Fachgeschäfte so als regelmäßiger sozialer Kontaktpunkt („social point of return“) dienen. Verkaufs- bzw. Praxispersonal und Konsumenten werden aufgrund der wiederholten Kontakte und Ritualisierungen eine persönliche Beziehung entwickeln können. Durch diese oft als gleichrangig empfundene Beziehung ist es möglich, Reflektions-, Änderungs- und Motivationsprozesse anzusprechen und anzustoßen. Das Prinzip der gleichrangigen Verantwortungspartnerschaft („accountability partner“) könnte damit den balancierten Weg zum Genuss von Cannabis für stark Konsumierende ebnen. Insgesamt ergänzt die schneller zu meisternde gesundheitsförderliche Beratung (Salutogenese) im Cannabisfachgeschäft die historische Kernkompetenz von Ärzten und Apothekern, die Beratung und Heilung von Krankheiten (Pathogenese). Im Optimum wird ein Präventionsverhältnis geschaffen, in dem Beratung und Begleitung von Erstkonsumenten sowie langfristige präventive Beratung und Aufklärung für Stammkonsumenten möglich ist. Letztlich sollten sich Cannabisabgabestellen am historischen Ideal von Apotheken, die Bedarfe decken, anstatt Bonbonläden, die Bedürfnisse erfüllen, orientieren.

Zusammenfassung

Wie nun langfristig Geld mit Cannabis und Gesundheit verdienen? Es ist zunächst unabdingbar, dass endlich allen Menschen in Deutschland reine und qualitativ hochwertige Cannabis-Produkte kontinuierlich zugänglich gemacht werden. Durch den Schwarzmarkthandel besteht aus gesundheitsökonomischer Sicht ein systematisches Qualitätsproblem, dass sich in den letzten Jahren akut im deutschen Cannabismarkt durch Streckmittel niederschlägt. Nur, weil es keine doppel-verblindeten RCT-Studien zu den Folgen dieser chemischen Mittel gibt, heißt es eben nicht, dass es keine gesundheitsschädlichen Folgen in der Bevölkerung gibt. Kritisch ergänzt: Unerfahrene Jugendliche sind am untersten Ende der Schwarzmarkt-Wertschöpfungshierarchie, d. h. dass sie statistisch die schlechteste Qualität verkauft bekommen: Qualitätssicherung ist auch Jugendschutz! Insgesamt aber sind der Schutz von heranwachsenden Menschen, sowie die Abgabemenge pro Zeiteinheit wichtige Detaildiskussionen, die zentrale Herausforderungen nicht voll umfassen. Cannabis darf den modernen, bewegungseingeschränkten, überernährten aber unterhydrierten Lebensstil der meisten Menschen in Deutschland nicht fördern. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, können Cannabisabgabestellen im Angesicht einer alternden Gesellschaft und fehlender Arzt-Zeit, mit ihrer Beratungsleistung als Teil einer definierten Strategie der regionalen Bevölkerungsgesundheit (Population Health) verstanden und gelebt werden. Die Legalisierung von Cannabis ist unsere Möglichkeit, aktiv der gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der Bevölkerungsgesundheit einen Impuls entgegen zu setzen. ↙

Fritz Arndt

ist Wirtschaftsingenieur und praktisch forschender Gesundheitsökonom für patientenzentrierte regionale Gesundheitsversorgung. Forschungsschwerpunkt ist die Vermeidung ambulant sensitiver Krankenhausfälle und Arbeitsunfähigkeiten und der Einfluss von Cannabismedizin auf Bevölkerungsebene.

Jonas Ohlwein

ist Pharmazeut und Manager für Gesundheits- und Versorgungsangebote für patientenzentrierte regionale Gesundheitsversorgung. Nebenberuflich ist er Referent im Bereich Arzneimitteltherapiesicherheit, Digitalisierung der Apotheke und Cannabis.

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