eco.mmentar
Realitätsverlust Politik findet in manchen Bereichen erstaunlich fern der Realität statt, irgendwo im luftleeren Raum, abgehoben von allen irdischen Zwängen, watteweich eingelullt im fernen Elfenbeinturm, der irrtümlicherweise der Wissenschaft zugeschrieben wird. Dazu ein Beispiel aus Tirol. Und eines aus der k. & k. Bundespolitik.
Das Tiroler Beispiel hat mit Energie zu tun. Die Ausgangslage ist uns allen bekannt: In Japan, bislang Inbegriff für Hightech und Fortschritt, fl iegen reihenweise die Atommeiler in die Luft und von einem Tag auf den anderen wird die Kernkraft zu einer schwer zu vermittelnden Alternative. Deutschland nimmt die sieben der ältesten AKW vom Netz, weltweit fallen energiepolitische Strategien zusammen wie Kartenhäuser. So weit zur Realität. Und Tirol? In Tirol ringen wir seit Jahren darum, ob und wie wir unsere saubere Wasserkraft ausbauen, und jammern über ästhetische Beeinträchtigungen bei Windrädern. MMag. Klaus Schebesta
Text: Klaus Schebesta Foto: Florian Schneider
Konkret: Im Landtag wurde gerade ein Kriterienkatalog verabschiedet, der nach zähem Ringen die Basis für den Ausbau von 40 Prozent des verfügbaren Wasserkraftpotenzials darstellen soll. Die restlichen 60 Prozent sind ohnehin tabu. Dazu kommt noch, dass der Landesversorger TIWAG in den letzten Jahren den Neubau von Kraftwerken derart versandelt und verschlafen hat, dass uns nun neue EU-Regeln auf den Kopf zu fallen drohen. In drei Jahren ist nämlich eine europaweite Ausschreibung bei Wasserkraftprojekten zwingend. Soll heißen: Hätten wir in den letzten Jahren etwas mehr Gas gegeben, dann würden die Wasserkraftwerke zumindest uns gehören. Nun bleibt nur noch ein Zeitfenster von drei Jahren, um zumindest einige heimische Vorhaben umzusetzen. Die restlichen Bäche stauen dann ausländische Betreiber. Noch viel unverständlicher aber ist die Haltung Tirols zu einer anderen alternativen Energiequelle, der Windkraft. Während die Zeitungen voll waren mit dem japanischen Super-GAU, stach folgende Meldung zum Südtiroler Windpark am Brenner ins Auge: „Land sagt Nein zum Windpark“. Das ist in mehrerer Hinsicht an Peinlichkeit nicht zu übertreffen. Während die Welt sich den Kopf über die zukünftige Energieversorgung zerbricht, stößt sich das Land Tirol an „landschaftlichen Aspekten“ von Windrädern – soll heißen: Ein bisserl schiach sind sie halt. Zudem führt das Land ins Rennen, dass die Zugvögel zu deppert seien, einen Bo-
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gen um den Windpark zu fl iegen. Wenn die Evolution tatsächlich an derartigen Peanuts scheitern würde, würden wir uns heute noch als Reptilien im Urmeer bewegen. Und dabei hat die Tiroler Äußerung genau null Einfluss auf die Entscheidung, da diese einzig und allein in Italien gefällt wird. Wie gesagt: Realitätsverlust, und zwar in bedenklichem Ausmaß. Einem Realitätsverlust der anderen Art sitzen unsere Pensionistenvertreter auf. Alle Experten rechnen uns laufend den Kollaps des Systems vor, da die Zahl der Alten explodiert, während fleißige Einzahler zur gesuchten Minderheit werden. Das hält aber Khol, Blecha und Konsorten nicht davon ab, einen Engpass bei Lehrern dazu zu benutzen, höhere Zuverdienstgrenzen für Pensionisten zu fordern. Das ist angesichts einer nachrückenden Generation, die von einer Altenversorgung wie heute nur träumen kann, mehr als schäbig und Mundraub an den eigenen Enkeln. Wer noch halbwegs über Bodenhaftung verfügt, kann nicht noch mehr für die jetzige Generation fordern, sondern muss sich überlegen, wie schleunigst ein einigermaßen fairer Übergang zu einem System gefunden wird, das in dreißig Jahren auch noch funktioniert. Die Rezepte sind längst bekannt: Zugang zur Frühpension normalisieren (bei uns gehen 30 Prozent krankheitsbedingt in Rente, anderswo sind es zehn Prozent), die unfaire Hacklerregelung abschaffen (zwei Drittel sind keine „Hackler“ im Sinne des Erfinders, sondern Bürohengste), Privilegien bei Beamten, ÖBB und anderen Gruppen radikal streichen (dass Menschen im besten Alter mit 53 bei bester Gesundheit in Pension gehen können, ist genauso unerklärlich wie die Tatsache, dass Beamtenpensionisten dazuverdienen können, so viel sie wollen). Diese Änderungen aber brauchen Mut, verursachen Schmerzen und zwingen dazu, der Realität ins Auge zu blicken. Da wird lieber weiterhin elegant weggeschaut und das Image von der „Insel der Seligen“ gepflegt. Das Erwachen wird weh tun – aber erst der nächsten (Politiker-)Generation.
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