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THEATER-LEIDENSCHAFT
„LUSTVOLL AUF EINE NEUE REISE GEHEN“
Die künftige Intendantin des Tiroler Landestheaters, Irene Girkinger, im Gespräch über ihre Pläne für Innsbruck und die Leidenschaft fürs Theater.
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INTERVIEW: IVONA JELČIĆ
ECO.NOVA: Braucht es im Theater in Kri-
senzeiten mehr Komödien oder eher
Stoffe, die die Krisen reflektieren? IRENE GIRKINGER: Es braucht beides. Das sage ich aus tiefer Überzeugung, weil das Theater prinzipiell beides braucht. Abgesehen davon haben die besten Komödien ja auch einen gesellschaftskritischen Hintergrund. Ich glaube, dass wir in Zeiten wie diesen diese Leichtigkeit wieder zurückkriegen müssen, die das Leben auch braucht. Und dazu kann das Theater einen großen Beitrag leisten, weil es uns unmittelbar berührt, weil wir dort gemeinsam lachen, uns austauschen. Gleichzeitig braucht es gerade in Zeiten wie diesen aber natürlich auch die kritischen, zeitgenössischen Stücke, in denen es um eine Bestandsaufnahme der Gesellschaft geht. Es ist eine Tradition des Theaters, dass es Dinge verhandelt, die in einer Gesellschaft passieren. Und es gibt aktuell viel, was man sich anschauen muss: Die Spaltung der Gesellschaft, die Wertediskussion, die wieder ganz neue Dimensionen gekriegt hat. Ich denke, dass die gesellschaftspolitische Dimension von Theater wieder stark gefragt ist und man sich dieser auch aussetzen muss.
Sie haben bereits angekündigt, verstärkt Themen wie Migration, Diversität oder ökosozialer Wandel behandeln zu wollen. Soll das Tiroler Landestheater wieder mehr zur „moralischen Anstalt“ werden, von der Friedrich Schiller gesprochen hat? Ja, vielleicht. Ich sehe diese „moralische Anstalt“ jedenfalls nicht negativ. Ich sehe auch Universitäten und andere öffentliche Institutionen, auch die Medien als moralische Anstalten. Wobei nicht wir im Theater diejenigen sind, die entscheiden, was gut und was schlecht ist, sondern diejenigen sind, die wieder mehr auf die Vielseitigkeit des Denkens, die Diversität in der Gesellschaft, auf
IRENE GIRKINGER
verschiedene Formen des Zusammenlebens, auf Utopien hinweisen und sie unterstützen müssen.
Abonnentenzahlen sind die harte Währung, wenn es darum geht, den Erfolg zu messen. Wo zu sehr auf Besucherzahlen geschielt wird, kann es aber schnell gefällig werden. Sehen Sie es als Herausforderung, Neues zu wagen, ohne das Publikum
zu vergraulen? Girkinger: Ich sehe das eigentlich nicht als Widerspruch. Ich sehe das Abonnent*innenpublikum als eines, das per se total interessiert ist und von sich aus gerne ins Theater geht. Und ich glaube nicht, dass dieses Publikum immer das Gleiche sehen will. Dann würde es sich ja nicht jedes Jahr ein Abo kaufen. Es geht bei einem Neuanfang nicht darum, das Publikum vor den Kopf zu stoßen, sondern lustvoll auf eine neue Reise mitzunehmen. Ich mache Theater nicht für mich, sondern fürs Publikum, und man muss sich daher aufeinander einlassen. Manche Veränderungen in Form und Ästhetik wird es sicher geben, denn es geht auch darum, ein neues Publikum zu finden. Es ist ganz wichtig, dass wir verstärkt junges Publikum ins Theater bringen. Innsbruck hat auch das große Glück, so viele Student*innen zu haben.
Allerdings rennen die dem Landestheater
bislang nicht gerade die Türen ein. Da müssen wir uns sicher etwas überlegen. Vielleicht mit neuen Angeboten, einem attraktiveren Zugang zu Karten, weil ein Theaterbesuch für junge Menschen natürlich auch eine finanzielle Frage ist. Und in der Vermittlung. Wir sind als Theater noch viel zu sehr hinter verschlossenen Türen, wir müssen mehr raus, mehr zu den Menschen hin, auch mit kleineren Aktionen, sodass man aufmerksam macht auf das, was auf der Bühne alles passiert.
Sie wollen spartenübergreifende Projekte forcieren. Das klingt spannend, aber wie soll es in einem Repertoirehaus wie dem Landestheater konkret funktionieren? Fragen Sie mich in einem Jahr noch einmal. Aber im Ernst: Ich glaube, da muss sich einfach etwas verändern. Logischerweise hat jedes Dreispartenhaus das Problem, dass der Repertoire-Spielplan gewisse Gesetze, gewisse Takte vorgibt. Aber wenn man in andere Länder wie Deutschland oder auch die Benelux-Länder schaut und generell die Entwicklung des Theaters verfolgt, sieht man, dass sich da in den letzten zwanzig, dreißig Jahren immer mehr vermischt hat. Gerade das Musiktheater macht in dieser Hinsicht einen Wandel durch. Da ist auch mehr Vielseitigkeit innerhalb der Ensembles eines Mehrspartenhauses hinzukriegen. Ich meine mit spartenübergreifend aber nicht, dass man – vereinfacht gesagt – da oder dort ein paar Tänzer*innen oder Schauspieler*innen zu Sänger*innen „dazustellt“. Sondern ich habe das ehrgeizige Ziel, dass man anfängt, einen Spielplan gemeinsam zu denken, wodurch sich automatisch Verwebungen und dramaturgische Querverweise ergeben und die Grenzen aufgeweicht werden. Es sollen außerdem auch andere Disziplinen wie Videokunst dazukommen. Und es sollen Pro-
IRENE GIRKINGER
jekte stattfinden, bei denen man nicht mehr genau sagen kann: Gehört das jetzt zum Musiktheater, zum Schauspiel oder zum Tanz? Es gehört zu unserem Theater!
Die Sparte Tanz ist im Tiroler Landestheater ein Quotenbringer, steht aber nicht unbedingt für große künstlerische Experimente. Wird es hier eine personelle Änderung geben? Es ist auf jeden Fall so, dass da ein sehr erfolgreicher Weg beschritten wurde und dass der jetzige Direktor der Tanzcompany (Enrique Gasa Valga, Anm.) eine tolle Arbeit macht. Jede Intendanz bringt natürlich Veränderungen mit sich, aber wie die genau aussehen werden, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten.
Was hat bei Ihnen die Liebe zum Theater
entfacht? Die Literatur. Und das Theater Phönix in Linz, dort habe ich in meiner Jugend das erste Mal erlebt, was Theater eigentlich sein kann. Es gab dort Uraufführungen wie „H. J.“ von Thomas Baum, ein Stück, in dem es um den Aufstieg von Jörg Haider und den Populismus ging, der zu der Zeit so richtig um sich gegriffen hat und mit dem wir als Jugendliche konfrontiert waren. Oder „Kalte Hände“, wo es um Missbrauch in der Familie ging. Und gleichzeitig gab es ganz tolle Klassiker-Inszenierungen. Das hat mich fasziniert und ich dachte mir, ich muss unbedingt ins Theater. Aber hinter die Bühne und nicht auf die Bühne!
Tatsächlich hat es Sie nie auf die Bühne und auch nicht auf den Regiestuhl gezo-
gen. Warum nicht? Weil ich als Schauspielerin absolut talentfrei bin. Ich habe höchste Achtung vor dieser Kunstform und auch vor der Regie, aber meine Begabungen liegen woanders. Ich glaube ich kann gut beobachten, Texte analysieren, habe ein Gefühl dafür, wer sie umsetzen könnte, mit wem man welchen Weg innerhalb der künstlerischen Vision, die ich für ein Haus habe, geht. Das war mir relativ früh klar, dass diese Textebene und die Ebene des Ermöglichens von kreativen Prozessen diejenigen sind, die mich interessieren.
Welche österreichischen Dramatikerinnen und Dramatiker der Gegenwart halten
Sie für spannend? Unweigerlich natürlich Elfriede Jelinek. Jeder Satz, den sie schreibt, hat hundert Wahrheiten in sich. Und sie ist auch diejenige, die unmittelbar und fast manisch auf alles reagiert, was in der Gesellschaft passiert. Es gibt aber auch sehr viele junge Autorinnen und Autoren, die spannend sind, die sich wieder sehr mit Stilistik und Rhythmik beschäftigen, die die Genres vermischen wie Miroslava Svolikova, die jetzt sehr viel am Schauspielhaus Wien gespielt worden ist. Dann gibt es Ewald Palmetshofer, der für Österreich total wichtig ist und war in den letzten zehn Jahren, Thomas Arzt, der das Genre des neuen Volksstücks wiederbelebt hat, oder Martin Plattner, auch ein ganz toller österreichischer Autor, der das Libretto für Manuela Kerers Oper „Toteis“ geschrieben hat, die im März bei uns in Bozen uraufgeführt wird.
Sie sind seit 2012 Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen und wechseln jetzt auf die andere Seite des Brenners. Seltsamerweise wirkt die Brennergrenze gerade in kultureller Hinsicht nicht besonders durchlässig, man hat nicht das Gefühl, dass da viel Austausch passiert.
Sehen Sie das anders? Ich teile dieses Gefühl, aber eher von Seiten des Publikums. Der wirkliche kulturelle Austausch zwischen Südtirol und Tirol ist noch ausbaufähig. Das ist auch ein großer Punkt, den ich mir in Zukunft anschauen möchte. Innerhalb der Szene funktioniert der Austausch zum Teil bereits sehr gut, aber von Seiten des Publikums ist noch eine eher geringere Wahrnehmung da. Mir schwebt vor, die Euregio auch kulturell mehr zu beleben, Kooperationen mit anderen Kulturinstitutionen innerhalb dieses Kulturraumes hinzubekommen. Innsbruck muss da noch ein stärkeres Zentrum werden, von dem etwas ausgeht. Und ich sehe mich da als Katalysator. Die (Über)regionalität zu stärken ist ein sehr wichtiger Punkt für mich. Da geht es um die Euregio, aber auch darum, zu schauen, was auf dem Kontinent passiert. Das ist auch die Idee hinter dem, was ich „europäisches Landestheater“ genannt habe.
Zu dieser Idee gehört es auch, internatio-
nale Regisseure ans Haus zu holen? Genau. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber ich bin gut vernetzt und habe das auch im kleinen Bozen geschafft. Es gab eine Zusammenarbeit mit dem Toneelhuis in Antwerpen, Jan Lauwers war mit einer Produktion im Rahmen des Transart Festivals eingeladen, wir hatten den kroatischen Regisseur Rene Medvešek da. Innsbruck liegt im Herzen von Europa und verträgt schon noch mehr Internationalität. Das Landestheater wird deshalb kein internationales Koproduktionshaus und auch nicht das Festival von Edinburgh, aber es gibt etwas dazwischen.
Was hat Bozen, was Innsbruck nicht hat
– und umgekehrt? Bozen: Wärme ‚Wärme, Wärme. Und dieses italienische Lebensgefühl, das schon sehr präsent ist. Und in Innsbruck gibt es – einmal abseits vom privaten Lebensgefühl – sicher eine größere Kontextualisierung, die mich sehr reizt. Innsbruck liegt einfach toll, es gibt diese Ost-West- und die Nord-Süd-Achse, die es leichter machen, theatermäßig auch anderswo anzudocken und in einen größeren Kontext einzutreten. Darauf freue ich mich schon sehr.
ZUR PERSON
Irene Girkinger, geboren 1976 in Linz, übernimmt mit der Spielzeit 2023/24 die Intendanz im Tiroler Landestheater. Die studierte Romanistin und Kulturmanagerin ist seit 2012 Intendantin der Vereinigten Bühnen Bozen, wo sie die künstlerische und kaufmännische Gesamtleitung des Theaters verantwortet. Von 2007 bis 2011 arbeitete sie als Dramaturgin am Volkstheater Wien, davor war sie am Theater Phönix Linz, Schauspielhaus Salzburg sowie bei den Salzburger Festspielen tätig. Girkinger ist mit dem gebürtigen Innsbrucker Alexander Kratzer verheiratet, der als künstlerischer Leiter des Theaters an der Effingerstrasse in Bern tätig ist und unter der Intendanz von Brigitte Fassbaender Ensemblemitglied am Tiroler Landestheater war.
