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FASZINATION FORSCHUNG
MITTEN IN DER ZUKUNFT
Ein recht bizarrer Schauplatz der Coronapandemie ist der Esstisch, an dem über die mRNA-Technologie geplaudert wird. Dass ein derart komplexes therapeutisches Konzept alltägliches Gesprächsthema geworden ist, ist außergewöhnlich. Ein klitzekleiner Bereich der Biowissenschaften rückt damit ins Scheinwerferlicht und es wird eine Welt erhellt, in der die medizinische Forschung längst an der Zukunft werkelt. Mit Erfolg.
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TEXT: ALEXANDRA KELLER
Für uns ist die mRNA-Technologie eigentlich fast kalter Kaffee“, sagt Guido Wollmann. Kalter Kaffee. Gnadenloser und endgültiger kann einem vermeintlichen medizinischen Durchbruch kaum der aktuelle Sensationsboden entzogen werden. Tja. So schnell geht’s. Sensationell bleibt’s aber trotzdem.
Guido Wollmann hat einen anderen Blick, einen anderen Blickwinkel. Er ist Leiter des Christian-Doppler-Forschungslabors für Virale Immuntherapie gegen Krebs am Institut für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck. In seiner Welt ist die mRNA-Technologie, die im Zusammenhang mit den Corona-Impfstoffen Einzug als Gesprächsstoff an den Esstischen fand, mal gefeiert, mal verteufelt und jedenfalls als superschnell bezeichnet wurde, ein altbekanntes Werkzeug. In Guido Wollmanns Welt spielen gentechnische Impfstoffe eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Krebs. Und nur weil das nicht erst seit gestern getan wird, konnte der mRNA-Impfstoff so flott entwickelt werden. „Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen der Wahrnehmung von außen und der begleitenden Beobachtung der Wissenschaftler“, sagt Wollmann und erklärt: „Was außen als wahnsinnig schnelles Funktionieren eines neuen therapeutischen Konzeptes wahrgenommen wird, ist eigentlich nur ein Foto auf der Ziellinie. Die zwei Jahre, in denen das nun millionen- oder milliardenfach angewendet wird, ist die Kumulation von zehn bis 20 Jahren Entwicklung.“ Kalter Kaffee eben. Richtig heiß war er vor vielen Jahren, doch seine höchst animierende Wirkung auf die Immunologie und Wissenschaftler bleibt und belebt nicht nur zahlreiche Therapiemöglichkeiten, sondern auch Hoffnungen.
VON DER FORSCHUNG ZUR ENTWICKLUNG
Guido Wollmann verfolgte im Rahmen seiner eigenen Forschung seit vielen Jahren die Entwicklungsstufen dieser Methode, mit der auf ziemlich elegante und punktgenaue Art und Weise das körpereigene Immunsystem ausgetrickst beziehungsweise in die richtige Richtung angekickt wird. Seine Leidenschaft gilt der Immuntherapie. Seine Arena ist das Labor. „Wir Virologen sind eigentlich eher bedächtige Menschen“, rückt Wollmann einen Eindruck zurecht, der im Zuge der Berichterstattung zur Coronapandemie entstanden ist, in dem Vertreter dieses klitzekleinen Bereichs der Biowissenschaften plötzlich wie Rockstars erschienen. „Die letzten zwei Jahre haben uns gezeigt, wie wahnsinnig wichtig wissenschaftliche Kommunikation nicht nur innerhalb des wissenschaftlichen Zirkels, sondern auch nach außen hin ist. Dafür gibt es gute und schlechte Beispiele, doch eigentlich lieben wir unser kleines Labor und unsere Wissenschaft“, sagt Wollmann. Er ist ein gutes Beispiel. Er kann nicht nur begeistert, sondern auch begeisternd über seine Forschung sprechen und am Beispiel seines Fachgebietes die große Faszination, die in medizinischer Forschung steckt, skizzieren. Ja, zelebrieren.
Bevor der Mediziner Ende 2014 als Forschungsgruppenleiter nach Innsbruck kam, hatte er an der US-amerikanischen Yale University in New Haven an einer auf Gentechnik basierenden Therapie gearbeitet, die mit dem Glioblastom einen der häufigsten bösartigen Gehirntumore im Visier hat. Hinter der so genannten onkolytischen Virotherapie versteckt sich so etwas wie ein punktgenauer biologischer Angriff auf die Tumorzellen. Ihre Zerstörung ist das Ziel und dafür werden beispielsweise die feindlichen Eigenschaften von Viren genutzt, um sie zu Todfeinden für den Tumor zu machen – und zu ziemlich besten Freunden für die betroffenen Menschen. Gentechnik ist die Grundlage dafür, das Wissen um die Funktionsweisen von DNA und RNA das kleine ABC. „Die Ausgangsstoffe DNA und RNA – natürlicher geht es nicht. Das ist Natur pur. Das ist der Grundstein jeglichen natürlichen biologischen Existenzdaseins“, sagt Wollmann.
Gezielte Eingriffe in das Erbgut beziehungsweise die Veränderung und Neuzusammensetzung von DNA-Sequenzen lösen bei Menschen nicht selten mulmige Gefühle aus. Vor allem, wenn es um Lebensmittel geht. Geht es um das Leben selbst oder gar das Überleben, steckt in der Gentechnik aber eine der stärksten Waffen. Das klingt martialisch und das ist es im besten Fall auch – dann, wenn eine Krebstherapie siegreich endet.
© MUI/BULLOCK
GUIDO WOLLMANN
GEWAPPNET FÜRS SPIEL
Aufrüsten, Genfähren und Genscheren, Replikationsmechanismen, Interferone, Antigene, Infektionen und so weiter und so kompliziert zählen zum Wortschatz der sich damit beschäftigenden Wissenschaftler. All ihr Streben und Forschen wird gleichermaßen überstrahlt und geleitet vom menschlichen Immunsystem, das so wundervoll ist wie knifflig. Alles, was fremd ist, wird vom Immunsystem als fremd erkannt, und es ist seine Uraufgabe, das Fremde zu bekämpfen.

© MUI/LECHNER
GUIDO WOLLMANN
„Bei einer Impfung trainiere ich das Immunsystem gegen ein Ziel, das ich vorgebe“, lenkt Wollmann den Blick auf ein Instrument, das nicht erst seit gut zwei Jahren schicksalhaft für die Zukunft der Menschheit ist. Gegen Eindringlinge, die vom Immunsystem als fremd erkannt werden, kann sehr gut geimpft beziehungsweise das Immunsystem trainiert werden. Ein Virus wird dafür beispielsweise im Labor sequenziert und gewissermaßen in all seine Einzelteile zerlegt. Die dabei entdeckten Eiweiße und Genomabschnitte sind Basis dafür, einen Impfstoff zu entwickeln, einen Trainer quasi, dessen Lektionen das Immunsystem nicht vergisst.
Während diese Form der Anregung körpereigener Abwehrmechanismen recht bekannt und etabliert ist, stellt eine Krebsimpfung eine weit größere Herausforderung dar. „Ein Krebs ist ja nichts Fremdes, das Immunsystem erkennt Krebs oftmals nicht als fremd an. Das heißt, gegen Krebs zu impfen, ist um ein Vielfaches herausfordernder als gegen einen Erreger zu impfen“, sagt Guido Wollmann. Darum ist sein Fachgebiet eine Art Königsdisziplin in der wissenschaftlichen Krebsarena, aus der in erstaunlich straffem Takt „Hurra“-Rufe zu vernehmen sind. „Die Immuntherapie ist in den 2010erJahren Meilen vorangekommen. Es wurden in richtig großen Studien nicht nur Zufallsbefunde geliefert, sondern wissenschaftlich fundiert gezeigt: Patienten können besser behandelt werden, länger überleben und vielleicht sogar geheilt werden“, blickt Wollmann in eine anhaltend bahnbrechende Ära der immunologischen Behandlungsansätze. Bei einigen Tumorarten gehört die Immuntherapie mittlerweile sogar zur Standardbehandlung.
Das Jahr 2015 sticht als Schlüsseljahr im Bereich der krebstötenden Viren heraus. „2015 wurde das erste onkolytische Virus zur Behandlung des schwarzen Hautkrebses in den USA und in Europa zugelassen“, sagt Wollmann. Die Premiere ist ein Meilenstein. In vielen Fällen konnte mit dieser Behandlung nicht nur eine Verlängerung des Überlebens, sondern oftmals auch eine langfristige Kontrolle des Tumors bis hin zur Heilung beobachtet werden. „Zum einen infizieren sie hochspezifisch die Krebszellen in den behandelten Tumoren und zerstören diese. Andererseits lösen sie eine sehr starke Immunantwort auch gegen den Tumor aus und verhindern so die Wiederkehr des Tumors an anderen Stellen des Körpers“, sagt Wollmann und hält weiter fest: „Das ist die große Erwartung an diese onkolytischen Viren. Mittlerweile sind fast alle klinischen Studien zu onkolytischen Viren kombiniert mit der Immuntherapie.“ Der Begriff Krebsimpfung ist in dem Zusammenhang ein wenig missverständlich, wird in dem Fall doch nicht prophylaktisch gegen Krebs „im Allgemeinen“ geimpft und – wie etwa bei der seit vielen Jahren eingesetzten HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs – die eventuelle zukünftige Entstehung von Krebs verhindert. Die Impfung gegen Krebs und die Behandlung mit krebstötenden Viren setzt einen bestehenden Tumor voraus, der derart angegriffen und zerstört werden soll – im besten Fall mit der höchst willkommenen Konsequenz, dass das Immunsystem die Tumorzellen als Eindringlinge definiert und entsprechend scharf auf sie reagiert. In der Kombination der onkolytischen Virotherapie mit der Immuntherapie stecken große Behandlungserwartungen, die Guido Wollmanns Team in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern aus Wissenschaft und Industrie im letzten Jahr erst befeuern konnte. Ende August 2021 wurden im renommierten Fachjournal Nature Communications die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, mit der verstärkt krebsabtötende Immuneffekte bei der kombinierten Tumorimpfung nachgewiesen wurden. Und wieder wurde ein Meilenstein gesetzt.
APROPOS MEILENSTEINE
Die Frage, warum keiner der großen Pharmariesen, sondern das vergleichsweise kleine Biotechnologieunternehmen Biontech
das erste war, das auf Basis der mRNA-Technologie einen Corona-Impfstoff entwickeln konnte, ist eine spannende. Die Antwort ist es auch. Wollmann: „Sie haben sich in den letzten Jahren auf diese Vakzin-Technologien konzentriert und sie optimiert.“ Die Fokussierung auf die personalisierte Medizin, die mit exakt auf den einen Patienten „zugeschnittenen“ Therapeutika arbeitet, zeichnet das deutsche Unternehmen aus. Zeit ist immer ein entscheidender Faktor bei der Behandlung von Krebs und dem Unternehmen ist es zwischenzeitlich gelungen, die Zeitspanne zwischen der Biopsie eines Patiententumors hin zur personalisierten Behandlung des jeweiligen Patienten auf unter 30 Tage zu reduzieren. Im Wissen um die Jahre, die oftmals zwischen der Entwicklung einer Therapie und der Anwendung am Patienten vergehen können, wird die Wucht dieses Könnens ziemlich deutlich. In der Krebstherapie wird dem mRNA-Impfstoff die kurzlebige genetische Information einer Tumormutation mitgegeben. „Davon auf die Information des Coronavirus umzuschwenken war einfach für sie“, weiß Wollmann. „Einfach“ ist nur auf der Spitze des Eisberges medizinischer Forschungen eine Kategorie. Im Zusammenhang mit dem Menschen als Gesamtkunstwerk ist es keine. „Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir eine Fehlfunktion haben, sind wir uns der Komplexität unseres Körpers oder der Abermillionen Mechanismen, die in uns ablaufen, nicht bewusst. Dann aber fragen wir uns, warum habe ich das“, so Wollmann. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist es recht praktisch beziehungsweise überaus hilfreich, wenn schon andere sich die Frage stellten und es bereits Antworten gibt. Für Wissenschaftler dreht sich dieses Frage-Antworten-Rad unablässig. Während es in der formbeschreibenden Anatomie keine allzu großen Lücken mehr zu füllen gibt, rittern Heerscharen an Biologen und Physiologen darum, den Geheimnissen hinterher. Wie funktioniert das? Wie hängt es mit dem zusammen? Und dem? Und dem?
Guido Wollmann beobachtet diese Erkenntnisrennen mit größter Spannung und stellt auf die Frage, welche Revolutionen in der medizinischen Forschung anstehen, fest: „Das Gehirn, das Gehirn ist in der Biowissenschaft immer noch das größte Enigma. Die Komplexität des Gehirns – im Gesunden wie im Kranken – wird uns weiter über Jahrzehnte beschäftigen.“ Als anstehenden Durchbruch sieht er etwa die Anwendung von „Brücken“ zwischen dem Gehirn und äußeren Hilfsmitteln, die es Gelähmten oder diesbezüglich beeinträchtigten Schlaganfallpatienten ermöglichen, sich zu bewegen beziehungsweise fortzubewegen. „Gedankengesteuerte Hilfsmittel – ja, das ist für mich einer der kommenden therapeutischen Durchbrüche.“
Im Bereich der Krebsforschung entdeckt Wollmann ein paar große Löcher, die mit Big Data zusammenhängen und die es zu füllen gibt. „Einer der wichtigsten Durchbrüche der Zukunft wird sein, dass wir lernen, aus den Massen an Daten, die wir gesammelt haben und weiter sammeln, die essenziellen Informationen herauszulesen und zu einem Nutzen zu bringen. Das wäre ein großer Schritt – in der Krebstherapie genauso wie bei Alzheimer oder Schlaganfall, bei allen möglichen Sachen.“ Ist dieser Schatz gehoben, muss Zukunft wieder neu definiert werden. Das wäre richtig heißer Kaffee.
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