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DIE ZUKUNFT DES MENSCHEN

WIE WIR LEBEN WERDEN

Wir stehen womöglich an einer Zeitenwende. Das Internet wird mitsamt seinen Algorithmen immer mächtiger, die Geräte kommen im Internet der Dinge miteinander ins Gespräch. Will der Mensch bei der Gestaltung seiner Zukunft ein gewichtiges Wörtchen mitreden, gilt es, nicht nur fantasievoller als bisher über diese Zukunft nachzudenken, sondern sie auch aktiver zu gestalten.

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TEXT: MARIAN KRÖLL

ir leben heute wohl im Anthropozän, jenem Zeitalter, dem der moderne Mensch durch seine Technologien seinen Stempel aufgedrückt hat. Damit sind alle Veränderungen am Planeten gemeint, die der Mensch verursacht hat. Und es sind ihrer unzählige. Der Mensch hat die Erde binnen weniger Jahrhunderte tiefgreifend verändert. Und irreversibel. Für den renommierten Historiker Yuval Noah Harari steht fest, dass der nächste Veränderungsprozess den Menschen selbst betreffen wird.

Harari deutet mit dem technikverstärkten Homo Deus einen Zukunftsentwurf an, der sich vom heutigen Menschen deutlicher unterscheiden wird als der Homo sapiens vom Neandertaler. „Über Millionen von Jahren hinweg gingen Intelligenz und Bewusstsein Hand in Hand. Bewusstsein ist die Fähigkeit zu empfinden, Intelligenz die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Künstliche Intelligenz verfügt über kein Bewusstsein und löst Probleme völlig anders, als wir Menschen das tun würden“, sagte der Historiker, der sich auch intensiv mit der Zukunft auseinandersetzt – zum Beispiel in einem Interview mit dem US-Sender CBS. „Die Welt teilt sich zunehmend auf in verschiedene Datensphären. Im Kalten Krieg gab es den Eisernen Vorhang, jetzt haben wir den Silicon Curtain zwischen den USA und China. Heute stellt sich die Frage, ob unsere Daten nach Kalifornien oder China gehen“, sagt Harari. Von Europa ist in diesem Zusammenhang keine Rede. Es scheint fast so, als ob die alte Welt den Anbruch der Digitalisierung gründlich verschlafen habe.

Während der Kontinent seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Friedensdividende eingestrichen hat, droht die Dividende der digitalen Transformation gen Asien und in die USA abzufließen und Europa ins Hintertreffen zu geraten. Die Sphäre des Digitalen lässt sich bereits heute kaum mehr trennscharf von der physischen Welt abgrenzen. Diese Grenzen sollen – geht es nach der globalen Techelite – zukünftig weiter verschwimmen. „Netflix sagt uns, was wir schauen sollen, Amazon sagt uns, was wir kaufen sollen, und in 20, 30 Jahren könnten uns Algorithmen sagen, was wir studieren, wo wir arbeiten und wen wir heiraten und sogar wen wir wählen sollen“, malt Yuval Noah Harari ein Szenario an die Wand, das auch einem Science-Fiction-Drehbuch entsprungen sein könnte.

Der Historiker argumentiert, wir alle würden sogar Gefahr laufen, zu sogenannten „gehackten“ Menschen zu werden: „Einen Menschen zu hacken bedeutet, ihn besser kennenzulernen, als er sich selbst kennt. Und ihn auf dieser Grundlage zu manipulieren. Dieses externe System hat das Potenzial, sich an alles zu erinnern,

Technologie hat selbst keine Moralität, sie ist grundsätzlich neutral, ein Werkzeug, das die Tendenzen – und den Tonfall – ihrer Nutzer trägt.

was Sie jemals getan haben“, warnt Harari, der es als Historiker als seine Aufgabe sieht, nicht nur in die Vergangenheit zu blicken, sondern Veränderungsprozesse zu beobachten. Und das tut er mit klarem Blick und großem Scharfsinn. „Wenn Menschen Codes schreiben, gestalten sie die Politik, die Wirtschaft und die Struktur der menschlichen Gesellschaft um“, mahnt der Historiker. Es gibt also gute Gründe dafür, die Programmierer, die am Gewebe unserer Gesellschaft, ja vielleicht sogar unserer Realität codieren, mit der Ethik und den Konsequenzen ihrer Aufgabe vertrauter zu machen.

Nun weiß man nicht erst seit Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Elon Musk, dass es die Nerds sind, die im digitalen Zeitalter eine globale Machtfülle und Bedeutung erlangt haben, von der gewählte Volksvertreter wie Despoten weltweit nicht einmal zu träumen wagen. Apropos Wagen: Auch autonome Fahrzeuge werden zukünftig Entscheidungen nach ethischen Gesichtspunkten treffen müssen. Angenommen, eine Frau mit Kinderwagen überquert die Straße, ein Zusammenstoß lässt sich nur vermeiden, wenn das Fahrzeug in einen entgegenkommenden LKW ausweicht und dabei das Leben der Insassen gefährdet. „In diesen schwierigen Situationen wird man den Algorithmen sagen müssen, welche Entscheidung sie zu treffen haben. Dazu muss man diese philosophische, ethische Frage aber vorher klären“, meint Harari.

Algorithmen werden in Zukunft in unser aller Leben eine noch wesentlich größere Rolle spielen, ob uns das bewusst ist oder nicht. Es ist noch nicht zu spät, darüber mitzuentscheiden, wie transparent und nachvollziehbar diese Entscheidungen gemacht werden, die von Maschinen sekündlich getroffen werden. Die EU hat – wie wir im Interview mit dem auf Digitale Kommunikationsräume spezialisierten Universitätsprofessor Matthias C. Kettemann auf Seite 40 ergründet haben – dahingehend jüngst vielversprechende Initiativen gesetzt. Denn so wie Macht Kontrolle braucht, braucht auch der Algorithmus Kontrolle. Der Mensch der Zukunft wird heute gemacht, er braucht Big-Data-Literacy, die Fähigkeit zur Quellenkritik, Medienkompetenz und ein ausgeprägteres Problembewusstsein. Und das Vertrauen, die Zukunft selbst (mit)gestalten zu können.

Technologie hat selbst keine Moralität, sie ist grundsätzlich neutral, ein Werkzeug, das die Tendenzen – und den Tonfall – ihrer Nutzer trägt. Es obliegt der Politik, für gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen

Leben und am politischen Prozess zu sorgen, weil sich eine offene Gesellschaft keine Heerscharen an Menschen leisten kann, die sich abgehängt und marginalisiert fühlen. Aus Unmut und dem Gefühl, nicht gehört und nicht verstanden zu werden, entwickelt sich nämlich – wie man in der aktuellen Krise gut besichtigen darf – schnell eine Fundamentalopposition gegenüber allem, was „von oben“ kommt, und damit eine Krise der Demokratie und in weiterer Folge des Rechtsstaats. Nur eine Gesellschaft mündiger, auf- und abgeklärter, selbstbewusster Bürger wird den Herausforderungen zu begegnen und die Chancen zu nützen wissen, die sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auftun.

Der Mensch darf sich nicht von seiner Technologie gegängelt fühlen. Sie muss für den Menschen da sein, nicht der Mensch für seine Technik. Es wird auch darum gehen, die Wohlstandsgewinne und den Produktivitätsfortschritt gerechter zu verteilen. Der Trickle-down-Effekt*

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hat sich nämlich als eine Mär entpuppt, ein Gschichtl, wie man in Österreich sagt. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass man angesichts der wachsenden ökonomischen Ungleichheit, die auch die westlichen Industrienationen berührt, viel eher von einem Trickle-up-Effekt reden müsste. Man kann schon vor dem Ende der Pandemie eine sehr kleine Gruppe zum alleinigen Sieger erklären: Es sind die Milliardäre. Ausgerechnet die zehn reichsten Menschen konnten ihr Vermögen seit Beginn der Pandemie mehr als verdoppeln – von 700 Milliarden Dollar auf 1,5 Billionen Dollar. Im selben Zeitraum sind laut der Entwicklungsorganisation Oxfam mehr als 160 Millionen Menschen in die Armut abgerutscht. Man weiß aus der Geschichte, dass zunehmende sozioökonomische Ungleichheit ein sozialer Brandbeschleuniger ist, der das Potenzial hat, die ohnehin fragile globale Ordnung weiter zu destabilisieren. Auch im Internet werden die Menschen in Zukunft nicht länger – abgesehen von den Computern – unter sich sein. Das Internet der Dinge steht vor der Tür, das physische Objekte mit der virtuellen Welt verbinden wird. So kann der Mensch mit seinen Gerätschaften – ganz gleich, ob Auto, Kühlschrank oder Toaster – interagieren sowie auch die Geräte untereinander. Zu den Grundvoraussetzungen für diese Entwicklung zählt der neue Mobilfunkstandard 5G, mit dem wir uns im Folgenden näher beschäftigen.

Wer – so wie der Autor dieser Zeilen – vom Internet der Menschen schon zeitweilig schwerstens genervt ist, wird das Internet der Dinge kaum erwarten können. Nicht umsonst trägt das IoT, das Internet of things, auch den Namen „Allesnetz“. Die Akzeptanz dieses Fortschritts, der aus heutiger Sicht unausweichlich scheint, wird davon abhängen, wie glaubwürdig und zuverlässig allgemein gültige Sicherheitsstandards darin implementiert werden können.

Es ist also viel zu tun. Wir haben es heute mit Technologie zu tun, die wir nicht verstehen. Wir stehen als Menschheit an einem Scheideweg: Es scheint so, als seien wir nicht entwickelt genug, um unsere Technologie zu verstehen, und wir können auch ihre Ergebnisse nicht mehr vollständig vorhersehen. Je eher und bestimmter die Menschen die Ärmel hochkrempeln, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und das Momentum nicht länger den Maschinen und Algorithmen zu überlassen, desto menschenfreundlicher und lebenswerter wird die Zukunft werden. Eine Zukunft, in der sich der Mensch weitgehend selbst aussuchen kann, wie sehr er von seinen Maschinen dabei unterstützt wird, zu sich selbst zu kommen und ein erfülltes Leben zu führen. Denn das ist doch im Grunde das Einzige, was wirklich zählt.

*) Die Trickle-down-Theorie besagt, dass der Wohlstand der Reichsten einer Gesellschaft nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchrieselt und zu Wirtschaftswachstum führt.

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