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RECHTSTIPP

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STRATEGIE: WAS DIGITALISIERUNG WIRKLICH IST

AUF KOMPLEXE THEMEN UND ZUSAMMENHÄNGE gibt es selten eine einzige, einfache Erklärung. Auf den Punkt gebracht bewirkt Digitalisierung eine allumfassende Transformation unseres bisherigen Wirtschaftens und Lebens.

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TEXT: MAG. OLIVER R. SCHMITT, MARKENSTRATEGE

Der große Umbruch findet dadurch statt, dass die bisherige Wertschöpfungslogik ins Wanken gerät: Industrie 4.0 bringt nach der Studie „Digitalökonomie“ des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts nach der Automatisierung nun eine Dezentralisierung der Produktion durch die Vernetzung von Maschinen. In vielen Produktionsbereichen kommt es dadurch zu erheblichen Rückgängen bei den Grenzkosten. Das wiederum steigert das Angebot und führt zu noch mehr Wettbewerb. Durch diese Effekte und die hohe Skalierbarkeit digitaler Geschäftsmodelle etablieren sich deshalb laufend neue Anbieter, die oft mit viel schlankeren und flexibleren Strukturen ihre etablierten, traditionell ausgerichteten Mitbewerber mühelos überholen.

NEUE WERTSCHÖPFUNGSLOGIK Es geht immer weniger um Besitz von Ressourcen und Produktionskapazitäten, sondern um Nutzungs- und Netzwerklogik. Der entscheidende Unterschied liegt in der Freiheit: Musste man in den alten Wirtschaftssystemen Schritt für Schritt geeignete Lieferanten finden, Produktionskapazitäten aufbauen und den Vertrieb strukturieren und entwickeln, so reicht es heute, eine Marke aufzubauen und den Rest aus bereits bestehenden Strukturen zu beziehen. So lassen sich neue Geschäftsfelder ungleich rascher und kosteneffizienter kreieren. Das Prinzip ist auch unter dem Begriff „Plattformökonomie“ bekannt. Wir stehen heute genau an der Bruchlinie zu dieser neuen Wirtschaftsordnung.

DIGITALISIERUNGSPOTENZIALE KAUM AUSGESCHÖPFT Zahlreiche Studien zeigen, dass Unternehmen ihre Digitalisierungsziele meistens nicht erreichen oder das Potenzial kaum nutzen. Laut einer aktuellen Studie eines renommierten Unternehmensberaters werden zum Beispiel nur rund 20 Prozent des digitalen Potenzials ausgeschöpft. Der Grundtenor all dieser Studien: Es fehlt an Klarheit, was „digital“ überhaupt für die Strategie des Unternehmens bedeutet.

Je nach Geschäftsmodell bringt die Digitalisierung im Kern vor allem eine große und wichtige Umwälzung in der Beziehung zum Kunden. Dabei ist es völlig egal, ob es sich um Endkunden (B2C)- oder Geschäftskunden (B2B)-Beziehungen handelt. Mit der Kundenbeziehung sind wir mitten im breit diskutierten Thema Kundenerlebnis – und somit im Thema Marke. Im Rahmen der Digitalisierung und einer stetig wachsenden Anzahl von Produkten und Anbietern wird diese endgültig zum zentralen Erfolgskriterium. Letztlich entscheidet das Erlebnis, das Kunden mit der Marke an immer zahlreicheren Kontaktpunkten haben, über ihre Bekanntheit, ihr Image und schließlich ihre Relevanz. Und diese verschiedenen Erlebnisbausteine beeinflussen schließlich die Kaufentscheidung.

Die Digitalisierung hat auch den B2BErlebnisbereich voll erfasst. Demnach beginnt die Kundenreise („Customer Journey“) von mehr als 60 Prozent der B2B-Kunden laut Experten im Internet. Doch es gibt noch viel zu tun: Wir sehen in unseren Kundenprojekten regelmäßig attraktive Potenziale, die ungenützt brachliegen und nur darauf warten, entwickelt zu werden. Das können innovative Möglichkeiten zur digitalen Anbahnung von Kundenkontakten genauso sein wie vereinfachte und effizientere Informationsbeschaffung oder Abwicklung von Kundenbestellungen.

Es existieren unzählige Plattformen und Tools und wir empfehlen ein zielgerichtetes Zusammenwirken von Herstellern und Handelsagenten, um aus den besten Lösungen die richtigen zu wählen und im Sinne eines optimierten Kundenerlebnisses einzusetzen. Wenn man die Möglichkeiten und Vorteile konsequent durchdenkt, wird rasch klar: Die herkömmlichen Geschäftsmodelle sind größtenteils obsolet und die Zukunft gehört jenen, die es schaffen, einen innovativen neuen Zugang zu den Kunden ihrer Branche zu finden.

DIGITALER VORSPRUNG IST NOCH MACHBAR Nachdem ein Großteil der Unternehmen noch keine ganzheitliche Digitalstrategie hat und vor allem qualifizierte Mitarbeiter mit Digital-Know-how fehlen, lassen sich noch Vorsprünge schaffen, die eine nachhaltige Differenzierung bewirken. Wir plädieren gerade im Rahmen der allgegenwärtigen digitalen Transformation, die Marke als Treiber und gleichzeitig Stabilisierungsfaktor zu begreifen.

Die größten Herausforderungen bestehen künftig nicht in der Entwicklung passender Konzepte oder der technischen Umsetzung. Die größte Hürde besteht nach wie vor in eingefahrenen, traditionellen Strukturen und Abläufen in den Unternehmen. Diese sind mit ihren Geschäftsmodellen erfolgreich geworden und stehen nun vor der Herausforderung, jenes neue Denken und Handeln umzusetzen, das die Digitalisierung immer stärker einfordert. In der Fachliteratur wird dabei viel über das „Aufbrechen von Silos“ gesprochen – also das Überwinden traditioneller Rollenverständnisse und -strukturen in den Unternehmensorganisationen. Heute ist bewiesen, dass jene, die digitale Technologien nutzen, eindeutig höhere Umsätze erzielen und Organisationen, die interdisziplinär eng zusammenarbeiten – etwa in Marketing und Vertrieb –, nachweislich bessere Ergebnisse erreichen. DER HANDELSAGENT ALS IMPULSGEBER Der gerade stattfindende Umbruch zur Digitalökonomie bringt viele Unsicherheiten und gleichzeitig mindestens ebenso viele Chancen. Wir haben in Europa noch die Möglichkeit, unsere starken Wirtschaftsbereiche darauf auszurichten. Die Handelsagenten können dabei als Bindeglied zwischen Herstellern und Händlern eine besondere Rolle einnehmen. Denn: Wer ständig im Kontakt mit dem Kunden ist, wer die Produkte letztlich an die Endkunden bringt, weiß ganz genau, wo die größten Hebel liegen.

MAG. OLIVER R. SCHMITT

ist Gründer und CEO von viennabrand, die Managementberatung im Bereich Markenstrategie und Markendigitalisierung bietet. Gleichzeitig ist er immer wieder Lektor sowie Autor von Gastkommentaren und Fachbeiträgen und zudem als Unternehmer in unterschiedlichen Branchen tätig.

schmitt@viennabrand.com www.viennabrand.com

SUMMARY Digitalisierung bringt die bisherige Wertschöpfungslogik ins Wanken. Es geht heute nicht mehr um Besitz von Ressourcen und Produktionskapazitäten, sondern um Nutzungs- und Netzwerklogik, auch bekannt als „Plattformökonomie“. Die große Umwälzung findet vor allem in der Beziehung zum Kunden statt. Es gilt die Chance zu nutzen und einen digitalen Vorsprung zu realisieren. Unternehmen müssen dafür ihre traditionellen Strukturen überwinden und Handelsagenten können als Impulsgeber glänzen.

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