Starker Humor Weil Marion Fischer (81) als jüdisches Kind den Naziterror überlebte, kann sie heute wunderbare Geschichten erzählen. Über ihr Leben und wie sie es meistert, über die Liebe, die ihr stets Kraft verlieh, und über das Lachen, das ihr Rückgrat stärkt.
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ch bin immer wieder Menschen begegnet, die viel Liebe gegeben haben. Das macht stark. Liebe macht stark“, sagt Marion Fischer. Am 8. Mai 2018 feierte sie ihren 81. Geburtstag und es versteckt sich keinerlei Koketterie hinter der Feststellung, dass die Jahrzehnte nicht sichtbar geworden sind. Feuerrot ist ihr Haar, Knallrotes sticht in der Wohnung ins Auge, Schwarz steht ihr gut und ihre Bewegungen verraten eine prickelnde Agilität – vor allem im Sinne einer intelligenten und humorvollen Wachsamkeit, die blitzartig das Gegenüber zu erfassen vermag. „Ich bin nie untätig“, stellt sie fest und lacht. Koffer stehen jederzeit bereit, um zu reisen, Freunde zu besuchen, ihren kunstsinnigen Hunger zu stillen oder als Zeitzeugin vornehmlich in Italien davon zu erzählen, wie es war, als Kind einer jüdischen Familie aus Österreich die unfassbar dunkle Grausamkeit zu überleben, die auch über 70 Jahre nach Ende des Naziterrors thematisiert werden muss. Weil die Helligkeit bedroht ist. Immer und immer wieder. A l s „ b l i t z a r t i g “ beschreibt Marion Fischer ihre Erinnerungsfetzen an das Konzentrationslager im italienischen Ferramonti, in das die Familie Klein Ende 1940 gesteckt worden war. Dem vorausgegangen war die Flucht nach Triest und der gescheiterte Versuch, mit dem Schiff nach Palästina zu gelangen. Davon weiß sie aus Erzählungen. „Wir durften nicht aussteigen. Das Schiff musste umkehren und die Mama hat erzählt, dass einige Leute ihre Kinder ins Wasser geworfen haben, damit sie in Israel an Land kommen konnten.“ Vier Jahre alt war die Tochter, zwölf Jahre alt der Sohn, als Familie Klein vom KZ in Kalabrien nach Arsiero in der Provinz Vicenza geschickt und dort zivil interniert wurde: „Alle Juden, die mit uns in Arsiero waren, wurden nach Auschwitz gebracht und vernichtet.“ Da ihre Mama hochschwanger war, konnte ein Priester die Deportation verzögern und die Flucht der Familie in die Schweiz organisieren. Dort angekommen, kam das Geschwisterchen zur Welt. Es starb.
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M AYA / DA S T I R O L E R F R A U E N M AG A Z I N
D i e E m o t i o n e n dieser Odyssee sprengen das Fassungsvermögen vom Schicksal begünstigter Spätgeborener und dass die Gedanken an ihre ersten Lebensjahre nicht von Dunkelheit überschattet sind, erklärt Marion rührend: „Meine Eltern haben uns so in Liebe eingebettet, dass wir am Anfang nichts richtig mitbekommen haben.“ Später dann, in der Schweiz, ließ man sie durchaus spüren, was es heißt, ein Flüchtlingskind zu sein, und noch später dann, in Tirol, waren antisemitische Anfeindungen keine Seltenheit. „Mein Papa hatte Sehnsucht nach Österreich. Nach Wien wollte er nicht, weil es dort so viele Nazis gab. In Tirol gibt es keine, sagte er. Das war der Irrtum seines Lebens“, sagt sie wissend und stellt fest: „Komischerweise bin ich mittlerweile angstfrei. Wenn ich Angst habe, dann nur um meine Familie und die Leute, die ich liebe. Um mich habe ich gar keine Angst. Ich bin auch jederzeit abrufbereit. Ich hatte und habe ein zwar nicht ganz leichtes, aber hochinteressantes Leben.“ Z u s p a n n e n d e n L e b e n zählen auch falsche Entscheidungen, „grässliche Fehler“ habe sie gemacht, doch seien es eben ihre Entscheidungen gewesen und ihre Fehler. „Es gibt da eine wunderbare Geschichte. Meine Mama war mit meinem Bruder und meinem Cousin im Park. Die Buben waren etwa vier Jahre alt
und hatten einen Matrosenanzug an. Plötzlich kam mein Cousin zu meiner Mutter und sagte: Tante Medi, jemand hat mir in die Hose geschissen. Das ist großartig. Immer, wenn jemand einen Schuldigen für seine Fehler sucht, sagen wir das.“ Der Cousin lebt in Israel und ist einer ihrer wichtigsten Menschen, der Bruder war Oscar Klein, der begnadete Jazztrompeter, der 2006 starb: „Ich habe ihn heiß geliebt. Und das tu ich immer noch.“ E i n G e s p r ä c h mit ihr ist wie eine Achterbahnfahrt durch den menschlichen Kosmos und es ist ihr Humor, der sich wie ein herrlicher roter Faden auch durch bitterste Themen zieht. „Um den Humor bin ich heilfroh. Den hatten auch meine Eltern – die Mama eher sarkastisch, der Papa voller Güte. Es ist in unserer Familie viel gelacht worden. Lachen stärkt das Rückgrat. Wenn etwas fast unerträglich ist, dann ziehe ich es ins Lächerliche.“ Das kann sie in vielen Sprachen und auch in Schwyzerdütsch, obwohl Letzteres doch „eher eine Halskrankheit“ sei. Die Schweizer Jahre haben nicht viele tolle Erinnerungen hinterlassen. Eine aber schon. „Am 8. Mai 1945 war der Krieg aus und es war mein Geburtstag. Ich meinte, dass das Feuerwerk zu meinen Ehren veranstaltet wird. Ich habe mich sehr gefreut.“ Und mit ihr die ganze Welt.