Holzbau im Bestand

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Holzbau im Bestand

Stefan Krötsch

Manfred Stieglmeier

Thomas Engel

∂ Praxis

Impressum

Autorin und Autoren

Stefan Krötsch

Manfred Stieglmeier

Thomas Engel

weitere Texte: Annette Hafner, Thomas Stark wissenschaftliche Mitarbeit: Kevin Späth

Zeichnungen: Benedikt Glas, Kevin Späth (Theoriekapitel)

Verlag

Redaktion: Katja Pfeiffer (Projektleitung); Cosima Frohnmaier (Layout und Lektorat Projektbeispiele), Jana Rackwitz (Layout und Lektorat Theoriekapitel)

Redaktionelle Mitarbeit: Laura Traub

Korrektorat: Sandra Leitte

Coverdesign nach einem Konzept von: Kai Meyer

Zeichnungen: Marion Griese (Projektbeispiele)

Herstellung und Produktion: Simone Soesters

Reproduktion: ludwig:media, Zell am See (AT)

Druck und Bindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (DE)

Papier: Peydur lissé (Umschlag), Magno Volume (Innenteil)

Verlag:

DETAIL Business Information GmbH Messerschmittstr. 4, 80992 München (DE) detail.de

© 2024, erste Auflage

ISBN 978-3-95553-622-0 (Print)

ISBN 978-3-95553-623-7 (E-Book)

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Titelfoto: Joël Tettamanti

Inhalt

Vorwort 5 Grundlagen Gesellschaftliche Herausforderungen des Bauens 7 Ökobilanzierung in Holzbau und Bestand 12 Brandschutz im Holzbau 16 Außenwandmodernisierungen Fassaden im Kontext 25 Außenwandmodernisierungen mit vorgefertigten Elementen 28 Aufstockungen und Erweiterungen Potenziale von Aufstockungen – Bauen ohne Landverbrauch 49 Aufstocken mit Holz 54 Veränderungen des Gebäudes und Bestandsschutz 56 Aufstockungstypologien und Umbaukultur 60 Brandschutz bei Aufstockungen 62 Konstruktion von Aufstockungen 64 Erweiterungen 70 Projektbeispiele Wohn- und Geschäftshaus in München (DE) 74 Einfamilienhaus in Hittisau (AT) 78 Grundschule in Neuruppin (DE) 82 Stadthaus in Linz (AT) 86 Technische Oberschule für Bau und Design in Innsbruck (AT) 90 Tagungshotel in Salzburg (AT) 94 Stadthaus in Vevey (CH) 98 Bibliothek in London (GB) 102 Gewerbebau in Thalgau (AT) 106 Anhang 110
Außenwandmodernisierungen mit vorgefertigten Elementen

1 Konstruktionsaufbau eines vorgefertigten Holztafelbauelements

2 mögliche Anordnungen bei einer Fassadensanierung a übliche Anordnung der Tafelbauelemente horizontal; Elemente aufeinanderstehend: Die Elemente werden verlegt, wie sie transportiert werden.

b Sonderfall: Anordnung der Elemente aus besonderen Gründen vertikal; Montage durch notwendigen Wendevorgang aufwendiger

3 prinzipielle Verwendung vorgefertigter Fassadenelemente in Abhängigkeit von der Struktur des Bestands:

a als Dämmschicht von Lochfensterfassaden

b als Außenwand von Skelettbauten

c als Außenwand von Schottenbauten

d Raumhaltige Elemente können zusätzlich Balkone, Loggien oder Innenräume bilden.

Vorgefertigte, hochwärmegedämmte Holztafelbauelemente bieten eine Alternative zu herkömmlichen Außenwanddämmungen aus Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) oder hinterlüfteten Fassadenaufbauten mit Unterkonstruktionen aus Aluminiumblech oder Holz. Nachdem diese Elemente weitgehend aus Holz und biogenen Dämmstoffen gefertigt werden können, sind sie herkömmlichen Außenwanddämmungen auf Kunststoff- oder Mineralfaserdämmung hinsichtlich ihrer ökologischen Eigenschaften weit überlegen. Auch bauphysikalisch sind biogene Dämmschichten durch ihre thermische Trägheit und Diffusionsoffenheit günstiger. Entscheidende Vorteile ergeben sich jedoch auch aus den Möglichkeiten einer weitgehenden Vorfertigung:

• Die Bauzeit vor Ort wird auf ein Minimum reduziert.

• Die Belastung für die Bewohnerinnen und Bewohner, die Nachbarschaft und die Infrastruktur durch Baustellenemissionen wird minimiert.

• Qualität, Präzision und Steuerbarkeit der Ausführung werden durch ein digi-

Rähm

tales Aufmaß sowie einen systematisierte Planungs- und Produktionsabläufe optimiert.

• Die exakte Vorplanung ermöglicht maximale Kostensicherheit.

• Die Holztafelbauelemente bieten eine große Freiheit bei der Fassadengestaltung.

• Die Integration von lastabtragenden Konstruktionsteilen ermöglicht erweiterte Anwendungen wie Balkone, Aufstockungen oder Anbauten.

• Gebäudetechnik oder solaraktive Bauteile lassen sich einfach in den Konstruktionsaufbau integrieren.

• Robustheit und Reparierbarkeit ist durch den mechanisch gefügten Konstruktionsaufbau gewährleistet.

• Mechanische Verbindungen erlauben eine einfache Demontierbarkeit vom Bestand und stofflich sortenreine Trennbarkeit der Bestandteile der Holztafelbauelemente nach Ablauf der Lebensdauer.

Holztafelbauelemente lassen sich als reine Dämmschicht (z. B. bei der Modernisie-

äußere Beplankung

Sturzriegel

Schwelle Ständer

Brustriegel

innere Beplankung

1
28

rung von Massivbauten mit Lochfenstern) oder auch als raumabschließende Außenwand (z. B. bei der Modernisierung von Skelettbauten) verwenden. Außerdem können damit raumbildende Gebäudeergänzungen umgesetzt werden (Abb. 3). Meist werden die Holztafelbauelemente analog zum Neubau horizontal geschichtet und aufeinander montiert. Je nach Befestigungsmöglichkeiten am Bestandsgebäude, Tragwerksplanung, Brandschutzkonzept oder Montagebedingungen kann es jedoch auch sinnvoll sein, die Elemente vertikal anzuordnen und seitlich zu stoßen (Abb. 2).

Konstruktionsaufbau

Holztafelbauelemente sind Hybridkonstruktionen aus einem Ständerwerk mit aussteifender Beplankung. Tragwerk und Dämmung liegen in einer Ebene. Bei energetischen Modernisierungen ist es je nach Situation, Anforderungen und Geometrie des Bestandsgebäudes auch möglich, die Elemente als tragende Bauteile einzusetzen und neue Räume erzeugen, indem z. B. Balkone zu Innenräumen umgenutzt und neue Deckenfelder oder Balkone ergänzt werden.

Das Ständerwerk von Holztafelbauelementen besteht meist aus Konstruktionsvollholz (KVH) und setzt sich aus Rähm, Schwelle, Ständern sowie Brust- und Sturzriegeln für den Einbau von Fenstern zusammen (Abb. 1). Für die aussteifende, meist innere Beplankung werden Holzwerkstoffplatten (z. B. Dreischicht- oder OSB-Platten) oder eine diagonale Brettschalung verwendet. Vertikale Lasten verteilen sich über den Rähm in die Ständer und werden von dort in die Schwelle weitergeleitet. Die Beplankung steift die Wand in Scheibenebene aus und verhindert das Ausknicken der Ständer in Richtung ihrer schwachen Achse. Üblicherweise beträgt

der Achsabstand der Ständer 62,5 cm (seltener 83,3 cm oder andere Maße), sodass sich die Beplankung mit möglichst wenig Verschnitt ausführen lässt. Nachdem ein Ausgleich über kleinere Randfelder und Auswechslungen für Öffnungen keinen großen Aufwand darstellen, bleibt das Rastermaß der Ständer für die architektonische Planung ohne Bedeutung. Die Dimensionierung des Ständerwerks erfolgt in der Regel eher nach der notwendigen Dämmstärke als nach statischen Notwendigkeiten (z. B. 60/180 bis 80/240 mm). Holztafelbauelemente sind nicht nur sehr materialeffizient in der Lastabtragung,

sondern sind auch sehr kostengünstig in einer hochwärmedämmenden Ausführung, nachdem ein Hohlraum zur Verfügung steht, der sich mit kostengünstigem Dämmstoff (Zelluloseflocken oder Klemmfilz aus Holz- oder Mineralfasern) ohne Befestigungsmittel füllen lässt. Durch das Ständerwerk entstehen aufgrund der geringen Wärmeleitfähigkeit von Holz keine relevanten Wärmebrücken, gleichzeitig können lastabtragende Konstruktionsteile in der Dämmebene angeordnet sein bzw. die Lastabtragung kann quer zur Dämmebene erfolgen (Anschlüsse Balkon, Laubengänge etc.). Die luft- und dampf-

2 a 3 c b ab d 29 Außenwandmodernisierungen

dichte Schicht des Elementaufbaus bildet meist die innere Beplankung des Holztafelbauelements, sodass auch die luftdichten Anschlüsse aller Einbauteile (Fenster, Türen, Leitungsdurchführungen etc.) bereits im Zuge der Vorfertigung unter optimalen Bedingungen in der Werkhalle hergestellt werden. Potenzielle Fehlerquellen für das hochkomplexe Bauteil Außenwand wie etwa Witterung, Materialengpässe, Beschädigung oder Ähnliches auf der Baustelle lassen sich somit weitgehend vermeiden.

Die äußere Beplankung des Ständerwerks bildet meist eine diffusionsoffene wasserabweisende (hydrophobierte) Holzfaserplatte oder Holzfaserdämmplatte, gegebenenfalls eine Gipsfaserplatte (bei hinterlüfteten Fassadenbekleidungen). Zusätzlich zur äußeren Beplankung wird unter Umständen eine diffusionsoffene Fassadenbahn verwendet.

Die äußere Bekleidung der Elemente kann als kompakte Konstruktion – mit Verputz der äußeren Dämmschicht (Putzträgerplatte) als WDVS – oder als hinterlüftete Fassadenkonstruktion ausgeführt werden. Im Fall einer hinterlüfteten Konstruktion können bis auf wenige Ausnahmen alle üblichen Außenwandbekleidungen zum Einsatz kommen – je nach gestalterischen Anforderungen. Für brennbare Bekleidungen aus Holz oder Holzwerkstoffen sind bei Verwendung in Gebäudeklasse 4 und 5 die Vorgaben der Musterholzbaurichtlinie anzuwenden (siehe „Bauordnungsrechtliche Besonderheiten“, (S. 17ff.). Das bedeutet üblicherweise, dass eine Gipsfaserplatte die äußere Beplankung der Holztafelbauelemente als nicht brennbare Schicht zur Hinterlüftungsebene hin bildet. Außerdem sind geschossweise Brandsperren aus Stahlblech anzuordnen, deren Auskragung über die Fassadenbekleidung von Art und Relief der Fassadenschalung abhängt (siehe „Brandsperren“, S. 22).

Genehmigungsverfahren und Bestandsschutz

Reine Außenwandmodernisierungen können meist ausgeführt werden, ohne dafür einen Antrag auf Baugenehmigung stellen zu müssen. In vielen Städten sind sogar Überschreitungen der Grundstücksgrenze zum öffentlichen Raum, eine Überschreitung des Bauraums (der Baulinie oder der Baugrenze) oder Überschreitungen der Abstandsflächen von bis zu 30 cm erlaubt und genehmigungsfrei, solange keine nachbarschaftsrechtlichen Belange berührt sind.

Für normale mehrgeschossige Gebäude (kein Hochhaus) kann beispielsweise § 61 Abs. 1 Nr. 11 c) und d) der MBO [1] berücksichtigt werden. Das bedeutet, der Austausch von Fenstern und Türen sowie die dafür bestimmten Öffnungen und die Anbringung von Außenwandbekleidungen einschließlich Maßnahmen der Wärmedämmung, Verblendungen und Verputz baulicher Anlagen können als verfahrensfreie Bauvorhaben angesehen werden. Pauschal lässt sich dies jedoch mit Blick auf unterschiedliche Regelungen und Vorschriften nicht für alle spezifischen Landesbauordungen gleichlautend definieren. Zusätzlich gibt es örtliche Bauvorschriften wie die sogenannte Gestaltungssatzung der Gemeinde, die Vorgaben für Außenwandbekleidungen festlegt. Darüber hinaus kann eine Außenwandmodernisierung mit Holztafelbauelementen in Bereiche eingreifen, die über die genannten Punkte hinausgehen. Die Genehmigungsfreiheit ist folglich im Einzelfall zu prüfen. Grundsätzlich müssen immer alle bauordnungsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden – unabhängig davon, ob die Außenwandmodernisierung genehmigungsfrei ist oder eine Baugenehmigung erfordert.

Prozesskette

Die Möglichkeiten einer weitgehend digitalisierten Planungs- und Vorfertigungskette für moderne Holzneubauten lassen sich auch auf die Prozesse vorgefertigter Außenwandmodernisierungen anwenden. Dadurch entstehen Planungs- und Bauabläufe, die wie maßgeschneidert für das Bauen im Bestand funktionieren. Der frühzeitige und hohe Informationsbedarf der Vorfertigung zwingt zu Disziplin und Genauigkeit in der Bauaufnahme des zu modernisierenden Gebäudes, was für jegliches Bauen im Bestand sinnvoll ist. Auch ermöglicht der Prozess durch die extrem minimierte Bauzeit eine durchgehende bzw. nur eine sehr kurze Unterbrechung der Gebäudenutzung. Außerdem wird die Störung der Umgebung (Nachbarschaft, lokale Infrastruktur) durch die Baustelle extrem verkürzt. Baustellenabfälle oder Staub- und Schallemissionen gibt es durch die Montage vorgefertigter Bauteile praktisch nicht. Eine Herausforderung ist jedoch, dass die Montage großer, in sich sehr maßgenauer Bauelemente mit den teilweise sehr hohen Maßtoleranzen des Bestands in Einklang zu bringen ist. Die Maßungenauigkeiten des Bestandsgebäudes müssen also nicht räumlich begrenzt, sondern über gesamte Fassadenflächen hinweg systematisch erfasst und ausgeglichen werden. Dazu ist nicht nur ein sehr präzises Aufmaß erforderlich, sondern auch das systematische Einplanen von Konstruktionsbestandteilen, die im Zuge der Montage das genaue Ausrichten und eine schnelle Befestigung großer Elemente erlauben. Dabei unterscheidet sich die Schnittstelle zwischen Bestand und Fassadenelement bei Modernisierungen nicht wesentlich von der zwischen Rohbau und Holzbauelementen bei Neubauten. Bei Modernisierungen kann die Geometrie des Bestands jedoch als Grundlage der

4 a cd b 30

Planung von vornherein ermittelt und die Größe von Toleranzen als Parameter im Schichtenaufbau der neuen Fassade eingeplant werden.

Die Ausführung einer Außenwandmodernisierung mit vorgefertigten Elementen bestimmt den Planungsprozess umfassend. Die Entscheidung über die Ausführung sollte daher in einem möglichst frühen Planungsstadium getroffen werden (möglichst in LPH 2, spätestens in LPH 3 gemäß HOAI).

Bestandsaufnahme

Baupläne von Bestandsgebäuden geben den gebauten Zustand meist nicht genau genug wieder oder weichen teilweise auch sehr deutlich davon ab.

Die Bestandsaufnahme und ein präzises Aufmaß spielen also für vorgefertigte Außenwandmodernisierungen eine zentrale Rolle (Abb. 6). Dabei ist weniger die spezifische Aufmaßtechnik als vielmehr der Sachverstand der Person entscheidend, die das Aufmaß erstellt. Sie muss in der Lage sein, die Eigenheiten der Fertigung und Montage zu antizipieren. Das geometrisch genaueste Aufmaß ist wertlos, wenn die Beschaffenheit der vermessenen Elemente unklar ist. Aufmaß und Bestandsaufnahme sollten daher Hand in Hand gehen. Folgendes ist zu definieren:

• Geometrie des optisch erfassbaren (Rohbau-)Bestands (z. B. Abmessungen der Fassadenflächen, Fensteröffnungen)

• Unebenheiten und Abweichungen aus der Fassadenflucht, auch über Eck

• Identifizieren von Bauteilen, die abgebrochen werden (z. B. Bekleidungen, Laibungsbekleidungen, Dämmschichten)

• unsichtbare, aber determinierende Geometrie (z. B. Position der Geschossdecken/Innenwände, Raumhöhen, Brüstungshöhen etc.)

4 verschiede Arten hinterlüfteter Bekleidungen von Holztafelbauelementen:

a nicht brennbare Bekleidung und Unterkonstruktion

b biogene, brennbare Bekleidung und Unterkonstruktion (Holz) mit Brandsperren in Höhe der Geschossdecken

c PV- oder Solarthermiepaneele mit und ohne Hinterlüftungsschicht

d Fassadenbegrünung mit Rankgerüst auf hinterlüfteter Fassadenbekleidung (z. B. Faserzementplatten)

5 Mit einer Photogrammetrie-App lassen sich Maßverhältnisse von Bestandsobjekten schnell digital erfassen.

6 digitales Aufmaß: Neben der sichtbaren Gebäudegeometrie müssen sämtliche relevanten Informationen der Gebäudegeometrie erfasst und in Bezug zur Fassadengeometrie gebracht werden: Rohbauabmessungen Öffnungen, OK Fußboden, UK Decken, Rohbaumaß Geschossdecken etc.

• Befestigungsmöglichkeiten (z. B. Position der Geschossdecken, Qualität der Außenwand)

Die Gebäudegeometrie sollte unbedingt als digitales Aufmaß angefertigt werden, damit es ohne Verlust von Präzision und geometrischer Information als Planungsgrundlage in die CAD/CAM-Software der Planung eingelesen werden kann. Das Aufmaß wird üblicherweise durch einen Vermesser oder durch die ausführende Holzbaufirma erstellt. Misst eine unabhängige Person den Bestand auf, sollte sie durch das Planungsbüro genau über den geplanten Bauprozess und dessen Rahmenbedingungen informiert werden. Erstellt das ausführende Holzbauunternehmen das Aufmaß selbst, lassen sich

Unklarheiten hinsichtlich detaillierter Informationen gegebenenfalls leichter vermeiden. Allerdings erfolgt das Aufmaß dann unter Umständen (je nach Vergabeverfahren) erst zu einem zu späten Zeitpunkt, sodass diese Daten noch nicht für die Entwurfs- oder Werkplanung genutzt werden können. Es gibt unterschiedliche Methoden für ein digitales Aufmaß:

• Tachymetrie

• Photogrammetrie

• 3D-Laserscan

Die Tachymetrie als gängigstes Verfahren eignet sich sehr gut, um die Gesamtgeometrie zu erfassen, ist einfach in der Handhabung und ermöglicht eine Bearbeitung der Daten vor Ort. Die Oberflächenstruktur wie etwa Unebenheiten der Fassade

Brüstungshöhe (BRH)

Rohbauöffnung

Oberkante Fußboden (OK FB)

Geschosdecke

Unterkante Fertigdecke (UKFD)

Rohbauöffnung

Rohbauöffnung

6 31 5 Außenwandmodernisierungen
Autodesk

Verschraubung Schwelle oberes Element mit Rähm unteres Element durch Fassadenbekleidung

Verschraubung Rähm unteres Element in Richtbalken Verankerung Richtbalken mittig in Geschossdecke Außenwand Bestand

nachträgliche Verkleidung Abbruchkante altes Fenster in Fensterlaibung Bestand

10

Ausrichten der Elemente und Montage Wesentlicher Vorteil der weitgehenden Vorfertigung ist die schnelle Montage, die die Bauzeit vor Ort extrem verkürzt. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, ist eine genaue Planung und systematische Vorbereitung der Montageabläufe nötig. In der Praxis haben sich insbesondere zwei Varianten entwickelt, die sich hinsichtlich es Montageprozesses sowie der Art des Auflagers (Befestigung) am Bestand unterscheiden:

Variante 1: Richtbalken

Die Unregelmäßigkeiten und Maßtoleranzen der Bestandsfassade machen es in der Regel unmöglich, die hochpräzisen Holztafelbauelemente direkt zu montieren. Um die Elemente ebenengerecht und präzise anbringen zu können, ist eine Ausrichtvorrichtung nötig, die eine fehlerfreie und zügige Montage der teilweise sehr großen Bauteile ermöglicht. Das kann beispielsweise über das Anbringen von Richtbalken, sogenannten Bauchbinden, im Bereich der Geschossdecken erfolgen, an denen sich die Elemente nicht nur ausrichten, sondern auch statisch wirksam befestigen lassen. Diese Richtbalken werden während der Montagevorbereitung an der gesamten zu modernisierenden Außenwand (z. B. per

9 Variante 1: Montage der Elemente an vorab ausgerichteter und angebrachter Richtbalken, Axonometrie M 1:20

10 Montagestoß Schwelle/Rähm, Sanierung Wohnanlage Grüntenstraße, Augsburg (DE) 2012, lattkearchitekten

11 Befestigung der Elemente mit Stahlwinkeln, Modernisierung Wohn- und Geschäftshaus, München (DE) 2016, Braun Krötsch Architekten

12 Variante 2: Befestigung der Elemente über Stahlwinkel, die während des Montageprozesses angebracht werden, Axonometrie M 1:20

9
34
Guido Koeninger, Firma Keim farben

Hubsteiger) montiert und ebenengerecht ausgerichtet (Abb. 9, 10). Dazu werden sie punktuell mit Abstandhaltern unterfüttert oder ausgenommen, um die Unebenheiten des Bestands auszugleichen. Die Stärke der Bauchbinde definiert damit meist die Stärke der Ausgleichsschicht, die mit flexibler Dämmung verfüllt wird. Diese Konstruktion wurde im Forschungsprojekt „TES-EnergyFacade“ (siehe S. 26f.) in verschiedenen Varianten untersucht und in mehreren Modernisierungsvorhaben eingesetzt, beispielsweise beim Umbau des Wohnhauses in der Grüntenstraße in Augsburg (Abb. 10).

Variante 2: Stahlwinkel

Eine andere Möglichkeit ist es, die unterste Reihe Elemente im Zuge der Montage im Abstand der Ausgleichsschicht vor der Bestandswand auszurichten, die folgenden Elemente sukzessive von unten nach oben zu montieren und mit einstellbaren Abstandshaltern (meist Stahlwinkeln) an der Fassade zu befestigen (Abb. 11, 12). Die Elemente können dann während des Montageablaufs analog zu Neubauten aufeinander montiert werden – im richtigen Abstand und geometrisch unabhängig von der Bestandswand. Dazu ist es notwendig, die Elemente untereinander kraft- und formschlüssig zu verbinden, z. B. durch Buchenholzdübel, sodass die Elemente sich wie Steckbausteine zusammenfügen lassen. Diese Konstruktion kam in mehreren Modernisierungsvorhaben zur Anwendung, beispielsweise bei der Modernisierung des Wohn- und Geschäftsgebäudes in der Donnersbergerstraße in München (siehe S. 74ff.). Auch die Modernisierung einer Schule in Neuruppin folgt einem ähnlichen Prinzip, indem die Fassadenelemente geschossweise ohne Unterkonstruktion am Tragwerk des Bestands (Decken bzw. Stahlbetonwand) befestigt sind (siehe Projektbeispiel, S. 82ff.).

Außenwand Bestand

Aufstecken

oberes Element nach Montage unteres Element

Verankerung

Stahlwinkel mittig

in Geschossdecke

nachträgliche

Verkleidung

Abbruchkante

altes Fenster in

Fensterlaibung

Bestand

Ausrichten unteres Element während der Montage

12
35 11 Außenwandmodernisierungen
Florian Braun Volker Wortmeyer
Potenziale von Aufstockungen

– Bauen

ohne Landverbrauch

Das Aufstocken und Erweitern von Gebäuden lässt sich nicht ohne den gesellschaftlichen Kontext betrachten. In der heutigen Wahrnehmung hat sich die Erkenntnis gefestigt, dass die vorhandenen Ressourcen endlich sind. Angesichts dieser Tatsache gewinnt der nachhaltige Umgang mit Rohstoffen und Energie zunehmend an Bedeutung. Insbesondere die gebaute Umwelt spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Bausektor ist dabei für ein hohes Maß an CO2-Emissionen verantwortlich (siehe „Gesellschaftliche Herausforderungen des Bauens“, S. 7ff.), in Europa sind es 38 % [1], und hat damit einen erheblichen Anteil an der Klimaerwärmung. Die Alternative zu Abriss und Neubau ist die Nachverdichtung durch Aufstockung und Erweiterung. Dem Erhalt und der Ergänzung von vorhandener Bausubstanz würden sonst Rückbau, Entsorgung und Wiederaufbau gegenüberstehen. Der Verbrauch an Ressourcen, die Primärenergie und die CO2Emissionen wären ungleich höher. Bestandsgebäude sind wertvolle Ressourcenspeicher und beinhalten zudem eine beträchtliche Menge an grauer Energie, die in Materialien und Konstruktionen, resultierend aus der Herstellung, dem Transport und der Errichtung der Gebäude, gespeichert ist. Um einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zu gewährleisten, sind Konzepte zum Nutzen und Bewahren grauer Energie und zur Reduzierung der Emissionen gefragt. Durch die energetische Sanierung des Bestands und die Weiternutzung der bereits gebauten Strukturen wird gegenüber Neubauten eine Einsparung der materialbedingten Emissionen erreicht (siehe „Ökobilanzierung in Holzbau und Bestand“, S. 12ff.). Die heute existierenden Gebäude werden EU-weit zu 80 % auch 2050 noch vorhanden sein [2] und bilden somit den Grundstock der Bausubstanz für die Gebäude der Zukunft. Zudem besteht eine der herausfordernds-

ten Aufgaben der Gesellschaft darin, ausreichend Wohnraum zu schaffen, ohne dabei das natürliche Terrain durch übermäßige Flächenversiegelung zu beeinträchtigen. In diesem Kontext stellen Aufstockungen und Erweiterungen von bestehenden Gebäuden einen zentralen und effektiven Lösungsansatz dar. Durch die vertikale Erweiterung existierender Strukturen wird nicht nur zusätzlicher Wohnraum geschaffen, indem vorhandene Grundflächen effizienter genutzt werden, sondern auch der Bodenversiegelung entgegengewirkt (Abb. 1). Aus Sicht der Ressourcenschonung lassen sich demnach drei wesentliche Punkte zum Nutzen der Aufstockung ausmachen:

• Reduzierung des Flächenverbrauchs

• Verbesserung der Energiebilanz in Verbindung mit energetischer Sanierung

• Weiternutzung von Bestandsstrukturen

Nachverdichtungsstrategien Aufstockungen und damit die Mitverwertung vorhandener Bausubstanz als Alternative zum Neubau zu verstehen, eröffnet neue Möglichkeiten, die Herausforderungen des wachsenden Bedarfs an Wohnraum und das gleichzeitige Erhalten natürlicher Flächen in Einklang zu bringen. Zudem sind gezielte Strategien der Innenentwicklung und Nachverdichtung erforderlich. In der Deutschlandstudie 2019 [3] der TU Darmstadt und des Eduard Pestel Instituts für Systemforschung e. V. wurden Flächenpotenziale durch Aufstockungen im urbanen Kontext deutscher Städte, Gemeinden und Kommunen untersucht, um neuen Wohnraum zu generieren. Im Vergleich zur Deutschlandstudie 2016 [4], die hauptsächlich die Aufstockung von Mehrfamilienhäusern behandelte, erstreckt sich der Fokus der neuen Studie auf die zusätzlichen Potenziale von Nichtwohngebäuden in Stadtzentren für neue Wohnflächen. Über die Betrachtung der Potenziale von Gebäude-

1 Nutzen der Aufstockung zur Ressourcenschonung

Reduzierung des Flächenverbrauchs

Verbesserung der Energiebilanz in Verbindung mit energetischer Sanierung

Weiternutzung von Bestandsstrukturen

1 c a b 49 Aufstockungen und Erweiterungen

aufstockungen hinaus wurden in der Studie die Möglichkeiten zur Schaffung weiterer Wohnflächen durch die Umnutzung von Büro- und Verwaltungsgebäuden aus regionalen Leerständen untersucht. Diese Analyse berücksichtigt gleichzeitig den bestehenden Bedarf an Wohnraum und die Überschüsse an ungenutzten Büroflächen in der Region. Insgesamt wird das Potenzial auf 2,3 bis 2,7 Millionen Wohneinheiten geschätzt, wobei nur durch die Aufstockung von Wohngebäuden rechnerisch 1,1 bis 1,5 Millionen Wohnungen realisierbar wären. Die weiteren ca. 1,3 Millionen Wohnungen ließen sich durch die Nachverdichtung von Typologien der Büro- und Verwaltungsnutzung, des eingeschossigen Einzelhandels und von Parkhäusern generieren.

Die Reduktion des Energieverbrauchs durch Aufstockung über Nichtwohngebäuden kann mit bis zu 50 % durch Reduktion von Kühllasten im Sommer beziffert werden. Für Bauweisen mit Niedrigenergiestandard entsteht nur geringer zusätzlicher Energiebedarf, da sich die existierende technische Gebäudeausrüstung mitnutzen lässt.

Beispiel Wohnanlage in Salzburg

Am Beispiel der Wohnanlage in der Friedrich-Inhauser-Straße in Salzburg werden die Zusammenhänge deutlich. Die drei Wohnblöcke mit insgesamt 75 Wohnungen von 1985 waren bautechnisch in die Jahre gekommen. Neben dem mangelnden energetischen Zustand fehlte es zudem an modernen baulichen Standards

wie Barrierefreiheit und ausreichender Belichtung der Räume. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Fachhochschule Salzburg, die ein energetisches Gesamtkonzept erarbeitete, entschied sich der Eigentümer für die Sanierung der Anlage statt Abriss und Neubau. Eine Aufstockung in Holzhybridbauweise, die zusätzlich 24 geförderte Wohnungen generierte, war Teil der wirtschaftlichen Überlegungen bei der Umsetzung des energetischen Konzepts (Abb. 2).

Die geringe Gebäudetiefe eignete sich gut für eine Aufstockung mit tragenden Wänden aus Massivholz. Die Geschossdecken wurden aufgrund der Gebäudeklasse 5 und der Forderung der Baubehörde in Stahlbeton ausgeführt. Charakteristisch für das Erscheinungsbild

Bestand vor Aufstockung / Verdichtung

Giebelwand und Ergänzung

Rückbau bis Giebelwand

nach der Aufstockung / Verdichtung

3 50 2
Volker Wortmeyer Stijn Nagels
cs-architektur

der Anlage ist der Erhalt der Giebelwände, mit dem das Planungsteam von cs-architektur auf Vorgaben des Gestaltungsbeirats der Stadt Salzburg reagierten. Im Raumprogramm ergänzt wurden Gemeinschaftsterrassen, die der Kommunikation unter den Bewohnerinnen und Bewohnern dienen, sowie eine Fahrradgarage und ein Mobilitätsraum. Die Planung wurde mit dem KlimaaktivStandard Gold ausgezeichnet und beinhaltet neben der Verwendung von Holz u. a. ein Energiekonzept mit Wärmeerzeugung aus dem Abwasser und eine Abluftwärmepumpe.

Ökologische Aspekte

Aus ökologischer Sicht lassen sich mehrere Vorteile durch Aufstockung und Erweiterung am Bestand identifizieren. Ein genereller energetischer Vorteil der Nachverdichtung ist das Wachstum nach innen anstatt der Ausweisung neuer Flächen am Ortsrand im kommunalen Kontext. Kürzere Verkehrswege und das Vermeiden von zusätzlichen Wohn- und Gewerbeflächen am Stadtrand oder im ländlichen Raum führen zur Einsparung von Energie sowie von Emissionen aus Mobilität und energetischer Versorgung von Gebäuden. Ein weiterer Vorteil durch Aufstocken des Bestands ist die sich in der Regel verbessernde Energiebilanz des gesamten Bauwerks. Dieser Umstand resultiert aus dem optimierteren Verhältnis von Hüllfläche zu Volumen, auch als Kompaktheit des Gebäudes bezeichnet. Der Energiebedarf des erweiterten Gebäudes reduziert sich dadurch schon ohne weitere energetische Maßnahmen, da die meist hochdämmenden neuen Gebäudehüllflächen der Aufstockung die Energiebilanz des Gesamtgebäudes bereits ohne Fassadensanierung des Bestands verbessern. Im Zusammenhang mit einer Fassadensanierung

2 zweigeschossige Aufstockung in Holzhybridbauweise, Wohnanlage Friedrich-Inhauser-Straße, Salzburg (AT) 2021, cs-architektur

3 Transformationsprozess vom Bestand zur Aufstockung, Wohnanlage Friedrich-Inhauser-Straße, Salzburg (AT) 2021, cs-architektur

4 Anwendung von Lebenszyklusmodulen für Aufstockungsmaßnahmen

5 Emissionsentwicklung einer Aufstockungsmaßnahme gegenüber einer fiktiven Abriss /NeubauVariante über den Lebenszyklus hinweg, basierend auf einer wie in Abb. 4 für Aufstockungen angepassten ökologischen Bilanzierungsmethodik [6]. Dabei bedeutet C 0 + A 0 die Bilanzierung zum Zeitpunkt 0. Bei der Umbaumaßnahme fallen darunter alle Bauteile, die abgebrochen werden (z. B. entsorgter Dachstuhl des Bestandsgebäudes, Fenster) und das gesamte Material, das neu dazukommt (z. B. neues Dach, Dämmung, Fenster).

lässt sich zudem ein energetisch noch effizienterer Standard erreichen. Durch die Weiternutzung von Bauteilen und Konstruktionen aus dem Bestand ergibt sich gegenüber dem Abriss und Neubau der Vorteil zur Einsparung von CO2-Emissionen. Die Materialien im Bestand können ohne weitere Emissionen aus der Herstellung weiterverwendet werden. Ebenso entfällt die aufzuwendende Energie für den Abriss.

Aufstockungen

Herstellungsphase Modul A Nutzungsphase Modul B Entsorgungsphase Modul C

10203040

C0 A0 0 Jahre 50

B6 (Gesamtgebäude)

B2–4 (neue Materialien)

B2–4 (Bestand)

C50

Mit der Aufstockungsvariante orientierte man sich an einer bereits ausgeführten Maßnahme, bei der ein Gebäude aus den 1950er-Jahren mit einem Wärmedämmverbundsystem energetisch saniert sowie mit einer vorgefertigten Ziegelwandkonstruktion vertikal erweitert wurde. Das Flachdach besteht aus einer Holzkonstruktion. Beide Varianten sind an die Fernwärme angeschlossen. Eine Aufstockung in Holzbauweise würde das Ergebnis sogar noch verbessern.

Die Studie zeigt, dass eine Aufstockung des Bestands sowohl bei der Herstellung als auch über den gesamten Lebenszyklus hinweg weniger CO2-Emissionen verursacht als ein Abriss und Neubau. Die höheren Emissionen des Neubaus zum Zeitpunkt der Herstellung können über den gesamten Betrachtungszeitraum nicht amortisiert werden. Durch die Weiternutzung der vorhandenen Materialien sowie den Wegfall von Abbruch und Neuherstellung von Materialien ergibt sich eine deutliche Einsparung der CO2-Emissionen über den Lebenszyklus, und es entstehen etwa die Hälfte der Lebenszykluskosten im Vergleich zu Abriss und Neubau.

Vergleich Aufstockung vs. Abriss/Neubau-Variante Eine aktuelle Studie an der Ruhr-Universität Bochum vergleicht [5], basierend auf einer für Bestandsumbaumaßnahmen angepassten Ökobilanzsystematik (Abb. 4), eine Aufstockungsmaßnahme mit einer fiktiven Abriss / Neubau-Variante. Die Studie zeigt, dass die aus dem Bestand kommende graue Energie Vorteile ergeben könnte (Abb. 5). Für die Abriss /Neubau-Variante wurde angenommen, dass das gesamte existierende Bauwerk abgebrochen und durch einen Neubau mit gleicher Größe und Kubatur wie bei der Aufstockungsvariante ersetzt wird. In die Betrachtung sind neben den Emissionen aus den neuen Materialien auch die Verbesserungen durch einen Niedrigenergiestandard (Effizienzhaus 55 in Massivbauweise) über den Betrachtungszeitraum berücksichtigt.

5 4 GWP [kg
2 -Äquiv./(m 2 BGF ≈ a]
CO
Jahre 16 14 12 10 8 6 4 2 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50
Neubau C0+A0Neubau Summe (inkl. B6)Aufstockung C0+A0Aufstockung Summe (inkl. B6)
51
und Erweiterungen
Hafner u .a.
nach Storck, Michael; Hafner, Annette 2023, wie Anm. 5
2024, wie Anm.6

Grundschule in Neuruppin

Architektur: CKRS Architekten, Berlin (DE)

Bauherr: Fontanestadt Neuruppin (DE)

Tragwerksplanung: ifb frohloff staffa kühl ecker, Berlin (DE)

Landschaftsarchitektur: Hradil Landschaftsarchitektur, Neuruppin (DE)

Holzbau: Treskower Zimmerer und Dachdecker, Märkisch Linden (DE)

Die 1972 erbaute Wilhelm-Gentz-Grundschule in Neuruppin, rund 70 Kilometer nordwestlich von Berlin, entsprach nicht mehr den heutigen Anforderungen an eine zukunftsfähige Grundschule. Platzmangel sowie erhöhte Anforderungen an den Wärme- und Brandschutz machten eine Erweiterung und Sanierung erforderlich. Aus einem Realisierungswettbewerb 2018 gingen CKRS Architekten als Sieger hervor. Ihnen ist es gelungen, den ehemaligen Plattenbau des Typs „Erfurt“ in ein modernes, lichtdurchflutetes Schulgebäude umzugestalten. Das Ensemble setzt sich aus drei Volumen zusammen: dem umgebauten ehemaligen Plattenbau, dem L-förmigen Anbau und dem Neubau

der Sporthalle. Ein neuer großzügiger Haupteingang verbindet Bestandsriegel und Anbau, dient als zentraler Treffpunkt und bietet Platz für Veranstaltungen. Im Zuge der Sanierung wurden die nicht tragenden Außenwände des Bestands rückgebaut. Lediglich die tragenden Stahlbetondecken und -wände blieben erhalten. Auf der Nordseite ergänzten die Architekten einen neuen, bis zu 3,90 m breiten kommunikativen Spielflur mit großzügigen Aufweitungen vor den Treppenhäusern. Dessen Stahlbetonkonstruktion schließt fugenlos an den Bestand an und dient als Längsaussteifung. Die Rohbaukonstruktion des Anbaus besteht ebenfalls aus massiven Decken, Wandpfeilern

und Stützen aus Stahlbeton. Um Neu und Alt miteinander zu verbinden, erhielten alle Gebäudeteile eine Hülle aus wärmegedämmten, vorgefertigten Holztafelbauelementen mit einer hinterlüfteten Schalung aus Lärchenholz. Die Wandelemente bilden dabei nicht nur die Dämmschicht, sondern auch den Raumabschluss. Die raumseitige Vorsatzschale und die Ausbildung des Deckenanschlusses gewährleisten Brand- und Schallschutz zwischen den Geschossen.

Durchlaufende vertikale Brandsperren aus Stahlblech im Bereich der Fensterbrüstungen verhindern eine Brandausbreitung im Hinterlüftungsraum und über die Fassadenoberfläche.

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Stefan Josef Müller
Sport Gemeinschaft Lerninseln Neubau Anbau Bestandsbau a a 1 234553 6 7 8 9 10 10 8 8 b 3313 14 3153 11 12 12 12 b aa bb 83 Grundschule in Neuruppin Lageplan Maßstab 1:2500 Schnitte • Grundrisse Maßstab 1:750 1 Foyer /Aula 2 Lehrer-/ Kinderküche 3 Klassenzimmer 3. Obergeschoss Erdgeschoss 4 Gruppenraum Multifunktion 5 Eingang / Empfang 6 Gruppenraum Konstruktion 7 Werken 8 Geräteraum 9 Mehrzweckhalle 10 Umkleiden 11 IT-Raum 12 Klassenzimmer 13 Gruppenraum Erfahrungsinsel 14 Lager 15 Gruppenraum Multimedia
Stefan Josef Müller Stefan Josef Müller

Horizontalschnitt • Vertikalschnitte

Maßstab 1:20

1 Holzschalung Lärche sägerau 20/100 mm

Lattung 40/60 mm

Konterlattung 40/60 mm

Gipskartonplatte diffusionsoffen 15 mm

Holzständer Konstruktionsvollholz 80/120 mm dazwischen Gefachdämmung Holzfaser 120 mm

OSB-Platte 22 mm

Ausgleichdämmung Steinwolle, nicht brennbar (> 1000 °C) 40 mm

Konstruktionsfuge mind. 15 mm

Putz 15 mm (Bestand)

Leichtbetonwandplatte 290 mm (Bestand)

Putz 15 mm

2 Holzschalung Lärche sägerau 20/100 mm

Lattung 40/60 mm

Konterlattung 40/60 mm

Holzfaserplatte 35 mm

Holzständer Konstruktionsvollholz 80/200 mm dazwischen Gefachdämmung Holzfaser 200 mm

Holzwerkstoffplatte luftdicht verklebt 22 mm

Konstruktionsfuge 45 mm

Installationsebene / Dämmung 50 mm

Gipskartonplatten zweilagig 25 mm

3 Absturzsicherung Rahmen aus Stahl L-Profilen verzinkt, pulverbeschichtet 40/40 mm

Füllung Streckmetall, punktweise an Rahmen verschweißt

4 Dreifachverglasung in Holzrahmen, U = 1,00 W/m2K

5 Bitumendachbahn zweilagig 8 –10 mm

Gefälledämmung EPS, mind. 2 % Gefälle, Mittelwert mind. d = 20 cm

Dampfsperre 4 mm

Gefälleestrich im Mittel 70 mm (Bestand)

Ziegel-Beton-Verbunddecke 250 mm (Bestand)

Akustikdecke:

Holzwolle-Leichtbauplatte 35 mm, abgehängt mit Direktabhänger 125 mm

Hinterfüllung Mineralwolle 60 mm

6 Attikaverblechung Titanzink

7 Linoleum verklebt 25 mm

Zementestrich 65 mm

Trennlage PE-Folie 1 mm

Trittschalldämmung 20 mm

Ausgleichsmasse zementgebunden im Mittel 40 mm

Ziegel-Beton-Verbunddecke 250 mm (Bestand)

Akustikdecke:

Holzwolle-Leichtbauplatte 35 mm, abgehängt mit Direktabhänger 125 mm

Hinterfüllung Mineralwolle 60 mm

8 Fensterbank Eiche 30 mm

9 Sockelschutz Faserzementplatte 12 mm

1 2 3 c c d d 84
CKRS Architekten
Stefan Josef Müller
6 1 9 5 6 2 4 8 7 9 ccdd 85 Grundschule in Neuruppin

Stadthaus in Vevey

Architektur: Rapin Saiz Architectes, Vevey (CH)

Tragwerksplanung: Ratio Bois Sàrl, Cuarny (CH)

Haustechnik: Sacao, Fribourg (CH)

Das im 19. Jahrhundert errichtete Wohnhaus liegt in einem ehemaligen Handwerkerviertel in Vevey am Genfer See. Es gehört zu den eingetragenen historischen Kulturobjekten der Stadt, und bei der Sanierung sollte der Charakter des Hauses erhalten bleiben. Rapin Saiz Architekten gelang es, mit wenigen sorgfältig konzipierten Eingriffen das denkmalgeschützte Wohnhaus umzubauen und gleichzeitig eine identitätsstiftende Wirkung innerhalb des Quartiers zu schaffen. Das Bestandsgebäude – ein dreigeschossiger Massivbau mit vorgelagerten Laubengängen aus Holz, die im Laufe der Zeit immer wieder verändert und ergänzt wurden – war stark sanierungsbedürftig und verfügte außerdem über keine zeitgemäßen Sanitäranlagen. Im Zuge des Umbaus wurden nicht nur alle drei Wohnungen grundlegend saniert, auch die Laubengänge dienen nun jeder Wohnung als Wintergarten. Außerdem erhielt das Gebäude ein neues Dachgeschoss, das sich farblich wie konstruktiv vom Bestand abhebt. Die dort entstandene Wohnung besticht durch einen großzügigen, lichtdurchfluteten Wohnraum. Die weiß gestrichenen Wände bestehen aus vorgefertigten geschosshohen Holztafelelementen, die auf der Baustelle mit einer inneren Vorsatzschale aus Gipskarton versehen und gedämmt wurden. Die Decke über dem Bestand ist aus statischen Gründen als Holz-Beton-Verbunddecke ausgebildet. Für die Aufstockung aus Holz sprach nicht nur das geringe Gewicht, sondern auch eine kurze Bauzeit durch die Vorfertigung.

Das gelungene Zusammenspiel von Bestand und Erweiterung zeigt sich vor allem an der Südostseite: Die ergänzten Teile orientieren sich stark an den vorhandenen Windergärten und bewahren deren rhythmische Gliederung. Durch den ochsenblutroten Anstrich verschmelzen Alt und Neu zu einer Einheit.

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Joël Tettamanti
1 2 3 4 5 6 7 a a 2 3 4 5 6 8 3 9 6 8 aa 99 Stadthaus in Vevey Lageplan Maßstab 1:2000 Grundrisse • Schnitt Maßstab 1:250 1 Eingang 2 Flur 3 Kochen / Essen 4 Veranda 5 Wohnen 6 Schlafen 7 Atelier 8 Büro 9 Wohnen / Essen
Erdgeschoss 1. Obergeschoss Dachgeschoss Rapin Saiz Architectes Rapin Saiz Architectes Rapin Saiz Architectes
1 2 3 bb 100 Joël Tettamanti

Horizontalschnitt • Vertikalschnitt

Maßstab 1:20

1 Holzpaneel Lärche massiv lackiert 60 mm

Konterlattung 40/60 mm, Windpapier

Wärmedämmung Holzfaser 35 mm

Holzständerkonstruktion 60/200 mm dazwischen

Wärmedämmung Mineralwolle 200 mm

Dampfsperre, OSB-Platte 15 mm

Lattung / Installationsraum 40/60 mm

Gipsfaserplatte 12,5 mm, Stöße verdeckt mit Holzlattung

2 Fenster: Zweifachverglasung in Holzrahmen

3 Gipsfaserplatte 12,5 mm

Holzständerkonstruktion 60/140 mm dazwischen

Wämedämmung Mineralwolle 140 mm

Gipsfaserplatte 12,5 mm

4 Stehfalzdeckung 2 mm

Unterspannbahn diffusionsoffen

Holzwerkstoffplatte 27 mm

Lattung/Hinterlüftung 60 mm

Dichtungsbahn, Dreischichtplatte 27 mm

Sparren Nadelholz 120 mm

5 Kastendecke: Holzfaserplatte 60 mm

Deckenbalken 60/200 mm dazwischen

Wärmedämmung Mineralwolle 200 mm

Dampfsperre, Dreischichtplatte Fichte 27 mm

Sparren 80/180 mm

6 Holzpaneel Lärche massiv lackiert 60 mm

Konterlattung 40/60 mm

Windpapier, Wärmedämmung Holzfaser 35 mm

Wärmedämmung Holzfaser 40 mm

Brettschichtholz 160 mm

Installationsebene 80 mm

Dreischichtplatte Fichte 27 mm

7 Parkett Eiche 14 mm

Estrich 70 mm

Trittschalldämmung 40 mm

Holz-Beton-Verbunddecke: Stahlbeton 80 mm, Trennlage

Flachdecke Brettsperrholz dreilagig 35 mm

Holzbalkendecke 180 mm (Bestand)

Brettsperrholz dreilagig 35 mm

8 Mauerwerk 500 mm (Bestand)

3 4 1 6 7 8 2 5 b b 101 Stadthaus in Vevey
Joël Tettamanti
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