Bauen mit Stampflehm

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Bauen mit Stampflehm

∂ Praxis

Impressum

Autor

Felix Hilgert

Verlag

Redaktion:

Katja Pfeiffer, Anne Schäfer-Hörr (Projektleitung); Jana Rackwitz (Layout, Lektorat und Projekttexte)

Redaktionelle Mitarbeit: Laura Traub

Korrektorat: Sandra Leitte

Coverdesign nach einem Konzept von: Kai Meyer

Zeichnungen: Marion Griese, Julia Voitl, Barbara Kissinger

Herstellung und Produktion: Simone Soesters

Reproduktion: ludwig:media, Zell am See (AT)

Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza (DE)

Papier:

Peydur lissé (Umschlag), Magno Volume (Innenteil)

Verlag:

DETAIL Architecture GmbH Messerschmittstr. 4, 80992 München (DE) detail.de books@detail.de

© 2025, erste Auflage

ISBN 978-3-95553-656-5 (Print) ISBN 978-3-95553-657-2 (E-Book)

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Titelfoto: Can Isik

Historische Beispiele des Stampflehmbaus

1 In die Weltkarte sind die UNESCO-Weltkulturerbestätten in Lehmbauweise sowie die Regionen eingetragen, in denen Lehmbauarchitektur verbreitet ist.

2 Fujian Tulou, traditionelles Lehmgebäude, Provinz Fujian im Südosten der Volksrepublik China (CN) a Der untere Teil der tragenden Außenwände besteht aus Naturstein und Kies, darüber befinden sich die Wandabschnitte aus Stampflehm. Schnittzeichnung

b Lage der Rundbauten in der hügeligen Landschaft

c Befestigungsmauer aus Stampflehm. Außenansicht

d Im Inneren der Stampflehmrundbauten lehnen meist mehrgeschossige Gebäudestrukturen aus Holz an den Lehmwänden, die Erschließung erfolgt über Laubengänge. Innenansicht

Lehm ist eine weltweit vorkommende Ressource, die entsteht, wenn Gesteinsmaterial durch geologische Prozesse oder Witterungseinflüsse erodiert und dabei zerkleinert wird. Menschen haben über Jahrtausende hinweg mit diesem einfach zugänglichen und formbaren Rohstoff raumgebende Strukturen gebaut, unter anderem auch in Stampflehmbauweise. Dauerhafte Strukturen, die materialgerecht erbaut wurden, haben bei konstruktivem Unterhalt bis heute Bestand. Die Weltkarte in Abb. 1 zeigt sowohl die Verbreitung der Lehmbauarchitektur als auch bedeutende historische Gebäude aus Lehm, die Teil des Weltkulturerbes der UNESCO sind. Im Folgenden werden exemplarisch Gebäude aus verschiedenen Regionen der Welt dargestellt, die seit vielen Jahrhunderten, teilweise trotz klimatisch anspruchsvoller Bedingungen, bestehen und die aus verschiedenen konstruktiven oder auch gesellschaftlichen Gründen bzw. einer Kombination beider Aspekte von Bedeutung sind. Die folgende beispielhafte Auswahl beschränkt sich auf China und die europäischen Länder Frankreich, Deutschland und die Schweiz.

China

Die Fujian Tulou sind traditionelle befestigte Wohngebäude in den Bergregionen der südostchinesischen Provinz Fujian. Diese dauerhaft beständigen Bauwerke entstanden zwischen dem 12. und 20. Jahrhundert und dienten als Wohnund Verteidigungsanlagen für bis zu 800 Personen (Abb. 2b und c). 2008 wurden 46 dieser Bauten von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt, da sie außergewöhnliche Beispiele für gemeinschaftliches Wohnen darstellen und sich harmonisch in die Umgebung integrieren [1]. Tulou sind meist kreis- oder rechteckförmig, mit einer zentralen Innenhofstruktur und einer einzigen, stark gesicherten Eingangstür. Die obersten Stockwerke verfügten ursprünglich über Schießscharten zur Verteidigung gegen Angreifende. Die Fundamente dieser Gebäude bestehen aus mehreren Schichten gemauerter Natursteine, umgeben von einem Abfluss, der Regenwasser von der Stampflehmwand fernhält (Abb. 2a). Auch der untere Teil der tragenden Außenwände wurde aus Naturstein und Kies gebaut, während der obere und größere Teil aus Stampf-

‡ Regionen mit Lehmarchitektur • UNESCO-Weltkulturerbestätten

lehm besteht. Die runden oder quadratischen Grundformen bilden in sich und durch anschließende Querwände steife Strukturen, um Erdbebensicherheit zu gewährleisten. Die größten Tulou erreichen einen Durchmesser von über 80 m und sind bis zu vier oder fünf Geschosse hoch. Die schützende Außenwand wird im Inneren um eine Holzstruktur erweitert, die die Nutzräume der Gebäude generiert (Abb. 2 d). Die unteren Geschosse dienen zum Kochen und Wirtschaften, während sich in den oberen Geschossen meist die Schlafräume befinden. Die ebenfalls aus Holz gefertigten Dächer sind mit gebrannten Tonziegeln gedeckt. Auskragende Dachüberstände von etwa 2 m schützen die Wände vor Regen und Erosion [2].

Interessant für das aktuelle Bauen mit Lehm sind mehrere Aspekte: Alle Materialien, also Naturstein, Holz, Ziegel und Stampflehm wurden entsprechend ihrer Verfügbarkeiten, charakteristischen Eigenschaften und den Anforderungen der Bewohnenden eingesetzt. So entstand ein zeitloser Bauwerktypus, der über mehrere Jahrhunderte lang fast unverändert angewendet wurde und heute noch genutzt und wertgeschätzt wird.

Europa

Die Stampflehmtechnik ist in Europa weniger bekannt als in Asien, Afrika oder im Nahen Osten, obwohl sie auch in verschiedenen Klimazonen Europas vorkommt. Ihre Ursprünge reichen bis in die phönizische Zeit in Karthago (814 v. Chr.) zurück – Plinius der Ältere beschreibt im 1. Jahrhundert n. Chr. die Nutzung von Stampflehm durch Hannibal in Spanien. Die Römer fügten zu den Erdmischungen Kalk hinzu, was zur Entwicklung des römischen Betons führte, doch es bleibt

unklar, wie stark sie die Verbreitung des Stampflehmbaus (französisch: Pisé) beeinflussten [3].

Ab dem 7. Jahrhundert erlebte der Stampflehmbau während der islamischen Expansion in Nordafrika und Spanien einen Aufschwung. In Städten wie Córdoba, Sevilla und Granada, insbesondere im Palast der Alhambra, wurde Stampflehm genutzt. Die Technik verbreitete sich im 8. Jahrhundert nach Italien und später nach Frankreich, wo sie seit dem Mittelalter nach häufigen Stadtbränden aufgrund des guten Feuerwiderstands von Lehm populär wurde und so Holzbauten teilweise ersetzte.

In Deutschland und der Schweiz setzte sich die Bauweise erst ab dem 18. Jahrhundert durch, beeinflusst durch die vorausgegangene französische Entwicklung. In Mittel- und Osteuropa war Stampflehm bereits früher verbreitet, insbesondere in Regionen wie der Slowakei, wo Holzknappheit eine Rolle spielte [4].

Frankreich

Entgegen der weitverbreiteten Ansicht ist das Bauen mit Stampflehm nicht nur in ländlichen Gegenden verbreitet oder nur mit Armut verbunden. In Frankreich beispielsweise kam die Bauweise sowohl im städtischen als auch im ländlichen Kontext zur Anwendung. Der Architekt Emmanuel Mille, der sich mit der Nutzung von Stampflehm in Lyon beschäftigt, stellte fest, dass der Baustoff nicht nur für einfache Gebäude, sondern auch für verschiedene Typologien inklusive repräsentativer und mehrstöckiger Bauwerke verwendet wurde. Seine Untersuchung von über 700 Gebäuden in Lyon und Umgebung zeigt, dass Stampflehm aufgrund seiner praktischen und kostengünstigen Eigenschaften, im Vergleich zum damals oft genutzten Baustoff Naturstein, auch geschätzt wurde und eben nicht nur als Material der Armen galt.

‡ Stampflehm (Pisé) vorhanden

Croix-Rousse (heute Stadtteil von Lyon): Allgemeine Straßenordnung von 1841

Lyon: Erlass vom 19. Juni 1856 für den innerstädtischen Bereich

Lyon: Erlass vom 19. Juni 1856 für den Bereich außerhalb der Stadtmauern

‡ Stampflehmbau verboten ‡ Stampflehmbau erlaubt mehrdeutige Regelung: Pisé verboten oder erlaubt?

Im 19. Jahrhundert wurde in Lyon, insbesondere im Stadtteil Croix-Rousse, häufig Stampflehm für den Bau von „immeubles canuts“ genutzt. Diese Gebäude dienten als Wohn- und Werkstätten für Seidenweber, die aufgrund damals neuer Webstühle höhere Decken benötigten. Stampflehm wurde vor allem in nicht tragenden Wänden verwendet, da er kostengünstig und vor Ort verfügbar war, während für tragende Fassaden Naturstein zum Einsatz kam. Im Zuge dieser Baukultur entstanden in Lyon die höchsten bekannten Stampflehmwände, die eine Höhe von bis zu 25 m erreichten und teilweise bis heute noch Bestand haben.

Außerdem wurden im Laufe der Nutzung von Stampflehm Regularien, vergleichbar mit den heutigen Normen, entwickelt, wo und wie Stampflehm in der Stadt Lyon eingesetzt werden sollte und durfte (Abb. 5) [5]. Unbedingt erwähnenswert als essenzieller Teil dieser Entwicklung ist der Architekt François Cointeraux, der in mehreren Publikationen im späten 18. Jahrhundert umfassend die Stampflehmbaukunst der Stadt dokumentierte und somit einem breiteren Publikum zur Verfügung stellte [6].

Interessant bei der Verwendung von Stampflehm in Lyon und Umgebung ist die integrative urbane Nutzung und Implementierung im größer angelegten Maßstab in einer Stadt und Gesellschaft. Einen vergleichbaren Prozess müsste es auch heute wieder geben, um das Material für verschiedene Nutzungen wieder populärer zu machen, um damit vielfältige Infrastrukturen zu erstellen (siehe „Gesetzliche Rahmenbedingungen und Normen“, S. 32f.).

Deutschland

In Deutschland, wahrscheinlich inspiriert durch die Gebäude im benachbarten Frankreich und die Übersetzung der

Lyon: Allgemeine Straßenordnung von 1874

Publikationen von François Cointeraux, erlebte der Stampflehmbau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders in Weilburg und Umgebung, einen kurzen, intensiven Aufschwung. Diese lokale Entwicklung wurde maßgeblich geprägt durch eine Person, den Fabrikanten Wilhelm Jacob Wimpf, der wiederum durch die damalige Ressourcenknappheit von Holz und der aufwendigen Beschaffung von Naturstein beeinflusst war. Er ließ diverse Gebäude unterschiedlicher Nutzung in Stampflehm errichten [7]. Weltbekannt bis heute ist das Haus Hainallee 1 in Weilburg (Abb. 6). Es gilt mit seinen sechs Stockwerken als eines der höchsten Stampflehmgebäude der Welt. Das 23,2 m hohe Gebäude entstand zwischen 1825 und 1828 und wurde von Wimpf ursprünglich als Wohnhaus für seine Kinder gebaut. Das Gebäude mit Satteldach liegt an einem steilen Hang, zur Straße zeigt es drei, rückseitig sechs Stockwerke. Wie Cointeraux fasste auch Wilhelm Jacob Wimpf sein erworbenes Wissen 1836 in einem Fachbuch zusammen. Seine Bauprojekte machten Weilburg zu einem lokalen Zentrum des Stampflehmbaus, wo zahlreiche Gebäude in dieser Bauweise realisiert wurden und teilweise bis heute noch bestehen [8].

3 innerstädtische Situation in Lyon, fünfgeschossiges Gebäude mit Lehminnenwänden am Place de la Croix-Rousse, Lyon (FR)

4 Vorkommen von Stampflehm (Pisé) in der Region Auvergne-Rhône-Alpes (FR)

5 beispielhafte Darstellungen über die Regularien zum Einsatz von Stampflehmwänden in Lyon (FR)

6 Ostansicht nach der Sanierung, „Haus Rath“, Hainallee 1/Niedergasse 22, Weilburg an der Lahn (DE) 1828, Wilhelm Jacob Wimpf

7 verputzte, aufwendig gestaltete Lehmfassade, Wohnhaus „Gelbbau“, Hauptwil (CH) 1780

8 Ökonomiegebäude des Schloss Hauptwil, Hauptwil-Gottshaus (CH) 1664

Der Bau in der Hainallee 1 wurde im Jahr 2022 umfassend denkmalgeschützt saniert und bleibt somit für künftige Generationen weiterhin als Wohnhaus erhalten. Die außerordentliche Höhe des Gebäudes zeigt die Potenziale, die im Baustoff Stampflehm stecken, auch wenn es heute fraglich ist, ob aktuelle Baustandards und erforderliche Tragfähigkeitsnachweise den Bau solcher Strukturen erlauben würden. So sind auch die Gebäude in Deutschland ein Beweis dafür, was mit Stampflehm grundsätzlich möglich ist und über Jahrhunderte nachhaltig Bestand haben kann.

Schweiz

Auch in der Schweiz entstanden in einem ähnlichen Zeitraum wie die gezeigten Gebäude in Frankreich und Deutschland Stampflehmgebäude. Die Bauweise gelangte einerseits über die geografisch nah an Frankreich liegenden Regionen wie Genf sowie andererseits über wirtschaftliche Beziehungen vor allem der Textilindustrie bis in die Ostschweiz. Einige dieser historischen Gebäude dort existieren heute noch und werden teilweise noch genutzt [9]. Darunter befinden sich auffallend viele Wohnbauten aus Stampflehm in Hauptwil, einer Gemeinde

im Kanton Thurgau (Abb. 7 und 8). Wie in Weilburg sind diese Bauten alle verputzt – für einen besseren Witterungsschutz und um die Lehmfassaden mit ihrem minderwertigen Image zu verbergen. Einige der Gebäude wurden sogar noch aufwendiger gestaltet und zusätzlich bemalt und suggerieren förmlich mit anderen Baustoffen gebaut worden zu sein. Dadurch ging unter anderem das breite Bewusstsein in diesen Regionen verloren, dass Lehmbauweisen, die hier eine lange Tradition haben, immer noch angewendet werden könnten.

Anmerkungen

[1] Dethier, Jean: Lehmbau Kultur. Von den Anfängen bis heute. München 2019, S. 127

[2] Colafranceschi, Elena u. a.: Tulou: The Rammed Earth Dwellings of Fujian (China). Functional, Typological and Constructive Feature. Department of Architecture, Roma Tre University, Rom 2020

[3] Boltshauser, Roger: Pisé – Stampflehm. Tradition und Potenzial. Zürich 2020, S. 15

[4] ebd., S. 15

[5] Mille, Emmanuel: Rammed Earth of Cities: Lyon’s Heritage. https://topophile.net/savoir/pise-desvilles-le-patrimoine-lyonnais/ (Zugriff am 21.11.2024)

[6] wie Anm. 3, S. 276f.

[7] wie Anm. 1, S. 195ff.

[8] Röder-Löhr, Jonas: Pisé-Haus Weilburg an der Lahn. Bonn 2020, www.kuladig.de/Objektansicht/ KLD-306522 (Zugriff am 21.11.2024)

[9] wie Anm. 3, S. 100ff.

Philip Heckhausen
Philip Heckhausen
Hans-Rüdiger Lahnelster

Wiederverwendung von Aushub

1 Bodenaufbau: B-Horizont und gebrochener C-Horizont sind gegebenenfalls für den Stampflehmbau verwendbar.

2 Aushubdeponie und Kiesgrube nördlich von Zürich

3 Auf einer Hochbaubaustelle fällt geeigneter Aushub für Stampflehm an.

Derzeit gibt es zwei übliche Verfahren zur Gewinnung von Material für Stampflehm:

• den gezielten Abbau in Lehm- und Kiesgruben oder

• die Wiederverwendung von Aushubmaterial aus Gebäude- und Infrastrukturbaustellen

Beim gezielten Abbau wird das Material speziell für den Bauzweck gewonnen (Abb. 2), aufbereitet und gegebenenfalls mit Zuschlagstoffen optimiert. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt größtenteils in der gleichbleibenden Qualität des Ausgangsmaterials. Homogene mineralogische und granulometrische Zusammensetzungen (d. h. hinsichtlich Korngrößenverteilung und -form, Oberflächenbeschaffenheit der Gesteinskörnung etc.) ermöglichen definierte und geprüfte, vor allem sich wiederholende und bekannte Materialeigenschaften. Dies führt zu einer optimierten Verarbeitbarkeit, konstanteren und kontrollierbareren mechanischen Eigenschaften und letztlich zu einer höheren Effizienz sowie Kostensicherheit im Bauprozess.

Alternativ sollte der Fokus jedoch darauf liegen, Aushubmaterial wiederzuverwenden, was den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft entspricht, da bestehende Ressourcen genutzt und die Deponiemengen reduziert werden. Allerdings kann die Zusammensetzung des Materials je nach Herkunft stark variieren, weshalb gezielte Analysen, Siebungen und gegebenenfalls Aufbereitungsverfahren erforderlich sind, um vergleichbare Materialqualitäten wie beim direkten Abbau zu gewährleisten. Dennoch gleichen sich die Hauptprozessschritte weitgehend: Das Material wird getrocknet, zerkleinert, gesiebt und je nach Anforderung noch mit Bindemitteln oder Zusatzstoffen aufbereitet. Im Sinne der unter „Wiederverwendung, Aufbereitung und Entsorgung“ (S. 60f.) beschriebenen Kreislaufwirtschaft wird im

Folgenden der Fokus auf die Wiederverwendung von Aushubmaterialien gelegt. Dabei werden die notwendigen Prozesse, Materialprüfungen und Maßnahmen zur Anpassung detailliert betrachtet, um eine nachhaltige und wirtschaftlich sinnvolle Nutzung sicherzustellen.

Bodenaufbau

Der Boden der Erdoberfläche ist in verschiedene geologische Horizonte unterteilt, die sich in ihrer Zusammensetzung und ihren Materialeigenschaften unterscheiden (Abb. 1). Diese Schichten beeinflussen maßgeblich die Eignung des Materials für den Stampflehmbau. Die oberste Schicht, der A-Horizont, besteht aus humusreicher Erde mit einem hohen Anteil an organischer Substanz. Diese entsteht durch die Zersetzung pflanzlicher und tierischer Rückstände und bildet einen essenziellen Lebensraum für Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere. Aufgrund des hohen Anteils an organischen Stoffen ist der A-Horizont für den Stampflehmbau ungeeignet, da organische Bestandteile zu Volumenveränderungen, einer verminderten Festigkeit und einer unkontrollierten biologischen Zersetzung führen können. Jedoch besitzt diese Schicht eine hohe ökologische sowie monetäre Wertigkeit und wird daher üblicherweise zur Renaturierung von Baustellen oder zur Bodenverbesserung an anderer Stelle direkt wiederverwendet. Unterhalb dieser organisch geprägten Schicht folgt der B-Horizont, der überwiegend aus anorganischen Mineralstoffen wie Ton, Sand und Kies besteht. Sofern diese Schicht einen hohen Tongehalt aufweist, wird sie im Allgemeinen als „Lehm“, „lehmiger Aushub“ oder auch abwertend als „Dreck“ bezeichnet, da dieser im Allgemeinen nur für die Deponie geeignet ist. Eine weitere Bezeichnung ist „fettes“

bzw. „mageres“ Aushubmaterial. Je fetter ein Aushub ist, desto höher der Tongehalt. Die Zusammensetzung dieses Horizonts variiert je nach Standort, weshalb eine gezielte Boden- und Materialanalyse möglichst frühzeitig erforderlich ist, um die Eignung eines Materials für den Stampflehmbau sicherzustellen (siehe „Korngrößenverteilung und Testmischungen“, S. 43f.). Dabei sind besonders B-Horizonte mit einer homogenen Zusammensetzung von Ton, Silt, Sand und Kies von Interesse für den Stampflehmbau, da sie eine optimale Kornverteilung und Bindigkeit aufweisen, die für die Herstellung von möglichst tragfähigen Lehmwänden essenziell ist. Noch tiefer schließt sich der C-Horizont an, der aus weitgehend unverwittertem oder nur teilweise zersetztem Ausgangsgestein besteht. In vielen Fällen wird Material aus dem C-Horizont durch mechanischen Abbau oder Sprengung gewonnen und für verschiedene Bauzwecke weiterverarbeitet. Im Kontext von Stampflehm kann dieser Horizont als Quelle für mineralische Zuschlagstoffe dienen, beispielsweise für grobe, kiesige Bestandteile zur Optimierung der Kornverteilung. Die Unterscheidung der drei Bodenhorizonte ist ausschlaggebend, um geeignete Materialquellen für den Stampflehmbau gezielt zu identifizieren und gleichzeitig eine nachhaltige Nutzung der Ressource Boden sicherzustellen.

Wiederverwendung von Aushubmaterial im Stampflehmbau

Die Zusammensetzung von Aushubmaterialien aus dem B-Horizont und unter Umständen aus gebrochenem Material des C-Horizonts bestimmt maßgeblich ihre Eignung für verschiedene Bauanwendungen im Stampflehmbau. Eine effiziente Wiederverwendung setzt dabei minimalen Transport- und Verarbeitungsauf-

Oberboden Unterboden

wand voraus. Um die gewünschten Eigenschaften des Endprodukts sicherzustellen, muss das Material geprüft und aufbereitet werden. Der direkte Einsatz von Aushubmaterial auf Baustellen kann durch mobile Verarbeitungseinheiten oder temporäre Feldfabriken erfolgen (siehe „Vorteile der Vorfertigung“, S. 20ff.). Eine besondere technische Herausforderung stellt dabei die Verarbeitung von tonhaltigem Material dar, da dessen hohe Bindigkeit zu Ablagerungen in den Maschinen führen kann und im schlimmsten Fall den Betrieb beeinträchtigt oder zum Stillstand bringt.

Materialauswahl, Analyse und Aufbereitung Ein entscheidender Faktor für die Wiederverwendung von lokalem Aushubmaterial ist der zeitliche Vorlauf für die Materialsuche, Analyse und Aufbereitung. Dabei

beeinflussen bautechnische, ökologische oder ästhetische Anforderungen die Auswahl. In vielen Fällen besteht der Wunsch von Bauherren oder anderen Entscheidungsträgern, das auf einer Baustelle anfallende Aushubmaterial direkt wieder für dasselbe Bauprojekt zu verwenden. Entspricht das Material den grundlegenden Kriterien, d. h. wenn es frei von organischen Bestandteilen ist und alle Korngrößen zumindest in erkennbaren Teilen enthalten sind, wird der Aushub anschließend zu nahe gelegenen Verarbeitungsorten transportiert, etwa zu einem Bauunternehmen mit entsprechender Infrastruktur, einer gemieteten Halle oder auch einer temporären Feldfabrik direkt in Baustellennähe. Besonders vorteilhaft für den Stampflehmbau sind Aushubmaterialien mit einem sehr ausgewogenen Verhältnis aus Ton, Schluff und Kies. Ton und

4 Ablauf eine Materialprüfung a visuelle und händische Beprobung des Aushubmaterials b Mit einer Siebschaufel werden grobe Steine von feineren Bestandteilen im Aushubmaterial getrennt.

c Anliefern des gesiebten Materials in die Fertigungshalle

d Materiallagerung in der Fertigungshalle e Siebanalyse (Kornverteilungslinie) vier verschiedener Aushubmaterialien f Aufgrund der Analyse erfolgt die Zugabe von fehlenden Korngrößen (Zuschlagstoffen).

5 Durchmesser der Korngrößen der Materialbestandteile nach DIN EN ISO 14 688 (vorher DIN 4022)

6 Farb-Mock-up (rund) und fertiges Element (darunter), Hochhaus H 1 Zwhatt, Regensdorf (CH) 2025, Boltshauser Architekten

7 Beprobung von elf möglichen Materialzusammensetzungen anhand von jeweils sechs Prüfwürfeln

Schluff sollte zusammen idealerweise zwischen 20 und 35 % Volumenanteil ausmachen, um eine ausreichend bindige Klassifikation zu erreichen [1]. Ebenso wichtig ist die Kornstruktur des Materials selbst. Gebrochene Körner mit rauen Oberflächen sind von Vorteil, da sie sich besser mit anderen Bestandteilen mechanisch verhaken und dadurch die Druckfestigkeit des Stampflehms erhöhen.

Auch ästhetische Kriterien wie die Farbgebung spielen eine wesentliche Rolle bei der Materialauswahl. Aufgrund geologischer Prozesse hat das entnommene Material von verschiedenen Aushuborten durch die jeweils unterschiedliche mineralogische Zusammensetzung eine entsprechend individuelle Farbgebung.

Geologische Schichtung und Materialverfügbarkeit Für eine wirtschaftliche und technisch sinnvolle Wiederverwendung sollte das Aushubmaterial möglichst homogen zusammengesetzt und in ausreichender Menge vorhanden sein, um die Belieferung des gesamten Bauvorhabens sicherzustellen. Da Böden häufig aus mehreren geologischen Schichten bestehen, variiert die Eignung verschiedener Aushubstellen. Wichtige Informationen über die Schichtzusammensetzung und ihre Schichthöhen liefern Baugrunduntersuchungen, die in der Regel bei allen Bauprojekten in den frühen Planungsphasen für die Gründung von Bauwerken durchgeführt werden. Zusätzlich können Tiefbauunternehmen durch ihre langjährige lokale Erfahrung wertvolle Hinweise zur Bodenbeschaffenheit in einer bestimmten Region geben.

Materialzusammensetzung und Normvorgaben Nach der Auswahl eines geeigneten Aushubmaterials findet eine detaillierte Materialanalyse zur Korngrößenverteilung statt. Die Unterteilung der Korngrößen erfolgt gemäß DIN EN ISO 14 688 (Abb. 5).

Beim Stampflehmbau gibt die kleinste Abmessung eines Bauteils den Richtwert für die maximale Korngröße vor. Diese sollte 10 % der kleinsten Bauteilabmessung nicht überschreiten. Beispielsweise sollte eine 50 cm dicke Stampflehmwand somit keine Steine mit einem Durchmesser von mehr als 5 cm enthalten. Zu große Kornfraktionen und Fremdstoffe wie Wurzeln oder organische Bestandteile können mithilfe von Siebmaschinen oder Siebschaufeln bereits bei der Gewinnung des Aushubs entfernt werden.

Korngrößenverteilung und Testmischungen Um die gewünschten Materialeigenschaften, insbesondere die Druckfestigkeit, sicherzustellen, werden zunächst kleinere Probemischungen angefertigt. Dafür entnimmt man repräsentative Materialproben und unterzieht sie einer detaillierten Siebund Schlämmanalyse, um die Korngrößenverteilung zu bestimmen. Die Ergebnisse werden in sogenannten Sieblinien dargestellt, die den prozentualen Massenanteil der gesiebten Bestandteile an der Gesamtmasse aufzeigen. Diese Werte werden kumulativ angegeben. Eine steil ansteigende Kurve in einem bestimmten Bereich weist auf einen hohen Gewichtsanteil in diesem Korngrößenbereich hin. Fehlende Kornfraktionen können gezielt ergänzt werden, indem die erforderlichen Zuschlagstoffe in einem kleinen Zwangsmischer homogen eingemischt werden. Ein fehlender Tonanteil kann durch die Zugabe von Tonpulver ausgeglichen werden.

Beispielhaft lassen sich dazu die Kurven in Abb. 3 a (S. 9) heranziehen: Die Sieblinie des ersten Aushubs weist einen Tongehalt von ca. 17 % sowie einen sehr hohen Schluffanteil von zusätzlichen 67 % auf. Nach der Zugabe von rund 50 % feinem und mittlerem Kies sinkt der Massenanteil von Ton und Schluff, wodurch sich die Sieblinie der idealen Korngrößen-

Bezeichnungmaximaler Durchmesser der Korngrößen

Ton< 0,002

Schluff (Silt) 0,002 – 0,063 mm

feiner Sand0,063 – 0,2 mm

mittlerer Sand0,2 – 0,63 mm

grober Sand0,63 – 2 mm

feiner Kies (Split)2 – 6,3 mm

mittlerer Kies6,3 – 20 mm

grober Kies20 – 63 mm

Steine63 – 200 mm

Blöcke200 mm

verteilung für Stampflehm annähert. Nach der Anpassung der Korngrößenzusammensetzung wird das Material mit der optimalen Feuchtigkeit versehen, um eine realistische Verarbeitungssituation zu simulieren, und anschließend zu vier bis sechs Druckproben in Form von 20 × 20 × 20 cm großen Prüfwürfeln verdichtet. Diese werden an der Ober- und Unterseite eben verarbeitet (abtaloschiert), um eine möglichst flächige Krafteinleitung

zu gewährleisten. Nach dem Trocknen unter kontrollierten Bedingungen werden die Würfel in einem unabhängigen Prüflabor auf ihre Druckfestigkeit geprüft. Falls die erzielten Werte nicht den Anforderungen entsprechen, wird die Rezeptur angepasst, die Mischung erneut zu Würfeln verarbeitet und der gesamte Prozess so lange wiederholt, bis die gewünschten Materialeigenschaften erreicht sind.

Materialaufbereitung

Um große Mengen an Aushubmaterial effizient sieben und mischen zu können, sollte das Material in einem möglichst trockenen Zustand vorliegen, da Feuchtigkeit die Effizienz und Qualität der Aufbereitung beeinträchtigen kann. Ist das Material zu feucht, wird es zunächst mit einem Radlader gleichmäßig auf einer großen befestigten Fläche verteilt und an der Luft getrocknet. Der Trocknungsprozess lässt sich durch regelmäßiges Wenden des Materials beschleunigen, da es für eine schnellere Verdunstung sorgt. Sobald das Material eine geringe Feuchtigkeit erreicht hat, beginnt der eigentliche Mischprozess. Dabei werden die benötigten Zuschlagstoffe (z. B. Sand, Kies oder Tonpulver) in den vorher bestimmten Volumenanteilen schichtweise auf das ausgebreitete Aushubmaterial verteilt. Nach der Schichtung erfolgt eine gründliche mechanische Durchmischung mit Bagger- oder Radladerschaufeln, bis eine homogene Mischung entsteht. Das ausreichende Durchmischen ist entscheidend, um die gewünschten mechanischen Eigenschaften wie beispielsweise Druckfestigkeit, Schwindverhalten und Oberflächenbeschaffenheit des finalen Bauteils zu erzielen und eine gleichbleibende Qualität im Bauprozess zu gewährleisten.

Farb- und Oberflächenprüfung

Die endgültige Farbgebung des Materials lässt sich oft bereits an den ersten Prüfwürfeln erkennen, da die Materialzusammensetzung einen direkten Einfluss auf den Farbton hat. Zuschlagstoffe (Additive) wie Ton, Silt, Sand und Kies sowie Zusatzmittel (Stabilisatoren) wie Kalk oder Zement und natürlich auch Farbpigmente beeinflussen stets das finale Erscheinungsbild (Abb. 9 –13).

Für eine präzise Beurteilung und um Bauherrenschaft sowie Architektenteam eine

realistische Vorstellung des Endprodukts zu vermitteln, werden oft größere Mockups aus der finalen Mischung erstellt. Diese bieten die Möglichkeit, die Farbtöne im größeren Maßstab zu begutachten und die Auswirkungen der Mischung auf die Oberflächenstruktur und das Stampfbild zu beurteilen (Abb. 8 und 10). Zudem können mit Mock-ups auch konkrete Details wie z. B. der Witterungsschutz oder Bauteilanschlüsse getestet und visualisiert werden (siehe „Stabilisierende Erosionsbremsen“ und „Anschlüsse an andere Bauteile“, S. 23). Hierbei ist es oft auch hilfreich, Proben unter verschiedenen Witterungsbedingungen (z. B. Regen, Sonne) zu simulieren, um die Widerstandsfähigkeit des Materials gegen äußere Einflüsse zu testen. Diese umfassende Prüfung sorgt dafür, dass nicht nur die ästhetischen, sondern auch die funktionalen Anforderungen des Projekts erfüllt sind, bevor mit dem eigentlichen Bau begonnen wird.

Anmerkungen [1] Schroeder, Horst: Lehmbau. Mit Lehm ökologisch planen und bauen. Wiesbaden 2013, S. 138

8 Mock-up mit einseitig stabilisierten Trasskalkecken (links), Wohngebäude in Stampflehmbauweise, Altendorf (CH) 2025, Roskothen Architekten

9 Eisenoxidpigmente in Rohform werden in Wasser aufgelöst und der Lehmmischung zugegeben.

10 Pigmenttest an Materialprobe: Es wurden jeweils zwei bis drei Schichten mit einer Mischung gestampft (insgesamt lagen drei verschiedenen Mischungen vor)

11 verschiedene reine oder natürliche Stampflehmmischungen

12 Materialbeprobung von Pigmentzusammensetzungen inklusive Relief bei stabilisiertem Stampflehm mit Trasskalk, Hochhaus H 1 Zwhatt, Regensdorf (CH) 2025, Boltshauser Architekten

13 mit Trasskalk stabilisierter Stampflehm

Hybride Konstruktionen

1 Holzhybridbau, Hochhaus H 1 Zwhatt, Regensdorf (CH) 2025, Boltshauser Architekten

a Visualisierung Fassadenansicht

b Grundriss Erdgeschoss Sockelbereich

c Axonometrie: Stampflehmelemente mit spezieller Oberflächenstruktur und Betonsockel

d Rückverankerung der Elemente, Grundriss und Schnitt, Maßstab 1:10

e Südansicht Sockelfassade mit Elementierung der bekleidenden Stampflehmelemente (die verschiedenen Farben stehen für die verschiedenen Elementformate)

Hybridbauteile und hybride Konstruktionen vereinen in einer Struktur komplementäre Materialeigenschaften verschiedener Baustoffe und ermöglichen es so, Synergien optimal auszunutzen. Die gezielte Kombination von Stampflehm mit anderen Baustoffen kann zur Verbesserung hinsichtlich Stabilität, Tragfähigkeit, Wärmedämmung und Effizienz im Bauprozess beitragen. Hybride Konstruktionen haben eine lange Tradition und kommen seit Jahrhunderten zum Einsatz. Die folgenden Beispiele zeigen aktuelle und individuell entwickelte Lösungsmöglichkeiten, die in Abhängigkeit von den jeweiligen Rahmenbedingungen und dem konkreten Entwurf entstanden sind.

Verbesserung der mechanischen Stabilität und Tragfähigkeit

Stampflehm weist aufgrund seiner spezifischen Materialeigenschaften vor allem unter Zug- und Biegebeanspruchung eine begrenzte Tragfähigkeit auf. Zur Kompensation dieser Schwächen können strukturelle Verstärkungselemente aus Holz, Beton, Stahl oder Kunststoff in Hybridbauteile integriert werden. Beispielsweise lassen sich in Stampflehmelemente Armierungen aus Geotextilnetzen, Stabstahl, ganze Holzträger, Stahlbetonriegel und Ziegelstürze einfügen, um gezielt Zugkräfte aufzunehmen. Das ermöglicht es nicht nur, die allgemeine Tragfähigkeit des statischen Systems zu erhöhen, sondern auch die Realisierung komplexerer Geometrien oder größerer Spannweiten oberhalb von Öffnungen. Ein Beispiel für die Kombination von Stampflehm mit anderen Materialien zur Verbesserung der Tragfähigkeit ist die Sockelfassade des Hochhauses H 1 Zwhatt von Boltshauser Architekten in Regensdorf, nördlich von Zürich (Abb. 1). Die Tragstruktur hinter der Sockelfassade

des Holzhochhauses, die die ersten drei Ebenen umfasst, besteht aus Ortbeton, der sowohl die direkte Lastabtragung als auch die Aussteifung des Gebäudes über den Betonkern gewährleistet. Dieser Betonsockel ist mineralisch gedämmt. Aus dem Sockel treten Fensterrahmen nach außen hervor, die mit vorgefertigten Lehmelementen ummantelt sind. Die Lehmfassade bekleidet alle drei Sockelgeschosse. Dabei überspannen die längsten Stampflehmelemente die Fensteröffnungen. Die gesamte Sockelfassade ist etwas zurückversetzt, was spezifische Herausforderungen beim Transport und bei der Montage mit sich brachte, da kein Baustellenkran von oben diese Fassadenabschnitte erschließen konnte. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen wurden die stabilisierten Stampflehmelemente mit einem vorab gefertigten Betonsockelstreifen kombiniert, der als Basis für die anschließende Herstellung der Lehmelemente diente. Vor dem Einbringen und Verdichten der mit Trasskalk stabilisierten Stampflehmmischung wurden in die Betonsockelelemente Gewindestäbe aus Stahl eingeschraubt. Diese behinderten zwar den Produktionsprozess, ermöglichten aber in Kombination mit dem Betonsockel, dass sich die noch weichen Stampflehmelemente unmittelbar nach Erreichen der Bauteilhöhe an eine Kranvorrichtung anhängen ließen, um sie sicher zum Trocknen und effizient zur Montage auf die Baustelle transportieren zu können. Im eingebauten Zustand dient der im Stampflehmelement integrierte Betonsockel als Fenstersturz der Überbrückung der Fensterrahmen und die vertikalen Gewindestäbe übernehmen die Rückverankerung der einzelnen Elemente bzw. der gesamten Fassade durch die Dämmschicht hinweg an die tragende Betonstruktur. Jeder Gewindestab erhält an seinem oberen Ende zwei Stahlbauteile mit Langlöchern in zwei Richtungen, um

minimale Bewegungen der Fassade im Endzustand zu ermöglichen. Schließlich gewährleisten Betonsockel, Gewindestäbe und Rückverankerungen die statische Machbarkeit der Fassade, bleiben jedoch nach außen unsichtbar, da der architektonische Entwurf eine möglichst monolithische Erscheinung in Einklang mit den übrigen Baumaterialien vorsah. Daher wurde die Lehmmischung pigmentiert, um mit dem ebenfalls eingefärbten Beton eine mineralische Einheit zu bilden. Die Elemente wurden darüberhinaus mit einem Relief versehen, um später die Fugen optisch leichter kaschieren zu können und die Fassade möglichst homogen wirken zu lassen (Abb. 7, S. 66). Das individuell entworfene Relief wurde durch das Einlegen von speziell für das Projekt angefertigten Silikonmatrizen an eine Seite der Schalung erzeugt. Das robuste Material ist den starken Einwirkungen beim Stampfprozess gewachsen.

Verbesserung von Wärmedämmung und Raumklima

Die natürlichen Eigenschaften von Lehm, insbesondere seine hohe Wärmespeicherfähigkeit und hygroskopische Wirkung (Aufnahmefähigkeit von Feuchtigkeit), tragen wesentlich zu Energieeffizienz und einem behaglichen Raumklima eines Gebäudes bei (siehe „Spezifische Materialeigenschaften“, S. 54ff.). Die hohe Dichte von Stampflehm führt jedoch zu einem unzureichenden U-Wert (Wärmedurchgangskoeffizient), sodass an Fassadenwänden zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, um die Anforderungen an die Dämmung einer Wandkonstruktion effizient zu erfüllen. Durch die Integration zusätzlicher Dämmmaterialien wie Kork, Stroh, Hanffasern oder auch konventioneller Materialien in Hybridbauteile lassen sich die thermischen Eigenschaften ent-

Stampflehmelement, stabilisiert, reliefartige Oberfläche 240 – 270 mm

Gewindestab 16 mm mit Gewindehülse und Langloch

Dämmstreifen Steinwolle 15 mm oben, unten, seitlich

Grundriss

Dämmung mineralisch, druckfest, 210 mm

Gewindestab 16 mm in Gewindehülse

Verblendanker 16 mm

Betonelement / Ringanker 150/170 mm

Lagerfugenbewehrung Edelstahl ferritisch, 5 mm, 200 mm in Mörtelschicht

d Schnitt

Fassadenanker

Tragstruktur

selbsttragende Stampflehmfassade stabilisiert 25 cm Betonsockel

druckfeste Dämmung

Gewindestäbe

Langloch

Tragstruktur Ortbeton 250 mm

Zahnlasche 8 mm

Betonschraube 12/130 mm

Schnellbauschrauben (SBS) Stahl verzinkt, M12

sprechend optimieren. Dabei ist es besonders wichtig, eine verbesserte Wärmedämmung zu erzielen, ohne die Diffusionsoffenheit des Materials zu beeinträchtigen. Ein realisiertes Beispiel mit derartigen Hybridbauteilen ist die Firmenzentrale von Alnatura in Darmstadt (siehe S. 102ff.). Die Stampflehmfassade wurde aus vorgefertigten Elementen erstellt, in die eine Dämmschicht aus Glasschaumschotter sowie eine Bauteilaktivierung auf der Innenseite integriert sind. Tragend und energetisch sinnvoll befindet sich der eigenlastabtragende und bauteilaktivierte Teil der Wand auf der Innenseite, während die Dämmung und die dünne Vorsatzschale an der Außenseite der Wand angeordnet sind (Abb. 2). Dadurch bleibt die Masse, die das Raumklima reguliert, auf der Innenseite maßgeblich. Auch hier

war der monolithische Ausdruck der Gesamtfassade offensichtlich gewünscht, weshalb die horizontalen Fugen retuschiert wurden. Vertikal stößt die Stampflehmfassade an die Fensterlaibungen.

Effizienzsteigerung in der Vorfertigung und konstruktive Synergien

Die Produktionsprozesse für Stampflehm sind sehr arbeitsintensiv (siehe „Herstellung von Stampflehm“, S. 46ff.). Ein vielversprechender Ansatz zur Effizienzsteigerung ist die Integration von sogenannten verlorenen Schalungen. Diese dienen nicht nur als Bodenplatte für die Schalung während der Herstellung, sondern bieten gleichzeitig Montagemöglichkeiten für Einbauteile, Verankerungen (siehe „Ver-

Lehmvorsatzschale

Stampflehmelement

Bauteilaktivierung

Schaumglasschotter

besserung der mechanischen Stabilität und Tragfähigkeit“, S. 76) sowie temporäre oder sogar finale Wetterschutzmaßnahmen wie Wetterschenkel. Dadurch lässt sich der gesamte Bauprozess beschleunigen, da nachgelagerte Arbeitsschritte entfallen und die Elemente schneller montiert werden können sowie idealerweise langfristig vor Witterungseinflüssen geschützt sind.

Ein anschauliches Beispiel hierfür bieten wiederum die Elemente des Ofenturms (siehe S. 94ff.). Die 60 mm starken Bodenplatten aus Dreischichtholz waren notwendig als Grundlage für die Vorfertigung. An den drei der Witterung ausgesetzten Seiten der Elemente sowie der Bodenplatte wurden umlaufend Leisten als Platzhalter angeschraubt. Diese wurden nach der Fertigstellung und dem Ausschalen ent-

Erosionslinie

2 Firmenzentrale Alnatura, Darmstadt (DE) 2009, haascookzemmrich Studio 2050

a Ansicht der Fassadenabschnitte aus vorgefertigten Stampflehmelementen mit retuschierten Fugen

b vorgefertigte Stampflehmelemente

c Elementaufbau mit Lehmvorsatzschale, Dämmschicht und tragendem Stampflehmelement

3 Industriegebäude im Tessin (CH) Wettbewerbsbeitrag, Boltshauser Architekten

4 Ofenturm, Cham (CH) 2021, Boltshauser Architekten mit Studierenden der TU München und ETH Zürich

a Aufbau eines Stampflehmelements, Axonometrie

b Nach Entfernen der temporär während der Produktion angefügten Platzhalterleisten springt die Bodenplatte um 30 mm zurück.

c An die zurückspringende Bodenplatte wurden anschließend die Erosionsleisten (Wetterschenkel) aus Fichtenholz angeschraubt (im Bild noch temporäre vertikale Rückhalterungen sichtbar).

fernt, sodass die Bodenplatte an diesen Seiten jeweils 30 mm zurückspringt. Um eine möglichst kraftschlüssige Verbindung mit dem Lehm zu gewährleisten, wurden die Bodenplatten sägerau belassen und zusätzlich mit einem Holzbeil aufgeraut. Nach dem Trocknen und der Montage wurden an den zurückspringenden Bereichen der Bodenplatten Wetterschenkel aus Fichtenholz angeschraubt (Abb. 4). Diese konstruktive Lösung stellt eine Innovation dar, die in dieser Form zuvor noch nicht umgesetzt wurde. Die Methode hat sich grundsätzlich in der Praxis bewährt. Nach einer gewissen Nutzungsdauer des Gebäudes zeigte sich jedoch, dass die Wetterschenkel aus Holz bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen müssten: Sie sollten frei von Astlöchern sein, und die Tropfnasen müssen an der Wetterschenkelunterseite eine Vertiefung von mindestens 5 –10 mm aufweisen (Abb. 8, S. 22). Ansonsten kann ablaufendes Fassadenwasser von den zu dünnen Tropfnasen an den Lehm zurückfließen und unerwünschte Erosionsspuren verursachen.

Gestaltungs- und Weiterentwicklungspotenziale

Neben technischen Aspekten eröffnen Hybridbauweisen auch ein breites Spektrum an gestalterischen Möglichkeiten für eine moderne Architektur mit Stampflehm. Durch die gezielte Kombination verschiedener Materialien lassen sich traditionelle Lehmbautechniken in einen zeitgemäßen, innovativen Kontext überführen. Besonders ästhetisch und ausdrucksstark kann das Wechselspiel zwischen Materialität und Haptik sein, wenn Stampflehm auf andere Baustoffe trifft. Die Gegenüberstellung erzeugt eine unmittelbare Spannung, die anders kaum zu erreichen ist und der Architektur eine besondere Ausdruckstiefe verleiht. Der Wettbewerbs-

beitrag für ein Industriegebäude im Tessin von Boltshauser Architekten beispielsweise kombiniert Stampflehm mit Holz und Metall (Abb. 3). Das Projekt greift auf ein paar Prinzipien des Ofenturms in Cham zurück und entwickelt diese weiter. Dazu gehören die Bodenplatten aus Holz, an denen erneut Wetterleisten, diesmal aus Metall, montiert werden sollen. Vorgesehen ist auch, die immer gleich großen und damit effizient vorfertigbaren Elemente mit 50 cm Versatz zu großen Wandflächen zusammenzufügen. Der Versatz entspricht der Bauteildicke und erlaubt den fortlaufenden Verbund über Eck. Die vertikalen Fugen sollen flache Abdeckungen, ebenfalls aus Metall, erhalten, die die additive Fügung betonen und den Retuscheaufwand reduzieren. Den oberen Gebäudeabschluss des ca. 12 m hohen Gebäudes bildet ein Holzdach.

Grundsätzlich befindet sich der Bereich der Hybridkonstruktionen mit Stampflehm allerdings noch in einer frühen Entwicklungsphase und bietet so noch viel Potenzial für weitere Innovationen und Gestaltungsansätze, auch wenn etwa im Bereich hybrider Deckensysteme mit Stampflehm bereits einige Entwicklungsansätze existieren (siehe „Decken mit sichtbarer Stampflehmausfachung“, S 75) Ein Forschungsfeld im Bereich Hybridkonstruktionen mit Stampflehm ist die Optimierung von Vorfertigungsprozessen und modulare Bauweisen, um Lehmbauten in hybriden Konstruktionen effizienter und wirtschaftlicher zu machen. Hinzukommt die Verknüpfung hybrider Bauweisen mit digitalen Planungstechnologien. Diese ermöglichen nicht nur eine präzisere Planung, sondern auch eine effizientere Ressourcennutzung, wodurch sich Nachhaltigkeit und gestalterische Qualität steigern lassen. Ebenso eine Rolle spielt die Integration neuer Bindemittel und Additive, die die Festigkeit und Dauerhaftigkeit von Lehm in Hybridbauteilen verbessern.

Erosionslinie

Trasskalkecke groß

Dreischichtplatte sägerau 6 cm

a

b

angeschraubte Erosionsleiste aus Fichte

Sandro
Livio
Livio

Bürogebäude in Lyon

Architektur: Clément Vergély Architectes (Stefan Jeske), Lyon (FR), mit Diener & Diener Architekten, Basel (CH)

Tragwerksplanung: Batiserf mit Jean-Claude Morel (University of Coventry) und Antonin Fabbri (ENTPE)

Lehmbau: Le Pisé (Nicolas Meunier und Camille Announ), Chambles (FR)

L’Orangerie, ein Bürogebäude, befindet sich in Lyons neuem Stadtquartier La Confluence auf der Halbinsel zwischen Rhône und Saône. Der dreigeschossige Bau mit Co-Working-Plätzen liegt in städtebaulich geschützter Lage auf einem von höheren Wohntürmen gefassten Grundstück. Das Planungsteam greift die an Beispielen reiche Stampflehmbautradition in der Region Rhône-Alpes wieder auf: So kam Lehm für die tragenden Außenwände zum Einsatz, dazu Brettsperrholz für die Decken, die innen liegenden Tragelemente und den Erschließungskern. Als Lehmmaterial, insgesamt 380 t, wurde

Aushub einer 30 km entfernten Baustelle verwendet. Daraus stampfte der renommierte Lehmbauer Nicolas Meunier vor Ort mithilfe seiner halbautomatischen Produktionsanlage ohne jegliche Zuschläge 286 Wandelemente, die auf einem Areal neben der Baustelle gelagert wurden und an der Luft trockneten. Diese bis zu 4 t schweren und 79–113 cm hohen Elemente wurden anschließend per Kran in Lehmmörtel gesetzt und die Fugen retuschiert. Die Stärke der Blöcke reduziert sich geschossweise von 80 auf 65 und weiter auf 50 cm. Außen bündig sitzend springen sie pro Geschoss um 15 cm zurück, dadurch ver-

jüngt sich die Wand und das Eigengewicht reduziert sich. So beweist der Bau, dass tragender und nicht stabilisierter Stampflehm auch mit einer durch 14 Rundbögen weitgehend aufgelösten Wand funktionieren kann. Die Holzbalkendecke ist direkt mit in den Lehmblöcken eingelassenen Metallauflagern verbunden, die die Lasten gleichmäßig abtragen. Die Wände liegen auf einem Sockel aus drei Lagen Natursteinblöcken auf. Auch die Attikaabdeckung ist aus Naturstein. Die ungedämmten Lehmwände regulieren auf natürliche Art das Raumklima, wodurch auf eine Klimatisierung verzichtet werden konnte.

Lageplan

Maßstab 1:10 000

Schnitte • Grundrisse

Maßstab 1:400

2. Obergeschoss

1 Haupteingang 2 Empfang 3 Büroflächen / Co-Working-Space

Erdgeschoss

Fabrice Fouillet
Erick
Saillet
Erick Saillet

Vertikalschnitte

Maßstab 1:50

1 Dachaufbau: Dachbegrünung intensiv Substratschicht 300 mm, Trennlage Filter- und Dränschicht 40 mm Abdichtung Bitumenbahn zweilagig Wärmedämmung in 3 % Gefälle verlegt 200 mm Brettsperrholz 100 mm Kantholz 120/240 mm (Sekundärbalken) zwischen Deckenbalken Brettsperrholz 300/480 mm

2 Attikaabdeckung Platte Kalkstein 100/900 mm in Mörtelbett mit 3 % Gefälle, Überstand: 250 mm

3 Außenwand Stampflehmelement vorgefertigt 960/500 mm

4 Isolierverglasung in Holzrahmen Lärche lasiert

5 fester Sonnenschutz (Brise soleil) südseitig: Lärche lasiert

Holzrahmen Lärche lasiert 150 bzw. 100/60 mm Lamellen Lärche lasiert 100/30 mm

6 Außenwand Stampflehmelement vorgefertigt 1130/650 mm

7 Bodenaufbau 1. und 2. Obergeschoss:

Sisal 5 mm

Heizestrich/Fußbodenheizung 60 mm

Trennlage PE-Folie

Trittschalldämmung druckfest 30 mm

Estrich 30 mm

Steinwolleplatte 40 mm

Spanplatte zementgebunden 22 mm

Deckenbalken (Sekundärbalken) Brettsperrholz 140/320 mm dazwischen Akustikplatte 35 mm an Holzleisten 18/18 mm befestigt

8 Außenwand Stampflehmelement vorgefertigt 1120/800 mm

9 Sockel Naturstein massiv 800 mm, Höhe gesamt: 1595 mm

10 Bodenaufbau Erdgeschoss: Sisal 5 mm

Heizestrich/Fußbodenheizung 65 mm

PE-Folie

Trittschalldämmung druckfest 30 mm

Dämmung 50 mm

Bodenplatte Stahlbeton 200 mm

Perimeterdämmung 100 mm

11 Metallplatte mit Steg, in Stirnseite der Holzdeckenbalken eingelassen 180/300 mm

12 Deckenauflager: Hohlkasten Metall 10 mm, speziell angefertigt, in Lehmelemente eingestampft 260/400 mm

Fabrice Fouillet
Nicolas Meunier

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