Palettenhaus »Slumtube« bei Johannesburg Architekten: Andreas Claus Schnetzer & Gregor Pils, Wien
Die Tonnenkonstruktion aus gebrauchten Paletten, Stroh und Holzabfällen lässt sich in Handarbeit von den Anwohnern errichten. Das Palettenhaus dient als Prototyp für ein Wohngebäude des Ithuba Skills College, das die Bevölkerung der sehr armen Township südöstlich von Johannesburg zukünftig nachbauen kann. Perfekt angepasst an die lokalen Gegebenheiten in Bezug auf verwendete Materialien, klimatische Bedingungen und finanzielle Möglichkeiten, ist es auf ein Minimum an erforderlichen Baumaterialien und Baukosten reduziert. Das Projekt bindet die Bevölkerung in den einfachen Bauprozess ein und zeigt ihr, wozu Abfallprodukte wie die weltweit verfügbare Industriepalette nützlich sein können. Das Ithuba Skills College entstand durch den gemeinnützigen Verein S2arch und soll vorerst für 15 Jahre ein Areal von 22 000 m2 nutzen. In einer fünfjährigen Ausbildung erwerben Jugendliche neben allgemeinbildenden Kenntnissen auch zusätzliche praktische Fähigkeiten. Die Schule soll strukturell einer kleinen Stadt ähneln. Bisher wurden elf Projekte geplant und gebaut, darunter auch Werkstätten und günstige Wohnmöglichkeiten für europäische Studenten und Lehrer.
Form und Raum Das tonnenförmige Wohnhaus für eine fünfköpfige Familie besteht aus zwei Gebäudeteilen. Ein Innenhof verbindet sie und gleicht den Höhenunterschied des Geländes aus. Aufgrund der dennoch durchgehenden Oberkante des Dachs ergeben sich unterschiedliche Raumhöhen. Im höheren Baukörper befinden sich Eingang, Wohn- und Essbereich mit offener Küche. Der angrenzende Innenhof lässt nur beschränkt Einblicke von außen zu und erzeugt so einen geschützten, privaten Außenbereich. Auf der anderen Seite des Innenhofs liegt der sehr offen gestaltete Schlafbereich mit eingestelltem Sanitärkern. Die großzügigen stirnseitigen Verglasungen schaffen Blickbeziehungen zum Umfeld. Niederschlag kann durch das vorhandene Gefälle der Tonnenform ohne zusätzliche Aufbauten abfließen.
Material und Tragwerk Die Konstruktion in Form einer Tonne vereinfacht die Lastabtragung über die Außenwände. Gleichzeitig ist sie bei Ereignissen wie Erdbeben oder Hurrikans standfest und stabil, da sich die Konstruktion selbst aussteift. Zudem ist die Angriffsfläche für auftretende Windkräfte reduziert. Um das Gebäude konstruktiv zu optimieren, befinden sich in den stirnseitigen Wänden und im Dach je drei Holz66
schalungsträger, die biegesteif miteinander verbunden sind. Darüber hinaus dient die Holzpalette als hauptsächliches Konstruktionselement. Sie ist in Afrika mit Abmessungen von 1,20 ≈ 1,00 m verbreitet. Keile aus alten Schalungstafeln verbinden die Paletten der zweischaligen Außenhülle an den Ecken miteinander und halten sie auf Abstand. Die Verbindungsteile sind punktuell eingesetzt und über Fixierelemente aus Mehrschichtplatten direkt mit den Paletten verschraubt. Der Winkel der Keile gibt dabei den Durchmesser der Tonnenkonstruktion vor. Sperrholzplatten schließen die Rückseite der raumzugewandten Palette zur Dämmebene hin. Als Dämmmaterial wurde gepresstes, trockenes Stroh eingesetzt. Die angrenzenden äußeren Paletten sind für die Lastabtragung erforderlich und dienen zudem als vertikale Hinterlüftungsebene. Durch den Höhenunterschied des Luftein- und -auslasses ermöglicht sie eine natürliche Zirkulation und leitet warme Luft ab. Eine Schicht aus Lehm schützt die Dämmung vor Ungeziefer, Feuchtigkeit oder Wind. Alte Bretter einer Palette dienen als Unterkonstruktion und Abstandshalter für die Hülle aus 6 mm dicken Sperrholzplatten mit Blechkaschierung. Punktuell unterschiedlich hoch geschichtet, ermöglichen die Abstandshalter eine gleichmäßige Rundung der Außenhaut auf den geraden Paletten. Ein zusätzliches, gebogenes Trapezblech sorgt für eine gute Hinterlüftung des Dachs und transportiert Wärme ab.
Eignung für Entwicklungsländer Als Notunterkunft kann die Konstruktion aus Paletten, versehen mit einer wasserabweisenden Schicht aus z. B. Folien, Planen, Platten oder Blechen, schnell und einfach Witterungsschutz bieten. Nachträglich ausgedämmt schützt der »Slumtube« zusätzlich vor Kälte bzw. Hitze. Das günstige Verhältnis von Raumvolumen zu Außenwandoberfläche der Tonnenform reduziert den Materialeinsatz. Mit einem Gewicht von nur ca. 25 kg erlauben die Paletten einen unkomplizierten Aufbau ohne Einsatz großer Baugeräte. Zwei bis fünf Arbeitskräfte, auch ungelernte, können die einfache Bauweise bei entsprechender Schulung umsetzen. Im Gebäude herrscht ohne Heizung oder mechanische Lüftung ein angenehmes Raumklima. In die stirnseitigen Strohlehmwände eingelegte Faserzementrohre stellen in den Sommermonaten die nötige Belüftung im Gebäudeinneren sicher. Ihr Höhenversatz unterstützt die Querlüftung. Bei Bedarf können sie verschlossen werden und bieten so auch nachts den nötigen Einbruchschutz. Die günstig verfügbaren, lokalen Baustoffe (Stroh, Lehm) der Wände besitzen gute Dämmeigenschaften.