Under Construction

Page 1


Oyster. Feminist and Queer Approaches to Arts, Cultures, and Genders

Hongwei Bao, Susanne Huber, Änne Söll (Hg.) Band 1 Advisory Board Daniel Berndt, Universität Zürich Cuneyt Cakirlar, Nottingham Trent University Jill H. Casid, University of Wisconsin-Madison Brian Curtin, Chulalongkorn University Bangkok Henriette Gunkel, Ruhr-Universität Bochum Antje Krause-Wahl, Goethe-Universität Frankfurt am Main Lex Morgan Lancaster, The Cooper Union for the Advancement of Science and Art Zintombizethu Matebeni, University of Fort Hare Fiona McGovern, Universität Hildesheim


UNDER CONSTRUCTION Kunst, Männlichkeiten und Queerness seit 1970 Änne Söll, Maike Wagner, Katharina Boje (Hg.)


ISBN 978-3-11-099109-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-134732-5 ISSN 2940-7265 Library of Congress Control Number: 2023950570 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2024 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Paul Donald, Endymion, Performance, 2016, CB1 Gallery, Los Angeles Einbandgestaltung: Jan Hawemann, Berlin Satz: Jan Hawemann, Berlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com


Inhaltsverzeichnis

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje Under Construction – Männlichkeiten im künstlerischen Umbau seit 1970 Eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Postphallische Männlichkeit? Antje Krause-Wahl Phallus in Pain(t) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Rebecca Heinrich Dem Tod ins Auge sehen Heroische Männlichkeit in Robert Mapplethorpes Fotografie Self Portrait (1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Marie-Christine Schoel Stick Shift Performance Mobilität und Maskulinität im Kontext von Ed Ruschas fotografischen Verfahren und Judy Chicagos pädagogischer Praxis am Feminist Art Program . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Clara J. Lauffer Der gewalttätige Antiheld Männlichkeiten im Frühwerk von Robert Longo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Queering Masculinities Susanne Huber Masculinity as a Joke Gender Below the Binary in Catherine Opie’s Being and Having . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Maike Wagner Queere Prothesenwesen Prothetische Sensibilität und die Dekonstruktion normativer Männlichkeit in den Werken Jana Sterbaks und Jimmy DeSanas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Daniel Berndt »Fucking with the men’s minds« Fags and Faggotry in Video Art since the 1980s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

5


Änne Söll Gamechanger Der Penis als Spielzeug oder: Dildos, Kreativität und der (queere) Phallus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Optimierte Männlichkeit(en) Kai van Eikels Optimierungslinien Kawaii-Ästhetik und queere Männlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Katharina Boje Postheroische Männlichkeiten? Fotografien von Pierre et Gilles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Matthias Pfaller Techno-Pharma-Masculinities in the Work of Salma Suyo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Martin Weinzettl-Pozsgai Männlichkeiten in der PLAYGIRL Zeitschriftenfotografien von 1973 bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Verletzlichkeit Ayelet Carmi Wounded Men Sally Mann’s Photographs of Black Masculinity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Christian Wandhoff Trans Masculinities and the Ambivalences of Visible Vulnerability in Soraya Zaman’s The American Boys Project . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Nora Niefanger Salomés Neue Wilde Kunst als Kontrasexuelle Praxis oder Strategien des Empowerments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Kassandra Nakas Disidentification Handwerk, Männlichkeit und Zugehörigkeit bei ektor garcia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Autor:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

6


Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje

Under Construction – Männlich­ keiten im künstlerischen Umbau seit 1970 Eine Einleitung

Männlichkeiten1 unterliegen verstärkten Wandlungsprozessen, die für die kunsthistorische, kulturwissenschaftliche und medienwissenschaftliche Forschung relevant sind, dies ist die Prämisse dieses Bandes. Aufgrund ihrer scheinbaren Universalität und Selbstverständlichkeit lange Zeit aus der kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschung ausgeklammert, kann man nicht mehr von Männlichkeit als monolithische Vorstellung oder unumstößliche Konstante ausgehen. Stattdessen muss man mit einer Pluralität von miteinander konkurrierenden parallelen Männlichkeiten rechnen, die teilweise paradoxen und widersprüchlichen Zuschreibungen unterliegen und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Terrains verhandelt werden.2 Wie die Beiträge in diesem Band eindrucksvoll zeigen, werden in der Kunst seit 1970 provokative Entwürfe und widersprüchliche Bilder von Männlichkeiten und Körperdarstellungen produziert, die sich aus den gesellschaftlichen Diskursen speisen, sich in die vielfältigen Bedeutungsebenen von Männlichkeiten einschreiben und wiederum auf diese rückwirken. Dabei ist davon auszugehen, dass als männlich gelesene Körper keinen intrinsischen maskulinen Wesenskern besitzen, sondern dass ›Männerkörper‹ und damit auch Männlichkeiten sozial geformt und wandelbar sind. Darauf aufbauend werfen die in diesem Band versammelten Beiträge einen dezidierten Blick auf den Wandel von Männlichkeiten in der Kunst seit den 1970er Jahren, 1 Seit den 1990er Jahren wird angesichts der Pluralität möglicher Männlichkeitsentwürfe in der Forschung explizit von »Männlichkeiten« in der Mehrzahl gesprochen. Siehe dazu Walter Erhart, »Deutschsprachige Männlichkeitsforschung«, in: Stefan Horlacher, Bettina Jansen und Wieland Schwanebeck (Hg.), Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016, S. 11–25, hier S. 15. 2 Bereits frühere kunsthistorische Ansätze wie etwa folgende frühe Untersuchung Irit Rogoffs zielten darauf ab, Männlichkeiten und maskuline Körper aus der universalistischen Unsichtbarkeit herauszulösen: Irit Rogoff, »Er selbst. Konfigurationen von Männlichkeit und Autorität in der deutschen Moderne«, in: Ines Lindner (Hg.), Blick-Wechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte, Berlin 1989, S. 21–40.

7


was wir unter dem Titel Männlichkeiten im Umbau gefasst haben. Mit dem Begriff des »Umbaus« möchten wir einerseits die sozial-gesellschaftliche Konstruktion von Männlichkeiten betonen und andererseits auf die Transformationsprozesse hinweisen, die sich seit den 1970er Jahren durch die zweite Welle der Frauenemanzipation sowie die teilweise Anerkennung queerer Lebensweisen abzeichnen. »Under Construction« hebt zudem die permanenten (De-/Re-)Konstruktionsprozesse hervor, die sich auf dem Feld der Männlichkeiten abzeichnen. Relevant für die bisherigen Betrachtungen von Männlichkeiten in der Kunst war vor allem die Figur des männlichen künstlerischen Genies,3 die zugleich eine binäre Kon­ stellation aus männlich Aktiv-Produzierendem und weiblich Passiv-Inspirierendem bzw. Reproduktivem bedingte.4 So bestand bereits in der Antike eine enge Verbindung zwischen männlicher Kreativität und Sexualität, die sich in der Frühen Neuzeit intensivierte.5 Diese Auffassung von (männlicher) Kunstproduktion als Akt physischen Zeugens und Gebärens festigte sich nochmals im 18. Jahrhundert und blieb auch für das moderne Künstlersubjekt konstitutiv.6 Von den Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zum Abstrakten Expressionismus wurde die schöpferische Omnipotenz des Renaissancekünstlers perpetuiert und die Kreativität männlicher Künstler als rein geistige und prophetische Kraft inszeniert.7 Während Betrachtungen hierzu in der kunsthistori­ schen Forschung vereinzelt vorliegen, existieren Untersuchungen von Männlichkeiten in der Kunst seit den 1970er Jahren bisher kaum. Als Pionierleistung dazu sind jedoch die Forschungen von Amelia Jones anzusehen: Als eine der ersten Kunstwissenschaftler:innen fokussierte sie eine Generation v. a. US-amerikanischer Künstler:innen, die sich in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren performativ mit Männlichkeit, dem männ­ lichen Körper und Stereotypen männlicher Kreativität in der Moderne auseinandersetz­ ten. Wegweisend waren etwa Jones’ Forschungen zur geniehaften Selbstinszenierung von Künstlern des 20. Jahrhunderts, insbesondere im New York Dada und der Body Art

3 Eine grundlegende Analyse dazu liefert Verena Krieger anhand einer Reihe verschiedener Künstlerdarstellungen der klassischen Moderne: Verena Krieger, Was ist ein Künstler? Genie, Heilsbringer, Antikünstler: Eine Ideengeschichte des Schöpferischen, Köln 2007. 4 Sammlungen wegweisender Beiträge hierzu finden sich in folgenden Bänden: Cordula Bischoff und Christine Threuter (Hg.), Um-Ordnung. Angewandte Künste und Geschlecht in der Moderne, Marburg 1999; Kathrin Hoffmann-Curtius und Silke Wenk (Hg.), Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahr­ hundert, Marburg 1997. 5 Vgl. Krieger 2007 (s. Anm. 3); Ulrich Pfisterer, »Zeugung der Idee – Schwangerschaft des Genies. Sexu­a­ lisierte Metaphern und Theorien zur Werkgenese in der Renaissance«, in: Ders., Anja Zimmermann (Hg.), Animationen, Transgressionen. Das Kunstwerk als Lebewesen, Berlin 2005, S. 41–72. 6 Eine der wenigen Erörterungen zum Zusammenhang zwischen männlicher sexueller Potenz und künst­ lerischer Kreativität im 18. Jahrhundert liefert Ulrich Pfisterer: Ulrich Pfisterer, Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper in der Frühen Neuzeit, Berlin 2014; Pfisterer 2005 (s. Anm. 5). Ferner beschäftigt sich Julia Gelshorn am Beispiel einer Werkauswahl seit den 1990er Jahren mit dieser Thematik: Julia Gelshorn, »The making of the artist. Das Atelier als Ort männlicher Selbsterschaffung«, in: Michael Diers und Monika Wagner (Hg.), Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform, Berlin 2010, S. 93–111. 7 Vgl. Wolfgang Ruppert, Künstler! Kreativität zwischen Mythos, Habitus und Profession, Wien 2018.

8

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


der 1960er und 1970er Jahre.8 Darüber hinaus stellen ausführliche Forschungen zu männlichen Körperpolitiken und Untersuchungen des aktuellen Wandels von Männlichkeitsvorstellungen in der Kunst die Ausnahme dar.9 In zeitgenössischen künstlerischen Darstellungen und der damit einhergehenden, bisher jedoch überschaubaren Forschung seit den frühen 2000er Jahren werden Fragestellungen der Repräsentation, des Geniekults und männlich codierter Produktionsweisen zusätzlich von den Diskursen um Queerness,10 Black Masculinities, Critical White­ness Studies und Intersektionalität11 herausgefordert.12 An diese Diskurse knüpfen sowohl Nora Niefanger als auch Rebecca Heinrich mit ihren Beiträgen in diesem

8 Vgl. u. a. Amelia Jones, Irrational Modernism. A neurastic history of New York Dada, Cambridge 2005; Amelia Jones, »Displaying the Phallus. Male artists perform their masculinity«, in: The Oxford Art Journal, Jg. 14, Nr. 4, 1994, S. 546–584; Amelia Jones, »›Clothes make the man‹. The male artist as a performative function«, in: The Oxford Art Journal, Jg. 18, Nr. 2, 1995, S. 18–32; Amelia Jones, Body art. Performing the subject, Minneapolis 1998. 9 Einen Überblick bietet Andrea Jahn im Katalog In the Cut zu gleichnamiger Ausstellung, in der 2019 eine Reihe zeitgenössischer Werke männlicher Akte zu sehen war: Andrea Jahn, »A feminist desire. Vom männlichen Akt zum erotischen Körper«, in: In the cut. Der männliche Körper in der feministischen Kunst, hrsg. von Ders., Ausst.-Kat. Stadtgalerie Saarbrücken, Bielefeld 2019, S. 35–77. Weiterhin wird der Umbruchprozess von Männlichkeiten in den letzten Jahren in den Beiträgen folgenden Bandes thematisiert: Änne Söll und Gerald Schröder (Hg.), Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20. und 21. Jahrhundert, Köln 2015. Während solcherart Analysen die Ausnahmen darstellen, lag der bisherige Fokus dagegen v. a. auf männlichen Portrait- und Aktdarstellungen, die auf maskuline Macht und das Verhältnis der Geschlechter hin befragt wurden: Vgl. u. a. Anthea Callen, Looking at Men. Anatomy and the modern male body, New Haven 2018; Abigail Solomon-Godeau, Male trouble. A crisis in representation, London 1997.; Änne Söll, Der Neue Mann? Männerportraits von Otto Dix, Christian Schad und Anton Räderscheidt, Paderborn 2016; Marianne Koos, Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts, Giorgione, Tizian und Umkreis, Berlin 2006; Mechthild Fend, Grenzen der Männlichkeit. Der Androgyn in der französischen Kunst und Kunsttheorie 1750–1830, Berlin 2003. 10 Vgl. Christiane König, Performative figures of Queer masculinity. A media history of film and cinema in Germany until 1945, Stuttgart 2022; Amelia Jones, In Between Subjects. A Critical Anthology of Queer Performance, London 2020; Jack Halberstam, Trans*. A quick and quirky account of gender variability, Oakland, Calif. 2018; Peter Rehberg, Hipster Porn. Queere Männlichkeiten und affektive Sexualitäten im Fanzine Butt, Berlin 2018; Paul Preciado, Testo Junkie. Sex, Drogen und Biopolitik in der Ära der Pharmapornografie, Berlin 2016 (2008); Barbara Paul und Johanna Schaffer (Hg.), Mehr(wert) queer. Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken, Bielefeld 2009. 11 Hierzu sind insbesondere die Ausführungen bzw. Herausgaben von John Mercer, Elahe Haschemi Yekani wie Richard Dyer einschlägig: John Mercer und Mark McGlashan (Hg.), Toxic masculinity. Men, meaning, and digital media, London 2023; Elahe Haschemi Yekani, Magdalena Nowicka und Tiara Roxanne, Revisualizing Intersectionality, Cham 2022; Richard Dyer, White. Essays on Race and Culture, London/ New York 2017. Weiterführend vgl. Tamari Kitossa (Hg.), Appealing because he is appalling. Black masculinities, colonialism, and erotic racism, Edmonton 2021; Jörg Himmelreich (Hg.), Antithese, Jg. 50, Heft 2: Queer, 2020; Maureen Maisha Eggers (Hg.), Mythen Masken Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2009. 12 Insbesondere internationale Ausstellungsprojekte haben zu dieser Erweiterung beigetragen, darunter in den vergangenen Jahren die von Andrea Jahn kuratierte Ausstellung In The Cut, die sich als eine der ersten deutschen Ausstellungen mit der Darstellung von Männlichkeiten befasste, zudem die von Eva Birkenstock kuratierte Ausstellung Maskulinitäten, beide im Jahr 2019 sowie die von 2020 bis 2021 im Barbican in London und im Gropius Bau in Berlin gezeigte Ausstellung Masculinities: Liberation Through Photography, die von Alona Pardo kuratiert wurde.

Under Construction – Männlich­keiten im künstlerischen Umbau seit 1970

9


Band an: Niefanger beschäftigt sich mit Werken des Künstlers Salomé (Wolfang Cihlarz), dessen Gemälde Blutsturz (1979) sie ästhetisch wie medial als Verhandlung von queerer Identität sowie als Selbstbehauptung schwuler Homosexualität analysiert. Ferner entwickelt Heinrich aus einer interdisziplinär orientierten literaturwissenschaftlichen Perspektive mit Hilfe von Peter Rehbergs Terminus der »Postphallizität«13 eine Lesart des Self Portrait (1988) von Robert Mapplethorpe, die der Narration des westlichen, weißen und heterosexuellen Künstlergenies entgegensteht und von ihr als eine remaskulinisierte Form verletzlicher Männlichkeit und zugleich queere Selbstbehauptung interpretiert wird. Während ab den 1970er Jahren also eine vermehrte künstlerische Beschäftigung mit (der eigenen) queeren Männlichkeit, auch in Rückgriff auf und durch die Beschäftigung mit Werken Andy Warhols der 1960er Jahre,14 zu verzeichnen ist, kann man ab den 1980er Jahren durchaus von einem wieder aufflammenden, teilweise ironisch gebrochenen Interesse an traditionelleren Männlichkeitsmodellen sprechen. Künstler wie Matthew Barney, Martin Kippenberger oder später Jason Rhoades greifen auf Vorstellungen männlicher Kreativität und Schöpfertum zurück und inszenieren sich jeweils als gequältes oder leidenschaftliches Genie, inspirierter Handwerker, trockener Ingenieur oder (gebrochener) Superheld.15 Dass traditionelle Männlichkeiten weiterhin eine wichtige Rolle für die Selbstinszenierung von Künstlern und Künstlerinnen spielen, stellt auch Marie-Christine Schoel heraus, indem sie den phallischen Typ des ›Machos‹ als dominierenden Selbstentwurf von Künstlern in der Kunstszene von Los Angeles zu Anfang der 1970er Jahre analysiert, den sich Künstlerinnen zugleich aneignen und dekonstruieren. An der Dekonstruktion phallischer Männlichkeit arbeitet in den 1970er Jahren auch Robert Longo, wie Clara Lauffer argumentiert: Sie untersucht seine frühen Reliefarbeiten, die den Cowboy, den Soldaten und den Wrestler als drei der damals dominanten Typen weißer Männlichkeiten in den USA zeigen. Diese typisierenden Darstellungen, die Longo zugleich aneignet und unterläuft, prägen sein Œuvre, das eng mit dem sozialhistorischen Kontext des Vietnamkriegs und des sexual ­liberation movement verbunden ist.

13 Rehberg 2018 (s. Anm. 10), S. 29. 14 Eine Auswahl der wenigen bisher zu Queerness im Werk Andy Warhols publizierten Schriften stellen z. B. die folgenden dar: Nina Schleif, Drag and draw – Andy Warhol: The unknown fifties, München 2018; Gavin Butt, Between you and me: Queer disclosures in the New York art world, 1948–1963, Durham/London 2005 (1987); Douglas Crimp, »Getting the Warhol we deserve: Cultural studies and queer culture«, in: Invisible culture, Jg. 1, 1998, unpag.; Cécile Whiting, A taste for pop: Pop art, gender, and consumer culture, Cambridge 1997; Jennifer Doyle, Jonathan Flatley und José Esteban Muñoz (Hg.), Pop out: Queer Warhol, Durham/London 1996. 15 Vgl. Gelshorn 2010 (s. Anm. 6).

10

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


Rückkehr des männlichen Körperpanzers? Bereits seit der Antike sind Vorstellungen von Männlichkeiten, männlichem Körper und Heroik, die im 19. Jahrhundert durch die intensivere Beschäftigung mit dem athletischen Körper und seiner patriotischen Aufladung erneut, nun als s­ oldatisch-sportlicher Idealkörper, relevant wurden, eng miteinander verschränkt.16 Seit den 1980er Jahren wird der männliche Körper erneut zum Austragungsort muskulöser Idealvorstellungen, durch die er nun zugleich als optimierbares und individuell aufgewertetes Konsum­ objekt erscheint.17 So fungierte noch bis in die 1990er Jahre der von Klaus Theweleit geprägte Begriff des ›Körperpanzers‹ als wichtigstes Erklärungsmodell für männliche Körper und ihr Subjektempfinden. Fluidere Körperkonzepte werden dagegen mit Weiblichkeit bzw. mit einer queeren Auflösung von Geschlecht verbunden.18 Dagegen nehmen aktuellere Ansätze auch minoritäre und antihegemoniale männliche Körpermodelle in den Blick, die mit binären Vorstellungen des harten und unveränderlichen Männerkörpers brechen und einen fluideren und gestaltbaren weiblichen Körper entwerfen.19 Zugleich wurde in den letzten Jahren zunehmend deutlich, dass auch der männliche Körper wandelbar und den postmodernen Forderungen nach einer größeren Selbstgestaltung ausgesetzt ist und der scheinbar einheitliche Körperpanzer eigentlich eine Assemblage fragmentarischer Körper- und Subjektelemente darstellt.20 Modifika16 Insbesondere wird dieser Konnex im Zusammenhang mit Heldentum behandelt, wie u. a. René Schilling, Ute Frevert und Georg Feitscher verdeutlichen: René Schilling, »Der Körper des Helden. Deutschland 1813–1945«, in: Bielefelder Graduiertenkolleg (Hg.), Körper macht Geschichte – Geschichte macht Körper. Körpergeschichte als Sozialgeschichte, Bielefeld 1999, S. 119–140; Ute Frevert, »Herren und Helden. Vom Aufstieg und Niedergang des Heroismus im 19. und 20. Jahrhundert«, in: Richard van Dülmen (Hg.), Erfindung des Menschen. Schöpferträume und Körperbilder 1500–2000, Wien/Köln/Weimar 1998, S. 232– 344; George Mosse, The image of men. The creation of modern masculinity, New York 1996; Georg Feitscher, »Körperlichkeit«, in: Ronald G. Asch (Hg.), Compendium heroicum, Freiburg, unpag., https://www. compendium-heroicum.de/lemma/koerperlichkeit/ (letzter Zugriff am 5. Mai 2023). 17 Vgl. Minas Dimitriou, »Zur Einführung. Der postmoderne Körper als ambivalenter Topos«, in: Ders. und Susanne Ring-Dimitriou (Hg.), Der Körper in der Postmoderne. Zwischen Entkörperlichung und Körperwahn, Wiesbaden 2019, S. 1–10, insbesondere S. 1f.; Dirk Spreen, Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft, Bielefeld 2015; Karin Harrasser, Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen, Bielefeld 2013. 18 Vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien, 1. Auflage, Berlin 2019 (1977/78); Erhart 2016 (s. Anm. 1), S. 13; C. Winter Han, Dana Berkowitz und Elroi J. Windsor (Hg.), Male femininities, New York 2023; Ben A ­ lmassi, Nontoxic. Masculinity, allyship, and female philosophy, Cham 2022 (s. Anm. 11); Yvonne Volkart, Fluide Subjekte. Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst, Diss. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Bielefeld 2006; Judith Halberstam, Female Masculinity, Durham/London 1998. 19 Folgende Publikationen stellen dabei fluidere Körper- und Subjektmodelle in Aussicht: Jamie del Val, »Metahuman. Post-anatomical Bodies, Metasex, and Capitalism of affect in Post-posthumanism (2009/ 2016)«, in: Evi D. Sampanikou, Jan Stasieńko (Hg.), Posthuman Studies Reader. Core readings in Transhumanism, Posthumanism and Metahumanism, Basel 2021, S. 283–294, hier S. 287f.; Legacy Russell, Glitch Feminism. A Manifesto, London/New York 2020; Volkart 2006 (s. Anm. 18), S. 9f.; Karlheinz Lüdeking, »Vom konstruierten zum liquiden Körper«, in: Puppen, Körper, Automaten. Phantasmen der Moderne, hrsg. v. Pia Müller-Tamm und Katharina Sykora, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Köln 1999, S. 219– 233, hier S. 230; Judith Halberstam 1998 (s. Anm. 18). 20 Niall Richardson, Adam Locks, Body Studies. The Basics, Oxon/New York 2014, S. 37; Todd W. Reeser, Masculinities in Theory. An Introduction, Chichester 2010, S. 48f.

Under Construction – Männlich­keiten im künstlerischen Umbau seit 1970

11


tionen des gestalteten Körpers bilden so einerseits den Ausgangspunkt für transhumane Körperfantasien der Selbstvervollkommnung und gesteigerte Körperinszenierungen.21 Andererseits bieten sie unter dem Stichwort des Cyborgs22 die Möglichkeit, über neue Körper und Geschlechter zu reflektieren, die mit bekannten Dichotomien des Menschlichen und binären Geschlechtervorstellungen brechen. Entsprechend verknüpfen sich auch in der zeitgenössischen Kunst die Extreme des maskulinen Körpers als perfekt gestyltes Designobjekt und der Entgrenzung des Körpers als Möglichkeit einer freieren Körper- und Subjektgestaltung. Während Optionen der posthumanen Selbstgestaltung in cyberfeministischen Entwürfen im Sinne einer feministisch geprägten Befreiung aus patriarchalen Zwängen reflektiert werden,23 steht die Darstellung optimierter männlicher Körper bisher kaum im Fokus. Im bislang nahezu einzigen Aufsatz, der sich explizit mit Möglichkeiten posthumaner Männlichkeiten befasst, stellt Ulf Mellström dazu fest, dass »[t]he promise of an emancipatory and egalitarian posthuman ontology is, in comparison to much feminist and posthumanist theorising, less clear in relation to masculinity and a future posthumanity.«24 Zugleich trägt die Entwicklung hin zum perfekten muskulösen Sportkörper und Konsumobjekt auch das Potenzial in sich, in bereits als veraltet erschienene phallische Körperbilder zurückzufallen. Deren Auftreten zeigt sich in den letzten Jahren vermehrt auf dem politischen (und gesellschaftlichen) Parkett, wenn mit Hilfe phallischer Körperkonzeptionen erneut eine reaktionäre Form maskuliner Macht inszeniert wird.25 Wie sich diese ambivalente Inszenierung maskuliner Körper zwischen Restabilisierung und queerer Ambiguität anhand der Prothese nachvollziehen lässt, die im Laufe des 20. Jahrhunderts sukzessiv zum Instrument der Körperoptimierung wird, legt Maike Wagner dar: In ihrem Aufsatz

21 Rodica Mocan, »From Co-Creator To Demiurge. A Theological And Philosophical Perspective On Transhumanist Art«, in: Journal for the Study of Religions and Ideologies, Band 19, Nr. 56, Sommer 2020, S. 110–123, hier S. 111; Ulrike Reinert, »Dekonstruktion und Rekombination – Der Künstlerkörper in den 1990er Jahren«, in: Dimitriou/Ring-Dimitriou 2019 (s. Anm. 17), S. 124. 22 Für die wichtigsten Positionen zur Begriffsgeschichte und antinormativen Umdeutung des Cyborgs siehe: Donna Haraway, »Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften [1985]«, in: Dies.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/New York 1995, S. 33–72; Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline, »Cyborgs and Space«, in: Astronautics, September 1960, S. 29–33. 23 Unter anderem wegweisend für die Konzeption antipatriarchaler feministisch geprägter und posthumaner Identitätsmodelle sind: Cecilia Åsberg und Rosi Braidotti (Hg.), A Feminist Companion to the Posthumanities, Cham 2018; Anne Balsamo, Technologies of the Gendered Body. Reading Cyborg Women, Durham/London 1997; Judith Halberstam und Ira Livingston (Hg.), Posthuman Bodies, Bloomington/Indianapolis 1995; Haraway 1995 (s. Anm. 22). 24 Ulf Mellström, »Masculinity studies and posthumanism«, in: Lucas Gottzén, Ulf Mellström und Tamara Shefer (Hg.), Routledge International Handbook of Masculinity Studies, Oxon 2020, S. 112–121, hier S. 119. 25 Vgl. Kyle W. Kusz, »Making american white men great again. Tom Brady, Donald Trump, and the allure of white male omnipotence in Post-Obama America«, in: Rory Magrath, Jamie Cleland und Eric Andersen (Hg.), The Palgrave Handbook of Masculinity and Sport, Cham 2020 (s. Anm. 11), S. 283–304; Theweleit 2019 (s. Anm. 18), S. 1263–1267; Michael Kimmel, Angry white men. Die USA und ihre zornigen Männer, Bonn 2016.

12

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


diskutiert sie am Beispiel von Werken Jana Sterbaks und Jimmy DeSanas, wie die Prothese in den 1970er und 1980er Jahren zum Medium künstlerischer Dekonstruktionen und zum Mittel des Experimentierens wird, um heteronormativen Schablonen von Männlichkeit mit neuen, queeren(den) Entwürfen zu begegnen. Mit Mitteln und Verfahren einer queeren Körpergestaltung beschäftigt sich auch Matthias Pfaller, indem er Salmo Suyos zwischen 2016 und 2019 entstandene Fotografien von Trans*-Männlichkeiten fokussiert. Er zeigt, wie sich queere Künstler:innen mit einer limitierten Auswahl techno-pharmazeutischer Möglichkeiten geschlechtlich modifizieren und fotografisch inszenieren und damit sozialen, ökonomischen und auf die Kategorie ›Race‹ bezogenen Widerstand gegen das patriarchale, binäre Sex-Gender-System Perus leisten.

Männlichkeiten Intersektional gedacht Wie wir am Beispiel von Paul Donalds Arbeit Endymion später im Text noch ausführen, nehmen Künstlerinnen und Künstler die universelle Whiteness der dominanten westlichen Körperentwürfe in den Blick und reagieren zugleich auf Tendenzen der ReMaskulinisierung, indem sie den männlichen Körper als einen post-phallischen und verletzlichen inszenieren. Auf diese Weise setzen sie der westlichen Erzählung eine differenziertere Narration entgegen, die auch bislang als minoritär behandelte und unsichtbar gebliebene nichtweiße Körper in den Fokus rückt. Wie jedoch Bruce Naumanns Videoarbeiten, darunter Flesh to white to black to flesh von 1968 und Black Balls von 1969, in denen der Künstler seinen nackten Körper mit weißer oder schwarzer Farbe einschmiert und so sein eigenes Fleisch als künstlerisches Material begreift, exemplarisch zeigen, wird in künstlerischen Werken zwar oftmals mit rassifizierenden Diskursen gearbeitet,26 die inhärente Whiteness dieser Entwürfe steht jedoch nicht im Vordergrund. Stattdessen stellt sich die weiße männliche Körpererfahrung, auch wenn sie post-phallisch und antiheroisch erscheint, weiterhin als stellvertretend für menschliche Erfahrung per se dar.27 Künstlerische Entwürfe nichtweißer Körper werden zwar zusehends reflektiert, allerdings treten kritische Diskurse um Whiteness immer wieder zugunsten anderer intersektionaler Betrachtungsebenen wie der des Geschlechts in den Hintergrund.28 Damit stellt die Kunstgeschichte – wovon wir uns und unsere Publikation nicht ausnehmen möchten – nach wie vor einen Teil des Problems dar, marginalisierte und minoritäre Identitäten und nichtweiße Subjekte in ihrer systemisch und historisch bedingten Unsichtbarkeit zu belassen und zugleich den eigenen weißen Blick als scheinbar 26 Dorothée Brill, »Maske«, in: Eugen Blume et al. (Hg.), Bruce Nauman. Ein Lesebuch, Köln 2010, S. 191– 194, hier S. 192; Nicolás Guagnini, »White Male / Black Balls«, in: Kathy Halbreich et al. (Hg.), Bruce Nauman. Disappearing Acts, Münchenstein/New York 2018, S. 145–149. Dabei ist anzumerken, dass beide Arbeiten aus heutiger Perspektive in die Nähe problematischer Praktiken wie der des ›Blackfacing‹ rücken. 27 Dyer 2021 (s. Anm. 11), S. 2. 28 Ders., ibid., S. 1; S. 3.

Under Construction – Männlich­keiten im künstlerischen Umbau seit 1970

13


›normalen‹ zu universalisieren. Es muss noch einige Arbeit geleistet werden, um BIPoCEntwürfe adäquat wahrzunehmen und zugleich der kunsthistorischen Reflexion rassifizierender Tendenzen, der inhärenten Whiteness der westlichen Kunstgeschichte und den damit einhergehenden Privilegien für weiße Akteur:innen kritisch zu begegnen – eine Schwachstelle, dir wir auch in diesem Band noch nicht vollends behoben haben. Wir schließen uns damit Richard Dyers Ausführung an, dass »the position of speaking as a white person is one that white people now almost never acknowledge and this is part of the condition and power of whiteness: white people claim and achieve ­authority for what they say not by admitting, indeed not realizing, that for much of the time they speak only for whiteness.«29 Ein Beispiel, bei dem wiederum eine weiße Künstlerin den Schwarzen männlichen Körper darstellt, ist Sally Manns fotografische Serie Men (2004–2015), die von Ayelet Carmi kritisch beleuchtet wird: Anhand dieser bespricht sie den Schwarzen Männerkörper, gesehen von einer weißen Fotografin und im Kontext rassistischer Unruhen in den USA seit Beginn der 2000er Jahre und die mit dem weißen Blick einhergehenden Machthierarchien. Davon ausgehend, dass die Serie Men das Medium als konstruierendes, machtdynamisches, statt dokumentarisches Instrument enttarne, analysiert Carmi die Fotografien in Hinsicht auf das Ineinandergreifen von Männlichkeit, Blackness und Verletzlichkeit. Ebenso wendet sich Susanne Huber Whiteness sowie normativen (männ­ lichen) Körpermodellen zu: In ihrer Analyse der Aneignung queerer, weißer und asiatischer Männlichkeitsentwürfe in Catherine Opies Werkserie Being and Having (1991– heute) diskutiert sie dabei das Humorvolle in Rekurs auf Zairong Xiangs Theorie des Transdualismus als Instrument, um Männlichkeitsstereotype und ihre essentialistischen Tendenzen zu destabilisieren. Auf der Grundlage intersektionaler Forschung wird es also möglich, zu verhandeln, wie sich Männlichkeiten als instabile Identitätskategorien durch die Abgrenzung von anderen Körpern und Geschlechtern selbst definieren und bisher minoritär behandelte rassifizierte Männlichkeitsbilder hinter der scheinbaren Universalität des weißen Männerkörpers unsichtbar bleiben.30 Auch angesichts der gesteigerten Sichtbarkeit queerer Identitäten und der immer größeren Gestaltbarkeit des Körpers scheint die biologische Fixierung auf ein männliches Geschlecht und seine definierenden körperlichen Merkmale heute mehr denn je zur Disposition zu stehen. Die utopische Vision, dass »[t]he queer dream of masculinity, which is also the feminist dream, entails finally transcending the world of stabilised binary polarities«,31 stellt dabei einen Sehnsuchtsort für das zeitgenössische queere Kunstschaffen dar. 29 Ders., ibid., S. xxxiv. 30 Joana Bosse, »Whiteness and the Performance of Race in American Ballroom Culture«, in: The Journal of American Folklore, Winter 2007, Band. 120, Nr. 475, S. 19–47, hier S. 20. 31 Jonathan D. Katz, »Queering Masculinity«, in: Masculinities. Liberation Through Photography, hrsg.v. Alona Pardo, Ausst. Kat. Barbican, München/London/New York 2020, S. 43–49, hier S. 44.

14

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


Der Tatsache, dass Gender zugleich dennoch als kontinuierlich verschränkt mit der sexuellen Orientierung erscheint und die Perpetuierung heteronormativer Stereotype sowie ihre Wechselwirkung mit homosexuellen und queeren Entwürfen besonders beachtet werden muss, trägt etwa Daniel Berndts Beitrag Rechnung: Darin thematisiert er am Beispiel von Zach Blas’ Videoarbeit Facial Weaponization Communiqué: Fag Face (2012) das Risiko der erneuten visuellen Stereotypisierung queerer Männlichkeiten, das mit Methoden algorithmischer Datenanalyse einhergeht. So können diese als Instrument staatlicher Macht eingesetzt werden, wie Berndt an der Fag Face Mask darlegt – einer Maske, die aus der Überlagerung einer Vielzahl biometrisch vermessener Gesichter queerer Männer modelliert ist. Auch Katharina Boje widmet sich dem Konnex zwischen Gender und sexueller Orientierung, indem sie anhand zweier Arbeiten von Pierre et Gilles der Frage nachgeht, inwiefern queere Bildwelten heteronormative Männlichkeitsentwürfe im Kontext postheroischer Ambivalenzen dekonstruieren können. Die Angst vor einer Bedrohung der bisher sicher geglaubten Grenzen biologischer Zweigeschlechtlichkeit betrifft insbesondere auch Trans*-Männlichkeiten, durch die, ebenso wie durch intersexuelle und non-binäre Körper, die bisher als manifest ­gedachte Grundlage biologischer Zweigeschlechtlichkeit verunsichert wird.32 Auf welche Weise können daher neue Männlichkeitsmodelle beschrieben und verortet werden, ohne in die erneut mit binären Kategorisierungen argumentierende Beschreibung als effeminisierte Männlichkeiten zu verfallen? Wie etwa lassen sich die Trans*-Männlichkeiten in Soraya Zamans fotografischer Serie The American Boy’s Project (2016–heute) fassen? Einen Vorschlag unternimmt Christian Wandhoff, indem er diskutiert, welche Rolle insbesondere die Verletzlichkeit der dargestellten Männer im Sinne von José Esteban Muñoz’ Terminus der Disidentification33 bei der Konstitution männlicher Identitäten abseits heteronormativer Schablonen bei gleichzeitiger Behauptung der eigenen Stärke und ›Schönheit‹ spielt. Wie in Zamans Fotografien sichtbar, werden alternative Geschlechterordnungen zwar imaginiert und eingefordert, treffen angesichts der kontrovers geführten Debatte um Trans*-Männlichkeiten, Transsexualität und Non-Binarität aber auch auf Widerstand und Aggression.34 Nichtsdestotrotz wird in künstlerischen Darstellungen immer wieder die Möglichkeit betont, auch den maskulinen Körper als einen werdenden und sich entwickelnden zu inszenieren,35 um so aufzuzeigen, dass

32 Besonders zeigt sich dies am Beispiel der USA, vgl. hierzu u a. Kusz 2020 (s. Anm. 25); Kimmel 2016 (s. Anm. 25). Ferner weiterführend sind: Theweleit 2019 (s. Anm. 18); Erhart 2016 (s. Anm. 1), S. 21; Judith Butler, Precarious Life. The Power of Mourning and Violence, London/New York 2004, S. 29; Halberstam 1998 (s. Anm. 18), S. 143f. 33 José Esteban Muñoz, Disidentifications. Queers of Color and the Performance of Politics, Minneapolis 1999. 34 Vgl. Transrespect, »TMM Update TDoR 2021,«, 11. November 2021, https://transrespect.org/en/tmm-update-tdor-2021/ (letzter Zugriff am 5. Mai 2023) 35 Vgl. Minas Dimitriou, »Der postmoderne Körper im Wandel. Sport, Fitness und Wellness zwischen Ge­ sundheitsorientierung, performativem Zwang und Optimierungslogik«, in: Dimitriou/Ring-Dimitriou 2019

Under Construction – Männlich­keiten im künstlerischen Umbau seit 1970

15


Männlichkeit keine angeborene, sondern eine potenziell anzueignende und dadurch (de)konstruierbare Kategorie darstellt. Dies zeigt, wie Änne Söll in ihrem Beitrag ausführt, beispielsweise der:die Künstler:in Cassils, wenn er:sie den eigenen Körper für die Performance Cuts. A Traditional Sculpture (2011–2013) innerhalb weniger Wochen mittels eines intensiven und pharmazeutisch unterstützten Sportprogramms umgestaltet und so das Transformationspotenzial hin zu einem maskulinen und doch queeren Körper demonstriert. Darüber hinaus verdeutlicht sich auch durch Werke wie die von Gelatin, Monica Bonvicini oder Pamela Rosenkranz, die Söll im Sinne von Muñoz’ Begriff der »Potenzialität«36 diskutiert, dass sich restriktive Schablonen heteronormativer Männlichkeit, männlicher Körpermodelle sowie Potenz aktuell mehr denn je in Auflösung befinden.

Männlichkeiten im Umbau Die zeitgenössische Kunst und ebenso die Populärkultur fungiert als Austragungsort für männliche Identitäts-, Subjekt- und Körperdiskurse. Erste, entscheidende Veränderungen zeichnen sich, so unsere These, seit den 1970er Jahren ab – wie sich in den Beiträgen dieses Bandes zeigt. Anfänge dieser Prozesse beleuchten Antje Krause-Wahl und auch Martin Pozsgai: So untersucht Krause-Wahl im Kontext der Sexualitätsdiskurse während der gesellschaftlichen Umbrüche im deutschsprachigen Raum seit den 1960er Jahren eine Auswahl künstlerischer Auseinandersetzungen mit dem Penis als Symbol phallischer Macht. Dabei diskutiert sie die Bildwerke, in deren Zentrum Arbeiten Hansjörg Voths stehen, in ihrer Ambivalenz zwischen sozial-gesellschaftlicher Trans­ formation, aber auch teilweisen Regression. Martin Pozsgai widmet sich erotischen Männeraktdarstellungen zwischen 1973 und 1998 in der Zeitschrift Playgirl und macht dabei eine Diversität an männlichen Typen und Körpermodellen aus, die von den Forde­ rungen der zweiten Emanzipationswelle gespeist wird. Neben der Frauenemanzipation sind entscheidende Faktoren für den einsetzenden Gesellschaftswandel in den 1970er Jahren die Sichtbarwerdung und teilweise Legitimierung queerer Lebensentwürfe sowie die zunehmende Optimierung und Regelbarkeit männlicher Körper und ihrer Sexua­ lität durch eine medikalisierte Körperpolitik.37 Was zuvor als ›natürlich‹ männliche Eigenschaften gedacht wurde, steht nun zunehmend zur Disposition. Zu beobachten sind damit fluidere Männlichkeitsentwürfe, wie Kai van Eikels anhand der aus Japan stammenden Kawaii-Ästhetik verdeutlicht. Mit Ästhetiken des Niedlichen, die nicht nur die Differenz zwischen den Geschlechtern, sondern auch eindeutige Altersunterschiede

(s. Anm. 17), S. 73; Margrit Shildrick, »Re/membering the Body«, in: Cecilia Åsberg und Rosi Braidotti (s. Anm. 23), S. 167. 36 José Esteban Muñoz, Cruising Utopia: The Then and There of Queer Futurity, New York 2009, S. 9. 37 Vgl. Adam Geczy, The Artificial Body in Fashion and Art, London/New York 2017, S. 2.

16

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


1 Paul Donald, Endymion, Performance, 2016, CB1 Gallery, Los Angeles

immer mehr verschwimmen lassen, entstehen Modelle von Männlichkeit, die die bisherigen flexibilisieren oder brechen können. Entsprechend gehen wir davon aus, dass es heute in den Werken zeitgenössischer Künstler:innen angesichts der Pluralität möglicher Männlichkeiten nicht mehr möglich ist, von einem dominanten Männlichkeitsmodell oder -typus zu sprechen. Stattdessen spiegelt sich die aktuell in postfeministischen, geschlechter- und queertheoretischen Diskursen sichtbare Verschiebung hin zu einem Kontinuum an verschiedenen Ausprägungen von Männlichkeiten in der Kunst wider, die auch weiße Männlichkeiten als solche thematisiert. Als exemplarisch kann die performative Arbeit Endymion Project des neuseeländischen Künstlers Paul Donald aus dem Jahr 2016 gelten, in der er seinen nackten, sehnigen und schlanken Körper niedergestreckt und womöglich schlafend auf den anthropomorphen Einbuchtungen eines hölzernen Podests drapiert (Abb. 1). Damit zitiert er den ewigen Schlaf des Endymions, in den ihn der Gott Zeus, einer Version des Mythos folgend, zur Erhaltung seiner Jugend versetzt hat und der jede Nacht von der ihn liebenden Mondgöttin Diana besucht wurde.38 Donald ruft damit eine der wenigen Männergestalten der griechischen Mythologie auf, die einer Frau ›gefügig‹ gemacht wird und insbesondere in Girodets Gemälde Sommeil d’Endymion von 1792 als passiver und lasziv schlafender Männerkörper in Erscheinung tritt.39 Auf diese Weise verkompliziert der Künstler binäre Vorstellungen, wie

38 Mechthild Fend: Grenzen der Männlichkeit. Der Androgyn in der französischen Kunst und Kunsttheorie 1750–1830, Berlin 2003, S. 60. 39 Dies., ibid., S. 11; S. 60.

Under Construction – Männlich­keiten im künstlerischen Umbau seit 1970

17


sich ein männlicher Körper zu inszenieren hat, indem er sich im Laufe der 40-minütigen Performance mit einem hellen Make-up-Stift schminkt und seinen ohnehin weißen Körper noch heller erscheinen lässt. So macht er die implizit weiße Norm männlicher künstlerischer Subjektivität sichtbar. Geschminkt und passiv ausgestreckt daliegend setzt sich Donald dem begehrenden Blick der Betrachter:innen aus40 und konterkariert dadurch das in der Kunst lange Zeit dominante Bild einer virilen Männlichkeit. Männlichkeit erscheint bei Donald nicht mehr als heroische Selbstbestätigung, sondern wird in der geschlechtlich mehrdeutigen Gestalt des Endymion zu einem ambivalenteren Zustand, der mit widersprüchlichen Bedeutungsebenen aufgeladen werden kann: »Der schlafende Endymion, der nur für das Angeschaut-werden lebt, spielt« wie Mechthild Fend herausstellt, »eine von der Ikonographie zumeist weiblich besetzte Rolle.«41 An Donalds Performance wird so deutlich, dass auch heterosexuell konnotierte Männerkörper (Diana zeugt mit Endymion immerhin 50 Töchter) nicht durchgehend als phallisch, unangreifbar und Träger patriarchaler Macht gedacht wurden, sondern ebenso zart, verletzlich, passiv erscheinen konnten und können.42 Ein monolithisches und heteronormatives Männlichkeitsideal war und ist damit nie ›stabil‹, sondern muss sich in unterschiedlichen historischen Konstellationen immer wieder erneut etablieren und aktiv stabilisiert werden.43 Dies schafft wiederum Räume, Risse und Momente für eine sich potenziell ausdifferenzierende, flexibel gewordene und pluralisierte Lesart von Männlichkeit(en). Dass sich diese Pluralisierung auf gesellschaftlicher Ebene immer deutlicher abzeichnet, ist auch in den Assemblagen und Environments ektor garcias erkennbar. Diese werden von Kassandra Nakas innerhalb eines Komplexes aus Themen wie Gender und Sexualität, Postkolonialismus, Mythos, ›Race‹, ›Class‹ etc. in Hinsicht auf Fragen nach (männlichen) Identitäten diskutiert. Dabei erkennt Nakas die von garcia inszenierten ›Räume‹ als Möglichkeit, um Männlichkeiten abseits des binären Verhältnisses von Queerness zu Heteronormativität als fluide, vielgestaltige und intersektionale Identitätskategorie neu zu denken.

Under Pressure: Zeitgenössische Männlichkeiten im Wandel Als wir mit der Arbeit an diesem Band begannen, der ein Resultat unseres von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts Männlichkeiten im 40 Vgl. Joanna Roche: »CB1 Gallery. Paul Donald«, artillery, 3. Februar 2016, https://artillerymag.com/ paul-donald/. 41 Fend 2003 (s. Anm. 38), S. 71. 42 Verstärkt diskutiert wird dies etwa im Kontext der »inclusive masculinity theory« und der »caring masculinities«, vgl. hierzu Brendan Gough, Contemporary Masculinities. Embodiment, Emotion and Wellbeing, Leeds 2018, S. 6f.; Karla Elliott, »Caring Masculinities. Theorizing an Emergent Concept«, in: Men and Masculinities, Nr. 19/3, 2016, S. 240–259, hier S. 240f, DOI: 10.1177/1097184X15576203. 43 Für diese Problematik seit 1900 siehe Ulrike Brunotte und Rainer Herrn (Hg.), Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900, Bielefeld 2015.

18

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


Umbau. Männerkörper zwischen phallischen und post-phallischen Visionen in der Kunst seit 1970 an der Ruhr-Universität Bochum darstellt, gingen wir von folgenden Prämissen aus, die sich durch die Beiträge in diesem Band bestätigt und ausdifferenziert haben: 1. Die in der Kunstgeschichtsschreibung kritisierte Bindung von künstlerischer Genialität und Autorität an den männlichen Körper und damit an phallische Potenz wird in aktuellen künstlerischen Entwürfen zugunsten einer post-phallischen Abkehr vom ganzen, machtvollen und maskulinen Körper hinterfragt und teilweise aufgelöst. Zugleich bleiben in maskulinen Selbstinszenierungen traditionelle Vorstellungen männlicher Kreativität weiterhin virulent und haben unter anderem als (post) heroische Männlichkeitsbilder Konjunktur. 2. Modelle des gestählten und trainierten männlichen Körpers bleiben weiterhin relevant. Sie verbinden sich mit Vorstellungen des geformten und trainierten postmodernen Körpers zu optimierten Körpermodellen, die sowohl hegemoniale Männlichkeiten re-inszenieren als auch nichtheteronormative Männlichkeiten verkörpern können. Zudem wird der männliche Körper durch eine gesteigerte Medikalisierung gestaltbarer und damit auch in seiner Geschlechtlichkeit deutlicher und zugleich flexibler. 3. Beginnend in den 1990er und verstärkt seit den 2010er Jahren werden monolithischen Konzeptionen klar definierter Norm-Männlichkeit Visionen queerer und posthumaner Körper gegenübergestellt. In der Folge arbeiten Künstler:innen daran, mit Geschlechterdichotomien zu brechen und Körper zu inszenieren, bei denen sich Geschlechtergrenzen zu verflüssigen beginnen. Diese Thesen stellen die Grundlagen für die Gliederung dieses Bandes dar und lassen sich noch um den folgenden Aspekt erweitern, der im vierten und letzten Abschnitt des Bandes zum Thema wird: 4. Als Ausgangspunkt queerer Selbst-Erforschungen wird der männliche Körper angreifbarer und verletzlicher. Gerade in den letzten Jahren ist zunehmend die Tendenz zu beobachten, Männlichkeiten nicht direkt überwinden und auflösen zu wollen, sondern dem monolithischen Bild heteronormativer Männlichkeit postfeministische Visionen einer veränderten Rollenzuschreibung entgegenzustellen, in der (auch) männlich gelesene Menschen sensibel, einfühlsam und verletzlich erscheinen dürfen und sich so zugleich vom Erwartungsdruck an eine patriarchal-dominante Männlichkeit ablösen. Der Band ist also dem ›Umbau‹ zeitgenössischer Männlichkeiten und deren Herausforderungen durch künstlerische Interventionen gewidmet, durch die Männlichkeitsbilder heute zusehends ›unter Druck‹ geraten und sich neu konfigurieren müssen, um den sich wandelnden Männlichkeitsidealen und -ansprüchen standzuhalten. Wir möchten dazu beitragen, diese vielfältigen künstlerischen und medialen Tendenzen im Be-

Under Construction – Männlich­keiten im künstlerischen Umbau seit 1970

19


reich der aktuellen Männlichkeitenforschung kunsthistorisch zu fundieren und transdisziplinär zu verzahnen. Wie verändern sich der Status und das Selbstverständnis von Künstlern? Wie schreiben sich queere Entwürfe in das vormals heterosexuell geprägte und männlich dominierte künstlerische Feld ein? Wie können queere, androgyne und non-binäre (Männer-)Körper abseits erneut essentialisierender und biologisierender Beschreibungen neu gedacht werden? Wie interagieren ›Race‹ und Whiteness als entscheidende und doch oft unsichtbare Identitätskriterien mit Männlichkeiten im Kunstbereich? Wie haben sich Diskurse um hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen heute verlagert und auf welche neu entstehenden Hierarchien verweisen sie? Dieser Band ist aus der Forschungstätigkeit und dem intensiven Austausch mit den Akteur:innen und Partner:innen des Projekts Männlichkeiten im Umbau hervorgegangen. Wir haben von den Diskussionen der drei von uns veranstalteten Workshops profitiert, in denen Männlichkeiten unter den oben erwähnten Gesichtspunkten untersucht wurden: Erstes Thema waren post-phallische Männlichkeiten, einen weiteren Schwerpunkt bildete die gegenwärtige Optimierung von Körperbildern und maskulinen Subjekten und nicht zuletzt widmete sich einer der Workshops der queeren Vieldeutigkeit von Geschlecht und Männlichkeiten.44 Wir möchten uns bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die großzügige Förderung unseres Forschungsprojekts sowie bei allen Autor:innen und Kooperationspartner:innen für den produktiven Gedankenaustausch während der Projektworkshops und darüber hinaus bedanken. Weiterhin danken wir dem Verlag De Gruyter, insbesondere Anja Weisenseel, die uns bei der Produktion dieses Bandes tatkräftig unterstützt hat. Für die redaktionelle Mitarbeit sind wir Philipp Wendt zu Dank verpflichtet. Ihm und Charlotte Kaiser gebührt auch unser Dank für die Organisation der Workshops. Zu Beginn des Forschungsprojekts konnten wir nicht ahnen, wie sich die weltpolitische Lage in den kommenden drei Jahren entwickelt: dass eine Pandemie einen Großteil der Welt zeitweise auf Standby stellen und dass ein Krieg mitten in Europa ausbrechen würde. Wir können nicht diagnostizieren, welchen Einfluss diese Entwicklungen auf Männlichkeiten haben, wir hoffen jedoch, dass die von uns beobachteten Ansätze einer Flexibilisierung und Öffnung traditioneller Männlichkeitsideale und restriktiver Geschlechterordnungen nicht durch ein Erstarken reaktionärer Männlichkeitsinszenierungen wieder ins Abseits gedrängt werden. 44 Während des DFG-Projekts fanden die Workshops Optimierte Männlichkeiten am 11.–12. Februar 2021, Postphallische Männlichkeit? Maskuline Körper in der Kunst seit 1970 am 16.–17. Februar 2022 sowie Queere Maskulinitäten in der Zeitgenössischen Kunst am 21.–22. September 2022 statt. Weitere Informationen zu den Veranstaltungsformaten finden sich unter: https://mariejahodacenter.rub.de/ag-maennlichkeiten/. Darüber hinaus entstanden im Rahmen der dreijährigen Laufzeit zwei Dissertationen, in denen sich unter dem Projektthema der Männlichkeiten im Umbau Katharina Boje mit der Darstellung männlicher Körper in der Sportfotografie seit 1970 und Maike Wagner mit der Darstellung posthumaner Männlichkeitsentwürfe in der Kunst seit den 1990er Jahren befassten.

20

Änne Söll, Maike Wagner und Katharina Boje


Postphallische Männlichkeit


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.