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Fokus: Transformation
Im Thema Dialog
„Berater müssen sich intensiver mit den Transformationsanforderungen befassen.“
Nachhaltiges Investieren steht noch am Anfang seiner Entwicklung. Die Anforderungen an die Beratung sind auch mit den heute schon klaren oder absehbaren Regulierungsvorgaben noch nicht endgültig definiert. Wer vorausschauend handeln und beraten will, muss verstehen, was Wissenschaft und Politik bewegt und wie sich dies auf die Finanzmärkte und ihre Akteure überträgt. Im Experten-Interview dazu: Matthias Kopp, Leiter des Bereichs Sustainable Finance im WWF Deutschland und Mitglied im Beirat für Sustainable Finance der Bundesregierung.
Herr Kopp, der WWF ist eine der bekanntesten Naturschutzorganisationen der Welt. Weniger bekannt dürfte sein, dass er schon seit mehr als 15 Jahren mit Ihnen als Projektleiter mit dem Thema Sustainable Finance befasst ist. Naturschutz und Finanzmärkte, wo ist da die Verbindung?
Matthias Kopp: Die Ökosysteme stehen immer im Austausch mit wirtschaftlichen Aktivitäten, mit physischer Infrastruktur, mit der Aktivität von Menschen, mit Geschäftsmodellen und Konsummustern. Diese wirtschaftlichen Aktivitäten werden von irgendjemandem finanziert bzw. kreditfinanziert. Es gibt also immer eine unmittelbare Verbindung zu einem Finanzfluss – im öffentlichen und im privaten Sektor. Der WWF hat schon früher im Rahmen seines damaligen „Global Program Framework“ fünf Treiber definiert, die für die Gefährdung der ökologischen Grundlagen ausschlaggebend sind. Zwei davon waren Finance-Treiber – öffentliche und private. Insofern ist es schlüssig, dass der WWF als Umweltschutzorganisation auch diese Treiber ins Auge fasst und versucht, mit ihnen in den Dialog zu kommen und Verbesserungen anzustoßen. Nun ist der WWF eine weltweite Organisation und nicht überall auf der Welt hat das Thema Finance die gleiche Bedeutung, schon deshalb, weil das globale Finanzsystem unterschiedliche Zentren hat. Insofern ist es relativ schlüssig, dass wir aktuell gerade in Europa einen großen Finance-Schwerpunkt haben.
Der WWF konzentriert sich auf die Bereiche Politik, Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen, aber auch auf die Wissenschaft. Können Sie kurz für die drei Themenfelder Referenzprojekte benennen und erläutern, was genau Sie tun.
Kopp: Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind Akteursgruppen, die sinnbildlich für Rahmenbedingungen und Umsetzung sowie Methodik, Grundlagen und Aktivität stehen. Und es gibt eine vierte Gruppe: die Konsumenten. Aber bleiben wir bei den genannten drei Aktivitätsfeldern.
In Deutschland haben wir eine Sustainable Finance-Strategie der Bundesregierung eingefordert. Nicht nur wir allein, aber ich würde sagen, dass wir durchaus maßgeblich dazu
Matthias Kopp leitet den Bereich Sustainable Finance im WWF Deutschland. Der studierte Wirtschaftsingenieur (Berlin/London) arbeitete für PwC und IBM und baute ab 2005 beim WWF den Bereich Finanzmärkte mit dem Ziel auf, die Nachhaltigkeitswirkung des Finanzsystems zu adressieren. Neben der deutschen hat dabei die europäische Diskussion eine zentrale Bedeutung. Die deutsche Bundesregierung hatte Matthias Kopp zur Teilnahme im Beirat für Sustainable Finance neben 38 weiteren Mitgliedern eingeladen. Dort saßen Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzsystem, Wissenschaft und Gesellschaft.
beigetragen haben, dass der Bundesregierungsbeirat für Sustainable Finance eingerichtet wurde – und dass wir nun auch die Empfehlungen tatkräftig mit entwickelt haben. Auf diese aufbauend ist nun ja eine Strategie erarbeitet worden.
In Brüssel waren wir 2017/18 in der High Level Expert Group engagiert, sind seitdem in den Technical Expert Groups vertreten und auch jetzt in der Plattform für Sustainable Finance engagiert, im Sinne auch von technischer Expertise und Zusammenarbeit mit der Politik.
Wir arbeiten an den Green BondStandards mit den Kollegen aus Paris und haben diese mit verfasst. Der WWF hat seinerzeit bei der G20 Green Finance Study Group Impulse an die Bundesregierung herangetragen und zum Beispiel die TCFD (Taskforce on Climate-related Financial Disclosures, Anmerk. d. Red.) gestützt und durchaus mit dazu beigetragen, dass es jetzt eine TNFD (Taskforce on Nature-related Disclosures, Anmerk. d. Red.) gibt.
Zu den Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen und Finanzmarktakteuren ein prominentes Beispiel: Wir haben 2007 bis 2011 mit der Allianz-Gruppe eine Kooperation gehabt, umfänglich und international, zu der Frage: Was ist eigentlich die Rolle eines Finanzmarktakteurs, wenn es um Klimawandel und Dekarbonisierung geht? Und schon 2007/2008 haben wir Portfolio-Fußabdrücke und Steuerungsgrößen mit Portfolios der Allianz diskutiert: Wie entwickelt man ein klimaverträgliches oder klimaneutrales Portfolio im Einklang mit konkreten Zielen? Ich glaube, das war ein initialer Impuls, aufgrund dessen sich die Allianz intensiv weiter mit dem Thema beschäftigt.
Zum Themenfeld Wissenschaft: Ein großes Thema ist die Frage: Welche Datenpunkte braucht es, um informierte Entscheidungen

fällen zu können? Beispiel Klima: Da geht es eben nicht nur um CO2 Emissionen, sondern es geht um ein Klimastrategie-Reporting. Das heißt, es ist die Frage zu stellen: Welche entscheidungsrelevanten Daten müssen in welcher Form berichtet werden? Wir haben dazu mit Universitäten kooperiert, haben jetzt gerade auch ein Projekt mit dem BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung, Anmerk. d. Red.).
Und wir haben einen Impuls gesetzt in der Frage der Science-based Targets. Die Science-based-TargetsInitiative geht auf die Initiative von vier NGOs zurück, unter anderem dem WWF. Dabei geht es um eine klare, wissenschaftsbasierte Bewertung unternehmensbezogener Klimazielsetzungen.
Ein aktuelles Projekt des deutschen WWF nennt sich Pathways to Paris. Wir versuchen, zehn Realwirtschaftssektoren mit der Finanzmarktseite zusammenzubringen, um zu hinterfragen: Wie sieht der effektive Austausch über die Transformationsprozesse, in denen die Sektoren bereits stecken, aus? Was liegt für Stahl, für Zement, für Automobil, für Gebäude, für Landwirtschaft, für Chemie und andere an Herausforderungen vor und wie muss der Transformationsprozess formuliert werden, damit er zwischen diesen Akteuren so übersetzt wird, dass Investitions- und Finanzierungsentscheidungen gut gemacht werden können?
Sie sehen in der Finanzindustrie einen wichtigen Hebel, nicht nur Druck auf die Wirtschaft auszuüben, sondern sie im ökologischen Wandel zu begleiten. Konzentrieren wir uns auf die Fondsindustrie. Was schreiben Sie dem AssetManager einer Fondsgesellschaft ins Stammbuch, damit dieser einen wirkungsvollen Beitrag in der Transformation leistet?
Kopp: Ich würde nicht von „Hebel“ im Sinne von Treiber oder Antreiber sprechen, sondern von „Befähigung“. Für das, was vor uns liegt, wird sehr viel Kapital benötigt. Der notwendige Kapitalfluss muss richtig gelenkt werden, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
Fondsmanager und ihre Analysten haben einen regelmäßigen Austausch mit den Unternehmen gewissermaßen als Geschäftsroutine, weil Entscheidungen pro oder kontra konkrete Aktientitel oder Anleihen auf diesem Informationsfluss basieren. Das Transformationsthema in diese Dialogroutine mit den Unternehmen zu integrieren ist also eine zentrale Aufgabe. Die zentralen Fragen sind: Wie genau sieht jeweils die Anforderung an die Transformation aus? Welche Ziele sind von dem Unternehmen definiert? Was ist der Maßnahmenplan des Unternehmens, um zu belegen, dass es sich auf diesem Weg in der richtigen Art und Weise bewegt? Wie sieht diesbezüglich das Reporting aus? Hier eine eigene und stichhaltige Herangehensweise zu finden ist eine ganz zentrale Aufgabe für viele Beteiligte in der Fondsindustrie, vor allem für den Fonds- und Portfoliomanager. Dabei genügt es nicht, via Positiv- oder Negativlisten immer mehr Geld in ein bereits „dunkelgrünes Segment“ zu allokieren. Die Frage ist vielmehr: Hat das, was ich im Portfolio habe, eine Transformationskapazität und -fähigkeit und wie setzt das Unternehmen diese um?
Jetzt sind wir mittendrin im aktuell viel diskutierten Thema Engagement. Was können hier
Matthias Kopp
Fondsmanager und Fondsgesellschaften wirklich bewirken? Wenn wir über Engagement sprechen, ist sehr viel mehr Dialog gefragt, als bislang üblich. Kann eine Fondsgesellschaft das leisten? Wie kann sie es dokumentieren? Wie kann ein Berater erkennen, was sich dort tut, um eine entsprechende Entscheidungssicherheit zu haben, welchen Fonds er für seinen Kunden allokiert?
Kopp: Einen Engagement-Report zu verfassen für jedes Anlagevehikel sollte relativ leicht sein. Natürlich steht die Frage einer rechtlichen Klärung im Raum: Wie viel von den Informationen darf man bekannt machen?
Nach meinem Verständnis muss der Anbieter eines Fondsprodukts in rechtsverträglichen Formen sehr deutlich dokumentieren: Wen hat er womit angesprochen? Welche Ergebnisse hat das Engagement gehabt? Welche Einschätzung hat man zum Beispiel auch zu einer Strategie? Das ist ein Spannungsfeld rechtlicher Zulässigkeit der Mitteilung von Informationen, an die man im Dialog gelangt ist. An der Stelle geht es irgendwann aber auch nicht mehr nur um das einzelne Institut oder die einzelne Fondsgesellschaft, sondern um die Veränderungsnotwendigkeit im Fondsmarkt insgesamt. Da ist die Frage nach einer kollektiven Aktion, also einem tatsächlich gemeinschaftlichen Engagement im Transformationsprozess. Dass es dafür einen rechtlichen Rahmen braucht, ist klar. Aber es ist auf Dauer immens ineffizient, wenn ähnliche Fragen von dem überwiegenden Teil der Fondsindustrie in leicht variierender Form gestellt werden. Das sind im Kern vorwettbewerbliche Informationen, von deren intelligenter und breiter Bereitstellung alle Seiten profitieren.
Was ist in den Fällen, in denen Unternehmen offenkundig von dem erklärten Strategiepfad signifikant abweichen? Kann DeInvestment hier eine Steuerungsalternative als Ultima Ratio sein?
Kopp: Wenn ich das tue, verliere ich in diesem Moment mein Engagement, verliere ich den Dialog und letztlich meinen Einfluss auf das Unternehmen. Ich habe es verkauft, irgendwer hat es gekauft. Wird er einen zwingenderen Effekt erzielen? Kann sein, kann nicht sein. Sinnvoller ist es, kontinuierlich eine Partnerschaft mit dem Unternehmen aufzubauen und Transparenz herzustellen. Viele Unternehmen entwickeln bereits intensiv umfassende Transformationsstrategien oder werden regulatorisch dazu gezwungen. Die Finanzierung dieser Transformation(en) kann zum Engpass werden. De-Investment als Steuerungsalternative ist hier weniger effektiv als transparente Partnerschaft.
Wie hat man sich das in der Praxis vorzustellen? Auf der einen Seite wird der Finanzvorstand von den Analysten wegen mitunter überzogener Performanceerwartungen gegrillt. Auf der anderen Seite spricht der Fondsmanager über die Transformationsstrategie, ihre Kosten und notwendigerweise über die Auflösung eines Konflikts?
Kopp: Dieser Konflikt ist eigentlich konstruiert und er entsteht nur aufgrund auseinanderlaufender zeitlicher Horizonte. Die Realwirtschaft entwickelt und bewegt sich. Wenn der Fondsakteur nicht mindestens eine Mittelfristperspektive mitbringt, werden die Notwendigkeiten unternehmerischen Handels in der aktuellen Transformation zwingend auseinanderlaufen mit kurzfristiger Performanceerwartung! Kapitalgeber und Kapitalnehmer werden im Rahmen der Transformationsstrategie keine sachgerechte Diskussion führen können.
Soll das funktionieren, müssen Fondsmanager die Szenarien der Unternehmen, die korrespondierenden individuellen Kosten und Ertragspotenziale der Transformation, die erreichten Ergebnisse als Etappenziele und die Transparenz der Prozesse als Elemente ins Gespräch mit dem Unternehmen einbringen und die Performancebewertung anders vornehmen, als bislang üblich. Aber Sie haben natürlich recht: Wenn die Fondsgesellschaftsführungen das nicht entsprechend in die Prozesse und Anreizsysteme integrieren, dann
wird die Eigeninitiative des einzelnen Fondsmanagers auch nicht wirklich in einem systematischstrukturellen Sinne funktionieren.
Dazu werden andere Kompetenzen benötigt als bislang beim Vorgehen nach Ausschlüssen und grünen Listen. Wo kommen die denn jetzt her? Von außen betrachtet ging die Sortierung nach Artikel 8 und 9 schnell, aber so, wie Sie es beschreiben, ist es eine gänzlich andere Kompetenz, die dahinterstehen muss.
Kopp: Es braucht nicht nur andere Kompetenzen in den Investmenthäusern, es braucht auch andere Kapazitäten bei der Datenbasis. Was ist das für ein Verständnis, dass ich drei, vier Datenanbieter habe, von denen ich mir deren proprietär entwickelte und meist vergangenheitsorientierte Datenpunkte einkaufe, die wenig Bezug zu den Transformationsanforderungen abbilden. Wir brauchen eine andere systemische Abbildung der Transformation. Was machte denn historisch gesehen jemand, der ein Unternehmen bewertet? Der bewertet vor allem die zukünftigen Aussichten, Cashflows zu generieren, und dann zinst er die ab und gibt dem noch eine Fantasie obendrauf. Hier geht es um nichts anderes. Auch hier lautet in einer sich sicher verändernden Welt die zentrale ökonomische Frage: Was ist die Kapazität eines Unternehmens, um unter bestehender Unsicherheit Cashflow zu erzeugen?
Sie haben recht, dass andere und neue Faktoren eingesteuert werden müssen. Aus der Interessenslage einer Fondsgesellschaft heraus ist es aus meiner Sicht zwingend, Kompetenzen und Ressourcen weiterzuentwickeln. In den Transformationsprozess muss investiert und die Unternehmen müssen finanziert werden. Im Übrigen: Das ist ja auch eine Riesenchance, zu rechtfertigen, warum ein aktives Management überlegen sein kann.

Die Taxonomie sollte helfen, so war es gedacht. Die steckt aber immer noch in den Kinderschuhen. Und wir sprechen bislang immer noch nur über zwei von sechs Kategorien im Kontext „E“. Das ist dünn für alle Beteiligten – auch für eine Fondsindustrie, die einen Transformationsprozess begleiten soll.
Kopp: Wir haben lange gerade auch bezüglich der Klarstellung, was eigentlich Wirkung von und durch Investments ist, zu wenig getan. Deswegen finde ich es nicht überraschend, dass wir jetzt nicht die perfekte Lösung innerhalb von zwei Jahren für alle Themen auf dem Tisch liegen haben. Ich glaube aber schon, dass die weiteren vier Umweltziele, also die Ökosysteme, die marinen und Süßwassersysteme, die Kreislaufwirtschaft, die Umweltverschmutzung, bis Jahresende vorliegen. Die Koordination der Politikprozesse ist nicht ideal. Da sind Dinge parallel angestoßen worden, die besser koordiniert, vermutlich auch besser ausgerichtet und teilweise auch in der Sequenz hätten laufen müssen. Wenn man annimmt, dass die Komplexität und die Dynamik der Veränderung erhalten bleiben für die nächsten 10 bis 15 Jahre, dann hat jeder Akteur im System sowieso den Auftrag, sich zu überlegen, wie er schon heute seine eigene Haltung im Sinne von Bewertungen und Kriterien definiert.
Aus meiner Sicht haben wir in der ganzen Diskussion um nachhaltiges Investieren auch noch keine saubere Definition von Wirkung und Nachhaltigkeit. Industrie, Investmenthäuser,
Matthias Kopp
Investoren, auch Datenanbieter haben bislang im Prinzip aus einer freiwilligen Selbstdefinition heraus gearbeitet, haben eigene Kriterien-Sets gebaut, aber im Prinzip in kompletter Freiwilligkeit und ohne regulatorische Klarheit. Jetzt ist der erste Schritt in dieser Richtung gemacht, damit ist die Entwicklung aber nicht beendet oder gar abgeschlossen.
Fondsgesellschaften kommen also gar nicht darum herum, Transformationskompetenzen aufzubauen, Haltung und Kriterien zu entwickeln, auch wenn die offizielle Regulatorik erst im Werden ist. Allein weil institutionelle Investoren dies zunehmend tun und entsprechende Produkte fordern oder dies tun werden.
Es wird aktuell kontrovers diskutiert, warum es überhaupt einen Artikel 8 SDFR braucht. Viele sehen darin eher die Chance für Greenwashing. Also keine valide Nachhaltigkeit im Sinne der Transformation im Fondsportfolio, aber trotzdem darf es nachhaltig genannt werden. Und die Fondsindustrie agiert divers im Moment. Was soll der Berater damit anfangen?
Kopp: Die Produktangebotsseite ist in der Tat divers. Ein Nachhaltigkeitsprodukt anzubieten, weil ein Produktanbieter draufschreibt, „Ich habe ESG, ich nehme Standard soundso von Ratingagentur soundso und verfolge Best in Class“, ist zwar ein in einer unregulierten Situation entstandenes Produktangebot, war aber schon gestern nicht optimal. Auch der Berater wird sich intensiv mit dem Thema befassen, Kompetenzen entwickeln und in die Produkte hineinschauen müssen.
Ich sehe die Taxonomie, so wie sie momentan aufgestellt ist, eher in einem Übergangsstadium. Denn wenn man die Idee verfolgt, im Prinzip ein gesamtes System zu transformieren, und das mit quantitativen und qualitativen Zielen im Zuge des Green Deals festschreibt, dann muss man das auch in den Finanzprodukten abbilden. Die wissenschaftsbasierte Transformationsgeschichte bestimmt dann die Definition von Nachhaltigkeit. Da sind wir heute nicht.
Im Moment definieren wir über die Taxonomie das, was einen Schwellenwert unterschreitet und ab diesem Punkt okay ist. Und dann wird alle vier, fünf Jahre dieser Kriteriensatz überprüft und adjustiert werden. Im Grundsatz brauchen wir allerdings eine Abbildung der Transformationsprozesse in der Taxonomie, also den richtigen Fortschritt als Maß der Nachhaltigkeitseinschätzung.
Die Taxonomie ist ein guter erster Schritt gewesen, um das Thema aufs Tableau zu heben. Aber ich bin da bei Ihnen: Wozu braucht es am Ende eine Klassifizierung in Impact- und Nicht-Impact-Produkte, wo es doch darum geht, dass jedes Finanzprodukt immer einen Impact hat und diesen auch ausweisen sollte, nicht nur das als „grün“ ausgewiesene?
Alle müssen sehr deutlich machen, in jedem Finanzprodukt, was der eigentliche Wirkungsbeitrag ist, und der besteht in der Transformation. Das macht die Taxonomie heute so noch nicht, wird aber kommen müssen. Aus meiner Sicht legt das aber die Notwendigkeit des Kompetenz- und Kapazitätsausbaus bei Fondsgesellschaften und Beratern nahe.
ESG hat drei Dimensionen. Wir sind heute im ersten Drittel des ersten Drittels. Mit welchem Zeitbedarf hat man eigentlich zu rechnen und halten Sie es überhaupt für leistbar, Nachhaltigkeit in einem solch umfänglichen Kontext regulatorisch über Grenzwerte und Verdikte zu erfassen? Wir haben es auch mit Bereichen zu tun, wo es nicht so einfach ist, Wirkung zu messen wie bei der Dekarbonisierung über CO2. Kopp: Ja, CO2-Emissionen kann man messen. Aber die eigentlich relevante Kernfrage bezieht sich auf die Strategie, die CO2-Emission zu reduzieren: Welchem Szenario glaube ich? Welche Technologien nehme ich? Das Vorgehen in der Taxonomie wäre deswegen zielführender, eine Methodenkonvention zur Messung zu erarbeiten, statt einzelne technische Schwellenwerte zu definieren:

„So bewertet ihr bitte. Es werden bitte Ziele analysiert, Maßnahmen final analysiert, die müssen auf folgende Szenarien einzahlen.“
Eine solche Konventionsdefinition erlaubt mehr Freiheitsgrade, um bei enorm hoher Komplexität und Volatilität des Systems die Transformation ohne Kollateralschäden zu bewältigen. Allerdings denke ich, dass wir vom aktuellen Zustand aus noch immer zu dem Ziel kommen können.
Die Taxonomie der Umweltziele wird wahrscheinlich im nächsten halben Jahr zumindest durch Vorlage der technischen Vorschläge erst einmal abgeschlossen sein. Die soziale Taxonomie liegt jetzt im Entwurf vor, ist jedoch in ihrer Herangehensweise anders geschnitten. Zum dritten Aspekt „G“: Ich glaube, Governance-Fragen gehören sowohl in „E“ als auch in „S“, sind dementsprechend keine eigenständige Kategorie per se. Man kann es ein bisschen entzaubern, im Sinne von: Vieles davon steht schon, kann man sich orientieren, gibt es schon.
Stichwort: Performance. Keiner will ein Schmutzfink sein, ist schon klar, aber am Ende investiert man, um Performance zu bekommen. Stört die immer wieder aufkommende Diskussion um „Mir fehlt das ‚P‘ in ESG“?
Kopp: Die Diskussion stört, weil sie nicht begründbar ist. Klar kann immer jeder was behaupten und mit einem einzelnen Fonds kann man auch mal das „P“ gegen ESG ausspielen. Perspektivisch ist es aber schlechtes Risikomanagement und man wird die strukturelle langfristige Performance damit nicht abbilden, wenn man jetzt kategorisch hingeht und sagt: „Ich blende die Frage der Transformation und so verstandener Nachhaltigkeit aus.“
Nachhaltigkeitsaspekte nicht zu berücksichtigen hat in der Vergangenheit nur deswegen mitunter zu einer Mehrperformance geführt, weil die Schadenseffekte sozialisiert wurden. Das wird über die Regulierung in Zukunft nicht mehr möglich sein – zumindest gibt es hierfür klare Zeichen, z.B. in CO2-Preisen.
Ein Asset-Manager, der Nachhaltigkeit explizit berücksichtigt, wird also automatisch ein gutes Fondsportfolio machen, muss gar nicht nach einer Artikel-8- oder -9-Differenzierung schauen und wird auch Performance produzieren?
Kopp: Sicher nicht automatisch. Wenn ein Asset-Manager Fehler in seinen Bewertungen und Anlageentscheidungen macht, schadet es der Performance in jedem Fall – ob explizit nachhaltig angelegt wird oder nicht. Der Teil einer validen Unternehmensbewertung nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern muss ja immer noch stattfinden. Nachhaltigkeitsbehauptung kann nicht schlechte Unternehmensleistung oder Substanz überdecken.
Die bisherige Selbsteinstufung nach Artikel 8 und 9 war durchaus auch ein bisschen zögerlich seitens der Fondsgesellschaften und wird sich nach meiner Einschätzung mit fortschreitender Regulierungspraxis überleben. Es geht am Ende um die Produktwahrheit und das Transformationspotenzial der Investments in einem Portfolio. Berater wie Investoren und Anleger müssen da genau hineinschauen.
Die Berater müssen schon heute ihre Kunden zum Thema Nachhaltigkeit verantwortungsvoll beraten, stehen aber ungeklärten Regulierungsfragen gegenüber. Die können nicht warten, bis die Taxonomien abgeschlossen sind und die Angebotslandschaft der Fondsindustrie transformiert ist. Was sagen Sie denen?
Kopp: Zum einen muss mit dem Kunden offensiv das Gespräch geführt werden, was denn sein
Verständnis von Nachhaltigkeit ist. Die Präferenz ist sowieso gem. der Delegierten Verordnung zu MiFID II ab August 2022 abzufragen.
Der zweite Punkt ist: Der Berater muss verstehen, dass die Transformation sektoral divers ist und sich ganz sicher auf unterschiedlichen Zeitachsen vollziehen wird. Das wird er hinterfragen müssen, denn die Produkte, klassifiziert nach Artikel 8 und 9, werden ihm das nicht als komplette Produktwahrheit geben. Er kann sich zwar an diesen beiden Kategorien ein Stück weit orientieren, aber das hat nur wenig umfassende Zuverlässigkeit, bezogen auf die Frage der erfolgreichen Transformation z.B. zu Emissionsfreiheit.
Man kann neben dem Blick auf die konkreten Fondsprodukte auch schauen, welche Häuser sich insgesamt in einer Art der Taxonomie vorauseilender Selbstverpflichtung diesem Thema zuwenden und auch auskunftswillig sind. Das hilft der Berechenbarkeit. Also gerade wenn jemand sagt: „Ich kenne mich noch nicht aus, aber ich will mich mit diesen Themen beschäftigen“, dann hilft es zu schauen, wer sich da aus dem Fenster wagt und sagt: „Ja, wir werden uns dazu aufstellen und stellen auch die erforderliche Transparenz her.“
In jedem Fall müssen sich Berater intensiver mit den Transformationsanforderungen und der nun angelaufenen Regulatorik befassen. Man sieht an den enormen Zuwächsen bei den Mittelzuflüssen in als nachhaltig deklarierten Fonds, dass das Thema bei den Anlegern angekommen ist, auch wenn es im Augenblick nicht immer Klarheit gibt, was denn da aktuell an tatsächlicher Wirkung ins Portfolio gekauft wird. Und im Übrigen: Es gibt inzwischen eine Reihe guter Studien und Informationsquellen, die einem bei überschaubarem Zeiteinsatz eine Orientierung, sowohl übergeordnet als auch detailliert, geben können.
Würden Sie unseren Lesern einige dieser Quellen benennen?
Kopp: Es gibt eine Studie vom World Economic Forum, mehrere sogar, die Fragestellungen behandeln, welche auch über das Thema Klima hinausgehen.
Der BDI beschreibt in seiner Studie „Klimapfade für Deutschland“ relativ klar, was passieren muss in welchen Sektoren in Deutschland im Sinne von CO2-Neutralität oder -Freiheit, im Sinne auch der notwendigen Technikschritte.
Gleichermaßen finden Sie so etwas auch bei der Agora Energiewende. Dort findet man unterschiedliche Szenarien beschrieben.
Ein Tool, das sich die Beratung zunutze machen könnte, wäre die Science-based-Targets-Initiative. Da werden 1.800 Unternehmen benannt und betrachtet, die gesagt haben oder dies ankündigen: „Wir setzen uns ein Ziel und haben dementsprechend das Ambitionsniveau formuliert.“ Wenn sich diese Unternehmen in einem Fonds wiederfinden, hat man zumindest mal ein Gefühl dafür, dass das Zielniveau adressiert ist: Machen die jetzt die richtigen Strategien? Haben die die richtigen Maßnahmen? Das ist noch nicht final klar, aber dieses Tool gibt zumindest Orientierung.
Und als weiteres unter zunehmend mehr Beispielen gibt es die Transition Pathway Initiative. Die ist initiiert worden von kirchlichen Investoren in England. Dort sind ca. 300 Unternehmen analysiert worden unter dem Aspekt: Sind sie denn im TransitionProzess unterwegs?
Wenn wir in den Bereich Biodiversität und Natur gehen, wird es ein bisschen dünner in der direkten Anwendung für den Kapitalmarkt, ENCORE ist hier ein guter Startpunkt.
Es gibt auch immer mehr Tools, z.B. auch solche, mit denen man Portfolios mit Blick auf Klimarelevanz analysieren kann. Einige sind frei verfügbar, kommerzielle Angebote nehmen fast schon monatlich zu.
Diese Methoden sind sicher alle nicht perfekt – wie auch bei einer so umfassenden zukunftsorientierten Aufgabe? Für eine Orientierung sind viele von ihnen allerdings sehr gut nutzbar, wenn man will.
Zukunftsperspektiven – mit einem Klick: Studien und Tools zu Nachhaltigkeit, Klimapfaden und nach- haltigem Investieren.
Die Lese- und Toolempfehlungen von Matthias Kopp finden Sie gebündelt und direkt für Sie zum Download bereit auf Ihrer Informationsplattform FFB Fondsgespräche.