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100 JAHRE SALZBURGER FESTSPIELE
Es beginnt, wie man meint, dass es beginnen sollte: mit dem „Jedermann“. Direkt vor dem Eingang zur Ausstellung „Großes Welttheater“ im Salzburg Museum steht ein Nachbau der allerersten Bühne, die vor hundertundeinem Jahr auf dem Domplatz errichtet wurde. In der Säulenhalle taucht man dann mitten hinein in diesen Auftakt der Salzburger Festspiele, in die „Jedermann“-Premiere am 22. August 1920, und wird selbst Teil des Publikums vor der Kulisse alter Schwarz-Weiß-Bilder.
Doch die wirklichen Anfänge der Salzburger Festspiele reichen in Wahrheit viel weiter zurück. Ein Stimmengewirr empfängt einen im Raum der „Frühen Visionen“, ein Labyrinth aus Textfahnen, die an die ersten Ideengeber erinnern. „Es gab nicht nur einen Gründer der Festspiele, sie sind aus vielen Ideen entstanden“, so Martin Hochleitner, Direktor des Museums. Und die gehen bereits auf das Jahr 1842 zurück. Damals wurde in Salzburg das Denkmal für Wolfgang Amadeus Mozart enthüllt – und die Stadt besann sich auf ihren berühmten Sohn und ihr kulturelles Erbe. In den 1870er-Jahren fanden die ersten Salzburger Mozartfeste statt. „Schon damals zog das viele internationale Gäste an. Der Reiseveranstalter Thomas Cook bot in Großbritannien bereits eigene Packages mit einem Rundumprogramm für die Mozartfeste an“, erzählt Hochleitner. Einige Salzburger Initiativen träumten von Mozartfestivals als Gegenstück zu Bayreuth, auch der Schriftsteller Hermann Bahr beschrieb in einem Brief seine Überlegungen zu Theaterfestspielen in Salzburg. Die Sopranistin Lilli Lehmann, wichtige Förderin des Mozarteums, erhob zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Mozartfeste zu neuer Größe – und fachte damit die Festspielidee erneut an. Erst nach diesem Labyrinth an Stimmen und Visionen landet man schließlich bei ihm: Max Reinhardt. „Sein Diktum ,Die Salzburger Festspiel habe ich gegründet, ist, wie man sieht, nicht ganz richtig. Er war derjenige, der sich durchgesetzt hat. Aber viele haben ihm diesen Weg bereitet“, betont Kuratorin Margarethe Lasinger. ZU HAUSE BEI MAX REINHARDT Bei Max Reinhardt kommt man in der Ausstellung nun auch im wortwörtlichen Sinn an: auf Schloss Leopoldskron. In einem eigenen Raum wurde der Blick vom Schloss auf den Untersberg als opulente Kulisse nachempfunden. Hier ließ sich Reinhardt 1918 nieder, er renovierte das Schloss und errichtete im Garten sogar ein kleines Freilufttheater. In Leo-
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Vorhang auf für das große Welttheater
Die großartige Landesausstellung über 100 Jahre Salzburger Festspiele geht –wie das Jubiläum selbst – auch in dieser Saison in die Verlängerung.
Text: Franziska Trost

Kuratorin Margarethe Lasinger in der Nachbildung von Max Reinhardts (li.) Lieblingsort Schloss Leopoldskron.

In der „Goldegger Stube“ wird die Geschichte des Trachtenhypes in Salzburg nacherzählt –u. a. ist Marlene Dietrichs Kostüm zu bewundern.

baut – es zeigt den Blick von Schloss Leopoldskron auf den Untersberg. Wie eine ewige Sehnsucht Reinhardts . . .
GESCHICHTE ALS GROSSE INSZENIERUNG Die theatralische Inszenierung der Landesausstellung hätte Max Reinhardt wohl gefallen. Wie hier hundert Jahre Festspiele opulent in Szene gesetzt werden. Und man so dem Ausstellungstitel gerecht wird, der sich eben nicht nur auf Hugo von Hofmannsthals Schauspiel „Das Salzburger Große Welttheater“ (Uraufführung 1922) bezieht, sondern auch auf die Geschichte der Salzburger Festspiele an sich, die eben ganz großes Theater ist. „Die Ausstellung ist in einem engen Dialog mit den Festspielen und anderen Institutionen entstanden“, erklärt Direktor Hochleitner. „Die verschiedenen Erzählungen von u. a. Wiener Philharmonikern, dem Jüdischen und dem Theater-Museum in Wien verschmelzen hier zu einer Geschichte. Jedem Thema, jeder Institution ist ein Raum gewidmet.“ So zum Beispiel auch dem Thema Mode – und die ist in den Festspielsommern natürlich geprägt von der Tracht. IN DIRNDL UND LEDERHOSE Wie der Trachtenhype in Salzburg seinen Anfang nahm, lässt man passend in der holzvertäfelten „Goldegger Stube“ Revue passieren. Bereits in den 1920er-Jahren entwarf Carl Mayr elegante Trachtenmode – und machte aus der traditionellen Kleidung Haute Couture. Sein Bruder, der berühmte Opernsänger Richard Mayr, der viele Jahre lang in Salzburg im Rampenlicht stand, sorgte dafür, dass Carls Mode bekannt wurde. Schon in den 30er-Jahren trugen die meisten Besucher der Festspiele mit Begeisterung Dirndl, Trachtenanzug und Lederhose. Darunter auch Marlene Dietrich, deren zeitlos schönes Trachtenkostüm von Carl Mayr hier ausgestellt ist. „Das vermittelte dieses gewisse Sommerfrische-Flair, das in
Kuratorin Margarethe Lasinger und Museumsdirektor Martin Hochleitner.




Salzburg auch so wichtig ist. Die Tracht war dafür ein Schlüsselmotiv“, erklärt Kuratorin Lasinger. „Oft führte der erste Weg in Salzburg zum Trachtenschneider Lanz, um sich seine Lederhose anpassen zu lassen. Auch Werner Krauß, der im ersten „Jedermann“ den Tod verkörperte, soll sich als Honorar eine Lederhose ausgehandelt haben.“ Mit der Tracht wurden auch die Zuseher Teil der großen Salzburger Inszenierung – ganz im Sinne von Max Reinhardts Idee, der die ganze „Stadt als Bühne“ sah. Ein Schatten legte sich über das fröhliche Trachtentreiben, als die „Gebirgs- und Volks-Trachten-Zeitung“ 1938 den Erlass der Polizeidirektion Salzburg veröffentlichte, dass „Juden im Bereiche der Polizeidirektion Salzburg das öffentliche Tragen von alpenländischen (echten oder unechten) Trachten wie Lederhosen, Joppen, Dirndkleidern, weißen Wadenstutzen, Tirolerhüten usw.“ verboten sei. Der ganz große Hype wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erreicht, dennoch gehören Dirndln und Trachtenanzüge bis heute ganz selbstverständlich zum Bild der SalzJahre burger Festspiele. 100 Objekte erzählen die Geschichte von 100 Jahren Salzburger Festspiele nach. Als
Symbol für das schwierige Jubiläumsjahr 2020 könnte wohl die eigene „Festspiel“-
Maske in dieses Archiv wandern.
Verschiedene Objekte und Kunstinstallationen wie die „Jedermann“Requisite (li. o.) und der Vogelhändler (li.) gehören zur gelungenen Inszenierung der Ausstellung.
100 OBJEKTE ERINNERN AN 100 JAHRE FESTSPIELE Die gesamten 100 Jahre Festspiele quasi auf einen Blick breiten sich in der prunkvollen Max-Gandolph-Bibliothek vor den Besuchern aus. Hier wird nicht nur die Geschichte chronologisch von einem Jahrzehnt ins nächste aufgerollt, Kuratorin Margarethe Lasinger hat auch in penibler Recherche-Arbeit 100 Objekte zusammengetragen, die symbolisch für jeden einzelnen Festspielsommer stehen. Das beginnt – natürlich – mit Max



Reinhardt und seinem Regiebuch für „Jedermann“ mit Anmerkungen in der für ihn typischen violetten Tinte. Die Schellackplatte der ersten Aufzeichnung der Festspiele, Mozarts „Requiem“, steht für das Jahr 1927. Ein Skizzenbuch von Richard Strauss ist aus dem Jahr 1932 von der Erstaufführung der „Frau ohne Schatten“ erhalten. An 1938 erinnert das Telegramm Arturo Toscaninis mit seiner endgültigen Absage – er hatte die Hoffnung auf ein freies Österreich verloren. Nach dem Attentat auf Hitler wurden die Festspiele 1944 abgesagt , die Generalprobe zu Strauss’ „Die Liebe der Danae“ fand jedoch noch statt – ein grauer Stoffballen symbolisiert dieses Jahr. Der Vertrag mit Herbert von Karajan von 1957 liegt hier ebenso wie sein Kondolenzbuch aus dem Jahr 1989. Große Aufreger der Festspiele dürfen natürlich auch nicht fehlen –wie etwa Thomas Bernhards Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“, bei dessen Predie restlichen Vorstellungen wurden abgesagt. Ein schwarzer Flügel ruft die Erinnerungen an die Skandal-„Fledermaus“ wach, mit der sich Gerard Mortier 2001 aus Salzburg verabschiedete. Und dann gibt es natürlich all die Kostüme großer Künstler und Stars, die bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne standen: Attila Hörbigers Jedermann-Robe, der Mantel, den Helmut Qualtinger 1959 als Wondrak trug, Hamlets Krone, die Oskar Werners Haupt 1970 zierte, und natürlich das legendäre rote La-Traviata-Kleid, in dem sich Anna Netrebko 2005 endgültig in den Opernolymp sang.

miere das nun in der Vitrine liegende Notlicht nicht – wie mit dem Regieteam ausgemacht – abgedreht wurde. Es kam zu Handgreiflichkeiten, Herbert von Karajan prägte die Festspiele als künstlerischer Leiter über viele Jahrzehnte hinweg.
„Der Rosenkavalier“ in der Inszenierung aus dem Jahr 1960.


ZUM ABSCHLUSS DIE EIGENEN ERINNERUNGEN Auch nach dieser Zeitreise gibt es im großen Welttheater noch viel zu entdecken. Kunstinstallationen wie den „Vogelfänger“ des britisch-nigeriani-