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MICHAEL HELTAUS FESTSPIELE
Michael Heltau: Meine Festspiel-Erinnerungen
Kann sich heute überhaupt noch je mand vorstellen, dass die „Salzburger Festspiele“ an irgend einem anderen Platz stattfinden könnten als in Salzburg? Und doch ist das vor hundert Jahren keineswegs ausgemachte Sache gewesen. Helene Thimig hat mir erzählt, wie lange Max Reinhardt über einen geeigneten Ort nachgedacht hat. Reinhardt war als junger Schauspieler in Salzburg im Engagement. Und er hatte Erfolg! Das ist nicht zu unterschätzen! Diese Erinnerungen! Die Freunde: Bahr, Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller, Franz Schalk, der Salzburger Erzbischof Ignaz Rieder (ganz wichtig!). Und Salzburg, verträumt, verschlafen, eher arm, ahnte noch nichts von seinem Glück. 100 Jahre! Zwei Drittel davon habe ich miterlebt, zuschauend und mitwirkend. Leidenschaftlich miterlebt. 1954 die Generalprobe „Don Giovanni“ in der Felsenreitschule. Dirigent Wilhelm Furtwängler, Regie Herbert Graf. Giovanni Cesare Siepi, Donna Anna Elisabeth Grümmer und, und, und . . .Das volle Maß! Das reine Glück! Man kann es sich gar nicht vorstellen, so etwas noch einmal zu erleben. Aber wenn man ein Glückskind ist und das Leben großzügig, dann kommt die Karajan-Zeit und wieder ein Giovanni, mit Leontyne Price als Donna Anna . . . und, und, und. Und dann, nach Jahren, wie es sich in Salzburg gehört, wieder ein Giovanni, wieder eine Generalprobe. In der Reihe vor mir sitzt Gerd Bacher, Sena Jurinac neben mir, und die Donna Anna ist das Debüt der Anna Netrebko . . . und, und, und. Festspielgeschichte! Ich bin ein Zuschauer, den sich die Theaterleute nur wünschen können. Ich bin ein genialer Zuschauer!
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Zehn Jahre nach dem Furtwängler-Giovanni war ich zum ersten Mal selbst dabei. Da war ich der Gute Gesell vom Walther Reyer im „Jedermann“. Und schon im Jahr drauf (1965): Giorgio Strehler! Er hatte mich als Troilus in „Troilus und Cressida“ gesehen und wollte mich für seine Inszenierung der „Entführung aus dem Serail “ als Bassa Selim haben. Ich war erstaunt, ich dachte an eine Verwechslung. Weil in meiner Erinnerung
Eine diese Rolle immer von gesetzten Sängern mit großer VergangenHandbreit heit gespielt wurde – und ich war nicht ganz 32! Aber Strehler war sehr überzeugend mit seiner Er-über dem klärung, für ihn sei der Bassa eine Mischung aus einem jungen
Boden Othello und einem jungen Nathan dem Weisen. Damit hat er mich natürlich sofort verführt. 100 Jahre Festspiele, Bernhard Paumgartner und Zu-
Publikumsliebling Michael bin Mehta waren bei allen Proben dabei. Ich glaube, wirklich
Heltau erlebte zwei Drittel bei allen! Nicht, weil sie mussten. davon mit – als Zuschauer Das war zum ersten Mal, dass und Darsteller. Eine ganz meine Kollegen Sänger waren. persönliche Liebeserklärung. Im Nachhinein wundert es mich nicht, dass in dieser AtmoText: Michael Heltau sphäre Bernhard Paumgartner ganz unvermittelt, aus heiterem Himmel, einmal zu mir sagte: „Heltau, Sie müssen die Mozartbriefe lesen!“ „Ich kenne die Mozartbriefe!“, sagte ich, „ich liebe die Mozartbriefe“ „Im Rundfunk müssen Sie sie lesen!“, sagte er. Und ich habe die Mozartbriefe gelesen, viele Jahre hindurch, in den Pausen der Mozart-Matineen am Sonntag. Das ist alles lange her. Aber, wie gesagt: nachzuhören und sogar nachzusehen! Um die halbe Welt ist diese „Entführung“ gegangen. Lange genau so, wie sie zum ersten Mal in Salzburg war. Nie habe ich das Gefühl gehabt, dass meine Sprechrolle den Sängern untergeordnet war. Bei Mozart steht sie ja auch an erster Stelle.
Das wäre eigentlich schon reich genug. Aber wie gesagt, wenn man Glück hat, dann geht es so weiter! Dann spielt man den Ferdinand in Shakespeares „Sturm“ in der Regie von Oskar Fritz Schuh mit Will Quadflieg, Valter Taub, Hans Putz; den Jaromir in Hofmannsthals „Unbestechlichem“ (Regie: Gustav Manker, mit Helene Thimig als Baronin, mit Johanna Matz und Blanche Aubry). Und dann das Abenteuer. Der Kilimandscharo. Shakespeares Königsdramen, die Collage von Giorgio Strehler und Loek Huisman, „Das Spiel der Mächtigen“. Sechs Wochen Proben, zwei große Abende in der Felsenreitschule. Mein täglicher Weg zur Probe führte mich durch den Petersfriedhof, und ich bekam von der Stadt in dieser Zeit gar nichts mit, lebte wie in einer Klausur. Wer saß da aller in den Proben? (In den langen Proben, die wie bei Reinhardt bis tief in die Nacht dauerten.) Ich denke an Herbert von Karajan, Svjatoslav Richter, Gerd Bacher, Elisabeth Schwarzkopf und Walter Legge. Es hatte sich herumgesprochen, dass da etwas Aufregendes im Gang war. Paula Wessely fühlte sich an die Faust-Stadt, an die Arbeit mit Reinhardt erinnert. „Aber ist es jetzt nicht schöner, Wessely“, sagte Helene Thimig, „die Felsenreitschule ohne Dekorationen?“ Im selben Jahr, in dem Michael Heltau zum ersten Mal bei den Salzburger Festspielen –der Beginn einer langen Beziehung.
ich Heinrich VI. gespielt habe, war ich auch der Spielansager im „Jedermann“: „Jetzt habet allesamt Achtung, Leut!“ Das hab ich auf dem Domplatz gerne gesagt! Aus tiefster Lust und Freude. Als die Freunde der Salzburger Festspiele –wirkliche Freunde! – voriges Jahr wollten, dass ich aus den Gründungsdokumenten der Festspiele lese, überraschte Helga RablStadler das Publikum (und mich!) mit der Feststellung, dass ich 119 Mal in Salzburg aufgetreten sei. Die Texte, die ich bei dieser Feier gelesen habe, riefen in Erinnerung, was für ein mutiges Projekt von Reinhardt, Hofmannsthal, Richard Strauss, Alfred Roller und Franz Schalk nach dem Ersten Weltkrieg wahrgemacht wurde. Wie es Hofmannsthal formulierte: „Von allem das Höchste!“ Ich freue mich sehr, dass der Stafettenlauf durch Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäuser mit Leidenschaft fortgeführt wird. Dafür bejuble ich Helga Rabl-Stadler nicht erst, wenn ihre Präsidentschaft vorüber ist, ich bejuble sie jetzt schon.
Immer wieder Jahre, in denen ich nicht dort war. Aber wenn man sich einmal angesteckt hat mit diesem Salzburg, dann lässt es einen nicht los!