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ERINNERUNGEN

Karl-Heinz Roschitz: Paradies der Erinnerung

250 Opernproduktionen, Sprechtheaterinszenierungen, die Theatergeschichte machten, corpo“, ein vom Duo Veniero Colasanti & John Moore in märchenhafter Pracht ausgestattetes Mysterienspiel, das zum Kultstück der Festan die 500 Konzerte. Ich erlebte sechs Intendan- spiele wurde. Eine Produktion, die auf die Inten, von Herbert von Karajan szenierungen großer Barocküber Peter Ruzicka, Alexander opern in den 70er- und 80er-JahPereira bis Markus Hinterhäu- ren großen Einfluss ausübte. ser, und fünf Präsidenten. Das Man denke nur an Nikolaus Harist die Bilanz, wenn ich die Bü- noncourts & Jean Pierre Ponnelcherregale mit Festspiel-Alma- les legendäre Monteverdi-Trilonachen und Klangdokumenten gie „L’Orfeo“, „Ritorno d’Ulisse auf CD betrachte: Meine vergan- in patria“ und „Incoronazio di genen 50 Festspieljahre. Ein Poppea“, die 2018 von Jan LauKosmos, in dem die Größten der wers und William Christie wieder Großen der Welt der Oper und zu triumphalem Erfolg geführt des Schauspiels wie Fixsterne wurde. aufleuchten, wo aber auch viel- Aufregende Gespräche über Theater: Star- Das Faszinierende an Salzburg versprechende Junge von Salz- duo Andrea Jonasson,Giorgio Strehler. war, dass da stets alle dabei waburg aus – etwa Anna Netrebko ren: Herbert von Karajan, Dr. mit ihrer „Traviata“ oder ihrer Ein Blick zurück auf Karl Böhm, Leonard Bernstein, „Donna Anna“ – in die Weltkar- 50 Jahre, ohne Zorn! Riccardo Muti, Claudio Abbado, riere starteten. Salzburgs Festspiele waren Zubin Mehta, Lorin Maazel, spä-

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Oscar Wilde mahnte einmal, ter Nikolaus Harnoncourt und man sollte „sich nie erinnern“, es für mich jedes Jahr als Mariss Jansons, unter den Regiszeige nur „den Abstand, den man Kritiker wieder ein Ereignis. seuren Giorgio Strehler, Peter gewonnen“ habe. Selbst wenn einmal Stein, Claus Peymann, Otto

Dennoch: Im Rückblick stan- etwas danebenging. Schenk, um nur die wichtigsten den da nebeneinander überwälti- Namen zu nennen. Und ich hatte gende neben bloß interessanten, Text: Karl-Heinz Roschitz das Glück, die meisten von ihnen aber auch enttäuschenden Ein- kennenzulernen. Etwa Giorgio drücken. Strehler, den Star, von dem alle schmunzelnd

Sommer 1971: Da erlebte ich Giorgio Streh- sagten: „Wo eine TV-Lampe aufleuchtet, ist solers 1965 herausgebrachte, für uns Junge unver- fort der Strehler da.“ Mit ihm saß ich – wie auch gleichliche Inszenierung von Mozarts „Entfüh- mit Thomas Hampson, den Philharmonikern –rung aus dem Serail“ mit der Idealbesetzung meist im kleinen Kaffeepavillon, gegenüber Michael Heltau als Bassa Selim. Da startete der dem Bühneneingang des Festspielhauses. Wundamals 30-jährige Riccardo Muti bei Donizettis derbare Gespräche, bei denen ich über Oper „Don Pasquale“ in seine Weltkarriere, da stand und Theater, Dirigieren und Inszenieren viel Dr. Karl Böhm bei Mozarts „Così fan tutte“ und gelernt habe. Gelegentlich wurde der GlückszuAlban Bergs „Wozzeck“ am Pult – mit der gran- stand auch getrübt. Nicht nur durch danebengediosen 31-jährigen Anja Silja als Marie – und gangene Produktionen, die von der gesamten Herbert von Karajan bei dem von ihm inszenier- Kritik verrissen wurden. Als ich etwa die „Firma ten Verdi-„Otello“. Und erstmals sah ich Emilio Karajan“ in zwei Storys, „Das Geschäft drückt de Cavalieris „Rappresentatione di anima e di auf Niveau“ und „Das Geschäft verdirbt die

Kunst“, attackierte, drohte Emil Jucker, damals allmächtiger Manager hinter Salzburgs Kulissen, zu klagen. Doch Karajan-Freund und Burgtheaterdirektor Professor Ernst Haeusserman glättete die Wogen und arrangierte, dass Karajan mich für einige Tage nach Berlin für eine Reportage holte. Wobei der Maestro am liebsten übers Fliegen und Segeln sprach.

Schlimmer war ein Streit mit Dr. Otto Sertl, unter Karajan Generalsekretär der Festspiele, der zwischen 1979 und 1986 u. a. die Uraufführungen von Cerhas „Baal“, Berios „Un re in ascolto“ oder Pendereckis „Schwarzer Maske“ herausbrachte . In einer Auseinandersetzung mit einem Sänger hatte er diesen geohrfeigt. Die Wogen gingen hoch. In einer Kolumne nannte ich Sertl „Häuptling Lockere Hand“. Worüber viele lachten. Als ich Sertl später auf der Straße traf, zischte er mich an: „Die Watschen hätten Sie verdient.“

Festspiele und gesellschaftliches Leben! Sie gehören zusammen. Ein Treff, den keiner vergisst, war der Gasthof Zum weißen Schwanen, das Müllner Wirtshaus des „Krimpelstätters“ Günther Essl. Er bescherte hier allabendlich ein „Festl“: mit Philharmonikerbläsern, Schauspielchef Peter Steins „Jedermann“-Tafel, jeder Menge Stars. Nach Essls Tod hat das Triangel diese Aufgabe übernommen, wo man auch Salzburgs Festspielintendant Markus Hinterhäuser zu spannenden Gesprächen treffen kann.

Salzburger Festspiele – eine Flut von Eindrücken. Überwältigend schöne, komische, unangenehme. Da halte ich es statt mit Oscar Wilde doch lieber mit dem deutschen Dichter Jean Paul und seinem Satz: Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können . . . ŷ Ein Kultstück, das viele den „neuen Jedermann“ nannten: Cavalieris „Rappresentatione“ 1968 bis 1973 .

ỳ Kultfigur: Anna Netrebko als Violetta in „La traviata“.

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