Brixner 319 - August 2016

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AN DIE 20.000 LEDERHOSEN MIT DER HAND ZUGESCHNITTEN: Der pensionierte Lederhosenexperte Hans Gebhard

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hundert fertigten sie Säcke aus Leder an, in denen Erze oder Lebensmittel transportiert oder aufbewahrt wurden. Im Laufe der Zeit wurden die Säckler immer bedeutender: Sie erzeugten Taschen, Handschuhe und schließlich Bekleidung. Sein Vater wartete ungeduldig darauf, dass sein ältester Sohn in den Betrieb einsteigen konnte, vor allem, weil er sich aufgrund seiner italienischen Schulbildung mit den kaufmännischen Belangen in deutscher Sprache leidlich schwertat. Hans Gebhard ab-

Gemacht für ein ganzes Leben. stressigsten Jahre waren wohl Hans Gebhard trägt „eigens für dieses Gespräch“ eine Lederhose. Eine Maßanfertigung aus SämischHirschleder, ohne störende Quernähte, gemacht für ein ganzes Leben. An die 20.000 Lederhosen hat Hans Gebhard im Laufe der Jahre mit der Schere zugeschnitten, und das spürt er heute auch in seiner rechten Hand. „Wer Maß nimmt und den Kunden berät, der muss auch zuschneiden können.“ Sie waren ein echter Familienbetrieb, die drei Brüder. Sepp, der eine Lehre bei einem

„Eine Lederhose muss auf den Leib geschneidert sein“_ Hans Gebhard solvierte also zunächst über die Marco-Polo-Kurse eine kaufmännische Grundausbildung und begann dann eine Schneiderlehre. Die Berufsschule für Schneider besuchte er in Brixen. Es war der letzte Kurs. Sein Meisterstück, ein mittelbrauner Mantel aus Fohlenleder mit Reliefstickerei und perfekt gesetzten Nähten, ist auch nach knapp 50 Jahren noch ein Glanzstück.

Taschner absolviert hatte, und Luis erlagen gleichermaßen der Faszination Lederhose wie ihr ältester Bruder. „In Südtirol gibt es keine Lederhosentradition, dafür aber eine Lederhosenkultur.“ Sich auf jedes Tal einzulassen, kleine Unterschiede in Szene zu setzen und allergrößten Wert auf passgenaue Nähte und kunstvolle Stickereien zu legen – darin lagen die Wurzeln für den Erfolg. Die

die 80er, als es einen regelrechten Lederhosenboom gab. Ein Trachtengeschäft kam dazu, harte Arbeit war an der Tagesordnung. Zeit darf aber für denjenigen, der eine Qualitätslederhose haben möchte, keine Rolle spielen. Eine Lederhose muss auf den Leib geschneidert sein, bei Musikanten, bei Schützen, bei Schuhplattlern, bei jedem einzelnen. Weinbarone aus der Toskana haben sich bei Hans Gebhard ebenso eine Lederhose schneidern lassen wie die Prinzessinnen von Wittgenstein und ein bayrischer Landwirtschaftsminister. Er ist stolz auf seine illustren Kunden. Eine ganze Tafel hat er irgendwann voll geklebt mit Dankesschreiben, die meisten kurz und herzlich und voller Anerkennung „für das Meisterwerk“. Hans Gebhard ist einer, der das Leben in seiner Fülle aufsaugt, er hat immer Bleistift und Papier bei sich und „natürlich einen Spitzer“. Wann immer ihm etwas Merkwürdiges unterkommt, macht er sich eine Notiz und überträgt diese dann auf kleine Karteikarten. Eine Auswahl dieser Kärtchen trägt der agile und sehr belesene 70-Jährige ständig bei sich, in einem kleinen

schwarzen Lederetui, zur geistigen Erbauung, „wenn man irgendwo einmal warten muss“. Er, der nie Latein in der Schule hatte, hat ein Faible für lateinische Sprichwörter entwickelt, die er bei verschiedenen Gelegenheiten zum Besten gibt, ohne aufdringlich zu sein oder gar belehren zu wollen. Dass keines seiner drei Kinder in seine Fußstapfen getreten ist, nimmt er gelassen: „Das ist heute eben so“. Irene, Thomas und Carmen haben sich für eine akademische Laufbahn entschieden und leben außerhalb von Südtirol. Seit einigen Jahren nähen die Gebhard-Brüder keine Lederhosen mehr, „es war an der Zeit, aufzuhören“. Einer der ehemaligen Kunden, ein junger Salurner, von Beruf Elektrotechniker, war beharrlich genug, immer wieder bei Hans Gebhard anzuklopfen, besessen davon, das Säcklerhandwerk zu erlernen. Irgendwann fand er, allen Bedenken zum Trotz, Gehör. Die Geschichte der echten Lederhosenschneiderei geht im Unterland in die nächste Runde.

marlene.kranebitter@brixner.info Leserbriefe an: echo@brixner.info 19


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