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fricktal.info n 47 n 23. November 2016
fricktal
Praktikanten bereichern den Alltag Familie Stocker ermöglicht Jugendlichen Praktikas auf ihrem Landwirtschaftsbetrieb in Obermumpf – eine «Win-Win-Situation» Martina und Thomas Stocker bewirtschaften, zusammen mit ihren drei Kindern Robin, Jelena und Jana in Obermumpf einen Landwirtschaftsbetrieb mit den Betriebszweigen Schweinezucht, Acker- und Futterbau. Seit 2015 ermöglicht die Familie zwei Jugendlichen ein Praktikum mit Schwerpunkt Kinderbetreuung und Hauswirtschaft. Auf dem Hof bieten sie zudem eine Lehrstelle als Landwirt EFZ/EBA an. Zurzeit absolviert dies Matthias Reimann aus Wallbach. Nachfolgend berichten Martina und Thomas Stocker über Motivation, jungen Menschen einen Ausbildungsplatz zu geben, und ihre dabei gemachten Erfahrungen. Die beiden Praktikanten ihrerseits erläutern, was sie sich vom Praktikum versprechen und wie ihre Berufswünsche aussehen. Soviel vorweg: Die Zusammenarbeit von Ausbilderfamilie und Auszubildenden ist offensichtlich für beide Seiten ein Gewinn. Die Praktikumsfamilie «Für die Zusammenarbeit zwischen Familie und Praktikant braucht es klare Strukturen, eine offene Familienatmosphäre und Freude daran, sie auf ihrem Weg zu unterstützen und zu begleiten, erklärt Martina Stocker. Das Interesse, sich auf ihrem Hof sozial zu engagieren, habe schon seit längerem bestanden, erklärt die gelernte Pflegefachfrau mit Weiterbildung zur Gesundheitsschwester weiter. «Wir haben uns über die verschiedenen Möglichkeiten informiert: Sei es die Betreuung von Menschen mit Demenz, Betreuung von Menschen mit (psychischer) Behinderung oder die
Die Familie Stocker mit ihren Praktikanten und ihrem Lehrling (von links): Valentin Leistner, Matthias Reimann (2. Lehrjahr Landwirt EFZ), Robin Stocker, Thomas Stocker, Jelena Stocker, Martina Stocker, Jana Stocker und Simone Reinmann Foto: zVg
Begleitung oder Betreuung von Jugendlichen. Aufgrund unserer drei noch sehr kleinen Kinder haben wir uns für ein Angebot entschieden, das Begleitung und Entlastung zugleich bieten soll. Dies haben wir in den beiden Schulen/ Institutionen Startpunkt Wallierhof und Juveso Nowesa gefunden.» Im Sommer 2015 ist die Familie Stocker mit zwei Praktikanten gestartet. «In diesem Jahr entstand eine Planungswand, auf welcher die Praktikanten Tag für Tag ihre Arbeiten ablesen und auch selbst umplanen können», gibt Martina Stocker einen Einblick in die Orga-
Valentin Leistner und Jelena Stocker
nisation und weiter: «Für die Ausführung erarbeiteten wir ein Arbeitsheft, welches Schritt für Schritt das Vorgehen unserer Haushaltsarbeiten beschreibt. Beispielsweise Reinigung von Bad und Toilette, Wäsche waschen, bügeln usw.» Dabei galt für Martina Stocker zu lernen, die Praktikanten an gemeinsamen Arbeitstagen miteinander oder aneinander vorbeizuplanen. Es stellte sich auch heraus, dass es sinnvoll ist, ein wöchentliches Feedbackgespräch zu führen. Themen dabei sind die Auswertung der Wochenziele, ein organisatorischer Ausblick auf die kommende Woche und – das Wichtigste – das positive Feedback der vergangenen Woche an die Jugendlichen. «Die Jugendlichen sind für uns eine gros se Bereicherung», betont Martina Stocker: «Seien es die persönlichen Gespräche und das Kennenlernen von anderen Lebensweisen, aber auch die unterhaltsamen Mittagessen mit einem Tisch voller verschiedener Persönlichkeiten.» Von grosser Bedeutung ist die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Schulen. Besonders positiv hat dies das Ehepaar Stocker mit dem Startpunkt Wallierhof erlebt: Die Zusammenarbeit ist sehr eng. «Wir erhalten zudem konkrete Hilfestellungen bei Fragen rund um die Praktikumsbetreuung. Einen jährlichen Erfahrungsaustausch und die beeindruckende Abschlussfeier der Praktikanten runden das Gesamtkonzept ab.»
dauert vom 8. August 2016 bis am 31. Januar 2017. Danach absolviert Valentin Leistner ein zweites soziales Praktikum von sechs Monaten. Zu seinem Praktikum erklärt er: «Ich bin bei der Nowesa Aarau und habe mich für dieses Halbjahres-Praktikum entschieden, weil ich es sehr gut mit Kindern kann und mir dies auch Spass macht. Viele meiner Verwandten sagten mir dies ebenfalls. An Ideen, was ich mit ihnen unternehmen kann, fehlt es mir nicht. Ich finde dieses Jahr eine gute Vorbereitung für eine Lehre. Zu meinen täglichen Arbeiten gehören das Frühstück zubereiten, zu den Kindern schauen und Routinearbeiten erledigen, wie etwa den Boden feucht aufnehmen. Am Abend schreibe ich immer den Tagesrapport. Andere Arbeiten sind Kochen, Putzen, Wäsche aufhängen und Blumen giessen. Manchmal ist es schwer, wenn die Kinder nicht auf mich hören wollen, da sie beispielsweise lieber von Mama oder Papa angezogen würden. Und auch gewisse Putzarbeiten, wie zum Beispiel Fenster putzen, bereiten mir leichte Schwierigkeiten.» Doch Valentin Leistner betont: «Im Praktikum gefällt es mir sehr gut, dass ich viel mit den Kindern zu tun habe und wir immer wieder Ausflüge machen. Wir spielen oft draussen im Sandkasten wie auch drinnen mit den Legos. Ich koche auch sehr gerne – und möchte zum Beispiel lernen, Reis mit Poulet ‹sweet & sour› zu kochen. Mein Ziel während des Jahres ist es, Die Praktikanten den Familienalltag als ErziehungsValentin Leistner wohnt in Hor- person besser kennen zu lernen.» nussen und ist 17 Jahre alt. Sein Sein Ziel für nach dem Praktikum Foto: zVg Praktikum bei der Familie Stocker ist für Valentin Leistner, eine
Sozialjahr Juveso Nowesa Praxisorientiertes Brückenangebot Die Schüler arbeiten während vier Tagen als Praktikanten in der Pflege oder in der Betreuung. Als Ergänzung zum Praxisalltag besuchen die Jugendlichen an einem Tag pro Woche den Schultag in Aarau, Bern, Luzern oder Zürich. Das Sozialjahr bietet den Jugendlichen: Praxis Das Sozialjahr ist ein praxisorientiertes Weiterbildungsjahr. In zwei halbjährigen Praktika lernen sie die alltäglichen Tätigkeiten verschiedener sozialer Berufe kennen. Sie arbeiten vor allem mit Menschen zusammen. Das ist eine spannende Herausforderung, die Reife, Belastbarkeit und Motivation erfordert. Die Praktikumsleitung begleitet die Jugendlichen während des Praktikums bei ihrer Arbeit.
Lehrstelle als FaBeK (Fachmann Betreuung Kinder), Koch oder Polygraf zu finden. Simone Reinmann ist bin 16 Jahre alt und kommt aus Heimenhausen im Kanton Bern. Vom 25. Juli 2016 bis 21. Juli 2017 absolviert sie das kombinierte Zwischenjahr Startpunkt Wallierhof (Kanton Solothurn). «Eigentlich wollte ich lieber ein Welschlandjahr absolvieren», erklärt sie, «da ich aber an Epilepsie erkrankt bin und dies mir die Ärzte nicht erlaubten, habe ich mich für den ‹Startpunkt› entschieden.»
Während eines Jahres arbeitet Simone Reinmann zu 60 Prozent auf dem Praktikumsbetrieb der Familie Stocker in Obermumpf, die restlichen 40 Prozent besucht sie die Schule, wo sie und ihre Mitschüler in Persönlichkeits- und Allgemeinbildung unterrichtet werden sowie auch Berufsschulvorbereitungen getroffen werden. «Dieses Jahr ermöglicht mir, selbstständiger zu werden», führt Simone Reinmann aus: «Lernen, richtig anzupacken und Verantwortung zu übernehmen. Besonders gefallen mir die verschiedenen Arbeitsbereiche, die ich auf dem Praktikumsbetrieb ausüben darf. Zudem bin ich glücklich, dass ich so eine nette Praktikumsfamilie gefunden habe.» Beim Aussuchen der Praktikumsfamilie hat Simone Reinmann ihre Schule geholfen. Ihre täglichen Arbeiten sind Kinderbetreuung, Kochen wie auch im Haushalt mithelfen. «Kinderbetreuung bereitet mir grosse Freude, da ich gerne mit ihnen Zeit verbringe und es spannend finde, zuzusehen, was sie immer wieder dazulernen», erklärt die 16-Jährige. Zu ihren Zukunftsplänen meint sie: «Die Berufswahl bereitet mir noch etwas Mühe, weil ich noch nicht weiss, was ich später machen möchte. Doch meine Schule unterstützt mich dabei. Wir lernen, uns zu bewerben, und erhalten Zeit, zusammen mit der Klassenlehrperson die einzelnen Berufe genauer anzuschauen. Zusätzlich haben wir fix eingeplante Schnupperwochen.Mein persönliches Ziel von diesem Praktikumsjahr ist, dass ich eine passende Lehrstelle finde und selbstständiger werde.»
Simone Reinmann und Robin Stocker
Foto: zVg
Startpunkt Wallierhof Unterricht Als Ergänzung zum Praxisalltag besuchen sie an einem Tag die Schule. Hier vertiefen sie das Allgemeinwissen, lernen neues Fachwissen dazu und verarbeiten die Praktikums erfahrungen. Psychologie/Pädagogik, Gesundheitslehre und Deutsch gehören zu den Grundfächern an allen vier Schulorten als Schulfach dazu. Wahl- und Sprachfächer ergänzen den praxisnahen Stundenplan. Erfahrung Seit mehr als 25 Jahren begleitet Juveso Nowesa Jugendliche im Sozialjahr. Die langjährige Zusammenarbeit mit den Institutionen gewährleistet eine hohe Qualität der Praktika. Motivierte und engagierte Lehrkräfte geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter. www.sozialjahr.ch
Kombiniertes Zwischenjahr Während eines Jahres leben und arbeiten die Jugendlichen zu 60 % in einer Familie und besuchen zu 40 % den Schulunterricht. Individuell und praxisnah werden sie unterstützt, die richtige Lehrstelle zu finden. Praxisbezug, Persönlichkeitsbildung und Lebensschule sind die Schwerpunkte
nebst den «klassischen Schulfächern» wie Mathematik, Deutsch und Berufswahl intensiv mit der Persönlichkeitsbildung auseinander. Sie lernen ihre persönlichen Stärken kennen, fördern und einzubringen. Erlebnispädagogische Outdooranlässe und persönliche Videoanalysen sind wichtige Bestandteile des Unterrichts.
Praxisbezug Die Jugendlichen arbeiten in einer Praktikumsfamilie und erleben im unmittelbaren Berufsalltag, dass es sie braucht. Diese Grunderfahrung setzt Kräfte frei und stärkt das Selbstvertrauen. In realitätsnahen Aufgabenstellungen lernen sie Wissen in Handlungen um zu setzten.
Lebensschule
Persönlichkeitsbildung In der Schule setzen sich die Jugendlichen
In der Praktikumsfamilie lernen die Jugendlichen eine neue Hierarchie kennen. Hier werden ihnen Aufträge erteilt, die sie in einer bestimmten Zeit zu erfüllen haben. In diesem Team gibt es nicht nur Gleichaltrige wie in der Schule. Hier gilt es, mit anderen Generationen und Werthaltungen umzugehen. Die Jugendlichen lernen sich durchzusetzen und ihren Platz zu finden. www.startpunktwallierhof.ch