Behörden Spiegel September 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

G 1805

DIGITALE

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de Alles dazu auf

Nr. IX / 37. Jg / 36. Woche

Berlin und Bonn / September 2021

n Seiten 31 bis

36!

www.behoerdenspiegel.de

Digitale Verwaltung Hessen 4.0

Teil eines Gesamtplans

Der Wunsch, andere zu inspirieren

Patrick Burghardt stellt die Weiter­­entwicklung der Landesstrategie vor.......... Seite 8

Jürgen Krogmann über Missing Links und Verbesserungen in Oldenburg ����������������������� Seite 16

Janina Heizler berichtet über Schule in Pandemiezeiten ........................................ Seite 51

Wieder hamstern

Keine Kosten­deckung beim ÖPNV (BS/mj) Laut Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Kostendeckung im Öffentlichen Personennahverkehr werden weniger als die die Hälfte der Betriebskosten der Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) durch Einnahmen aus dem Verkauf von Fahrscheinen gedeckt. Lediglich durch öffentliche Leistungen sei eine Kostendeckung erreichbar. Im Jahr 2018 wurden demnach lediglich 41,5 Prozent der Gesamtkosten aller Unternehmensformen des ÖPNV aus dem Verkauf von Fahrscheinen finanziert. 2016 waren es noch 48,8 Prozent und 2014 46,8 Prozent. Die finanzielle Unterstützung seitens aller Gebietskörperschaften im Jahr 2018 belief sich laut Bericht auf rund 19,1 Milliarden Euro. Davon wurden rund 12,8 Milliarden Euro vom Bund, rund 3,3 Milliarden Euro von den Ländern und rund 3,0 Milliarden Euro von den Kommunen aufgebracht.

Thüringen tritt OZG-Verbund Mitte bei (BS/lma) Thüringen ist als viertes Bundesland dem OZG-Verbund Mitte beigetreten. Durch den Beitritt erhoffen sich die Verantwortlichen des Bundeslandes eine Vereinfachung bei der Nachnutzung von EfA-Leistungen und eine Komplettierung des Angebots für Thüringer Kommunen bei der OZG-Umsetzung. Zudem könne man durch gemeinsame Initiativen der Länder des OZGVerbundes wichtige Impulse für die föderale OZG-Umsetzung setzen. Thüringen plant im Zusammenhang mit dem Beitritt, auch die Plattform Civento des kommunalen IT-Dienstleistungsunternehmens ekom21 zu nutzen. Gegründet wurde der Verbund im November 2020 vom Saarland, Hessen und Rheinland-Pfalz. Ziel der Bundesländer ist es, bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen verstärkt zu kooperieren.

Schutzschirm für Kommunen gefordert (BS/bk) Mehr als 500 kommunale Personalräte von Verdi fordern im Hinblick auf die Bundestagswahl von allen Kanzlerkandidaten ein Hilfspaket für Kommunen. Das Paket müsse für 2021 und die kommenden Jahre geschnürt werden. Die Personalräte gehen für das Jahr 2021 von einem Einnahmedefizit von über neun Milliarden Euro aus. Außerdem müsse die Finanzkraft der Kommunen durch einen Altschuldentilgungsfonds wiederhergestellt werden. Zudem fordern die Vertreter, dass die Sozialausgaben, die in Bundesgesetzen festgeschrieben sind, auch vom Bund übernommen und die öffentlichen Einnahmen verstetigt werden müssen.

Pandemie als eine Realübung für weitere Katastrophen (BS/Uwe Proll) Krisen offenbaren Schwächen: Resilienz, Redundanz, politische Führung und das Verhalten der Bevölkerung. Das gilt nicht nur für die Corona-Pandemie, sondern auch für die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW. Daher stellt sich die Frage, was nach der Bundestagswahl die neue Regierung anstreben wird. Und: Wie sind wir besser vorbereitet auf die nächste Katastrophe? Hat es bei der Flutkatastrophe ein systemisches Versagen gegeben? Dazu sind Untersuchungsausschüsse in den Landtagen und auch im Bundestag notwendig, um das Versagen in der Alarmierung, der Warnung und der Evakuierung anzusprechen. Im Wahlkampf haben jedoch alle Parteien kein wirkliches Interesse, sich mit schonungsloser Analyse auseinanderzusetzen. Erst wenn die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind, wird Klartext geredet werden müssen. Dieser darf dann aber nicht zu knapp ausfallen. Die föderalen Strukturen waren in der Krise nicht hilfreich, aber eine Zentralfunktion des Bundes wäre ebenso wenig hilfreich. Viel zu viele Behörden haben ihre eigenen Zuständigkeiten definiert und sie zu anderen abgegrenzt. So lässt sich eine Krise aber nicht bewältigen. Immer wieder – und das mit Recht – wird Helmut Schmidt in der Hamburger Hochwasserkatastrophe als Vorbild gesehen. Er hat sich über vieles hinweggesetzt, etwa mit dem damaligen Einsatz der Bundeswehr in der Hansestadt. Wo war in der Hochwasserflut an der Ahr und der Eifel eine solche Persönlichkeit zu sehen? Man kann den einzelnen Behörden ihre Neigung, sich nur auf ihre Zuständigkeiten

Das Anlegen von Vorräten wurde lange belächelt. Dann kam die Corona-Pandemie und als Erstes wurden von der Bevölkerung Nudeln und Klopapier gekauft. Foto: BS/milanchikov, stock.adobe.com

zurückzuziehen, nicht vorwerfen. Diese sind so vorgesehen. Doch es fehlt an Persönlichkeiten, die in der Krise Zuständigkeitsgrenzen auch einmal überschreiten, sie durchbrechen und Führung übernehmen. Dabei war alles vorher deutlich und mehrfach formuliert, was hätte geschehen müssen, sowohl bei der Pandemie als auch bei Hochwassern. Zum einen im Abschlussbericht der Länderübergreifenden Katastrophenschutzübung LÜKEX 2007, zum anderen in einem Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) an den Bundestag 2012. Die Empfehlungen bezogen sich vor allem

auf die Vorsorge für den Ernstfall, hätten also Resilienz geschaffen. Bekanntermaßen wurden alle Empfehlungen in den Wind geschlagen. Die Rechtfertigung in Regierungen und Parlamenten: die Wahrscheinlichkeit eines in den Berichten beschriebenen Ereignisses läge bei mehreren hundert Jahren. Also nichts für jetzt und gleich. Aber Deutschland und Europa müssen sich vorbereiten. Der schlimmste Katastrophenfall – so die einhellige Meinung aller Experten – wäre ein Blackout. Ein totaler Stromausfall, ausgelöst durch eine Cyber-Attacke, einen Anlagenbrand oder eine extreme

Instabilität im Netz. Es hat in den vergangenen Jahren bereits einige Situationen gegeben, wo wir kurz vor einem Stromausfall standen, wie Netzbetreiber berichten. Bis zu hundert Mal mussten diese aktiv eingreifen, um einen Netzzusammenbruch zu vermeiden. Der Black Out wird kommen, nur wann bleibt offen. Wenn der Strom ausfällt, geht nicht nur das Licht aus. Elektrisch betrieben wird die Wasserversorgung, die Kassen und Türen der Supermärkte, die Verkehrssteuerung, so ziemlich alles. Hierzu gibt es nicht nur den Bestseller, “Blackout” von Marc Elsberg, sondern auch tatsächliche Fälle.

Kommentar

Einen Schritt nach dem anderen tun (BS) Nach jeder kleineren und größeren Katastrophe oder Krise beginnt in Deutschland das wohl beliebteste Gesellschaftsspiel seit der Staatswerdung: die Suche nach der oder dem Schuldigen. Ob nun in Afghanistan, bei der Flutkatastrophe oder der Corona-Pandemie, die häufig alles beherrschende Frage lautet: “Wer hat Schuld?” Erst danach kommt die Frage “Warum hat das System oder haben die Maßnahmen versagt?” Gerade bei der Flutkatastrophe lassen sich das schwierige Verhältnis von Behörden und dem Umgang mit Fehlern beobachten. Noch während die Rettungs- und Bergungsarbeiten liefen, kam die Forderung auf, dass sich der Katastrophenschutz grundlegend ändern müsse. Gleichzeitig wurde in der Öffentlichkeit schon nach dem Schuldigen gesucht. Nehmen wir das Thema Warnung der Bevölkerung: Das Ausmaß des Schadens stand kaum fest. Da schlug eine Wissenschaftlerin des European Flood Awareness Systems (EFAS) auf die deutschen Behörden ein. Diese hätten die frühzeitige Warnung des EFAS ignoriert. Die Bundesbehörden wiesen alle Schuld von sich und zeigten auf die Länder. Die wiederum traten nach unten auf die kommunale Ebene. Als dann noch die gegenseitige Schuldzuweisung durch staats-

anwaltschaftliche Ermittlungen begleitet wurde, setzte der Verteidigungsreflex bei wirklich allen beteiligten Stellen ein. Die Angst vor dem Eingestehen eigener Fehler ist dann besonders groß. Ein effektiver Umgang mit Fehlern sieht anders aus. Doch lässt sich dieses Muster im gleichen Maße in der Bearbeitung des behördlichen Handelns in der Corona-Pandemie, nach jedem Anschlag und nach jeder Naturkatastrophe wiederfinden. Das Bedürfnis nach einfachen Antworten ist verständlicherweise groß. Dennoch: Bei jeder zeitkritischen und unbekannten Krisensituation unterlaufen Fehler. Das ist menschlich. Auf dem Versagen im Krisenmanagement von anderen herumzureiten und nur mit dem Finger darauf zu zeigen, ist für eine lernende Gesellschaft nicht zuträglich. Dies bedeutet nicht, dass keine Fehler öffentlich

gemacht werden dürfen oder dass Handeln nicht kritisiert werden darf. Eine Fehleranalyse nach Katastrophen ist wichtig. Nur durch eine genaue Erfassung der Fehler können sich Menschen, Behörden und Systeme weiterentwickeln. Es braucht eine gesunde Fehlerkultur in der deutschen (Behörden-) Landschaft, denn die Angst vor Fehlern kann neues und innovatives Handeln verhindern. Es wäre fatal, wenn durch eine öffentliche Schuldsuche Gespräche über Lessons Learned und Verbesserungsmöglichkeiten nicht mehr stattfinden würden. Sollte nach der Fehleranalyse herauskommen, dass jemand mutwillig und wider besseres Wissen Fehler gemacht hat, hat man immer noch seinen Schuldigen gefunden. Wichtig dabei ist: erst die Analyse, dann zur Rechenschaft ziehen. Bennet Klawon

Königsmacher

New York hat einen Stromausfall erlebt. München ebenfalls, wenn auch nur mit kurzer Dauer. Die Flut an der Ahr und der damit einhergegangene längere Stromausfall gibt eine geringe Ahnung davon, was es landesweit bedeuten würde, wenn Kommunikation, Wasser, Wärme und letztlich auch Lebensmittel nicht mehr zur Verfügung stünden. Um gewappnet zu sein, sollte eine neue Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode das Thema Resilienz auf die Tagesordnung setzen. Was für 90 Tage Überleben bei verschiedenen Katastrophenlagen notwendig sein wird, soll nun in zentralen Lagern bevorratet werden, doch ohne Steigerung der Resilienz jedes Einzelnen und jedes Haushalts wird es nicht gehen. Das bedeutet eine Änderung des Lebensstils. Resilienz zu erreichen wird schwierig bis unwahrscheinlich, bleibt es ein politisches Geschäft, auch deswegen weil es unpopulär ist, den Menschen Bevorratung wie zu Omas Zeiten vorzuschreiben. Ein Versuch wäre es dennoch wert. Das BBK hat dazu Vorschläge unterbreitet: das Thema gehört in die Schule. Das Hamstern von Klopapier und Nudeln beim Corona-Ausbruch zeigt: das Vorratsbewusstsein ist da.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / September 2021

Resilienzen für die Zukunft aufzubauen – materiell und ideell, digital wie analog – ist Aufgabe aller Schichten und Institutionen. Dabei unterscheidet sich das nötige Rüstzeug je nach Aufgabenbereich erheblich. Wo also ansetzen, um aktiv die Zukunft zu formen? Welches Werkzeug eignet sich für den Umbruch? Und wie greifen die verschiedenen Komplexe ineinander? Foto: BS/alphaspirit, stock.adobe.com

Rüstzeug 1,8 Mrd. Euro Beschaffungsvolumen

Ein Ziel, aber kein Ende

BWI gibt Einblick in Vergabe-Roadmap ............................................ Seite 11

Nach der OZG-Zielmarke Ende 2022 geht die Arbeit weiter ................ Seite 30

Teil eines Gesamtplans

Gut vorgesorgt

Missing Links und kontinuierliche Verbesserungen in der Fahrradhauptstadt Oldenburg ................................................ Seite 16

Sicherheitskonzepte für Groß und Klein ........................................... Seite 37

LED als Schlüsseltechnologie Mit moderner Beleuchtung Klimawandel begegnen / Neue Dokumentation des DStGB ..................................................... Seite 23

Der Afghanistan Einsatz Rück- und Ausblick .......................................................................... Seite 47

Die Ruhe vor dem Sturm Fragen zur Krisenreaktionsfähigkeit der Bundeswehr ......................... Seite 48

Raus aus der Abhängigkeit Der Einsatz von Open Source bringt viele Vorteile – Expertise wird aber benötigt ........................................................................... Seite 29

DAS NEUE E - JOURNAL. Dein Newsfeed. Dein Ratgeber. Deine Plattform für den Öffentlichen Dienst von morgen. www.f4p.online

Innen Spiegel

Gekommen, um zu bleiben Die Vielfalt der Event-Formate nimmt (wieder) zu (BS/gg) Real, digital, hybrid: Nachdem die Corona-Pandemie seit März 2020 dazu geführt hat, dass Veranstaltungen gänzlich abgesagt, verschoben oder komplett ins Digitale transferiert wurden, wird sich dies zum Herbst grundlegend verändern – zu einem Mix aus klassischen Präsenz-, neuen Digitalformaten und “Zwitterlösungen”. Für einen Einblick in “die neue Realität” sei exemplarisch auf einige Behörden SpiegelEvents in diesem Monat hingewiesen. Am 9. und 10. September fand die diesjährige Public IT-Security PITS statt. Nachdem diese im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie erstmals komplett als reiner Online-Event stattfand, hatten die Teilnehmenden in diesem Jahr die Möglichkeit, die Veranstaltung entweder vor Ort im Berliner bcc oder per Online-Teilnahme zu verfolgen. Auch der Besuch der Ausstellung und das Networking waren sowohl auf dem Veranstaltungsareal in der Nähe des Alexanderplatzes als auch im virtuellen Raum möglich. In der Woche darauf folgt am 14./15. September der Europäische Polizeikongress, der mit über 1.000 Teilnehmenden und über 160 Vortragenden ebenfalls im Berliner bcc durchgeführt wird – anders als die PITS als reine RealVeranstaltung. Ein professionelles Hygienekonzept, unter Wahrung der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, erlaubt es, dieses große Networking-Event der Polizeien, das gleichzeitig auch als intellektuelle und materielle Leistungsschau dient, nun wieder in bewährter Form durchzuführen. Der letzte Kongress liegt nun auch schon über eineinhalb Jahre zurück. Er fand Anfang Februar 2020 noch vor dem “CoronaAusbruch” in Deutschland statt. Nach einer erfolgreichen Premiere

im vergangenen Jahr wird am 23. September der Kongress “Nordl@ nderDIGITAL” zum zweiten Mal durchgeführt. Bereits bei der ersten Austragung musste von einer geplanten Präsenzveranstaltung vor dem Hintergrund einer besseren Planbarkeit auf ein Online-Event umgeswitcht werden. Perspektivisch soll dieser Event jedoch als Präsenzveranstaltung durchgeführt werden. Das Digitale hat den Veranstaltungssektor massiv verändert – sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite. Die Vielfalt der zukünftig angebotenen Formate wird zunehmen. Das Feedback der Teilnehmenden entscheidet am Ende, welche Angebote erfolgreich und von Dauer sein werden. Die Behörden Spiegel-Gruppe hat in der Zwischenzeit zwei OnlinePlatztformen mit einem umfangreichen Veranstaltungsangebot etabliert: Digitaler Staat Online (DSO) mit mittlerweile über 300.000 Zugriffen und NeueStadt.org (NSO) mit über 17.000 Zugriffen. Einer Teilauflage liegt eine Beilage der Technischen Universität Wuppertal bei

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/HMinD Foto 2: BS/Hauke-Christian Dittrich Foto 3: BS/Jacobson

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Ann Kathrin Herweg (Online-Redaktion), Malin Jacobson (Kommunen, Online-Redaktion), Bennet Klawon (Katastrophenschutz), Tanja Klement (Online-Redaktion), Matthias Lorenz (Online-Redaktion), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Tim Rotthaus (OnlineRedaktion), Paul Schubert (IT, IT-Sicherheit), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Dr. Barbara Held (Innenpolitik), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige AnzeigenPreisliste Nr. 32/2021, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Berlin und Bonn / September 2021

KNAPP

Hartes Ringen erwartet

Wie lange reicht der Atem?

Tarifrunde der Länder hat begonnen

(BS/jf) Der Gewerkschaft Deut-

(BS/Jörn Fieseler) Fünf Prozent, mindestens 150 Euro bei zwölf Monaten Laufzeit und zahlreiche Erwartungen an die Arbeitgeber umfassen die Forderungen der Gewerkschaften für scher Lokomotivführer (GDL) die anstehende Tarifrunde mit den Ländern. Auch in Hessen haben die Verhandlungen begonnen. Beiderorts werden sie schwerer als sonst. Beide Seiten werfen sich vor, bei einem bläst aus verschiedenen Richwichtigen Thema zu blockieren. tungen der Wind ins Gesicht, im Der Forderungs- und Erwartungskatalog der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und des DBB Beamtenbunds und Tarifunion (DBB) ist nicht umfangreicher als sonst. Die finanziellen Bestandteile entsprechen den Forderungen der letzten Jahre, insbesondere der letzten Tarifrunde mit Bund und Kommunen. Dabei legen die Gewerkschaften mit dem Mindestbetrag den Fokus auf die Kernklientel, denn dieser wirkt bis maximal zur EG 8 und in der höchsten Erfahrungsstufe bis zur EG 3 (siehe Tabelle). 2019 haben Verdi und der DBB coronabedingt 4,8 Prozent und mindestens 150 Euro gefordert,sowie 100 Euro zusätzlich für Auszubildene und Praktikanten. Am Ende der Verhandlungen kamen für 2021 eine Erhöhung von 1,4 Prozent, mindestens aber 50 Euro sowie weitere 1,8 Prozent für 2022 raus. Wie die Verhandlungen in diesem Jahr ausgehen, hängt auch von den weiteren Erwartungen ab. So wollen Verdi und der DBB weitere strukturelle Verbesserungen bei der Eingruppierung, insbesondere der stufengleichen Höhergruppierung, erreichen. Zudem soll es einen separaten Verhandlungstisch für das Gesundheitswesen geben. Bereits 2019 angesprochene Details, wie die Erhöhung des Zeitzuschlags bei Wechsel- oder Schichtarbeit in Krankenhäusern oder die Einführung einer dynamischen Zulage für die Beschäftigten der ambulanten und stationären Pflege im Justiz- und Maßregelvollzug, sollen zum Abschluss gebracht werden. Des Weiteren pochen die Gewerkschaften auf die Einhaltung einer Verhandlungszusage der TdL von 2019. Dabei soll die Eingruppierung der Beschäftigten im Straßenbetriebsdienst und im

Konkret: fünf Prozent, mindestens 150 Euro Entgeltgruppe

Stud) akzeptieren. Und natürlich soll das Ergebnis inhalts- und zeitgleich auf die Beamten der Länder übertragen werden.

Erfahrungsstufe 1

2

3

4

5

6

15 Ü

297,79

330,54

361,62

382,00

387,02

0,00

15

244,03

271,22

272,06

306,48

332,55

342,52

14

220,95

237,64

251,34

272,06

303,81

312,92

13 Ü

219,26

230,96

251,34

272,06

303,81

312,92

13

203,72

219,26

230,96

253,68

285,09

293,65

12

183,60

196,54

223,94

248,00

279,08

287,45

11

177,66

189,61

203,22

223,94

254,02

261,64

10

171,38

183,11

196,54

210,24

236,31

243,85

9b

152,56

163,87

171,23

191,59

208,91

215,17

9a

152,56

163,87

166,32

171,23

191,59

197,27

8

143,31

154,85

160,49

166,32

172,77

176,26

7

134,84

145,63

153,74

159,88

164,79

169,08

6

132,57

143,24

149,19

155,27

159,26

163,56

5

127,38

137,89

143,84

149,49

154,04

157,11

4

121,63

132,23

139,67

143,84

148,01

150,69

3

120,08

130,45

133,42

138,18

142,05

145,33

115,27

125,39

129,26

134,02

137,29

139,97

2

112,01

121,81

124,79

127,77

134,61

141,76

1

0,00

101,87

103,36

105,15

106,93

111,40

Basis: Entgelttabelle TV-L, allgemein gültig vom 1. Januar 2021 bis mindestens 30. September 2021. Grafik: BS, Quelle:Eigene Berechnungen

Straßenbau geregelt werden. Außerdem soll es für Auszubildende, Studierende und Praktikanten neben den erneut geforderten 100 Euro Entgeltzuschlag ein

kostenloses ÖPNV-Ticket geben. Darüber hinaus sollen die Arbeitgeber eine neue Verhandlungsverpflichtung über einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV

Archillesverse Arbeitsvorgang Keine Bereitschaft zur Verhandlung zeigen die Gewerkschaften beim Thema Arbeitsvorgang. Dieser soll ein Kernthema der Verhandlungen werden. “Es gibt Forderungen aus dem Arbeitgeberlager, durch Neubewertungen beim Arbeitsvorgang die Eingruppierung zu verändern. Die Folge wäre, dass für tausende Stellen zukünftig geringere Einkommen erzielt würden. Diesen Angriff auf die Bezahlung der Beschäftigten werden wir auf keinen Fall hinnehmen”, sagt Volker Geyer, stellvertretender Bundesvorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik beim DBB. Damit wolle die TdL den Gewerkschaften ein Ultimatum stellen. Nur wenn es beim Arbeitsvorgang ein Ergebnis gebe, werde es auch einen Tarifabschluss geben, so Geyer. Das sieht Niedersachsens Finanzminister und TdLVerhandlungsführer, Reinhold Hilbers (CDU) anders. Er wirft den Gewerkschaften vor, sich den Verhandlungen zu verweigern und betont: “Keiner will den Beschäftigten in die Tasche greifen. Wir wollen lediglich, dass dem ursprünglich mit den Gewerkschaften Vereinbarten wieder Geltung verschafft wird.” “Für die Beschäftigten geht es um viel: Ihre Leistungen in der Pandemie müssen anerkannt werden – die Folgen dürfen nicht auf ihre Kosten gehen”, sagt Christine Behle, stellvertretende Verdi-Vorsitzende und zuständig für die Tarifpolitik im Öffentlichen Dienst. Dem gegenüber verweist Hilbers auf die immensen Ausgaben der Länder im Zuge der Pandemie: “Wir

haben große Ausgaben getätigt, um das Gesundheitswesen zu stärken, die Wirtschaft zu stützen, Kommunen unter die Arme zu greifen und den Bürgern zu helfen. Gleichzeitig kommen strukturelle Steuermindereinnahmen auf uns zu.” Bei einem Personalkostenanteil von rund 50 Prozent am Steueraufkommen sei wenig Spielraum für Gehaltssteigerungen. Allein für die rund 900.000 Tarifbeschäftigten hätten die Forderungen ein Volumen von 2,4 Mrd. Euro. Bei einer Übertragung auf die Beamten müssten die Länder mit 7,5 Mrd. Euro für ihr Personal rechnen.

Hessen: Startschuss gefallen Ähnlich beurteilt Innenminister Peter Beuth (CDU) die Forderungen der Gewerkschaften für Hessen. Dort fordern diese ebenfalls fünf Prozent, mindestens jedoch 175 Euro. Grundsätzlich sei das Anliegen nach höheren Bezügen berechtigt, allerdings könne Hessen diesen nicht nachkommen. “Die Forderungen sind angesichts einer bundesweit angespannten Wirtschafts- und Finanzlage deutlich überzogen.” Inklusive Übertragung des Ergebnisses auf die hessischen Beamten wären dies mehr als 600 Mio. Euro pro Jahr. Hessen habe im letzten Jahr 2,3 Mrd. Euro neue Schulden aufgenommen, zeitgleich gehe die aktuelle Steuerschätzung von rund 6,3 Mrd. Euro weniger Steuereinnahmen für die Jahre 2020 bis 2024 aus. In Hessen ist die nächste Verhandlungsrunde für den 14. / 15. Oktober 2021 vorgesehen. Die TdL startet am 8. Oktober 2021. Die zweite und dritte Verhandlungsrunde sind für den 1. / 2. November sowie den 27. / 28. November angesetzt.

Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn (DB) wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Unterstützung gibt es hingegen vom DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB) – aber wie lange noch? Mitte August hat sich der DBB an einer Demonstration vor dem “Bahntower” in Berlin beteiligt und der Mitgliedsgewerkschaft GDL den Rücken gestärkt. “Der DBB ist eine Solidargemeinschaft. Wenn eine unserer Mitgliedsgewerkschaften in einen Streik gezwungen wird, wie jetzt die GDL vom DB-Management, dann stehen wir eng zusammen”, sagte der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach und forderte seinerzeit verhandlungsfähige Angebote. Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL und stellvertretender Bundesvorsitzender im DBB, zeigte sich erfreut: “Wir sind Gegenwind gewöhnt. Aber Rückenwind ist natürlich besser.” Die Frage wird sein, wie lange dieser Rückenwind anhält. Schon beim letzten Streik der GDL vor sechs Jahren waren mit zunehmender Dauer kritische Gegenstimmen aus den anderen Mitgliedsgewerkschaften zu vernehmen.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 17.-18. November 2021, Bonn Mit Beiträgen u. a. von:

Anke Schulte-Trux, Vorsitzende Richterin, Oberverwaltungsgericht Münster Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht – neue Entwicklungen

Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat) Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats

Dr. Rüdiger Linck, Vizepräsident, Bundesarbeitsgericht Neuere Rechtsprechung zum Entgelt und zur Entgeltfortzahlung Foto: BAG

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie das Anmeldeformular finden Sie unter: www.zukunft-dienstrecht.de Je nach Pandemielage wird die Tagung gegebenenfalls virtuell durchgeführt.

Eine Veranstaltung des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Systematisch, praktisch und gut

E

s ist das Standardwerk für die Organisationsarbeit in der Verwaltung: das Organisationshandbuch des Bundes. Ein wichtiges, wenn nicht das zentrale Thema des alten Organisationshandbuchs war die Personalbedarfsermittlung. Dementsprechend nimmt der PBE-Leitfaden auch in der Neufassung des Organisationshandbuchs eine besondere Stellung ein und hat für die gesamte Bundesverwaltung einen verbindlichen Charakter. Unter Federführung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und mithilfe zahlreicher Praktikerinnen und Praktiker wurde der PBELeitfaden jetzt grundlegend vom Beratungszentrum des Bundes (BZB) im Bundesverwaltungsamt überarbeitet. Der Dreiklang aus Aufgabenkritik, Prozessoptimierung und Personalbedarfsermittlung wurde dabei Zug um Zug in den Kontext des umfassenden Organisationsmanagements mit den Modulen Strategie, Prozesse, Ressourcen und Strukturen überführt. Der Inhalt besteht aus Fachtexten, Anleitungen zu Methoden und Techniken sowie Praxisbeispie-

Behörden Spiegel / September 2021

Personalbedarfsermittlung im neuen Organisationshandbuch (BS/Romy Kandora) Gemeinsam mit Fachleuten und dem BMI hat das Beratungszentrum des Bundes (BZB) im Bundesverwaltungsamt ein zentrales Kapitel im Organisationshandbuch überarbeitet. Im Fokus der Arbeitsgruppe stand die Personalbedarfsermittlung (PBE). Jetzt steht der für die Bundesverwaltung verbindliche neue PBE-Leitfaden online und wird laufend weiterentwickelt. len, die die erfolgreiche Umsetzung in einer Organisation verdeutlichen.

Neue Schwerpunkte für die Personalbedarfsermittlung

Ziel der Arbeitsgruppe war es, die klassische Personalbedarfsermittlung (PBE) von einem Instrument der Stellenforderung zu einem Element der kontinuierlichen Personalressourcenplanung zu entwickeln. Folgende neue bzw. überarbeitete Abschnitte finden sich dazu im neuen Organisationshandbuch: • Einführung in das Kapitel Personalressourcen, • Personalressourcensteuerung, • Leitfaden Personalbedarfsermittlung: verbindliche Beschreibung angemessener Methoden zur Ermittlung des Personalbedarfs gem. VV Nr. 4.4.1 zu § 17 BHO, • Prognosemethoden zur Unterstützung der Personalressourcensteuerung und PersonalbedarfsRomy Kandora, Redaktion Organisationshandbuch planung. (Bundesverwaltungsamt) Im August 2021 wurden der für Foto: BS/BVA die Bundesverwaltung verbindliche

Anfang 2019 wurde die Arbeitsgruppe Personalbedarfsermittlung (AG PBE) gegründet. Foto: BS/BVA/BZB

Leitfaden zur Personalbedarfsermittlung sowie die Kapitel zur Personalressourcensteuerung, zu den Prognosemethoden zur Personalbedarfsplanung und Personalressourcensteuerung mit empfehlendem Charakter unter www.orghandbuch.de veröffentlicht.

Zwei Jahre konzentrierter Zusammenarbeit Von der Bearbeitung ausgenommen war das Kapitel “Alternative Verfahren”. Es wurde unverändert als Abschnitt 2.4.4. ins neue Organisationshandbuch überführt.

Anfang 2019 hatte der Ausschuss für Organisationsfragen (AfO) der Bundesressorts die Arbeitsgruppe Personalbedarfsermittlung (AG PBE) eingerichtet. Bis März 2021 arbeiteten darin 14 Vertreterinnen und Vertreter aus neun Ressorts unter Moderation des BZB kontinuierlich zusammen, mit fachlicher Hilfe von REFA und konstruktiver Begleitung des Bundesrechnungshofs. Die AG PBE hatte den Anspruch, die vielfältigen Anforderungen der Ressorts zu einem für alle Behörden tauglichen Vorgehen zusammenzufügen. In insgesamt neun Methoden-Workshops (mit

ca. 30 Organisatorinnen und Organisatoren) sowie in 36 Sitzungen der AG PBE wurden Sinn und Zweck der PBE hinterfragt, die Vorgehensweisen und Methoden der PBE aus der täglichen Praxis der Behörden zusammengetragen, diskutiert, überarbeitet und durch die redaktionelle Arbeit im BZB zusammengeführt. Systematisch, praktisch, gut – so lässt sich das Ergebnis zusammenfassen. Dank des Engagements der zahlreichen Expertinnen und Experten konnte die PBE auf ein zukunftsfähiges Fundament gesetzt werden. Die Wissensteilung über ein breites Spektrum Beteiligter in einem konsequenten Konsensfindungsprozess kann als Vorbild dienen, wie sich die Bundesverwaltung als Ganzes voranbringen lässt. Äußerliches Zeichen für den Erfolg war die einstimmige Beschlussfassung im AfO.

Feedback der Community willkommen Jetzt geht es darum, die Inhalte in die Bundesverwaltung zu überführen und Erfahrungen, die in der Praxis gesammelt wurden, in die fortlaufende Aktualisierung des neuen Organisationshandbuchs einfließen zu lassen. Die

Redaktion des Organisationshandbuchs im BVA wird dazu weiterhin die Community der Organisatorinnen und Organisatoren einbeziehen. Aber auch Behörden, die bisher nicht am Prozess beteiligt waren, sind eingeladen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu teilen – in Form von Feedback, ergänzenden Praxisbeispielen oder Fachbeiträgen.

Das Organisationshandbuch (BS) Das Organisationshandbuch wird durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) herausgegeben. Mit der fachlich-inhaltlichen Redaktionsarbeit ist das Beratungszentrum des Bundes im Bundesverwaltungsamt betraut. Das Organisationshandbuch wird als Nachschlagewerk und praxistaugliche Arbeitshilfe “von Praktikern für Praktiker” entwickelt. Den Rahmen für die inhaltliche Ausgestaltung bildet ein Konzept des umfassenden Verwaltungsmanagements. Im Zentrum steht dabei das Organisationsmanagement mit den Modulen Strategie – Prozesse – Ressourcen – Strukturen. Ziel ist ein bestmögliches Zusammenwirken der Ansätze, ihrer Instrumente und Prozesse zur effektiven und effizienten Zielerreichung im Sinne einer Gesamtstrategie. Mehr unter: www.orghandbuch.de

Kulturwandel als Voraussetzung

Höchstalter angehoben

Drei Ansätze für die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung

Neue Polizei-Laufbahnverordnung für Berlin

(BS/Ann Kathrin Herweg) Mehr Digitalisierung in der Verwaltung, das ist bei Weitem keine neue Forderung. Technologien entwickeln sich weiter, (BS/mfe) Das Berliner Laufbahnrecht für die Beamtinnen und Beamten doch damit die Verwaltungsdigitalisierung gelingt, müssen nicht nur die technischen Voraussetzungen stimmen, auch eine neue Verwaltungs- des Polizeivollzugsdienstes soll insbesondere mit Blick auf neue Zukultur muss her. gangswege und bessere Personalentwicklungsmöglichkeiten flexibilisiert und modernisiert werden. Dazu hat der Berliner Senat eine neue Die OZG-Umsetzung, Corona, hang für eine besonders wichtige Polizei-Laufbahnverordnung beschlossen.

veränderte Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger – viele Aspekte treiben die Verwaltungsdigitalisierung voran und der Druck zur Modernisierung steigt weiter. Ob und wie die digitale Transformation gemeistert wird, hängt jedoch vor allem von einem Faktor ab: den Menschen, die diese umsetzen und damit umgehen müssen. Die Rahmenbedingungen für einen tiefgreifenden Kulturwandel seien sehr gut, so René Ruschmeier, Director Public Sector und Health Care bei Kienbaum Consultants International GmbH, “zum einen deswegen, weil die technologischen Grundlagen mittlerweile da sind, d.h. die Prozesse stehen zur Verfügung und können implementiert werden, sogar die finanziellen Mittel sind da, weil der Bund und die Länder mit sehr starken Förderprojekten in dieses Thema hineingehen und die Verwaltungen unterstützen.”

Zeit drängt Der Zeitdruck durch die Frist im OZG helfe sicherlich auch und die Krisen der letzten Zeit haben laut Ruschmeier zusätzlich deutlich gemacht, dass tatsächlich eine Notwendigkeit bestehe, jetzt die Verwaltungsdigitalisierung voranzubringen und dies mit einem Kulturwandel zu unterstützen. Dazu, wie es in der Realität um die digitale Verwaltungskultur bestellt ist, haben sich rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Verwaltungsebenen und -größen in einer aktuellen Kooperationsstudie von Kienbaum, dem Kommunalen Bildungswerk e. V. und der Hertie School of Governance geäußert. Das Ergebnis macht deutlich: In Sachen Digitalisierung besteht Nachholbedarf, doch es gibt Möglichkeiten, die digitale Verwaltungskultur zu fördern. Bislang sind 43 Prozent der Be-

Auf dem Weg zur digitalen Verwaltungskultur: Rund 45 Prozent der Mitarbeitenden schätzen die eigenen digitalen Kompetenzen “eher besser”, 21 Prozent sogar “deutlich besser” ein als die der Kolleginnen und Kollegen.

fragten eher nicht zufrieden mit dem Digitalisierungsfortschritt in der eigenen Organisation. Kenntnis von einer Digitalisierungsstrategie in der eigenen Organisation haben lediglich rund ein Drittel der Befragten, einen Umsetzungsfahrplan für OZG und E-Government-Gesetz gibt es laut Studie sogar nur bei rund einem Viertel der Befragten. Mancherorts können bereits viele Leistungen digital abgerufen werden und Sachbearbeitungsvorgänge laufen papierlos ab, doch insgesamt besteht in diesem Bereich noch deutliches Verbesserungspotenzial: Gerade mal 35 Prozent der Befragten geben an, dass in ihrer Organisation Leistungen online zur Verfügung gestellt werden. Um in einer Organisation eine digitale Denkweise zu verankern, halten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem eine passende technische Infrastruktur sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen zum mobilen Arbeiten für hilfreich. Außerdem wünschen sie sich Service- und Nutzerorientierung, Beratung zu Fragen des Datenschutzes und/ oder der IT-Sicherheit und die Schaffung einer Digitaleinheit zur

Foto: BS/alfa27, stock.adobe.com

Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Diese – von den Befragten zu den Top-Fünf-Maßnahmen im Bereich Organisation gewählten – Aspekte spiegeln nicht nur die Erwartungen der Befragten wider, es sind laut deren Angaben auch die Maßnahmen, die in der Realität am stärksten umgesetzt werden. Eher innovative Maßnahmen werden hingegen als weniger wichtig empfunden und auch als am wenigsten umgesetzt bewertet. Eine enorm wichtige Rolle für den Kulturwandel spielen laut Ruschmeier die Führungskräfte. Er beschreibt sie als Vorbild, Enabler und Rückenstärker. Eine Führungskraft, die Digitalisierung bestmöglich vorantreibt, sollte selbst digitale Instrumente und agile Methoden nutzen und ihr Wissen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern teilen, da ist sich die Mehrheit der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer einig. (Messbare) Zielvorgaben zu formulieren und den Mitarbeitenden Freiraum bei der Zielerreichung zu lassen, aber auch Fehler konstruktiv zu analysieren, statt zu sanktionieren, halten jeweils rund die Hälfte der Befragten in diesem Zusammen-

Eigenschaft einer Führungskraft. Ruschmeier ist sich sicher, dass die Führungskräfte ihren Aufgaben gewachsen seien, sie benötigten dazu allerdings die notwendigen Werkzeuge sowie die Unterstützung der Verwaltungsleitung. Bei der Einschätzung der eigenen Führungskräfte zeigt sich in der Umfrage jedoch, dass die Befragten hier noch Luft nach oben sehen. Für Ruschmeier ist wichtig, dass die Führungskräfte verinnerlichen: “Digitalisierung in der Verwaltung in ihrer Tiefe und in allen Prozessen ist nicht an den CDO oder an die IT-Abteilung delegierbar, alle Führungskräfte müssen mitmachen.”

Die von Innensenator Andreas Geisel (SPD) eingebrachte Vorlage sieht vor, unter anderem die Höchstaltersgrenze für die Einstellung in den mittleren und gehobenen Dienst auf das vollendete 36. Lebensjahr anzuheben. Zugleich entfällt die Höchstaltersgrenze für den Aufstieg in den gehobenen Polizeivollzugsdienst. Außerdem wird die Höchstaltersgrenze für den Aufstieg in den höheren Dienst bis zum vollendeten 45. Lebensjahr angehoben und Erprobungszeiten für Aufstiegsbeamtinnen und -beamte in den gehobenen Dienst und in den höheren Dienst entfallen. Des Weiteren wird der Zugang

zum gehobenen Polizeivollzugsdienst auch für Menschen mit sonstiger geeigneter Hochschulbildung geöffnet. Das gilt für Fachkräfte, die zum Beispiel ein Informatik- oder ein IT-Sicherheitsstudium absolviert haben. Die Ausbildung der Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen wird dabei nach dem Fachstudium als ein- bis zweijähriger Vorbereitungsdienst gestaltet, der mit einer Laufbahnprüfung abschließt. Darüber hinaus wird der Bewährungsaufstieg bis zu einem Amt der Besoldungsgruppe A 14 eingeführt, um die erhöhten Personalbedarfe im höheren Dienst decken zu können.

Größte “Baustelle” Personalabteilung Nicht nur die Führungsebene, auch die Personalabteilung ist gefragt, wenn es darum geht, Mitarbeitende zur Digitalisierung zu motivieren. Hier spielen vor allem Lernangebote zur Förderung von Digitalkompetenz eine wichtige Rolle, aber auch die entsprechende Analyse von fehlender digitaler Kompetenz in allen Abteilungen. Zusätzlich bewerten die Befragten es als zielführend, dass die Personalabteilung die eigenen HR-Prozesse digitalisieren, Digitalkompetenz als Pflichtvoraussetzung für die Übernahme einer Führungsposition festlegen und die Verantwortungsübertragung für Digitalisierungsprojekte an Mitarbeitende fördern sollte. In den drei Bereichen Organisation, Führungskräfte und Personalabteilung schneidet die Personalabteilung bei der Umsetzung der gewünschten Maßnahmen und Aspekte am schlechtesten ab, hier scheint der Nachholbedarf laut Einschätzung der Studienteilnehmer somit besonders groß zu sein.

In Berlin wird in Kürze eine neue Polizei-Laufbahnverordnung in Kraft treten. Foto: BS/Anne Garti, pixelio.de

MELDUNG

Neuerungen für Bundesbeschäftigte bei S&E (BS/jf) Für Beschäftigte des Bundes, die im Sozial- und Erziehungsdienst (S&E) arbeiten, gibt es Änderungen bei der Anwendung des Tarifvertrages. Wer in der Entgeltgruppe (EG) zehn als “Leitung von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 130 Plätzen” eingruppiert ist und die Erfahrungsstufe fünf erreicht hat, kann eine Zulage in Höhe

von 12,65 Euro erhalten. Erreichen diese Beschäftigten die Erfahrungsstufe sechs, beträgt die Zulage 168,11 Euro. Darüber hinaus gibt es nach Antrag eine höhere Eingruppierung von Beschäftigten, die momentan in der EG 9b eingruppiert sind und künftig in der EG 9c zugeordnet werden können. Der Antrag kann nur bis zum 31. Januar 2022 gestellt werden.


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Behörden Spiegel / September 2021

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ie AA-BGebV tritt zum 1. Oktober 2021 in Kraft und nimmt eine grundlegende Neuregelung der Erhebung von Gebühren und Auslagen für die individuell zurechenbare Leistungserbringung im Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes vor. Hintergrund ist die Aktualisierung der Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes vom 18. Juli 2016, wodurch das Auslandskostengesetz und die Auslandskostenverordnung als die bisherigen Rechtsgrundlagen zum 1.Oktober 2021 außer Kraft treten. Zwecks Neuregelung wurden zum einen Elemente dieser außer Kraft gesetzten Vorschriften in den Abschnitt V des Konsulargesetzes (KonsG) überführt. Zum anderen ist gemäß § 22 Absatz 4 Satz 1 Bundesgebührengesetz (BGebG) mit der AA-BGebV eine neue Vorschrift geschaffen worden, auf deren Grundlage zukünftig die Erhebung von Fest- oder Zeitgebühren sowie die Erstattung von Auslagen zu erfolgen hat. Die gebührenfähigen Leistungen werden innerhalb des Auswärtigen Dienstes durch das Auswärtige Amt, die Auslandsvertretungen, die ehrenamtlichen Honorarkonsuln und das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) erbracht. Die Vornahme einiger weniger Dienstleistungen hat das AA auf das Bundesverwaltungsamt (BVA) übertragen.

Entlastung dank Paradigmenwechsel Neustrukturierung des Gebührenrechts für die deutschen Auslandsvertretungen (BS/Carsten Haider/Jörg Buntkirchen/Carlos Salamanca Davila*) Das Dienstleistungszentrum der Bundesregierung für Bessere Rechtsetzung im Statistischen Bundesamt (StBA) in Wiesbaden hat gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt (AA) in Berlin die Besondere Gebührenverordnung des Auswärtigen Amtes (AA-BGebV) entwickelt. Zentrale Zielsetzungen waren dabei die Verbesserung der Rechtssicherheit, der Kostendeckung sowie der Anwenderfreundlichkeit und Transparenz. urkundungen und Echtheitsbestätigungen zu den ständigen gebührenrechtlichen Leistungen des Auswärtigen Dienstes, die individuell zurechenbar durch die entsandten Beamtinnen und Beamten, die lokal beschäftigten Ortskräfte oder die ehrenamtlichen Honorarkonsuln, teilweise unter Einbeziehung der Zentrale, erbracht werden. Erklärtes Ziel war es, während der ca. 14-monatigen Ausarbeitung der AA-BGebV einen Gebührenkatalog zu entwickeln, der den erhebenden Rechts- und Konsularabteilungen der deutschen Auslandsvertretungen und auch den Gebührenschuldnern selbst eine möglichst einfache, transparente und unbürokratisch anwendbare Tatbestandssammlung anbietet und gleichzeitig die Vorgaben an die Rechtssicherheit und das nach dem Bundesgebührengesetz vorgesehene Kostendeckungsprinzip für die individualisierbaren behördlichen Kosten erfüllt.

Zweistufiges Vorgehen Da sich die originären Aufgaben

Ziel: einfach, transparent und des Auswärtigen Dienstes durch rechtssicher die Gebührenrechtsreform nicht

Neben den ganz allgemeinen konsularischen Aufgaben des AA, wie der Gewährung von Rat, Beistand und Hilfe im Ausland, gehören nach dem KonsG insbesondere Staatsangehörigkeitsangelegenheiten, Pass- und Personenstandsangelegenheiten, Familien- und Nachlasssachen, aber auch Beglaubigungen, Be-

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verändert haben, diente der alte Leistungskatalog zunächst als erste inhaltliche Richtschnur. Obwohl die Leistungserbringung unter den besonderen örtlichen Gegebenheiten auf der ganzen Welt erfolgt, wurde bei der konkreten Ausarbeitung der Gebührentatbestände und der Bestimmung der Gebüh-

Wer nach Deutschland einreisen will, braucht mitunter ein Visum. Die Gebühren und die Gebührenordnung dafür sind novelliert worden. Foto: BS/scaliger, stock.adobe

rensätze an einer bewährten zweistufigen Vorgehensweise festgehalten. Zunächst wurden alle Arbeitsschritte innerhalb der gebührenrechtlich zurechenbaren Leistungen gemeinsam mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland analysiert und prozessorientiert aufbereitet. Nachdem sämtliche Prozesse abgestimmt waren, wurden diese über das AA an alle Auslandsvertretungen weltweit mit der Bitte versandt, sich an der schriftlichen Befragung zur Ermittlung der Zeitaufwände zu beteiligen. Trotz der enormen Belastungen, die zu dieser Zeit wegen der Corona–Pandemie auf dem Personal im Ausland lasteten, haben sich über 100 Rechtsund Konsularabteilungen an der Befragung beteiligt. Zusätzlich zu diesem Datenrücklauf konnte über zahlreiche telefonische Expertengespräche auf Deutsch, Englisch und Spanisch mit ca. 70 Honorarkonsuln auf allen be-

wohnten Kontinenten sowie mit einer schriftlichen Befragung des eingebundenen BVA-Personals die Datenbasis beträchtlich erweitert werden. Im Anschluss daran erfolgten die Aufbereitung und Auswertung der Daten. Auch wenn die Interviews und die Gespräche mit den gebührenerhebenden Stellen erste Hinweise gaben, war doch der Blick in die Ergebnisdaten in vielerlei Hinsicht erkenntnisreich. Während der alte Gebührenkatalog von Rahmengebühren mit extremen Spannweiten und von wertabhängigen Gebühren mit zum Teil ausgebrachten Ober- und Untergrenzen sowie komplexen Wertermittlungsvorschriften geprägt war, legten bereits die Daten die Vermutung nahe, dass die eingeleitete Gebührenrechtsreform Potenzial für einen einfacheren und handhabungssichereren Rechtsrahmen bieten könnte.Für den überwiegenden Teil der zurechenbaren

behördlichen Leistungen ließen sich stabile mittlere Bearbeitungszeiten feststellen, sodass für diese Gebührentatbestände weltweit gültige oder regional verfeinerte, zonenstufenabhängige Festgebühren berechnet werden konnten. Für die übrigen Gebührentatbestände zeigten die Daten, dass für diese nur die Zeitgebühr als angemessene Gebührenart infrage kam, weil die Daten entweder stark streuten oder die Verwaltungsvorgänge zu selten sind, als dass sich methodisch seriöse mittlere Bearbeitungszeiten definieren ließen. Rahmengebühren, die sich je nach Aufwand zwischen einer rechtlich festgelegten Oberund Untergrenze bewegen und ein zusätzliches Abrechnungsund Dokumentationsverfahren erfordern, sowie ein Festhalten an der Wertgebühr inklusive umfangreicher Wertermittlungsvorschriften zeigten sich als vollends entbehrlich. Daher hat sich das AA für den Paradigmenwechsel entschieden und setzt mit der neu entworfenen Besonderen Gebührenverordnung nur noch auf Fest- bzw. Zeitgebühren.

Auslandsbesoldung variiert Zur Quantifizierung der durchschnittlichen Bearbeitungszeiten waren zusätzlich besondere pauschale Stundensätze nach dem Berechnungsschema der Allgemeinen Gebührenverordnung zu ermitteln. Dies war zur Sicherstellung der Kostendeckung zwingend erforderlich, da sich

die Auslandsbesoldung – weltweit differenziert in 20 Zonen – stark von der Inlandsbesoldung unterscheidet. Die Zonenstufen dienen der Berücksichtigung länderspezifischer materieller und nicht materieller Besonderheiten wie des Wohlstandsniveaus, der öffentlichen Infrastruktur oder der Sicherheitslage. Auch ist in den Auslandsvertretungen zu ortsüblichen Tarifen beschäftigtes Personal in die gebührenrechtlich relevanten Leistungen umfänglich eingebunden, für das ebenfalls Stundensätze nach dem Zonenstufenmodell berechnet werden mussten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gebührenrechtsreform zu einer umfänglichen Neukonzeptionierung der gebührenrechtlichen Vorschriften des AA geführt hat. Durch das Umstellen von Rahmengebühren auf Festgebühren und die Abkehr von der Wertgebühr mit den an diese geknüpften administrativen Aufwänden werden im Sinne der besseren Rechtsetzung die Verwaltung im besonderen Maße, aber auch die im Ausland lebenden Deutschen und ansässigen Unternehmen von Verwaltungsaufwand entlastet. Gleichzeitig liefern die empirisch erhobene breite Datenbasis, die unter der Kontrolle der Streuung der Bearbeitungszeiten berechneten Festgebühren sowie die veröffentlichten zonenstufengenauen spezifischen Stundensätze des Personals in den Auslandsvertretungen ein hohes Maß an Transparenz und Rechtssicherheit. Zudem wird eine weitere Verbesserung der Kostendeckung sichergestellt. *Carsten Haider, Jörg Buntkirchen und Carlos Salamanca Davila arbeiten im Dienstleistungszentrum der Bundesregierung für Bessere Rechtsetzung im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden.


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ehörden Spiegel: Um den Staat zu modernisieren, fordern Sie in Ihrem Wahlprogramm “flexible Laufbahnen, mehr Durchlässigkeit, Innovationseinheiten und agile Projektteams über Behördengrenzen hinweg”. Was heißt das konkret?

Behörden Spiegel / September 2021

Öffentlicher Dienst muss sich wandeln Reformen und Flexibilisierung dringend erforderlich

(BS) Die öffentliche Verwaltung benötigt auch in Zukunft ausreichend Bewerberinnen und Bewerber mit guten Qualifikationen. Das wird allerdings immer schwieriger. Hierauf muss die Politik reagieren, meint die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Irene Mihalic. An Flexibilisierungen und Veränderungen führe kein Weg vorbei, unterstreicht sie im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Uwe Dr. Irene Mihalic: Der Öffentli- Proll und Marco Feldmann.

che Dienst muss auch in Zukunft für Bewerberinnen und Bewerber sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv sein und bleiben. Deshalb brauchen wir hier mehr Flexibilität. Das fordern übrigens auch die Berufsvertretungen. Wir plädieren für mehr Durchlässigkeit und bessere Wechselmöglichkeiten zwischen dem Öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft unter Wahrung der jeweiligen Altersversorgung. Außerdem geht es uns um die Optimierung von Verwaltungsprozessen. Hier müssen künftig die verschiedenen staatlichen Ebenen besser zusammenarbeiten. Behörden Spiegel: Es geht Ihnen also um mehr horizontale und vertikale Durchlässigkeit, oder? Mihalic: Wir wollen mehr Flexibilität und Durchlässigkeit, also Möglichkeiten für Umorientierung und Aufstieg aufgrund der jeweiligen Fähigkeiten. Entscheidend für den Aufstieg ist also auch die Qualifikation der jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zudem ist es wichtig, dass verstärkt auch außerhalb des Öffentlichen Dienstes erworbene Fähigkeiten anerkannt und verstärkt im Laufbahnrecht berücksichtigt werden. Wir müssen die im Öffentlichen Dienst vorhandenen Potenziale in Zukunft besser ausschöpfen. Behörden Spiegel: Ist es da nicht ein Widerspruch, dass Bachelor-Abschlüsse von Polizeifachhochschulen derzeit nicht für den höheren Dienst qualifizieren?

“Wir plädieren für mehr Durchlässigkeit und bessere Wechselmöglichkeiten zwischen dem Öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft unter Wahrung der jeweiligen Altersversorgung.” Dr. Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) ist innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag. Sie ist Polizeibeamtin und hat 2018 an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum promoviert. Foto: BS/Stefan Kaminski

schaut und nicht immer nur im eigenen Saft schmort. Denn mehr Input von außen erweitert die Kenntnisbasis für die Ausübung des Polizeiberufs. Behörden Spiegel: Ähnliches ist auch aus der Bundestagsfraktion von CDU und CSU zu hören. Was sind die großen Unterschiede zwischen Ihrer Vision einer Staatsmodernisierung und der der Union? Mihalic: Es gibt einige Unterschiede zwischen unseren Vorschlägen und denen der Union. Die von dort vorgebrachten Vorschläge klingen für mich doch zu stark nach einem “schlanken Staat”. Das ist eine Philosophie, die wir aus meiner Sicht hinter uns gelassen haben sollten. Denn es hat sich gezeigt, dass wir keinen schlanken Staat, sondern vielmehr einen leistungsfähigen und starken Staat benötigen. Hier darf nichts auf Kante genäht sein. Wir sind uns mit der Union also im Ziel einig, also dass es eine Staatsreform braucht. Die Wege, die wir einschlagen wollen, sind aber unterschiedlich.

Mihalic: Das ist definitiv ein Problem. Bei den Polizeien braucht es für den Eintritt in den höheren Dienst bundesweit immer noch den Master-Abschluss an der Deutschen Hochschule Behörden Spiegel: Brauchen der Polizei. Aus unserer Sicht können aber auch andere Master- wir noch mehr Regulierung? Abschlüsse, etwa zur Kriminologie oder in anderen FachrichMihalic: Das kommt auf den tungen mit Polizeibezug, tauglich jeweiligen Bereich an. Beim Klisein, um in den höheren Dienst maschutz und bei der Energiewirtzu kommen. Das derzeitige Auf- schaft ist aus meiner Sicht zum stiegssystem ist hier eindeutig zu Beispiel mehr Regulierung notwendig, um auf starr und nicht den 1,5-Gradmehr zeitge“Wir müssen die im Celsius-Pfad mäß. Für die ­Öffentlichen Dienst zu kommen. Polizeiarbeit ist es vorteil­vorhandenen Potenziale D e r Ö f f e n t haft, wenn liche Dienst in Zukunft besser muss für die man über den ­ausschöpfen.” Bürgerinnen Tellerrand

und Bürger da sein und darf sich nicht auf das absolut Nötigste beschränken. Wir wollen die Verwaltung nicht generell verschlanken, sondern neu aufstellen und leistungsfähiger machen.

aufgaben bei der Polizei auch in Teilzeit möglich. Hier muss unbedingt ein Umdenken – auch bei den dienstlichen Beurteilungen – einsetzen. Es braucht strukturelle Veränderungen.

Behörden Spiegel: Braucht der Öffentliche Dienst mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund?

Behörden Spiegel: Das Bundespolizeigesetz ist gescheitert. Eine Reform ist jedoch geboten. Wie soll das Bundespolizeigesetz reformiert werden?

Mihalic: Der Öffentliche Dienst muss gesellschaftliche Vielfalt abdecken. Denn nur so finden vielfältige Erfahrungen Eingang in die Arbeit der Verwaltung. Außerdem geht es um Repräsentanz. Denn wenn der Staat in einem ständigen Austausch mit seinen Bürgerinnen und Bürgern stehen soll, geht es auch um Ansprechbarkeit für alle gesellschaftlichen Gruppen und Identifikation. Hier muss der Öffentliche Dienst noch besser werden, auch wenn es bereits Bereiche der Verwaltung gibt, wo diesbezüglich schon viel erreicht wurde und die bereits sehr divers sind. Ich bin allerdings skeptisch, ob eine feste Quote hier helfen würde. Behörden Spiegel: Was muss sich verändern, damit Frauen noch stärker Karriere im Öffentlichen Dienst machen können? Mihalic: Wir müssen die Strukturen so verändern, dass Frauen nicht benachteiligt und am Aufstieg gehindert werden. Da geht es unter anderem um Reformen im Beurteilungswesen. Außerdem kommt es darauf an, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern und Dienstzeiten zu flexibilisieren. Aus meiner Sicht sind Führungs-

KOLUMNE

Behörden Spiegel: Was sollte konkret geändert werden? Mihalic: Die Bundespolizei hat eine verlässliche und moderne Arbeitsgrundlage verdient. Es braucht eine grundlegende Reform. Das bisherige Gesetz muss in wesentlichen Punkten angepasst werden. Das betrifft unter anderem den Prozess der Digitalisierung. Hier müssen die Bestimmungen und Befugnisse für die Bundespolizei auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Mit der Reform muss unmittelbar zu Beginn der kommenden Legislaturperiode begonnen werden. Es darf nicht wieder zwei Jahre lang ein Referentenentwurf herumwabern, an dem sich dann alle möglichen Akteure abarbeiten.

Mihalic: Hier muss frühzeitig auch Kontakt aufgenommen werden zu den Bundesländern, da es erhebliche Zuständigkeits- und Aufgabenüberschneidungen zwischen Landes- und Bundespolizei gibt. Werden die Länder nicht rechtzeitig einbezogen, sehe ich die große Gefahr, dass ein Gesetz entsteht, das letztendlich verfassungswidrig ist. Auch die Berufsvertretungen müssen in diesen Prozess einbezogen werden. Behörden Spiegel: Braucht es bei der Bundespolizei eine Kennzeichnungspflicht? Mihalic: Ja, wir Grüne plädieren für eine Kennzeichnungspflicht. Denn hier geht es darum, Transparenz über die Amtswalterinnen und -walter des Staates herzustellen. Außerdem hilft eine Kennzeichnungspflicht, die anonymisiert und unter Wahrung des größtmöglichen Persönlichkeitsschutzes der Beamtinnen und Beamten erfolgen kann, bei der Nachvollziehbarkeit getroffener polizeilicher Maßnahmen. Es gibt Praxisbeispiele aus dem Ausland und einigen Bundesländern, die zeigen, dass eine Kennzeichnungspflicht sinnvoll ist und geäußerte Befürchtungen sich nicht bewahrheiten. Behörden Spiegel: Und wie sieht es mit einem Polizeibeauftragten aus? Mihalic: Die Schaffung einer solchen Institution ist noch wichtiger als die Kennzeichnungspflicht. Wir wollen eine unabhängige Stelle einrichten, deren Leiterin oder deren Leiter als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages fungiert und der oder die Eingaben von außen, aber auch von Polizistinnen und Polizisten selbst erhalten soll. Als Vorbild dient uns hier der beziehungsweise die Wehrbeauftragte. Ein Polizeibeauftragter würde zudem die parlamentarische Kontrolle über die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt deutlich verbessern. Der Innenausschuss des Deutschen Bundestages kann hier bislang nur reaktiv tätig werden.

Mihalic: Wir wollen den Verfassungsschutz auf Bundesebene nicht abschaffen. Denn er ist ein wichtiger Teil unserer wehrhaften Demokratie und ein wichtiges Frühwarnsystem. Uns geht es vielmehr darum, das Bundesamt für Verfassungsschutz zweizuteilen und seine Analysefähigkeit zu verbessern. Aus diesem Grunde wollen wir das Bundesamt für Verfassungsschutz in zwei Stränge aufgliedern. Den ersten Strang soll ein wissenschaftliches Institut zur Auswertung offen zugänglicher Quellen sowie zur tiefergehenden Analyse verfassungsfeindlicher Bestrebungen bilden. Den zweiten Strang soll ein Amt für Gefahrenerkennung und Spionageabwehr darstellen. Behörden Spiegel: Wie soll dessen Arbeit aussehen? Mihalic: Dort soll dann auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln gearbeitet werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sollen immer dann tätig werden, wenn die Auswertung offen zugänglicher Quellen nicht ausreicht, um verfassungsfeindliche Bestrebungen ausreichend aufzuklären. Behörden Spiegel: Und wie steht es um die Zuständigkeitsabgrenzung zur Polizei? Mihalic: Dabei muss die Schnittstelle zur Polizei eindeutig geregelt sein. Es muss klar sein, wo das Gefahrenvorfeld endet, ab wann eine konkrete Gefahr gegeben ist und ab wann damit die Polizei übernimmt. Hier herrscht derzeit oftmals noch eine Verunklarung über die Zuständigkeitsabgrenzungen. Das müssen wir gesetzlich deutlich klarer fassen. Mit der von uns angestrebten Neuaufstellung würde das gelingen. Behörden Spiegel: Wie würde sich die Neuaufstellung auf die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste auswirken? Mihalic: Das Parlamentarische Kontrollgremium muss personell deutlich besser ausgestattet werden. Außerdem braucht es eine stärkere Vernetzung mit anderen Kontrollorganen. Nur so kann eine wirksame parlamentarische Kontrolle gelingen. Hier ist mit Blick auf die Nachrichtendienste des Bundes aber noch deutlich Luft nach oben.

KOMMENTAR

Resultate anders betrachten und bewerten Breites, tiefes Fachwissen und langjährige Erfahrung allein reichen nicht aus, um qualitativ gute Ergebnisse zu erzielen. Und dabei ist auch der zurückgelegte Weg zum Ziel mit in die Betrachtung einzubeziehen. Hier ein konkretes Beispiel: Ein Sonderfall muss bearbeitet werden. Sie setzen ihren erfahrensten Fachexperten daran. Bei der Präsentation des Ergebnisses stellt sich heraus, dass Nebenaspekte einer anderen Einheit nicht mit eingeflossen sind und der Fall sehr nah am Standardfall orientiert betrachtet wurde. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Ergebnis schlecht ist oder auch nach einem weiteren Diskurs mit der anderen Einheit nicht am Ende gleich ausfällt. Auch die Nähe zum Standardfall ist nicht grundsätzlich falsch. Sonderfälle brauchen jedoch einen Blick von außerhalb des

Mihalic: Das Bundespolizeigesetz muss in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages dringend reformiert werden. Es ist unsäglich, dass das Vorhaben mit vielen handwerklichen Mängeln auf den letzten Metern der aktuellen Legislaturperiode ins parlamentarische Verfahren eingebracht wurde und dann sehenden Auges am Widerstand der Länder im Bundesrat gescheitert ist.

Behörden Spiegel: Und welche Rolle sollen die Länder spielen?

Behörden Spiegel: In ihrem Wahlprogramm fordert Ihre Partei, dass der Verfassungsschutz neu geordnet werden soll. Was stört Sie am derzeitigen Verfassungsschutz und wie soll eine Neuordnung aussehen?

Beate van Kempen ist IT-Architektin beim LVR Infokom. Foto BS/privat

normalen Lösungsraumes. Es müssen neue Fragen geklärt werden. Gerade bei Auslegungstatbeständen ist ein nachvollziehbarer Abwägungsprozess ein ganz wichtiger Grundsatz. Der Weg zum Ziel spielt bei der Bewertung somit eine besondere Rolle. Auch die Pandemie hat durch die erzwungene räumliche Distanz den Blick der Führungsebene zwangsläufig auf das Erreich-

Schluss mit lustig te gelenkt. Wie sonst hätten die Heimarbeitsleistungen gemessen und eingeordnet werden können? Hier war der erste Blick jedoch eher auf die Quantität des Outputs gerichtet. Zum einen war zu erkennen, dass Fallzahlen wie geleistete Arbeitsstunden in den Lockdown-Phasen anstiegen. Konzentriertes Arbeiten ohne die üblichen Unterbrechungen im Büroalltag führten mit zu diesem Anstieg. Teamaufgaben forderten jedoch eine besondere Ausprägung der Teamfähigkeit der Mitarbeitenden. Es war einfach anders und brauchte neue Methoden, gemeinsam in Videokonferenzen an Themen zu arbeiten und Räume dafür zu finden. Die heimische Isolation forderte einen deutlich höheren Antrieb, die Distanz virtuell zu überbrücken. Die Bewertung von Resultaten braucht einen angepassten Fokus, um die gewünschte Qualität zu erreichen.

(BS) Der Sozialverband VdK hat einen Vorschlag zur Finanzierung des Rentensystems vorgebracht und eine alte Idee wiederholt: Die Beamten sollen in die Rentenkasse überführt werden. Eigentlich sollte man meinen, dass die Gründe, die dagegen sprechen, inzwischen bekannt sind. Doch dem ist anscheinend nicht so. Beamtinnen und Beamte leben durchschnittlich vier Jahre länger als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zusätzlich sind Letztere benachteiligt, weil sie durchschnittlich weniger Rente beziehen als die Staatsdiener Pension, so das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung (DIW) im Auftrag des Sozialverbands VdK. Das sei ungerecht, urteilt der Sozialverband. Deshalb müsse das Rentensystem reformiert und sowohl die Beamtenschaft als auch Selbstständige in die Rentenkasse aufgenommen werden. Der Ansatz mag bei einer Betrachtung des Rentensystems richtig erscheinen. Doch ist diese Betrachtung zu eindimensional. Richtig ist: Das

beitragsbasierte Rentensystem funktioniert nicht mehr. Seitdem das nicht mehr so ist, wird regelmäßig darüber diskutiert, wie die Einnahmesituation in der Rente verbessert werden kann. Die Beamten von Bund und Ländern sind deshalb eine willkommene Gruppe von Beitragszahlern. Aber: Die Pensionen sind ebenso wie die Besoldung Teil des Alimentationsprinzips. Dies wiederum ist Bestandteil der austarierten Rechte und Pflichten zwischen Dienstherren und Beamten, die in den grundgesetzlich verankerten, sogenannten “althergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums” manifestiert sind. Einen Teil davon aufzukündigen, bedeutet, das Berufsbeamtentum in

Gänze infrage zu stellen. Doch der Öffentliche Dienst braucht das Berufsbeamtentum. Schon aus Attraktivitätsgründen: Zum Beispiel wählen viele der angehenden Lehrkräfte diesen­ Beruf gerade wegen der Aussicht auf eine Verbeamtung. Ohne diese Möglichkeit ist für die meisten der Lehrerberuf nicht attraktiv genug. Anstatt also immer wieder diesen unsinnigen Vorschlag aus dem Hut zu zaubern, sollte das Rentensystem aus mehreren Blickwinkeln betrachtet und es sollten sinnvollere Reformvorschläge erarbeitet werden. Für den Autor dieses Kommentars ist hingegen klar, dass in den nächsten 25 Jahren das Renteneintrittsalter auf 70 steigen wird. Jörn Fieseler


Bund / Länder

Behörden Spiegel / September 2021

ehörden Spiegel: Durch die Corona-Pandemie stellen sich bislang nicht bekannte und geübte rechtliche, ethische und sicherheitsrelevante Fragen. Wie hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden unter Corona-Bedingungen funktioniert?

Karl Nehammer: Die Polizistinnen und Polizisten haben Unglaubliches geleistet in der Pandemie. Sie waren während der Krise – durch zusätzliche Aufgaben – doppelt gefordert. Zusätzlich zur Polizeiarbeit sind etwa Aufgaben wie Contact Tracing, Quarantäneüberwachung und Grenzkontrollen dazugekommen. Wir haben die Gesundheitsbehörden überall dort unterstützt, wo wir gebraucht wurden. Außerdem haben wir zahlreiche Einsätze bei den sogenannten CoronaDemonstrationen bewältigen müssen. Hier ist es gelungen, gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern. Keine einfache Aufgabe, wenn besonders viele radikale Gruppierungen teilnehmen. Behörden Spiegel: Der aktuelle Zusammenbruch des fragilen Regierungssystems in Afghanistan hat in Europa die Frage ausgelöst, ob es neben den Kontingentflüchtlingen eventuell auch einen neuen Migrationsstrom auf Europa zu geben wird. Rechnen Sie mit einer neuen Flüchtlingswelle? Nehammer: Kein Mitgliedsland der Europäischen Union möchte, dass sich Bilder wie 2015 wiederholen. Wir müssen deshalb die richtigen Signale senden. Österreich steht daher ganz klar für Schutz in der Region, für

Polizei hat exzellente Arbeit geleistet Österreichs Innenminister zur Arbeit der Sicherheitsbehörden während Corona (BS) Die Corona-Pandemie hat die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) vor große Herausforderungen gestellt. Sie mussten schnell zusätzliche Aufgaben wahrnehmen, auch in Österreich. Das sei sehr gut gelungen, sagt der dortige Innenminister Karl Nehammer. Das Interview führte der Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel, Uwe Proll. Hilfe vor Ort. Das sieht auch die Genfer Flüchtlingskonvention so vor. Dabei dürfen wir die Länder in der Region nicht allein lassen. Österreich hat deshalb in einem ersten, schnellen Schritt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) mit drei Millionen Euro unterstützt. Behörden Spiegel: Wie sieht es mit der Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Afghanistan aus? Nehammer: Wenn es jetzt aber laute Stimmen gibt, die fordern, Abertausende Menschen aus Afghanistan nach Europa zu holen, kann ich das nur ganz entschieden ablehnen. Das ist eine sehr kurzsichtige und ideologisch fehlgeleitete Politik. Wir sprechen uns klar gegen eine freiwillige, zusätzliche Aufnahme von Afghanen aus. Wir haben in Österreich – auf die Bevölkerung gerechnet – bereits jetzt die zweitgrößte afghanische Gemeinschaft in Europa: 44.000. Der Großteil davon sind junge Männer. Viele haben kaum Schulbildung und sind trotz großer Bemühungen schwer zu integrieren – das zeigt sich auch in der Kriminalitätsstatistik. Behörden Spiegel: Was unternimmt Österreich gegen illegale Migration?

Nehammer: Beim Kampf gegen die illegale Migration setzen wir auf eine Drei-Netze-Strategie. Das erste Sicherheitsnetz ist die EU-Außengrenze, das zweite sind die Grenzschutzmaßnahmen der Westbalkan-Staaten und das dritte Sicherheitsnetz ist die eigene Staatsgrenze. Hier haben wir die Überwachung verstärkt und den sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz des Bundesheeres massiv aufgestockt. Behörden Spiegel: Gibt es bei Ihnen Bestrebungen, Personen mit migrantischem Hintergrund in der Polizei zu beschäftigen, um die Ansprache mit diesen Gruppen zu erhöhen? Nehammer: Natürlich soll die Polizei die Verhältnisse in der Gesellschaft widerspiegeln, damit sie größtmögliche Akzeptanz erreicht und effizient arbeiten kann. Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund sind bei uns immer willkommen. Für die Aufnahme in den österreichischen Polizeidienst ist aber die österreichische Staatsbürgerschaft erforderlich. Behörden Spiegel: Der Terroranschlag in Wien macht aus Ihrer Sicht welche Konsequenzen erforderlich?

Gastkommentar Noch zu oft verharmlost Gwendolin von der Osten ist Präsidentin der Polizeidirektion Göttingen

(BS) Häusliche Gewalt ist vielmehr ein Thema der Inneren Sicherheit. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie mit längeren Phasen des Lockdowns meldeten Frauenhäuser und andere Opferschutzeinrichtungen “Land unter” – es gäbe eine deutliche Zunahme von hilfesuchenden Opfern von häuslicher Gewalt. Zurückgeführt wurde diese Zunahme auf besondere psychische, finanzielle und soziale Belastungen während der Lockdown-Phasen. Ob dieser Zusammenhang tatsächlich besteht, kann bislang nicht belegt werden – Fakt ist jedenfalls, dass die Zahlen im Hellfeld stetig ansteigen. Und das entgegen dem Gesamttrend einer rückläufigen Gewaltkriminalität. Anhalt dafür, dass nicht nur eine Erhellung des Dunkelfeldes für die steigenden Zahlen sorgt, sind vor allem die erschreckenden Zahlen zu Gewalt gegen Frauen, die tödlich endet. Laut Bundeskriminalamt (BKA) sind im Jahr 2019 bundesweit 117 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang geworden. Frauen aus allen sozialen und ethnischen sowie Bildungs- und Altersgruppen sind von Gewalt und schwerer Misshandlung in Paarbeziehungen betroffen. Schwere Gewalt und Misshandlung durch Partner ist kein Problem, das sich auf sogenannte Randgruppen in sozial schwierigen Lagen begrenzt. Vielmehr sind auch Frauen in gehobenen sozialen Lagen anteilsmäßig gleichermaßen betroffen. Auch die Kinder leiden unter der Gewalt in einer Partnerschaft. Wenn Kinder zusehen müssen, wie ihre Eltern offene Gewalt austragen, leidet ih-

re Psyche schwer und langfristig darunter. In den meisten Fällen nehmen sie die Gewalthandlungen nicht nur wahr, sondern werden von den Parteien instrumentalisiert oder vom gewalttätigen Partner ebenfalls misshandelt. Nach Anstrengungen der Polizeien der Länder in den 1990erJahren, das Deliktsfeld der Häuslichen Gewalt einer spezialisierten Sachbearbeitung zuzuführen, die Zusammenarbeit mit Opferberatungsstellen zu intensivieren sowie rechtliche Grundlagen zum Beispiel für die Wegweisung des Aggressors zu schaffen, ist das Thema nun wieder stärker in den politischen Fokus gerückt. Die letzte Innenministerkonferenz (IMK) hat hierzu den Beschluss gefasst, die Parameter für eine belastbare Datengrundlage zu Gewalt- und Hasskriminalität gegen Frauen zu verbessern. Erfreulich ist, dass das Thema nun wieder auf der politischen Agenda steht, nachdem es über viele Jahre in der Sicherheitspolitik zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Eine verbesserte Datengrundlage wird helfen können, dezidierter mit dem Phänomen umzugehen. Dies ist jedoch nicht genug – werden doch Eskalationsspiralen hochaggressiver Straftäter immer noch zu häufig als “Ehedrama” oder “Familientragödien” dargestellt und überbordende Gewalt in Paarbeziehungen oftmals mit “Das war nicht zu verhindern” kommentiert. Die Frage muss aber eine andere sein: tun wir wirklich alles, um sie zu verhindern? Sind wir in der Gefährdungseinschätzung dieser Täter hinreichend aufgestellt und reichen unsere Gefahrenabwehr-

Foto: BS/Polizeidirektion Göttingen

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gesetze aus, um diesen Tätern zu begegnen? Hier müssen noch weitere Anstrengungen unternommen werden. Handlungsfelder, die sich hier ergeben, sind auch eine optimierte Vernetzung mit allen beteiligten Stellen im Rahmen eines niedrigschwelligen Informationsaustausches zur abgestimmten Gefährdungseinschätzung. Nicht zuletzt müssen wir als Polizei uns auch hinterfragen, warum nach wie vor so viele Straftaten im Dunkelfeld verbleiben und Opfer sich davor scheuen, sie anzuzeigen. Die aktuelle Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamtes Niedersachsen wird hierzu Ansätze liefern können. Ich prognostiziere hier, dass das sonst sehr große Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei bei diesem Phänomen deutlich geringer ausfällt. Hilfreich ist hier beispielsweise die Online-Wache in Niedersachsen, die offenbar zu verstärkter Anzeigebereitschaft in diesem häufig noch schambesetzten Thema führt. Aber auch der persönliche Erstkontakt, die Beratung und das justizielle Verfahren müssen weiterhin im Fokus stehen, um die Opfer und ihr Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu stärken. Eine wesentliche Erkenntnis muss die Bearbeitung dieses Phänomens beherrschen: Häusliche Gewalt ist kein allein bei Familienministerien zu verortendes “Frauenthema” – es handelt sich um eine schwere Kriminalitätsform, die mit allen den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen ist. Gwendolin von der Osten

Stärke bestimmende Faktoren. Außerdem spielten Österreichs zentrale geografische Lage und die ausgezeichnete Infrastruktur für Handel und Transport eine besondere Rolle für Anbahnungsgeschäfte jeglicher Art. Natürlich ist auch Österreich selbst Ziel nachrichtendienstlicher Beeinflussung und Ausspähung. Besonders Versuche der Einflussnahme in Sozialen Netzwerken sind zuletzt international immer mehr in den Fokus gerügt. Destabilisierung, Unruhen, Schaffen von Ungewissheit und gesellschaftliche Polarisierung – damit kann die öffentliche Meinung stark beeinflusst und gelenkt werden. Behörden Spiegel: Wie sollte darauf reagiert werden?

Österreichs Innenminister Karl Nehammer (r.) stellte sich den Fragen von Uwe Proll, dem Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel. Foto: BS/BM.I

Nehammer: Die Ereignisse am 2. November letzten Jahres waren dramatisch. Es ist schrecklich, wenn Menschen bei einem Terroranschlag getötet oder verletzt werden. Zur Klärung, ob Fehler passiert sind, haben wir eine unabhängige Kommission eingerichtet. Sie hat sich alle Vorgänge angesehen und danach ihren Bericht verfasst. Gleichzeitig ist gerade der Verfassungsschutz in Krisenzeiten, wo Extremismus auf unseren Straßen sichtbar wird, wichtiger denn je. Behörden Spiegel: Gab es Versäumnisse bei der Aufklärung? Wie soll ein solcher Vorfall in Zukunft verhindert werden? Nehammer: Aus diesem Grund bauen wir das Amt von Grund auf neu auf. Der Projektauftrag dazu ist allerdings schon lange vor dem Anschlag erteilt worden. Wir haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner und fast allen Oppositionsparteien die größte Verfassungsschutzreform in der Geschichte Österreichs beschlossen. Mit 1. Dezember 2021 tritt an die Stelle des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, des BVT, die “Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst” (DSN). Dabei werden Staatsschutz und Nachrichtendienst – nach internationalem Vorbild – organisatorisch getrennt, Gefahrenerforschung und Gefahrenabwehr also. Behörden Spiegel: Braucht es nicht einen intensiveren Austausch der Informationen zwischen Nachrichtendiensten und Polizei sowie zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union? Nehammer: Es gibt geregelte polizeiliche und nachrichtendienstliche Kommunikationsschienen. Wir haben in der neuen DSN auch den Bereich Internationale Beziehungen gestärkt, weil klar ist, dass ein funktionierender Staatsschutz nur so gut sein kann, wie die Informa-

tionen, die dieser erhält. Neben anlassbezogenem, bilateralem Informationsaustausch gibt es auch Expertentreffen, um auf aktuelle Ereignisse oder relevante Phänomene gemeinsam reagieren zu können. Und voneinander zu lernen. Auch mir wird berichtet, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert. Nichtsdestotrotz gibt es sicher Möglichkeiten, auch in diesem Bereich noch besser zu werden. Behörden Spiegel: Wie steht das BVT aus Ihrer Sicht derzeit da? Nehammer: Das BVT war und ist eine Polizeibehörde und kein Nachrichtendienst. Es ist der Ansprechpartner für die Partnerdienste aus dem Ausland, weil es in Österreich bislang keinen zivilen Nachrichtendienst gibt. Mit der DSN wird die zivile nachrichtendienstliche Schiene gestärkt und dem nationalen und internationalen Bedarf angepasst. Die Umsetzung der Reform ab 1. Dezember wird also sehr wichtig für die Sicherheit Österreichs sein. Zudem haben wir darauf geachtet, dass auch die parlamentarische Kontrolle gestärkt wird, Damit unterliegt die neue Organisation einer strengen Aufsicht durch unsere Volksvertreter. Behörden Spiegel: Wien galt im letzten Jahrhundert als Spionagedrehscheibe. Wie schätzen Sie das ein? Nehammer: Österreich ist nach wie vor für Nachrichtendienste interessant. Als eine der führenden Industrienationen und Standort zahlreicher Unternehmen mit Spitzentechnologie ist Österreich ein potenzielles Operationsgebiet für nachrichtendienstliche Aktivitäten. Neben Österreichs Mitgliedschaft in der Europäischen Union und dem Sitz einer Reihe internationaler Organisationen wie etwa den Vereinten Nationen oder der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) sind wissenschaftliche und wirtschaftliche

Nehammer: Die österreichische Bundesregierung hat auf diese Entwicklungen und Erkenntnisse reagiert. Mit 1. Dezember 2021 wird auch die Strafdrohung für solche Tätigkeiten erhöht. Statt bisher drei Jahren Freiheitsstrafe drohen nun für die Einrichtung, das Betreiben oder die Unterstützung eines geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil der Republik Österreich bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten. Behörden Spiegel: Wie schätzen Sie aktuell die Bedrohung aus dem Cyber-Raum ein? Nehammer: Die Cyber-Kriminalität ist generell stark im Steigen begriffen und mittlerweile einer der umsatzstärksten Zweige der Organisierten Kriminalität (OK). Kriminelle suchen sich Ziele aus, von denen sie annehmen, dass die Zahlungsbereitschaft hoch ist – etwa weil der Schaden durch einen Stillstand besonders groß ist. Unternehmen Kritischer Infrastruktur (KRITIS) sind besonders von Cyber-Angriffen betroffen. Wenn etwa Energieversorger, Krankenhäuser, Banken oder Lebensmittelhändler lahmgelegt werden, entsteht innerhalb kurzer Zeit ein enormer Schaden für die Bevölkerung. Behörden Spiegel: Was kann getan werden? Befinden wir uns im Cyber-Raum bereits in einem Kalten Krieg? Nehammer: Deswegen sind für mich Prävention und Vorbereitung das Wichtigste, um mit solchen Angriffen richtig umgehen zu können. Da braucht es nicht nur technische und organisatorische Maßnahmen. Wichtig ist vor allem die Bewusstseinsbildung vom Top-Management bis hin zum Mitarbeiter, der Mitarbeiterin. Die Welt wird zunehmend vernetzter und gegenseitige Abhängigkeiten steigen. Von einem Kalten Krieg würde ich nicht sprechen, aber die Gefahren durch die Cyber-Kriminalität sind enorm. Deshalb braucht es ein gemeinsames und entschlossenes Vorgehen auf europäischer Ebene.

Zukunftsfähige Sicherheitsüberprüfung Neuerung im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem PLX (BS/Gritt Bauschke*) In Berlin ist die Schnittstelle des PLX-Moduls mit Anbindung an das Fachverfahren “Sicherheitsüberprüfung” beim Bundeskriminalamt (BKA) zur Zuverlässigkeits- und Sicherheitsüberprüfung (ZSÜ) erfolgreich in Betrieb genommen worden. Im ZSÜ-Verfahren erfolgen Abfragen in verfügbaren Systemen beispielsweise zu Personen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Flughäfen und Kernkraftwerken eingesetzt werden sollen. Ziel solcher Abfragen ist es, eine Aussage über möglicherweise vorliegende Erkenntnisse zu Straftaten und laufenden Ermittlungen treffen zu können. Die Datenabfrage erfolgt über eine standardisierte Schnittstelle auf dem XPS-3-Server des BKA. Damit ist PLX das erste der vier designierten Interims-Vorgangsbearbei-

tungssysteme mit einer solchen Schnittstelle im Echtbetrieb. Dies ermöglicht nun auch einen automatisierten und medienbruchfreien Datenaustausch mit den Nachrichtendiensten. Die Vorteile sind eine schnellere Verarbeitung der Abfragen und tageszeitunabhängige Antworten. Die Neuerung stärkt die Zukunftsfähigkeit

der Sicherheitsüberprüfung und das polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem PLX schreitet dem Zielbild des Programms “Polizei 2020” sukzessive entgegen. *Gritt Bauschke ist Kriminalrätin bei der Polizei Berlin und leitet das Programm “Polizei 2020” für den Teilnehmer Berlin.


Länder

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ür die DVH 4.0 gilt: Nutzerinnen und Nutzer stehen im Mittelpunkt. Digitalisierung soll von diesen her gedacht werden und Nutzen schaffen. Daher müssen wir schon heute die Potenziale von morgen im Blick haben und die Weichen richtig stellen. Nur so können wir die Digitalisierung erfolgreich für unser Land gestalten. Wichtig hierbei: Die für die Verwaltung wichtigen Inhalte basieren auf einem gesetzlichen Auftrag, den es einzubinden gilt. Darüber hinaus geht es darum, wie die Agilität der Verwaltung gesteigert und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit als innovativer, zuverlässiger und immer ansprechbarer Partner für die Kundinnen und Kunden gestaltet werden kann. Denn eine zukunftsfähig aufgestellte Verwaltung ist nicht nur eine Möglichkeit, um den Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen und Organisationen einen modernen Service anbieten zu können, sondern auch Voraussetzung für das Erreichen der Ziele der Strategiefortschreibung.

Ambitionierte Zukunftsagenda Mit der von uns erarbeiteten und vom hessischen Kabinett verabschiedeten Strategie haben wir eine ambitionierte Zukunftsagenda für die hessische Verwaltung aufgestellt, in der auch einige neue Ansätze verfolgt werden. Denn bisher war es in der Verwaltung nicht üblich, Nutzenversprechen in den Mittelpunkt einer Strategie zu stellen. Auch in der Privatwirtschaft gängige Methoden haben bei der Definition der Strategie Einzug gehalten und sollen dies auch bei der Umsetzung und kontinuierlichen Fortschreibung. Unter anderem wurden die An-

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ie größte Herausforderung für den Aufbau eines nachhaltigen digitalen Pandemiemanagements ist die unvorhersehbare Dynamik des Pandemieverlaufs. Dies betrifft nicht nur die Entwicklung der Inzidenzen und Virusvarianten, sondern auch die Verfügbarkeit und Wirksamkeit von Maßnahmen der Pandemiebekämpfung wie Testzentren oder Impfstoffen, den Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Veränderungen des rechtlichen Rahmens.

Digitale Verwaltung Hessen 4.0 Patrick Burghardt stellt die Weiterentwicklung der Landesstrategie vor (BS/Patrick Burghardt) Online ein Produkt zu kaufen oder eine Eintrittskarte für eine Veranstaltung zu buchen, ist mittlerweile normal. Die Ab­ läufe sind modern, serviceorientiert und effizient. Ähnlich soll Verwaltungshandeln zukünftig gestaltet sein. Die Hessische Landesregierung hat mit der Strategie “Digitale Verwaltung Hessen 4.0” (DVH 4.0) einen Wegweiser veröffentlicht, wie die Verwaltungsdigitalisierung entscheidend vorangetrieben und die hessische Verwaltung innovativ weiterentwickelt werden kann und muss. Die DVH 4.0 ist Teil der Fortschreibung der Di­ gitalstrategie “Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist” und beschreibt speziell die für die Verwaltung notwendigen Digitalisierungsaspekte. forderungen an die Verwaltung neu überdacht und die Komplexität des Verwaltungshandelns transparent gemacht. Ziel ist es, die Anträge und die mit deren Verarbeitung zusammenhängenden Abläufe neu zu gestalten, damit Antragstellung und Antragsbearbeitung leichter handhabbar werden. Die Geschäftsprozesse sollen dabei übergreifend ausgerichtet und gleichzeitig von unnötigem Ballast befreit werden. Entscheidungswege gilt es zu verkürzen. Und die Arbeitsabläufe sind so darzustellen, dass jeder Beteiligte sie zu jeder Zeit als Gesamtbild aufrufen und Einzelheiten nachlesen kann. Dies macht sie im Ergebnis wesentlich transparenter und bietet außerdem die Grundlage dafür, den Prozessfortschritt der Antragsbearbeitung über Statusmeldungen sichtbar zu gestalten. Ebenso wird durch die Transparenz der Ablauf für die Beschäftigten der Verwaltung besser planbar und die Arbeitslast kann effektiver verteilt werden.

Drei wesentliche Prinzipien Daher werden im Wesentlichen drei Prinzipien verfolgt: In OneStop-Shops müssen Bürgerinnen und Bürger ihre Dienstleistungen an einem Ort digital anstoßen und dann nichts weiter tun, bis

der Verwaltungsprozess beendet ist. Der Gang “zum Amt” verlagert sich somit auf die heimische Couch – für alle, die das wollen. Dies könnte beispielsweise bei Adressänderungen greifen. In No-Stop-Shops werden Verwaltungsdienstleistungen sogar von der Behörde ausgeführt, ohne dass Bürgerinnen und Bürger sie in Gang setzen müssen. Gerade bei klar definierten Prozessen wie beispielsweise der Geburt eines Kindes könnten die Anträge für Geburtsurkunde und Kindergeld allein durch die Geburtsmeldung des Krankenhauses oder des Arztes erfolgen, ohne weiteres Zutun der Eltern. Um diese Elemente effizient umsetzen zu können, ist die Realisierung des Once-Only-Prinzips ein zentrales Element. Grundidee ist, dass Bürgerinnen und Bürger den Behörden bestimmte Informationen nur noch einmal mitteilen. Für künftige Interaktionen können die Informationen – mit Einverständnis der Antragstellenden – wiederverwendet und zwischen Behörden ausgetauscht werden. Doppelarbeit entfällt sowohl für Antragstellende als auch Verwaltung. Gleichzeitig verbessert sich die Qualität der zur Verfügung stehenden Daten. Dies sind keine neuen Prinzipien, aber erst die konsequente Anwendung aller drei Prinzipien sowie der Ein-

satz von Open Data ermöglichen künftig den Einsatz von hybrider Verwaltung. Durch die Verknüpfung von privatwirtschaftlicher Dienstleistung und Verwaltungsdienstleistung kann bei Interesse ein weiterer besonderer Mehrwert geschaffen werden: Bei einer Reisebuchung auf privaten Portalen könnte zum Beispiel die Gültigkeit des Reisepasses für das geplante Urlaubsziel überprüft werden. Neben den Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen profitieren auch die Beschäftigten von neuen Technologien und vereinfachten Abläufen. Attraktive Arbeitsbedingungen sind wichtig, um dem schon heute spürbaren Mangel an Fachkräften zu begegnen. Wir haben daher in der DVH 4.0 beschrieben, wie wir die Aus- und Weiterbildung moderner gestalten wollen: Durch eine sichtbare und aktive Gestaltung der digitalen Transformation kann es die Verwaltung schaffen, junge Talente zu gewinnen und alte Strukturen aufzubrechen. Dazu gehören ebenso flexible Arbeitsmodelle sowie mobiles, ortsunabhängiges Arbeiten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass wir in Hessen die Verwaltung in Zukunft so gestalten wollen, dass sich unsere Dienstleistungen nahtlos und vorausschauend in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen und Beschäftigten integrieren. Aber auch trotz des Ziels einer proaktiven Verwaltung, die rund

Patrick Burghardt ist Staatssekretär für Digitale Strategie und Entwicklung sowie CIO und Bevollmächtigter der hessischen Landesregierung für EGovernment und Informationstechnologie. Foto: BS/HMinD

um die Uhr an jedem Tag des Jahres zur Verfügung steht, wird es weiterhin die Möglichkeit der traditionellen Antragswege geben – samt persönlichem Besuch in einer Verwaltungsstelle. Darüber hinaus ist es selbstverständlich, dass Datenschutz, IT-Sicherheit sowie digitaler Teilhabe und Barrierefreiheit eine sehr hohe Bedeutung zukommt. Denn ebenso wie bei der Digitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche gilt für die Verwaltung, dass sie nur dann erfolgreich sein kann, wenn

Digitalisierung und Pandemie-Eindämmung in NRW Prozesse, digitale Werkzeuge und der Umgang mit einer unbekannten Dynamik (BS/Markus Bodemann/Katharina Glanert-Strauch*) Seit Herbst 2020 nutzt die NRW-Landesregierung verstärkt die Möglichkeiten der Digitali­ sierung, um bei einer angespannten pandemischen Lage die Auswirkungen einschränkender Vorgaben zu mildern. Dies wurde durch eine stärkere Einbeziehung des Digitalministeriums und des Landesbeauftragten für Informationstechnik (CIO) bei den Maßnahmen zur Pandemiebewältigung begleitet. Im Rahmen dieses kurzen Artikels ist es nicht möglich, einen Gesamtüberblick zu geben. Beispielhaft werden jedoch zwei Themen betrachtet, die in besonderer Weise den Weg von NRW beim digitalen Pandemiemanagement illustrieren: der Einsatz der Gateway-Lösung IRIS connect bei der digitalen Kontaktnachverfolgung und die Modellprojekte #digitalvscorona. tur zur digitalen Kontaktnachvollziehung (betriebene Apps, funktionierende Schnittstellen, Prozesse usw.) kann nicht in vergleichbarer Weise an- und ausgeschaltet werden. Damit die digitalen Werkzeuge der Pandemiebekämpfung bei einem Ernstfall funktionstüchtig zur Verfügung stehen, müssen sie dauerhaft gepflegt werden.

Digitale Kontaktnach­ verfolgung und IRIS connect Ein zentraler Schritt bei der reaktiven Pandemiebekämpfung war die Einführung der Pflicht zur Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit von Kontakten. Hierdurch sollten Personen, die tatsächlichen oder potenziellen Kontakt mit einer infizierten Person hatten, gewarnt und Infektionsketten durchbrochen werden. Einrichtungsbetreiber waren dazu aufgefordert, die persönlichen Daten ihrer Gäste zu erfassen, was oft auf Papier erfolgte (Stichwort: “Zettelwirtschaft”). Um die Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten zu beschleunigen, ließ die nordrhein-westfälische Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO) die digitale Rückverfolgbarkeit in weitem Umfang zu. Schon 2020 begannen vor diesem Hintergrund viele Tech-Start-Ups, Apps zur Kontaktnachverfolgung bereitzustellen. Während die meisten Bundesländer mit der Lizensierung eines einzigen digitalen Kontaktnachverfolgungssystems eine Einheitslösung favorisierten, wählte NRW den Weg der Anbieterpluralität. Das Land spricht sich nicht für oder gegen eine bestimmte Lösung aus, sondern überlässt diese Entscheidung den lokalen Akteuren mit ihren spezifischen Anforderungen. Somit kann

Behörden Spiegel / September 2021

Modellprojekte #digitalvscorona

Die größte Herausforderung für eine nachhaltige, digital gestützte Pandemiebekämpfung ist die Dynamik der pandemischen Entwicklung, welche sich nicht sicher vorhersehen lässt. Foto: BS/Pete Linforth, Pixabay

auch das vorhandene Potenzial der digitalen Community ausgeschöpft werden. Auf diesem Weg wird zudem sichergestellt, dass das eingesetzte System zur Einrichtung passt. Das wiederum verbessert die Datengrundlage für die Gesundheitsämter. Um trotz Gewährleistung der Anbieterpluralität zügige Datenabrufe durch die Gesundheitsämter zu ermöglichen, stellt NRW seit Mitte Juni die Gateway-Lösung IRIS connect zu Verfügung. Gesundheitsämter, die über einen Zugang zu IRIS connect verfügen, müssen nicht mehr gesonderte Abfragen bei den unterschiedlichen AppAnbietern stellen. Sie führen nur noch eine zentrale Abfrage über das Gateway durch und erhalten über einen sicheren Datenübermittlungsweg die

relevanten Informationen aller angebundenen Apps. Der Pandemieverlauf hat sich zwischenzeitlich positiv entwickelt. Die Zahl der Immunisierten steigt und schwere Krankheitsverläufe werden seltener. Die aktuelle Fassung der CoronaSchVO vom 17. August verzichtet daher auf die verpflichtende Kontaktdatenerfassung zur Rückverfolgung. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Bereitstellung der digitalen Infrastruktur-Komponente IRIS connect gegenstandslos geworden wäre. Rechtliche Regelungen lassen sich schnell an eine erneute Verschlechterung der pandemischen Lage anpassen. Der nächste “Federstrich des Gesetzgebers” kann die soeben aufgehobenen Vorschriften wieder einführen. Die Infrastruk-

Eine besondere Rolle spielt das Vorhaben der kommunalen Modellprojekte #digitalvscorona, welche im April 2021 vom Wirtschafts- und Digitalministerium, dem Gesundheitsministerium und der Staatskanzlei ausgewählt wurden. Ziel war es, das digital gestützte Pandemiemanagement auszubauen sowie die wissenschaftlichen Erkenntnisse über kontrollierte Öffnungsschritte im Rahmen der Corona-Pandemie zu verbessern. Auch in anderen Bundesländern gab es Modellvorhaben. In NRW kam der digitalen Unterstützung des Pandemiemanagements allerdings eine besondere Bedeutung zu. Es waren unterschiedliche Lösungen z. B. zur Kontaktnachvollziehung, für das Testmanagement und zum Nachweis des Gesundheitsstatus im Einsatz. Auch ganz neue Tools wie der Einsatz von tragbaren Geräten zur Abstandskontrolle bei Großveranstaltungen oder Raumluftgütesensoren wurden erprobt. Die Pilotprojekte waren dabei auf ganz NRW verteilt und hatten eigene Schwerpunkte (z. B. Kultur, Sport, Open-Air-

Veranstaltungen, Innenstadtöffnungen). Auch bei den Modellprojekten zeigte sich – trotz aller erreichten Erfolge – die Abhängigkeit von der unvorhersehbaren, dynamischen Pandemieentwicklung. Modellprojekte waren nur zulässig, wenn zum Projektstart die sieben-Tage-Inzidenz stabil unter 100 lag. Die hohen Inzidenzwerte im April und Anfang Mai verzögerten den Beginn vieler Projekte. Ab Mitte Mai entwickelte sich das Infektionsgeschehen in NRW hingegen sehr positiv: Angepasste Fassungen der CoronaSchVO ließen Lockerungen in einem Umfang zu, der z. T. weitreichender war als die über die Modellprojekte geplanten Öffnungsschritte. Der Fokus der Initiative verschob sich daher weg von den konkreten Öffnungsprojekten hinzu einem intensiven Austausch zwischen Land, Kommunen und digitaler Community über die Werkzeuge eines digitalen Pandemiemanagements. Hierfür wurde z. B. im Rahmen der Modellprojekte ein Roundtable eingeführt, der sich seitdem regelmäßig trifft.

Fazit und Ausblick Die größte Herausforderung für eine nachhaltige, digital gestützte Pandemiebekämpfung ist die Dynamik der pandemischen Entwicklung, welche sich nicht sicher vorhersehen lässt. Die Ini­tiativen aus NRW zeigen aber, wie auf diesen Umstand reagiert werden kann. Die Maßnahmen zum Aufbau des digitalen Pandemiemanage-

es eine entsprechende Akzeptanz bei allen Beteiligten gibt. Weil die Digitalisierung ein äußerst dynamisches Feld ist, das sich durch den hohen Grad an In­novationen stetig verändert, werden die DVH 4.0 sowie die Gesamt­ strategie “Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist” kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei wird stets der Ansatz verfolgt, der auch bei der Erarbeitung der nun vorliegenden Strategie verfolgt wurde: alle Beteiligten einzubinden. Denn Digitalisierung findet nicht nur in der Cloud oder auf den Bildschirmen unserer Computer oder mobilen Endgeräte statt, sondern Digitalisierung ist etwas, was wir zusammen tun, wovon wir alle einen Mehrwert haben wollen und sollen. Mit der Strategie “Digitale Verwaltung Hessen 4.0” sind wir auf dem besten Weg, die Erwartungen an eine einfachere Verwaltung zu erfüllen, deren Arbeit jeder nachvollziehen und bei der jeder für sich die optimalen Kontaktmöglichkeiten auswählen kann. Das Zusammenbringen von erprobtem Verwaltungshandeln mit den Fortschritten der Digitalisierung wird die Verwaltung auf ein neues Niveau heben.

Mehr zum Thema Die komplette DVH 4.0 ist zu finden unter digitales.hessen.de/cio/digitale-­ verwaltung-hessen-40. Weitere Informationen und die Gesamtstrategie “Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist” gibt es unter www.digitale-zukunft-hessen.de.

ments sind neu zu verorten. Die Bemühungen sollten sich auf eine allgemeine, nachhaltige “digitale Pandemie- oder Epidemievorsorge” richten. Unabhängig von dem konkreten Erreger oder einer tagesaktuellen Inzidenzentwicklung sollten zentrale digitale Infrastrukturen aufgebaut und vorgehalten werden. Genauso, wie der Katastrophenschutz vor und nicht während der Katastrophe aufgebaut wird, sollten die digitalen Tools der Pandemie- oder Epidemievorsorge für den Notfall vorliegen. Wichtiger als zeitgebundene Einzelmaßnahmen ist eine langfristige Vernetzung der beteiligten Akteure zum Erfahrungsaustausch und zur Erkenntnisgewinnung. Hier ist nicht nur der genannte Roundtable ein Beispiel. Unter Federführung des CIOs ist zudem ein Think-Tank zum digitalen Pandemiemanagement aufgebaut worden. Diese “Denkfabrik”, bestehend aus Experten und Expertinnen aus verschiedenen Lebensbereichen, soll die Prozesse und die Werkzeuge zur Datengewinnung und -analyse für eine zukünftige digitale Epidemie-/Pandemievorsorge vordenken. Für die Antwort auf die He­ rausforderungen, die sich aus dynamischen Epidemie- oder Pandemieentwicklungen ergeben, sollte NRW nicht auf die EU oder den Bund warten, sondern selbst die entscheidenden Impulse setzen. Vorsorge und Vernetzung sind hierfür die Voraussetzung. *Markus Bodemann ist Referent beim Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie in der Abteilung des CIOs. Katharina Glanert-Strauch ist Referentin bei IT.NRW – Statistisches Landesamt NordrheinWestfalen. Der Beitrag stellt die persönliche Meinung der Autoren dar und ist nicht dienstlich veranlasst.


Finanzen

Behörden Spiegel / September 2021

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Sachsen: Finanzschulden verdreifacht

Subventionen auf 47 Milliarden verdoppelt

Rechnungshof warnt vor “Ewigkeitsschulden”

Bundesregierung legt Bericht vor

(BS/lkm) Anfang September hat der Sächsische Rechnungshof (SRH) seinen Jahresbericht 2021 veröffent- (BS/lkm) Das Bundeskabinett hat im August den 28. Subventionsbericht der Bundesregierung für die Jahre licht. Die Prüfer befassen sich darin schwerpunktmäßig mit den finanziellen Folgen der Maßnahmen zur 2019 bis 2022 beschlossen. Das Volumen der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes steigt Bewältigung der Corona-Krise. Rechnungshofpräsident Prof. Dr. Karl-Heinz Binus beobachtet die Haushalts- demnach von 24,6 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 47,2 Mrd. Euro im Jahr 2022. lage im Freistaat mit Besorgnis. Die Covid-19-Pandemie beeinflusst die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen weiterhin sehr stark. Bedingt durch zurückgehende Steuereinnahmen und zusätzlichen Finanzbedarf musste der Freistaat zusätzliche Liquidität über Kreditaufnahmen beschaffen. Durch die Aufnahme von Krediten im Rahmen des Sondervermögens “Corona-Bewältigungsfonds Sachsen” werden die Finanzschulden des Landes laut Rechnungshof gegenüber 2019 voraussichtlich auf mehr als das Dreifache steigen. “Der sächsische Landeshaushalt befindet sich in einer angespannten Lage”, so Binus. Die Schulden des Freistaates stiegen den Prüfern zufolge von 2,8 Mrd. auf 5,5 Mrd. Euro im Jahr 2020. Insgesamt seien die Finanzschulden je Einwohner in Sachsen im Haushaltsjahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um über 97 Prozent angestiegen.

Nicht generationenegerecht Der Landesrechnungshof vermisst im Doppelhaushalt 2021/2022 Maßnahmen zur Begrenzung der Neuverschuldung. Die Staatsschulden seien, so Binus besonders im Hinblick auf künftige Generationen bedenklich: “Alle Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, die sächsischen Staatsfinanzen auf tragfähigem Boden zu halten. Dies ist nach unserer Auffassung nur zu erreichen, wenn alle Haushaltsansätze hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Dringlichkeit hinterfragt und alle finanziellen Potenziale des Haushaltes sofort

genutzt werden. Ein kreditfinanzierter Haushaltsausgleich 2021 und 2022 ohne gleichzeitige Einsparanstrengungen in allen Gliederungen und Bestandteilen ist nicht mehr generationengerecht.” Kritisch sieht der Präsident des Rechnungshofs auch den Rückgang der Investitionsquote: “Wir sehen es als vorrangig an, mit den Einnahmen des Landes die landeseigenen Gebäude und Straßen sowie weitere Vermögensgegenstände zu erhalten und den Bestand auszubauen. Das Aufschieben nötiger investiver Maßnahmen bedeutet das Entstehen von Haushaltsvorbelastungen. Diese verstärken sich häufig im Zeitablauf und können im schlimmsten Fall zum Funktionsverlust von Teilen der Infrastruktur führen. Nachhaltigkeit staatlicher Finanzwirtschaft erfordert daher, die Mittel für Investitionen zeitgerecht und in ausreichendem Umfang zu veranschlagen und einzusetzen.”

Diskussion um Schuldenbremse entbrannt Die Schuldenbremse setzt dem Freistaat bei der Aufnahme neuer Schulden durchaus Grenzen und verpflichtet es zudem, Tilgungsfristen von acht Jahren einzuhalten. In der schwarzgrün-roten Koalition herrscht aktuell große Uneinigkeit bei der Schuldenbremse. Die CDU will an der Schuldenbremse festhalten. Die Grünen hingegen wollen die Verfassung ändern und eine antizyklisch wirkende, dynamische Schuldenbremse schaffen. Für einen Corona-Notkredit soll der

Tilgungszeitraum auf bis zu 30 Jahre erweitert werden. Laut der Linken bedeuten die aktuellen Tilgungsregeln, dass der Freistaat, 2023 beginnend, sämtliche Kredite bis 2028 zurückzahlen muss. Die Folge wäre eine zusätzliche Belastung durch die jährliche Tilgung. Die Funktionsfähigkeit der Verwaltung sei damit infrage gestellt und Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich seien unausweichlich. Die Linke plädiert daher gänzlich für eine Abschaffung der Schuldenbremse. Rechnungshof-Präsident Binus sieht eine Verlängerung der Tilgungsfrist sehr kritisch: “Wir treten den Bestrebungen zur Verlängerung des Tilgungszeitraumes entschieden entgegen. Die geltende Regelung sieht aus unserer Sicht eine angemessene Konsolidierungsverpflichtung vor.” Der Landeshaushalt sei grundsätzlich leistungsfähig genug, um die sich ergebenden Rückzahlungsverpflichtungen zu meistern. Die Vorhersagen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland würden gegenwärtig für eine Erholung sprechen, an der auch die öffentlichen Haushalte teilhaben würden. “Bei einer Streckung über mehrere Jahrzehnte drohen Ewigkeitsschulden”, warnte Binus. Es gehe nicht um eine Tilgungs-, sondern um eine Schuldenfalle. “Keiner weiß, wann die nächste Krise kommt – und die letzte war nur deshalb zu bewältigen, weil der Haushalt des Freistaates Sachsen nicht mit hohen Finanzschulden vorbelastet war”, so Binus.

Steuerzinsen verfassungswidrig Neuregelung bis 2022 notwendig (BS/lkm) Die Verzinsung von Steuererstattungen und Steuernachzahlungen in Höhe von sechs Prozent pro Jahr stand mit der Fortdauer der Niedrigzinsphase zunehmend in der Kritik. Vor Kurzem hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die hohen Steuerzinsen von sechs Prozent im Jahr angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase seit 2014 verfassungswidrig sind. Das Urteil gilt für Zinsen auf Steuernachzahlungen und auf -erstattungen. Das Gericht ordnete eine rückwirkende Korrektur an, die alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 betrifft. Einige Länder, wie Bayern und Hessen, hatten sich in der Vergangenheit schon für eine Senkung der Zinsen eingesetzt. So hatte Hessen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, der eine Halbierung der Finanzamtszinsen von sechs auf drei Prozent vorsah. Der Entwurf erreichte jedoch keine Mehrheit im Bundesrat. Auch Bayern hatte wiederholt, zuletzt mit einer Bundesratsinitiative im September 2018, auf eine deutliche Reduzierung gedrängt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte in der Vergangenheit ebenso Zweifel geäußert, ob der Zinssatz noch mit der Verfassung vereinbar sei. “Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung”, so der BFH. Für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 bestünden “schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel”, kritisierte der BFH schon 2018. Bis zum 31. Juli 2022 muss laut Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung für die Vollverzinsung getroffen werden. Das Bundesfinanzministerium hat angekündigt, zusammen mit den obersten Finanzbehörden der

Länder zügig die Vorbereitungen zu treffen, um die Entscheidung des Verfassungsgerichts umzusetzen. “In Zeiten niedriger Zinsen ist solch eine hohe Belastung nicht gerecht”, stellte sich Hessens Finanzminister Michael Boddenberg hinter das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Seit Einführung des § 233a der Abgabenordnung im Jahr 1990 wurde an der Höhe des Zinssatzes nichts geändert. “Die bundesgesetzliche Zinsregelung stammt aus grauer Vorzeit und ist angesichts des anhaltenden Niedrigzinsniveaus bereits seit Langem völlig realitätsfern”., sagte Bayerns Finanz- und Heimatminister Albert Füracker. Auch in Thüringen begrüßt man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. “Unsere Steuerverwaltung braucht einen verlässlichen Rechtsrahmen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schafft endlich Klarheit. Das begrüße ich”, erklärte die Thüringer Finanzministerin Heike Taubert. Die Thüringer Finanzämter – aber auch die Finanzämter der anderen Bundesländer – haben aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2018 bereits zurückhaltend agiert und entsprechend betroffene Steuerforderungen als vorläufig festgesetzt. Taubert fordert, nun zügig eine Neuregelung auf den Weg zu bringen. Ob dem Staat durch das Urteil Zinseinnahmen entgehen werden, kann nicht eindeutig

gesagt werden. In der Vergangenheit waren die hohen Zinsen unterm Strich für den Staat ein Gewinngeschäft. Aus einer Kleinen Anfrage der FDP an die Bundesregierung geht hervor, dass die Einnahmen aus den Nachzahlungszinsen in den Jahren 2010 bis 2018 immer über der Summe der Zinsen lagen, die auf Erstattungen gezahlt werden mussten. Teilweise habe die Differenz mehr als eine Milliarde Euro ausgemacht. 2019 zahlte der Bund jedoch rund eine halbe Milliarde Euro mehr, als er an Nachzahlungszinsen einnahm. Auch 2020 lagen die Zinseinnahmen rund 350 Mio. Euro unter den Zinsausgaben.

MELDUNG

Besser durch die Krise (BS) Laut einer Konjunkturanalyse der Unternehmensdatenbank HitHorizons sind die neuen Bundesländer besser durch die Corona-Krise gekommen als die alten Bundesländer. Während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Ländern wie Bremen und dem Saarland um mehr als fünf Prozent eingebrochen sei, sei die wirtschaftliche Leistung in Brandenburg und MecklenburgVorpommern nur um knapp ein Prozent zurückgegangen. Den geringsten wirtschaftlichen Verlust habe die Krise dem Land Brandenburg gebracht. Die wirtschaftliche Leistung sei dort nur um 1,15 Prozent gesunken.

Zu den neu eingeführten Finanzhilfen gehören die Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude sowie die Zuschüsse für die Anschaffung von Nutzfahrzeugen und Bussen mit klimaschonenden Antrieben. Foto: BS/Nattanan Kanchanaprat, Pixabay.com

Maßgeblich für den Anstieg seien vor allem die Finanzhilfen zum Klimaschutz. Insgesamt werden zwei Drittel des Volumens der Finanzhilfen für klima- und umweltfreundliche Maßnahmen bereitgestellt. Die bedeutendsten neu eingeführten Finanzhilfen sind die Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude sowie die Zuschüsse für die Anschaffung von Nutzfahrzeugen und Bussen mit klimaschonenden Antrieben. Außerdem wurden die Zuschüsse zum Kauf elektrisch betriebener Fahrzeuge und zur Errichtung von Ladeinfrastruktur erhöht. Die auf den Bund entfallenden Steuervergünstigungen steigen von 16,3 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 19,6 Mrd. Euro im Jahr 2022. Hier wirkten sich unter anderem die erhöhte Inanspruchnahme der steuerlichen Begünstigung von Elektro- und extern aufladbaren Hybridelektrofahrzeugen und der bis Ende 2022 befristet eingeführte ermäßigte Umsatzsteuersatz auf Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen aus. Diese Maßnahme trage auch zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bei. Neben dem Schwerpunkt auf Klima- und Umweltschutz will die Bundesregierung mit ihren Subventionen die Zukunfts- und Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken und den sozialen Ausgleich fördern. So liegen weitere zentrale Förderschwerpunkte in den Bereichen Digitalisierung und Wohnungsbau. Forschung und Entwicklung werden durch Einführung einer steuerlichen Forschungszulage mit zusätzlich einer Milliarde Mrd.

Euro im Jahr 2022 gefördert. Im Bereich Digitalisierung werden die Mittel für den Ausbau von Breitband- und Gigabitnetzen und für eine flächendeckende Mobilfunkversorgung von 285 Mio. Euro im Jahr 2019 auf geplante 1,58 Mrd. Euro im Jahr 2022 angehoben. Auch die Subventionen für das Wohnungswesen steigen im Berichtszeitraum deutlich von 2,8 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf voraussichtlich 8,3 Mrd. Euro im Jahr 2022. Maßgeblich hierfür sei eine erhebliche Aufstockung der Förderung von Maßnahmen der Energieeffizienz und Erneuerbarer Energie im Gebäudebereich und der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau.

Subventionsbremse gefordert Der Bund der Steuerzahler (BdSt) kritisiert den hohen Anstieg der Subventionen. Er fordert eine verbindliche Subventionsbremse. “Hier wird nicht nach ökonomischen Maßstäben gefördert, sondern nach dem Wünschdir-was-Prinzip”, kritisiert BdStPräsident Reiner Holznagel. Inakzeptabel sei vor allem, dass sich die Regierung nicht an ihre eigenen, im Jahr 2015 beschlossenen “subventionspolitischen Leitlinien” halte. Diese Kriterien zur Begrenzung und Kontrolle von Subventionen sollen vor allem ein unkontrolliertes Anschwellen der Staatshilfen verhindern. Doch bereits seit ihrer Einführung würden die Ministerien das Gegenteil praktizieren, indem SubventionsGrundsätze missachtet würden – zum Beispiel durch fehlende Befristungen, schwer messbare Ziele, mangelnde degressive Ausgestaltung oder einfach dadurch,

dass neue Subventionen nicht durch Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt gegenfinanziert würden. Seit 2016 nahmen laut BdSt die Subventionstatbestände von 163 auf 234 zu. Treiber seien vor allem die direkten Finanzhilfen des Bundes – ihre Anzahl habe sich von 63 auf 128 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig würden zahlreiche Subventionsbremsen fehlen. Nur jede zehnte Finanzhilfe sei zeitlich befristet. Bei den Steuervergünstigungen sehe es noch schlimmer aus – hier finde sich keine einzige Steuersubvention, die befristet und degressiv zugleich sei. Der Bund betont hingegen, dass die Subventionspolitik der Bundesregierung von dem Grundsatz ausgehe, dass Subventionen als Anpassungshilfen nur befristet und übergangsweise gewährt werden sollten. Dem trügen auch die neu beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen Rechnung. So sollen mit den Subventionen zunächst Anreize für klimafreundliches Verhalten und Investitionen gesetzt werden, die mit der Zeit aber durch klare Regeln flankiert und teilweise abgelöst werden sollen. Nichtdestotrotz fordert der Bund der Steuerzahler klare und transparente Subventionsprinzipien, die verpflichtend sind. “Die Corona-Pandemie stellt den Bundesetat über viele Jahre hinweg vor große Herausforderungen – deshalb erwarten wir als Bund der Steuerzahler, dass auch die hohen Subventionsausgaben Bestandteil einer Konsolidierungsstrategie werden”, so Holznagel.

Land Berlin: Jahresabschluss besser als geplant Finanzierungsdefizit wird leicht abgebaut (BS/lkm) Das Land Berlin wird das laufende Haushaltsjahr mit deutlich höheren Einnahmen und höheren Ausgaben abschließen. Das veranschlagte Finanzierungsdefizit für 2021 werde insgesamt um knapp 0,8 Mrd. Euro gegenüber den geplanten Ansätzen abgebaut. Es beträgt demnach voraussichtlich rund 2,9 Mrd. Euro. Das geht aus dem aktuellen Statusbericht hervor, den der Senat im August beschlossen hat. Nach der diesjährigen außerordentlichen Steuerschätzung vom Mai und der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung vom April zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung liegt die deutsche Volkswirtschaft zunehmend auf Erholungskurs. Umfang und Schnelligkeit dieser Erholung unterliegen dabei aber − abhängig vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie − erheblichen Unsicherheiten. Mit Blick auf das Finanzierungsdefizit dürfe die Verbesserung jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pandemie den Berliner Haushalt nach wie vor besonders belaste. Auf der Einnahmenseite werden bessere Steuereinnahmen erwartet (+712 Mio. Euro). “Der relativ robuste Aufschwung hilft”, so Berlins Finanzsenator

Dr. Matthias Kollatz. Das Sofortprogramm “Aufholen nach Corona” im Bildungsbereich sowie weitere Kompensationen des Bundes an die Länder zeigten positive Wirkun. Im Ergebnis würden die bereinigten Einnahmen somit die geplanten Ansätze um über 4,1 Mrd. Euro überschreiten. Allerdings lägen die bereinigten Ausgaben ebenfalls über den ursprünglichen Ansätzen für das Haushaltsjahr 2021. Die Überschreitung auf der Ausgabenseite belaufe sich auf knapp 3,4 Mrd. Euro. Die Ausgaben für Investitionen (minus 31 Mio. Euro) und für Zinsen (minus 40 Mio. Euro) lägen dabei zwar geringfügig unter den Planwerten. Die Einsparungen würden allerdings durch deutlich höhere konsum-

tive Sachausgaben (plus 3,326 Mrd. Euro), insbesondere bei Corona-Maßnahmen und -Hilfen, überkompensiert. Dr. Kollatz: “Die Zahlen zeigen, dass die Kreditaufnahmen und die Bildung der Pandemierücklage im vergangenen Haushaltsjahr notwendig waren. Beides versetzt uns in die Lage, effektiv vorzugehen und die negativen Auswirkungen der Pandemie erfolgreich einzudämmen. Besonders wichtig ist, dass wir die Kontinuität der Haushaltspolitik wahren, erst recht in diesen schwierigen Zeiten. Dass die Vorhaben, die bereits begonnen wurden und geplant waren, weitergeführt werden können, ist ein Erfolg. Weder gab es eine Spirale nach unten noch waren dramatische Einschnitte erforderlich.”


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 10

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Behörden Spiegel / September 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Eine Analyse zu elektronischen Marktplätzen (BS/Prof. Dr. Michael Eßig/PD Dr. Andreas H. Glas*) In der öffentlichen Beschaffung sind elektronische Marktplatz- und weitere Beschaffungskonzepte sehr wenig etabliert. In einer von Statista.de veröffentlichten Studie gilt Amazon als wertvollste Marke der Welt und rangiert sogar leicht vor Apple. Dies liegt sicherlich daran, dass fast jeder – zumindest im privaten Bereich – bereits auf elektronischen Marktplätzen und vermutlich sogar beim Branchenprimus Amazon eingekauft hat. In der öffentlichen Beschaffung sind elektronische Marktplatzkonzepte auch bekannt und in Teilen bereits etabliert, wie beispielsweise das Kaufhaus des Bundes. Gleichwohl ist die Frage, ob und wie sie unter den Rahmenbedingungen des Vergaberechts genutzt werden können und dürfen, für viele Vergabestellen noch unklar.

Die Rolle von elektronischen Marktplätzen ist vergaberechtlich nicht eindeutig. Damit öffentliche Auftraggeber dieses Instrument nutzen können, ist eine passgenaue Ausgestaltung, wie bei einem Puzzle, nötig. Foto: BS/Alexas Fotos, pixabay

Eine explorative Erhebung ausgewählter Fallstudien bei öffentlichen Auftraggebern, welche die Universität der Bundeswehr München durchgeführt hat, hat ergeben, dass die Ursachen für die (Nicht-)Nutzung elektronischer Marktplätze durchaus vielschichtig sind. Tatsächlich hat die Mehrheit der analysierten Auftraggeber bereits Erfahrungen mit elektronischen Marktplätzen gesammelt – allerdings in nicht unerheblicher Anzahl in erster Line mit elektronischen Verkaufsplattformen (Webshops), welche letztlich nur einen modifizierten Vertriebsweg etablierter Anbieter darstellen.

Mehr als nur ein weiterer Vertriebsweg Die Kernidee des Marktplatzes geht jedoch darüber hinaus. Als wesentliche Vorteile und Chancen der Nutzung elek­ tronischer Marktplätze gelten gemäß der Erhebung in erster Linie die Steigerung der Wirtschaftlichkeit durch erleichterte Produktsuchen (Erhöhung der Transparenz und Senkung der Transaktionskosten), was mithin gerade bei geringwertigeren Produkten im Falle des Direktauftrags insbesondere die deutlich verbesserte Prozesswirtschaftlichkeit betrifft. Technische Aspekte oder Schwierigkeiten spielen erstaunlicherweise keine Rolle, offensichtlich besitzen die elektronischen Systeme heute bereits einen hohen Reifegrad. Gleichzeitig kennen viele Nutzer diese Form der Beschaffung aus dem privaten Umfeld, weshalb technische (Schulungs-)Aspekte nicht unter-, aber eben auch nicht überschätzt werden dürfen. Größere Schwierigkeiten sehen die öffentlichen Auftraggeber eher in der unklaren Rolle des elektronischen Marktplatzes: Ist es eine Verkaufsplattform oder eine Art Ausschreibungssystem und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Rolle als ­Nebenbeschaffungstätigkeit? Für die Frage, was bei der Nutzung elektronischer Marktplätze nun eigentlich Leistungsinhalt und damit Ausschreibungsgegenstand ist, bleibt die unklare Rolle aus Sicht öffentlicher Auftraggeber offen. Um sie beantworten zu können, lohnt ein vertiefter Blick auf elektronische Marktplätze und ihre Systematisierung. Der Begriff der elektronischen Marktplätze wurde Anfang der 1990er-Jahre zur Zeit des ersten E-Commerce-Hypes geprägt und stand für ein (webbasiertes) elektronisches System, das Anbieter und Nachfrager mit ihren Preis- und Leistungsinformati-

onen verbindet. Im Mittelpunkt steht dabei eine Vermittlungstätigkeit zwischen beiden Marktseiten, die ganz unterschiedlich ausgestaltet werden kann. Das Vergaberecht konzentriert sich traditionell auf Wirtschaftsteilnehmer (Unternehmen, welche am Markt Leistungen anbieten), Bewerber (Unternehmen, welche sich selbst aktiv um Teilnahme an einem Auftrag bewerben oder hierzu aufgefordert werden) und Bieter (Unternehmen, welche ein Angebot abgegeben haben) auf der Angebotsseite und auf die Rolle des öffentlichen Auftraggebers. Elektronischer Marktplatz oder (Angebots-)Vermittler sind keine Begrifflichkeiten der öffentlichen Auftragsvergabe. Es gibt lediglich den Begriff der Nebenbeschaffungstätigkeit, welche unter anderem die Bereitstellung technischer Infrastruktur umfasst, die es öffentlichen Auftraggebern ermöglicht, öffentliche Aufträge zu vergeben oder das Verfahren zu verwalten. Versteht man die Vermittlungstätigkeit des E-Marktplatzes in diesem Sinne, würde es sich somit um eine Nebenbeschaffungstätigkeit handeln. In der Folge wird diese Nebenbeschaffungstätigkeit selbst relativ unverbindlich beziehungsweise nicht explizit reguliert: So heißt es im Erwägungsgrund 70 zur Richtlinie 2014/24/EU, dass Nebenbeschaffungstätigkeiten im Einklang mit der Richtlinie (also reguliert) vergeben werden sollten. Erfolgt die Erbringung der Nebenbeschaffungstätigkeit für den Auftraggeber unentgeltlich – was bei E-Marktplätzen häufig der Fall ist, da lediglich der Verkäufer eine Verkaufsprovision bezahlen muss –, so wäre die Regulierung prinzipiell nicht anzuwenden (vgl. Europäisches Parlament/Europäischer Rat 2014 S. L 94/77).

Bieter- und auftraggebernah Betrachtet man im nächsten Schritt die Ausgestaltung der elektronischen Marktplätze näher, dann kommt erschwerend hinzu, dass das Vermittlungsmodell unterschiedliche Ausprägungen in der Praxis haben kann: Einerseits sind die Vermittler strukturell eher nahe der Bieter-/ Bewerberseite, andererseits nahe der Auftraggeberseite. So bietet beispielsweise Amazon Business nicht nur die Vermittlung dritter Anbieter auf seiner Plattform an, sondern verkauft auch im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Das Kaufhaus des Bundes wiederum wird vom Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums betrieben und ist daher eher auftraggebernah. Gleichzeitig ist der inhaltliche Vermittlungsfokus

unterschiedlich: Bietet der elektronische Marktplatz die Durchführung eines Vergabeverfahrens (in vollem Umfang oder teilweise) an oder dient er lediglich der Abwicklung oder des Abrufs einer Bestellung? Im Kaufhaus des Bundes etwa kann aus Rahmenvereinbarungen abgerufen werden (auftraggebernahe Bestellplattform). Die Durchführung des Vergabeverfahrens zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung läuft aber vorab nach einer Veröffentlichung auf bund.de (Vergabeplattform, die aber nur den Veröffentlichungsschritt abdeckt), die Durchführung des Verfahrens selbst über e-Vergabe-online, gegebenenfalls basierend auf einer Vergabe-Software. Plattformen wie TED (Tenders Electronic Daily) oder bund.de stellen mit ihren Vergabeveröffentlichungen ebenfalls eine Vermittlungsleistung zur Verfügung – aber eben nur den Teil des Vergabeverfahrens, der die Veröffentlichungspflichten betrifft.

Vielschichtige Thematik Zusammenfassend kann man also festhalten, dass die Thematik “Elektronischer Marktplatz und öffentliche Beschaffung” durchaus vielschichtig ist. Schon heute ist es möglich, im Rahmen des Direktauftrags auf Webshops und Online-Händler, also auch auf elektronische Marktplätze, zuzugreifen. Oberhalb des Direktauftrags dagegen ist die Situation äußerst heterogen, da sich die verfügbaren Vermittlermodelle wie auch deren inhaltliche Ausgestaltung stark unterscheiden. Als Endverbraucher schätzt man es sehr, rasch und einfach auf elektronische Marktplätze mit ihren Funktionalitäten zugreifen zu können. Man nimmt oftmals auch keinen Anstoß daran, dass Treffer auf die Produktsuche in einer bestimmten Form gelistet und präsentiert werden. Öffentliche Auftraggeber sind hier sicherlich sensitiver, insbesondere wenn die Rolle des Anbieters (Vermittler oder Verkäufer) nicht klar ist. Aus diesem Grund sind die bestehenden Funktionalitäten elektronischer Marktplätze mit kommerziellen Lösungen nicht komplett vergleichbar. Damit ist das aber auch ein Themengebiet, welches in der Ausgestaltung und Regulierung im Sinne der Governance eine Konkretisierung benötigt, damit öffentliche Auftraggeber das Instrument eines elektronischen Marktplatzes künftig passgenauer nutzen können. *Prof. Dr. Michael Eßig und PD Dr. Andreas Glas sind an der Universität der Bundeswehr München im Arbeitsgebiet Beschaffung tätig.

► NACHUNTERNEHMER

Verfehlung verschwiegen Austausch muss möglich sein Die Eignung des Bieters steht und fällt gegebenenfalls mit der Eignung seines Nachunternehmers. Stellt sich heraus, dass gegen Letzteren ein Ausschlussgrund vorliegt, darf er nicht eingesetzt werden. Was aber, wenn der Bieter selbst vom Nachunternehmer über die Eignung getäuscht wurde? Ein solcher Fall aus Italien beschäftigte den Europäschen Gerichtshof. Dort hatte der Nachunternehmer eine Verurteilung aufgrund einer schweren Verfehlung verschwiegen, was für den Auftraggeber aus einem Register ersichtlich war, nicht aber für den Bieter, der auf dieses Register keinen Zugriff hatte. Italienisches Recht sieht für diesen Fall ausnahmslos den Ausschluss des Angebotes vor. Der EuGH zeigt den Weg auf, wie mit einem solchen Fall umzugehen ist. Ein unmittelbarer Ausschluss des Angebotes wäre unverhältnismäßig, nicht durch die Vergabekoordinierungsrichtlinie gedeckt und könnte daher auch nicht durch eine entsprechende Festlegung in den Vergabeunterlagen gerechtfertigt werden. Zunächst muss dem Nachunternehmer vielmehr die Gelegenheit gegeben werden, erfolgte Selbstreinigungsmaßnahmen darzulegen, aufgrund derer er eine Angabe der Verfehlung für nicht mehr erforderlich hielt. Scheitert dies, muss der Bieter die Möglichkeit erhalten, diesen Nachunternehmer zu ersetzen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass das Angebot dabei nicht geändert werden darf. Erst wenn auch dieser Ausweg erfolglos bleibt, kann das Angebot des Bieters ausgeschlossen werden. EuGH (Urt. v. 03.06.2021, Rs. C-210/20)

► AUSFÜHRUNGSFRIST

Schädliche Verlängerung Förderung kann entfallen Der Auftraggeber hatte eine EUgeförderte Bergbausanierung in Auftrag geben wollen. Dafür schrieb er die Leistungen im zweistufigen Verfahren aus. In der Bekanntmachung vom 17. Juli nannte er als Beginn der Ausführung den 6. August. Die kurze Frist hielt er für problemlos, denn der verständige Bieter wisse ja, dass bei EU-Projekten die Ausführungsfristen wegen der Dauer der Bearbeitung der Förderanträge ohnehin immer verschoben werden müssten. In der zweiten Stufe verschob er den Ausführungsbeginn um sechs Wochen. Damit wuchs die Vorbereitungszeit zwischen dem geplanten Zuschlagstermin und dem Baubeginn von einer auf sieben Wochen. Dies nimmt der Fördermittelgeber zum Anlass, seinen Förderbescheid zu widerrufen. Diese Entscheidung bestätigt das Oberverwaltungsgericht. Die Prüfung des Verfahrens hatte nämlich ergeben, dass viele Bewerber gar kein Angebot abgegeben hatten, vielfach mit der Begründung, sie seien bereits ausgelastet. Hier setzt der Widerruf zu Recht an: Es ist nicht auszuschließen, dass es gerade die extrem kurze Ausführungsfrist war, die den Markt deutlich verengt hat. Die Fähigkeit, in einer so kurzen Frist mit der Leistung zu beginnen, stellt eine Eignungsanforderung in der ersten Stufe dar.

Die Verlängerung der Frist auf den siebenfachen Zeitraum ändert diese Eignungsanforderung erheblich. Die ursprüngliche Eignungsprüfung war nicht mehr verwendbar. Die Vergabe hätte mit verlängerter Frist erneut bekannt gemacht werden müssen. OVG Sachsen-Anhalt (Beschl. v. 23.03.2021, Az.: 1 L 45/19)

► ALARMSYSTEM

Abgetrennte Masten Gesamtvergabe nicht ­grenzenlos Zumeist wird das Fehlen einer Aufteilung in Fachlose ja von solchen Interessenten angegriffen, die einen Teil vom Kuchen abhaben wollen, sich mangels Losaufteilung aber nicht darum bewerben können. Es geht auch umgekehrt: Hier gab es einen Bieter, der zwar ein komplettes Alarmierungssystem feilbieten konnte, jedoch keine Kompetenz dafür besaß, die erforderlichen Antennenmasten aufzustellen und mit Blitzschutzeinrichtungen zu versehen. Er sah sich daran gehindert, auf den Gesamtauftrag zu bieten, wenn er diese Bauarbeiten mit anbieten muss. Er hätte zwar dafür einen Nachunternehmer einsetzen dürfen, hatte aber keinen. Unter diesen umgekehrten Vorzeichen sieht das OLG Karlsruhe den Interessenten tatsächlich als geschädigt an. Die Begründung in der Vergabeakte, dass das Alarmsystem aus einer Hand kommen müsse, um einen stabilen Betrieb sicherzustellen, könne nicht auf die bauliche Errichtung der Masten ausgeweitet werden, meint der Vergabesenat. Dazu sei dem Vermerk auch nichts zu entnehmen. Hinsichtlich der Masten führte der Auftraggeber nur aus, dass sie zur Vermeidung eines erhöhten Koordinierungsaufwandes in den Auftrag einbezogen werden sollten, was zur Begründung eines Losverzichts regelmäßig nicht ausreicht. Hätte nun ein Mastenbauer sich in das Vergabeverfahren einklinken wollen, wäre sicherlich auch geprüft worden, ob es sich dabei um ein unwirtschaftliches Splitterlos handelt. Eine solche Prüfung ist unter der inversen Betrachtungsweise jedoch unterblieben. OLG Karlsruhe (Beschl. v. 11.11.2020, Az.: 15 Verg 6/20)

► SCHLECHTLEISTUNG

Aufrechnung genügt Ausschluss ist möglich Durch eine verunglückte Sperrmüllsammlung im Jahr 2019 wurden bei einem kommunalen Entsorgungsträger Althölzer der Klassen eins bis drei und vier vermischt. Ergebnis: Das Volumen der als Klasse vier zu entsorgenden Hölzer ist stark angewachsen. Der damalige Auftragnehmer für die Entsorgung hat es nicht geschafft, diese Menge in der vereinbarten Zeit abzufahren, obwohl er sich durch eine Vertragsergänzung ausdrücklich dazu verpflichtet hatte. Über die Folgen dieser nicht erbrachten Zusatzleistung und die Kosten der Ersatzvornahme durch ein anderes Unternehmen streiten sich Auftraggeber und Auftragnehmer über ein Jahr lang. Schließlich erklärt der Auftraggeber dem Auftragnehmer auf Umwegen die Aufrechnung seiner Kosten. Dies geschah nämlich so, dass

er die Aufrechnungserklärung einem Dritten zustellte, der seinerseits abgetretene Forderungen des Auftragnehmers beim Auftraggeber eintreiben wollte. Eine solche Aufrechnungserklärung ist eine der Geltendmachung von Schadenersatz vergleichbare Rechtsfolge, die als Grundlage für einen Ausschluss wegen Schlechtleistung in einem nachfolgenden Vergabeverfahren dienen kann – jedenfalls dann, wenn sie nicht allein zu dem Zweck ausgesprochen wurde, einen Ausschlussgrund zu konstruieren. Der vermeintliche Schlechtleister bleibt hier dennoch zunächst im Rennen: Er hat nämlich die Aufrechnung akzeptiert. Deswegen hätte der Auftraggeber vor dem Ausschluss prüfen müssen, ob eine erfolgreiche Selbstreinigung vorlag. VK Lüneburg (Beschl. v. 05.02.2021, Az.: Vg-50/2020)

► KENNTNIS

Die rosarote Brille Schutz vor der Präklusion Der Auftraggeber hatte einen Auftrag zum Trockenbau wegen Terminverzögerungen gekündigt. An der Neuausschreibung der Arbeiten beteiligten sich drei Bieter, darunter einer, der auch bereits im vorangegangenen Verfahren geboten hatte. Er landete auf dem dritten Platz, wobei sein Angebot – obwohl es sich nur noch um Restarbeiten handelte – höher war als dasjenige, welches er zuvor für den vollen Umfang abgegeben hatte. Die beiden günstigeren Angebote waren wegen formaler Fehler auszuschließen. Im nachfolgenden Verhandlungsverfahren soll der Zuschlag auf einen den günstigere Bieter erfolgen. Hiergegen wehrt sich der Drittplatzierte, weil er die Eignung des Zuschlagsprätendenten anzweifelt. Dies hätte bereits beim Übergang in das Verhandlungsverfahren bemängelt werden müssen, meint der Auftraggeber. Im Prinzip ja, sagt dazu das OLG. Aber: Im konkreten Fall hatte der Antragsteller den Fehler zuvor nicht erkannt. Er sah für sich den Zuschlag schon als sicher an, denn er war davon ausgegangen, dass er der einzige Teilnehmer des Verhandlungsverfahrens sei. Sein Rechtsanwalt kam zum gleichen Fehlschluss. Eine Textpassage in der Mitteilung des Aufraggebers, worin Verhandlungen mit allen drei Bietern erwähnt waren, hielt er für eine Nachlässigkeit des Auftraggebers. Eine solche rein textlich fehlerhafte Mitteilung war nach Ansicht des Anwalts kein Anlass für eine Rüge. Durch die rosarote Brille hatte er nicht gesehen, dass der Ausschluss der beiden Mitbieter in der ersten Runde formal schon vor deren Eignungsprüfung erfolgt sein konnte, sodass sie am Verhandlungsverfahren wieder zu beteiligen waren. Einen solchen Irrtum hat das OLG auch einem Rechtanwalt zugestanden. Der Vergabeverstoß war demnach tatsächlich nicht bereits beim Eintritt in das Verhandlungsverfahren erkannt worden und konnte also noch weiterverfolgt werden. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 25.03.2020, Az.: Verg 25/19)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / September 2021

Korrektiv oder Kostentreiber?

W

enn eine Kommune eine Schule, ein Rathaus oder eine Veranstaltungshalle braucht, beauftragt sie ein Architekturbüro mit Entwurf, Planung und Ausführung. Irgendwann steht das Gebäude, die letzte Rechnung ist bezahlt und der Auftraggeber kann damit nach Belieben schalten und walten. Manchmal doch nicht ganz: Wenn sich das Bauwerk vom üblichen Standard abhebt oder in Konzeption und Gestaltung innovative Züge aufweist, behält der Architekt ein Urheberrecht am Entwurf und seiner Umsetzung. Geregelt ist dies in den Paragrafen 1 und 2 des Urheberrechtsgesetzes. Und der Schutz von “Werken der Baukunst” (§ 2 Abs. 4 UrhG) reicht weit: bis zu 70 Jahre nach Tod des Architekten oder der Architektin. Zudem kann das Urheberrecht vererbt werden.

Eine Menge Zündstoff Dass in der Materie Zündstoff steckt, zeigt sich an der oftmals verhaltenen Reaktion auf Nachfragen. Teilweise wollen kommunale Bauherren nicht, dass man die Projekte beim Namen nennt, bei denen es klemmt. Schließlich sollen die sensiblen

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Fallstricke des Architekten-Urheberrechts bei der Gebäudesanierung (BS/Martin Lehrer) Der Schutz herausragender oder innovativer Entwürfe erfordert bei der Sanierung öffentlicher Funktionsbauten gestalterische Kompromisse, die oft schwierig auszuhandeln sind und in der Öffentlichkeit als unnötige Verteuerung wahrgenommen werden. den 1950er- bis 1980er-Jahren zur ModernisieMartin Lehrer M.A. ist freier Journalist in Köln mit den rung an. Teilweise Schwerpunkten öffentliche stehen sie bereits Verwaltung und Informationsunter Denkmaltechnologie. Bis 2019 leitete schutz. Deren er die Öffentlichkeitsarbeit Architekten sind beim Städte- und Gemeinhäufig – wenn debund NRW. Foto: BS/privat auch hochbetagt – noch am Leben. Doch die AbstimVerhandlungen mit dem Urheber mung mit solchen Persönlichkeinicht gefährdet werden. Ein Län- ten, berichtet ein Baudezernent derministerium möchte konkrete aus Nordrhein-Westfalen, sei Fälle, die ihm gemeldet wur- mitunter kompliziert. Die Reden, “aus Datenschutzgründen” de ist von einem Ensemble aus nicht bekannt geben. Und selbst Stadthalle, Museum und Biblio­ prominente Architekturbüros, thek von Anfang der 1980erdie selbst Schöpfer zahlreicher Jahre. Wegen des veränderten urheberrechtlich geschützter sozialen Umfeldes, aber auch Bauten sind, wollen dazu nicht wegen baulicher Mängel vor alStellung nehmen. lem im Brandschutz soll der Der Grund: Rücksicht auf Bau für mehr als 40 Mio. Euro Urheberwünsche ist meist saniert und umgestaltet werden. teuer. Gerade jetzt stehen unDas Urheberrecht des Architekzählige öffentliche Bauten aus tenteams stand nie in Zweifel.

Dabei geht es um grundlegende Dinge wie die Farbe der Fassade, aber auch die Frage, ob man im Gebäude einen Bezahlautomaten vor eine geflieste Wand stellen darf. Regelmäßig gingen solchen Entscheidungen umfangreiche Begehungen, Skizzen und Messenger-Dialoge voraus – sogar am Wochenende, so der Dezernent. Durch geschicktes Agieren und wohldosierte Zugeständnisse habe man den Zeitplan weitgehend einhalten können. Auch die Mehrkosten qua Urheberrecht würden mit rund 500.000 Euro wohl im Rahmen bleiben. Die Kirchen müssen sich ebenfalls mit Architekten-Urheberrecht auseinandersetzen. Denn immer mehr Gotteshäuser und Gemeindezentren sind abzugeben, weil kein Bedarf mehr besteht. Aber potenzielle Käufer haben oft andere Nutzungsanforderungen als die religiöse Ge-

1,8 Mrd. Euro Beschaffungsvolumen BWI gibt Einblick in Vergabe-Roadmap (BS/df) Welche Beschaffungen stehen für das kommende Jahr bei der BWI auf der Agenda? Darüber gab Peter Scaruppe, Chief Procurement Officer bei der BWI, Auskunft. Rund 1,8 Milliarden Euro stehen für mehr als 30 Projekte zur Verfügung, die bis zum ersten Quartal 2023 im freien Wettbewerb vergeben werden sollen. Scaruppe erläuterte zudem die Vergabe-Roadmap für die nächsten Jahre. Die größten erwähnten Projekte folgen hier. avisierter Zeitraum

Beschaffungsgegenstand

Beschreibung

geschätztes Volumen*

Q3 2021

GitLab

Versionsverwaltungstool für Software-Entwicklung

Q3 2021

DNS Server

DNS(Domain-Name-System)-Server, Hard-, Software- und Supportleistungen

16 6

Q3 2021

Entwicklung und Support für Secure Messaging

Entwicklungsleistungen und Support der Anwendung Secure Messaging Service, die im Extranet der Bundeswehr bereitgestellt wird

5

Q4 2021

Druckverbrauchsmaterial für HP

Bereitstellung eines Rahmenvertrags für das BAAINBw zum eigenständigen Abruf von Druckverbrauchsmaterialien für HP-Geräte

106,8

Q4 2021

Labeling Service / Data Leakage Prevention

Klassifizierung von Daten und Dokumenten in Outlook und Office (in erster Version Zuweisung VF-NfD, PersDat, NATO Restricted o. Ä.)

24

Q4 2021

Standortausstattung

Sondermobiliar und Zubehör für Besprechungsräume und Co-Working-Spaces

2 2

meinschaft, für die das Gebäude errichtet worden ist. Wenn dies den Vorstellungen des Urhebers zuwiderläuft, bleibt die Kirche auf der Immobilie sitzen. Hauptsächlich spielen hierbei aber Auflagen des Denkmalschutzes eine Rolle, wie Dipl.-Ing. Stephan Schröder vom Erzbistum Köln bestätigt. Freilich gebe es aber auch positive Beispiele wie die Umgestaltung von Sankt Bartholomäus im Kölner Nordwesten zu einer Grabeskirche.

Rechte übertragen lassen Bei den Länder-Architektenkammern sorgt das Thema für einige Arbeit. Rund 50 Streitfälle, bei denen eindeutig Architekten-Urheberrecht vorliegt, identifiziert allein die Architektenkammer NRW pro Jahr. Die Anzahl der Mitgliederanfragen dazu – so Kammergeschäftsführer Dr. Florian Hartmann - sei gut zehnmal so hoch. Meistens gehe es um Projekte kleiner Kommunen, bei denen ein mögliches Urheberrecht bei Sanierungsbeginn schlichtweg übersehen worden sei. Diese Sichtweise bestätigen die kommunalen Spitzenverbände. Beim Deutschen Städtetag kommt das Thema nicht vor, wie Baureferent Dr. Timo Munzinger bestätigt. Anders beim Deutschen Städte- und Gemeindebund: “Immer wieder geht es um die Abgrenzung des urheberrechtlich geschützten Werks bei Nutz- und Funktionsbauten”, bestätigt dessen Baubeigeordneter Norbert Portz. Denn dazu müsse die “Schöpfungshöhe” beurteilt werden, für die es keine stringenten Kriterien gebe. Eine Lösung sieht Portz darin, dass Städte und Gemeinden bereits im Entwurfsvertrag die durch Urheberrecht geschützten Ansprüche auf sich übertragen lassen – gegen Geld natürlich.

Proportionen oder Materialien – etwa Barrierefreiheit oder energetische Optimierung. “Es muss nur schonend gemacht werden”, so Hartmann. Einen Glücksfall in Sachen Architekten-Urheberrecht erlebte die Stadt Bonn bei der Sanierung der Beethovenhalle. Dass der 1959 eröffnete Bau des Berliner Architekten Siegfried Wolske ein herausragendes Werk darstellt, wurde nie in Abrede gestellt. Als der Stadtrat 2013 die Sanierung beschloss, lagen die Rechte nach Wolskes Tod bei seiner Tochter. Just zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sich Constanze Falke, Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin in Bonn, mit dem 50er-JahreJuwel. Aufgrund ihrer Studien für eine Doktorarbeit gewann sie das Vertrauen beider Seiten – als kunsthistorische Beraterin der Stadt Bonn und als Vertreterin des Architekten-Urheberrechts. Auf diese Weise konnte sie nach eigener Einschätzung technische und gestalterische Kompromisse herbeiführen – nah an der Architekten-Intention, aber auch mit Blick auf Kosten und Alltagstauglichkeit.

Justizminister haben Arbeitsgruppe eingerichtet Dass in Sachen ArchitektenUrheberrecht Handlungsbedarf besteht, haben auch die Justizminister und -ministerinnen der Bundesländer erkannt. Bei ihrer Herbsttagung 2020 diskutierten sie das Urheberrecht bei Bauwerken. Da dieses – so ihre Analyse – sehr stark ausgestaltet sei, komme es bei größeren öffentlichen Bauvorhaben häufig zu Schwierigkeiten, die notwendige Maßnahmen verzögerten oder verhinderten. Unter Federführung Bayerns wurde dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Aus Sicht der Länder-Justizminister sollten dabei “punktuelle Änderungen im Urheberrecht” geprüft werden – zugunsten von mehr Rechtssicherheit für Eigentümer, Bauherren und Nutzende. Ansetzen will man bei der Fortwirkung des Rechtes nach dem Tod des Urhebers. Entweder könnte die Frist von 70 Jahren verkürzt oder die Vererbbarkeit eingeschränkt werden. Denn am häufigsten entstünden Auseinandersetzungen mit den Erben, so Dr. Maximilian Engelbrecht, Referent im Bayerischen Justizministerium. Dies sieht auch Geschäftsführer Hartmann von der NRW-Architektenkammer so: “Die 70-JahreFrist und die Vererbbarkeit sind der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln.”

Q4 2021

Strom

Beschaffung von Strom

Q1 2022

Server- & Hyperconverged-Produkte

Beschaffung von Server- & Hyperconverged-Produkten sowie der zugehörigen Wartungs- und Supportleistungen

955

Q1 2022

Vmware

Software-Überlassung/Pflege und Consulting für den Produktkatalog VMware

150

Q1 2022

Workflow Engine

Workflowtool für den primären Einsatz mit Share-Point-on-Premise-Umgebung. Es soll in erster Linie eine ergänzende Lösung zu den in SharePoint vorhandenen Out-of-the-box-Workflows gefunden werden, die es geschulten Anwendern intuitiv und ohne Programmierkenntnisse ermöglicht, Workflows zu erstellen. Darüber hinaus wird aber auch die Einsatzmöglichkeit des Produktes zur Modellierung und Abbildung von komplexen Geschäftsprozessen bewertet.

100

Q1 2022

Hochverfügbare Speichersysteme

Beschaffung von hochverfügbaren Speichersystemen auf Basis von physischen und virtuellen Produkten sowie der zugehörigen Wartungs- und Supportleistungen

100

Q1 2022

Innovations-Experimente

Durchführung verschiedener Experimente in Bezug auf Hardware, Software und Services inklusive Teststellung und Leihgabe von Hardware/Software zur Aufrechterhaltung und kontinuierlichen Verbesserung der Innovations- und Leistungsfähigkeit der BWI und deren Portfolio

56,3

Q1 2022

Breitbandanbindung DMZ Bördeland

Bereitstellung einer Breitbandanbindung mit Skalierung von 100G/bit bis 1T/bit., DMZ Bördeland

39,7

Q1 2022

Adobe

Acrobat Standard / Professional Adobe Creative Cloud und weitere Produkte zur Bild-, Video- und Tonbearbeitung

18

Q1 2022

Personalvermittlungsleistungen

Personalvermittlung für IT-Fachkräfte, kaufmännische und Executive-Positionen

12

Q1 2022

Identity and Access Management

Identity- and Access Management, Verwaltung von Identitäten für den IT-Betrieb. One Identity. Neubeschaffung

11

Beratung für Bewerter und Bieter

Q1 2022

Privileged Access Management

PAM-Tool, um Lizenzen und Wartung auf Identitäts-Basis sowie ggf. notwendige Hardware Appliances abrufen zu können.

9

Ausschreibungen · Submissionen

Q1 2022

Steuerberatung

Steuerprüfung und -beratung

2,4

Q2 2022

RAS-SW Lösung

Softwarelösung, die den Remote Access Zugriff ermöglicht (BSI-zugelassen)

35

Q2 2022

ZSan – APC Sanitätsbereich

Beschaffung von Hardware für die IT-Unterstützung in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr

15

Q2 2022

ZSan – Hardwarebeschaffung Gesundheitssystem

Beschaffung von Scannern/Druckern für die IT-Unterstützung in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr

15

Q2 2022

Virenschutz (Client & Server)

Virenschutz auf PCs und Servern, für SharePoint, NAS und virtuelle Cloudsysteme durch die Virenschutzlösung Symantec Endpoint Protection (SEP)

14

Q2 2022

Wach- und Empfangsdienste 2022

Neuausschreibung wegen Aufnahme neuer Standorte in Berlin und Frankfurt, die nicht über die vorhandenen Regionallose abgedeckt sind.

11,4

Q2 2022

Samsung Knox Suite

Überlassung von Samsung Knox Suite sowie Realisierungsplanung, Umsetzung/ Migration und Support

10

Q2 2022

Secure Cloud Share für ExtranetBw

Webanwendung, die im ExtranetBw vom Service Secure Cloud Share bereitgestellt wird. Die Serviceentwicklung erfolgt im Rahmen des Projekts. Beschaffung von Software-Lizenzen und Support

4,8

Q2 2022

Social Media für ExtranetBw

Webanwendung Social Media, die im ExtranetBw vom Service Social Media bereitgestellt wird. Die Serviceentwicklung erfolgt im Rahmen des Projekts. Beschaffung von Software-Lizenzen und Support

3,6

Q3 2022

Solution Development

Entwicklung von Design und Lösungen gemäß BWI Services, Entwicklungsframework für die IT-Plattform von Endkunden

27 *in Mio. Euro

Grafik: BS/Dach; Quelle: BWI

Frage der Ziel-Prioritäten Diesen Ansatz hält auch Kammergeschäftsführer Hartmann für sinnvoll: “Es lohnt sich, gemeinsam in den Vertrag zu schauen, welche Rechte bereits übertragen sind.” Oftmals kämen Kommunen dabei ihre gut geführten Archive zugute. Ohnehin hätten manche Umbauziele Priorität gegenüber der Bewahrung ursprünglicher


Diplomaten Spiegel

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D

er 58-jährige Agraringenieur kommt nach seinem MasterAbschluss 1997 ins Ministerium für Landwirtschaft, Forsten und Ernährung in der Hauptstadt Ljubljana, wird 2000 dort Minister, ab 2014 Botschafter in Serbien, dann Tschechien und ist, bis zu seiner Akkreditierung 2018 bei uns, im heimischen Außenministerium tätig. “Als ich vor drei Jahren kam, ging es darum, die Zusammenarbeit “vor Ort” zu unterstützen. Deutschland ist unser strategischer Partner und wir möchten die wirtschaftlichen Chancen nutzen, die sich für uns vor allem in den Bereichen Umweltschutz, Kreislaufwirtschaft, neuen Technologien bieten und uns noch stärker als grünen, umweltorientierten und kulturell interessanten Balkanstaat präsentieren. Meine Landsleute sind dabei die Brücke, die unsere Länder verbindet”, berichtet But.

Behörden Spiegel / September 2021

Deutschland – unser Verbündeter Ein Gespräch mit dem slowenischen Botschafter Franc But in Berlin (BS/ps) Slowenien ist seit 1991 unabhängig, mit 20.273 km2 etwas größer als Rheinland-Pfalz und belegt auf dem Human Development Index, dem “Wohlstandsindikator” der UN, Rang 22. Kroatien, Serbien oder Nordmazedonien, die dereinst auch zu Jugoslawien gehört, belegen die Plätze 43, 64 bzw. 82. Slowenien grenzt an Italien, Österreich (dessen Teil es bis 1918 ist), Ungarn, und die Adria. 2004 wird die Republik EU- und NatoMitglied, 2007 Euroland und die deutsch-slowenischen Beziehungen sind nach 29 Jahren, bestens und von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Ein guter Start für Botschafter Franc But in Berlin.

Glücklich und zufrieden

Diskussion mit Bundes­ ländern Ähnlich will es die Regierung in Ljubljana mit der EU-Ratspräsidentschaft, die sie in den nächsten sechs Monate innehat, angehen. “Für uns ist dies eine große Herausforderung und Verpflichtung”, so der Botschafter. “Wir sind ausgesprochen europäisch orientiert, weil dies der beste Weg für uns ist. Für mich und meine Kollegen ist diese Zeit besonders anspruchsvoll. Zusammen mit den deutschen Bundesländern stellen wir unsere Schwerpunkte dar und diskutieren über die Zukunft der EU und ich hoffe, dabei möglichst viele junge Leute zu treffen. Auch die übrigen EU-Botschafter sehen wir regelmäßig bei den HoMsTreffen (Heads of Missions) in Berlin. Diese werden immer von der Botschaft des Staates der Ratspräsidentschaft ausgerichtet, um mit prominenten Persönlichkeiten des Gastgeberlandes aktuelle Themen zu erörtern. Wir freuen uns darauf, auch wenn es noch mehr Arbeit bedeutet."

Auf Dialog setzen Als der slowenische Ministerpräsident Janez Janša das Programm des Ratsvorsitzes in Straßburg vorstellte, wurde er spürbar kühl empfangen und aufgefordert, seine Attacken gegen Presse, Justiz und Zivilgesellschaft daheim einzustellen. “Wer, wenn nicht wir, die nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang in einer undemokratischen Gesellschaft, ohne freie Medien lebten, könnte die Bedeutung des Rechtsstaats mehr schätzen?”, fragt But. “Es stimmt jedoch, dass Mitteleuropa immer noch mit Problemen aus der jüngsten Vergangenheit konfrontiert ist,

Vertritt seit rund drei Jahren die Republik Slowenien in Deutschland: Botschafter Franc But.

Des Botschafters Rezept Slowenische Potica

Es gibt süße und salzige Poticas. Hier ist ein Rezept für Estragon-Potica Teigzutaten 3 EL lauwarme Milch, 1 TL Zucker, 20 g Hefe, ½ l warme Milch, 100 g frische Butter 2-3 EL Zucker, 1 TL Salz, 750 g Mehl, 2 Eigelbe Füllungszutaten: 250 g Butter, 2 EL Zucker, 3 Eier, 3 Prisen Estragon Füllung: Die Butter schaumig schlagen, Zucker, 3 Eigelbe und den festen Eischnee dreier Eiweiße dazugeben – alles gut vermischen und das Estragon einrühren. Zubereitung: 3 Esslöffel lauwarme Milch in die Schüssel mit einen Teelöffel Zucker und Hefe geben. Umrühren und warm stellen, damit der Teig aufgeht. ½ Liter warme Milch in eine größere Schüssel geben, Butter, 2-3 Teelöffel Salz sowie Mehl dazugeben. Alles gut vermischen und die aufgegangene Hefe sowie 2 Eigelbe hinzuge-

die dem westlichen Teil Europas vielleicht weniger bekannt sind, aber angegangen werden müssen. Aber vor allem müssen wir in der EU mehr reden und einander zuhören. Ohne eine Einigung zu

Sloweniens Nationalflagge besteht aus der Tricolore in den panslawistischen Farben Weiß, Blau, Rot, mit dem Wappen im oberen linken Teil. Dieses besteht aus einem seitlich rot umrandeten Schild mit zwei Wellenlinien und einem dreispitzigen Gipfel, der von drei goldenen Sternen gekrönt ist. Der Berg symbolisiert den höchsten Gipfel in Slowenien, den Berg Triglav, die Wellen stehen für das Adriatische Meer und die Sterne sind aus dem Wappen der Grafen von Cilli, die in dem slowenischen Gebiet Krain große Besitztümer hatten.

im Norden und Osten, Hügeln und Meer. “Nur ist Deutschland halt viel großer als Slowenien und man kann von Berlin nicht so einfach und schnell in die Berge oder ans Meer fahren. Von Ljubljana aus ist man in einer halben Stunde beim Ski-fahren, in einer Stunde am Fuße von 2.000 Metern hohen Bergen oder badet in der Adria.”

Foto: BS/Fara, stock.adobe.com

ben. Den angerührten Teig mit einem Kochlöffel 20-30 Minuten gut schlagen, sodass er Bläschen bildet. Den geschlagenen Teig mit Mehl bestreuen, mit einem Tuch zudecken, warm stellen und ruhen lassen. Wenn der Teig aufgegangen ist, die Arbeitsfläche mit Mehl bestäuben und den Teig ausrollen, bis er so dick wie ein kleiner Finger ist und ihn dann rechteckig schneiden und mit der Füllung gleichmäßig bestreichen, fest zusammenrollen und in eine mit Butter eingefettete runde Backform für Potica (oder Napfkuchen) legen. Die Enden der Rolle müssen gut zusammengedrückt sein, was als Regel für alle Potica-Arten gilt. Eine zu lange Rolle wird abgeschnitten und der abgeschnittene Teil mit zusammengedrückten Enden in einer kleineren viereckigen Backform separat gebacken. Die Potica in der Backform mit einem Tuch bedecken, ins Warme stellen und gehen lassen. Vor dem Backen die Potica mit einem verquirlten Ei bestrechen, an einigen Stellen einstechen und dann ungefähr 54 Minuten im Backofen bei 180°C backen. Danach die Temperatur auf 150°C senken und noch ungefähr 25 Minuten weiterbacken. Die Potica aus der Backform stürzen, sodass der obere Teil unten ist, und abkühlen lassen.

finden, geht es nicht. Die slowenische Ratspräsidentschaft will nicht trennen, sondern verbinden. Aber es besteht kein Zweifel, dass Rechtsstaatlichkeit das Fundament eines freiheitlichen und demokratischen Europas ist und bleibt. Dies steht ganz oben auf unserer Prioritätenliste.” Unumstritten ist, dass Slowenien schon vor 1991 der wohlhabendste und am weitesten entwickelte Teil Jugoslawiens

ist. “Heute ist das, neben dem sprichwörtlichen Fleiß und dem findigen, innovativen Geschäftssinn unserer Menschen, hauptsächlich der langjährigen Mitgliedschaft in der EU sowie der guten Kooperation mit unseren Nachbarn in der Region geschuldet”, unterstreicht der slowenische Diplomat. Auch mit seiner Biodiversität punktet das propere Staatswesen. Zur Erhaltung von Fauna-,

Die etwa 20.000 Quadratkilometer große Republik Slowenien wird von Italien, Österreich, Ungarn, Kroatien und von der Adria umschlossen. Foto: BS/Artalis-Kartografie

Foto: BS/Botschaft Slowenien

Flora- und Habitat-Vielfalt stehen ca.13 Prozent des Landes unter Naturschutz (Deutschland 2021: 3,6 Prozent). “Grün und nachhaltig ist auch unser Tourismus angelegt. Viele Deutsche wissen das und waren im Rekordjahr 2019 zahlenmäßig die meisten ausländischen Urlauber. Wir legen viel Wert auf einen sanften Tourismus. Ob in Piran (Stadt im äußersten Südwesten, an der Adria), Bled (Gemeinde am Bleder See, wenige Kilometer südlich der österreichischen Grenze), Bohinj (Tal gesäumt von schroffen Hängen der Julischen Alpen und dem Wocheiner See), oder Ljubljana – ein “Muss” für jeden Besucher.” “Es gibt auch viele Möglichkeiten, für Ferien auf dem Bauernhof, in Thermen wie Catez, Grajsko Kopalisce oder Rogaska Slatina, beim Trekking und Radfahren in unberührter Natur. Sie entdecken die Artenvielfalt des intermittierenden Cerknica-Sees, der immer wieder “verschwindet”, sowie der Urwälder von Kočevje, in denen noch Hunderte von Bären, Luchsen und Wölfen leben. Das einzigartige Moor von Ljubljana ist besonders geschützt und die Höhle von Postojna mit ihren Grottenolmen verzaubert”, weist But auf die zahlreichen sehenswerten Orte hin. Der Botschafter weiß, was er an seiner Heimat hat, gleichwohl aber auch hier bei uns, mit Bergen im Süden, Ebenen

“Aber tatsächlich bin ich hier glücklich und zufrieden. Wenn es die Zeit erlaubt, sehe ich mir gerne Städte an oder gehe spazieren. Naja, manchmal vermisse ich slowenisches Essen, das, hausgemacht, verführerisch duftet, und aus lokal angebauten Zutaten frisch zubereitet, einfach vorzüglich schmeckt. Aber wenn es um Essen, Wein und Politik geht, hat jeder seine eigene Meinung und Sichtweise. Und das zu Recht”, so But. So gesehen betrachten uns seine Landsleute als pünktliche und fleißige Zeitgenossen, die gerne Bier trinken, guten Fußball spielen und sehr gerne Rad fahren. Ansonsten gibt es eine Art deutsches “Nord-Süd-Gefälle”. “Wir meinen, dass die Bayern uns am ähnlichsten sind – sie mögen slowenische Musik (Slavko Avsenik und seine Original Oberkrainer), fahren Ski, essen und trinken gerne gut. “Die “Nordlichter” arbeiten eher zu viel und sind sparsam (lacht herzlich). Aber es gibt natürlich Ausnahmen …und im Übrigen ich sehe das überhaupt nicht verbissen. Das Image Deutschlands ist sehr gut, quasi eines unserer Vorbilder – die deutschen Lebensweisen und Tugenden, wie Verantwortung und Pünktlichkeit, liegen uns. Und noch heute sind wir Bonn dankbar, dass es Slowenien bereits im Januar 1992 als unabhängigen und souveränen Staat anerkannt hat und damit unseren Traum von Heimat hat wahr werden lassen.”

Einen Tag Bauer sein 24 Jahre ist Franc But im Dienste seines Landes, 16 davon als Diplomat und damit ganz zufrieden – “mit jedem Fehler, den ich habe. Deshalb wollte ich nie wirklich mit jemandem tauschen. Wenn überhaupt, dann eventuell mal einen Tag irgendwo zu Hause mit einem Bauern, umgeben von wunderschöner Natur, wohl wissend, wie anspruchsvoll und schwer das ist, weil ich selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen bin. Aber Bauer zu sein, ist auch Glück, denn Glück bedeutet, das zu tun, was einen glücklich und zufrieden macht – und das habe ich ja gefunden.” Letztes Wort? “Irgendwie begeistert mich der Radsport. Unser junger Tadej Pogačar gewinnt mit 22 Jahren schon zum zweiten Mal in Folge die Tour de France. Schön wenn die Slowenen, obwohl nur zwei Millionen, erfolgreich sind.”

Im Herzen Berlins befindet sich die Botschaft Sloweniens: an der Ecke Taubenstraße/Hausvogteiplatz in der Nähe des Auswärtigen Amtes. Foto: BS/Botschaft der Republik Slowenien


Personelles

Behörden Spiegel / September 2021

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Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg Stand: September 2021

Dienststellen

Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Schlossplatz 4 (Neues Schloss) 70173 Stuttgart / Postfach 10 01 41 / 70001 Stuttgart

E-Mail: Poststelle@wm.bwl.de Internet: www.wm.baden-wuerttemberg.de

Neues Schloss: Amtsleitung, Abt. 1; Ref. 51-54, 56, 57

Telefon: (0711) 123-0 Telefax: (0711) 123-2121

Theodor-Heuss-Str. 4 / Kienestr. 27: Abt. 2, Abt. 4, Ref. 55 Willi-Bleicher-Str. 19: Abt. 3; Ref.16 (Haus der Wirtschaft)

Beauftragte für Chancengleichheit ANin Marion Brucksch

Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut MdL

Ministerbüro Leitung RDin Stefanie Schorn Persönliche Referentin RRin Beatrice Lehrmann

Beauftragter für Datenschutz

Staatssekretär Dr. Patrick Rapp MdL

Technologiebeauftragter

Persönliche Referentin Meike MRin Hoppe

-2564

Dr.-Ing. Petra Püchner

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

-2813

N.N.

Ministerialdirektor Michael Kleiner

Europabeauftragte

Zentralstelle RD Moritz Scheibe

-2820

-2868

-2878

RD Oleg Livschits

Foto: BS/Martin Stollbeerg

Prof. Dr. Wilhelm Bauer

-2604

Stabstelle Projektsteuerung Expo Dubai 2020 Ulrich Kromer von Baerle

Leitungsbereich

-2153

N.N.

-2853 Bundesrat und ­ undesangelegenheiten B

RDin Birgit de Longueville

-2860

Abteilung 1

Abteilung 2

Abteilung 3

Abteilung 4

Abteilung 5

Personal, Organisation, Haushalt, Informationstechnik (IT), Ordens­ angelegenheiten, Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg

Arbeit, berufliche Bildung, ­Fachkräftesicherung

Industrie, Innovation, wirtschaftsnahe Forschung und Digitalisierung

Mittelstand und Tourismus

Strategie, Recht, Außenwirtschaft und Europa

MDgt Norbert Eisenmann

-2400

MDgt Dr. Thomas Hoffmann

-2900

MDgt Günther Leßnerkraus

-2420

MDgtin Rose Köpf-Schuler

-2095

N.N. -2200

Referat 11

Referat 21

Referat 31

Referat 41

Referat 51

Personal (Grundsatz und Recht, Aus- und Fortbildung)

Fachkräftesicherung

Industrie- und Technologiepolitik, ­Digitalisierung

Mittelstand und Handwerk

Grundsatz Wirtschaftspolitik und Reden

MRin Dr. Melanie Zachmann

-2109

MRin Magdalene Häberle

-2133

LMR Dr. Peter Mendler

-2448

MRin Martina Oschmann

-2375

LMR Roland Brecht

Referat 12

Referat 22

Referat 32

Referat 42

Referat 52

Personal (Einzelfälle/Bewirtschaftung)

Berufliche Ausbildung

Clusterpolitik,regionale Wirtschaftspolitik

Kammern und Börse

Wirtschaftspolitik in Europa

MR Philipp Reuff

-2327

MR Karsten Altenburg

-2204

MR Frank Fleischmann

-2383

MRin Ina von Cube

-2113

MR Dr. Frank Speier

-2117

-2161

Referat 13

Referat 23

Referat 33

Referat 43

Referat 53

Organisation, Zeitwirtschaft und ­Ordensangelegenheiten

Berufliche Weiterbildung

Automobil- und Produktionsindustrie, Logistik

Existenzgründung und ­Unternehmensnachfolge

Wirtschafts- und Gewerberecht

MR Markus Sorg

-2500

MR Dietmar Stengele

-2605

MR Claus Mayer

-2129

-2773

AN Prof. Peter Schäfer

MR Matthias Brehm

Referat 14

Referat 24

Referat 34

Referat 44

Referat 54

Haushalt

Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsrecht

Rohstoffwirtschaft und ­Ressourcensicherung

Unternehmensbetreuung

Justiziariat, EU-Beihilfe, Kartell- und Vergaberecht

LMR Markus Vogt

-2180

LMR Ulrich Conzelmann

-2954

MRin Gabriele Maschke

-2347

AN Jörg Röver

-2465

MRin Brigitte Füllsack

-2335

-2185

Referat 15

Referat 25

Referat 35

Referat 45

Referat 55

Informationstechnik

Grundsicherung für Arbeitssuchende

Gesundheitsindustrie, Chemie und Werkstoffe

Dienstleistungswirtschaft

Wirtschaft und Gleichstellung

MR Peter Hagen

-2338

MR Knut Bergmann

-2982

MR Dr. Christian Renz

-2453

MR Michael Schulz

-2650

MRin Dr. Birgit Buschmann

-2233

Referat 16

Referat 26

Referat 36

Referat 46

Referat 56

Haus der Wirtschaft

Arbeit und Gesundheit

IKT und Kreativwirtschaft

Steuerung ESF (Europäischer Sozialfonds)

Standort Baden-Württemberg

MR Rainer Presser

-2643

MR Dr. Axel Gräber

-2972

MR Jürgen Oswald

-2356

MRin Elisabeth Groß

-2548

AN Thomas Schwara

Referat 37

Referat 47

Referat 57

Steuerung EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung)

Tourismus

Außenwirtschaft

MR Dr. Arndt Oschmann

-2488

MRin Diana Schafer

279-2410

Referat 48 Wirtschaftshilfen MR Andreas Neef

-2434

MR Günther Schmid

-2476

-2140


Zukunft – Stadt und Region Die neue Veranstaltungsplattform des

Auf unserer Veranstaltungsplattform NeueStadt.org wird die gesamte kommunale Infrastruktur – die soziale wie materielle – beleuchtet und diskutiert. Neu denken, neu planen, neu handeln und neue Kooperationen in den Stadtgesellschaften und ihrem Umfeld sind Themen dieses Portals.

Für die gesamte kommunale Infrastruktur mit:

 Partner-Webinaren

 Fortbildungs-Webinaren

 Webkonferenzen und Online-Kongressen  Online-Diskussionen

Mehr unter: www.neuestadt.org


SONDERBEILAGE des Behörden Spiegel

zum 70-jährigen Bestehen des Beschaffungsamtes des BMI (BeschA)

Berlin und Bonn / September 2021

Von der BGS-Außenstelle zum größten zivilen Beschaffer des Bundes Das Beschaffungsamt des BMI feiert seinen 70. Geburtstag (BS/Dr. Ruth Brand) Ob Einsatzschiffe für die Bundespolizei, Schutzwesten für das Bundeskriminalamt, schweres Räumgerät für das Technische Hilfswerk, Feuerwehrfahrzeuge, Rahmenverträge zur Stärkung der Barrierefreiheit in der IT oder nachhaltige Smartphones: Hinter all diesen Produkten und Dienstleistungen steckt das Beschaffungsamt des BMI, kurz BeschA.

G

egründet wurden wir 1951 zunächst als Beschaffungsstelle für den Bundesgrenzschutz (BGS), um fünf Jahre später bereits zur Beschaffungsstelle des Bundesministeriums des Innern und schließlich am 10. März 1995 zum heutigen Beschaffungsamt als eigenständige Bundesbehörde im nachgeordneten Bereich des BMI zu werden. Unser Dienstsitz ist nach wie vor die heutige Bundesstadt Bonn, in der wir auf zwei Liegenschaften verteilt arbeiten, und seit dem 1. Juli 2020 auch die thüringische Landeshauptstadt Erfurt mit einem Standort.

Hohe Kundenzufriedenheit bei der Beschaffungsdurchführung Unsere Kernaufgabe besteht darin, Bedarfsträger aus dem Geschäftsbereich des BMI bei allen Fragen des öffentlichen Einkaufs zu beraten, Einkäufe zu bündeln und zentral abzuwickeln. yDas BeschA ist mit einem Beschaffungsvolumen von knapp fünf Milliarden Euro im letzten Jahr mittlerweile der größte zivile Beschaffer des Bundes. Gleich geblieben ist hingegen eine seit vielen Jahren anhaltend hohe Kundenzufriedenheit in Bezug auf die Beschaffungsdurchführung von über 90 Prozent. Wir betrachten das als

Treiber bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Dankeschön für den Einsatz unserer rund 330 Beschafferinnen und Beschaffer und als Verpflichtung für die Zukunft. Als zentraler Ausrüster für die öffentliche Verwaltung in Deutschland kaufen wir zahlreiche Produkte und Dienstleistungen aus den unterschiedlichsten Bereichen ein, die für die Bewältigung der vielfältigen Aufgaben unserer Kundenbehörden erforderlich sind.

Dr. Ruth Brand, Präsidentin des Beschaffungsamtes des BMI Foto: BS/BeschA

Unverzichtbares Bindeglied zwischen Bedarfsträgern, Markt und Politik Das beginnt bei Produkten der Büroausstattung und geht über hochwertige Spezialtechnik bis hin zur Ausrüstung unserer Sicherheitsbehörden. In den vergangenen Jahren haben wir zudem insbesondere unser Engagement als Ausrüster für die Digitalisierung des Bundes, in der elektronischen Beschaffung und Verwaltungsmodernisierung sowie bei der Förderung von Nachhaltigkeit im öffentlichen Einkauf weiter ausgebaut. Das Beschaffungsamt arbeitet entsprechend konsequent an der Bereitstellung von Diensten, die den Behörden im Bund eine effiziente und vollständige Digitalisierung ihrer Einkaufsprozesse ermöglichen. Die Durchführung von Vergabeverfahren sowie die Bereitstellung von

Dank des großen Engagements und des hohen Qualitätsanspruchs der Beschäftigten ist das BeschA für die Zukunft gut aufgestellt. Artikeln aus Rahmenvereinbarungen werden bereits seit dem Jahr 2003 elektronisch unterstützt. Unsere Abteilung Z ist dabei der Motor für die Digitalisierung des Beschaffungs-

prozesses. Das Beschaffungsamt betreibt in diesem Zusammenhang die eigens dafür entwickelten elektronischen Plattformen e-Vergabe und Kaufhaus des Bundes (KdB).

die Verankerung von Nachhaltigkeit im öffentlichen Einkauf entDarüber hinaus wurde im Jahre scheidend voran. 2017 im Rahmen der IT-KonsoEffiziente Arbeit auch in lidierung des Bundes die “ZenKrisensituationen tralstelle IT-Beschaffung” (ZIB) im Beschaffungsamt des BMI angesie- Wir können in unserer Arbeit eine delt, um die Ausschreibungen und extrem hohe Vergaberechtssicherdas Vertragsmanagement von IT- heit dokumentieren und wissen vor Rahmenverträgen für die gesamte allem, dass wir am Ende dem Steuunmittelbare Bundesverwaltung erzahler verpflichtet sind. Ein fairer abzuwickeln. Wettbewerb, Transparenz und eine Mittlerweile ist die ZIB der zen- schnelle, wirtschaftliche Beschaftrale Ausrüster für die digitale fung sind daher oberste Leitlinien Modernisierung der Bundesver- der Arbeit im BeschA. Das konnten waltung und zentrale Instanz für wir auch bei zwei Beschaffungen strategische IT-Beschaffung in während der Corona-Pandemie Deutschland. Großvolumige IT- unter Beweis stellen, die reibungsVergabeverfahren und Projekte los über die Bühne gegangen sind: sind im BeschA von daher keine der Einkauf von HanddesinfektionsSeltenheit. mitteln in einer Größenordnung Auch das Thema Nachhaltigkeit von mehreren Millionen Litern zur spielt bei uns im Beschaffungsamt Deckung der Bedarfe des öffentliseit vielen Jahren eine wichtige chen Gesundheitswesens sowie der Rolle. Bereits 2011 hat der Bund Bundesverwaltung und von Covidentschieden, eine “Kompetenzstel- 19-Laienschnelltests für die Bundesle für nachhaltige Beschaff ung” behörden im Geschäftsbereich des (KNB) einzurichten, die dem Be- BMI in einer Größenordnung von schaffungsamt des BMI zugeord- 2,5 Millionen Tests. net wurde. Aufgabe der KNB ist Auch diese Beschaffungen konnten seither die Beratung und Informa- wieder nur gelingen, weil unsere tion von Bedarfsträgern und Be- Beschafferinnen und Beschaffer mit schaffungsstellen in Bund, Ländern großem Engagement und einem hound Kommunen über nachhaltige hen Qualitätsanspruch ihrer Arbeit Produkte und Dienstleistungen. nachgehen. Ihnen gilt daher mein Das BeschA bringt auf dieser Basis ganz besonderer Dank.

70 Jahre BeschA – Meilensteine des öffentlichen Einkaufs (BS/BeschA) Wir blicken zurück auf 70 Jahre Beschaffungsleistung und Kompetenz im öffentlichen Einkauf. Neue Bezeichnungen, Dienstortwechsel und -aufbau, neue Aufgabenbereiche, Personalaufwuchs – das BeschA hat sich seit seiner Gründung stetig weiterentwickelt.

18. Mai 1951

neue Aufgabenbereiche hinzu, z. B. Beschaffung und Materialwirtschaft für den Geschäftsbereich des BMI, Güteprüfung, Zulassung aller Kraftfahrzeuge des Bundesgrenzschutzes oder auch die Beratung des BMI in allen Fragen des öffentlichen Auftragswesens.

2003

Der erste Dienstsitz des BeschA in BonnDuisdorf Foto: BS/BeschA Das BeschA wird am 18. Mai 1951 als Beschaffungsstelle des Bundesgrenzschutzes errichtet. Das erste Dienstgebäude befindet sich in Bonn-Duisdorf. Aus dem Erlass des Bundesinnenministeriums geht hervor, dass das BeschA ab diesem Zeitpunkt für die Durchführung der zentralen Beschaffungen für die Bereitschaftspolizeien und die Bundesgrenzschutzbehörden zuständig ist. Bei diesen Tätigkeiten ist es nicht geblieben.

1995

Am 10. März 1995 wird das BeschA zum heutigen Beschaffungsamt als eigenständige Bundesbehörde, angesiedelt im Geschäftsbereich des BMI. Mit der Eigenständigkeit kommen auch

Seit 2003 werden die Durchführung der Vergabeverfahren sowie die Bestellung von Artikeln aus abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen elektronisch unterstützt. Das Beschaffungsamt ist für das Leitprojekt “Öffentlicher Einkauf Online” verantwortlich und hat in diesem Rahmen die Vergabeplattform e-Vergabe und die elektronische Bestellplattform Kaufhaus des Bundes (KdB) entwickelt und bis heute stetig optimiert, um den Anforderungen an die elektronische Beschaffung und den Bedürfnissen der Nutzer gerecht zu werden.

2011

Seit dem 5. Dezember 2011 ist die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) die zentrale Anlaufstelle, wenn es um nachhaltige öffentliche Beschaffung geht. Auf Grundlage der Ergebnisse der Sondersitzung der

2010 zieht das BeschA von Beuel in die Bonner Nordstadt, wo es bis heute seinen Dienstsitz hat. Foto: BS/BeschA Staatssekretäre am 21. Oktober 2011 sowie der Sitzung des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung am 31. Oktober 2011 wurde die Entscheidung zur Errichtung der KNB gefällt. Aufgabe der KNB ist es, Bedarfsträger und Beschaffungsstellen über nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu informieren und ihnen beratend zur Seite zu stehen. Die KNB informiert einerseits über ihre Webplattform, aber auch durch Schulungen und eine Hotline.

2017

Im Rahmen des Projekts “IT-Konsolidierung des Bundes” wird die Zentralstelle IT-Beschaffung (ZIB) im Beschaffungs-

amt angesiedelt, um die Ausschreibungen und das Vertragsmanagement von IT-Rahmenverträgen für die gesamte unmittelbare Bundesverwaltung abzuwickeln. Die ZIB ist somit der zentrale Ausrüster für die digitale Modernisierung der Bundesverwaltung. Sie ist zudem eine der größten IT-Vergabestellen in Deutschland. Als Single Point of Contact unterstützt sie ihre Kunden entlang des gesamten Beschaffungsprozesses – von der Bedarfsmitteilung über die Vergabe bis zur Leistungserbringung. Dabei bietet sie einen Service, der alle Elemente vom Kunden- und Lieferantenmanagement über das Vertrags- und Lizenzmanagement bis hin zum Forderungsmanagement umfasst. Eine Marktanalyse, ein Kunden- und Risikomanagement, die Nutzung einer RahmenvertragsRoadmap sowie Werkzeuge wie das Reifegradmodell oder Normstrategien machen die ZIB zur zentralen Instanz für strategische IT-Beschaffung.

2020

Am 1. Juli 2020 eröffnet das BeschA seinen Dienstort in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt. Damit soll dem gestiegenen Bedarf an Beschaffungsleistungen, vor allem in den Bereichen IT und Sicherheit, Rechnung getragen werden. Am neuen Standort werden

entsprechend zunächst 75 neue Arbeitsplätze in der Beschaffung für diese Bereiche angesiedelt. Die meisten dieser Arbeitsplätze können bereits in der ersten Phase der Personalgewinnung besetzt werden.

Seit 2020 hat das BeschA einen Dienstort in Erfurt. Foto: BS/BeschA

2021

Mittlerweile beschäftigt das BeschA rund 330 Mitarbeitende in über 30 Organisationseinheiten und entwickelt sich weiter vom operativen zum strategischen Partner für seine Kunden in allen Fragen der öffentlichen Beschaffung.


70 Jahre BeschA

Seite II

Behörden Spiegel / September 2021

Die Zukunft erfolgreich gestalten Das BeschA setzt auf eine moderne Organisationsentwicklung (BS/Frank Schmitz) Das Beschaffungsamt des BMI (BeschA) hat sich in den vergangenen Jahren dynamisch entwickelt. Aufgabenzuwächse mussten organisatorisch verarbeitet, personelle Verstärkungen gezielt gefunden und strukturelle Veränderungen in vielen Bereichen umgesetzt werden. Nun steht die Organisationsentwicklung vor einem weiteren wichtigen Schritt.

A

ls einer der größten öf­ fentlichen Auftraggeber kümmert sich das Be­ schaffungsamt um den Einkauf von Waren und Dienstleistungen für eine Vielzahl von Kunden aus dem öffentlichen Sektor. So sorgen wir beispielsweise dafür, dass unsere deutschen Sicherheitsorgane best­ möglich ausgestattet sind und die Katastrophenhilfe effektiv arbeiten kann. Wir beschaffen hochwertige Technik, sind zentraler Ausrüster für die Digitalisierung im Bund, treiben die elektronische Beschaffung und die Nachhaltigkeit im öffentlichen Einkauf voran. Kurz: Das BeschA ist unmittelbar daran beteiligt, wich­ tige Zukunftsprojekte in Deutsch­ land umzusetzen und forciert die Verwaltungsmodernisierung.

Vielfältige Aufgaben und spannende Einsatzmöglichkeiten Das Beschaffungsamt unterstützt dabei nicht nur die effiziente Auf­ gabenerledigung seiner Kunden, sondern unterzieht sich auch selbst einem Wandel – dem vom operati­ ven zum strategischen Beschaffer, der als Berater entscheidende Hil­ festellungen für die Zukunft gibt.

D

ie öffentliche Beschaffung ist eine der spannendsten und anspruchsvollsten Auf­ gaben, die der Öffentliche Dienst derzeit zu bieten hat, mit immer neuen Tätigkeitsfeldern. Das Arbeits­ spektrum im Beschaffungsamt des BMI ist entsprechend breit gefächert und setzt gleichzeitig große Fach­ kenntnisse in den jeweiligen Be­ schaffungsbereichen voraus. Dafür braucht das BeschA das Know-how von Experten auf ihrem Gebiet. Auf der Karrierewebsite www. faszination-beschaffung.de stellt sich das BeschA als Arbeitgeber vor und richtet sich gezielt an In­ teressenten. Neben Informationen zum Amt und dessen Aufbau stellt die Seite auch dar, welche An­ forderungen erfüllt werden soll­ ten, um sich für eine Tätigkeit im BeschA zu bewerben. Vor allem aber stellen wir Mitarbeitende und unsere Arbeit in Wort und Bild in den Vordergrund. Wer sich über die Arbeit im Be­ schaffungsamt auf dem Laufenden halten möchte, kann entweder re­ gelmäßig einen Blick in die “BeschA News” auf unserer Karrierewebsite werfen oder Karrierenetzwerke wie Xing und LinkedIn nutzen. Auch mittels Social Media wie unseres YouTube-Kanals informieren wir Interessierte über den Arbeitsalltag im BeschA und liefern Hintergrund­ informationen.

Das wiederum ist nur möglich, wenn unsere eigenen Strukturen zukunftsfest ausgerichtet sind. Da­ ran arbeiten wir kontinuierlich und mit zunehmendem Erfolg. Unser Beschaffungsvolumen ist über die Jahre stark gewachsen, auf mittlerweile knapp fünf Milliarden Euro im letzten Jahr. Als größter ziviler Beschaffer des Bundes kön­ nen wir dieser wachsenden Aufga­ benfülle nur dann gerecht werden,

chert ist wie bei uns im Einkauf. Im BeschA arbeiten entsprechend Menschen mit den unterschiedlichs­ ten Kenntnissen und Fähigkeiten zusammen, von Ingenieur(innen) über Informatiker(innen) bis hin zu ­Verwaltungsfachleuten und Jurist(inn)en. Als Arbeitgeber unter­ stützen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Erledigung ihrer vielfältigen und verantwor­ tungsvollen Aufgaben mit allen

Wir stehen am Anfang einer spannenden Entwicklung. wenn unsere Organisationsstruk­ turen stimmen und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Beschaffungsaufträge effizient umsetzen. Die Voraussetzungen zur Ge­ winnung von qualifiziertem Per­ sonal sind trotz aller bekannten Probleme auf dem Arbeitsmarkt insofern günstig, als dass wohl nirgendwo sonst im Öffentlichen Dienst das Aufgabenspektrum so facettenreich und breit gefä­

Leistungen und Sicherheiten eines staatlichen Arbeitgebers. Wir legen dabei besonderen Wert auf eine familienfreundliche und möglichst flexible Arbeitsgestaltung, eine um­ fangreiche soziale Absicherung und viel individuellen Gestaltungsspiel­ raum für den Einzelnen.

Organisationsentwicklung für die Zukunft Ein entscheidender Punkt ist für uns im Beschaffungsamt in diesem

Zusammenhang die möglichst um­ fassende Einbeziehung aller Mitar­ beitenden in die strategische Pla­ nung und Entwicklung der internen Strukturen in unserem Haus. Es hat dazu im BeschA in der Vergangen­ heit eine ganze Reihe von Bemü­ hungen gegeben, die den Boden dafür bereitet haben, dass wir im letzten Jahr einen umfassenden strategischen Gesamtprozess star­ ten konnten. An dessen Ende stand ein umfangreicher Maßnahmen­ plan, den wir seit diesem Jahr Stück für Stück gemeinsam umsetzen. Neben der Stärkung unserer Kern­ kompetenzen in der Beschaffungs­ arbeit insbesondere in den Berei­ chen Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Verwaltungsmoder­ nisierung und dem Ausbau unserer Kundenbeziehungen beinhaltet der Maßnahmenkatalog auch zahlreiche Schritte zur Stärkung einer moder­ nen Arbeitsorganisation und zur Förderung einer attraktiven Arbeits­ kultur. Die vielfältige Möglichkeit für mobiles Arbeiten ist da nur eins von vielen Beispielen. Wir wollen qualifizierte Mitar­ beiterinnen und Mitarbeiter noch gezielter fördern und Menschen für uns gewinnen, die Interesse

Frank Schmitz, Abteilungsleiter Z (Beschaffungsmanagement Foto: BS/BeschA und Zentrale Dienste) im BeschA

an einer lebendigen, wachsenden Organisation haben, deren Rah­ menbedingungen sie selbst aktiv mitgestalten können. Die Eröffnung unseres neuen Standortes Erfurt hat sich in dieser Hinsicht als wahrer Glücksfall erwiesen und eröffnet dem BeschA viele zusätzliche Per­ spektiven.

wähnen möchte. Zum einen soll das Beschaffungsamt nach derzeitiger Planung nach dem erfolgreichen Rollout der E-Rechnung eine zen­ trale Rolle bei der Weiterentwick­ lung übernehmen. Zum anderen verantworten wir im Projekt stan­ dardbasierte Vereinfachung des Un­ ternehmenszugang zur öffentlichen Beschaffung im Kontext des Online­ Bedeutsame Zukunftsprojekte zugangsgesetzes die Entwicklung mitgestalten eines Bekanntmachungsservices Das Bundesinnenministerium für alle öffentlichen Ausschreibun­ unterstützt uns hierbei durch die gen. Durch beide Projekte stellt das Übertragung von Aufgaben in Beschaffungsamt seine Kompeten­ interessanten und wichtigen Zu­ zen im Bereich Digitalisierung des kunftsprojekten, von denen ich an Beschaffungswesens erneut unter dieser Stelle exemplarisch zwei er­ Beweis.

EIN Amt mit vielen Möglichkeiten Vielfältiges analoges und digitales Personalmarketing im Beschaffungsamt (BS/BeschA) Im Beschaffungsamt des BMI arbeiten seit mehr als 70 Jahren Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten und Qualifikationen unter einem Dach. Damit stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BeschA für ein Ziel: so effizient und nachhaltig wie möglich die qualitativ besten Produkte und Dienstleistungen auf dem Markt zu beschaffen. So hat sich das Beschaffungsamt über die Jahre hinweg zum größten zivilen Einkäufer des Bundes entwickelt.

Ein Patenprogramm gibt in der Anfangszeit wichtige Orientierung. Fotos: BS/BeschA

Vor und sicherlich auch nach Corona ein zentrales Element des Personalmarketings: die Präsentation auf Messen und sonstigen Veranstaltungen.

Die Corona-Pandemie hat in diesem und auch schon im ver­ gangenen Jahr die gesamte Event­ branche lahmgelegt. So konnte das BeschA leider oft nicht wie geplant auf Veranstaltungen und

Messen vor Ort sein, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren. Auf einigen digitalen Messen, wie zum Beispiel dem Unternehmenstag der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, sind wir aber dennoch mit Bewerberin­ nen und Bewerbern ins Gespräch gekommen.

Arbeiten im BeschA

Auf www.faszination-beschaffung.de präsentiert sich das BeschA als Arbeitgeber und spricht dezidiert Interessierte an.

Für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das BeschA einen Onboarding-Prozess entwickelt, der den Einstieg erleichtern soll. Er soll vor allem das persönliche Kennen­ lernen unterstützen und individuelle Hilfestellung geben, etwa mithilfe von Mentorinnen und Mentoren. Auch persönliche Gespräche mit den Abteilungsleitungen und der Präsidentin gehören von Anfang an dazu. Zudem gibt es ein Patenpro­ gramm, das dazu dienen soll, sich in der Anfangszeit besser zurechtzu­ finden. Hier kommen die Mitar­ beitenden abteilungsübergreifend

Ein eigener YouTube-Kanal informiert über den Alltag im BeschA und liefert zahlreiche Hintergrundinformationen.

zusammen, damit das Verständnis für die Arbeit des Anderen sowie das Wissen über die Verknüpfung der einzelnen Referate wächst. Wichtig ist uns darüber hinaus

vor allem die Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben. Um die damit einhergehende nö­ tige Flexibilität zu gewährleisten, haben alle Mitarbeitenden des

BeschA die Möglichkeit, zwischen drei verschiedenen Arbeitsmodellen zu wählen, um ihrer persönlichen Lebenssituation am besten gerecht werden zu können.



70 Jahre BeschA

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erade die intensive und kon­ struktive Zusammenarbeit mit seinen Kunden zeichnet das Beschaffungsamt aus. Es ver­ wundert mich daher nicht, dass die Kundenzufriedenheit in Bezug auf die Beschaffungsdurchführung seit vielen Jahren beim BeschA die stolze Marke von über 90 Prozent vermel­ det. Aus den “Bedarfsträgern” sind beim BeschA im Laufe der Jahre ech­ te Kunden geworden und es zeich­ net das Beschaffungsamt sehr aus, dass es trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – im Rahmen seiner strategischen Weiterentwicklung auf den Ausbau seiner Kundenbe­ ziehungen und ein effizientes Kun­ denmanagement großen Wert legt und weiter intensiv daran arbeitet. Im Gründungsjahr 1951 hat ver­ mutlich niemand geahnt, was aus der ursprünglichen “Beschaffungs­

In der Krise hat das Beschaffungsamt seine Stärke gezeigt. stelle des Bundesgrenzschutzes” einmal werden würde: ein moderner Dienstleister, der sich mit einem Einkaufsvolumen von knapp fünf Milliarden Euro im letzten Jahr in­ zwischen zu Recht größter ziviler Einkäufer des Bundes nennen darf. Mehr noch, das BeschA zählt im

Ein Amt mit Zukunft Das BeschA steht für modernen öffentlichen Einkauf (BS/Dr. Markus Richter) Die Erwähnung des Begriffs “Beschaffungsamt des BMI” kann, außerhalb der Verwaltung, zu der Nachfrage führen, was denn Beschaffung sei. Dabei feiert das BeschA, wie es kurz genannt wird, sein 70. Jubiläum und aus der ehemals kleinen Behörde ist mittlerweile der größte zivile Beschaffungsdienstleister des Bundes geworden. Mit rund 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Dienstorten Bonn und Erfurt werden Waren und Dienstleistungen eingekauft, die in der Bundesverwaltung benötigt werden. Dabei ist die Erfahrung dieser Beschaffungsstelle über verschiedenste Vergabeverfahren nicht nur bei der Beschaffung außergewöhnlicher Ausrüstung, wie zum Beispiel von Fallschirmen oder Elektronenmikroskopen, gefragt. Das BeschA ist auch in Zeiten der Krisenbewältigung, wo es gilt, schnell und routiniert auf Ad-hoc-Bedarfe zu reagieren, ein wichtiger Partner. öffentlichen Einkauf mittlerweile zu den wichtigen Treibern auf den beiden zentralen Zukunftsfeldern Nachhaltigkeit und Digitalisierung, nicht zuletzt durch die Arbeit der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) und der Zentral­ stelle IT-Beschaffung (ZIB). Ein Fakt, der beim absehbar weiteren Aus­ bau des Beschaffungsamtes in den nächsten Jahren noch eine entschei­ dende Rolle spielen dürfte.

Kontinuierliche Weiterentwicklung Das Beschaffungsamt des BMI agiert nah an seinen Kunden, kann deren Bedürfnisse deshalb auch genau aufnehmen, mit den Markt­ gegebenheiten und -teilnehmern eng abstimmen und erweist sich so als wichtiges Bindeglied im Dreieck Kunde, Markt und Politik. Dass es dabei nicht stehen bleibt, sondern sich kontinuierlich fortentwickelt, beweist das Beschaffungsamt nicht zuletzt durch einen fundierten Stra­ tegieprozess, mit dem es seine Zu­ kunftsfähigkeit als kundenorientier­ ter Beschaffungsdienstleister weiter stärken möchte, insbesondere in

Für die Zukunft gut aufgestellt

Als zentraler Ausrüster für die öf­ fentliche Verwaltung in Deutschland kauft das BeschA viele unterschied­ liche Produkte und Dienstleistungen ein, die allesamt seine Kunden in die Lage versetzen, ihre Aufgaben erfolgreich zu meistern. Insofern ist das Beschaffungsamt des BMI so etwas wie ein “Hidden Champion”, ohne dessen Engagement in vielen Bereichen der Motor ins Stottern geriete, ob bei den Sicherheitsbe­ hörden oder bei der Digitalisierung des Bundes, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ein besonderes Gewicht hat das Beschaffungsamt in den vergange­ nen Jahren in diesem Kontext auf die Dr. Markus Richter: Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat sowie Beauftragter digitale Verwaltungsmodernisierung der Bundesregierung für Informationstechnik (Bundes-CIO) Foto: BS/BMI, Henning Schacht und bei der Förderung von Nachhal­ tigkeit im öffentlichen Einkauf ge­ den Bereichen Digitalisierung, Nach­ Erfurt wurden neue Arbeitsplät­ eine ganze Reihe von qualifizierten legt. Die Bereitstellung von Diensten haltigkeit, Sicherheit und Verwal­ ze in den Bereichen IT und Innere Fachleuten und engagierten neuen zur vollständigen Digitalisierung des Sicherheit angesiedelt, um dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern öffentlichen Einkaufs und dessen tungsmodernisierung. Auch geografisch ist das BeschA gestiegenen Bedarf an Beschaf­ gewonnen werden. Intensiv wird nachhaltige Gestaltung bleiben auch dabei gut aufgestellt, konnte doch fungsdienstleistungen gerade auf entsprechend an der Integration für die Zukunft wichtige Punkte auf im Juli vergangenen Jahres ein wei­ diesen Feldern Rechnung zu tra­ und an dem Zusammenwachsen der politischen Agenda. Insofern terer Dienstort eröffnet werden. In gen. Unter dem Motto “Faszination gearbeitet, getreu dem Motto “EIN sehe ich das BeschA für zukünftige der thüringischen Landeshauptstadt Beschaffung” konnten gerade dort Amt an verschiedenen Standorten”. Herausforderungen gut aufgestellt.

Ein echter Bürokratiekiller Die Zentralstelle IT-Beschaffung spart Aufwand und bares Geld (BS) Die Zentralstelle IT-Beschaffung (ZIB) ist der zentrale Ausrüster für die digitale Modernisierung der Bundesverwaltung. Sie wurde 2017 im Rahmen des Projekts “IT-Konsolidierung des Bundes” im BeschA angesiedelt, um die Ausschreibungen und das Vertragsmanagement von IT-Rahmenverträgen für die gesamte unmittelbare Bundesverwaltung abzuwickeln. Über die Arbeit und Erfolge der ZIB, heute einer der größten IT-Vergabestellen hierzulande, sprach der Behörden Spiegel mit deren Leiter Felix Zimmermann. Das Interview führte Guido Gehrt. ehörden Spiegel: Herr Zimmermann, warum gibt es die ZIB? Zimmermann: Es gibt viele gute Gründe, dass die ZIB vor etwas über vier Jahren als zentrale IT-Beschaf­ fungsstelle gegründet worden ist. Zuallererst spart sie dem Bund viel Aufwand und bares Geld, wenn Ver­ träge zentral ausgeschrieben wer­ den. Das liegt insbesondere an den realisierten Skaleneffekten und der Professionalisierung. Wir fokussie­ ren uns beim Einkauf auf die Dinge, die fast jeder braucht und machen daraus Rahmenverträge. Unsere Kundenbehörden können die von ihnen benötigten Leistungen einfach im Kaufhaus des Bundes abrufen. Sie müssen also kein langwieriges Vergabeverfahren durchführen, son­ dern bestellen direkt beim Anbieter, der den Rahmenvertrag gewonnen hat. Durch die Zusammenlegung der Bedarfe erzielen wir gute Preise und dienen damit der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung von Steuermitteln.

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Behörden Spiegel: Wieviele Vergabeverfahren werden durch dieses Vorgehen vermieden? Zimmermann: Das kann man nur grob schätzen. Im Durchschnitt bün­ deln wir pro Rahmenvertrag den Bedarf von rund 80 Einrichtungen der Bundesverwaltung. Das bedeu­ tet, dass die ZIB mit jedem Zuschlag mindestes 80 Vergabeverfahren an anderer Stelle überflüssig macht. Die ZIB ist also ein echter Büro­ kratiekiller. Behörden Spiegel: Dann ist die ZIB eine Effizienz- und EinsparOrganisation?

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Zimmermann: Es geht weit da­ rüber hinaus. Zum einen bewer­ ten wir in den meisten Vergaben auch die relevanten Aspekte der Leistungsqualität. Es gewinnt al­ so nicht immer der Billigste. Zum anderen haben wir mit unseren großen Volumina deutlich mehr im Markt zu sagen. Das stärkt die Verhandlungsposition der Bundes­ verwaltung in jeglicher Hinsicht, gerade im von Oligopolen und Mo­ nopolen geprägten IT-Markt. Das hat man richtigerweise frühzeitig im Großprojekt IT-Konsolidierung des Bundes erkannt und die ZIB mit dem Teilprojekt Beschaffungsbündelung realisiert. Darüber hinaus macht die ZIB strategische Beschaffung, also wir realisieren echte Mehrwerte, die über die reine Bedarfsdeckung hi­ nausgehen. Behörden Spiegel: Was kann man sich denn unter Mehrwerten in der öffentlichen Beschaffung vorstellen? Zimmermann: Der Staat kann mit seinem Einkaufsverhalten mehr erreichen, als einfach nur ein Pro­ dukt zu kaufen. Effekte sind vielfach möglich, etwa in den Bereichen Umweltschutz, soziale Nachhal­ tigkeit oder digitale Souveränität. Noch vor wenigen Jahren wurde viel darüber diskutiert, ob der Staat überhaupt Vorgaben an die Art und Weise der Produktion machen darf. Das ist inzwischen geklärt. So kann und sollte ein verantwortungsvoll handelnder Staat seine Steuergelder etwa nicht für Leistungen verwen­ den, die in schlimmsten Formen der ausbeuterischen Arbeit produziert

Felix Zimmermann, Leiter der Zentralstelle IT-Beschaffung (ZIB) Foto: BS/BeschA

Der Staat kann mit seinem Einkaufsverhalten mehr erreichen, als einfach nur ein Produkt zu kaufen. worden sind. Wir tun das als ZIB, indem wir entsprechende Anforde­ rungen aufstellen und nachhalten. Wir werden zukünftig sicherlich auch in anderen Bereichen ver­ stärkte strategische Anforderungen sehen. Ich denke da etwa an mehr Transparenz im Produktionsprozess von Hardware-Komponenten oder bei der Erstellung von Software, um die IT-Sicherheit zu stärken. Auch im Bereich Klimaschutz und Beschaf­ fung tut sich gerade extrem viel.

Behörden Spiegel: Wo liegen die Erfolge, aber auch die zentralen Herausforderungen der zentralen IT-Beschaffung? Zimmermann: Ein Teil der ZIB war und ist weiterhin für IT-Vergaben im Geschäftsbereich des BMI zuständig. Die sehr erfahrenen Mitarbeitenden sind darin sehr erfolgreich. Man sieht, wie positiv sich Professionali­ sierung auf passgenaue Leistungen und Verfahrenseffizienz auswirkt. Der andere Teil der ZIB hat im Jahr

2020 Rahmenverträge mit einem Volumen von rund zwei Mrd. Euro abgeschlossen. Im Ergebnis wurden damit im Jahre 2020 rund 60 Prozent der IT-Bedarfe der Bundesverwal­ tung über Rahmenverträge der ZIB gedeckt. Darunter befinden sich neben grundlegenden Hard- und Software- sowie Dienstleistungs­ aufträgen auch spezielle, strategisch bedeutsame Leistungen wie etwa Barrierefreiheits-Testing. Damit set­ zen wir Grundlagen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Außerdem beobachten wir mit Be­ ginn der Corona-Pandemie seit März 2020 die Lieferfähigkeit unserer Vertragspartner genau, berichten innerhalb der Bundesverwaltung darüber und haben in Einzelfällen auch Maßnahmen getroffen. Was die ZIB besonders auszeich­ net, ist die Transparenz und offene Kommunikation mit dem Markt im Vorfeld von Ausschreibungen. So teilen wir unter https://e-beschaf fung.bund.de mit unserer Rahmen­ vertrags-Roadmap monatlich den aktuellen Stand unserer geplanten und laufenden Verfahren öffentlich mit. Das ist insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen wichtig. Bei großen Vertragsvolu­ mina können diese bereits im Vor­ feld mit dem Partnering beginnen. Darüber hinaus führen wir zu sehr wichtigen Themen Marktdialoge mit den interessierten Unternehmen gemeinsam durch. Üblicherweise sind wir als zentra­ le Beschaffungsstelle vom Bedarf gewisserweise entfernt. Wir setzen daher auf qualifizierte IT-Fachkräfte in der ZIB und kooperieren zudem stark mit den Bedarfsträgern. Eine echte Herausforderung liegt na­ türlich in der angespannten Lage auf dem Personalmarkt für ITFachkräfte.

Zimmermann: Das kommt auf die Art und Weise der Nutzung und Implementierung im Betrieb an. Bei Cloud-Lösungen geht es viel um Datensicherheit, Datenschutz, Bereitstellungsmodelle und ServiceLevel. Da ist noch nicht alles zwi­ schen Verwaltung und Wirtschaft geklärt. Insbesondere fehlen ab­ gestimmte Grundlagen, wie es sie etwa in den EVB-IT Vertragsmustern bereits für andere IT-Leistungen

Wir setzen auf qualifizierte ITFachkräfte in der ZIB und kooperieren stark mit den Bedarfsträgern. gibt. Daher beteiligen wir uns auch aktiv in der “AG Cloud-Leistungen und Digitale Souveränität” des ITPlanungsrates, um genau solche Beschaffungsgrundlagen zu setzen. Bei KI-Lösungen sehe ich die glei­ chen Herausforderungen mit dem zusätzlichen Aspekt ethikrelevanter Anforderungen.

Behörden Spiegel: Wie wird sich die ZIB weiterentwickeln? Zimmermann: Zukünftig werden wir unser Dienstleistungsportfolio weiter ausbauen. Dazu gehört für uns neben der Ausschreibung ge­ bündelter Bedarfe in Rahmenver­ trägen auch das Angebot an die Behörden der Bundesverwaltung, individuelle Einzelbeschaffungen Behörden Spiegel: Stichwort durchzuführen. Gleichzeitig möch­ Technologischer Wandel: Was un- ten wir unsere Kompetenzen an terscheidet die Beschaffung von der Schnittstelle zwischen Markt klassischer Hard- oder Software von und Verwaltung der gesamten Bun­ der Beschaffung einer Cloud- oder desverwaltung stärker zugänglich machen. KI-Lösung?



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70 Jahre BeschA

Grußwort des Technischen Hilfswerks

Grußwort der Bundespolizei

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

Liebe Beschafferinnen und Beschaffer,

ein verlässlicher Kooperationspartner und Ungewöhnliches ngewöhnliches verbindet: Auf der einen das THW ist froh und dankbar, einen solSeite das Technische Hilfswerk und seine chen an seiner Seite zu haben. Und mit Faszination “Helfen”: Einsatzorganisation dem Technik-Referat E5 des THW haben wir des Bundes und Behörde mit einzigartieine leistungsfähige und kompetente ger Dualstruktur aus Ehrenamt und Schnittstelle zum Beschaffungsamt. Hauptamt. Auf der anderen Seite Wie eingespielt die Zusammenardas Beschaffungsamt des BMI und beit der beiden Behörden ist seine Faszination “Beschaffung”: und wie eng die KommunikaEine der zentralen Vergabestellen tion, zeigt sich auch während des Bundes und Behörde, die sich der Covid-19-Lage: Um für die als Dienstleister versteht, mit dem Mitarbeitenden in BundesbeZiel der vertrauensvollen und ophörden Selbsttests zu ermöglitimalen Betreuung seiner Kunden. Gerd Friedsam, Präsident Techchen, beschaffte das BeschafBeschaffungsamt und THW nisches Hilfswerk Foto: BS/THW fungsamt im April 2021 rund sind ein eingespieltes Team. Sie 2,5 Millionen Tests. Gemeinsam bilden eine leistungsstarke und mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und wirkungsvolle Kombination innerhalb der SicherKatastrophenhilfe (BBK) unterstützte das THW für heitsarchitektur in Deutschland. Bevölkerungs- und einen Teil dieser Tests im Bereich Logistik. Katastrophenschutz sind die Basisleistungen eines Herausforderungen wie die Covid-19-Lage sowie Staates, der für die Sicherheit seiner Bürgerinnen weitere veränderte Gefahrenlagen, Beispiel Kliund Bürger eine große Verantwortung trägt. Die mawandel, erfordern eine Anpassung des BevölkeErfüllung dieser Aufgabe, die Weiterentwicklung der rungs- und Katastrophenschutzes. Sie stellen auch Sicherheitsarchitektur, der Ausbau ihres Netzwerks, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Beschafdie Stärkung ihrer Stabilität und Effizienz, das Fördern fungsamtes immer wieder vor neue, anspruchsvolle von Austausch und Erfahrung und das Bündeln von Aufgaben, denen diese kompetent und erfahren Ressourcen kann nur im Miteinander funktionieren. begegnen: Ein umfangreiches Konjunkturpaket, Über den Tellerrand der eigenen Institution und über eine steigende Anzahl an Beschaffungsanträgen, geografische und soziokulturelle Horizonte hinweg. die Komplexität des Vergabewesens sowie hohe Das Beschaffungsamt ist hier seit 70 Jahren ein Anforderungen an die Vergaberechtssicherheit. Das zuverlässiger Partner. Das Portfolio seiner BeschafErgebnis: ein Vergabevolumen auf hohem Niveau, fungen für das THW ist vielgestaltig: Von Trenneine herausragende Kundenzufriedenheit – und ein scheibe, Taschenmesser und Zurrgurt über Software, zufriedenes THW. Drohne, Einsatzbekleidung und 25.000-Liter-Pumpe Im Namen der THW-Angehörigen danke ich dem bis hin zu Werkstattcontainer, Boot, Lkw, Berge- und Beschaffungsamt des BMI für seine hervorragende Räumgerät − das Beschaffungsamt stärkt das THW Arbeit und gratuliere herzlich zum 70. Jubiläum. Ich als Einsatzorganisation und somit den Bevölkerungswünsche Dr. Ruth Brand und ihrem Team alles Gute und Katastrophenschutz. Es trägt dazu bei, dass und vertraue auf eine weiterhin ausgezeichnete das blaue THW-Zahnrad rund läuft, und die rund Zusammenarbeit. 80.000 Helferinnen und Helfer des THW qualifizierte technisch-humanitäre Hilfe leisten. Alleine von 2017 Mit besten Grüßen bis 2020 hat das THW mehr als 1.300 Fahrzeuge übernommen, die durch das Beschaffungsamt als Auftraggeber beschafft wurden. Voraussichtlich noch in diesem Jahr steht die Ausschreibung für die neue Multifunktionale Einsatzbekleidung (MEA) an. Hier sollen 80.000 Sätze beschafft werden, die schätzungsweise ein Haushaltsmittelvolumen von über 50 Millionen Euro haben werden. Um es mit dem Motto des Beschaffungsamtes Gerd Friedsam zu sagen: “Das Beschaffungsamt – mehr als nur Präsident des Technischen Hilfswerks Beschaffung, mehr als nur ein Amt”. Stimmt. Es ist

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an die Nutzer übergeben. Die Bandbreite was wären wir ohne Sie? Nackt! Ohne Autos, ohne Wasserwerfer, ohne Schiffe, des Bedarfs ist immens und reicht tatsächlich von der Socke bis zum vorgeohne Hubschrauber usw. Auf die Frage, mit wem die Bundespolizei am nannten Polizeischiff. Dazwischen liegt engsten und häufigsten zusammenarbeitet, eine Bedarfsvielfalt, die das Beschaffungsamt regelmäßig vor neue erhält man regelmäßig folgende AntHerausforderungen stellt. wort: “Mit denen, die ebenfalls mit der Gerade hier zeigt sich jedoch Abwehr von Gefahren betraut sind.” die Stärke der jahrzehntelanDas sind die Behörden und Organigen guten Zusammenarbeit sationen mit Sicherheitsaufgaben und des permanenten Aus(BOS), umgangssprachlich auch Dr. Dieter Romann, Präsident des tauschs. “Blaulichtorganisationen” genannt. Bundespolizeipräsidiums In diesem Jahr beginnt das Also z. B. mit dem BundeskriminalFoto: BS/Bundespolizei größte Beschaffungsprojekt in amt, den Polizeien der Länder, der der Geschichte der BundesWasser- und Schifffahrtsverwaltung polizei und sicher auch des Beschaffungsamtes: Die des Bundes, dem Zoll, dem THW, den Feuerwehren, Ersatzbeschaffung unserer Transporthubschrauberden Organisationen des Rettungsdienstes und des flotte. Das Gesamtvolumen dieses über zehn Jahre Katastrophenschutzes etc. laufenden Vorhabens beträgt insgesamt rund 1,8 Auch mit der Bundeswehr und verschiedenen Milliarden Euro. privaten Sicherheitsdiensten besteht ein enges und Bei allen an Sie gerichteten Anforderungen war und vertrauensvolles Miteinander. Hinzu kommt das ist eine stetig anspruchsvoller werdende Rechtslage internationale polizeiliche Zusammenwirken mit zu berücksichtigen. Auch diese Herausforderung weltweit 86 Staaten. meistern Sie in herausragender Weise. Und dennoch: Die einzig richtige Antwort auf die Und berücksichtigt man zusätzlich, dass im vergangenannte Frage lautet: mit dem Beschaffungsamt genen Jahr schnellstmöglichst auch die speziellen des BMI! pandemiebedingten Bedarfe zu realisieren waren, Gegründet als “Beschaffungsstelle des Bundesdann dürfte 2020 wohl eines der anspruchsvollsten grenzschutzes” war Ihre Behörde sozusagen von Jahre in der 70-jährigen Geschichte Ihrer Behörde “Kindesbeinen” an auf das Engste mit dem BGS, gewesen sein. der heutigen Bundespolizei, verbunden. Aus einer Die Bundespolizei schätzt sich glücklich, mit dem damals “vollmotorisierten Polizeitruppe” haben Beschaffungsamt des BMI einen verlässlichen und Sie – gemeinsam mit fachlich versierten Experten kompetenten Partner an der Seite zu haben. von uns – die am besten ausgestattete Polizei des Für die gute, intensive und vertrauensvolle ZusamBundes entwickelt. menarbeit mit “unserem” Beschaffungsamt möchte Jedes Jahr helfen Sie bei der Beschaffung tauich an dieser Stelle “Danke” sagen. sender Einzelartikel, hunderten von Fahrzeugen, Schutzausstattung, Bekleidung, Informationstechnik, Ihnen und uns wünsche ich weitere erfolgreiche Dienstleistungen – die Palette ließe sich seitenlang 70 Jahre. fortsetzen. Bleiben Sie bitte alle gesund. Unermüdlich wirkten und wirken Sie an unserer Seite an der Erarbeitung bestmöglicher Verträge. Ihr Dabei sind die Auftragsvolumina stetig gewachsen. Allein 2020 erhielten Sie rund 300 vielschichtige Beschaffungsaufträge von uns, wobei das höchste Volumen eines Einzelauftrages bei ca. 200 Mio. Euro lag. Auch die Komplexität der Beschaffungen hat mit den Jahren kontinuierlich zugenommen. 2018 konnten Dr. Dieter Romann wir, in sehr kurzer Zeit, gemeinsam das modernste Präsident des Bundespolizeipräsidiums Polizeischiff weltweit beschaffen und betriebsbereit


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Von Wasserfahrzeugen bis zur Robotik

Innere Sicherheit und Bundespolizei

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en größten Anteil machen beim Beschaffungsamt Vergabepro­ jekte für Sicherheitsbehörden aus. Größter Kunde in diesem Bereich ist die Bundespolizei, für die das BeschA immer wieder wich­ tige Beschaffungsaufträge durchführt. Neben der Sicher­ heitsausstattung oder Einsatzfahrzeugen zählen dazu auch Spezialanfertigungen wie ein Sondertransportanhänger für den Entschärfungsdienst der BPOL.

u groß gibt es nicht: Das BeschA stemmt auch Einkäufe XXL wie die Beschaffung von neuen Einsatzschiffen für die maritimen Aufgaben der Bundespolizei. Mit einem konzentrierten Vergabeverfahren hat das BeschA die Weichen dafür gestellt, dass die BPOL ultramo­ derne Einsatzschiffe bekommen hat, die kostengünstig betrieben werden können und sich durch ein hohes Maß an Umweltfreund­ lichkeit auszeichnen.

Ausstattung der Bevölkerungsschützer

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as Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gehört ebenso zu unseren Kunden wie die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Damit die Katastro­ phenhelfer einsatzfähig sind, statten wir sie mit jeder erdenklichen Ausrüstung aus, von tonnen­ schweren Räumfahrzeugen und Gerätekraft­ wagen über Zivilschutz-Hubschrauber bis hin zu einer mobilen Spezialbohran­ lage zum Einsatz in künftigen Hochwasserlagen.

Flugsicherheit gewährleisten

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as BeschA ist zuständig für die Ausschreibung von Fluggastkontrollen, damit Sie sicher reisen können. Zudem liegt auch die Beschaffung von Systemen zur Pas­ sagier- und Gepäckkontrolle oder für die Sprengstoffdetektion, also für Gepäck- und Körperscanner an Flughäfen, in unserem Aufgabenbereich.

as Feld der Informations- und Kommunikationstechnik ist breit gefächert: von Krypto- über Funkbis hin zu Netzwerk- und Videokon­ ferenztechnik – das BeschA ist Ex­ perte, wenn es um Beschaffungen in diesem Bereich geht. Ein großes Projekt der jüngsten Vergangen­ heit war z.B. die Modernisierung des Digitalfunknetzes der deut­ schen Behörden und Organi­ sationen mit Sicherheits­ aufgaben durch die Umstellung auf IP-Technik.

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ie Bundespolizei und das Bundeskriminalamt sind oft in gefährlichen Einsätzen unterwegs. Lebensrettend ist dabei häufig eine durchschuss­ sichere Spezialkleidung, wie wir sie erst vor Kurzem in Form von neuen ballistischen Schutzwesten beschafft haben. Aber auch das THW wird beispiels­ weise von uns mit Bekleidung ausgestattet, etwa mit ebenso funktionalen wie nachhal­ tigen Poloshirts für die Einsatzkräfte.

Da steckt BeschA drin!

Informations- und Kommunikationstechnik

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Spezialkleidung für besondere Aufgaben

Das BeschA ist verantwortlich für den Einkauf im gesam­ ten Geschäftsbereich des BMI. Nirgendwo sonst ist das Spektrum so breit gefächert wie beim größten zivilen Einkäufer des Bundes. Für unsere Kunden beschaffen Mobile einsatzwir Dienstleistungen und Waren vom – tonnenschwe­ taktische Systeme ren Spezialfahrzeug oder maritimen Einsatzboot bis uch die Beschaffung von einsatztakti­ schen Systemen unserer Sicherheitskräf­ hin zu hochentwickelten Messgeräten. te gehört zum Aufgabenspektrum des Beschaf­

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fungsamtes. So konnten im vergangenen Jahr vom BeschA in enger Zusammenarbeit mit der GSG 9 einsatztaktische Gleit- und Tandemfallschirmsys­ teme beschafft werden, die die Spezialeinheit der Bundespolizei im Rahmen ihrer Aufgaben in der Bekämpfung von Schwerst- und Gewaltkriminalität sowie Terrorismus benötigt.

Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung

Strategische IT-Beschaffung

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ir arbeiten kontinuierlich an der Bereitstellung von Diensten, die unseren Kunden auf effiziente Weise eine vollständige Di­ gitalisierung ihrer Einkaufsprozesse ermöglichen sollen. Wichtige Mei­ lensteine wie die e-Vergabe als zen­ trale elektronische Vergabeplattform oder das Kaufhaus des Bundes (KdB) für Abrufe aus Rahmenvereinbarungen leisten hier wertvolle Dienste.

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ie Zentralstelle ITBeschaffung (ZIB) im BeschA kennzeichnet eine systematische Arbeit im Bereich Marktbeobachtung und Marktanalyse ebenso wie ein effizientes Kunden-, Risiko-, Roadmap- oder Ver­ tragsmanagement. Seit 2020 befindet sich zudem ein neues Anforderungsmanagement in der Um­ setzung. Mit verschiedenen Dialogformaten hat sich die ZIB darüber hinaus als fester Bestandteil einer aktiven Markt­ kommunikation etabliert.

Klare Maßstäbe bei nachhaltiger Beschaffung

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Internationale Zusammenarbeit

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as BeschA unterstützt andere Behörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben im nationalen, aber auch im interna­ tionalen Rahmen. So konnte das BeschA gemeinsam mit dem BBK die tunesischen Rettungskräfte durch die Beschaffung und Auslieferung von Feuerwehr-Pick-ups wir­ kungsvoll unterstützen.

Qualität ist Trumpf: die Güteprüfung

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benso wichtig wie die Beschaffungen an sich sind die Qualitätssicherung und Güteprüfung für nahezu alle Beschaffungsge­ biete. Unsere Güteprüfer untersuchen sämtliche Prüfmerkmale mithilfe vielfältiger Prüfmetho­ den und Messungen. Sie entscheiden schluss­ endlich über die Freigabe eines Produktes oder einer Leistung und sichern so die Basis unserer Kundenzufriedenheit: das Vertrauen unserer Be­ darfsträger.

it der Kompetenzstelle für nachhaltige Be­ schaffung (KNB) hat das BeschA die Experten für den Bereich Nachhaltigkeit im Hause und das Thema stets im Blick. Dieses Fachwissen nutzen wir gerade auch bei eigenen Projekten: So hat die ZIB zuletzt ein klares Signal in Richtung mehr Nachhal­ tigkeit für den gesamten Markt der Mobilfunkend­ geräte gesendet und faire Smartphones für die Bundesverwal­ tung beschafft.

Grafik: BS/Dach unter Verwendung von Roman Dekan, stock.adobe.com; Otto Normal, stock.adobe.com; partyvector, stock.adobe.com; Aayam 4D; skypicstudio, stock.adobe.com; iiierlok xolms; GrafKoks, stock.adobe.com; mileswork, stock.adobe.com


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Behörden Spiegel / September 2021

Nach oben gibt es kaum Grenzen Abteilung B beschafft breites Spektrum an Produkten und Dienstleistungen (BS) “Die meisten Vergabeverfahren führen wir im Bereich Dienstleistungen durch”, erläutert Karsten Scholtz, Leiter der Abteilung B “Beschaffungen”. Mit dem Behörden Spiegel spricht er über die Organisation seiner Abteilung und der Vergabeverfahren sowie über das breite Beschaffungsspektrum bis zum Exotischsten, was je beschafft wurde. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

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ehörden Spiegel: Herr Scholtz, Sie leiten die Abteilung B. Wie würden Sie Ihre Abteilung beschreiben? Scholtz: Die Abteilung B ist im Beschaffungsamt für ein sehr breites Spektrum zuständig. Dies reicht von vielfältigen Dienstleistungen und Bekleidungsartikeln wie Uniformen und Arbeitshandschuhen, Print- und Verlagserzeugnissen bis hin zu technischen und einsatztaktischen Ausrüstungsgegenständen für die Bundespolizei und für das Technische Hilfswerk (THW) und Großprojekten wie die Beschaffung von Hubschraubern und Booten oder Einsatzfahrzeugen. Dazu gehören auch sehr spezielle Bereiche wie Luftsicherheitskontrolltechnik für Flughäfen, Geräte aus der Arbeitsmedizin oder der Medizintechnik. Zuletzt haben wir auch aus aktuellem Anlass Produkte und Dienstleistungen zur Bekämpfung der Pandemie beschafft. Kurzum: Wir beschaffen alles, was der Bund benötigt. Ausgenommen sind Beschaffungen im IT-Bereich, diese sind in der Zen­ tralstelle IT-Beschaffung gebündelt. Behörden Spiegel: Wie ist Ihre Abteilung organisiert? Scholtz: Wir haben insgesamt zehn Referate. Davon ist ein Referat für die Koordinierung der Beschaffungen zuständig, die übrigen neun führen die Vergabeverfahren durch und sind nach inhaltlichen Schwerpunkten gegliedert. Von diesen neun Referaten sind fünf in Bonn angesiedelt, drei weitere an unserem neuen Standort in Erfurt und eins standortübergreifend in Erfurt und Bonn. Das sind insgesamt mehr als 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meiner Abteilung. Alle Referate haben eine spezifische fachliche Ausrichtung; es ist uns aber auch sehr wichtig, dass wir flexibel auf die jeweils anstehenden Aufgaben und Beschaffungswünsche reagieren können. Und referatsübergreifende Beschaffungsvorgänge kommen natürlich auch vor.

Karsten Scholtz, Leiter der Abteilung B “Beschaffungen” im BeschA Foto: BS/Privat

Unsere Aufgabe ist es, den Bedarf sowohl bedarfsgerecht als auch vergaberechtskonform auszuschreiben.

Auch die Beschaffung neuer ballistischer Schutzwesten für Bundespolizei und Bundeskriminalamt gehört zum Aufgabenspektrum des BeschA. Foto: BS/BeschA

die Themengebiete Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit, Post- und Paketdienstleistungen sowie Beratungs- und Unterstützungsleistungen. Nicht zu vergessen alles rund um den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Werbung, wie Ausstellungen oder Online-Auftritte. Behörden Spiegel: Und wer ist der größte Bedarfsträger in der Abteilung B? Scholtz: Für meine Abteilung sind Bundespolizei und THW die größten Bedarfsträger.

Behörden Spiegel: Wie hoch sind die Volumina und Umfänge der einzelnen Beschaffungsvorgänge? Scholtz: Hier haben wir ein sehr großes Spektrum. In der Regel beginnen unsere Ausschreibungsvolumen bei 25.000 Euro, darunter können die Bedarfsträger eigenständig ausschreiben. Nach oben gibt es kaum Grenzen: Ausschreibungen für Hubschrauber, Schiffe oder andere große Projekte liegen auch durchaus in zwei oder sogar dreistelliger Millionenhöhe. Behörden Spiegel: Sie haben bei Scheinbar kleine Bedarfe können den Beschaffungsgegenständen von auch schnell groß werden: Unseeinem großen Spektrum gespro- re Rahmenverträge für Post- und chen. Was ist der größte Bereich? Paketdienstleistungen umfassen Scholtz: Die meisten Vergabever- insgesamt den Bedarf von 100 Befahren führen wir im Bereich Dienst- hörden mit über 1.000 einzelnen leistungen durch. Hier entfällt das Dienststellen. Das sind außerorgrößte Volumen auf die Ausschrei- dentlich komplexe Vorgänge mit bung von Fluggastkontrolldienst- entsprechenden Volumina. leistungen. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem auch Behörden Spiegel: Was war das

Spotlight Vergaberechtssicherheit (BS/BeschA) Auch im vergangenen Jahr zeichnete sich das Beschaffungsamt des BMI wieder durch eine sehr hohe Vergaberechtssicherheit bei EU-Verfahren aus. Insgesamt wurden vier Nachprüfungsverfahren im Jahr 2020 vor der Vergabekammer des Bundes beantragt, was lediglich 1,1 Prozent im Verhältnis zu den gesamten EU-Vergabeverfahren entspricht. In den letzten drei Jahren hat das Beschaffungsamt keinen Beschluss einer Nachprüfungsinstanz erhalten, in dem ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften festgestellt worden wäre.

schreiben wir dazu eine Rahmenvereinbarung mit einer Laufzeit von meistens bis zu vier Jahren aus. Damit können wir auf der einen Seite effizienter und wirtschaftlicher beschaffen, auf der anderen Seite Behörden Spiegel: Das ist ja kein werden die Leistungen weiterhin alltäglicher Beschaffungsgegen- in bestimmten Abständen regelstand, wie gehen Sie mit solchen mäßig ausgeschrieben, sodass wir im Wettbewerb den Markt prüfen Bedarfen um? Scholtz: Das ist eine gute Frage. können und sehen, wie sich der Einen Spezialisten für Pferdefutter Markt entwickelt hat. Das ist gerade haben wir nicht. Wir haben ein gro- bei Serienprodukten sehr sinnvoll. ßes Spektrum fachlich qualifizierter Es gibt aber auch Ausnahmen, etwa bei größeren Investitionsobjekten. Diese haben eine Bedeutung, die über die vier Jahre hinausgeht, wie beispielsweise die Beschaffung von Hubschraubern für die Bundespolizei. Exotischste, was Sie je beschaffen mussten? Scholtz: Das war Pferdefutter für die Reiterstaffel der Bundespolizei. Diese ist in Berlin angesiedelt.

Für meine Abteilung sind Bundespolizei und THW die größten Bedarfsträger.

Personen. Wir haben beispielsweise Ingenieure mit verschiedenen Qualifikationen, Betriebswirte oder auch Verwaltungswirte. Bei den Produkten, die nicht zum Standardrepertoire gehören, schauen wir, wo diese thematisch am besten aufgehoben sind und wo Kapazitäten frei sind. Behörden Spiegel: Das Beschaffungsamt ist eine Serviceeinheit für die Bedarfsträger. Wie würden Sie ihre Rolle bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen umschreiben? Scholtz: Die Entscheidung, ob eine Leistung oder ein Produkt benötigt wird, trifft der Bedarfsträger selbst. Unsere Aufgabe ist es, den Bedarf sowohl bedarfsgerecht als auch vergaberechtskonform auszuschreiben. Dazu ist es wichtig, dass wir als Dienstleister unabhängig vom Bedarfsträger bei der Beschaffung agieren können. Nur so lässt sich die Hersteller- und Wettbewerbsneutralität gewährleisten. Behörden Spiegel: Führen Sie mehr Einzelvergaben oder Ausschreibungen für Rahmenvereinbarungen durch? Scholtz: Das müssen wir je nach Beschaffungsgegenstand differenzieren. Manches beschaffen wir über Einzelausschreibungen, wenn eine Leistung oder ein Produkt einmalig gebraucht wird. Daneben haben wir sehr viele Rahmenvereinbarungen. Von dieser Möglichkeit machen wir Gebrauch, wenn eine Leistung kontinuierlich benötigt wird, dann

Behörden Spiegel: Nutzen Sie bei der Laufzeit der Rahmenvereinbarungen auch Optionsmöglichkeiten? Scholtz: Es gibt Beispiele, wo wir die mögliche Laufzeit von vier Jahren in einem Zug voll ausschöpfen. Das ist dann der Fall, wenn wir den Bedarf exakt kennen. Dann kann man sich auf diesen Zeitraum festlegen, die Rahmenververeinbarungen bieten dann Festmengen und variable Mengen. Wir nutzen aber auch die Optionsmöglichkeiten, beispielsweise eine Laufzeit von zwei Jahren mit zweimaliger Option, um jeweils ein Jahr zu verlängern, wenn noch nicht feststeht, ob die Leistung tatsächlich innerhalb eines kürzeren Zeitraums abgerufen werden kann. Dann bietet sich eine angepasste Verlängerungsoption zur ausreichenden Bedarfsdeckung an. Andere Fälle betreffen die – selten vorkommende – erhebliche Unterschreitung der vertraglich vereinbarten Menge, so dass mit einer Verlängerungsoption eine Volumenannäherung erreicht werden kann.

Behörden Spiegel: Schreiben Sie auch für das Kaufhaus des Bundes aus? Scholtz: Richtig. Das Kaufhaus des Bundes (KdB) hat Rahmenvereinbarungen für viele Bedarfsträger des Bundes. Hier ist der Ablauf etwas anders, da wir zuerst den konkreten Bedarf bei den Behörden abfragen (mehr dazu siehe Seite IX). Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt die Markterkundung bei Ihnen und welche Einschränkungen haben Sie durch die Corona-Pandemie erlebt? Scholtz: Die Markterkundung ist ein elementarer Baustein. Ohne Marktkenntnisse können wir nicht innovativ und nachhaltig beschaffen.

uns viel besser über den Gesamtmarkt informieren. Das ist jetzt in Corona-Zeiten leider eingeschränkt, wird sich aber hoffentlich bald wieder bessern. Behörden Spiegel: Konkretisieren wir das am Beispiel Mobilität und alternative Antriebsarten. Wie sehen Sie den Markt und inwiefern berücksichtigen Sie das? Scholtz: Generell ist der gesamte Markt in einem Transformationsprozess. Das heißt, wir setzen auf alternative Antriebskonzepte und werden dies auch in Zukunft vermehrt tun. Hier prüfen wir mit dem Bedarfsträger gemeinsam, inwiefern alternative Antriebsarten geeignet sind. Die Frage, ob ein

Spotlight Lieferantenstamm (BS/BeschA) Im Jahr 2020 beauftragte das Beschaffungsamt insgesamt 541 Lieferanten von Waren und Dienstleistungen. Darunter waren 194 neue Lieferanten (36 Prozent).

Der Markt ist in stetiger Bewegung und ohne diese Kenntnisse wird man auf dem Stand von gestern bleiben. Aber auch hier greift der Grundsatz der Hersteller- und Wettbewerbsneutralität. Es reicht nicht, nur Informationen von einem Anbieter zu haben, unsere Beschaffer müssen den Überblick über den gesamten Markt haben. Das geht einerseits über den Austausch mit anderen Beschaffungsstellen und Bedarfsträgern sowie vermehrt auch über digitale Informationsangebote. Hier bekommt man aber nicht alle notwendigen Informationen, da Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen gewahrt werden und nicht immer frei in den Medien verfügbar sind. Deshalb sind andererseits für uns Fachmessen von ausschlaggebender Bedeutung. Hier können wir

Fahrzeug mit Diesel, Benzin oder Strom betrieben wird, hängt von seiner Nutzung ab. Die Antwort wird bei einem Dienst‐Pkw, der jeden Abend in einer Garage steht und über Nacht geladen werden kann, anders ausfallen als eben bei einem Fahrzeug für das THW, das mehrere Tage durchgehend im Einsatz ist. Behörden Spiegel: Das heißt, zu Ihren Serviceleistungen gehört es auch, die Bedarfsträger zu beraten? Scholtz: Selbstverständlich. Hier kommt uns auch eine besondere Rolle zu, wenn beispielsweise Bedarfsträger eine Leistung nur einmalig oder in großen Abständen benötigen. Wir haben ja die aktuellen Marktkenntnisse und können ihn dementsprechend gut beraten.

Spotlight Nationale und EU-weite Verfahren (BS/BeschA) Die Grafiken stellen die Verteilung der durchgeführten Vergabeverfahren und das daraus resultierende Vergabevolumen bei EU-weiten und nationalen Verfahren dar. Auch wenn die Anzahl der EU-Verfahren und der nationalen Verfahren im Jahr 2020 in etwa gleich ist, stellen beim Vergabevolumen die EU-weiten Ausschreibungen mit 98 Prozent den absoluten Großteil dar.


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Das Kaufhaus des Bundes Die Einkaufsplattform der gesamten Bundesverwaltung

Die Vorteile des KdB

(BS/Guido Gehrt) Staatliche Institutionen kaufen hierzulande jährlich für mehrere hundert Milliarden Euro ein und zählen damit zweifellos zu den größten Auftraggebern in Deutschland. Das Kaufhaus des Bundes (KdB) – eine elektronische Einkaufsplattform für Behörden und Einrichtungen des Bundes – soll als digitales Warenhaus der gesamten Bundesverwaltung beim Einkauf von Gütern und Dienstleistungen Sicherheit, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit bieten. Zudem werden durch die Bündelung der Beschaffung massiv Ressourcen gespart.

Ü

ber das KdB (www.kdb. bund.de) können die Behörden Standardprodukte und -dienstleistungen anhand von Rahmenvereinbarungen direkt bei den Lieferanten bzw. den Dienstleistern einkaufen. Auf der Plattform sind dabei ausschließlich Anbieter zu finden, die in einem öffentlichen Vergabeverfahren den Zuschlag für das wirtschaftlichste Angebot erhalten haben. Somit entfallen aufwendige Einzelverfahren, wodurch die Behörden signifikant entlastet werden. Doch auch die Anbieterseite profitiert von den Rahmenverträgen, die ihnen mehr Planungssicherheit und eine bessere Preiskalkulation ermöglichen.

Bündelung senkt Preise und Kosten Der gebündelte Einkauf über Rahmenverträge führt somit in aller Regel zu günstigeren Einkaufskonditionen. Zudem können in erheblichem Maße interne Prozesse verschlankt und somit Prozesskosten eingespart werden, da eine Reihe sich wiederholender, aufwendiger Vergabevorgänge in den einzelnen Behörden entfällt. Alle Behörden der Bundesverwaltung haben die Möglichkeit, sich durch regelmäßige Bedarfsabfragen zu beteiligen und die Vorteile der zentralen Beschaffung zu nutzen. Die Bedarfe können über das elektronische Bedarfserhebungstool (BET) an die Zentralen Beschaffungsstellen des Bundes übermittelt werden. Neben dem Beschaffungsamt des BMI (BeschA) sind dies die Generalzolldirektion als zentrale Beschaffungsstelle der Bundesfinanzverwaltung, das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der

Das KdB wird kontinuierlich in vielen Bereichen um neue Funktionen erweitert, um die Nutzerfreundlichkeit weiter zu steigern und Aufwand und Kosten bei Bedarfsträgern und Anbietern zu senken Foto: BS/BeschA, iStock

Bundeswehr sowie die Bundesan- Zentralen Beschaffungsstellen zum entwicklung des KdB, die auch in stalt für Materialforschung und Einkauf von Standardprodukten und den kommenden Jahren kontinu-prüfung. -dienstleistungen sowie die Weiter- ierlich vorangetrieben werden soll.

Rund 115.000 Produkte und fast 800 Rahmenverträge Diese Zentralen Beschaffungsstellen haben derzeit ein Sortiment von rund 115.000 Produkten und Dienstleistungen zusammengestellt, die elektronisch über das KdB abrufbar sind und aus fast 800 Rahmenverträgen bestellt werden können. Für die Koordinierung der Zentralen Beschaffungsstellen im KdB ist die Geschäftsstelle des Kaufhauses des Bundes zuständig, die im BeschA angesiedelt ist und bei fachlichen Fragen sowohl für die angeschlossenen Behörden und Einrichtungen als auch für interessierte Unternehmen Ansprechpartnerin ist. Zu den Aufgaben der Geschäftsstelle gehören die Verwaltung der Rahmenvereinbarungen des Bundes, die Entwicklung einheitlicher Beschaffungsstandards in den Zentralen Beschaffungsstellen, die Abstimmung der Vergabeverfahren der

Spotlight Elektronische Beschaffung (BS/BeschA) Das BeschA ist der Ausrüster für die digitale Modernisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Die digitale Beschaffung wird in diesem Kontext immer relevanter, da sie deutliche Vorteile mit sich bringt: Weniger Prozesskosten, mehr Rechtssicherheit, bessere Preise, weniger Bürokratie und eine spürbare Effizienzsteigerung insgesamt. Das BeschA stellt elementare Tools dafür bereit: Die gesamte unmittelbare Bundesverwaltung ist seit April 2016 an die von uns betriebene Plattform e-Vergabe angeschlossen. Hierüber werden sämtliche bundes- und europaweite Vergabeverfahren vollständig elektronisch abgewickelt. Insgesamt über 1.000 Vergabestellen setzen auf diese Weise online Beschaffungen in Milliardenhöhe um. Ein modernes Verfahren, das Zeit und Geld spart, und ein idealer Marktplatz für Unternehmen mit jeder Menge interessanter Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Seit Anfang 2017 nutzen öffentliche Auftraggeber auch das elektronische Bedarfserhebungstool (BET). Mit ihm melden sie ihren Bedarf an die zentralen Vergabestellen. Die Anwendung bündelt damit die Bedarfsmeldungen. Ziel ist es, die Einkaufsvolumina im Rahmen einer strategisch sinnvollen Beschaffungsbündelung zusammenzufassen, um so Synergieeffekte der teilnehmenden Behörden und Einrichtungen zu erreichen und Kosten zu sparen. Mit Bedarfserfassung, Bündelung und Vergabe ist die Beschaffung mittlerweile komplett digitalisiert. Die vier Zentralen Beschaffungsstellen des Bundes schließen zudem auf Grundlage von Bedarfserhebungen Rahmenvereinbarungen über Standardprodukte und -dienstleistungen ab. Diese können dann im Kaufhaus des Bundes (KdB) abgerufen werden. So hat die öffentliche Verwaltung die Möglichkeit, Waren und Dienstleistungen über das vom BeschA betriebene KdB direkt online beim Lieferanten bzw. Dienstleister zu bestellen. Produkte ordern, Bestellungen genehmigen lassen und den Auftrag an den Lieferanten weiterleiten – alles digital, ganz ohne Papier.

Wirtschaftlichkeit: Rahmenvereinbarungen ermöglichen günstigere Preise. Effizienz: Die einfachen Prozesse im KdB sparen Kosten und Zeit. Rechtssicherheit: Die Vergabeverfahren der Zen­ tralen Beschaffungsstellen sind transparent. Orientierung: Übersichtliche Online-Kataloge zeigen alle verfügbaren Waren und Dienstleistungen. Komfort: Der elektronische Warenkorb vereinfacht den Einkauf. Flexibilität: Der Bestellwunsch kann in variablen Genehmigungsverfahren bearbeitet werden. Einheitlichkeit: Das KdB lässt sich mit StandardInternetprogrammen nutzen, die in allen Behörden vorhanden sind. Sicherheit: Nur angemeldete Nutzer haben Zugang zum Kaufhaus des Bundes. Geschützte Systeme und ständig aktualisierte Verschlüsselungstechniken gewährleisten Sicherheit und Vertraulichkeit. Transparenz: Das System macht Bestellvorgänge nachvollziehbar. Nachhaltigkeit: Die deutliche Kennzeichnung ermöglicht schnellen Zugriff auf Rahmenvereinbarungen zu nachhaltigen Produkten.


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ehörden Spiegel: Herr Grosse, die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung, kurz KNB, gibt es seit zehn Jahren im BeschA. Wie kam es seinerzeit zur Gründung? Grosse: Im Jahr 2010 beschloss die Bundesregierung ein Maßnahmenprogramm, in dem sie Ziele und Aufgaben darstellte, um die Nachhaltigkeit im eigenen Verantwortungsbereich zu verbessern. Mit dem Ziel, die nachhaltige Beschaffung zu fördern und diesen Markt und seine Angebote nachhaltiger zu gestalten wurde die Einrichtung einer Stelle, beschlossen, die alle öffentlichen Auftraggeber, geschätzt sind dies rd. 30.000 in Deutschland, hierbei unterstützt und berät. Am 21. November 2011 hat der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung dann entschieden, dass das Beschaffungsamt des BMI Kompetenzstelle für nachhaltige die Beschaffung sein soll.

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Für mehr nachhaltige Beschaffung KNB bietet umfangreiches Know-how und vielfältiges Informationsangebot (BS) Teil des Beschaffungsamtes ist auch die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB). Die KNB hat die Aufgabe, für eine verstärkte Einbettung von nachhaltigen Kriterien in den öffentlichen Einkauf zu sorgen. Zielgruppe der Kompetenzstelle sind einerseits die Entscheider und Vergabestellen von Bund, Ländern und Kommunen. Andererseits steht sie aber auch mit Nichtregierungsorganisationen und potenziellen Bietern aus der Wirtschaft in Kontakt. Mittlerweile sind neun Mitarbeitende in der KNB tätig. Über deren Aufgaben und Zielsetzungen sprach der Behörden Spiegel mit einem “KNB-Mann der ersten Stunde”, Sachbearbeiter Ralf Grosse. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

Ralf Grosse, Sachbearbeiter in der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung Foto: BS/BeschA (KNB)

Behörden Spiegel: In wenigen Sätzen: Was ist die zentrale Aufgabe der KNB? Grosse: Die zentrale Aufgabe der KNB ist, kurz benannt, die Unterstützung aller öffentlichen Auftraggeber in Deutschland bei der Einführung und Durchführung der nachhaltigen Beschaffung durch die Bereitstellung notwendiger Informationen. Schulungen und unsere Webseite unterstützen als Informationsquelle die öffentliche Hand und in Kürze wird auch E-Learning als Möglichkeit zur Informationsgewinnung angeboten. Ein schneller Zugriff auf Informationen zur nachhaltigen Beschaffung ist durch die Nutzung unserer “Hotline” per Telefon oder E-Mail möglich. Weitere Aufgaben, wie der Aufbau und die Betreuung professionell aufgestellten Einheit eines Expertennetzwerks, kommen mit ihrem Netzwerk und dem vermutlich einmaligen Wissen zur hinzu. nachhaltigen Beschaffung als ein Behörden Spiegel: In welchen Be- Ereignis zu sehen, dass für mich reichen bietet die KNB ihre Unter- einen besonderen Stellenwert hat. stützungleistungen an? Grosse: Die KNB unterstützt bun- Behörden Spiegel: Sie haben gedesweit alle öffentlichen Auftrag- meinsam mit dem Bitkom eine Vergeber. Im Schwerpunkt stehen die pflichtungserklärung entwickelt. Mitarbeitenden in den Vergabe-/ Können Sie kurz ausführen, was Beschaffungsstellen, aber auch Be- darin geregelt wird und wie diese schäftigte in Stellen, die Einfluss auf in der Praxis ankommt? Grosse: In dem Nationalen AktiEntscheidungen im Vergabeprozess haben können, sind für uns wichtig. onsplan Wirtschaft und MenschenAls weitere Zielgruppe liegen in rechte wird die öffentliche Hand unserem Fokus die Bedarfsträger/ aufgefordert, die Einhaltung von Bedarfsanforderer. Diese definieren Menschenrechten als Bestandteil als erste den Bedarf an Produkten ihrer Auftragsvergabe zu berückund Dienstleistungen. Hier können sichtigen. frühzeitig nachhaltige Aspekte be- Das Ziel der Verpflichtungserklärung ist es, die Arbeitsbedingungen rücksichtigt werden. bei der Herstellung von Informationstechnik, also Hard- und Software, sowie Dienstleistungen zu verbessern. Grundlage für die Anforderungen sind die ILO-Kernarbeitsnormen, deren Berücksichtigung in der Produktion die Bieter auf zwei Arten darlegen können: Beantwortung eines Dokumentenkatalogs oder Vorlage eines Zertifikats. Uns sind einige Beispiel bekannt, in der die Verpflichtungserklärung erfolgreich zum Einsatz gekommen ist: im Beschaffungsamt des BMI ebenso wie auf kommunaler Ebene. Allerdings halten wir dies nicht nach, sind aber natürlich an den Erfahrungen interessiert, damit wir die bestehende Handreichung für Beschaffende und Bietende weiter verbessern können. Behörden Spiegel: Die nachhaltige Beschaffung ist Teil der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Welche Maßnahmen müssen konkret umgesetzt werden? Grosse: Die Konkretisierung der Behörden Spiegel: Sie sind ein Nachhaltigkeitsstrategie der BunKNB-Mann der ersten Stunde. desregierung erfolgt im MaßnahWelche Ereignisse haben für Sie menprogramm Nachhaltigkeit, in in der Rückschau einen besonderen dem die Umsetzung ihres Verwaltungshandelns beschrieben ist. Stellenwert? Grosse: Ein Höhepunkt für mich Ein Punkt behandelt die öffentliwar mit Sicherheit die Freischaltung che Beschaffung. Allgemein geht der Webseite durch die Bundes- es um die Ausrichtung dieser am kanzlerin 2013. Grundsätzlich ist Leitprinzip einer nachhaltigen Entaber der fast zehn Jahre andau- wicklung. Im Einzelnen werden viele ernde Weg der KNB von der “blan- Bereiche angesprochen, alles hier ken Kompetenz” bis zur heutigen, anzuführen, würde das Interview

Aufgaben der KNB zu den Themen Schulungen, und Informationsbereitstellungen sind Bestandteil des Programms. Neu hinzugekommen sind der Aufbau und die Umsetzung einer breiten Fortbildungsinitiative für nachhaltige Beschaffung mit den Ländern.

Insbesondere die Zusammenhänge zwischen Beschaffung und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt und den Bereich der Menschenrechte sind nicht immer eindeutig zu sehen.

Die Einbindung von Lebenszyklus­ kosten und die Berücksichtigung des Aspekts der Langlebigkeit können eine nachhaltigere Sichtweise bei der Beschaffung ­unterstützen.

allerdings sprengen. Beispielhaft werden das Kaufhaus des Bundes und die dort angebotenen Produkte und Dienstleistungen nachhaltiger gestaltet werden. Weiterhin ist die Festlegung der Nachhaltigkeitskriterien und der Anforderungen an Beschaffungen im Maßnahmenprogramm verankert, aber auch die Intensivierung des Austausches zwischen Bund, Ländern und Komunen zur Weiterentwicklung des Fortbildungsangebotes ist Bestandteil des Programms.

Behörden Spiegel: Wie sehr ist die KNB in diesen eingebunden? Grosse: Die KNB kann man als einen Stützpfeiler des Bereichs der öffentlichen Beschaffung im Maßnahmenprogramm bezeichnen. Die dort enthaltenen Aufgaben für die KNB reichen von der Weiterentwicklung der Webplattform bis zur Organisation und Durchführung auch hochrangiger Bund-/Ländertreffen zur Umsetzung nachhaltiger Beschaffung. Auch die Fortführung und der Ausbau der bestehenden

Behörden Spiegel: Die Dringlichkeit nachhaltiger Beschaffung wird immer deutlicher: Klimaschutz, Ressourcenschutz und soziale Gerechtigkeit und Teilhabe. Welche Hemmnisse bestehen aus Ihrer Sicht bei der öffentlichen Vergabe? Grosse: Meine Wahrnehmung ist die, dass es oftmals an notwendigen Informationen fehlt. Insbesondere die Zusammenhänge zwischen Beschaffung und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt und den Bereich der Menschenrechte sind nicht immer eindeutig zu sehen. Aber auch die finanzielle Seite wird nicht immer in der Gänze betrachtet. Das alte Sprichwort “Wer billig kauft, kauft zweimal” trifft es hier ganz gut. Die Einbindung von Lebenszykluskosten und die Berücksichtigung des Aspekts der Langlebigkeit können eine

nachhaltigere Sichtweise bei der Beschaffung unterstützen. Behörden Spiegel: Anders als die ökologische Beschaffung haben soziale Kriterien noch nicht ganz den Stellenwert erreicht. Woran liegt das? Grosse: Die Fragestellung ist nicht einfach zu beantworten, daher versuche ich es mit einem Vergleich. Anders als beim Energieverbrauch strombetriebener Geräte sind keine Folgekosten bei der Nichtberücksichtigung sozialer Aspekte zu ersehen, obwohl sie es gibt. Damit ist der soziale Aspekt in unserer stark auf Finanzen fokussierten Welt nur schlecht darstellbar und damit auch für die Mitarbeitenden in den Beschaffungsstellen nur schwer greifbar. In diesem Zusammenhang erreicht uns unter anderem oftmals die Frage “Sind Mehrkosten bei der Berücksichtigung sozialer Aspekte verhältnismäßig?” Hierzu erhalten Teilnehmer unserer Schulungen zum Thema Menschenrechte Informationen, die notwendig sind, um sich selbst die Antwort geben zu können. Manchmal lautet sie so: “Menschenrechte haben keinen Preis.”

Früh übt sich Nachhaltige Beschaffung bereits in der Schule (BS/Kilian Recht) Nachhaltige Beschaffung beginnt schon in der Schulkantine. Das Beschaffungsamt hat mit der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) eine Expertin für Nachhaltigkeit im eigenen Hause. Durch sie wurde das Thema inzwischen fest im Beschaffungswesen etabliert, wie das Beispiel der nachhaltigen Beschaffung von Lebensmitteln bei der Schulverpflegung zeigt. Die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) arbeitet seit 2011 daran, den öffentlichen Einkauf nachhaltiger zu gestalten. Mit umfangreichen Schulungsangeboten informiert die KNB unter anderem Kommunen, Landeseinrichtungen und Bundesbehörden zu nachhaltiger Beschaffung. Und beschafft wird so einiges: von Kugelschreibern und Computern bis hin zu Autobahnbrücken. Mit einem Auftragsvolumen von rund 350 Mrd. Euro jährlich hat die öffentliche Hand eine bestimmende Position im Markt und ist in der Lage, Nachhaltigkeit in der Wirtschaft gezielt zu fördern. Diesem Ziel fühlt sich auch die KNB verpflichtet und hat erreicht, dass Nachhaltigkeit inzwischen fest im öffentlichen Auftragswesen etabliert ist.

Schulessen besser machen Ein wichtiges Anliegen der KNB ist die nachhaltige Beschaffung von Lebensmitteln für Schulen. Gemeinsam mit dem Nationalen Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule (NQZ) in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) widmete die KNB dem Thema im September 2019 in

Die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) hat sich nachhaltige Schulverpflegung ganz oben auf die Agenda gesetzt und leistet hier wichtige Arbeit im Bereich der Information und Vernetzung. Foto: BS/BeschA, Getty Images, Claudia Totir

Bonn eine eigene Fachtagung, an der rund 140 Verantwortliche aus Kommunen und Ländern teilnahmen. Ilse Beneke, Leiterin der KNB, erläuterte den Teilnehmenden die Dimensionen nachhaltiger Ernährung für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt und plädierte für ein Beschaffungsmanagement in der Schulverpflegung mit effizienten

Organisations- und Kommunikationsstrukturen.

Ernährungsbildung prägen Täglich bekommen drei Millionen Schülerinnen und Schüler in Ganztagsschulen ein Essen angeboten. Der tägliche Kontakt prägt die Kinder in ihrer Ernährungsbildung und macht die Wertigkeit von Nah-

rungsmitteln erlebbar. “Gesündere Schulverpflegung ist uns ein Anliegen, weil es sich um ein zentrales Handlungsfeld mit entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen handelt”, heißt es aus dem BeschA. Grund genug also, mit nachhaltiger Beschaffung so früh wie möglich zu beginnen.


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Wichtiger Partner der BOS Beschaffungsamt unterstützt Polizeien (BS/Marco Feldmann) Das Beschaffungsamt des BMI (BeschA) tut viel für die Ausrüstung und Ausstattung der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Das gilt insbesondere für die Bundespolizei. 2020 erfolgte fast jede zweite BeschA-Vergabe im Bereich der Inneren Sicherheit. uch in den vorangegangenen Jahren wurden zahlreiche Einsatzmittel beschafft. Das galt unter anderem für neue Einsatzschiffe für die maritimen Aufgaben der Bundespolizei oder für Einmannschlauchboote. Bei den Schiffen wurde erstmals für die Vergabe der Leistung zum Bau von Behördenschiffen eine funktionale Ausschreibung erstellt. Dadurch konnte das Verfahren innerhalb eines Jahres durchgeführt werden. Die Schlauchboote dienen der Seenotrettung von Hubschrauberbesatzungen der Fliegergruppe der Bundespolizei. Das Boot soll beim Notwassern des Hubschraubers die betroffene Person vor dem Untergehen, Unterkühlung und direkter Sonnenstrahlung schützen. Außerdem kommt es darauf an, dass es mit einer Aufblasvorrichtung und mit

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unterschiedlichen Notausrüstungskomponenten versehen wird. Da solche Gerätschaften nicht allzu häufig beschafft werden, war im Vorfeld der Vergabe ein intensiver Austausch mit den Technikern der Fliegerstaffel vonnöten.

BFE+-Einheiten ausgerüstet Neben der Fliegergruppe wurden auch die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten plus (BFE+Einheiten) der Bundespolizei vom BeschA ausgestattet. Sie erhielten unter anderem Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Munition, Reflexvisiere und ballistische Schutzhelme. Hinzu kamen die völlig neue Einsatzbekleidung sowie diverses Waffenzubehör. Dabei mussten zahlreiche Vorhaben in kurzer Zeit realisiert werden. Für die Eliteeinheit der Bundespolizei, die GSG 9, wur-

den darüber hinaus einsatztaktische Gleit- und Tandemfallschirmsysteme beschafft. Sowohl für die Bundespolizei als auch für das Bundeskriminalamt (BKA) wurden zudem ballistische Schutzwesten erworben. Die Unterziehschutzwesten mit taktischer Wechselhülle verfügen nicht nur über einen Schutz gegen Beschuss, sondern auch einen Stichschutz. Um den Tragekomfort beurteilen zu können, wurden sie von Bundespolizistinnen und -polizisten unter einsatztaktischen Bedingungen im Arbeitsalltag getragen und bewertet. Neu an ihnen ist unter anderem das sogenannte Molle-Flausch-System an der taktischen Wechselhülle. Ausrüstungsgegenstände, wie zum Beispiel Ersatzmagazine, können einfach angebracht werden und sind schneller als bisher griffbereit.

Das Flaggschiff für den Zivilschutz Gerätekraftwagen des THW (BS/Benjamin Stiebel) Bei der Bewältigung von Katastrophen kommt es auf gute Ausstattung genauso an wie auf gute Organisation und persönliches Engagement der Helferinnen und Helfer. Die Bundeanstalt Technisches Hilfswerk (THW) kennt man besonders für den mobilen Einsatz mit technischem Gerät. Die Güte der Ausstattung ist einsatzkritisch und kann über Leben und Tod entscheiden. Mit dem Beschaffungsamt des BMI hat das THW einen verlässlichen Partner für den Einkauf. rägend für das Bild der operativen Einheiten des THW im Einsatz sind die Gerätekraftwagen. Sie sind in der Regel zuerst am Einsatzort und befördern sowohl Einsatzmannschaft als auch wesentliche Teile der Ausrüstung wie Notstromaggregat, Seilwinde, Rettungsscheren, Sägen und Trennschleifer sowie Leitern, Atemschutzgeräte, Tauchpumpen und vieles mehr. Dafür braucht es neben einem Geräteraum im Heck einen Spezialaufbau mit sechs seitlichen Geräteräumen, die über Aluminiumrollläden zugänglich sind. Darüber hinaus ist das Dach für die Beladung vorbereitet. Der Wagen dient dem neunköpfigen Zug nicht nur als Transporter. Er ist auch Arbeitsplatz, Befehlsstelle der Zugführung und Sprechfunkstelle mit fest verbautem Funkgerät.

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Begehrter Auftrag

Das Beschaffungsamt (BeschA) hat unter anderem Einsatzschiffe für die Bundespolizei erworben. Foto: BS/BPol

Historisches sichern Ein digitales Scan-System für das Militärarchiv (BS/Matthias Lorenz) In der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg lagern unter anderem großformatige militärische Landkarten, technische Zeichnungen und Pläne in unterschiedlichen Größen und Ausführungen. Viele davon sind in ihrem Erhaltungszustand akut gefährdet oder irreversibel beschädigt. Um sie digital zu sichern, musste das Beschaffungsamt (BeschA) ein spezielles Scansystem anschaffen. ie Herausforderungen bei dem Beschaffungsprojekt waren groß. Der Scan musste mit sehr hoher Auflösung erfolgen, um auch kleinste Strukturen der originalen Karten abbilden zu können. Die zu scannenden Objekte waren teilweise sehr groß, einige Karten verfügten über Maße von 250 mal 350 Zentimetern. Außerdem hatten sie unterschiedlichste Oberflächenstrukturen und Materialbeschaffenheiten, waren teilweise beschädigt und sehr fragil. Auch Teilaufnahmen der Originale waren nur dann möglich, wenn sichergestellt war, dass

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Somit drohte der Verlust von Teilen des einzigartigen Archivguts ... aus der späteren Software-basierten Zusammensetzung der einzelnen Teilaufnahmen eines Objekts keine Informationsverluste entstehen würden. Hinzu kamen Standort-

Spotlight KMU (BS/BeschA) Mit einem Vergabevolumen von fast fünf Milliarden Euro im zweiten Jahr in Folge wächst die Verantwortung gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen (KMU). Durch die Losaufteilung bei den Vergabeverfahren wird seitens des BeschA sichergestellt, dass KMU an der Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen können. Ergebnis: Die Anzahl der vergebenen Aufträge an derartige Unternehmen verbleibt mit einem Anteil von zwei Dritteln analog zum Vorjahr auf einem hohen Niveau.

schwierigkeiten wie eine geringe Raumhöhe; auch sorgte zum Beispiel eine nah am Archiv vorbeiführende Bahnstrecke für Schwingungen bei Zugdurchfahrten. Aufgrund dieser Herausforderungen war man beim BeschA zunächst skeptisch, ob die vielen Anforderungen erfüllt werden könnten. Unter anderem war die Scan-Technik einfach noch nicht weit genug. Seit 2013 scheiterten deswegen mehrere Ausschreibungsverfahren, auch weil Bietern das Entwicklungsrisiko unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu groß war. Somit drohte der Verlust von Teilen des einzigartigen Archivguts im Militärarchiv. Im Jahr 2017 folgte dann jedoch der Durchbruch, wofür es mehrere Gründe gab. Zunächst entschied sich das Archiv für eine deutliche Reduzierung der Anforderungen, um für einen signifikanten Teil der Originale eine Sicherung realisieren zu können. Zweitens entwickeln sich die Technologien im Bereich Sensor-/Aufnahmetechnik stetig weiter. Deswegen waren nun auf dem Markt einige Scan-Systeme erhältlich, die technisch in der Lage waren, die gestellten Anforderungen des Archivs zu erfüllen. Nach den gescheiterten Verfahren folgte nun das Erfolgserlebnis. Mit dem beauftragten “One-shot”-Kamerasystem kann das Bundesarchiv die Scans seither erfolgreich durchführen.

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Das Flaggschiff im Technischen Zug ist bereits seit Mitte der neunziger Jahre im Einsatz und wird regelmäßig neu ausgeschrieben und beschafft. Das Interesse der Industrie an der Ausschreibung der letzten Rahmenvereinbarung über die Auslieferung von rund 150 Gerätekraftwagen war groß, der Konkurrenzkampf entsprechend hart. Rechtliche Auseinandersetzungen führten zu Verzögerungen der Ab-

Meist zuerst am Einsatzort: Der Gerätekraftwagen, wie er von den Technischen Zügen des Technischen Hilfswerks (THW) genutzt wird. Foto: BS/THW

wicklung. Im Frühjahr 2017 erhielt MAN den Zuschlag. Ein Musterfahrzeug wurde beim THW erprobt. Nach einer Überarbeitung folgte ein Jahr später die Serienfreigabe. Die letzten 13 Gerätekraftwagen wurden im März dieses Jahres ausgeliefert. Die nächste Beschaffungsserie mit 121 Fahrzeugen ist schon in Arbeit. Mit einem Musterfahrzeug ist 2023 zu rechnen. In Serie geht die nächste Generation voraussichtlich ein Jahr später.

Die Güte der Ausstattung ist einsatzkritisch und kann über Leben und Tod entscheiden.


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Baden-Württemberg 4.0 30. Juni 2022, Stuttgart

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Sept. 2022

Digitale Verwaltung RLP 15. September 2022, Mainz

Mai 2022

PITS 6.-7. September 2022, Berlin

Sept. 2022

> www.public-it-security.de Digitaler Staat ONLINE

> www.dv-rlp.de

Ansprechpartner Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de

www.digitaler-staat.online


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / September 2021

Demokratie in Gefahr

KNAPP Mehr Spielraum

Angebote zum Schutz von Kommunalpolitikern müssen verbessert werden (BS/Marco Feldmann) Die psychische und physische Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker nimmt immer weiter zu. Das zeigen der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke oder die Messerattacke auf den ehemaligen Bürgermeister des nordrhein-westfälischen Altenas auf drastische Weise. Besonders betroffen von Hass, Anfeindungen und Angriffen sind oftmals Verantwortungsträger auf der kommunalen Ebene. Hier sind besorgniserregende Entwicklungen festzustellen. Rasches Handeln ist gefragt. So warnt der ehemalige Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Gemeinde Blankenheim, Rolf Hartmann: “Wir laufen Gefahr, in die Diktatur lauter Minoritäten zu kommen.” Die – leider oftmals schweigende – Mehrheit dürfe jedoch nicht vergessen werden, so der frühere Kommunalpolitiker, der sein Amt von 2004 bis 2020 innehatte. Außerdem könne es nicht angehen, dass die Politik auf Attacken gegen vor Ort Verantwortliche inzwischen nur noch reflexartig reagiere. Denn es sei eindeutig feststellbar, dass die Aggressivität der Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Jahren zugenommen habe erklärt er in einer Diskussionsrunde des Veranstaltungsportals NeueStadt. org. Hartmann führt das auch auf die mittlerweile verbreitete Direktwahl der Bürgermeister durch die Bevölkerung zurück. Denn durch diese verstünden sich die Bürger zunehmend auch als Besteller.

Deutlich mehr verbale ­Zurückhaltung Das sieht auch der Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement und Zusammenhalt der Körber-Stiftung, Sven Tetzlaff, so. Er konstatiert zudem, dass die Distanz zwischen den Kommunalpolitikern und den Bürgern immer größer werde. Viele Bürgermeister würden aufgrund physischer und psychischer Attacken immer öfter über einen vorzeitigen Rücktritt nachdenken. Außerdem habe eine Umfrage jüngst ergeben, dass sich mittlerweile ein Drittel der Kommunalpolitiker zu bestimmten Themen nicht mehr so deutlich wie früher äußerten, sondern viel zurückhaltender seien. Das stimme ihn sehr besorgt, so Tetzlaff im Rahmen einer Online-Dis-

Die Demokratie in Deutschland sieht sich gerade von verschiedenen Seiten aus unter Druck gesetzt. Ein Phänomenbereich in diesem Zusammenhang sind Attacken auf Kommunalpolitiker. Hier braucht es schnellstens mehr Unterstützungs- und Präventionsangebote. Und das nicht nur ex-post für Betroffene, sondern auch im Vorfeld möglicher Angriffe in Form effektiver Prävention. Foto: BS/Jürgen Fälchle, stock.adobe.com

kussionsrunde auf der Behörden Spiegel-Plattform “NeueStadt. org”. Für ebenfalls besorgniserregend hält er, dass sehr viel Aggressivität gegenüber Kommunalpolitikern auch aus der Mitte der Gesellschaft komme und viele politisch Verantwortliche unsicher seien, welche Attacken sie tatsächlich bei der Polizei anzeigen sollten. Hier sollten sie keine Vorbehalte haben, unterstreicht Ingo Dudenhausen. Der Polizeidirektor leitet das Referat Einsatz im täglichen Dienst im nordrhein-westfälischen Innenministerium.

Rücken stärken Mahnende Worte kommen auch vom Co-Gründer und Vorstand des Vereins “Starke Demokratie e. V.”, Meinolf Meyer. Er warnt: “Hass und Gewalt sind eine Gefahr für die Demokratie.” Zumal sie gezielt von Demokratiefeinden genutzt würden. Hier müsse Kommunalpolitikern der Rücken gestärkt werden, auch durch die politischen Parteien. Des Weiteren brauche es einen gemäßigteren Ton in vielen Ratsversammlungen, meint nicht nur Tetzlaff. Außerdem komme es darauf an, die wissenschaftliche Analyse von Attacken auf diese Politiker zu

verbessern, betont der Psychologe Prof. Dr. Dieter Frey. Gleiches gelte für die statistische Erfassung von Attacken auf Amts- und Mandatsträger, findet Meyer. Frey macht als Grund für die Angriffe vor allem die Unzufriedenheit mit und die Protesthaltung gegen Etabliertes durch eine laute Minderheit aus. Personen, die sich dieser zugehörig fühlten, würden die derzeitige Situation nicht mehr als ihre Welt empfinden. Hier fänden Ideen von finsteren Mächten und Verschwörungstheorien entsprechenden Nährboden. Denn die Angehörigen dieser Minorität seien auf der Suche nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen, so der Psychologe. Würden sie diese nicht finden, müssten Kommunalpolitiker als Vertreter des Staates vor Ort als “Blitzableiter” herhalten. Ihnen werde dann jegliche Schuld an der Situation zugeschoben, erläutert Frey.

Überall Zivilcourage zeigen Hinzu kämen eine inzwischen fehlende Kommunikationsethik sowie ein fortschreitender Wertewandel, weg von gesellschaftlicher Verantwortung, hin zu immer mehr Narzissmus. Die Sozialen Medien verschärften diese Ent-

wicklung, die zu einem immer höheren Anspruchsdenken der Bürger führe, zusätzlich. Um hier gegenzusteuern, brauche es dringend eine Diskussion über Werte und einen wertschätzenden Umgang – auch bei Dissens – miteinander, verlangte der Psychologe. Im Kampf gegen Attacken auf Kommunalpolitiker müsse im realen wie im digitalen Raum Zivilcourage gezeigt werden. Darüber hinaus müssten Coaching- und weitere Hilfsangebote für Amts- und Mandatsträger auf kommunaler Ebene ausgebaut werden, findet der frühere Bürgermeister Hartmann. Dies sei insbesondere für junge und neue Amtsinhaber notwendig. Derzeit müssten sich Kommunalpolitiker – und ganz besonders Parteilose – noch zu oft selbst um Coachings bemühen. In einigen Bundesländern, so etwa in Thüringen, scheinen Parteien ihren Amts- und Mandatsträgern allerdings bereits entsprechende Angebote zu machen. Dennoch geht Vereinsvertreter Meyer in die gleiche Richtung wie Hartmann. Er kritisiert zudem, dass die Ausbildung von Kommunalpolitikern hierzulande in viele Fällen noch zu stark fachorientiert sei. Auch Tetzlaff mahnt mehr Unterstützung für diese Personengruppe an.

Polizei kann nur reaktiv tätig werden Polizeidirektor Dudenhausen berichtet, dass es in NordrheinWestfalen ein Hinweisblatt des Landeskriminalamtes (LKA) für Personen des öffentlichen Lebens gebe. Dazu gehörten auch Kommunalpolitiker. Allerdings finde ihnen gegenüber derzeit kein gezieltes Anschreiben durch die Polizei statt. Man könne und dürfe erst tätig werden, wenn man Kenntnis von einer Straftat erlangt habe. Dann kümmere man

sich auch um die Betroffenen und berate sie umfassend. Beim Verfassungsschutz ist das anders. Hier gibt es proaktive Sensibilisierungsgespräche im Vorfeld. Das sei nicht ohne Weiteres miteinander vergleichbar, gibt der Sprecher für Kriminalprävention und Opferschutz des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Hermann-Josef Borjans, zu bedenken. Denn im Gegensatz zu den Verfassungsschutzbehörden, die auch im Gefahrenvorfeld tätig werden dürften, gelte dies für die Polizeien nicht. Ihnen müsse eine Bedrohungslage zunächst einmal bekannt werden. “Und hier liegt das Problem”, meint Borjans. Denn viele Kommunalpolitiker wüssten mit den Bedrohungen nichts anzufangen und gingen nicht oder erst zu spät zur Polizei. “Deshalb haben wir hier ein großes Dunkelfeld, weil es eine hohe Hemmschwelle gegenüber Strafanzeigen gibt.” Aber auch Borjans fordert eine Intensivierung der Präventions-, Beratungs- und Unterstützungsangebote. Es komme entscheidend darauf an, potenzielle Opfer rechtzeitig zu informieren und – gegebenenfalls auch vor Ort und unter Einbeziehung ihres Umfeldes – zu beraten. Hier scheint jedoch noch viel Luft nach oben zu sein. Das muss sich schnell ändern. Denn eine wehrhafte Demokratie muss die freiheitlichdemokratische Grundordnung jederzeit verteidigen. Hierfür braucht es aber auch einen zeitgemäßen Rechtsrahmen. Außerdem muss öffentlich viel und offen über Attacken auf Kommunalpolitiker gesprochen werden. Aber auch die Mandatsträger selbst sind gefragt. Sie dürfen die Probleme nicht verschweigen, sondern müssen ihre Besorgnis offen und deutlich zum Ausdruck bringen.

(BS/mj) Der Deutsche Städtetag (DS) veröffentlichte seine Erwartungen und Forderungen an den neuen Bundestag und die neue Bundesregierung in einem Zehn-Punkte-Programm. Darin werden verschiedene Aspekte von Städten als Lebensraum und damit einhergehende Unterstützung durch die zukünftige Regierung thematisiert. Um dem Wohnraummangel langfristig entgegenzuwirken, fordert der DS eine stärkere Förderung des Wohnungsbaus und einen erleichterten Zugriff auf Bauflächen. Auch um neue Konzepte für die Innenstädte und Zentren zu entwickeln, brauche es “mehr Handlungsspielraum in der Städtebauförderung und kommunale Vorverkaufsrechte zum gutachterlichen Verkehrswert”. Hinzu kommt der Wunsch nach einem Förderprogramm “Innenstadt” und einem bundesweiten Service- und Kompetenzzentrum für die Transformation der Innenstädte.

Kommunen sammeln fünf Millionen Euro

(BS/mj) Rund fünf Millionen Euro Spendengelder konnten die kommunalen Spitzenverbände in nur zweieinhalb Jahren für Schulen in Entwicklungsländern sammeln. Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages, erklärt: “Mit dem Schulbau wird der Grundstein gelegt für ein selbstbestimmtes Leben und die Verringerung von Armut.” Zudem trage laut Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, die die Initiative dazu bei die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Und Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes freut sich: “Dies zeigt die große Solidarität deutscher Kommunen mit Kommunen im Globalen Süden auch und gerade in Krisensituationen.”

Bundeskongress

Bundeskongress

Kommunale Verkehrssicherheit

Kommunale Ordnung

5. – 6. Oktober 2021

6. – 7. Oktober 2021

Würzburg Informationen und Anmeldung unter

www.kommunale-verkehrssicherheit.de | www.kommunale-ordnung.de

Veranstaltungen des


Kommunalpolitik

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Behörden Spiegel / September 2021

Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Jürgen Krogmann, Bürgermeister der kreisfreien Stadt Oldenburg, Niedersachsen

Foto: BS/Hauke-Christian Dittrich

B

ehörden Spiegel: Seit wann investiert Oldenburg in fahrradfreundliche Infrastruktur?

Krogmann: In einer Stadt, in der seit Jahrzehnten intensiv Fahrrad gefahren wird, wird seit Jahr und Tag in Radwege investiert. Wir haben unsere Straßenbaumaßnahmen immer schon synchronisiert. Das heißt, es wurde nicht einfach eine Straße gebaut, sondern es wurden – früher hieß das Straßen- und Nebenanlagen – auch Rad- und Fußwege sehr gut ausgebaut. Ich würde aber sagen, dass wir seit etwa einem Jahrzehnt mehr investieren. Dazu gehören beispielsweise Verwaltungsstellen, die sich ausschließlich mit dem Thema Radverkehr beschäftigen. In diesem Sinne haben wir ein ganzes Amt für Klima und Mobilität gegründet, welches sich schwerpunktmäßig mit dem Thema innovative Mobilität, zum Beispiel durch Fahrräder, auseinandersetzt. Auch die finanziellen Mittel, die wir für die Radverkehrsförderung aufwenden, sind deutlich gestiegen. Noch vor wenigen Jahren lagen wir bei etwa neun Euro Radverkehrsförderung pro Quadratmeter, heute liegen wir bei über 23 Euro. Als Resultat werden 42 Prozent aller Fahrten in Oldenburg mit dem Fahrrad zurückgelegt. Zum Vergleich: Autos tauchen in der Statistik mit 43 Prozent auf, wonach beide Fahrzeuge den gleichen Stellenwert einnehmen. Damit einher gehen auch die Ansprüche. Je mehr wir investieren, desto größer ist die Erwartung, dass die Fahrradwege in einem sehr guten Zustand sind – zu Recht. An vielen Stellen können wir dem gerecht werden, aber leider noch nicht an allen. Der Ehrlichkeit halber muss aber auch erwähnt werden, dass es der öffentliche Verkehr hier schwer hat, weil es bei uns so leicht und so bequem ist, mit dem Fahrrad zu fahren. Behörden Spiegel: Welche Investitionen haben Sie vor Kurzem vorgenommen, um den Radverkehr zu fördern?

Teil eines Gesamtplans Missing Links und kontinuierliche Verbesserungen in der Fahrradhauptstadt Oldenburg (BS) Oldenburg landet in verschiedenen Rankings zur Fahrradfreundlichkeit immer wieder auf den obersten Rängen. Sei es beim Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) oder bei der Bewertung von “Copenhagenize your city”. Wie es die kreisfreie Stadt geschafft hat, zur “Fahrradhauptstadt” Deutschlands zu werden, erläutert Bürgermeister Jürgen Krogmann im Interview mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellte Malin Jacobson.

leider auch Thema in den hiesigen Unfallstatistiken. Gerade mit Auto- oder Lkw-Fahrern, die so viele Fahrradfahrer nicht gewohnt sind, kommt es leider zu Unfällen. Aber insgesamt versuchen wir, ein ausgeglichenes Miteinander zwischen allen Verkehrsteilnehmenden – sowohl Radfahrern als auch Fußgängern und Autofahrern – herzustellen. Und dann haben wir noch den Umstand, dass viele Oldenburger Radfahrer auch mal mit dem Auto fahren. Sprich, wie Jekyll and Hyde ärgert man sich über die Autofahrer, wenn man mit dem Rad unterwegs ist – aber man ärgert sich auch über die Radfahrer, wenn man selbst im Auto sitzt. Behörden Spiegel: Seitens des ADFC gibt es das Ziel, bis 2030 in ganz Deutschland 30 Prozent Radverkehr zu haben. Mit 42 Prozent liegt Oldenburg bereits jetzt sowohl über dem aktuellen Durchschnitt von elf Prozent als auch über dem Zieldurchschnitt. Würden Sie sagen, dass 30 Prozent für Gesamtdeutschland realistisch sind?

Ob Klein oder Groß, ob Bürgermeister oder Hausmeister – in Oldenburg ist der Drahtesel allgegenwärtig.

Krogmann: Wir haben am Haarenufer, entlang der Ofener Straße, eine Fahrradstraße als Verbindung zwischen Universität und Innenstadt eingerichtet. Dort haben wir sowohl Parkplätze rausgenommen als auch Vorfahrtregeln geändert, sodass auf einem längeren Abschnitt die Fahrradfahrer die Vorfahrt haben. In einem anderen Bereich im Stadtwesten gab es eine lange Verbindungsstraße, die keinen Fahrradweg hatte und wo der Verkehr kontinuierlich zunimmt. Dort werden wir jetzt einen mehrere Kilometer langen Radweg bauen.

Große Strategien wie diese haben wir mehrere in und um Oldenburg. Wichtig sind aber auch die vielen kleinen Maßnahmen. Ich habe mich unter anderem mit der Radverkehrskonzeption in Kopenhagen auseinandergesetzt, die ja viel gerühmt ist. Die Planer dort haben uns den Hinweis gegeben, dass man nicht an einem Konzept mit großem Bohei, sondern an sogenannten Missing-Links arbeiten sollte. Das heißt, man schaut, an welchen Stellen im Stadtgebiet die Infrastruktur den größten Nachholbedarf hat und geht diese im Sinne eines kontinuierlichen Ver-

BS/Engin_Akyurt, pixabay.com

besserungsprozesses an. Nach einigen Jahren stellt man dann fest, dass sich die Gesamtsituation deutlich verbessert hat. Ein weiterer wichtiger Punkt, der der Fahrradinfrastruktur immer wieder einen Schub nach vorne gibt, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen. Angefangen bei der EU-Fahrradnovelle, die besagt, dass Fahrradwege eine gewissen Breite brauchen, bis hin zur neuen Mindestabstandsregelung. Die Herausforderung für uns ist: Natürlich hätten die Bürgerinnen und Bürger gerne mit einem Fingerschnippen alle Wege

gleichzeitig auf einem gewissen Standard. In einer Stadt können Sie solche Maßnahmen allerdings nur Zug um Zug umsetzen, weil sie nicht an allen Straßen gleichzeitig bauen können. Behörden Spiegel: Und wie ist es mit der Akzeptanz seitens der anderen Verkehrsteilnehmer? Krogmann: Natürlich gibt es auch in einer Fahrradstadt Konflikte zwischen Radfahrern und Autofahrern – da geht es allerdings mehr darum, wer wem die Vorfahrt genommen hat. Das ist

Krogmann: Wir werden unsere Anteile natürlich nicht senken. Aber ich sehe grundsätzlich noch viel Potenzial – auch bei uns! Was dem Ausbau des Radverkehrs zuletzt einen Schub gegeben hat, sind die neuen Antriebe. Die elektrisch unterstützten Räder machen es plötzlich möglich, auch zehn oder fünfzehn Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Es gibt bereits viele Menschen hier in der Region, die das nutzen. Nun müssen wir im Gegenzug die Hauptverkehrsstraßen stärker in den Blick nehmen, damit eine solche Entfernung sicher zurückgelegt werden kann. Das Ganze ist Teil eines Gesamtplans, der die Klimaneutralität bis 2035 zum Ziel hat. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern von “Fridays for Future” gibt es einen breit angelegten Diskussionsprozess und der Stadtrat hat bereits eine ganze Reihe von Beschlüssen diesbezüglich verabschiedet.

Fotos: mojolo, stock.adobe.com und Igor , stock.adobe.com

13. Bürgermeister*innenkongress

HEIMAT, DIE STADT

12 12.-13. Oktober 2021 Leonardo Le e Hotel, Weimar W

www.buergermeisterkongress.de Eine Veranstaltung des

Foto: Matthiass Ecker ckkert

Eröffnungsredner: Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar


Behörden Spiegel / September 2021

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ie bereits angedeutet, stehen Deutschlands Schulen oftmals vor einem Dilemma: Sie müssen einerseits schnell und umfassend digitalisieren, um die neuen, meist hybriden Unterrichtsmodelle umsetzen zu können. Schließlich gilt es, allen Schülerinnen und Schülern bald einen uneingeschränkten Zugang zur digitalen Bildung zu gewähren, damit sie bestmöglich auf eine Zukunft in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt vorbereitet sind. Andererseits muss zu jeder Zeit dem Datenschutz und damit der Datensicherheit Rechnung getragen werden. Datenschutz und D a t e n­s i c h e r h e i t : komplexe Themen Damit der Datenschutz gewährleistet werden kann und die sensiblen, personenbezogenen Daten gegen Missbrauch geschützt sind, bedarf es hoher Datensicherheit, insbesondere in den Bereichen ID-Management, Geräteverwaltung, Mediennutzung und Applikationen. Selbstverständlich haben Lehreinrichtungen die Pflicht, die Daten von Kindern und Jugendlichen vor Bedrohungen sowie Manipulationen zu schützen. Man denke nur an Leistungsbewertungen wie Zeugnisdaten oder Gutachten zur individuellen Entwicklung von Schülerinnen und Schülern. Neben grundsätzlichen Vorgaben gelten hier außerdem die jeweiligen Landesdatenschutzgesetze. Diese große Herausforderung,

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Die größte Herausforderung für Schulen Datenschutz in der digitalen Bildung (BS) Ganz sicher hat der DigitalPakt Schule von Bund und Ländern die digitale Bildung in den Fokus gerückt. Das bringt neue Möglichkeiten mit sich, denn die finanziellen Mittel sind da. Jetzt liegt es an den Verantwortlichen, die Schulen zu digitalisieren. Doch neben Chancen birgt die Digitalisierung auch Herausforderungen: Etwa, dass sie nachhaltig und investitionssicher vonstatten geht. Und dass Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sind. Schließlich unterliegen personenbezogene Daten einem besonderen Schutz. Für die Einhaltung dieser datenschutzrechtlichen Vorgaben sind die Schulleitungen verantwortlich.

Fotos: BS/Samsung

möchte Samsung Neues und modernen Schule Lernen unterstützen. abzudecken. Dabei bietet es zahlreiche nützliUnsere Lösung ist ein che Komponenten: das ganzes Paket Classroom Management Mit dem Lösungspaket zur Organisation des von Samsung Neues Unterrichts, ein Mobile Lernen bekommen Schu- Device Management zur len Unterstützung in Sa- Verwaltung von Endgechen Digitalisierung. Es räten, den Zugriff auf ist ein modulares und umfassendes Lehr- und systemoffenes Konzept, Lernmaterial, hilfreiche das darauf fokussiert ist, Service- und Supportsich unkompliziert in be- leistungen sowie auf stehende Infrastruktu- Unterrichtszwecke abren einzugliedern und gestimmte Hardware. verschiedene Bedürf- Soweit zum Rund-umnisse einer digitalen Angebot, nun zurück zum

zentralen Thema Datenschutz. Das Lösungspaket von Samsung Neues Lernen steht im Einklang mit dem Grundsatz der Datenminimierung und kommt mit einem Minimum an sensiblen Daten aus. Eigentlich kann man sagen, dass Samsung Neues Lernen einen echten “Hochsicherheitstrakt” für Daten entwickelt hat: mit dem bereits auf allen Samsung-Geräten laufenden Betriebssystem Android in Kombinati-

on mit der hardwareund softwarebasierten Sicherheitsarchitektur Samsung Knox (siehe www.samsungknox. com/de/solutions/itsolutions/knox-platform-for-enterprise). Die mobile Sicherheitsplattform bietet Schutz vor Angriffen von außen und ebenso Schutz für unterschiedliche sensible Daten. Wenn man bedenkt, dass Knox vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationssicherheit (BSI) in Bezug auf Informationstechnik zertifiziert und geprüft ist und sogar von der Bundespolizei genutzt wird, ahnt man vielleicht, mit welchen hohen Standards Samsung arbeitet. Ebenfalls mit im Paket enthalten sind übrigens für vier Jahre lang garantierte Sicherheits-Updates inklusive einer dreijährigen Herstellergarantie (siehe https://news. samsung.com/de/updates-fur-lange-lebensdauer-samsung-verlangert-den-zeitraum-vonupdates-fur-samsunggalaxy-smartphones). Das ABC der DSGVO Samsung Neues Lernen bietet ein Konzept, das sowohl auf Schulgesetze und Anforderungen verschiedener Bundesländer als auch auf unterschiedliche In-

frastrukturen der Schulen abgestimmt werden kann. Der Samsung Partner secjur hat dafür das Lösungspaket hinsichtlich DSGVO-Konformität bewertet und bietet Schulen Unterstützung bei der Erfüllung ihrer datenschutzrechtlichen Pflichten an. Somit werden eine sichere und datenschutzkonforme Geräteverwaltung und Mediennutzung ermöglicht, die Lehrkräften dabei helfen kann, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Unterricht. Apropos: Für einen modernen Unterricht bietet das Lösungspaket den Zugriff auf potenziell über 110.000 Bildungsinhalte. Ob Lehrvideos der Landes- und Kreismedienzentren, digitale Arbeitsblätter, Apps oder Lehrbücher. Diese Inhalte ermöglichen eine sichere Mediennutzung ohne Nutzertracking. Die volle Punktzahl Samsung Neues Lernen – das ist eine modulare und schnell implementierbare Lösung, die hohe Sicherheit, Unterrichtsmaterialien, Service und Support, Finanzierung, Mobile Device Management, Samsung Classroom Management sowie Versicherung aus einer Hand anbietet und verschiedene Herausforderungen der digitalen Unterrichtsgestaltung in einem ganzheitlichen Ansatz adressiert. Mit so einem weitsichtigen und innovativen Rundum-Angebot kann die Digitalisierung nicht nur unterstützt werden, sondern richtig Spaß machen. Das Fazit Sind die Themen Datenschutz und Datensicherheit erst einmal geklärt, kann die schulische Digitalisierung allen Beteiligten große Freude machen: mit Lehrkräften, die neue Potenziale nutzen und abwechslungsreichen Unterricht gestalten können, mit Schülerinnen und Schülern, die sich für die vielseitigen hybriden Unterrichtsformen begeistern können und mit einer Schulleitung, die zuversichtlich in die Zukunft blickt. Jetzt informieren und bestellen unter samsung. de/geschuetztedaten oder rufen Sie uns unter der kostenfreien Hotline 06196 77 555 40 an. Service von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr (außer feiertags).


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Personelles

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Neues gestalten, Menschen mitnehmen dafür brauchen wir Sie! Die Stadt Villingen-Schwenningen ist mit ihren rund 86.000 Einwohner*innen einer der vielfältigsten und größten Arbeitgeber im Schwarzwald-Baar-Kreis. Das Grünflächen- und Tiefbauamt beschäftigt sich mit allen Fragestellungen rund um Verkehr und Straßen. Daneben ist das Amt zuständig für die Grün- und Parkanlagen, die Spielplätze, das Verkehrsgrün sowie die Natur- und Landschaftsflächen. Auch die Sanierung und Bewertung kommunaler Altlasten sowie der Betrieb der Erddeponie gehören in den Aufgabenbereich des Amtes. Mit Projekten wie ‚Aktion Saubere Landschaft‘ gestalten wir aktiv unsere Stadt mit. Verstärken Sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt als innovative und dynamische Führungspersönlichkeit die Stadt Villingen-Schwenningen als

Leitung des Grünflächenund Tiefbauamtes (w/m/d) Diese attraktive Stelle ist nach A 16 bzw. Entgeltgruppe 15 TV D bewertet. In dieser Funktion berichten Sie direkt an den ersten Beigeordneten. Als lösungsorientierte Führungspersönlichkeit führen Sie das Amt mit Weitblick in die Zukunft. Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Interessiert? Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228/265004 Johanna Emde, Désirée Verhaert und Roland Matuszewski zur Verfügung. Lassen Sie uns gerne Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen über das zfm-Karriereportal unter www.zfm-bonn.de zukommen. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

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Kommunalpolitik / Personelles

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Teilhabe für alle Kinder ermöglichen

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nklusion ist insbesondere in Deutschland sehr umstritten. Kaum zu glauben: Die UNBehindertenrechtskonvention (UN-BRK) wurde bereits 2007 durch die Vereinten Nationen verabschiedet und ist im Jahre 2009 in Deutschland durch Ratifikation in Kraft getreten. Sie sorgt auch heute noch für viel Aufregung und Diskussion. Immer noch liegt die deutsche Inklusionsrate auf überschaubarem Niveau. Weiterhin geht man teilweise von der Überlegenheit von Förderschulen aus. Aber hierzu gibt es keine wissenschaftliche Begründung.

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Inklusion braucht Geld und eine politische Haltung (BS/Rolf Hartmann) Die Gründung einer “Gesamtschule Eifel” im Rahmen einer interkommunalen Kooperation durch die Gemeinden Blankenheim und Nettersheim war keine Liebesheirat. Stattdessen stand eine politisch-pragmatische Motivation im Vordergrund (siehe Behörden Spiegel, Fe­ bruar/2021, Seite 15). Kinder sind eben vor allem im ländlichen Raum ein rares Gut. Viele Schulen kämpfen um immer weniger Schüler/-innen. Da lag es nahe, eine Schule für alle Kinder mit allen Abschlüssen zu gründen. Natürlich sollte die Schule auch ihren Beitrag für eine gute Inklusion leisten.

Föderschulen keine Schonräume Im Gegenteil: Für viele Fachleute erweisen sich die Förderschulen als nachteilig auf die Persönlichkeitsentwicklung der betroffenen Kinder. Sie würden sich negativ auf deren berufliche Karrieren auswirken. Auf jeden Fall würden sie keine Schonräume darstellen. Inklusion soll die Teilhabe für alle Kinder in einer Gesellschaft sicherstellen. Gerade die Schulen sollen allen Kindern eine qualitativ hochwertige Bildung gewährleisten, und zwar unabhängig von individuellen Lernbedürfnissen, vom Geschlecht und sozialen oder ökonomischen Komponenten. Von Anfang an hatte die Gesamtschule Eifel ein optimales inklusives System auf ihre Fahne geschrieben. Im Mittelpunkt stand stets die Frage, wie sich das Postulat der Inklusion mit einem Maximum an sozialer Teilhabe und einem Minimum an Diskriminierung in die Praxis umsetzen lässt. Natürlich haben wir festgestellt, dass eine Ganztagsschule bei dieser Heterogenität der Kinder ein neues räumliches Konzept fordert. Viele Differenzierungsräume (einer je zwei Klassenräume) sowie ein Selbstlernzentrum gehören zur räumlichen Konzeption. Selbstverständlich wurden die Schulkörper barrierefrei geplant. Aber: Nur weil unsere Schule nun einen modernen Aufzug besitzt, wird sie noch längst keine inklusive Schule.

Gesamtschule keine “Resteschule” Inklusion muss gewollt sein: von den Lehrkräften, von den Eltern und von der Politik. Im ländlichen Raum hatte die Ge-

Für einen inklusiven Schulunterricht müssen die Länder endlich ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention nachkommen.

Foto: BS/Robert Kneschke, stock.adobe.de

Respekt vor engagierter Arbeit Das Land NRW hat die sonderpädagogische Förderung in den allgemeinen Schulen zur Regel gemacht und entsprechende Rechtsansprüche eingeräumt. Gleichwohl sollen die Eltern weiterhin eine Förderschule für ihr Kind wählen können. Die neuen Rechtsansprüche wurden erstmalig 2014/2015 für Schüler/-innen in den Klassen eins und fünf, ab 2015/2016 aufwachsend für Schüler/-innen der nächsthöheren Jahrgänge zumindest theoretisch realisiert. Die Einführung des Elternwahlrechts fühlt sich auf dem ersten Blick als Schritt in die richtige Richtung an. Schlussendlich ist es dennoch die Fortsetzung des Parallelsystems, bestehend aus allgemeinen Schulen und aus Förderschulen. Ich habe hohen Respekt davor, welch engagierte Arbeit in den Förderschulen geleistet wird. Aber rechnet sich überhaupt der hohe Personaleinsatz – im Vergleich zu den Regelschulen – gesamtstaatlich? Wir berauben uns mit der Existenz zweier getrennter Bildungssysteme (Förderschulen neben inklusiven Regelschulen) eines effektiven Personaleinsatzes in einem funktionierenden, qualitativ

Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürgermeister der Gemeinde Blankenheim. Foto: BS/privat

samtschule schon aufgrund des gebundenen Ganztags, des unterschiedlichen Leistungsniveaus der Kinder und mancher Verhaltensauffälligkeiten einiger Schüler/-innen gegenüber den Gymnasien und auch gegenüber der Realschule Imageprobleme. Vor allem die Gymnasien zeigten sich sehr zurückhaltend mit der Aufnahme von inklusiven Kindern. Dabei dürften zumindest viele autistische Kinder dem geforderten “Bildungsniveau” eines Gymnasiums gewachsen sein. Unsere Gesamtschule musste hier einiges auffangen. Leider wurde diesem besonderen Auftrag personell nur sehr unzureichend Rechnung getragen. Sehr befremdlich empfand ich, dass hinter vorgehaltener Hand die Gesamtschule als “Resteschule” bezeichnet wurde. Es ist menschenverachtend, Kinder als “Rest” zu bezeichnen, eigentlich unglaublich und dennoch traurige Realität.

hochwertigen inklusiven Bildungssystem. Der vergleichsweise hohe personelle Ressourceneinsatz in den Förderschulen führt dazu, dass diese Kräfte in den Regelschulen letztlich fehlen. Nach meinem Eindruck sind die Aktivitäten der bisherigen NRW-Landesregierungen nicht ausreichend gewesen, wenn es darum geht, Inklusion in den Regelschulen zu sichern. Mit voller Inbrunst geht man dieses Thema jedenfalls nicht an.

Fluch der Konnexitäts­relevanz Auf der anderen Seite steht der Art 24 Abs. 2 der UN-BRK, wonach es den Mitgliedsstaaten verboten ist, behinderte Kinder vom allgemeinen Bildungssystem auszuschließen. Sie haben die Pflicht, ihnen den Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen Unterricht zu gewähren. Zugang und Teilhabe am regulären Schulsystem müssen diskriminierungsfrei sein. Dies ist ein gesetzliches Muss. Ein wesentliches Merkmal einer inklusiven Schule ist die Barrierefreiheit. Diese betrifft nicht nur bauliche Barrieren für mobilitätsbehinderte Menschen. Viele weitere Gestaltungselemente für sinnesbehinderte Kinder gehören dazu, um eine möglichst gleichberechtigte Teilhabe an der Schule zu ermöglichen. Was bei der Gesamtschule Eifel aufgrund der hohen Städtebauförderung

Verhandlungen kommen ins Rollen Klinikleitung hat Angebot vorgelegt (BS/jf) Seit Anfang Februar 2021 laufen die Tarifverhandlungen für rund 1.250 Mitarbeiter mehrerer Tochterunternehmen der Vivantes-Klinik. Diese waren geprägt von neuen gewerkschaftlichen Forderungen während der ersten Verhandlungsrunden, einem Schlichtungsvorschlag, dreitägigen Warnstreik und einer einstweiligen Verfügung vom Amtsgericht, diesen Streik aufzuheben, die anschließend wieder gekippt wurde. Der bisherige Verlauf zeigt: Es geht um viel. Ziel der Tarifverhandlungen ist unter anderem die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen an den Vivantes-Tochtergesellschaften MVZ GmbH, VivaClean Nord und Süd GmbH, Vivantes Service Gesellschaft GmbH, Speiseversorgung und -logistik GmbH und Rehabilitation GmbH. Darüber verhandeln Verdi und der Klinikkonzern seit mehr als sieben Monaten. Zuletzt waren mehr als 700 Beschäftigte für drei Tage im Ausstand. Zehn Stationen waren komplett bestreikt. Dagegen legte der landeseigene Klinikkonzern Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH Beschwerde beim Arbeitsgericht Berlin ein und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen den Streik, die das Gericht einen Tag später per Beschluss wieder aufhob. “Es ist ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle”, beschrieb Anja Voigt, Intensivpflegerin im Vivantes-Klinikum Neukölln, die Stimmung. Erst die Enttäuschung und Wut über das Streikverbot.

Dann die Euphorie über den Erfolg vor dem Arbeitsgericht. “Die Entscheidung ist eine wichtige Bestätigung der Beschäftigten, dass ihnen das Streikrecht nicht so einfach durch eine einstweilige Verfügung genommen werden kann”, sagte Meike Jäger, die bei Verdi in Berlin und Brandenburg für das Gesundheitswesen zuständig ist. Für Vivantes sei es ein Schlag ins Kontor gewesen. Im Zuge der Gerichtsverhandlungen haben sich beide Seiten für alle bestreikten Betriebe auf Notdienstvereinbarungen geeinigt. Damit konnte der Streik fortgesetzt werden. Daraufhin appellierte sogar der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), an die Tarifparteien, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. “Wir sind jederzeit bereit, über substanzielle Angebote der Arbeitgeber zu verhandeln”, sagte Jäger. Verdis Ziel sei nicht der Streik, sondern Entlastung und faire Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Die Klinikleitungen hätten es in

der Hand, weitere Arbeitsniederlegungen abzuwenden. Das ist geschehen. Die Arbeitgeberseite legte ein neues Angebot vor, auf dessen Grundlage weitere Gespräche stattfinden sollen. “Darin haben wir konkrete Vorschläge für alle Tochterfirmen formuliert, wie die branchenüblichen Tarife weiterentwickelt werden können und wirtschaftlich vertretbare Gehaltssteigerungen möglich werden”, unterstrich die Verhandlungsführerin auf der Arbeitgeberseite, Dorothea Schmidt, Geschäftsführerin Personalmanagement bei Vivantes. Die Lage sei jedoch äußerst komplex. Die einzelnen Töchter hätten unterschiedliche Finanzierungsgrundlagen und die jeweils geltenden Tarifsysteme seien sehr unterschiedlich. Dennoch blicke man den weiteren Gesprächen Anfang September zuversichtlich entgegen. Das Angebot sehe unter anderem die Schaffung einheitlicher tariflicher Reglungen für die Tochterunternehmen, wie z. B. eine wöchentliche Arbeitszeit von

39 Stunden und einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen im Jahr bei einer Fünf-Tage-Woche vor. Das bedeute für die Beschäftigten bis zu fünf Tage mehr Urlaub. Außerdem sollen die Entgeltstruktur vereinheitlicht, Auszubildende künftig tarifiert und Zukunftsperspektiven ermöglicht werden. Entsprechend blicke man den weiteren Gesprächen Anfang September zuversichtlich entgegen, so Schmidt. Noch im Mai hatte die Arbeitgeberseite einen Stufenplan für die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen vorgelegt. Im weiteren Verlauf stellte Verdi zusätzliche Forderungen in Zusammenhang mit der Arbeitszeit auf, etwa zu Sonderformen der Arbeit sowie zu Wechselschicht- und Schichtzulagen. Darüber kamen die Verhandlungen ins Stocken, weshalb die Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH als konkreter Arbeitgeber eine Schlichtung vorschlug – ohne Erfolg. Es folgte ein längerer Stillstand, der in dem dreitägigen Warnstreik mündete.

gut gelang, ist dagegen bei vielen anderen Schulen mangels Finanzierung keinesfalls verwirklicht. Bezeichnend ist, dass das Land NRW zu den baulichen Voraussetzungen keine verbindlichen Regeln geschaffen hat. Es fürchtet die Konnexitätsrelevanz wie die Pest. Denn: “Wer bestellt, der bezahlt.” Indem das Land nicht bestellt, muss es eben auch nicht zahlen. Bund und Länder haben bisher Erwartungen geweckt und Ziele vorgegeben, ohne gleichzeitig die erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen. Vor Ort stehen und standen die Kommunen unter erheblichen Handlungsdruck. Es galt, sofort – ohne Abwarten der erforderlichen schulgesetzlichen Weichenstellungen – ihre Schulen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung zu öffnen.

Abkehr von Inklusion nach Kassenlage Unakzeptabel erscheint es, wenn Landesgesetze bei der Umsetzung der UN-BRK im Schulwesen den Konnexitätsgrundsatz ignorieren und die Kommunen nur unzureichend finanziell ausstatten. Die herzustellende räumliche Barrierefreiheit ist aber nur ein Gesichtspunkt der inklusiven Schule. Mindestens genauso wichtig sind die Bereitstellung der erforderlichen personellen Ressourcen und das Erstellen entsprechender pädagogischer Konzepte und inklusiver Lehrpläne; und das ist auf jeden Fall Länderaufgabe. Das Pa­rallelsystem verhindert die ausreichend personelle Konstante für die inklusive Regelschule. Es mangelt auch an der notwendigen Aus- und Fortbildung. Viele Lehrende haben deshalb verständlicherweise durchaus ausbaufähige Kenntnisse zum Umgang mit Heterogenität und bezüglich der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Gerade deshalb leidet die Entwicklung einer konstruktiven Haltung der Schulgemeinschaft zu einer inklusiven Schulkultur. Es bedarf einer Abkehr von einer Inklusion nach Kassenlage. Es braucht eine Implementierung der inklusiven Schule durch ein proaktives Bekenntnis des Staates zur Inklusion. Gleichzeitig muss er sich vom System “Förderschulen” konsequent verabschieden. Dafür müssen die Länder endlich ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Art. 24 der UN-BRK nachkommen. Das bisherige halbherzige Agieren geht zulasten der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung. Diese bleiben letztlich auf der Strecke. Dies ist aus menschenrechtlicher Perspektive nicht hinnehmbar.


Kommunaler Haushalt

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Kommunale Steuern könnten steigen

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m April 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Grundsteuer wegen veralteter Grundstückswerte nicht mehr verfassungsgemäß ist. Der Bund hat daher im November 2019 seinen Entwurf für eine Grundsteuerreform verabschiedet. Gemäß diesem Modell soll die Grundsteuer nach dem Wert des Grundstücks bemessen werden. Die Länder können jedoch von diesem Modell abweichen. Viele haben von der Öffnungsklausel auch schon Gebrauch gemacht. So entschied man sich in BadenWürttemberg für das Bodenwertsteuermodell. In Bayern wird hingegen ab 2025 das Flächenmodell gelten. Im Saarland orientiert man sich hingegen am Bundesmodell. Doch auch hier wird die Öffnungsklausel genutzt, um bei der Steuermesszahl eine Änderung vornehmen zu können. Einen ähnlichen Weg geht auch Sachsen. Dort soll künftig zwischen den Nutzungsarten der Grundstücke bei der Bemessung der Steuermesszahl differenziert werden. Insgesamt übernehmen aktuell sieben der 16 Bundesländer bei der Berechnung der Grundsteuer das Bundesmodell. Prof. Dr. Dörte Diemert, Stadtkämmerin und Dezernentin für Finanzen und Beteiligungen der Stadt Köln, zeigte sich auf dem Kommunalen Finanzgipfel des Behörden Spiegel durchaus zufrieden damit, dass sich das Land NRW für das Bundesmodell entschieden hat. Sie hätte sich allerdings gewünscht, dass dieser Beschluss bereits früher gefallen wäre. Ohnehin unterstrich sie in ihrem Vortrag die Notwendigkeit, rechtzeitig vom Land die erforderlichen Zahlen und Rahmenbedingungen zu erfahren, um die Kommunalpolitik vor Ort entsprechend mitnehmen zum können. Schließlich stehen im Jahre 2025 in NRW auch die nächsten Kommunalwahlen an. Einen Einblick in die Vielfalt und Besonderheiten der vom Bundesmodell abweichenden landesgesetzlichen Regelungen gab Prof. Dr. Marcel Krumm, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er arbeitet derzeit auch an einem juristischen Kommentar zum Grundsteuergesetz, welcher, nachdem alle Gesetze der Länder vorliegen, im kommenden Jahr erscheinen soll.

Mehr Grundsteuererhöhungen erwartet – Gewerbesteuer bleibt alternativlos (BS/lkm/gg) Die Grundsteuer und die Gewerbesteuer sind die wichtigsten direkten Einnahmequellen der Kommunen. Während die Gewerbesteuer in den Kommunen massiv einbrach, hat bundesweit jede zehnte Kommune im Corona-Krisenjahr 2020 die Grundsteuer erhöht. Auf dem kommu­ nalen Finanzgipfel des Behörden Spiegel diskutierten Experten und Praktiker Alternativen zur Gewerbesteuer und über die Grundsteuerreform in den Kommunen.

Prof. Dr. Dörte Diemert, Kämmerin der Stadt Köln, hätte sich eine frühere Entscheidung des Landes zum Grundsteuermodell gewünscht, um den Kommunen mehr Planungssicherheit zu geben.

Fotos: BS/Rotthaus

Jede zehnte Kommune erhöhte die Grundsteuer Eine aktuelle Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) zu kommunalen Steuern kommt zu dem Ergebnis, dass die Grundsteuer deutschlandweit im letzten Jahr ein Prozentpunkt mehr als im Vorjahr betrug. In NordrheinWestfalen zahlten die Bürger im vergangenen Jahr im Durchschnitt 212 Euro Grundsteuer und wiesen damit die höchste Steuerbelastung auf (ohne Stadtstaaten), während ein Einwohner Bayerns im Durchschnitt nur mit 139 Euro belastet wurde. Am wenigsten zahlten im vergangenen Jahr die Bürger in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die im Durchschnitt 108 bzw. 111 Euro aufbringen mussten. Bundesweit lag der Durchschnittsbetrag bei 172 Euro – nach 169 Euro im Vorjahr. Die regionalen Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern hätten sich in den vergangenen Jahren deutlich vergrößert: So sei seit 2015 der durchschnittliche Grundsteuerhebesatz im Saarland, wo 92 Prozent der Kommunen die Grundsteuer erhöhten, um 25 Prozent gestiegen. In Hessen seien 69 Prozent der Städte und Gemeinden betroffen gewesen, der durchschnittliche Hebesatz kletterte laut der Analyse um 19 Prozent. In Nordrhein-Westfalen hätten 65 Prozent der Kommunen die Grundsteuer erhöht, was zu einem durchschnittlichen An-

Prof. Dr. Marcel Krumm von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gab einen Einblick in die Vielfalt und Besonderheiten der vom Bundesmodell abweichenden landesgesetzlichen Regelungen für die Grundsteuer.

Dr. Ulrich Keilmann, Direktor beim Hessischen Rechnungshof, machte auf dem Kommunalen Finanzgipfel des Behörden Spiegel auf die Gefahren für die Kommunen durch die Volatilität der Gewerbesteuer aufmerksam.

Prof. Dr. Thilo Wörn von der Hochschule für öffentliche Verwaltung stellte bei Bund, Ländern und Kommunen eine gewisse Lethargie fest, wenn es um Veränderungen oder Alternativen bei der Gewerbesteuer gehe.

stieg um elf Prozent geführt habe. Kaum zusätzlich belastet wurden hingegen die Bürger in Bayern, Thüringen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen, wo die jeweiligen Durchschnittssätze seit 2015 um höchstens drei Prozent gestiegen seien. “Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr zwar zu massiven Steuerausfällen bei den Kommunen geführt”, sagt Mattias Schneider, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Services. “Unterm Strich aber sind die Einnahmen nicht gesunken, sondern sogar um 4,5 Prozent gestiegen – denn hohe Zuweisungen vom Bund und den Ländern an die Gemeinden konnten die Einnahmeausfälle ausgleichen.” Auch im Jahr 2021 unterstützen einige Länder ihre Kommunen noch – nicht zuletzt, um Gebühren- und Steuererhöhungen in den finanziell notleidenden Städten und Gemeinden zu verhindern. Eine dauerhafte Lösung sei dies aber nicht, sagt Schneider: “Im vergangenen Jahr hatte der Bund sehr großzügig coronabedingte Einnahmeausfälle kompensiert – das muss aber eine Ausnahme bleiben. Den Kommunen wird in vielen Fällen nichts anderes übrigbleiben, als wieder verstärkt Steuern zu erhöhen, um ihre Finanzlöcher auszugleichen – sonst droht eine Ablehnung der Haushalte durch die Kommunalaufsicht. Und Einsparungen oder der Verkauf von Tafelsilber sind in vielen Kommu-

nen kaum noch möglich”. Zwischen 2014 und 2019 sei der Anteil der deutschen Kommunen, die den Grundsteuer-Hebesatz erhöhten, kontinuierlich gesunken: von 23 Prozent im Jahr 2014 auf neun Prozent im Jahr 2019. Dieser positive Trend habe im Jahr 2020 allerdings nicht angehalten, der Anteil sei wieder leicht auf zehn Prozent angestiegen. Für die kommenden Jahre erwartet Schneider einen deutlichen Anstieg dieses Wertes: “Allzu viele Möglichkeiten, ihre Einnahmesituation zu verbessern, haben die Kommunen nicht. Die Grundund die Gewerbesteuer sind die wichtigsten eigenen Einnahmequellen der Kommunen. Und wer nicht riskieren will, dass wichtige Gewerbesteuer-Zahler in günstigere Kommunen wegziehen, wird zunächst einmal die Grundsteuer heraufsetzen.”

Hebesatz von jeweils 200 Prozent bundesweit am unteren Ende der Skala, während das rheinlandpfälzische Wettlingen mit 600 Prozent zum Jahresende 2020 den höchsten GewerbesteuerHebesatz aufwies. Im Rahmen eines Praxisaustausches wurde auf dem Kommunalen Finanzgipfel auch über Alternativen zur Gewerbesteuer diskutiert. Denn durch die Corona-Pandemie brach die Gewerbesteuer in den Kommunen dramatisch ein. Im Jahr 2019 nahmen die Kommunen insgesamt 55 Milliarden Euro Gewerbesteuer ein. 2020 lagen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer bei nur noch 41,4 Milliarden Euro – ein Rückgang um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. “Hier stellt sich die Frage, ob die Gewerbesteuer noch das richtige Instrument ist, um die Gemeinden zu finanzieren, oder ob es Alternativen gibt”, so Elisabeth Heyers, Steuerberaterin und Aufsichtsrätin der Stadtwerke Neuss. Tatsächlich gebe es bereits seit vielen Jahren diverse Konzepte für eine Gemeindefinanzreform, die auch Alternativen zur konjunkturabhängigen Gewerbesteuer aufzeigten, jedoch würden diese bislang nicht umgesetzt, so Prof. Dr. Thilo Wörn von der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Gelsenkirchen. Der Finanzexperte hat den Eindruck, dass es bei

(BS/lkm) Die Corona-Pandemie macht auch in den kommenden Jahren den kommunalen Haushalten zu schaf­ fen. 133,3 Milliarden Euro – das war der gesamte Schuldenstand der Gemeinden und Gemeindeverbände zum Jahresbeginn 2021. Die Prognosen für das kommende Jahr sehen nicht besser aus. Auf dem Kommunalen Finanzgipfel des Behörden Spiegel machte Margarete Heidler, Kämmerin der Bundestadt Bonn, deutlich, welche Erwartungen sie jetzt an die Politik hat.

Margarete Heidler, Kämmerin der Bundestadt Bonn, sprach auf dem Kommunalen Finanzgipfel über die Folgen der Corona-Pandemie für die Kommunen.

Neben der Grundsteuer ist die Gewerbesteuer die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Laut E&Y-Analyse wurde die Gewerbesteuer im vergangenen Jahr von acht Prozent der Kommunen erhöht, im Vorjahr hatte der Anteil bei sieben Prozent gelegen. Bei der Gewerbesteuer liegen das brandenburgische Zossen und das thüringische Langenwolschendorf mit einem

„Sport- und Freizeitangebote“

von Dr. Ulrich Keilmann

Kommunalfinanzen in der Krise

die Kommunen bis 2024 rund 50 Milliarden Euro weniger Steuern einnehmen werden als vor Corona erwartet. Für NRW fordert Heidler zudem eine Verlängerung des NKF-Covid19-Isolierungsgesetzes (NKF-CIG) für die Planungsjahre bis 2025, “damit auch im Planungszeitraum sämtliche Corona-bedingten Belastungen isoliert werden können”. Beim Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (öGD) forderte Heidler eine zügige Umsetzung. Hier stellt der Bund vier Milliarden Euro für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen zur Verfügung, um Gesundheitsämter in ganz Deutschland personell aufzustocken, zu modernisieren und zu vernetzen. Letztendlich sei auch, so Heidler eine Altschuldenlösung für die Kommunen notwendig, denn “generationenegerecht ist das, was wir hier tun, schon lange nicht mehr”, machte die Stadtkämmerin deutlich. Die aktuelle

Alternativlose Gewerbe­ steuer?

Bund und Ländern keinen politischen Willen gebe, hier etwas zu verändern. Auch aufseiten der Kommunen gebe es noch viel Angst vor Veränderungen, man liebe dort den Status quo, so Wöhr. Zudem habe sich gezeigt, dass Bund und Länder in extremen Lagen, wie aktuell mit dem Gewerbesteuerausgleichsgesetz, Kommunen mit geringen Gewerbesteuereinnahmen unterstützten. Auch Dr. Ulrich Keilmann, Direktor beim Hessischen Rechnungshof, bestätigte, dass Kommunen oft nicht geneigt seien, hier etwas zu verändern, vor allem bei hohen Gewerbesteuererträgen und geringer Volatilität. Jedoch sei die Gewerbesteuer ungerecht, da sie einige Wenige bevorteile. So generierten in Hessen lediglich fünf Kommunen rund 50 Prozent der Gewerbesteuererträge. “Es ist schwierig, denen etwas mit einer Reform wegzunehmen”, so Keilmann. Wichtig, so Keilmann sei vor allem die Volatilität der Steuer. Sie hänge nicht nur an der Konjunktur, sondern auch vom Erfolg der Gewerbetreibenden ab. Dies zeige sich beispielsweise in der Stadt Rüsselsheim. Der Rechnungsprüfer appelliert daher an die Kommunen mit besonders volatiler Gewerbesteuer, in finanziell günstigen Jahren Vorsorge zu betreiben und Sonderrücklagen zu bilden. “Beim nächsten Hoch sollte man auch schon an das nächste Tief denken”, betonte Keilmann. Diskutiert wurde unter den Experten auch eine kommunale Infrastrukturabgabe, die alle einbezieht. Prof. Wöhr begrüßte grundsätzlich diese Idee, denn nach der volkswirtschaftlichen Lehre sei ein System dann am effizientesten, wenn der, der es nutze, auch dafür bezahle. In der Praxis sei es jedoch problematisch für Kommunen, die Nutzer der Strukturen auch heranzuziehen. Dienstleister, so Wöhr, seien sehr mobil und könnten sich dem entziehen. Zudem sei eine solche Abgabe politisch “wahrscheinlich nicht durchsetzbar” und würde viele Probleme mit sich bringen. “Vielleicht ist die Gewerbesteuer tatsächlich das beste System. Das Gegenteil kann man nur beweisen, wenn man etwas besseres hat”, so der Finanzexperte abschließend.

Gelungene Kombi: Badesee und Campingplatz

Nicht mehr generationengerecht

Aktuell steigen die Infektionszahlen wieder, mit noch nicht absehbaren Folgen für die kommunalen Finanzen, das öffentliche Leben, Handel, Kultur, Sport, Vereinswesen und die Wirtschaft. In den Kommunen gebe es hierfür, so Heidler, kaum vorhandene Konzepte und Mittel. “2021 und in den Folgejahren ist der Bedarf an Unterstützungsmaßnahmen durch Bund und Länder für die Kommunen mindestens so hoch wie im Jahr 2020. Ohne weitere Hilfe des Bundes und der Länder wird die kommunale Familie die finanziellen Folgen der Pandemie nicht stemmen können”, betonte die Kämmerin. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert eine Verlängerung der Bundes- und Landeshilfen über 2020 hinaus. “Es muss einen zweiten Rettungsschirm geben”, so Uwe Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DStGB und Experte für Finanzen. Der DStGB rechnet damit, dass

Behörden Spiegel / September 2021

Foto: BS/Rotthaus

Finanzsituation berge die Gefahr, dass Städte und Gemeinden ihre freiwilligen Leistungen und Investitionen reduzieren werden, warnte Heidler.

Wie im letzten Jahr ist die Situation der kommunalen Bäder durch die CoronaPandemie geprägt. Die Besucherentwicklung der aktuellen Freibadsaison verlief insgesamt gut. Mitunter schien die Wetterlage die Stimmung mehr eingetrübt zu haben als etwaige Corona-Beschränkungen wie zeitlich begrenzte Schließungen oder Besucherobergrenzen. Dennoch war die Situation von Region zu Region unterschiedlich. Klar ist: Unter der angespannten finanziellen Leistungsfähigkeit mancher Kommunen werden es Bäderangebote als freiwillige Leistung künftig nicht leicht haben. Unter diesen Rahmenbedingungen stellt sich umso mehr die Frage nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. Dabei hilft keine SchwarzWeiß-Sicht, sondern nur eine differenzierte Betrachtung. Badeseen lassen sich bauartbedingt regelmäßig mit geringeren Defiziten als Freioder Hallenbäder betreiben. Die Verbindung von Badeseen mit Campingplätzen ergibtzu-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

dem wechselseitige Vorteile. Zunächst stellt für einen Campingplatz ein angegliederter Badesee eine Attraktion und ein Abgrenzungsmerkmal gegenüber anderen Campingplätzen dar. Bei der Kombination von Badesee und Campingplatz können Sanitärgebäude und Kasseneinrichtungen teilweise gemeinsam genutzt werden. Damit werden gegenüber einem reinen Badeseebetrieb Investitionen verringert. Ebenfalls können Teile des Personals für beide Einrichtungen eingesetzt werden (Kassen-, Reinigungsund technisches Personal). Der gemeinsame Personaleinsatz schafft Vertretungsmöglichkeiten und Personalkostenreduzierungen. Dies ist aber keinesfalls eine Empfehlung an alle Kommunen, Badeseen zu errichten und

mitsamt Campingplätzen zu betreiben. So spielt beispielweise Art und Umfang des Tourismus in der Kommune eine Rolle, um die für den Betrieb eines Campingplatzes entsprechende Nachfrage zu bedienen. Es gibt keine Blaupausen. Alternativ lassen sich etwa durch eine Verkleinerung der Grünflächen des Badeseegeländes Arbeitsund Sachkosten einsparen, beispielsweise für Laub- und Rasenarbeiten. Lesen Sie mehr zum Thema “Schwimmbäder und Badeseen” im Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1-2021, S. 475 ff. sowie im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 272 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.


Beleuchtung / Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / September 2021

“S

chmölln steht vorbildlich bei der Umrüstung auf LED im Vergleich zu anderen Kommunen da”, ist Bürgermeister Sven Schrade (SPD) überzeugt. Und das zu Recht. 87 Prozent der Beleuchtung der Stadt in ihrer alten Gebietsstruktur werden bis Ende des Jahres umgerüstet sein. In den neuen Ortsteilen, die im Zuge der thüringischen Gemeindegebietsreform hinzugekommen sind, liegt der Anteil der LEDTechnik bei 52 Prozent. Der Austausch der Leuchten ist Teil des Maßnahmenprogramms als global nachhaltige Kommune. Und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Im Vergleich zum Jahr 2002 hat sich der Energieverbrauch der Stadt um die Hälfte reduziert: Von 833.000 Kilowattstunden/Jahr auf 397.000 Kilowattstunden/Jahr. Das entspricht einer Entlastung des städtischen Haushaltes von jährlich rund 130.000 Euro und reduziert den CO2-Ausstoß um 175 Tonnen/Jahr.

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LED als Schlüsseltechnologie Mit moderner Beleuchtung Klimawandel begegnen/Neue Dokumentation des DStGB (BS/Jörn Fieseler) In Schmölln im Altenburger Land in Thüringen, 25 Kilometer östlich von Gera, sind 80 Prozent der Straßenbeleuchtung auf LED umgerüstet. Die 12.000-Einwohner-Stadt ist eines von zahlreichen Beispielen für die Modernisierung der Außenbeleuchtung als Beitrag zum Klimaschutz. Zugleich kommt man so der Idee der Smart City einen Schritt näher. Für alle, die ebenfalls ihre Straßenbeleuchtung aus dem einen oder anderen Grund umrüsten wollen, gibt es eine neue Hilfestellung.

Global denken, lokal ­handeln Das thüringische Beispiel zeigt: Um die Klimaschutzziele zu erreichen, bedarf es konkreter Maßnahmen vor Ort. Ganz im Sinne der lokalen Agenda-Politik aus den 1990er-Jahren, “Global denken, lokal handeln”. Zudem ergeben viele kleine Teile ein Ganzes. Energieeinsparmaßnahmen bei der öffentlichen Beleuchtung sind ein Stück des Kuchens, genauso wie Maßnahmen im Bereich der Gebäudesanierung, die verstärkte Nutzung Erneuerbarer Energien, eine klimagerechte Stadtplanung sowie eine umweltschonende Mobilität. Aber die öffentliche Beleuchtung ist kein kleines Stück des Kuchens: “Mehr als ein Drittel des kommunalen Energieverbrauchs entfällt derzeit auf die Beleuchtung von Straßen, Wegen und öffentlichen Plätzen”, sagt Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Er bezifferte das Einsparpotenzial einer deutschlandweit rundum sanierten öffentlichen Beleuchtung auf rund 500 Millionen Euro beziehungsweise 2,2 Milliarden Kilowattstunden. Letzteres entspräche einer CO2Einsparung von jährlich rund 1,4 Millionen Tonnen. Dafür ist ein modernes Lichtmanagementsystem entscheidend, gekoppelt mit einem Be-

LED-Technik in der Straßenbeleuchtung hilft nicht nur, CO2-Emissionen und Kosten zu senken. Neue Lichtsysteme sind ein wichtiger Baustein für die Smart City. Foto: BS/SV_produktion, stock.adobe.com

triebsmittelmanagement, heißt es in der Dokumentation “Kommunale Außenbeleuchtung – Draußen wird es digital” des DStGB. Für die Lichtsteuerung eigneten sich modulare und flexible Systeme am besten, bei denen sich die einzelnen Komponenten bedarfs- und situationsgerecht zu einer maßgeschneiderten Lösung kombinieren ließen. Zudem ermögliche das Betriebsmittelmanagement einen möglichst reibungslosen und effizienten Betrieb der Lichtpunkte. So könnten über digitale Monitoringdienste die Betriebsdaten jedes einzelnen Lichtpunktes im Netzwerk hinsichtlich Status, Betriebsdauer, Schaltungshäufigkeit und Energieverbrauch ausgewertet werden, schreiben der Beigeordnete Norbert Portz und Referatsleiter Bernd Düsterdiek vom DStGB.

Fördergelder vom Bund Allerdings werden Kommunen nicht zwangsläufig in neue Straßenlaternen investieren, wenn die bestehenden Laternen und Lampen noch nicht abgeschrieben sind oder eine Ersatzbeschaffung notwendig wird. Es ist und bleibt eine Kostenfrage und

MELDUNGEN

95 Prozent LEDs

(BS/mj) Die Kreisstadt Pinneberg in Schleswig-Holstein will bis 2024 einen Großteil ihrer Straßenbeleuchtung auf energiesparende LED-Beleuchtung umrüsten. Die Investition kostet rund 1,1 Millionen Euro, würde sich aber bereits nach dreieinhalb Jahren amortisieren, berichtet Bürgermeisterin Urte Steinberg. Bis Herbst 2022 sollen 3.040 Leuchten ausgetauscht werden, im Frühjahr 2023 folgen weitere 648 Leuch-

ten. Steinberg: “Damit kann die Gesamtmaßnahme, vorbehaltlich der Bereitstellung der erforderlichen Haushaltsmittel, deutlich schneller als erwartet realisiert werden.” Ursprünglich sollte die Umstellung erst Ende 2024 abgeschlossen sein. Rund 450 Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr will Pinnenberg mit dieser Maßnahme einsparen. Je nach Lampentyp betrage die Energieeinsparung zwischen 55 und 81 Prozent.

3.000 Kelvin für Aalens Straßenbeleuchtung (BS/mj) Dank Förderung des Bundesumweltministeriums (BMUB) kann die Stadt Aalen die Sanierung ihrer Straßenbeleuchtung fortsetzen. An Hauptund Nebenverkehrsstraßen sollen 386 QuecksilberdampfHochdrucklampen durch hocheffiziente LED-Leuchten mit der Lichtfarbe 3.000 Kelvin ersetzt werden. Die Technik zeichnet sich durch bessere Lichtqualität, längere Lebensdauer und einen stark reduzierten Energiebedarf aus. 80 Prozent des

Energiebedarfs und 138.507 kWh Strom spare man so pro Jahr und 1.634 Tonnen CO2Ausstoß innerhalb von 20 Jahren. Die Umrüstung kostet rund 297.000 Euro, wovon rund 89.000 Euro durch die “Nationale Klimaschutzinitiative” des BMUB gefördert werden. Das Programm verankert bundesweit Klimaschutzmaßnahmen vor Ort, wovon Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen, Kommunen und Bildungseinrichtungen profitieren.

eine Frage der Strapazierfähigkeit kommunaler Haushalte. Das Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit stellt noch bis Ende des Jahres 2021

Fördergelder zur Verfügung. Bis 31. Dezember 2021 haben Städte und Gemeinden noch die Möglichkeit, Fördergelder zu beantragen. Voraussetzung:

Mindestens 50 Prozent der CO2Emissionen müssen durch die Sanierung eingespart werden. In dem Falle winken Fördergelder von bis zu 60 Prozent des Ge-

samtvolumens. Gefördert werden sowohl die Demontage und Entsorgung der Altanlagen als auch die Errichtung der neuen Anlage bis zur Implementierung eines Lichtmanagementsystems. Langfristig führt kein Weg an smarten, steuerbaren Systemen vorbei. Aber Städte und Gemeinden müssen keineswegs das “volle Programm” auf einmal umsetzen, so Portz und Düsterdiek. Mit netzwerkfähigen Leuchten mit offenen Schnittstellen lasse sich die Grundlage für ein smartes Beleuchtungsnetzwerk legen und später weiter ausbauen und mit SmartCity-Komponenten versehen. Dabei sind dem Ideenreichtum keine Grenzen gesetzt: So ist der Einsatz von Kameras für eine Überwachung von kritischen Bereichen, Notrufknöpfe für das individuelle Sicherheitsgefühl oder Lautsprecher für Durchsagen im Not- und Gefahrenfall ebenso denkbar wie die Installation von WLAN-Routern für ein flächendeckendes freies Netz im Stadtgebiet. Und natürlich können zahlreiche Sensoren an den Lichtmasten installiert werden, etwa zur Messung von Bewegungsströmen zur Lichtsteuerung, zur Optimierung der Verkehrsführung oder zur Detektion von freien Parkplätzen. So weit ist man in Schmölln noch nicht. Dort soll die Umrüstung auf LED-Technologie erst in drei Jahren abgeschlossen sein.


Beleuchtung / Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / September 2021

Energieeffiziente Beschaffung

SharePoint-Beteiligungsmanagement

Mit Light as a Service erfüllen Kommunen Klimaziele

Grundlage der digitalen Gremienarbeit im Aufsichtsrat

(BS/Guido Weyhausen*) Deutschland soll früher klimaneutral werden. Bis 2030 sollen die Emissionen um (BS/Lars Scheider) Die Digitalisierung der Gremienarbeit im Aufsichtsrat ist nicht erst seit der Covid-19-Pandemie 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Eine große Herausforderung für Kommunen. In puncto Energieeffizienz ein topaktuelles Thema. Bereits die Selbstevaluation der Aufsichtsratsmitglieder der städtischen Beteiligungsunwerden öffentliche Auftraggeber schon seit 2020 stärker in die Pflicht genommen. ternehmen in Frankfurt am Main nach der Kommunalwahl 2016 in den Jahren 2017/2018 hatte als eine wesentliche Forderung dieses Thema auf der Agenda.

Die Verwaltungsvorschrift AVVEnEff setzt den Schwerpunkt bei der Beschaffung energieeffizienter Leistungen auf lebenszyklusorientierte Lösungen, die wirtschaftlich und umweltfreundlich sind und dabei qualitative Kriterien wie Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit, Austausch und Recyclebarkeit der Produkte sowie Alternativen wie Mietmodelle berücksichtigen. Eine zukunftsweisende Lösung, mit der Kommunen Klimaziele und Vorgaben abdecken können, bietet das Light-as-a-Service(LaaS)Konzept der Deutschen Lichtmiete. Es ermöglicht das Outsourcen der Beleuchtungsmodernisierung und Mieten der fertigen Beleuchtung. Beim Klimaschutz spielt die öffentliche Infrastruktur eine wichtige Rolle. Ein erheblicher Teil der klimaschädlichen Emissionen fällt hier an: etwa in Schulen, Krankenhäusern, Sport- und Freizeitanlagen, bei Energieversorgung, Verkehr und Mobilität. Ein hohes Einsparpotenzial liegt in der energetischen Modernisierung der Beleuchtung. Und die will nachhaltig geplant sein, da Entscheidungen zur Beschaffung langfristige Auswirkungen haben. Umso wichtiger werden Aspekte wie Kosten- und Personaleinsparung, nachhaltige Versorgung und Bewirtschaftung, rasche Realisierung und Amortisation, Flexibilität und Planungssicherheit.

Doch gerade hier fehlt den Leitungsmitarbeitern im öffentlichen Sektor oft das Fachpersonal für das effektive Projekt- und Kostenmanagement – und der Investitionsspielraum. Eine zukunftsweisende Lösung, mit der die öffentliche Hand Energieeffizienz ökologisch und wirtschaftlich realisiert, ist die Beleuchtungsmodernisierung im Light-as-aService-Konzept der Deutschen Lichtmiete.

Klimaschutz mit Full-ServiceMietmodell Vorteil für Kommunen: Durch das LaaS-Komplettpaket fallen keine personellen Aufwände an und es entstehen auch keine Risiken für Planung und laufenden Betrieb der Lichtanlage. Zudem wird das Haushaltsbudget nicht durch hohe Erstinvestitionen belastet. Alle für die Umrüstung erforderlichen Leistungen sind im

Full-Service-Mietmodell enthalten: Bedarfsanalyse, Wirtschaftlichkeitsberechnung, Lichtplanung und Produktauswahl mit langlebigen, energie- und CO2-sparenden LED-Leuchten sowie Installation und Wartung. Die Nutzung der Beleuchtung inklusive Umrüstung wird über eine festgelegte monatliche Mietrate abgedeckt, die Vorfinanzierung übernimmt die Deutsche Lichtmiete. Mit Light as a Service der Deutschen Lichtmiete deckt die öffentliche Hand auch die seit Mai 2020 geltende AVV-EnEff ab und profitiert von einer klimafreundlichen Lösung, die alle Vorgaben für Beleuchtungsanlagen im öffentlichen Raum erfüllt, maximale Flexibilität und Planungssicherheit ermöglicht. *Guido Weyhausen arbeitet als Projektmanager Marketing bei der Deutschen Lichtmiete®.

Dank Light-as-a-Service-Konzept der Deutschen Lichtmiete wird die JVA Tegel im kompletten Innen- und Außenbereich mit modernsten LED-Leuchten beleuchtet. Foto: BS/Senatsverwaltung für Justiz, euroluftbild.de, Robert Grahn

Glasfaser für Brandenburg Eigenwirtschaftlicher Ausbau sichert die Infrastruktur (BS/Hans Güldenpenning*) Die Zeit beim Glasfaserausbau rennt davon. Das Ziel vieler Kommunen lautet, schnell eine Flächendeckung umzusetzen und keine Zeit mehr zu verlieren. Dabei setzen viele engagierte Kommunen in Brandenburg gezielt auf Kooperationsverträge mit der DNS:NET, die als Berlin/Brandenburger Unternehmen die Belange vor Ort gut einschätzen kann und im eigenwirtschaftlichen Ausbau den FTTHAusbau umsetzt. Nachdem die DNS:NET bereits im Mai 2021 mit dem Spatenstich in Mittenwalde-Ragow den Glasfaserausbau für die Stadt startete, wurde am 26. August die feierliche Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadt Mittenwalde und der DNS:NET vollzogen. Somit gilt: Die Haushalte in der Stadt Mittenwalde im Landkreis Dahme-Spreewald können sich auf Bandbreiten von 2,5 Gigabit/s freuen. Es wird hier im eigenwirtschaftlichen Ausbau durch die DNS:NET der Glasfaserausbau “Made in Brandenburg” realisiert. Mittenwaldes Bürgermeisterin Maja Buße: “Wir freuen uns, dass mit dem heutigen Tag der Weg hin zu einer zukunftssicheren Infrastruktur geebnet werden kann und dass wir die DNS:NET als Partner für die Stadt gewinnen konnten.” Nach gründlicher und gewissenhafter Prüfung durch die örtlichen Gremien konnte die Kooperationsvereinbarung finalisiert und zur Unterzeichnung

vorgelegt werden. Nachdem sich zunächst verschiedenste Anbieter für die Region engagieren wollten, konzentriert sich das Umsetzungsthema für den Breitbandausbau mittlerweile auf sehr wenige Anbieter. Die DNS:NET konnte für die Versorgung mit Glasfaser gewonnen werden und wird im Zuge des eigenwirtschaftlichen Ausbaus Gebiet für Gebiet für die Realisierung analysieren. In Mittenwalde könnte durch die Vereinbarung die komplette Stadt ausgebaut werden, je nach Vorvermarktungslage und Interesse der Bürger wird dies seitens der DNS:NET entsprechend realisiert, einige Ortsteile liefen bzw. laufen zwischenzeitlich Gefahr, nicht konsequent dem technischen Stand entsprechend ausgebaut zu werden.

Landkreis Barnim Auch Bernau bei Berlin wird zur Gigabitregion. Die Stadt und Mittelzentrum im Landkreis Barnim hat knapp 40.000 Einwohner und wächst stark. Am 31. August 2021

Daumen hoch für schnelles Internet: Bürgermeisterin Maja Buße (rechts) und Hardy Heine bei der Vertragsunterzeichnung in Mittenwalde. Foto: BS/H. Wiedl

wurde der Kooperationsvertrag zum Glasfaserausbau zwischen der Stadt und DNS:NET im Neuen Rathaus von Bernau feierlich unterzeichnet. “Mit dem Breitbandausbau wollen wir als Kommune sicherstellen, dass die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt mit High-Speed-Internet versorgt werden und somit am digitalen Leben vollumfänglich teilhaben können”, sagte Bürgermeister André Stahl bei der Vertragsunterzeichnung. Stefan Holighaus, Mitglied der Geschäftsleitung der DNS:NET, ergänzt: “Wir freuen uns über das große Interesse und Engagement der Bernauer Bürger und werden somit in der Region über den direkten Ausbau mit Glasfaserinfrastruktur Bandbreiten von bis zu 2, 5 Gbit/s realisieren, was einen bundesweiten Spitzenwert darstellt und Bernau zur Gigabitregion macht. Für viele weitere tausend Haushalte wird es also bald die Gigabitgeschwindigkeit – made in Brandenburg geben.” In den kommenden Wochen werden im eigenwirtschaftlichen Ausbau über 200 Kilometer Tiefbau und die Anbindung der Bernauer Ortsteile Börnicke, Birkenhöhe, Birkholzaue sowie im zur Gemeinde Ahrensfelde gehörenden Elisenau realisiert. Hardy Heine, Ansprechpartner für die Kommunen: “Die Resonanz seitens der Brandenburger Kommunen ist enorm. Wir freuen uns außerordentlich, dass wir dank engagierter Bürger und Ortsvorsteher die Stadt Bernau und angrenzende Orte bei der Umsetzung ihrer digitalen Infrastruktur unterstützen können.” *Hans Güldenpenning ist freier Journalist.

Aufsichtsratsunterlagen können bei Themen wie Jahresabschluss und Wirtschaftsplan schnell über 600 Seiten Umfang haben. Größere Beteiligungsunternehmen setzen deshalb häufig schon spezielle Datenbanklösungen ein. Diese Einzellösungen können jedoch für den Konzernverbund Stadt keinen einheitlichen Standard setzen, der für die Gremienarbeit des städtischen Beteiligungsmanagements aber unerlässlich ist. Deshalb hat das Beteiligungsmanagement der Stadt Frankfurt am Main mit dem SharePoint-Beteiligungsmanagement einen städtischen Standard für den Konzernverbund aufgebaut. Der Aufbau des SharePoints-Beteiligungsmanagements erfolgte durch kluge Prozessorganisation im laufenden Betrieb während der Phase des zweiten Lockdowns ab Oktober 2020 in intensiver Zusammenarbeit mit dem städtischen Amt für Informationsund Kommunikationstechnik. In der ersten Projektphase (Oktober 2020 bis Januar 2021) wurde der SharePoint mit 66 wesentlichen Beteiligungsgesellschaften mit rund 2.000 Arbeitsstunden (+ etwa 500 Arbeitsstunden IKT) aufgebaut. In der zweiten Projektphase (Februar bis März 2021) wurden über 200 Mitarbeiter der städtischen Beteiligungsgesellschaften aus dem Bereich Gremienbüros und Rechnungswesen in drei Infoveranstaltungen in den SharePoint Beteiligungsmanagement aufgenommen.

Maßnahmen zum Datenschutz In der dritten Projektphase (April bis Juni 2021) wurden 51 Mitarbeiter aus der Stadtkämmerei und dem Revisionsamt in das SharePoint-Beteiligungsmanagement aufgenommen. Die Informa-

tionsveranstaltung erfolgte am 11. Juni 2021. Zwar konnten hier die Berechtigung ohne sogenanntes Token vergeben werden, da es sich um interne Kunden des SharePoint handelt. Allerdings sind aufgrund des städtischen Aufgabenverteilungsplans und des damit verbunden rechtlichen Rah-

daten sowie externen Dritten wie z. B. Thüga-Vertretern bei der Mainova oder Remondis bei der FES) beträgt 637 Mandate.

Erhebliche Verbesserung

Durch fortschreitende Digitalisierung und umfangreichere Datenmengen reicht die begrenzte Übertragungsgröße von zehn MB in Outlook nicht mehr aus. Lars Scheider ist Abteilungs­ Der Einsatz der leiter BeteiligungsmanageMicrosoft-Sharement der Stadtkämmerei der Point-TechnoloStadt Frankfurt am Main. gie hat zu einer Foto: BS/privat erheblichen Verbesserung der Datenzugriffsgeschwindigkeit geführt. Darüber mens besondere Anforderungen hinaus wird auch die Transpaan die Vertraulichkeit der Daten renz und Datenverfügbarkeit im und den Datenschutz zu stel- Beteiligungsmanagement deutlen. Insofern musste eine interne lich erhöht, was aufgrund des Überwachungssoftware installiert verstärkten mobilen Arbeitens werden, die den Datenzugriff aus der Mitarbeitenden des Beteiliden Ämtern überwacht. Dies wur- gungsmanagements unerlässlich de in internen Meetings mit dem ist. Der Einsatz des SharePointsIKT, Referat Datenschutz und IT- Beteiligungsmanagements wird Sicherheit, und dem Personalrat zu einer erheblichen Verbesserung der Effizienz der Kommuintensiv abgestimmt. In der vierten Projektphase (Juli nikation des immer komplexer bis September 2021) werden die werdenden Konzernverbundes Aufsichtsratsmitglieder der städ- Stadt Frankfurt am Main führen, tischen Beteiligungsunternehmen bedingt aber dann auch ein komin das SharePoint-Beteiligungs- plexes Berechtigungskonzept, um management aufgenommen, so­ die Vertraulichkeit der Daten zu dass sich dann der Kreis nach gewährleisten. einem Jahr mit rund 3.000 Arbeitsstunden zum Beteiligungsmanagement schließen wird. Damit wird es mindestens zu einer Verdreifachung der zu pflegenden Zugriffsberechtigungen kommen, Zum SharePoint-Beteiligungsmanagement hat die Stadt Frankfurt denn die Gesamtzahl aller Aufam Main ein Handbuch erstellt. sichtsratsmandate (bestehend Dies steht zum Download unter aus städtischen Vertretern mit www.beteiligungsmanagement. 267 Mandaten, Arbeitnehmerstadt-frankfurt.de bereit. vertretern bei mitbestimmten Aufsichtsräten mit über 100 Man-

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MELDUNG

Einzelhandel fit für die Zukunft (BS/mj) Mit rund 1,2 Millionen Euro fördert Baden-Württemberg die Beratung kleiner und mittlerer Einzelhandelsunternehmen bei der Bewältigung des Strukturwandels. “Wir wollen den Einzelhandel fit für die Zukunft machen und seine Wettbewerbsfähigkeit über die Pandemie hi­ naus nachhaltig stärken”, erklärt Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut. Schon vor der

Pandemie hätten Digitalisierung, Online-Handel und breit gefächerte Konsumenteninteressen die Branche nachhaltig verändert, erläutert die Ministerin. Das Beratungsangebot “Intensivberatung Zukunft Handel 2030” helfe, diesen Strukturwandel und die Auswirkungen der CoronaPandemie zu bewältigen, indem Einzelhandelsunternehmen bei der Ausrichtung ihrer Ge-

schäftskonzepte professionell unterstützt und begleitet würden. Umgesetzt wird das Projekt von der Unternehmensberatung Handel GmbH in Kooperation mit der Beratungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft für Handwerk und Mittelstand. Bis zum Ende der Projektlaufzeit im Dezember 2022 will man rund 450 Einzelhandelsunternehmen erreichen.

Klasse(n)häuser für Hamburg Kautschuk-Beläge unterstützen umweltgerechte Lernwelten (BS) Kautschuk-Beläge für ein zukunftsweisendes Modellprojekt – mit modular vorgefertigten “Klassenhäusern” reagiert die Freie Hansestadt auf die wachsenden Schülerzahlen und den damit einhergehenden Bedarf an Unterrichtsräumen. Die im Fertighausbau erprobte Modulbauweise verkürzt die Bauzeit erheblich, verringert witterungsbedingte Verzögerungen und reduziert die Beeinträchtigungen des Schulbetriebs. Zugleich wird eine verlässlich hohe Qualität der Innenausstattung mit langlebigen, strapazierfähigen und hochwertigen Materialien sichergestellt. Denn die “Klassenhäuser” sind keine Zwischenlösung, sondern erfüllen die hohen Hamburger Nachhaltigkeits-Standards für Schulbauten und wurden mit dem DGNB-Siegel in Gold zertifiziert. Im Vorfeld wurden die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der verwendeten

Kauschuk-Beläge von nora systems sind in Hamburgs Klassenhäusern wie hier an der Scheeßeler Kehre als Standardbelag festgelegt. Foto: BS/Jan Kocovski

Kautschuk-Beläge in Langzeittests geprüft, danach wurden sie – wie auch in vielen anderen

Städten und Kommunen – als Standardbelag für Schulbauten festgelegt.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / September 2021

Schlamm und Sperrmüll

“A

nfang August waren es bereits 130.000 Tonnen Sperrmüll”, berichtet Sascha Hurtenbach, Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs (AWB) Landkreis Ahrweiler. Das entspräche etwa der zweifachen Jahresgesamtmüllmenge aller Abfallsorten. Eine Sprecherin des Verbands kommunaler Unternehmen e. V. (VKU) erklärt: “Allein der optische Anblick macht an vielen Orten klar: Es werden signifikante Volumina sein.” Laut Stand vom 6. August habe ein Unternehmen innerhalb von drei Tagen die übliche Sperrmüllmenge eines Jahres, ein anderes die Menge von drei Jahren erfasst. Die Beispiele zeigen, dass es sich bei allen Mengenangaben um lokale Momentaufnahmen handelt und es wohl noch lange dauern wird, bis das komplette Abfallvolumen abschätzbar ist. Die Sprecherin ergänzt, dass es für 50.000 Tonnen Sperrmüll rund 500 Müllautos brauche, um diese abzutransportieren.

Mülltransport Der Transport erfolge bis nach Berlin, sagt Hurtenbach. Über 50 Zielanlagen würden angefahren, teilweise auch mit dem Schiff, beispielsweise nach Hamburg oder Bremen, da die Abfall- und Wertstoffmakler verschiedene Kapazitäten hätten. Das Problem sei, dass zum einen für die rund 35.000 Betroffenen ein Sonderbetrieb angelaufen sei, der viele Problemabfälle beinhalte, die von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk gesammelt und teilweise entsorgt würden. Zum anderen gelte es aber auch den normalen Betrieb für die übrigen 100.000 Bewohner des rheinland-pfälzischen Landkreises Ahrweiler aufrechtzuerhalten. Diesen Konflikt erlebt auch Peter Queitsch, Hauptreferent für Umweltrecht im Städte- und Gemeindebund (StGB) NordrheinWestfahlen. Er appelliert an alle nicht von den Fluten betroffenen Bewohner, Verständnis für verschobene Abfalltermine zu haben. “Die Sperrmüllberge in den Katastrophengebieten müssen im Interesse des Seuchenschutzes schnell aus den bebauten Bereichen abtransportiert werden und können auf bestehenden Abfalldeponien allenfalls vorübergehend zwischengelagert werden.” Auch die VKU-Sprecherin betont: “Nach solch einer Katastrophe ist die oberste Priorität: Der Müll muss weg. Und das schnell, um Hygieneprobleme zu vermeiden und Verkehrshindernisse aus dem Weg zu räumen.” Neben dem Abtransport der Unmengen an Müll stellt auch dessen Beseitigung ein Problem dar.

I

n der 5.000-Seelen-Gemeinde Brachttal im Main-KinzigKreis werden, laut Bürgermeister Wolfram Zimmer (CDU), seit Ausrufung des Klimanotstands 2019 alle Beschlüsse und Projekte der Verwaltung auf Klimaschonung abgeklopft. Konstanz habe Solarpflicht bei städtischen Neubauten, Anschaffung von E-Fahrzeugen für den eigenen Fuhrpark und die energetische Sanierung kommunaler Liegenschaften eingeführt, berichtet der Klimaschutzkoordinator der Stadt, Lorenz Heublein. Auch Marburg investiert in E-Fahrzeuge oder gibt Zuschüsse für die Gebäudesanierung – insgesamt sollen hier bis 2030 rund 130 Millionen Euro in den Klimaschutz investiert werden. Kiels Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer spricht von einem “Umdenken in allen Bereichen”. In der Landeshauptstadt werden rund 100 Millionen Euro in den Ausbau der Radwege, für höhere Bustakte, Solaranlagen auf städtischen Dächern, Maßnahmen gegen Dauerparken im Zentrum und den Austausch

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Als würde man mit einem Formel-1-Auto über einen Feldweg fahren (BS/Malin Jacobson) Das Wasser ist abgeflossen und der Schlamm abgetragen. In den Katastrophengebieten von Rheinland-Pfalz und NordrheinWestfahren bleiben aber Unmengen an Sperrmüll und Bauschutt. Deren Abtransport birgt manche Tücken ebenso wie die Reinigung der angrenzenden oder durchfließenden Gewässer.

Der Starkregen und die damit einhergehende Überschwemmung haben umweltschädliche Substanzen, festes Treibgut und Schlamm miteinander vermengt. Das Ergebnis stellt eine Herausforderung für die Abfallentsorgung und die Gewässerreinigung dar. BS/TheOtherKev, pixabay.com

Auch bei einer vorübergehenden Zwischenlagerung der Sperrmüllberge auf Abfalldeponien gibt es laut Queitsch kaum Möglichkeiten einzelne Rohstoffe aus den Müllbergen herauszuziehen, im Allgemeinen sei wegen der Verunreinigung durch Schlamm und Feuchtigkeit Recycling kaum ordnungsgemäß und schadlos möglich. Hurtenbach erläutert die Problematik folgendermaßen: “Die Sortieranlagen in den Recyclinganlagen können den nassen Abfall kaum verarbeiten und das zusätzliche Gewicht durch die Feuchtigkeit beansprucht die Förderbänder zusätzlich. Der Müll aus den Katastrophengebieten ist auch für unsere Maschinen eine Herausforderung.” Eigentlich sei die deutsche Abfallwirtschaft eine Hochleistungsressourcenwirtschaft, erzählt er weiter, darauf getrimmt, auch die letzte Ressource aus dem Abfall zu ziehen und wiederzuverwerten. Deren Technisierungsgrad habe jetzt aber seine Grenze erreicht und sei nicht auf diese Mengen und Verunreinigungen ausgelegt: “Als würde man mit einem Formel-1-Auto über einen Feldweg fahren.”

Müllbeseitigung Es komme nur die Verbrennung des Abfalls infrage, meint die VKU-Sprecherin. “Hier zahlt es sich aus, dass es in Deutschland ein gutes kommunales Netz an Anlagen für die thermische Abfallbehandlung gibt.” Zudem seien die Müllverbrennungsanlagen mit vielen verschiedenen

hochwertigen Filtern ausgestattet, die Schadstoffe abfangen und damit die Umwelt schützen, erklärt der StGB-Hauptreferent. Die “Durchsatzleistung” der Verbrennungsanlagen sei allerdings begrenzt, weswegen es dauern werde, bis die zusätzlichen Sperrmüllmengen abgearbeitet seien. Angesichts der bis Anfang August erfassten Müllmengen rechnet der AWB-Werkleiter mit mindestens einem Jahr, bis man zum normalen Betrieb zurückkehren könne. Neben der Beseitigung des gesammelten Mülls stellt auch die Reinigung und Wiederherstellung der Kanalnetze eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten dar. Die Sprecherin des Verbands kommunaler Unternehmen erklärt, man befreie zuerst die Kanalschächte von Treibgut, teilweise unter Zuhilfenahme eines Saugbaggers, spüle dann die Kanäle durch und sauge Sand, Schutt, Schlamm und Geröll ab. Die Teams der Wasserversorger und Abwasserentsorger im Krisengebiet prüfen dabei jeden Meter der Kanalisation und der Wassernetze auf Schäden, um die Ver- und Entsorgung schnell und sicher wiederherzustellen. “Herausfordernd ist vielerorts aktuell der sogenannte Nachfluss: Das bedeutet, dass immer wieder Sand, Schutt, Geröll und Schlamm nachfließen und so die Leitungen erneut verstopfen”, erklärt sie. Die Instandsetzung der Abwasserentsorgung habe vor allem aus Gründen des Gesundheitsschutzes und der Seuchenvorbeugung eine hohe Priorität.

“Dabei sorgen die spezifischen Hygiene-, Gesundheits- und Arbeitsschutzvorschriften der Berufe zum Glück für einen guten Schutz – z. B. mit entsprechender Schutzkleidung und -ausrüstung oder Impfschutz vor Hepatitis A und Tetanus für die Kanalisations- und Klärwerksarbeiter.” Der VKU empfiehlt deshalb ausdrücklich auch allen betroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den Helfenden, zu prüfen, ob sie gegen Tetanus (Wundstarrkrampf) und Hepatitis A geimpft sind und sich gegebenenfalls schnellstmöglich impfen oder diese Impfungen auffrischen zu lassen. Das Gleiche gelte für die Corona-Schutzimpfung.

Kanalreinigung Wie der verunreinigte Sperrmüll müsse auch der Schlamm aus den Kanalisationen in dafür zugelassenen Anlagen verbrannt werden, erläutert die Sprecherin weiter. Aufgrund der besonderen Ausnahmesituation im Ahrtal wurde dort Anfang August der Schlamm noch in Ufernähe in die Ahr abgelassen, wobei hochkontaminierter Schlamm in entsprechenden Behältnissen gesammelt wurde, um ihn fachgerecht zu entsorgen, sobald die Rahmenbedingungen es zulassen. Auch besonders, bei-

spielsweise durch Heizöl, belastetes Abwasser werde gesondert gereinigt, während weniger verschmutztes Wasser grobgereinigt und am nächstgelegenen Punkt entsorgt werde. In Bezug auf die Gewässerreinigung, erläutert eine Sprecherin des Wupperverbandes, habe man zunächst das Treibgut entfernt und anschließend umweltschädliche Substanzen, wie Öle oder Benzin, absaugen lassen. Um die Ausbreitung der Verschmutzung einzudämmen, seien zudem Ölsperren gesetzt worden. “Schwimmende Stoffe wie Öl oder Plastik kann man durch spezielle, schwimmende Sperren aufhalten und dann absaugen oder abfischen.” In fließenden Gewässern sei dagegen von einer großen Verdünnung auszugehen. Laut VKU-Sprecherin hätten Erfahrungen aus vergangenen Hochwässern gezeigt, dass Gewässer durchaus in der Lage seien, sich selbst zu regenerieren.

Gewässerreinigung Neben der Verunreinigung von Gewässern können auch viele Böden in und um die Katastrophengebiete mit Schadstoffen belastet sein. “Womit genau und wie sehr, kann aber lokal sehr verschieden sein, zumal zahlreiche Messstati-

Kommunaler Klimanotstand Klimaschützende Initiativen in Städten und Gemeinden (BS/mj) Schwerin, Aschaffenburg, Konstanz, Osnabrück sowie viele weitere Städte und Gemeinden haben bereits den Klimanotstand für ihre Kommune ausgerufen. “Reine Symbolpolitik!” kritisieren Aktivisten, “Wirksame Handlungsausrichtung”, sagen andere. Frida Mühlhoff bemängelt, dass die 600 von der Stadt Konstanz finanzierten Bäume hauptsächlich auf privaten Grundstücken gepflanzt worden seienund deren Anzahl lediglich ausreiche, um den CO2-Ausstoß eines Menschen zu kompensieren.

von Beleuchtung durch LEDLösungen investiert.

Begrenzter Handlungsspielraum Auch in Kalbe an der Milde (Altmarkkreis Salzwedel) wurden Klimanotstand und entsprechende Maßnahmen beschlossen. Allerdings sieht Bürgermeister Karsten Ruth den beschlossenen Klimanotstand vor allem als Hilferuf: “Wir stoßen an die Grenzen des Machbaren und des Vermittelbaren für uns als kleine Stadt. Wir sehen den Notstand, aber Bund und Länder müssen ihn jetzt bedienen, sodass wir erfolgreich weiterarbeiten können.” Dass in den Kommunen vor allem “kleine Maßnahmen” beschlossen und umgesetzt werden, kritisiert auch die Bewegung Fridays for

Freiwillige Selbstverpflichtung

Jede Kommune kann einen kleinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ohne flächendeckendes Engagement bleibt es jedoch bei “kleinen Maßnahmen”. BS/Tthommas68, pixabay.com

Future. Theresa Gemke von “Fridays for Future” kritisiert beispielsweise, dass in Mainz seit der Ausrufung des Klimanotstandes

2019 kaum etwas passiert sei: “Wir hatten gehofft, dass die Radwege ausgebaut werden und das Straßenbahnnetz.” Und Aktivistin

Aus rechtlicher Sicht handele es sich bei Beschlüssen zum Klimanotstand eher um eine Art Selbstverpflichtung der Kommunen, erläutert Markus Groth, Wissenschaftler am Climate Service Center Germany (GERICS). Man könne mit der Ausrufung des Klimanotstandes jedoch Menschen vor Ort für den Klimaschutz mobilisieren. Entscheidend für die Wirksamkeit der kommunalen

onen aktuell nicht funktionsfähig sind”, hieß es seitens des VKU Anfang August. Letzten Endes seien alle Schadstoffe und Krankheitserreger, die in die Umwelt gelangten, bedenklich und teilweise gesundheitsschädlich – auch bzgl. ihrer Wechselwirkungen. Die Sprecherin des Wupperverbandes berichtet, dass in Leichlingen rund 2.000 Liter Öl aus einem Öltank ausgelaufen und ins Erdreich gelangt seien. Die betroffene Stelle sei daraufhin von der Feuerwehr ausgebaggert und der verschmutze Aushub fachgerecht entsorgt worden.

Neue Strukturen schaffen Aus dieser Katastrophe müsse man endlich seine Lehren ziehen, sagt Hurtenbach. Man habe schon aus dem Elbehochwasser keine Konsequenzen für die Abfall- und Abwasserwirtschaft gezogen, dabei werde die Wahrscheinlichkeit für dergleichen Katastrophen immer größer. Der Werksleiter plädiert dafür, eine Struktur zu schaffen, die auch mit großen und groben Abfallmengen umgehen könne, und auch die Problematiken der einzelnen Abfallsorten zu evaluieren. “Und auch die Verwaltung muss umdenken. Bei solchen Katastrophen kann an vielen Stellen nicht mit den üblichen Arbeitszeitregelungen agiert werden!” Und Queitsch betont: „Flüssen und Bächen muss durch eine Renaturierung wieder mehr Raum gegeben werden, damit in der Zukunft weitere Überschwemmungen vermieden oder zumindest abgemildert werden können.”

klimapolitischen Initiativen sei dabei, ob sie sich mit geringen (personellen) Ressourcen praxisnah umsetzen ließen. Groth: “Erste Beispiele zeigen, dass Beschlüsse zum Klimanotstand für Gemeinden ein guter Ausgangspunkt sind, um ihren Weg zur Klimaneutralität genauer zu bestimmen.” Ähnlich sieht es Fritz Reußwig, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: “Immerhin haben sich die jeweiligen Städte damit für die Zukunft unter Handlungsdruck gesetzt, und zwar freiwillig.” Ähnlich dem kommunalen Klimanotstand könnte ein Klimaministerium die allgemeine politische Ausrichtung auf den Klimaschutz auf Bundesebene stärken und flächendeckend ausweiten. Allerdings beruhen klimaschützende Initiativen in den Kommunen nach wie vor auf den Entscheidungen in Gemeinde- und Stadträten und nicht auf Veto-Rechten von Umweltgremien. Ob es zu einer weiträumigen Verbindlichkeit beim Klimaschutz in Form eines Ministeriums kommt, bleibt daher abzuwarten.


Zahlen & Fakten

Behörden Spiegel /September 2021

Auf die Räder, fertig, los!

(BS/mj) Seit Jahren steigen der allgemeine Radverkehr und der Ausbau von fahrradgerechten Wegen auf dem Land und in der Stadt. Ein Trend, der sich angesichts von Pandemie, Klimawandel und einem gesteigerten Gesundheitsbewusstsein in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird.

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Besitz und Neuerwerb von Fahrrädern 2019 und 2020...

Anteil Radverkehr am Gesamtverkehr 2020

32 %

11 %

in kleinstädtischen und dörflichen Räumen

Radverkehr

3 Mio. Fahrräder

69 Mio. Fahrräder

neu 2020 erworben

bis 2019 vorhanden Gesamtverkehr

Aufteilung des Radverkehrs

... und von E-Bikes 2019 und 2020 89 %

andere Verkehrsarten

30 %

Ziel (bundesweit) bis 2030 laut ADFC

68 %

2 Mio. E-Bikes

5 Mio. E-Bikes

in Metropolregionen und Großstädten

neu 2020 erworben

bis 2019 vorhanden

Quelle: BS/eigene Berechnungen; Nationaler Radverkehrsplan 3.0, ADFC

Quelle: BS/Nationaler Radverkehrsplan 3.0, ADFC

Radverkehrsförderung pro Person und Jahr 2023

4,4 Euro

Anteil des Bundes an der Gesamtfördersumme

11 Euro

2030

30 Euro

12 Euro

Anteil Bund

40 %

pro Person Quelle: BS/Nationaler Radverkehrsplan 3.0

Anzahl Fahrradbeauftragte(r) in den Bundesländern

2

Für rund zehn Millionen Euro konnten 2019 folgende Strecken gebaut werden*: Autobahn

Hauptverkehrsstraße

Radschnellweg

Fahrradbeauftragte*

1

Fahrradbeauftragte(r)**

0

Fahrradbeauftragte(r)

0,5 km

in

2,5 km

BW, HE, SN, TH 11,1 km *Land und Kommune

in

BY, BB, HH, NI, NW, RP, SL, ST, SH

in

BE, HB, MV

**Kommune

Quelle: BS/nrvp.de

Quelle: BS/Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH ( Difu )

Grafik: BS/B. Dach; unter Verwendung von © Mimi Potter, stock.adobe.com; © Naturestock, stock.adobe.com; © scusi, stock.adobe.com; © Daniel Berkmann, stock.adobe.com

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Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / September 2021

G

erade im Bereich Mobilität eröffnet der SharingTrend völlig neue Möglichkeiten, die die Stadtwerke Augsburg als lokaler Verkehrsprofi gerne gestalten. Carsharing und Bikesharing haben sich etabliert und ermöglichen erstmals verkehrsträgerübergreifende Angebote. Doch hier prallen zwei Welten aufeinander: ein streng geregeltes ÖPNV-Angebot, das staatlich finanziert wird, und neue, ungeregelte Sharing-Angebote, die privat mit klaren

Trägerübergreifendes Sharing-Angebot Attraktive Alternativen zum eigenen Auto vom lokalen Verkehrsprofi (BS/Jürgen Biedermann) Stadtwerke sind bekannt als zuverlässige Partner in der Region. Ob Energie, Wasser oder Verkehr, der Bürger kann sich auf die typischen Bereiche der Daseinsvorsorge verlassen. So auch die Stadtwerke Augsburg (swa) als drittgrößtes Stadtwerk Bayerns. Sie versorgen rund 350.000 Menschen in Augsburg und der Region mit Strom, Erdgas, Fernwärme und Trinkwasser sowie Telekommunikation und Mobilitätsdienstleistungen.

Doch wer arbeitet sich in die neue Sharing-Welt ein? Verlasse ich mich auf Partner oder werde ich selbst zum Anbieter? Die Empfehlung ist hier klar: Eigene Kompetenz aufbauen und eine Jürgen Biedermann ist eigene Strategie Geschäftsbereichsleiter verfolgen; PartMultimobilität bei der ner einbinden, Stadtwerke Augsburg um Ressourcen Carsharing GmbH. Foto: BS/Thomas Hosemann, swa zu sparen und in Spezialbereichen schnelle Fortschritte zu erzielen. So haGewinnabsichten und hohen ben die swa das Thema CarInvestitionen auf den Markt sharing selbst angepackt und kommen. Wie kann hier ein in sechs Jahren mit über 270 verkehrsträgerübergreifendes Fahrzeugen und knapp 7.000 Kunden zu einem wichtigen und Angebot entstehen? erfolgreichen Mobilitätsbaustein Selbst anpacken ausgebaut. Das zuschussträchtige TheNachhaltige Mobilität und In­ frastruktur sehen die Stadtwerke ma Bikesharing wird mit dem Augsburg klar in ihrer Verant- Partner nextbike unter der Marwortung. Mit dem umfangrei- ke “swa Rad” betrieben. Ein chen Bus- und Tramnetz und Eigenbetrieb wäre hier nicht dessen Haltestellen bieten sich wirtschaftlich sinnvoll. Doch hervorragende Anknüpfungs- das Bikesharing-Angebot ist punkte für weitere Mobilitätsan- ein wichtiger Bestandteil eines verkehrsträgerübergreifenden gebote.

Raus aus dem Corona-Loch Der Weg des ÖPNV aus der Pandemie (BS/bk) Die Zeiten für den Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) könnten besser sein. In der Energie- und Verkehrswende nimmt der ÖPNV eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung des Klimawandels ein. Er soll kundenfreundlich, klimafreundlich und bezahlbar sein, um eine Alternative zum Individualverkehr zu werden. Alleine das ist eine Generationenaufgabe. Doch durch die disruptive Wirkung der Pandemie wechselten viele Fahrgäste das Verkehrsmittel – weg vom ÖPNV. Doch wie können die Kundinnen und Kunden zurückgewonnen werden? Gerade zum Anfang der Transformation zu einem emissionsarmen Verkehrsangebot traf die CoronaPandemie die Verkehrsbetriebe besonders hart. Der ÖPNV stand schon vor dem Corona-bedingten Stresstest unter enormem Druck, gleichzeitig einen (ansatzweise) wirtschaftlich profitablen Betrieb und ein (ansatzweise) attraktives Beförderungsangebot zu gewährleisten. Im Jahr 2018 konnten Unternehmen des ÖPNV nur 41,5 Prozent der Gesamtkosten über den Verkauf von Fahrkarten finanzieren. Den Rest der Kosten deckte die öffentliche Hand. Durch das Homeoffice und das Abstandsgebot verloren Verkehrsbetriebe vielen Kundinnen und Kunden. Davon weiß auch Berthold Witting, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern mbH (VMV), zu berichten. “Ein dickes Brett ist das, sozusagen, “Corona-Loch”, aus dem wir wieder rauskommen müssen. Wir hatten einen guten Lauf. Wir haben viel investiert und viel Engagement an den Tag gelegt, um zu zeigen, dass der ÖPNV eine sinnvolle Alternative ist. Mit dem Eintritt der Pandemie haben wir hinnehmen müssen, dass die Bevölkerung wieder von dem Verkehrsmittel Abstand nimmt, an das wir sie gerade zu gewöhnen versucht haben”, erklärt Witting. Durch Corona habe man einen erheblichen Rückgang beim Nahverkehr, aber auch beim Fernverkehr verzeichnet. Der ÖPNV hat damit Fahrgäste verloren, die zuvor Abokunden waren, und damit auch Einnahmen, die für die Transformationsprozesse wichtig sind. Der immer wieder ins Spiel gebrachten Idee eines kostenlosen Nahverkehrs kann Witting nicht viel abgewinnen. Eine erbrachte Leistung müsse auch

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Geld kosten. Dr. Claus Doll, Leiter der Arbeitsgruppe FraunhoferPeople Mobility der FraunhoferAllianz Verkehr, kann Witting zu stimmen. Menschen seien vor allem Gewohnheitstiere. Durch das einschneidende Erlebnis der Pandemie hätten sich die Gewohnheiten und Arbeitsmuster stark verändert. Man müsse schauen, ob man die alten Kunden zurückgewinnen oder neue Fahrgäste gewinnen könne. Dazu sieht Dr. Doll zwei Strategien: “Sie können die Qualität verbessern und noch mehr investieren. Der ÖPNV hat in den vergangenen Jahrzehnten viel getan und die Fahrgastzahlen durch bessere Fahrzeuge, Netzdichten und Angebote der Buchung über App gesteigert. Es ist aber ein Sektor, in dem Investitionen nicht von heute auf morgen gehen.” Man brauche beispielsweise bei der Etablierung von neuen Strecken oder der Aufstellung von neuen Fahrzeugflotten zehn bis 15 Jahre, um Ergebnisse zu sehen. Die zweite Möglichkeit seien “PushMaßnahmen” wie Verknappung und Verteuerung von Parkraum oder Geschwindigkeitsbegrenzungen innerhalb der Stadt. Über Verbote zu reden, sei der falsche Weg. “Um die Mammutaufgabe des Klimawandels zu schultern, brauchen wir alle Instrumente. Wir haben in unseren Modellierungen gesehen, dass das ganz gut funktioniert. Sie machen das Autofahren ein bisschen unangenehmer. Das kostet den Staat nicht viel außer Nerven beim Umsetzen. So erreichen sie beim ÖPNV sehr viel”, erklärt Dr. Doll. Die Diskussionsrunde “Neue Mobilität – ÖPNV” und weitere spannende Diskussionen finden sich unter: www.neuestadt.org/ mediathek/.

Sharing-Angebotes, das zusammen mit Carsharing und ÖPNV in der Augsburger Mobil-Flat gebündelt wird – deutschlandweit erstmalig. Abhängig vom MobilFlat-Tarif sind Carsharing- und Bikesharing-Freistunden sowie ein ÖPNV-Abo enthalten. Eine attraktive Alternative zum eigenen Auto, die auch auf Partner übertragbar ist. Dabei wurde die Nutzung bewusst einfach gehalten. Die Carsharing-Freistunden gelten unabhängig von der Fahrzeuggröße und können innerhalb eines Jahres verbraucht werden. Bei swa Rad ist jede Ausleihe bis 30 Minuten kostenlos, auch mehrfach am Tag. Das Einstiegs­ angebot beginnt bei 67 Euro pro Monat. Der Mehrpreis für Car- und Bikesharing beträgt gegenüber dem reinen ÖPNV-

Abo gerade einmal zehn Euro. Der nächste Schritt ist, die Angebote auch räumlich zu bündeln. Dazu wurden stark frequentierte Haltestellen mit Car- und Bikesharing zu sogenannten Mobilitätsstationen erweitert. Dies ermöglicht dem Fahrgast einen bequemen Umstieg auf das jeweilig gewünschte Mobilitätsangebot. All diese Maßnahmen erfordern aber auch ein neues, verkehrsträgerübergreifendes Denken. Die bisherigen Strukturen von Verkehrsunternehmen müssen erweitert werden. Neue Organisationseinheiten müssen sich entfalten und sich neue Kompetenzen aneignen. In Augsburg wurde dazu z. B. eine eigene Carsharing GmbH gegründet, um an diesem privatwirtschaftlichen Markt teilnehmen zu können.

Rückblickend ein richtiger und wichtiger Schritt auf dem Weg zum Mobilitätsdienstleister.

Verantwortung bündeln Ein weiterer Erfolgsfaktor für diese gelebte Mobilitätswende sind Partnerschaften. Mit der Stadt Augsburg als Konzernmutter und dem Augsburger Verkehrsverbund als überregionalem Verkehrspartner bestehen bereits zwei wichtige Partner für eine umfassende Mobilitätsweiterentwicklung. Getreu dem Motto “Von Start-Ups lernen und mit Heimvorteil umsetzen” gilt es nun neue Produkte zu testen und schnell zu lernen. Ein gutes Beispiel dafür ist das gemeinsam entwickelte Angebot von swa und dem Augsburger Verkehrsverbund: Abonnenten erhalten pro Monat sieben Euro

Zuschuss, wenn sie Car- oder Bikesharing nutzen. Dies hilft, die Autoabhängigkeit zu lösen und erhöht die Attraktivität eines ÖPNV-Abos. Doch wo liegen die größten Hürden auf dem Weg zu einem verkehrsübergreifenden SharingAngebot? Zu Beginn müssen Verantwortliche gefunden werden, die Mobilität als Ganzes denken. Sowohl Verkehrsbetriebe als auch Kommunen und Politik müssen dazu Verantwortung bündeln und ein gemeinsames Verständnis entwickeln. Ein Linienbus, ein Leihrad und ein Carsharing-Auto sind für die Bürgerinnen und Bürger eigentlich nur verschiedene Formen von Mobilität, die sie in ihrer Stadt erwarten. Für die Stadt sind dies aber wichtige Mobilitätsformen, um den Verkehr auf weniger Fläche zu bündeln und leistungsfähiger zu machen. Eine zentrale Stelle und Strategie dafür sucht man aber vergebens. Hier müssen Kommunen mit ihren Verkehrsbetrieben Verantwortung übernehmen und nachhaltige Mobilitätsangebote für die Stadt von morgen entwickeln. Augsburg ist hier bereits auf dem besten Weg.


Kommunale Infrastruktur / Kommunale Sicherheit

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Behörden Spiegel / September 2021

Objektives Beschwerdeverfahren erforderlich

Pilotprojekt in Köln

Ordnungsdienste müssen Abläufe dringend anpassen

Domstadt setzt auf digitale Unterstützung

(BS/Ronald Mikkeleitis) Es gibt leider immer öfter Klagen von Mitarbeitenden über durchgeführte Beschwer­ (BS/Marco Feldmann) Die Zahl der Angriffe auf städtische und kommunale Beschäftigte nimmt immer weiter zu, deverfahren. Denn dadurch werden sie verunsichert und trauen sich nicht mehr, Maßnahmen durchzuführen nicht erst im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Hier sind die Arbeitgeber und Dienstherren gefordert. In und durchzusetzen. Viele fürchten um ihre Reputation, schlimmstenfalls um ihren Beruf. Das darf nicht sein. Köln gehen die Verantwortlichen inzwischen einen bislang deutschlandweit einmaligen Weg. Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Selbstverständlich müssen Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern stets ernst genommen und geprüft werden. Es muss zeitnah, kompetent und auch für den Mitarbeitenden nachvollziehbar reagiert werden. Gerade hier sind praktische Erfahrungen von Führungskräften wieder sehr hilfreich. Es ist daher für alle Führungskräfte empfehlenswert, einmal selbst den Außendienst durchzuführen, um ein Gefühl für sich verändernde Lagen zu erhalten. Es ist “da draußen” eben oft nicht so, wie man es sich ohne Außendienst­ erfahrung vorstellt. Erforderlich ist ein strukturiertes Beschwerdeverfahren mit folgenden Eckpunkten: • Klare Regelung, an wen genau die Beschwerde des Bürgers zu richten ist, bestenfalls kleine Kärtchen mit diesen Angaben herstellen und den Mitarbei-

tenden zur Ausgabe an den Beschwerdeführer noch vor Ort zur Verfügung stellen. • Zeitgleiches Erstellen einer Gegenäußerung des betroffenen Mitarbeiters und nach kurzfristiger Durchsicht und Abzeichnung durch den unmittelbaren Vorgesetzten. • Abgabe an das Beschwerdemanagement: Mindestens eine Zwischennachricht an den Beschwerdeführer und den Mitarbeitenden, wenn sich die Ermittlungen verzögern. • Zeitnahes Bearbeiten der Angelegenheit, um unnötige und belastende Wartezeiten zu verhindern. • In schwierigen Fällen sofortige Einbindung des Rechtsamtes. Zügiges Durchstellen des Ergebnisses an den Beschwerdeführer und die Mitarbeitenden. • Bei tatsächlich festgestelltem Fehlverhalten des Mitarbeiters neben der erforderlichenfalls arbeitsrechtlichen Prüfung

auch gemeinsam mit ihm eine analytische Aufarbeitung des Vorfalles vornehmen und Vorschläge entwickeln, wie derartiges Fehlverhalten in der Zukunft vermieden werden kann. Denn: Wenn Mitarbeitende sich darauf verlassen können, dass Beschwerden nach objektiven Maßstäben und strukturiert bearbeitet werden, erhöht sich ihre Bereitschaft, auch in schwierigen Situationen angemessen tätig zu werden.

Mehr zum Thema Zum Thema Beschwerdemanage­ ment und Deeskalation führt der Behörden Spiegel am 6. und 7. Dezember eine Veranstaltung durch. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchbegriff: Deeskalation

Vernetzte Behörden im Alltag Von unternehmensübergreifenden Lösungen profitieren

Dort wird ein “Digitales Unterstützungskonzept” (DUkon) umgesetzt. Es besteht aus drei Phasen. Die erste Phase stellt ein “Zentrales Melde- und Auskunftssystem bei Gefährdungen von Mitarbeitenden” (ZeMAG) dar. Die anschließende Phase bilden Unfall- oder Strafanzeigen, die unmittelbar in den Workflow integriert werden. Und in einer dritten Phase haben Außendienstmitarbeiter die Möglichkeit, entsprechende Meldungen bereits mobil und digital abzusetzen, erläutert Dolores Burkert vom Zentrum für Kriminalprävention und Sicherheit (ZKS) der Domstadt. Ziel von ZeMAG sei es, dafür zu sorgen, dass Übergriffe und Attacken in allen Bereichen der Stadtverwaltung bekannt würden. Nach einer entsprechenden Meldung durch eine Beschäftigte oder einen Beschäftigten erhalten laut Burkert sowohl das ZKS als auch der unmittelbare Vorgesetzte eine E-Mail-Nachricht. Innerhalb von Stunden müssen dann eine Qualitätssicherung der Eingabe vorgenommen und eine Strafanzeige erstattet werden.

Hochschwelliger Ansatz

man einen hochschwelligen Ansatz. Das habe zur Folge, dass bei Beleidigungen zwar Anzeige erstattet werde, aber noch kein Eintrag in ZeMAG vorgenommen werde. Vielmehr orientiere man sich dabei am sogenannten Aachener Modell. Erst wenn die Stufen zwei oder drei dieses Modells erreicht seien, komme es zu einem Vermerk im System. Dies sei etwa bei Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Nötigungen, sexuellen Belästigungen oder Körperverletzungen zum Nachteil der städtischen Mitarbeiter der Fall. Gleiches gelte etwa bei Geiselnahmen oder Amokdrohungen, erläuterte Burkert. Über die Eintragung werde der Betroffene dann schriftlich informiert. Zugriffsberechtigte Beschäftigte der Stadt könnten die Eintragungen einzelfallbezogen einsehen. Man wolle dabei insbesondere schwere Fälle erfassen, unterstrich Burkert. Derzeit gibt es bereits über 150 Vermerke, die weitaus meisten davon befinden sich in der Kategorie zwei.

Teilweise nicht nachvoll­ ziehbare Beschränkungen Bei der Nutzung des Systems,

(BS/Martin Piontek*) Lange Abstimmungswege, schlecht vernetzt – deutsche Ämter haben den Ruf, die Digi­ Die Person, die übergriffig wur- bei dem es sich um ein natiotalisierung verschlafen zu haben. Zu Unrecht? Mittlerweile sind ein Webauftritt und das Angebot, Unterlagen de, wird dann im System als ge- nales Pilotprojekt handelt und digital einzureichen, selbstverständlich. Wer aber einmal mit mehreren Behörden gleichzeitig zu tun hatte, fährlich eingestuft. Dabei verfolge an dem schon zahlreiche Städte stellt ernüchtert fest: Ein direkter Austausch ist kaum gegeben. Auch aufgrund unterschiedlicher Kommunikationssysteme bleiben vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur das Faxgerät oder E-Mails bei Fragen und Hilfegesuchen. Die Kölner Stadtverwaltung testet jetzt in ihrem Krisenstab ein organisationsübergreifendes Kommunikationssystem – ein Projekt, das Vorbildcharakter für die Vernetzung von Behörden in Deutschland haben könnte. Was E-Mail und Telefon nicht leisten können, wird durch Messenger sinnvoll ergänzt. Das Problem: Alltäglich genutzte Apps wie WhatsApp sind für Behörden ungeeignet. Die Verknüpfung mit privaten Daten, strenge Si- Im Krisenstab der Stadt Köln wird ein organisationsübergreifendes Kommuni­ cherheitsanforderungen sowie kationssystem erprobt. Foto: BS/Simon, stock.adobe.com fehlende Organisationsmöglichkeiten lassen den offiziellen absolut wichtig und bietet uns ger modernen Geschäfts- und Einsatz nicht zu. Die Anforde- eine datenschutzkonforme und Organisationsstrukturen gerecht rungen an den Messenger, mit sichere Lösung für die Arbeit”, wird. Mit Mobile-Device-Managedem die Stadt Köln in ihrem lobt Büchner. ment, Einzel- und Gruppenkonversationen, umfassendem Krisenstab Polizei, Kliniken, Rechte- und Rollenmanagement Stadtverwaltung, Stadtwerke Komplexe Infrastruktur, ­einfache Lösung und weitere Organisationen verund Dateiablagen auch für Exbinden möchte, waren dementHinter stashcat stehen das terne stehen alle Features zur sprechend hoch. gleichnamige Hannoveraner IT- Verfügung, um komplexe InfraAm Ende entschied man sich Unternehmen sowie die Vision strukturen einfach abzubilden. für die Zusammenarbeit mit einer High-Secure-App made Dabei werden einzelne Organidem IT- und Datenschutzspezi- in Germany. Aktuell zählt der sationen verbunden, ohne die alisten stashcat. “Für die Stadt Messenger über 1,3 Millionen Kommunikationsstrukturen zu Köln stellt stashcat eine nut- aktive Nutzer in Unternehmen, vermischen. Jede Organisatizerfreundliche Lösung durch Behörden und Schulen, im Ge- on erhält eine eigene Instanz. den niederschwelligen Zugang sundheitswesen, bei Polizei und Zwischen den Instanzen kann dar. So sind für die Nutzer keine Bundeswehr – überall dort, wo mit einem Klick gewechselt werSchulungsaufwände nötig”, so der sichere Umgang mit vertrau- den. Das Ergebnis sind sauber Frank Büchner aus dem Kölner lichen Daten von besonderer getrennte Organisationskanäle Amt für Informationsverarbei- Bedeutung ist. Dabei sind den ohne Informationsbrüche. Die tung. Der Messenger ermögliche Kunden nicht nur hohe Sicher- Nutzung ist via App oder Broweine sichere Kommunikation und heitsstandards, sondern auch ser möglich. biete eine perfekte Plattform für einfache Usability wichtig. den Krisenstab. “Stashcat ist für Eine besondere Stärke von *Martin Piontek ist Head of Mardie Verwaltung der Stadt Köln stashcat ist, dass der Messen- keting bei stashcat.

MELDUNG

Bodycams für Berlin

(BS/bk) Die Berliner Feuerwehr und die Polizei Berlin erhalten Bodycams. Die ersten 30 Kameras wurden nun an die Behörden übergeben. Bis Anfang 2022 sollen bis zu 300 Bodycams im Probebetrieb sein. Die Kameras sollen bei den Feuerwachen Mitte und Urban sowie bei der Brennpunkt- und Präsenzeinheit zum Einsatz kommen. Die Bodycams sollen bei eskalierenden Einsätzen zur Lageberuhigung

und Beweissicherung eingesetzt werden. So sollen Angriffe auf Einsatzkräfte verhindert werden. Bodycams würden zudem die Transparenz des staatlichen Handelns in besonders sensiblen Bereichen steigern. Damit soll die “wechselseitig respektvolle Begegnung” zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Einsatzkräften gefördert werden. Aufnahmen durch die Körperkameras dürfen erst gestartet werden, “wenn

dies zum Schutz vor einer Gefahr für Leib oder Leben geboten erscheint”. Es dürfen jedoch keine Aufzeichnungen in Wohnungen gemacht werden. Die Einführung der Bodycams ist Teil der in diesem März verabschiedeten Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG). Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 3.525 Angriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr registriert.

und Kommunen Interesse gezeigt haben, kommt es aber auch zu Problemen und absurden Fallkonstellationen. So beziehe sich ZeMAG ausschließlich auf Übergriffe gegenüber städtischen Mitarbeitern. Werde – etwa im Rahmen von Doppelstreifen – ein Polizeivollzugsbeamter attackiert, dürfte kein Eintrag erfolgen. Gleiches gelte aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen, sofern die Erkenntnisse, die zum Vermerk führen würden, von anderen Behörden stammten. Hinzu kommt, dass es derzeit keine explizite Rechtsgrundlage für die ZeMAG-Nutzung gibt. Bislang wird das System auf der Basis vorhandener Datenschutzregelungen betrieben und mit der Abwehr erheblicher Gefahren für Leib und Leben der Mitarbeiter begründet. Dies sei jedoch nicht zufriedenstellend und nicht völlig rechtssicher, so Burkert. Deshalb hat die Stadt Köln nunmehr – zusammen mit dem Städtetag Nordrhein-Westfalen – eine Initiative für eine spezialgesetzliche Regelung gestartet. Aus der Stadtverwaltung war allerdings zu hören, dass hier eine finale Abstimmung noch ausstehe und sich das Positionspapier noch in der Bearbeitung befinde.

Containerschutzwände Hier wurde besonders mitgefiebert (BS/Sandra Kirschbaum*) Container für die Kampfmittelräumung – diese Einsätze sind immer besonders für den Containerspezialisten aus Dortmund. Zu Beginn des Jahres war bei einem Einsatz in Göttingen zum Beispiel besondere Präzision gefragt. Denn: Aufgrund von Säurezündern musste eine kontrollierte Sprengung durchgeführt werden. Zwei Verdachtspunkte lagen zudem direkt nebeneinander im Wohngebiet. Das heißt, die Containerschutzwände mussten sehr nah an der Wohnhausbebauung montiert werden, um diese vor Schäden zu schützen. Sprengmeister des Kampfmittelräumdienstes Niedersachsens berechneten Ort und Dimensionierung der Wände und entschieden, dass möglichst alle Container bis in die oberste Lage mit Wasser gefüllt werden sollten. So schützten insgesamt 72 Container, davon 46 mit 24 Kubikmetern Wasser befüllt, mehrere Mehrfamilienhäuser. *Sandra Kirschbaum arbeitet im Marketingbereich von Bloedorn.

Containerschutzwände helfen auch bei der Kampfmittelräumung. Foto: BS/Bloedorn


Digitaler Staat Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / September 2021

Raus aus der Abhängigkeit

KNAPP Smart-eID-Gesetz in Kraft getreten

Der Einsatz von Open Source bringt viele Vorteile – Expertise wird aber benötigt (BS/Matthias Lorenz) Kaum war der neue Bundes-CIO Dr. Markus Richter im Amt, veröffentlichte er im Juli 2020 einen “Neun-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland”. Um die digitale Souveränität Deutschlands und Europas sicherzustellen, forderte er, die “Herstellerunabhängigkeit durch Modularität und Standardisierung, insbesondere auch durch Open-SourceSoftware sicher[zu]stellen”. Im Februar 2021 veröffentlichte der CIO auf seiner Website jedoch die Meldung, das BMI habe mit Microsoft neue Konditionenverträge für die flexible Beschaffung von Microsoft-Produkten geschlossen. Hier offenbaren sich die Schwierigkeiten, in denen Deutschland bei der Open Source-Förderung steckt. Trotz vielfältiger Absichtserklärungen sind Microsoft-Produkte weiterhin der Standard im ClientBereich der Verwaltungs-IT. In allen Bundesländern ist meist das Windows-Betriebssystem installiert, die Mitarbeitenden nutzen die Office-Anwendungen des Software-Riesens aus den USA. Anders ist die Situation allerdings im Backend-Bereich: Die meisten Bundesländer setzen hier bereits oft auf Open-Source-Technologien, zum Beispiel werden Apache- oder Linux-Server betrieben. Die Situation in der IT auf Bundes- und Kommunalebene ist ähnlich.

Gefahr des ­Herstellereinschlusses Doch gerade im Client-Bereich ist der fast ausschließliche Einsatz von Microsoft-Produkten ein Problem, wie Jochim Selzer aus dem erweiterten Sprecherkreis des Chaos Computer Clubs (CCC) erklärt: “Rundumlösungen wie Microsoft 365 oder Teams sind Fluch und Segen zugleich.” Einerseits passe alles perfekt zusammen, andererseits könne man sich von der Software-Umgebung schnell kaum noch lösen, da sie sich extrem nach außen abschotte. Dieses Problem wird in Expertenkreisen auch “Hersteller­einschluss” genannt. Die Gefahr hierbei illustriert Dr. Johann Bizer, Vorstandsvorsitzender des öffentlichen IT-Dienstleisters Dataport, welcher mit dem Projekt “Phoenix” den Einsatz von Open Source in der öffentlichen Verwaltung fördern will, an einem plastischen Gedankenexperiment. So bestehe die theoretische Möglichkeit, dass die USA Microsoft die Lieferung von Cloud-basierter Software an Deutschland untersagen könnten, zum Beispiel als Sanktion, wenn es Streitigkeiten wie zum Beispiel die um die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream

Ist der Staat einmal in den Netzen eines Herstellers von proprietärer Software gefangen, kann es für ihn mitunter schwer werden, wieder von dem Hersteller loszukommen. Abhilfe kann Open-Source-Software schaffen. Foto: BS/Katherine Durtnell, pixabay.com

2 gebe. “Überspitzt ausgedrückt haben sie den Hebel in der Hand, unsere Verwaltung stillzulegen”, warnt Dr. Bizer. Diese Gefahr besteht bei Open Source, oder genauer “Free and Open Source”-Anwendungen, nicht. Dies liegt an den vier Freiheiten, die laut Definition des Vereins “Free Software Foundation Europe” solche Anwendungen ihren Nutzern zwingend bieten müssen. Dabei handelt es sich um die Freiheit, das Programm zu jedem Zweck zu verwenden, die Freiheit, das Programm zu verstehen (also den Quellcode einsehen zu können), die Freiheit, die Software weiterzuverbreiten und die Freiheit, das Programm zu verbessern (also den Quellcode zu verändern). All diese Freiheiten bestehen bei proprietärer Software, wie zum Beispiel Windows oder den MSOffice-Produkten, nicht. “Eine Verwaltung kann ihre digitale Souveränität nur wahrnehmen, wenn sie ihre Software auch gestalten

kann”, sagt Christian Nähle. Er arbeitet im Umweltamt der Stadt Dortmund und ist Mitbegründer der Initiative “Do-FOSS”, die sich für den Einsatz von Open Source im Öffentlichen Dienst und speziell in der Dortmunder Verwaltung einsetzt. Nähle verweist in diesem Zusammenhang auf ein Beispiel aus der Corona-Krise. Als viele Verwaltungsmitarbeiter ins Homeoffice geschickt wurden, benötigten sie einen VPN-Zugang, um auf Verwaltungsdaten zugreifen zu können. Da in Verwaltungen in der Regel ein proprietäres Produkt eingesetzt wird, konnte nicht einfach skaliert werden; zunächst mussten neue Lizenzen beschafft werden. “Bei Open Source gibt es diese Probleme nicht, dadurch erlangt eine Stadt also mehr Resilienz, weil sie schnell auch auf unvorhergesehene Situationen reagieren kann”, erklärt Nähle. Er feierte mit der Initiative in Dortmund einen ersten Erfolg: Gemäß

eines Stadtratsbeschlusses muss die Stadt nun immer begründen, warum sie in einem bestimmten Fall auf proprietäre statt auf freie Software zurückgreift.

Chance auf schnelle ­Fehlerfunde Auch in Bezug auf die IT-Sicherheit sieht Nähle Vorteile für OpenSource-Produkte im Vergleich zu proprietärer Software. Es gelte das Vielaugen-Prinzip, da viele Menschen auf ein Programm schauen könnten. “Außerdem handelt es sich bei Open Source auch um einen Kollaborationsprozess. Dies ist ein stabilisierendes Element, weil früh Dinge offengelegt werden müssen”, so der Verwaltungsfachwirt. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik verweist unter anderem auf das Vielaugenprinzip und geht grundsätzlich von einem hohen Sicherheitsniveau von OpenSource-Software aus. Von offizieller Seite will kein Bundesland

jedoch die Aussage bestätigen, Open Source sei grundsätzlich sicherer als die in den Bundesländern oft noch eingesetzte proprietäre Software. Verwiesen wird meist auf den Einzelfall oder auf gravierende Sicherheitslücken, die in Open-Source-Produkten aufgetreten sind. Beispielsweise wird der “Heartbleed-Bug” in der OpenSSL-Implementierung genannt, der erst nach mehreren Jahren gefunden wurde. Aus diesem Grund sieht auch Selzer vom CCC die Aussage in ihrer Pauschalität nicht als richtig an, aber: “Open Source bedeutet zumindest die Chance, den Fehler schnell zu finden.” Klar wird aus dieser Aussage aber auch: Um die Chancen von Open Source zu nutzen, brauchen Behörden fachkundige Unterstützung, um nach Fehlerquellen zu suchen oder Software nach eigenen Wünschen gestalten und verbessern zu können. Auch wird, genau wie bei proprietärer Software, ein Technik-Support benötigt. Diese Expertise ist im eigenen Haus oft nicht vorhanden. Beim Projekt Phoenix werden deswegen die Open-SourceProdukte nicht selbst entwickelt, sondern zugekauft. Über Dataport können Behörden dann ein Standard-Produkt mit entsprechendem Support kaufen. “Die Strategie ist, über den Support Sicherheit herzustellen”, erklärt Dataport-Vorstandschef Dr. Bizer. Dies sorge bei den Nutzern auch für eine gewisse Verlässlichkeit, zum Beispiel wegen regelmäßiger Update-Zyklen. Die Firmen, die den Support anböten, verfügten über eine breite Kundenbasis und seien auf das Produkt, welches sie unterstützten, fokussiert. Deswegen sei die Support-Lösung auch billiger für die Verwaltung, als selbst für die technische Unterstützung zu sorgen.

(BS/lma) Zu Septemberbeginn ist das Smart-eID-Gesetz in Kraft getreten. Das Gesetz bildet nach Mitteilung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) die Grundlage für eine vereinfachte Nutzung der Online-Ausweisfunktion. Für das digitale Ausweisen im Netz bräuchten Bürgerinnen und Bürger demnach nur noch ein Smartphone und die PIN ihres Online-Ausweises. Den haptischen Personalausweis an die NFC-Schnittstelle des Smartphones zu halten, sei dadurch nicht mehr nötig. Damit das Online-Ausweisen die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik verlangten Sicherheitsanforderungen erfüllt, benötigen die Smartphones ein bestimmtes Hardware-Element. Dabei handelt es sich um einen Sicherheits-Chip (Secure Element). Dieser werde bereits in immer mehr Smartphones verbaut, so das BMI. Die ersten Bürgerinnen und Bürger werden die Smart-eID im Dezember 2021 nutzen können, so die Ankündigung des Ministeriums.

Smart Country ­Convention digital

(BS/lma) Aufgrund der CoronaPandemie wird die Smart Country Convention am 26. und 27. Oktober 2021 im digitalen Rahmen stattfinden. Bereits bestellte Tickets werden stoniert, es kann sich kostenfrei neu angemeldet werden. Thematisch ist die Messe zweigeteilt: Am ersten Messetag dreht sich alles um E-Government, am 27. Oktober stehen dann Smart Cities im Fokus. Die Teilnehmenden erwarten Vorträge und Diskussionen sowie Best Practices zur Digitalisierung von Bund, Ländern und Kommunen. Der Behörden Spiegel ist auch in diesem Jahr wieder Medienpartner des Events und wird der Smart Country Convention in seiner Oktober-Ausgabe einen Sonderteil widmen.

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NORDL@NDERDIGITAL Verwaltung der Zukunft in SH, HH, HB, MV, NI

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HANNOVER


Digitale Verwaltung RLP

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Behörden Spiegel / September 2021

Digitale Verwaltung RLP D

ie aktuelle Situation im Kontext OZG beschreibt Fedor Ruhose, neuer CIO und CDO des Landes Rheinland-Pfalz, wie folgt: “In der Szene ist die Zielmarke 31. Dezember 2022 immer sehr präg­nant.” Man müsse sich jedoch die Frage stellen, was danach passiere. “Wir werden ja auch in einer Post-OZG-Welt über Digitalisierung diskutieren”, so der Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes. Es sei klar, dass da weitere Herausforderungen warten würden. Welche Herausforderungen das sind, erklärt Dr. Paul Wermter, Leiter der Stabsstelle Zentrale Koordinierung OZG im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität von Rheinland-Pfalz. “Zurzeit zielt das OZG sehr stark auf die Digitalisierung der Antragsstellung”, sagt Dr. Wermter. Man sei zuversichtlich, dies auch bis zum vom Gesetzgeber festgelegten Zieldatum zu schaffen. Die Arbeit gehe danach aber weiter, und zwar mit der Digitalisierung des sogenannten Back-Ends, also zum Beispiel der internen Abläufe. Aus Behördensicht hätte er sich an dieser Stelle eine andere Vorgehensweise gewünscht. Bevor die digitale Tür geöffnet werde, hätte man zuerst das Backend digitalisieren sollen.

Vorausschauend gehandelt Im Landkreis Cochem-Zell hat man in dieser Hinsicht vorausschauend gehandelt. Bereits 2016 startete dort ein Bürgerportal, in dem inzwischen 60 Prozesse digital umgesetzt wurden. Nicht nur vergleichsweise einfache Leistungen wie die Anmeldung von Sperrmüll sind enthalten, sondern auch kompliziertere Verfahren wie die Beantragung oder die Verlängerung eines Jagdscheines. “Es war beim Bürgerportal immer unser Anspruch, die Leistung auch im Backoffice digital, also möglichst

Ein Ziel, aber kein Ende Nach der OZG-Zielmarke Ende 2022 geht die Arbeit weiter (BS/Matthias Lorenz) Das Ziel kommt so langsam in Sichtweite: Gemäß dem Onlinezugangsgesetz (OZG) müssen Ende 2022 alle Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland auch digital angeboten werden. Selbst wenn dieses Ziel erreicht werden sollte, ist die Arbeit danach nicht vorüber, wie auf dem Kongress Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz deutlich wurde. Darüber hinaus sind gerade beim für die OZG-Umsetzung so wichtigen Einer-für-alle-Prinzip (EfA-Prinzip) noch einige Fragen offen.

Provokante Thesen zum Thema OZG stellte Christian Rupp, CDO bei PROSOZ, im digitalen Thesen-Pitch auf. Fedor Ruhose, CIO/CDO des Landes Rheinland-Pfalz, und Marco Brunzel, Bereichsleiter Digitalisierung und E-Government bei der Metropolregion Rhein-Neckar, reagierten schlagfertig. Screenshot: BS/Matthias Lorenz

medienbruchfrei abzuwickeln”, erläutert Hermann Johann vom Landkreis. Die Leistung einem Nutzer online anzubieten, so wie es das OZG verlange, sei wirklich nur der erste Schritt. Patricia Müllner, Teamleiterin Kooperatives EGovernment bei der Metropolregion Rhein-Neckar, fordert in dieser Hinsicht ein “OZG 2.0”, welches auch das Back-End in den Blick nehme. “Man kann sich nicht mehr sträuben, auch die eigenen Prozesse in den Blick zu nehmen.” Nach 2022 werde es auch um Fachverfahrensanschlüsse und Kollaborationsplattformen gehen. Doch auch alle Leistungen für die Antragsteller zu digitalisieren, stellt gerade die kommunalen

Verwaltungen vor eine enorme Herausforderung. Zentral für das Gelingen ist das EfA-Prinzip. Auch hier geht der Landkreis Cochem-Zell mit dem Bürgerportal voran. Gestartet gemeinsam mit einer Verbandsgemeinde im Landkreis, seien inzwischen alle anderen Verbandsgemeinden ebenfalls an Bord, erzählt Johann. Außerdem kooperiere man im Rahmen eines Projekts auch mit zwei weiteren Landkreisen. Digitalisierte Verwaltungsleistungen sollen so für alle beteiligten Kreise nutzbar werden. Nichtsdestotrotz sind gerade in Sachen EfA-Prinzip noch einige Fragen offen. So sieht es zumindest Achim Fürst, OZG-

Koordinator der KommWis, des kommunalen IT-Dienstleisters der rheinland-pfälzischen Kommunen. “Die Nachnutzbarkeit von EfA-Prozessen auf der kommunalen Seite bereitet uns noch Sorgen”, so Fürst. Es gebe in Rheinland-Pfalz noch keinen richtigen Weg, wie Nachnutzung ermöglicht werden könne. Die technischen Rahmenbedingungen seien dabei das geringste Problem, eher gehe es zum Beispiel um rechtliche Schwierigkeiten. An dieser Stelle müsse auch der Bund nochmal nachlegen. Da­ rüber hinaus gehe es vor allen Dingen darum, dass Kommunen auch die Chance hätten, zu erfahren, wo eventuell schon Leistun-

gen entwickelt würden, die dann zur Nachnutzung bereitstünden. In dieser Hinsicht fordert auch Johann von der Bundes- und Landesebene, in Sachen OZG wesentlich transparenter zu werden. “Man muss ganz offen und viel offensiver kommunizieren: Was gibt es in Sachen OZG und wo stehen wir?” Welche Gründe könnte es aber noch für die Ausbaufähigkeit des EfA-Prinzips geben? Dietrich de Fries, Programm-Manager OZG beim IT-Dienstleister CONITAS für den Landesbetrieb Daten und Information Rheinland-Pfalz, sagt, es gebe verschiedene Formen der Nachnutzung. Entweder könne man ganze Leistungen nachnutzen oder nur bestimmte Bausteine oder Module. “Welche Art der Wiederverwendung man macht, muss jeder Leistungserbringer selbst entscheiden. Die Entscheidung ist für die Leistungskoordinatoren eine schwierige, komplexe Entscheidung.” Dies sei eine Ursache dafür, dass die Nachnutzung momentan relativ langsam anlaufe.

Austausch zwischen ­Fachebenen In der Metropolregion Rhein-Neckar, die sich neben RheinlandPfalz auch über die Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg erstreckt, müssen bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, die für die gesamte Region nutzbar sein sollen, besonders viele Dinge beachtet werden. Schließlich gibt es auf Landesebene verschiedene Regelungen, die es zu beachten gilt.

So berichtet Teamleiterin Müllner von der “Königsdisziplin”, nämlich der Digitalisierung von Leistungen im Bereich Planen und Bauen. Hier gebe es rund fünfzig verschiedene Rechtsgebiete, die beachtet werden müssten. Generell müsse gerade für den Austausch zwischen den Fachebenen der Verwaltung gesorgt werden. Dieser sei meist sehr fruchtbar und habe für vereinfachte Arbeitsweisen gesorgt. Johann betont in diesem Zusammenhang, die Tatsache, dass Verwaltungen so heterogen aufgestellt seien, erweise sich im Kontext OZG als ein echter Nachteil. Man werde nicht darum herumkommen, Harmonisierungen durchzuführen. Dies betreffe auch die Software-Ebene. Dort, wo Harmonisierungen auf Software-Ebene nicht möglich seien, brauche es Verständigungsmöglichkeiten für den Datenaustausch. Das Stichwort lautet Schnittstellen. Schließlich gelte es auch, persönliche Eitelkeiten zurückzustellen und als Kommune immer zu schauen, wo Nachnutzungsmöglichkeiten bestünden. “Wenn gute Ideen bereitstehen, muss es schnell möglich sein, diese zu adaptieren.” Er verweist auf ein Beispiel aus seinem Landkreis, der zunächst selbst den Baugenehmigungsprozess digitalisieren wollte, dieses Projekt dann aber stoppte, weil man auf eine anderswo entwickelte Lösung gestoßen war. Dieses Beispiel zeigt: Noch scheint es oft Zufall zu sein, ob Verwaltungen von anderswo digitalisierten Leistungen erfahren. Es braucht also ein verbessertes Informationsmanagement, damit das EfA-Prinzip auch wirklich seine volle OZG-Beschleunigungsleistung entfalten kann. Nach dem Erreichen der OZGZielmarke geht es dann darum, für einen medienbruchfreien Ablauf der gesamten Verwaltungsverfahren zu sorgen.

Von den schweren Zeiten profitieren

Übergreifende Zusammenarbeit

Minister Schweitzer: Durch Corona entstandende Digitalisierungsfortschritte bewahren

Wirtschaft und Verwaltung rücken zusammen

(BS/lma) Rheinland-Pfalz erlebt schwere Zeiten. Nicht nur die Pandemie, sondern auch die Flutkatastrophe im Juli haben das Land getroffen. Für Alexander Schweitzer, Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz, stellt sich deswegen folgende Frage, wie er auf dem Kongress Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz deutlich machte: Wie könne man dazu beitragen, dass im Land und in der von der Flut getroffenen Region bald wieder besserer Zustände eintreten? Hier, so die These des Ministers, könne Digitalisierung ihren Beitrag leisten. “Die öffentliche Hand muss jetzt zeigen, dass sie mit klaren Vorstellungen versucht, die Dinge wieder in bessere Bahnen zu lenken.”

(BS/sp) Computer-Emergency-Response-Teams (CERTs) lösen IT-Sicherheitsvorfälle. In Rheinland-Pfalz gibt es die Besonderheit, dass nicht nur ein Landes-CERT, sondern auch ein kommunales CERT im Einsatz ist. “Im Bereich der Cyber-Abwehr muss unbedingt zusammengearbeitet werden”, erklärt Margot Heimfarth, Geschäftsführerin der Securion Rheinland-Pfalz GmbH.

Auch die Pandemie habe in der öffentlichen Verwaltung, aber auch in der Gesellschaft, einen digitalen Wandel ausgelöst, von dem man auch danach profitieren könne. Es gelte, diese Fortschritte zu bewahren und nicht wieder in die Zeit vor Corona zurückkehren zu wollen. Für Schweitzer ist aber auch klar: Ohne schon vorher auf Digitalisierung gestellte Weichen hätte sich die rheinland-pfälzische Verwaltung nicht so schnell auf die Veränderungen durch die Pandemie einstellen können. “Die schon vor Corona eingeführte EAkte war Voraussetzung dafür, dass mobiles Arbeiten so schnell organisiert werden konnte”, sagt der Minister. Durch die E-Akte habe sich der Arbeitsalltag verändert, zum Beispiel, was die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden, aber auch Transparenz und Geschwindigkeit angehe.

sen Themenfeldern. So müsse man sich sowohl als öffentlicher als auch als privater Arbeitgeber überlegen, wie man mit dem digitalen Wandel der Arbeitswelt umgehe. Es gelte, viele Fragen zu beantworten, zum Beispiel im Hinblick auf die Auswirkungen des mobilen Arbeitens, aber auch

im Hinblick auf Arbeitsführung und -kontrolle. Schließlich sei es auch wichtig, die Angestellten im Kontext der Digitalisierung angemessen zu qualifizieren. “Das Qualifizierungsthema gewinnt auch im Öffentlichen Dienst stetig an Bedeutung, diese Bedeutung wird noch weiter zuneh-

Auswirkungen auf die Arbeit Daneben legte Schweitzer, der neben der Digitalisierung auch die Bereiche Arbeit und Soziales verantwortet, den Schwerpunkt auf die Verbindung zwischen die-

In seiner Keynote auf dem Kongress Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz legte Alexandeer Schweitzer den Fokus unter anderem auf die digitale Arbeitswelt und das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Verwaltung. Foto: BS/A. Heimann

men”, prophezeit der Minister. Man könne es sich an dieser Stelle nicht erlauben, Fachkräftepotenzial ungenutzt zu lassen. Doch Schweitzer geht es nicht nur um den Aspekt Arbeit, sondern auch um das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen und Staat und Verwaltung auf der anderen Seite. “Die Erwartungshaltung der Menschen an die Verwaltung verändert sich”, analysiert der SPD-Politiker. Antragsprozesse müssten deswegen beispielsweise vereinfacht und vollständig digital und medienbruchfrei gestaltet werden. Es reiche also nicht, einen bestehenden analogen Verwaltungsprozess einfach ins Digitale zu übertragen, der Prozess müsse vielmehr überdacht werden. OZG und E-Akte gemeinsam seien aber schon ein großer Schritt in Richtung einer medienbruchfreien Verwaltung. Trotzdem stellt Schweitzer auch eine Forderung an die nächste Bundesregierung: Mit ihr müsse man sich darauf verständigen, was die nächsten Schritte in Sachen OZG sein müssten.

“Diese Vereinbarung beruht auf einer Vereinbarung zwischen dem Land und den kommunalen Spitzenverbänden. Somit können auch die Kommunalverwaltungen von CERT-Dienstleistungen profitieren und in einen CERTVerbund integriert werden” stellt Heimfarth klar. Kommunalverwaltungen stellen in diesem Sinne auch eine Besonderheit dar, da anders als in Landes- oder Bundesverwaltungen sie nicht strikt verpflichtet seien, Sicherheitsvorfälle und Schwachstellen zu melden. “Da muss man die Kommunalverwaltungen auch zu ermutigen. Falls eine Meldung vorliegt, melden wir diese dem Landes-CERT und dann wird das über den Verwaltungs-CERTVerbund bundesweit verteilt”, erklärt die Geschäftsführerin die Vorgehensweise der Abläufe.

Land ist zufrieden Jonas Grasediek, Mitarbeiter beim Landesbetrieb Daten und Information (LDI) im CERT-rlp, ist auch zufrieden mit der übergreifenden Zusammenarbeit: “Wir

erhalten auch aktiv vom CERTkommunal Meldungen über die Schadcodes und können dann proaktiv reagieren, gehen in die Vorfallbehandlung und können die Kolleginnen und Kollegen dann unterstützen. Die Kommunikation untereinander ist sehr gut” resümiert der gelernte Fachinformatiker.

Auch Wirtschaft beteiligen Eine ausgeweitete Einbindung der Kommunikationsstrukturen wünscht sich auch Dr. Simon Woldeab, Vorstand bei der Fuentis AG. Mit dem LDI sei die Fuentis bereits jetzt in regen Kontakt, nun soll es die Aufgabe sein, auch beim Thema CERT eine Schnittstelle herzustellen: “Wir würden hier gerne Anschluss zu den Informationen, die aus den einzelnen CERTS kommen, suchen, um diese automatisiert in unser Informations-Sicherheit-Management-System (ISMS) einzubauen, so Woldeab. Bereits jetzt nutzt das LDI in Rheinland-Pfalz das ISMS des IT-Unternehmens.


DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Behörden Spiegel / September 2021

Seite 31 DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

September 2021

Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Trends im Internet der Dinge Das Internet der Dinge ist ein hochdynamischer und innovativer Anwendungsbereich, in dem laufend technische Durchbrüche erzielt und neue Visionen für eine vernetzte Zukunft entwickelt werden. Umso wichtiger ist es, einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen zu behalten und ihr Potenzial zu bewerten, um informierte Entscheidungen treffen zu können. Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) treibt die Verschmelzung von digitaler und physischer Welt voran und trägt dazu bei, einzelne Gegenstände, Gebäude oder gar ganze Städte smart zu machen. Mittlerweile sind mehr Geräte als Menschen mit dem Internet verbunden – mit weiterhin steigender Tendenz. Das IoT bildet inzwischen ein äußerst heterogenes Ökosystem aus physischen Geräten, ausgestattet mit Sensoren, Netzwerkzugang und Aktuatoren. Anwendung finden diese vernetzten Systeme auch in der öffentlichen Verwaltung. Entsprechend weist auch der IoTMarkt eine hohe Wachstumsdynamik auf. IoT-Technologie ist allgegenwärtig geworden – von privaten SmartDevices über vernetzte Sensoren in der Industrie 4.0 zu voll integrierten medizinischen IoT-Anwendungen und

vernetzten Verkehrsinfrastrukturen, die in Echtzeit angepasst werden können. Mit dem kürzlich erschienen Trendsonar IoT ordnet das Kompetenzzentrum Öffentliche IT die verschiedenen Lösungen dieses immer unübersichtlicher werdenden Technologiefeldes ein. Das Trendsonar stellt relevante Technologien aus dem Forschungsfeld vor und ergänzt diese durch qualitative Einschätzungen von IoTExpert(inn)en sowie quantitative Kennzahlen. Jede relevante Technologie wird kurz vorgestellt und hinsichtlich mehrerer Dimensionen bewerten. So lässt sich anhand der von den Expert(inn)en eingeschätzten Zukunftsfähigkeit ablesen, wie lange die Technologie nach heutigen Stand noch breit eingesetzt werden wird. Gerade für IoT-Geräte, die oft für längere Zeiträume verbaut werden, ist diese Information besonders wertvoll, um nicht auf schon bald veraltete Technologien zu setzen. Als weitere Dimensionen werden der Reifegrad, der besonders für die Bewertung neuerer Lösungen wichtig ist, der Standardisierungsgrad, der Rückschlüsse darauf zulässt, wie sich die Lösung in ein bestehendes IoT-System einfügt, sowie die gegenwärtige Angebots- und Nachfrageseite beleuchtet. Zu jeder Technologie werden zudem quantitative Indikatoren zu Forschungsförderprogrammen, wissenschaftlichen Publikationen, Gründungen, Patenten, Normungsaktivitäten, Suchanfragen sowie Sichtbarkeit in den Medien vorgestellt, durch die die Einschätzungen der Expert(inn)en in einen größeren Kontext gestellt werden. Die Bedeutung dieser Informationen über einzelne IoT-Lösungen zeigt sich bspw.

Das ÖFIT-Trendsonar “Internet der Dinge”

bei der Planung und Umsetzung von Digitalstrategien und SmartCity-Konzepten. In diesem Kontext müssen informierte Entscheidungen getroffen werden, um bestehende Prozesse anzupassen oder ganz neue Prozesse aufgrund neuer Möglichkeiten zu erarbeiten. Neue IoT-Funknetze und Konzepte wie Cloud- und Edge Computing spielen eine prominente Rolle in einer neu entstehenden IT-Infrastruktur, die auf eine immer engere Verzahnung von physischer Welt und Digitaltechnologien abzielt. IoT ist untrennbar

Agilität im öffentlichen Sektor Was SAFe für die Verwaltung leisten kann (BS/Dr. Wolfgang Zink/Dr. Thorsten Janning*) Inkremente, Sprints, Artefakte – solche Begriffe aus agilen Methoden fallen in der Privatwirtschaft immer häufiger. Auch Institutionen des öffentlichen Sektors machen erste Gehversuche mit Agilität und setzen dabei zum Beispiel auf das Scaled Agile Framework (SAFe), etwa bei komplexen Digitalisierungsprojekten. Was steckt hinter SAFe? Und inwiefern kann dieser Ansatz der Verwaltung nützen? Agile Methoden sind insbesondere geeignet, wenn Projekte nur eingeschränkt planbar sind – weil zum Beispiel Ziele unklar, Strukturen komplex und viele Stakeholder beteiligt sind. Das SAFe-Rahmenwerk bietet Verwaltungsmitarbeitenden eine Reihe agiler Organisations- und Workflow-Methoden und lässt sich an Organisationen unterschiedlicher Größe anpassen – (daher “scaled”, skaliert). Die konkreten Stärken von SAFe bei komplexen Projekten zeigen sich beispielsweise beim Programm “Digitale Verwaltung Niedersachsen” (DVN), das seit Anfang des Jahres 2021 SAFe nutzt.

OZG-Umsetzung in Niedersachsen mit SAFe Eine der wesentlichen Aufgaben des Programms DVN ist es, das Onlinezugangsgesetz (OZG) umzusetzen – also 575 Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Dies verlangt viele Entscheidungen und Absprachen zwischen den vielen Beteiligten auf kommunaler Ebene, mit dem Bund, anderen Ländern und zwischen den (internen und externen) Projektteams. Und dies bei hohem Zeitdruck, weil das OZG bis zum 31. Dezember 2022 umgesetzt sein muss. Deshalb entschied sich Niedersachsen

für ein agiles Vorgehen auf Basis von SAFe.

Große Vorhaben hand­habbar machen Beim agilen Portfoliomanagement-Prozess zu Beginn formulierten und priorisierten die Beteiligten strategische Initiativen – in der SAFe-Terminologie sogenannte EPICs – und planten deren Umsetzung. Und bei dem “Program Increment Planning” (“PI-Planning”), einer gemeinsamen Planungs- und Synchronisationsveranstaltung, definieren alle Beteiligten gemeinsame Ziele, identifizieren wechselseitige Abhängigkeiten und treffen vor allem Entscheidungen schneller. Große Vorhaben lassen sich so in kleinere, besser handhabbare Aufgaben zerlegen – und dadurch schneller umsetzen. Die Austauschtreffen erhöhen auch die Transparenz über Arbeitsergebnisse, verringern den Nachbesserungsbedarf und machen Arbeitsprozesse effizienter. Eine große Herausforderung für agile Methoden im öffentlichen Sektor sind allerdings dessen spezielle Rahmenbedingungen, insbesondere das Haushaltsrecht: Steigt etwa für eine Arbeitsphase, ein sogenanntes Inkrement, kurzfristig der Personalbedarf, ist dies häufig mit der langfristigen

Budgetplanung der Verwaltung schwer vereinbar. Soll das Rahmenwerk seine volle Wirksamkeit entfalten, braucht es passende Rahmenbedingungen.

Höchstmaß an Flexibilität bei Großprojekten Das Beispiel Niedersachsen zeigt einen der wesentlichen Vorteile von SAFe bei Großprojekten: ein Höchstmaß an Flexibilität. Denn fest steht: Die Mammutaufgabe der Digitalisierung kann die Verwaltung nicht in einem großen Entwicklungsschritt bewältigen. Stattdessen sollte sie sich in vielen kleinen Schritten annähern – und genau für solche Fälle sind agile Ansätze vielversprechend. SAFe bietet einen pragmatischen, flexiblen Handlungsrahmen für die Herausforderungen des öffentlichen Sektors. Dass es gelingen kann, sie zu bewältigen, zeigt der SAFe-Einsatz beim Programm “Digitale Verwaltung Niedersachsen”. Obwohl es noch gewisse Hürden zu meistern gilt, ist der Lösungsansatz, agile Methoden im öffentlichen Sektor anzuwenden, vielversprechend. Wir blicken gespannt und optimistisch in die Zukunft. *Dr. Wolfgang Zink ist Partner bei PwC. Dr. Thorsten Janning SAFe Fellow von der KEGON AG.

mit Datenhubs und Datenflüssen verbunden. Damit diese Daten im größten Umfang dem Allgemeinwohl dienen können, ist die Nutzung offener und einheitlicher Protokolle und Schnittstellen unerlässlich. Gleichzeitig würden institutionalisierte Datenhubs mit geringen Zugangshürden dazu beitragen, das Ungleichgewicht zwischen großen Datenquellen und -verarbeitern

Grafik: BS/ÖFIT

(bspw. Plattformen) und kleineren Datenlieferanten und -nutzern (bspw. KMU mit spezialisierten Angeboten) zu begrenzen. Das IoT, der digitale Zwilling der Welt, befindet sich noch in seinen Kinderschuhen und beeinflusst doch schon die Art und Weise, wie wir leben, die Zukunft planen und unsere Gesellschaft organisieren. Die Forschung zeigt immer neue Nutzungsszena-

rien auf und entwickelt die Technologien, um diese Realität werden zu lassen. Umso wichtiger ist es, für die konkrete Ausgestaltung informierte Entscheidungen zu treffen. Das ÖFIT-Trendsonar IoT steht als Publikation unter https://www.oeffentliche-it.de/publikationen und als interaktives Tool unter https://www.oeffentliche-it.de/trendsonar zur Verfügung.


DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

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Behörden Spiegel / September 2021 DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

I

m Zuge ihrer “Strategie 2025” konnte die BA in der Pandemie an die aus Erprobungen bereits bekannten Vorteile einer datenschutzkonformen Videokommunikation anknüpfen und dieses Angebot ausweiten. Denn gerade für die BA ist es essenziell, mit der Öffentlichkeit in Verbindung zu bleiben. Sie ist Deutschlands größte Dienstleisterin am Arbeitsmarkt. Jeden Tag berät sie Menschen zu Themen rund um den Beruf und unterstützt Millionen von Bürgerinnen und Bürgern mit finanziellen Leistungen wie Arbeitslosen- und Kindergeld. Die Menschen sollen die Beratungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit auch von zu Hause oder unterwegs ohne großen Aufwand in Anspruch nehmen können. “Jeder soll einen einfachen Zugang zu Mitarbeiter(inn)en der BA haben, auch ohne lange An-und Abreise zu einer Geschäftsstelle”, so Kai Burkard, Senior IT-Architekt für Kommunikation und Zusammenarbeit der Bundesagentur für Arbeit. Wichtigste Anforderungskriterien an eine Videokommunikationslösung waren demzufolge

Meilenstein für Videokommunikation Wie die Pandemie digitale Bürgerdienste vorantreibt

(BS/Dr. Steffen Kahra*) Im Zuge der Digitalisierung ist eine Kernaufgabe von Behörden, neue Anwendungen konsequent mit einer hohen Nutzerzentrierung zu entwickeln. Durch die Pandemie wurden die digitalen Erwartungen noch einmal höhergeschraubt. Laut einer aktuellen Umfrage von Civey im Auftrag des Unternehmens ServiceNow erwarten neun von zehn Befragten umfassende digitale Bürgerservices. Wichtig seien vor allem nahtlose und einfache Prozesse. Auch für die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist es zentral, den Bürgerinnen und Bürgern einen niederschwelligen und sicheren Online-Zugang zu ihren Beratungsleistungen anzubieten. Mit “Mein Videotermin” hat die BA mit Unterstützung der Innovativer Mantel Voigtmann GmbH eine datenschutzkonforme und hochskalierbare Videokommunikationslösung implementiert. Mit dieser zukunftsträchtigen Dies war zugleich der StartInfrastruktur kann sie ihre Mission, “nah am Kunden zu sein”, auch in Pandemiezeiten erfüllen. schuss für den IT-Architekten

Seit Oktober 2020 arbeiten über 1.000 Standorte in der Bundesagentur für Arbeit mit Videokommunikation. Foto: BS/Voigtmann GmbH

die sehr hohen Ansprüche an Sicherheit und Datenschutz, ein niederschwelliger Zugang zum Angebot sowie die Teilnahme

an Beratungsterminen mit nur drei Klicks. Nach dem Motto “wenn es neue Ideen braucht, werden sie ent-

Eine Umfrage unter den Kundinnen und Kunden der BA ergab, dass 95 Prozent die Videotelefonie-Lösung weiterempfehlen würden. Grafik: BS/Voigtmann GmbH

wickelt” konzipierte ein Projektteam des IT-Systemhauses der

E-TRAINING: Haushalt des Bundes Grundlagen für Neu- und Quereinsteiger

Der Bundeshaushalt ist die wirtschaftliche Grundlage für das Handeln der Bundesverwaltung im Haushaltsjahr. Der Haushaltsplan sowie die einschlägigen Rechtsnormen des GG sowie die BHO stellen für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Fachrichtungen ein unbekanntes Terrain dar. Dabei bietet das Haushaltsrecht, richtig angewendet, viele Gestaltungsmöglichkeiten. Ob Haushälter, Personaler, die IT, die Fachabteilungen oder der Innere Dienst usw.: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bewirtschaftet täglich, bewusst oder unbewusst, den Haushalt. In diesem E-Training werden Grundkenntnisse des Haushaltsrechts des Bundes, die Funktionen des Bundeshaushaltes, den Aufbau des Bundeshaushaltes und in Grundzügen den Haushaltskreislauf sowie die Stellung der externen Finanzkontrolle vermittelt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden • die Aufgaben der Haushaltswirtschaft, die Bedeutung und Wirkung des Haushaltsplans und der Finanzplanung sowie • die Gliederung und Systematik des Haushaltsplans kennen und verstehen, • die Haushaltsgrundsätze sowie Methoden und Techniken der Aufstellung und Ausführung des Haushalts anwenden können und • die Aufgaben der Finanzkontrolle sowie die Stellung des Bundesrechnungshofes kennen. MODUL 1: 21. SEPTEMBER 2021 | 08:30-16:30 UHR • Finanzverfassung und Rechtsgrundlagen • Haushaltssystematik des Bundes MODUL 2: 22. SEPTEMBER 2021 | 08:30-16:30 UHR • Inhalt des Haushaltsplans • Grundzüge des Haushaltskreislaufs • Haushaltsgrundsätze bei der Aufstellung des Bundeshaushaltsplans MODUL 3: 28. SEPTEMBER 2021 | 08:30-16:30 UHR • Haushaltsgrundsätze in der Ausführungsphase des Bundeshaushaltsplans • Die Grundsätze im Einzelnen • Die praktische Bedeutung der Flexibilisierung MODUL 4: 29. SEPTEMBER 2021 | 08:30-16:30 UHR • Fortsetzung der Haushaltsgrundsätze • Ausführungsphase des Bundeshaushaltsplans – Vertiefung • Grundlagen der Finanzkontrolle

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchworte „Haushalt des Bundes“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com

der Familienkasse startete das BA-Projekt-Team zusammen mit der Voigtmann GmbH im Mai 2020 damit, die Videokommunikation auf die anderen Rechtsbereiche auszuweiten. “Wir hatten bereits alles in der Schublade”, so Peter Voigtmann, Geschäftsführer der Voigtmann GmbH.

BA zusammen mit der Voigtmann GmbH ab Oktober 2019 eine neue Videokommunikationslösung für den Bereich der Familienkasse.

Agiles und iteratives Vorgehen Das Vorgehen zur Entwicklung einer DSGVO-konformen Lösung erfolgte agil und iterativ. Einzelne Schritte wurden immer wieder einem Review unterzogen und kontinuierlich weiterentwickelt. Wichtig war, eine Lösung zu erarbeiten, die auf breiter Basis Akzeptanz findet – sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Kunden. Um höchste Sicherheit zu gewährleisten und aufgrund der Zertifizierung für die vorhandene Videokonferenzplattform Skype for Business wurde die norwegische Technologieplattform Pexip eingesetzt. Die BA hat sich für eine Implementierung von Pexip on Premise entschieden. Durch den Einsatz von Pexip hat die BA stets volle Kontrolle über Ihre Daten und kombiniert so bewährte Funktionalitäten mit höchstem europäischem Datenschutzstandard in ihrer etablierten IT-Landschaft.

Express-Digitalisierung Anfang 2020 stand die BA wie alle Behörden vor neuen Herausforderungen, denn aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie mussten alle Präsenztermine abgesagt werden. Dennoch sollten die Mitarbeiter(inn)en die Kund(inn)en erreichen können. “Die Pandemie hat die Videokommunikation massiv beschleunigt und skaliert”, so Lucas Albracht, Produktverantwortlicher “Mein Videotermin” bei der Bundesagentur für Arbeit. “Durch diesen Turbo sind wir mit dem Projekt heute dort, wo wir sonst erst in zirka fünf Jahren wären.“In eigens eingerichteten virtuellen Barcamps wurden Denkräume ermöglicht und die Investition der letzten Jahre in agile Arbeitsweisen konnte Früchte tragen. Im März 2020 gab der Vorstand der BA grünes Licht für die Einführung der Videokommunikation in der Berufsberatung vor dem Erwerbsleben (BbvE) und der beruflichen Rehabilitation und Teilhabe als ergänzende Angebote zur persönlichen Beratung. Durch die vorhandenen Entwicklungen im Bereich

Voigtmann GmbH, eine umfassende Mantelanwendung zu entwickeln und zu implementieren, welche die bisherige Videokommunikationslösung um vielfältige Funktionen ergänzt. Ein wichtiger Punkt beim Datenschutz ist die End-to-EndVerschlüsslung, die dafür sorgt, dass personenbezogene Daten zu keinem Zeitpunkt die In­ frastruktur der BA verlassen. Zudem integriert die Anwendung Funktionen von individualisierten Korrespondenzen und Testanrufen bis hin zu Feedbackmöglichkeiten. Audio-, Video- und Chatfunktionen bilden alle Facetten des Beratungstermins ab. Gegenüber dem Telefon wird das Beratungsgespräch durch visuelle Eindrücke ergänzt und gestaltet sich zudem durch Funktionen wie das Bildschirmspiegeln interaktiver.

Mit drei Klicks zum virtuellen Beratungstermin Die Videokommunikationslösung erfüllt eine weitere wichtige Grundvoraussetzung, denn die Kundinnen und Kunden der Bundesagentur für Arbeit gelangen in nur drei Klicks zum virtuellen Beratungstermin: Mit dem ersten Klick geben sie ihre Zustimmung zur Videokommunikation, mit dem zweiten lässt sich das verwendete Gerät optional auf seine Eignung überprüfen und mit dem dritten Klick betreten die Nutzer/-innen den Beratungsraum. Durch die von der Voigtmann GmbH entwickelte Web-App und dem Standard-WebRTC funktioniert der Videotermin unabhängig vom Browser, vom Endgerät oder vom Betriebssystem. Ein sicherheitskritischer Download eines Programms oder Plug-ins ist nicht erforderlich. Ein weiterer wichtiger Funktionsbaustein ist, dass Kundinnen und Kunden der BA auf Beratungsdienste selbst in Umgebungen mit geringer Bandbreite zugreifen können, indem sie die Wahl zwischen hoher und niedriger Bildqualität bei ihren mobilen Endgeräten haben.

Ergebnis und Ausblick Seit Oktober 2020 arbeiten bereits über 1.000 Lokationen der Bundesagentur mit der Videokommunikation. Durch “Mein Videotermin” können die BAMitarbeiter/-innen – auch in der Pandemie-Zeit – die Kundenberatung online aufrechterhalten. Statt standardisierter OutlookEinladungen versenden sie über “Mein Videotermin” eine individualisierte Einladung an ihre Kunden und verlinken je nach Bedarf weitere Informationen. In bisherigen Befragungen empfehlen 95 Prozent der Kundinnen und Kunden die VideotelefonieLösung der Bundesagentur für Arbeit weiter. Über drei Millionen Gesprächsminuten haben darüber bereits stattgefunden (Stand Juli 2021). Die BI-Integration liefert wertvolle Daten und Impulse, um das System kontinuierlich weiterzuentwickeln und um weitere digitale Bürgerdienste zu ergänzen. *Dr. Steffen Kahra ist Senior Scientist HealthCare IT, Regulatory Affairs Manager und Quality Management der in Nürnberg ansässigen Voigtmann GmbH.



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AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

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Behörden Spiegel / September 2021 DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Open Source Software

Betrieb von IT-Lösungen

Erfolgsfaktor digitale Souveränität

Was bedeutet das bei einem SaaS-Anbieter?

von Martin Kaloudis

(BS/Stephanie Berlin) Die öffentliche Verwaltung steht zunehmend unter dem Druck, schnell Lösungen für immer neuere und häufig unbekannte, komplexe Probleme zu finden – ob medial präsente Themen wie sichere Videokonferenz-Systeme für den Online-Unterricht, das digitale Online-Angebot für Bürger oder sich schnell ändernde, komplexe Verwaltungsabläufe, die im Hintergrund digitalisiert werden wollen.

W

er über die Digitalisierung von Staat und Verwaltung redet, spricht auch über Kooperationen. In einer globalisierten Welt mit immer schnelleren Innovationzyklen ist niemand in der Lage, die großen Aufgaben autark zu bewältigen. Doch wie vermeiden wir zu weit gehende Abhängigkeiten und stärken digitale Souveränität? Open-Source-Software ist ein Erfolgsfaktor hierfür. Open-Source-Software (OSS) kam um die Jahrtausendwende im Umfeld der Linux-Community groß heraus. Sie diente als Gegenentwurf zu etablierten kommerziellen Lösungen: teils Stückwerk und nicht immer anwenderfreundlich, aber frei verfügbar. Und von Anfang an ging es bei OpenOffice & Co. um noch mehr als die kostenfreie Nutzung. Im Zentrum stand und steht ein offener Quellcode, an dem die gesamte Entwicklergemeinde mitarbeiten kann – kollektive Intelligenz für ein besseres Produkt. Der Gedanke zählt noch immer. Darüber hinaus ist OSS zu einem tragfähigen Geschäftsmodell geworden. Maintainer vom Start-up bis zum Konzern investieren in ausgewählte Projekte. Sie wollen OSS für sich selbst nutzen und Standards setzen. Und sie suchen kommerziellen Erfolg, indem sie rund um eine OSS-Community professionelle Supportstruktu-

Martin Kaloudis ist Chief Executive Officer (CEO) und Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, des ITSystemhauses der Bundeswehr. Foto: BS/BWI

ren bauen. Solche OSS wird enterprisefähig, ohne den Vorteil der Transparenz zu verlieren. Ihr offener Quellcode lässt sich einsehen, prüfen und an Kundenbedürfnisse anpassen. Natürlich gibt es auch Risiken – etwa offene Kommunikation über Sicherheitslücken, die jeder mitlesen kann. Auch die wachsende Dominanz von OSS-Entwicklern aus autokratischen Staaten in den Communitys muss aufmerksam beobachtet werden.

Risiken in den Blick nehmen, Chancen nutzen Zum Einsatz kommt industriefähige OSS heute auch bei der BWI, dem IT-Systemhaus und Digitalisierungspartner der Bundeswehr. Ein Beispiel mit

besonderer Größenordnung ist der BwMessenger: Ausgelöst durch die Corona-Epidemie entstand der dringende Bedarf einer sicheren Chat-Lösung für die Streitkräfte. Technische Basis sind der offene Protokollstandard Matrix sowie eine auf der OSS Element.io basierende App. Die Entwicklung führt die BWI mit einem Partner nach den Anforderungen der Bundeswehr durch und der Betrieb erfolgt auf eigener ITInfrastruktur der Bundeswehr. Über 60.000 Soldat(inn)en und zivile Bundeswehrangehörige nutzen den BwMessenger bereits, bald könnten es alle sein. Ohne das technische Gerüst selbst zu erfinden, kann die BWI ihrem Kunden also eine maßgeschneiderte und bun-

deswehrtaugliche Alternative zu einem Messenger wie WhatsApp bieten und dank des offenen Quellcodes immer weiter an die besonderen Bedürfnisse der Truppe anpassen. Das heißt: Als BWI gehen wir natürlich Kooperationen ein, um der Bundeswehr die gewünschten digitalen Lösungen zu liefern – aber wir entscheiden, im Rahmen unserer Vergabeverfahren, mit wem. Wir müssen nicht unbedingt und immer nur den BlackboxLösungen der Technologiekonzerne vertrauen. OSS schafft Alternativen, gibt uns mehr Wahl- und Handlungsfreiheit. Das ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor digitaler Souveränität. Die Nutzung von enterprisefähiger OSS ist somit auch ein wichtiger Teil der BWI-Strategie für die digitale Souveränität der Bundeswehr. Der BwMessenger hat Potenzial, er könnte auch in Bereichen der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden. Diese Entscheidung liegt beim Staat. Und dieser ist auch gefragt, Chancen und Risiken zu managen sowie die OSS-Szene mit Fördermitteln zu unterstützen. Das gilt vor allem mit Blick auf hiesige Entwicklerboards, die den europäischen Werten und (Datenschutz-)Gesetzen verpflichtet sind. Eine solche Förderung dient dann der digitalen Souveränität Deutschlands.

Der Entscheidungs- und Auswahlprozess für eine digitale Lösung in der öffentlichen Hand ist jedoch zu Recht alles andere als trivial. Es gibt viele Aspekte zu berücksichtigen: Funktionalität, Nutzerfreundlichkeit, Konnektivität und Datenschutz, um nur einige zu nennen. Gleichzeitig ändern sich die Rahmenbedingungen kurzfristig, beispielsweise durch neue regulatorische Anforderungen. Für den Erfolg eines Projekts rückt eine Frage zunehmend in den Vordergrund: Wie schnell, skalierbar und flexibel können Technologien für ein Vorhaben genutzt werden?

Mehr Flexibilität In der Vergangenheit wurde IT-Systeme und Software eingekauft, lokal im eigenen Rechenzentrum installiert, projektiert, verwaltet und gewartet. Neben hohem zeitlichem und personellem Aufwand

ren dedizierte Mitarbeiter, die vor jedem Release umfangreiche Schwachstellenprüfungen und standardisierte Abläufe durchführen, um die Infrastruktur auf dem aktuellsten Sicherheitslevel zu halten. Umfangreiche und individuell anpassbare Verschlüsselungstechnologien können zusätzlich angewendet werden, um die Cloud-Anwendung nach den eigenen Erfordernissen noch sicherer zu gestalten.

Kontrolle über Daten und Konfiguration Die meisten Cloud-Anwendungen nutzen zwar eine gemeinsame Infrastruktur in einem Rechenzentrum des SaaS-Anbieters, bieten dem Kunden darüber hinaus aber komplett getrennte Instanzen. Beim Plattform-Anbieter ServiceNow bedeutet dies zum Beispiel, dass jede Instanz über eine eigene Datenbank verfügt. Auf die-

Stephanie Berlin ist Lösungsexpertin für den Public Sector bei ServiceNow. Foto: BS/ServiceNow

begrenzt dieses Vorgehen Organisationen darin, schnelle technologische Innovationen für die öffentliche Verwaltung verfügbar zu machen. Mit den zunehmenden Angeboten an SaaS-Anwendungen (Softwareas a Service) haben nun auch Behörden die Möglichkeit, einen wesentlichen Teil des technischen Betriebs auf spezialisierte SaaS-Anbieter zu übertragen, dadurch mehr Flexibilität zu erhalten und von Innovationen schnell zu profitieren. Noch immer besteht aber Unsicherheit bei der Evaluierung von IT-Lösungen aus der Cloud. Es lohnt sich, einige Grundlagen der SaaS-Anbieter besser zu verstehen, um diese in der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können – auch ohne tiefes technisches Know-how.

Infrastruktur und Sicherheit Viele SaaS-Anbieter besitzen dedizierte Rechenzentren in Deutschland. Ein wesentliches Eignungskriterium sind deren Zertifi zierungen. Neben ISOund SCO-Zertifizierungen spielt das C5-Zertifikat des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine wesentliche Rolle. Namhafte Cloud-Anbieter tätigen hohe Investitionen, um Technologie und Applikationen vor Angriffen zu schützen – etwas, das in dem Umfang und mit der Spezialisierung im Eigenbetrieb nicht möglich ist. Dazu gehö-

ser besitzt der Kunde die volle Kontrolle über seine Daten und kann seine Instanz genau nach seinen Erfordernissen anpassen und konfigurieren. Es bestehen hier also keine Abhängigkeiten von anderen Kunden oder Installationen.

Hochstandardisierter Betrieb Im alltäglichen Betrieb bieten SaaS-Anbieter umfangreiche Standards und Automatisierungen. Diese erhöhen Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit für die Nutzung der Anwendung und reduzieren die Fehleranfälligkeit sowie den Bedarf an technischer Expertise in der Behörde. Als Standard-Dienstleistung bietet ServiceNow beispielsweise einen Mechanismus, der Daten und Installationen in Echtzeit zwischen zwei deutschen Rechenzentren spiegelt und den vollständigen Basisbetrieb mit ApplikationsMonitoring, Back-Up, und Skalierung der Infrastruktur nach Leistungsbedarf gewährleistet. Über einen standardisierten Betriebs-Service-Katalog kann die Applikation mit wenig Aufwand nach den eigenen Erfordernissen gesteuert werden. All dies ist für den Kunden jederzeit in einem Portal einsehbar und damit transparent. SaaS-Lösungen sind sicher, flexibel und skalierbar und damit die ideale Grundlage für moderne und nachhaltige Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung.


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AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

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ie Stadtverwaltung entschloss sich 2019 dazu, das Problem der Dezentralität der Daten grundsätzlich zu beheben. Das große Ziel: Eine einheitliche, zentrale und digitale Datenablage, auf die alle abteilungs- und fachbereichsübergreifend zugreifen können. Technisch gesehen soll dafür eine zentrale BusinessIntelligence(BI)-Lösung geschaffen werden. Die Stadt bewarb sich beim BMVI für ein mFUNDProjekt. Das Förderprogramm mFUND unterstützt digitale Innovationen für eine Mobilität der Zukunft in Deutschland. Damit war sie fast die einzige Kommune, die dort als Hauptantragsteller auftrat. Überwiegend bewerben sich hierfür Universitäten oder Unternehmen. Das Projekt wurde bewilligt und wird seit Nov. 2019 bis Ende 2022 mit 1,28 Millionen Euro gefördert (Förderlinie 2/ Datenzugang/Projekt BI-F2022). Die Stadt Flensburg testet damit als Blaupause für andere Kommunen erstmals, wie sich die vormals getrennten, heterogenen Datenquellen vereinen lassen. Auch andere Kommunen starten BI-Projekte. Sie fokussieren sich aber meist nur auf einen Bereich wie die Finanzen.

Datenschutz von Anfang an mitdenken Der Flensburger Ansatz der zentral bereitgestellten Daten bietet zahlreiche Chancen: Zunächst können die internen Prozesse stark vereinfacht und beschleunigt werden. Der Datenschutz als zentraler Aspekt wird dabei von Anfang an mitgedacht. Über die BI-Lösung sollen Daten nur so nutzbar sein, dass der Datenschutz vollumfänglich eingehalten werden wird. Damit wird den Mitarbeitenden die bisherige große Verantwortung teilweise abgenommen. Neben den un-

Flensburg macht mehr aus seinen Daten Die Stadt liefert bis Ende 2022 eine Blaupause für ein zentrales BI-System

(BS/Dr. Thorben Kelling*) Die Stadt Flensburg hat in der Verwaltung sehr viele Fachverfahren, über die digital Daten erfasst und verarbeitet werden. In der Kernverwaltung sind ca. 1.500 Mitarbeitende in mehr als 40 Abteilungen tätig. Bisher arbeiten die Abteilungen digital getrennt voneinander. Jede erzeugt und pflegt “ihre” Daten. Möchte eine Mitarbeiterin auf Daten einer anderen Abteilung zugreifen, muss sie per Mail oder Telefon eine Auf Datenebene sind alle Anfrage an die Abteilung stellen und die Daten aufwendig beschaffen.

Kommunen vergleichbar

mittelbar entstehenden, instress”. Das Projekt wird ternen Nutzen sollen auch dann im Oktober 2022 mittelbare, externe Vorteile mit der Veröffentlichung entstehen. Denn auf der Dader Datenbankstrukturen und des Schlussberichts tengrundlage können die erfolgreich abgeschlosMitarbeitenden künftig bessen. ser “mit einer Stimme nach außen sprechen”. Die zenBeteiligte Abteilungen tral bereitgestellten Daten und Datenbestände sind einheitlich, für sie kann inhaltliche Verantwortung Für das Projekt wurden übernommen werden. Zuzunächst einige der 40 dem können die Daten, die Verwaltungsabteilungen ja durch die Öffentlichkeit In Flensburg will man das Problem der Dezentralität der Daten mit dem Projekt BI-F2022 grund- ausgewählt, wie u. a. das bereitgestellt und bezahlt sätzlich angehen und beheben. Grafik: BS/Stadt Flensburg Bildungsmanagement, die Jugend- und Sozialhilfewerden, den Einwohnerinnen und Einwohnern oder Ge- ses Vorgehen soll sicherstellen, BI-Tool ausgewählt werden, das Planung, die Statistikstelle, die werbetreibenden anonymisiert dass der Nutzen durch das BI- die hohen Anforderungen an den Abteilung Strategische Projekte leichter bereitgestellt werden Projekt auch anhand von Zah- Datenschutz erfüllt. Außerdem & Verkehr und Umwelt sowie die (Open-Data-Ansatz). Abteilungs- len eindeutig bewertet werden kommt eine lokale Instanz des Organisationsabteilung. Alle Abübergreifend können Use Cases kann. Zudem wurden externe, Systems losgelöst auf eigenen teilungen haben interessante Daentstehen, die Daten aus bisher fachliche Partner hinzugezogen Servern der Stadt zum Einsatz. tenbestände mit oft bereits sehr verschiedenen Abteilungen nun und technische Lösungen ausge- Es wird also nicht über eine strukturierten Daten, mit denen zusammen in den Blick nehmen. wählt. Auf der wissenschaftlichen Cloud-Technologie eingesetzt, zügig Ergebnisse erzielbar sind. Seite ist dies die Hochschule der wie es meist üblich ist. Hierzu zählen als BewegungsdaInternes und externes Stadt Flensburg. Prof. Dr. rer. ten unter anderem VerkehrsdaKnow-how wurde aufgebaut ten oder Daten zu Geburten und pol. Jan Gerken, Professor am Projektfahrplan bis Ende 2022 Gestorbenen. Hinzu kommen BeMit der Fördersumme wurden Fachbereich Wirtschaft, steuert zusätzliche personelle Kapazitä- dort das Projekt. Auf der techniBisher wurden die Gesamtkon- standsdaten aus dem Meldewesen ten geschaffen, sodass den Mit- schen Umsetzungsseite hat sich zeption des Projekts zur prak- wie Anzahl der Einwohnerinnen arbeitenden nicht zusätzliche die Stadt für die Firma akquinet tischen Umsetzung entwickelt, und Einwohner nach Alter, GeArbeitslasten aufgelegt werden AG mit Firmensitz in Hamburg erste Daten geladen und Dash- schlecht und Wohnsitz. Anhand müssen. Eine neue Projekt- entschieden, die sowohl im BI- boards erstellt. Der nächste kon- solcher Daten können zum Beimitarbeiterin in der Organisa- Sektor als auch im Bereich der krete Schritt ist die Einrichtung spiel frühe Entscheidungen für tionsabteilung beschäftigt sich öffentlichen Verwaltung Kunden einer datenschutzkonformen neue Schul- oder Sozialprojekte ausschließlich mit der Bewer- und Projekte vorweisen konnte. ETL-Strecke von der Extrakti- begleitet werden. Aber auch Datung der verbesserten Organisa- Die regionale Nähe zu den Part- on, der Transformation bis zum ten aus externen Quellen fließen tionsprozesse. Sie untersucht die nern war den Entscheidern trotz Laden von Daten. Danach folgen mit ein: Die Bundesagentur für bisherigen Arbeitsschritte und des digitalen Projektcharakters 2022 als Meilensteine ein realer Arbeit liefert Sozialdaten bzgl. vergleicht diese mit den neuen wichtig. Der IT-Partner akqui- Testbetrieb des BI-Systems in Arbeitslosengeld- und Hartz-IVProzessen hinsichtlich Quantität net brachte das BI-Know-how den Abteilungen durch die Fach- Empfängern. Das Statistikamt und Qualität der Prozesse sowie mit ein. Durch einen Auswahl- kräfte selbst, die Eingliederung Nord trägt Schuldaten wie die der bereitgestellten Daten. Die- prozess konnte ein geeignetes von Geodaten sowie ein “System- Anzahl der Schülerinnen und

Nachhaltige Digitalisierung

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or allem die Anforderungen an die digitale Infrastruktur waren durch Homeoffice und -schooling, Videotelefonie, Online-Einkauf, digitale Amtswege und Streamingdienste massiv erhöht. 45 Prozent der österreichischen Haushalte sind mit gigabitfähigen Anschlüssen ausgerüstet, hier hat sich der Ausbau einer leistungsfähigen Festnetzinfrastruktur in den letzten Jahren bezahlt gemacht. Bei der Versorgung mit 5G ist Österreich mit aktuell rund 58 Prozent der Haushalte an der europäischen Spitze. Und bis 2030 wollen wir Österreich flächendeckend mit festen und mobilen Gigabit-Anschlüssen für die digitale Transformation versorgen. In den letzten Monaten haben sich besonders die bereits umgesetzten Maßnahmen zur digitalen Transformation der Verwaltung bewährt. Erste Adresse für digitale Verwaltungswege sind in Österreich oesterreich.gv.at und die App “Digitales Amt”. Mit

Smart Country Convention Die Republik Österreich ist 2021 und 2022 Partnerland der “Smart Country Convention”. Der Event findet in diesem Jahr vom 26.-27. Oktober pandemiebedingt erneut als reine Online-Veranstaltung statt. Der Behörden Spiegel ist Medienpartner und wird in der Oktober-Ausgabe einen Sonderteil “Smart Country Convention” veröffentlichen. Mehr zum Event unter: www.smartcountry.berlin

Schüler pro Schulart und Klassenzug bei. Zum eigenen Personal fließen Daten vom Statistikamt Nord ein. Aus dem Wirtschaftsressort werden schließlich teilweise Haushaltsdaten geliefert, z. B. die geplanten Investitionen der Stadt Flensburg.

Schlüssel für die Zukunft Österreichs (BS/Dr. Margarete Schramböck) Die erfolgreiche digitale Transformation Österreichs und eine moderne digitale Verwaltung sind wichtige Kernpunkte unserer Politik und mir als Digitalisierungsministerin natürlich ein besonderes Anliegen. Auch bei den Herausforderungen der Corona-Krise haben sich die belastbare digitale Infrastruktur sowie die Digitalisierung von Verwaltungsservices besonders bewährt. Der Digitalisierungsgrad Österreichs wurde mit einem Schlag auf die Probe gestellt, die Netze haben gehalten und Österreich blieb in vollem Umfang arbeitsfähig. oesterreich.gv.at hat die Republik eine umfassende OnlinePlattform, auf der Bürgerinnen und Bürger zeit- und ortsunabhängig auf ihren Desktops oder mobilen Geräten Informationen abrufen sowie Amtswege erledigen können. 2020 verzeichnete oesterreich.gv.at über 40 Mio. Besuche, über 97 Mio. Seiten wurden aufgerufen. Noch mehr mobilen Komfort bei der Nutzung des Angebots von oesterreich.gv.at bietet die kostenlose App “Digitales Amt”. Seit dem Launch im März 2019 wurde die App über 300.000-mal aus den App Stores heruntergeladen. Über diesen zentralen MobileGovernment-Zugang ist das gesamte digitale Informationsangebot des Bundes uneingeschränkt zugänglich und es sind immer mehr Amtswege durchführbar. So wird beispielsweise fast jede vierte Wohnsitzänderung bereits via App erledigt. Digitalisierung sorgt in der Verwaltung für mehr Effizienz, wenn vorhandene Daten sinnvoll verknüpft und genutzt werden. Auf dieser Basis funktionieren No-Stop-Shops, von denen in Österreich bereits zwei Dienste zur Verfügung stehen. Eine Million Österreicherinnen und Österreicher profitieren bereits von der antragslosen Arbeitnehmer/innenveranlagung, in deren Rahmen Steuerpflichtige unabhängig von einem Antrag zu viel bezahlte Lohnsteuer automatisch zurückerstattet bekommen, wenn alle erforderlichen Daten vorhanden sind. Ähnlich erhielten bereits 1,5 Mio. Österreicher antragslos

Projekt befindet sich derzeit in der Pilotphase und geht Ende 2021 in Betrieb. Dr. Margarete Schramböck ist Mehr als 5,4 Mio. österreichische Bundesministerin für Digitalisierung und Menschen nutzen Wirtschaftsstandort. FinanzOnline, inFoto: BS/BMDW ternational ausgezeichnet und nach der Geburt eines Kindes das wichtigste E-Governmentautomatisch die Familienbeihilfe. Portal der Finanzverwaltung, Diese Anwendung wurde bereits das kostenlos rund um die Uhr 2015 mit dem Österreichischen zur Verfügung steht (finanzonVerwaltungspreis und dem Eu- line.bmf.gv.at). Damit können ropean Public Sector Award aus- Steuererklärungen sowie andere gezeichnet. Knapp 2,5 Mio. Personen nutzen die Handy-Signatur, das unterstreicht die Erfolgsgeschichte dieses digitalen Ausweises. Sowohl bei Steuererklärungen, Gewerbeanmeldungen, Kindergeld-Beantragungen oder “FinanzOnline”-Abfragen bietet die Handy-Signatur bereits mehrere 100 Formulare, die digital unterschrieben werden können. Die Signatur wird jetzt zur zukunftssicheren “ID Austria” weiterentwickelt, die es Menschen ermöglicht, sich online auszuweisen und damit digitale Services zu nutzen und Geschäfte abzuschließen. Zusätzlich zur vollen Datenhoheit und Rechtssicherheit bietet die ID Austria Schutz vor Identitätsdiebstahl und sie ist auch die Basis für die digitale Ausweisplattform, die in Zukunft als Sichtausweis wie etwa Führerschein oder Zulassungsschein genutzt werden kann. Eine Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten, auch auf privatwirtschaftliche Angebote, ist geplant. Das

Anträge jederzeit und bequem elektronisch erledigt werden. Im Jahr 2020 haben 2.6 Mio. Personen ihre Einkommensteuerveranlagung digital eingereicht. An Verwaltungskosten konnten damit seit 2003 rund 650 Mio. Euro eingespart werden. Das Unternehmensservice-Portal USP bietet mehr als dreitausend Informationsseiten und den direkten Zugang zu 70 Services (usp.gv.at). Um den Unternehmen noch bessere Übersichtlichkeit und eine leichtere Handhabung aller Features am USP zu bieten,

Auch wenn in anderen Kommunen die jeweiligen Abteilungen anders heißen oder aufgebaut sind, sind die Datenbestände selbst wahrscheinlich sehr ähnlich, insbesondere die Datenbestände in den weiteren 14 Kreisen und kreisfreien Städten Schleswig-Holsteins. Für BI-Projekte anderer Länder können die jeweiligen Landesgesetze zu leicht abweichenden Datenbeständen führen. Mit dem Projekt leistet die Stadt Flensburg eine wichtige Pionierarbeit. Die wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse werden andere Kommunen direkt in entsprechende Ausschreibungen und Verträge einbinden können. Die Corona-Pandemie hat ein großes Bewusstsein dafür geschaffen, dass die Digitalisierung in der Verwaltung vorangetrieben werden muss. Daraus resultierend werden hier sicherlich demnächst für solche BI-Projekte auch mehr Mittel geschaffen.

Weitere Informationen zum Projekt unter www.bmvi.de/Shared Docs/DE/Artikel/DG/mfund-pro jekte/bif2022.html *Dr. Thorben Kelling ist Leiter des Projektes BI-F2022 bei der Stadt Flensburg.

wird laufend an der Optimierung gearbeitet. Damit bietet das USP Unternehmen eine übersichtlichere Möglichkeit, sich für den persönlichen Arbeitsplatz “Mein USP” anzumelden, zusätzlich optimiert für den mobilen Einsatz. Knapp 367.000 Unternehmen nutzen das Portal heute. Die positiven Effekte der genannten Maßnahmen lassen sich vor allem an der Verbesserung Österreichs im “Digital Economy and Society Index 2020” der Europäischen Kommission ablesen. Vor allem beim digitalen Angebot der Verwaltung erreicht Österreich überdurchschnittliche Ergebnisse: So belegt Österreich beim letzten E-Government Benchmark der EU gleichauf mit Lettland den dritten Platz von 36 untersuchten Ländern und gehört mit Malta und Estland zu den Top-3-Nationen in Europa.


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Behörden Spiegel / September 2021 DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Baukastensystem für Rechtsbegriffe Digitaler Datenaustausch braucht digitaltaugliches Recht

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AGENDA2025

umfassenden Angleichung des Einkommensbegriffes. Es ist ausreichend, wenn der Begriff durch eine Modularisierung harmonisiert wird. Zur Illustration bietet sich die Metapher eines Baukastens an: Der Einkommensbegriff wird in eindeutig definierte Bausteine zerlegt. Mithilfe der so entstandenen Bausteine können die Behörden – wie beim Baukastensystem – auf die jeweils von ihnen benötigten Bestandteile zugreifen und diese (nach-)nutzen. Die eindeutig definierten Bausteine bringen die für den digitalen Datenaustausch erforderliche Standardisierung, bei gleichzeitig größtmöglicher Individualität und Differenziertheit der Rechtsbegriffe, die den jeweiligen Rechtskontexten und spezifischen Vorgaben entsprechen. Nur so kann die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass benötigte Daten verfahrensübergreifend und zwischen Behörden ausgetauscht (nachgenutzt) werden können. Dies spart Erfüllungsaufwand, reduziert zeitaufwendige Nachfragen und Erklärungen und entlastet nicht nur Antragsteller, sondern auch Behördenmitarbeiter. Denn verfahrensübergreifende, eindeutige Rechtsbegriffe sind stets Voraussetzung für eine reibungslose Nachnutzbarkeit der in den Datenfeldern enthaltenen Daten. In einem Glossar, das Auskunft über Rechtsbegriffe gibt (sog. “Data Dictionary”), sollten daher die Rechtsbegriffe eindeutig abgebildet und verbindlich festgelegt werden. Im Data Dictionary sollte auch enthalten sein, in welchen Registern und Fachverfahren diese Rechtsbegriffe in Datenfeldern abgebildet sind und wer dafür zuständig ist. In einem darauf aufbauenden Glossar zu den Datenfeldern und -schemata (sog. “Data Repository”) wird die technische Datenstruktur der Begriffe definiert. Das Föderale Informationsmanagement (FIM) beinhaltet bereits u. a. ein Datenmodell, das alle für den Ver-

waltungsvollzug erforderlichen Datenfelder, Code-Listen und Regeln enthält. Allerdings hat das FIM-Konzept in der Praxis noch nicht die Reichweite, der es für die angestrebte Registermodernisierung bedürfte. Um Gesetze praxistauglich umsetzen zu können, muss die digitale Umsetzung von Anfang an bei der Gesetzesvorbereitung mitgedacht werden. Dabei spielt die Datenstruktur gerade bei verfahrensübergreifenden Prozessen eine entscheidende Rolle. Deshalb sollten die begrifflichen Informationen aus dem sog. “Data Dictionary” sowie die Informationen zur technischen Datenstruktur aus dem sog. “Data Repository” für die Formulierung eines Rechtstextes genutzt oder, falls noch nicht vorhanden, neu definiert, abgestimmt und zur Nachnutzung hinterlegt werden. “Dieser Matching-Prozess von Recht und Technik ist echte Detailarbeit. Es muss herausgearbeitet werden, inwieweit einzelne Rechtsbegriffs-Bausteine, die in bestimmten Datenfeldern der Register und Fachverfahren enthalten sind, mit jenen Rechtsbegriffs-Bausteinen zusammenpassen, die für die Nachnutzung bei anderen Fachverfahren nötig sind. Die jeweiligen Rechtsbegriffs-Bausteine und Datenstrukturen müssen also präzise abgebildet werden”, so die Gutachter der Studie Werner Achtert von msg und Jun.Prof. Dr. Maria Marquardsen von der Ruhr-Universität Bochum. Dass sich diese Detailarbeit für eine moderne bürger- und beschäftigtenorientierte digitale Verwaltung aber lohnen wird, davon sind der Nationale Normenkontrollrat und die Gutachter überzeugt. *Kathleen Jennrich arbeitet für das Sekretariat des Nationalen Normenkontrollrates (NKR). *Prof. Dr. Sabine Kuhlmann ist stellvertretende Vorsitzende des NKR.

Mentale Transformation Changemanagement für die Verwaltung 4.0 (BS/Wilfried Kruse*) Am 10. November wird der Kongress “e-nrw” pandemiebedingt als virtueller Kongress stattfinden. NRW-Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart wird den Event als Keynote-Speaker wiederum eröffnen und sicher eine “digitale Bilanz” aus der auslaufenden Legislaturperiode des Landtages präsentieren, schließlich stehen im Mai 2022 wieder Landtagswahlen an. Die Kommunalwahl im September 2020 hat viele neue Führungspersönlichkeiten in die Spitzenämter der Kommunen gebracht, die sicher mittlerweile auch für sie teilweise völlig neue “politische und administrative Luft” geschnuppert haben. Die Notwendigkeit, Führungsetagen und Mitarbeitende in ihren neu und mit viel persönlichem Engagement geführten Verwaltungen mit auf den Weg der mentalen Transformation im digitalen Zeitalter zu nehmen, werden Anna-Katharina Bölling, neue Landrätin des Kreises Minden Lübbecke, und Ursula Baum, neue Bürgermeisterin der Stadt Kaarst, im Kongress darstellen, stellvertretend für viele neue Frauen und Männer in den Spitzenämtern nach der Kommunalwahl. Der mentalen Transformation dient auch ein innovatives Change-Projekt aus Ostwestfalen, das sich als Blaupause

für den Weg zur digitalisierten Verwaltung 4.0 anbietet: In gemeinsamer Erarbeitung von ca. einem Drittel seiner ca. 40 Verbandsmitglieder laufen seit Januar 2021 im krz Lemgo, mit externer Unterstützung von IVM², individuelle, auf jeweils ca. sechs Monate ausgerichtete Projekte zur Erarbeitung einer konkreten Digitalisierungsstrategie für die jeweilige Kommune. Die ersten “fertigen” Digitalisierungsstrategien konnte Lars Hoppmann, Geschäftsleiter des krz Lemgo, bereits den Kommu-

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 10. November 2021 ONLINE-EVENT www.e-nrw.info

Vertrauenswürdige Netzinfrastruktur als Basis für Resilienz und digitale Souveränität

Deutschland wird digitalisiert

(BS/Kathleen Jennrich/Prof. Dr. Sabine Kuhlmann*) Jeder hat es vielleicht schon einmal erlebt: Man erhält ein Schreiben einer Behörde mit der Bitte, man solle noch diese oder jene Bescheinigung einer anderen Behörde vorlegen. Dabei hatte man doch eigentlich nur eine simple Verwaltungsleistung beantragt. Wäre es nicht einfacher und schneller, wenn die Behörden – mit Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger – die für die Verwaltungsleistung erforderlichen Daten untereinander austauschen würden? “Once Only” ist das Zauberwort hierfür. Nach diesem Prinzip sollen die Daten laufen, nicht der Bürger. In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode hat die Bundesregierung mit dem Registermodernisierungsgesetz und dem Unternehmensbasisdatenregistergesetz die Grundlage für den Aufbau einer modernen Registerlandschaft geschaffen, die den Austausch der zu einer Person oder zu einem Unternehmen vorliegenden Daten zwischen den Behörden grundsätzlich ermöglicht. Beide Gesetze stellen wichtige Meilensteine auf dem Weg, das Once-Only-Prinzip praktisch umzusetzen, dar. Allerdings bestehen weitere Herausforderungen, die dringend anzugehen sind. So besteht ein Schlüsselproblem darin, dass die in den mehreren tausend Fachverfahren und mehreren hundert Registern deutscher Behörden gespeicherten Daten je nach Gesetzeszweck auf unterschiedlichen Begriffsverständnissen, beispielsweise zum Begriff des “Einkommens” oder des “Vermögens” eines Bürgers, beruhen. Anders ausgedrückt: in Bezug auf ein und dieselbe Person ist Einkommen eben nicht gleich Einkommen und Vermögen ist nicht gleich Vermögen, wenn es sich um unterschiedliche Rechtskontexte und Verwaltungsverfahren handelt. Vor diesem Hintergrund stößt der digitale Datenaustausch schnell an seine Grenzen. Eine verfahrensübergreifende Nutzung der Daten zum Einkommen oder Vermögen einer Person wird dann unter dem Gesichtspunkt von “Once Only” erheblich erschwert, eventuell gar unmöglich. Dass dies dennoch gelingen kann, zeigt das jüngste Gutachten des Normenkontrollrates “Digitale Verwaltung braucht digitaltaugliches Recht – der modulare Einkommensbegriff”. Das Gutachten zeigt anhand des Einkommensbegriffes, wie das Einkommen in den verschiedenen Verwaltungsverfahren einfacher, eindeutig und digital nachgewiesen werden kann. Für einen effektiven digitalen Datenaustausch bedarf es keiner

Verwaltung souverän digitalisieren

nen übergeben. Die Umsetzung der erarbeiteten Digitalstrategien u. a. in Halbjahresprojekten mit vorbereitenden Change-Modulen, sollen bereits jetzt beginnen. Sie haben nicht nur das Ziel, die pflichtigen Aufgaben der Digitalisierung, wie z. B. die Umsetzung des OZG pp. zu garantieren, sondern am Ende des Umsetzungszeitraumes eine möglichst komplett digitalisierte Verwaltung mit digitalen und vorbildlichen Services für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen garantieren zu können. Auch darüber wird auf e-nrw berichtet werden. *Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM², ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 10. November als virtuellen Kongress veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.e-nrw.info

(BS/Dirk Hetterich) Ob Onlinezugangsgesetz oder pandemiebedingte Remote Work: Noch nie war die Notwendigkeit der Digitalisierung der Verwaltung so offensichtlich. Gleichzeitig nehmen sowohl Cyber-Angriffe als auch geopolitische Spannungen zu und setzen staatliche Infrastrukturen unter Stress. Vertrauenswürdige, BSI-zertifizierte Lösungen “made in Germany” helfen Bund, Ländern und Kommunen, ihre IT digital souverän und resilient aufzustellen und effektiv gegen Angriffe von außen zu schützen. Integrität, Verfügbarkeit und Authentizität sind die zentralen Gradmesser in der digitalisierten Verwaltung. Diese sicherzustellen, setzt mehr als nur technische IT-Sicherheit voraus. Eine der Kernfragen ist, wie anfällig ein Technologielieferant für drittstaatliche Einflussnahme ist, die unseren eigenen Sicherheitsinteressen entgegensteht. Entsprechend hat das BMI bereits 2014 als Reaktion auf den NSA-Skandal mit seinem No-SpyErlass und im Jahr 2016 mit der Überarbeitung der EVB-IT und der enthaltenen technischen No-Spy-Klausel die Vertrauenswürdigkeit zum Muss-Kriterium für Investitionen des Bundes erhoben. Auch in der Neufassung des IT-Sicherheitsgesetzes vom Mai dieses Jahres schlägt sich dies nieder.

Vertrauenszeichen “IT-Security made in Germany” Ein guter Ausgangspunkt sind die Lösungen von Herstellern, die das von Bundeswirtschaftsund Bundesinnenministerium initiierte Vertrauenszeichen “IT Security made in Germany” (ITSmiG) tragen dürfen. Neben einem

Hauptsitz in Deutschland – und damit frei von drittstaatlicher Einflussnahme – haben sie sich der Vertrauenswürdigkeit und DSGVO-Konformität ihrer Lösungen verpflichtet. Sie nutzen hochsichere Verschlüsselung und garantieren, dass es keinerlei versteckte Zugangsmöglichkeiten (Backdoors) gibt. Kurzum: sie vereinen alle Voraussetzungen, die für den Schutz vor Datenabfluss, Manipulation oder Sabotage unabdingbar sind. LANCOM ist der einzige Netzwerk-Vollsortimenter, der ITSmiG tragen darf. Mit seinem Endezu-Ende-Portfolio für LAN, WAN, WLAN, Security & Remote Work vernetzt das deutsche Unternehmen seit Jahren Verwaltungseinrichtungen auf kommunaler,

Landes- und Bundesebene sowie BOS wie Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehr.

BSI-Zertifizierung als Indikator

Die zweite Säule ist die technische IT-Sicherheit. Einen exzellenten Indikator für das Sicherheitsniveau bieten unabhängige Testate durch das BSI. So setzt beispielsweise das neue BSI-Schema “BSZ” nicht zuletzt das Bestehen umfangreicher Penetrationstests voraus und verpflichtet die Hersteller, im Falle von Sicherheitslücken zeitnah die nötigen Patches zu liefern. Die erste BSZ-Zertifizierung wurde im Juni 2021 an LANCOM vergeben. Behörden und Institutionen, die ihre digitale Souveränität stärken und ihre digitalen Systeme resilient, DSGVOkonform und Dirk Hetterich ist rechtssicher ausDirector Public bei gestalten möchLANCOM Systems. ten, finden daFoto: BS/LANCOM mit in deutschen IT-Anbietern wie LANCOM einen idealen Partner.

Zukunftssicher im digitalen Raum Modernes und sicheres Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung (BS/Michael Hlevnjak*) Arbeiten von überall aus und das mit sicherem Zugriff auf alle benötigten Informationen und Daten? Die Verlagerung von Prozessen und Arbeitsabläufen in den digitalen Raum? Was für viele vor Kurzem noch nach Zukunftsmusik klang, ist durch die Covid-19-Pandemie heute vielerorts Realität – auch in der öffentlichen Verwaltung. Durch eine schnelle Reaktion auf die veränderten Umstände und geeignete Lösungen konnten viele deutsche Behörden nicht nur ihren Betrieb für die Bürger fortsetzen, sondern auch notwendige Anpassungen für eine dauerhaft veränderte Arbeitsweise vornehmen. Ob Kommune oder Bundesbehörde – durch den Ausbruch von Covid-19 mussten die Verantwortlichen im gesamten öffentlichen Sektor innerhalb weniger Tage die Voraussetzungen für Remote Work schaffen und ihre Mitarbeiter anschließend ins Homeoffice schicken. Insbesondere Ämter, die sich bereits mitten in ihrer digitalen Transformation befanden und beispielsweise schon über moderne Lösungen verfügten, konnten sich relativ problemlos an die neuen Begebenheiten anpassen.

Flexibilität bei hoher IT-Sicherheit Nachdem sich die neuen Prozesse und Abläufe eingependelt hatten, verliefen die letzten 18 Monate in den meisten Behörden erfolgreich. Nun stellt sich vielen Verantwortlichen aber die Frage, wie sie sich aufstellen müssen, um auch in Zukunft ein modernes und sicheres Arbeitsumfeld gewährleisten zu können. Zusätzlich sind sie durch das Onlinezugangsgesetz angehalten, das Thema E-Government weiter zu beschleunigen. An dieser Stelle können Anbieter wie Citrix helfen, indem sie Behörden und Ämtern mit ihren Technologien umfassende Möglichkeiten bieten, auch in Zukunft sichere

und moderne Arbeitskonzepte umzusetzen. So bietet beispielsweise der Workspace-Ansatz von Citrix der IT-Abteilung von Behörden die Möglichkeit, alle Applikationen, Desktops und Anwendungsplattformen den Nutzern zentral über eine integrierte Lösung auf nahezu jedem Endgerät zur Verfügung zu stellen. Über die intuitive Benutzeroberfläche erreichen die Mitarbeiter so alle Ressourcen, die sie für ihre tägliche Arbeit benötigen, ob sie dabei im Büro oder Zu Hause arbeiten. Die mobilen Geräte können zudem zentral von den IT-Experten verwaltet und durch einheitliche Sicherheitsrichtlinien geschützt werden. Um die Sicherheit zu erhöhen, gerade auch wenn die Mitarbeiter aus ihrem oft weniger geschützten Heimnetzwerk oder sogar einem öffentlichen WLAN-Spot auf das interne Netzwerk zugreifen, können verschiedene Maßnahmen implementiert werden. Dazu gehören Single Sign-on (SSO), um die Gefahr durch Phishing-Angriffe zu reduzieren, oder Watermarking-Funktionen, um Datendiebstahl zu verhindern. Ebenfalls möglich ist die Implementierung eines SecureAccess-Service-Edge(SASE)Architekturmodells, einschließlich eines identitätsbewussten

Zero-Trust-Zugriffs, SD-WAN und KI-basierter Analysen zur Aufdeckung von ungewöhnlichen Aktivitäten und Richtlinienverstößen.

Moderne IT-Umgebung hilft Mitarbeitern und Bürgern Der Schlüssel einer erfolgreichen Digitalisierung der Verwaltung sind die Integration unterschiedlichster Plattformen und Anwendungen sowie die Unabhängigkeit von Hardware, Betriebssystemen und starren Bereitstellungskonzepten. So erhalten Mitarbeiter leicht und unabhängig von ihrem Standort Zugriff auf alle Daten und Dokumente, die sie tagtäglich brauchen, und Abteilungen und ganze Behörden können enger miteinander verzahnt werden. Dies entlastet nicht nur die Mitarbeiter bei der Arbeit und sorgt dafür, dass sich Verwaltungsvorgänge für die Bürger erheblich beschleunigen. Darüber hinaus stärkt die öffentliche Verwaltung damit auch ihre Attraktivität als Arbeitgeber, da sie Fachkräften ein modernes Arbeitsumfeld bieten kann – dieser Faktor wird künftig immer stärker an Bedeutung gewinnen. *Michael Hlevnjak ist als Di rector Public Sector Germany bei Citrix tätig.

MELDUNG

Katalog von Sicherheitsanforderungen festgelegt (BS/lma) Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat zusammen mit dem BSI und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit den Katalog von Sicherheitsanforderungen festgelegt. Die Festlegung erfolgte dabei auf Grundlage neuer Kompetenzen nach dem IT-SiG 2.0. Im Katalog werden unter-

schiedliche Gefährdungspotenziale berücksichtigt und Netzbetreiber und Diensteanbieter dazu verpflichtet, hohe Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Erstmals werden auch Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze mit erhöhtem Gefährdungspotenzial eingestuft, an die besondere Sicherheitsanfor-

derungen gerichtet werden. Darüber hinaus werden im Katalog kritische Funktionen benannt. Komponenten, die solche Funktionen haben, seien besonders schutzwürdig und unterlägen deswegen weiteren gesetzlichen Anforderungen wie zum Beispiel einer Zertifizierungspflicht, so die BNetzA.


Behörden Spiegel / September 2021

M

it dem IT-Grundschutz liefert das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) seit über 25 Jahren ein Fundament für die Absicherung von Daten, Systemen und Informationen und damit das erste und größte ISMS. Neben den technischen Komponenten stehen auch infrastrukturelle, personelle und organisatorische Themen in der Betrachtung. Die BSI-Standards liefern diesbezüglich empfohlene Vorgehensweisen und das IT-Grundschutz-Kompendium formuliert konkrete Anforderungen, welche die Unternehmen und Institutionen zu erfüllen haben. Dabei ist der IT-Grundschutz aber nur eine Möglichkeit für die Einrichtung eines ISMS, je nach Größe und Komplexität des Unternehmens können auch die Systeme der ISO-27000-Familie, ISIS12 oder VdS 10000 eine angemessene Schutzfunktion liefern.

Alle Mitarbeitenden mitnehmen­ Doch wie in der generellen Diskussion rund um die IT-Sicherheit gilt auch für ISMS das Credo: Alle Mitarbeitenden müssen auf den Schutzbedarf der Prozesse und Informationen aufmerksam gemacht werden. Kampmann weist darauf hin, dass dies nicht nur für die Arbeiter/innen vor Ort gilt, sondern für alle Bürger/ innen: “Von der Bürgermeisterin bis zu jedem Gärtner, jeder sollte ein Grundverständnis von Informationssicherheit haben und mitmachen. Wünschenswert wäre es natürlich auch, wenn die Awareness auch schon ohne Dienstanweisung gegeben wäre.” Das IT-Sicherheitscluster e. V. liefert deshalb seit gut zehn Jahren ein Modell, das in zwölf Arbeitsschritten ein verständlich aufgebautes Informationsmanagement ermöglicht. Seit Juni in der dritten Version auf dem Markt, ist es für Einsteiger/-innen und

Informationstechnologie

Gut vorgesorgt

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weist das LSI stets darauf hin, dass dies nur ein Einstieg für die Gemeinden darstelle: “Es stellt eine Art Selbstreflexion für die Verantwortlichen dar. Dieser Einstieg ist vor allem für kleine(BS/Paul Schubert) “Informationssicherheit beginnt mit einem aufgeräumten Desktop und endet mit einem gut durchgeführten Informations- re Kommunen interessant. Eine Sicherheits-Management-System”, sagt Dr. Matthias Kampmann, Leiter F&E des IT-Sicherheitsclusters e. V. Tatsächlich sind Informations-­ 300-Seelen-Gemeinde wird sich Sicherheits-Management-Systeme (ISMS) wichtig, um Prozesse und Strukturen zu organisieren. Für die Einrichtung eines ISMS gibt es verschie- mit dem IT-Grundschutz verhedene Optionen, welche branchenunspezifisch angewandt werden können. Es gibt aber auch speziell dafür angefertigte Profile, welche auf die ben”, erklärt Katheder. Allerdings jeweiligen Branchen ausgerichtet sind. ersetzt das Siegel kein ISMS und ist auch unabhängig von einem Anwender/-innen aus kleinen “Das IT-Grundschutz-Profil konkreten ISMS-Standard: “Bei Basis-Absicherung Kommunal- der Entwicklung des Siegels “Komund mittelgroßen Organisationen besonders geeignet. “Die ISO-Norverwaltung kann als Schablone munale IT-Sicherheit” wurden die genutzt werden, um ein Sicher- bei bayerischen Kommunen vermen, welche als Voraussetzungen heitskonzept zur erstellen, mit breiteten ISMS in Bezug auf den für ISMS formuliert sind, oder der dem Kommunen überprüfen und Umfang der jeweils behandelten IT-Grundschutz sind bisweilen zu umfangreich für kleinere Komdokumentieren können, ob die Informationssicherheitsaspekte munen. Mit ISIS12 haben wir ein wichtigsten Sicherheitsanfor- verglichen. Das Siegel berücksichSystem geschaffen, das in kleinen derungen im Bereich Prozesse, tigt die grundlegenden Fragen der Verwaltungen gut einzusetzen IT-Systeme und Infrastruktur Informationssicherheit, die in der bereits umgesetzt sind. Mögli- Schnittmenge der betrachteten ist”, so der Leiter Forschung und che Sicherheitslücken können Standards abgedeckt sind”, heißt Entwicklung des Clusters. so schneller geschlossen wer- es aus dem LSI. “ISIS12 versucht, dabei so absden. Das Profil richtet sich an trakt wie nötig, aber so konkret wie möglich zu bleiben. In der Auch für die Nutzung von Informations-Sicherheits-Management-Systemen gilt: die Informationssicherheitsbe- Nicht von heute auf morgen Version drei haben wir nun, den Die Mitarbeitenden müssen geschult werden. Ohne eine angemessene Awareness auftragten der Kommunen. Wenn Im Endeffekt ist es aber AnEntwicklungen im ISMS-Bereich auf Mitarbeiter-Ebene wird es selbst für das beste IT-Sicherheitssystem schwer, die Kommunen beziehungsweise sichtssache, ob sich eine Komfolgend, den Schwerpunkt noch einen dauerhaften Schutz zu gewährleisten. der lokale ISB in der Anwendung mune oder Behörde mit dem ITFoto: BS/athree23, pixabay.com stärker auf Compliance gelegt noch unerfahren sind, können Siegel schmückt, ein kommunales und dies mit dem Namen CISIS- der Privatwirtschaft. Auch dieses Spitzenverbände Deutscher Städ- auch Beratungsunternehmen Grundschutzprofil anwendet oder 12 zum Ausdruck gebracht, in ISMS zeigt Richtlinien auf, die tetag, Deutscher Landkreistag wie die Securion hinzugezogen ein vollumfängliches ISMS wie dem das “C” für Compliance als Mindestanforderungen für und der Deutsche Städte- und werden”, erklärt Heimfarth. den IT-Grundschutz, ISIS12V3.0/ steht.” Dennoch sieht Kampmann die Informationssicherheit für Gemeindebund. “Als mit der In Bayern gibt es für kleine und CISIS12 oder VdS 10000 nutzt. CISIS12 nicht als Konkurrenz- kleinere und mittlere Unterneh- Modernisierung des IT-Grund- mittlere Kommunen noch eine Im Fokus sollte vor allem die Beprodukt zur ISO-27000-Familie, men verstanden werden sollen. schutzes die Profile eingeführt andere Möglichkeit, um nachzu- reitschaft stehen, Informationssizum IT-Grundschutz oder zu VdS wurden, haben die kommunalen weisen, dass sie eine Mindestab- cherheit als wichtigen Bestandteil 10000: “Das eine ISMS schließt Grundschutz-Profile als Spitzenverbände die Möglichkeit sicherung in der Informations- der Struktur einer Institution zu ­weitere Option das andere nicht aus, ich würde realisiert, Kommunalverwaltun- sicherheit etabliert haben. Das erfassen. “Ein ISMS muss mit diese ganzen Angebote eher als Eine weitere Möglichkeit für gen Hilfsmittel zur Erstellung Landesamt für Sicherheit in der Seriosität, Sorgfalt und Gespür ergänzt verstehen”, erklärt der die Sicherung der Informati- von Sicherheitskonzepten auf der Informationstechnik (LSI) bietet für den Menschen und die OrgaSicherheitsexperte. Auch einige onssicherheit können auch IT- Grundlage des IT-Grundschutzes mit dem Siegel “Kommunale IT- nisation eingesetzt werden. Man Länder unterstützen die Nutzung Grundschutz-Profile sein. Sie zur Verfügung zu stellen” erklärt Sicherheit” den Kommunen die sollte nicht die Einstellung besitvon CISIS12/ISIS12 im kom- gelten auch als ISMS, sind aller- Margot Heimfarth, Geschäfts- Chance, eigenverantwortlich die zen, dass sich eine Eta­blierung munalen Bereich. Im Freistaat dings als Hilfsmittel anzusehen, führerin der Securion Rhein- Sicherung von Daten und Pro- von heute auf morgen oder über Bayern und im Saarland wird die um Managementsysteme nach land-Pfalz GmbH. “Nach diesen zessen nachzuweisen. “Bei einer Nacht bewerkstelligen lässt, das Einrichtung des Managementsys- IT-Grundschutz aufzubauen. Überlegungen wurde eine Ar- gewissen Erfüllungsquote gibt braucht seine Zeit” so Dr. Matthias tems finanziell gefördert. IT-Grundschutz-Profile werden beitsgruppe mit Praktiker(inne)n es für die Kommune ein Siegel. Kampmann vom IT-SicherheitsDie dritte gängige Option eines von Vertreter(innen) der Bran- aus Kommunen und von kom- Das gibt auch die Botschaft an cluster e. V. Das Angebot für ManagementISMS ist das VdS 10000 von der chen angefertigt, also von aus- munalen Dienstleistern gebildet, die Bürgerinnen und Bürger in VdS Schadenverhütung GmbH. gewähltem Personal, welches die welche ein IT-Grundschutz-Profil Bayern weiter, dass ihre Daten systeme ist also für große und Das VdS 10000 richtet sich auch Fachkenntnisse für die jeweiligen entwickelt haben, welches nun dort sicher sind”, erklärt Bernd kleine Institutionen gleichermaeher an kleinere Kunden, aller- Branchen besitzt. Im kommu- von den Kommunen freiwillig Katheder, Abteilungsleiter Sicher- ßen vorhanden. Nur kümmern heitsberatung im LSI. Allerdings müssen diese sich selber. dings überwiegend im Bereich nalen Umfeld sind dies die drei genutzt werden kann.”

Sicherheitskonzepte für Groß und Klein


Informationssicherheit / PITS

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Behörden Spiegel / September 2021

Mit System zu mehr Informationssicherheit

Sichere digitale Verwaltung mit SINA

Sicherheitsstrategien und Konzepte im Überblick

Zugelassen bis Geheimhaltungsstufe GEHEIM

(BS/Oliver Wege) Sicherheitsstrategien und Sicherheitskonzepte sind keine Erfindung des Informationszeitalters. Systematische Sicherheitskonzepte wurden schon viel früher entwickelt. Ein Beispiel aus der Systemverfahrenstechnik: Es soll ein unter Druck betriebener Rührbehälter vor dem Zerplatzen geschützt werden. Mit sogenannten Berstscheiben, die nur einen bestimmten Druck aushalten, kann als entgegenwirkende Sicherheitsmaßnahme dieser Gefährdung begegnet werden. Nach diesem grundlegenden Prinzip sind auch aktuelle IT-Sicherheitsstandards aufgebaut.

(BS/Patrick Franitza*) Die Covid-19-Pandemie agiert als Trendbeschleuniger im Arbeitskosmos: Mobiles Arbeiten und flexible Homeoffice-Konzepte sind etablierter denn je und auch Behörden setzen zunehmend auf Digitalisierungsmaßnahmen. Dabei ist der Anspruch an moderne und sichere Hard- und Software sowie Netzinfrastrukturen hoch. Denn mit der fortschreitenden Technisierung wird beispielsweise auch die Gefahr von Cyber-Attacken größer – und das kann gerade in der öffentlichen Verwaltung enorme und weitreichende Schäden anrichten. Die Lösung: SINA, die “Sichere Inter-Netzwerk Architektur” von secunet, Deutschlands führendem Cyber-Security-Unternehmen und IT-Sicherheitspartner der Bundesrepublik Deutschland.

Im deutschen Sprachraum ist der IT-Grundschutz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) führend. Aufbauend auf dem bekannten Paretoprinzip (besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden können) wurde ein Katalog von Standard-Sicherheitsgefährdungen und -maßnahmen im Rahmen eines “GrundschutzKompendiums” aufgestellt. Zudem wurden vier BSI-Standards vorangestellt, die die Konformität mit den internationalen ISO/ IEC-Standards der Normenreihe 270xx und eine entsprechende Zertifizierung sicherstellen sollen. Einer dieser BSI-Standards beschreibt dann auch den Umgang mit höherwertigen Sicherheitsgefährdungen. Mittlerweile wird über den Rechtsbegriff “Stand der Technik” in der europäischen Datenschutzgrundverordnung und im deutschen IT-Sicherheitsgesetz quasi auf den IT-Grundschutz des BSI referenziert. International sind neben den schon genannten ISO/IEC-Standards der Normenreihe 270xx, welche grundlegend auf dem PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check und Act – nach dem Erfinder auch Demingkreis genannt) basieren, weitere Sicherheitsstandards insbesondere im amerikanischen Raum etabliert. Zu nennen wären da ähnlich aufgebaute LifeCycleKreismodelle, Würfel-Modelle wie COBIT und New-Security-Cubus sowie sektorspezifische Spezialnormen für bestimmte Spezialbereiche. Zum Beispiel IEC 62443 – Zertifizierung der IT-Sicherheit in industriellen Automatisierungs- und Kontrollsystemen; IEC 80001 – IT-Sicherheit der an das IT-Netzwerk angeschlossenen Medizintechnik; TISAX – definierter Standard der Automobilindus­

trie für Informationssicherheit; GAMP – Standardregelwerk für computergestützte Systeme in der pharmazeutischen Industrie; HIPAA – Regeln für US-Unternehmen im Gesundheitswesen; NERC CIP 5 – elektrische Systeme in Nordamerika. Auch in Deutschland hat es immer wieder Versuche gegeben, Alternativmodelle zu entwickeln, etwa die Sicherheitspyramide von Klaus-Rainer Müller. Insbesondere wurden einige Versuche unternommen, den doch sehr hohen Aufwand bei der vollständigen Umsetzung des IT-Grundschutzes nach BSI zu verringern. Das über 800 Seiten starke IT-Grundschutzkonvolut erfordert schon Spezialisten in der Umsetzung und hat sich deshalb auf nationaler Ebene eher bei größeren Behörden und Unternehmen etabliert. Selbst das BSI reagierte ab 2014 durch eine Reform des IT-Grundschutzes, indem zwei Vorstufen (Basis- und Kernabsicherung) eingeführt wurden. Zudem gibt es inzwischen ein IT-Grundschutz-Profil “BasisAbsicherung für Kommunen”, das Kommunalverwaltungen beim Einstieg in den systematischen Aufbau von Informationssicherheit unterstützen soll. Des Weiteren wurden für kleinere Kommunen und KMU vom ITSicherheitscluster e. V. ISIS12 und vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft die VdS 10000 entwickelt, die aber laut BSI auch nur eine Vorstufe zum IT-Grundschutz darstellen. (Mehr zur Einführung von IT-Sicherheitsmanagementsystemen auf Seite 37)

Alternative zu starren Konzepten Allerdings sind auf diese Art erstellte Sicherheitskonzepte doch

eher unflexibel. Und tatsächlich stellten bei den aktuellen Sicherheitsvorfällen häufig solche, oft auch als “Schrankware” verspottete Sicherheitskonzepte keinen wirklichen Schutz vor Hackern dar. Um hier mehr zu erreichen, kann ATT&CK eingesetzt werden. Damit werden starre Sicherheitskonzepte um eine Betrachtung auf aktuellem Stand ergänzt bzw. ggf. sogar ersetzt. In Zeiten von Künstlicher Intelligenz und absehbar verfügbaren Quantencomputern sind sowieso neue, agilere Vorgehensweisen erforderlich, um auch bei sich immer schneller entwickelnden neuen Techniken adäquat schützen zu können. MITRE, eine Abspaltung des berühmten MIT und bekannt für die Verwaltung der CVE-Nummern, hat in diesem Rahmen die ATT&CK-Methode (Adversarial Tactics, Techniques & Common Knowledge), eine systematische Kategorisierung von aktuellen Angriffsmustern, vorgestellt. Vorgefertigte Matrizen enthalten die verschiedenen aktuellen Taktiken und Techniken, die per Navigator zudem flexibel bearbeitet werden können. Im Angriffsfall sind insbesondere die Views nach Hackergruppen (z. B. APT 28) oder nach Schadsoftware (z. B. Emotet) interessant. Daraus können dann sofort mögliche Gegenspieler-Verhaltensmuster entwickelt werden. Darüber hi­ naus kann man mit ATT&CK bei Anwendung generischer Begriffe (z. B. “Web” oder “Mail” für Web/ Mailserver) Checklisten gegenüber aktuellen Bedrohungen erstellen – in der Landesverwaltung Brandenburg wurden damit gute Erfahrungen gemacht. Aktuell erarbeitet MITRE gerade eine weitere neue Matrix für den KIBereich.

MELDUNG

NRW untersucht Sicherheitsniveau von KMU (BS/ml) Im Auftrag des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes untersucht die Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld mittels einer Online-Umfrage, wie gut kleine und mittlere Unternehmen in Nordrhein-Westfalen vor Spionage, Sabotage und Cyber-Angriffen geschützt sind. Der Schaden für die Wirtschaft durch solche Angriffe habe sich in den letzten beiden Jahren mit 220 Milliarden Euro mehr

als verdoppelt. Das erste Lagebild aus dem Jahr 2019 habe gezeigt, dass mehr als ein Drittel der mittelständischen Unternehmen kaum gegen Angriffe geschützt sei und das Schutzniveau insgesamt stark ausbaufähig sei, so das Innenministerium. Mit der neuen Umfrage solle erfragt werden, wie es um das Sicherheitsniveau bestellt sei und ob sich seit 2019 etwas verändert habe.

Mit der SINA Workstation im Homeoffice – komfortabel und trotzdem sicher

In einer zunehmend vernetzen Welt sorgt das Unternehmen mit der Kombination aus Produkten und Beratung für widerstandsfähige, digitale Infrastrukturen und den höchstmöglichen Schutz für Daten, Anwendungen und digitale Identitäten. Der Idee entsprungen, analoge Sicherheitslösungen für sensible Verschlusssachen durch digitale Technologien zu ersetzen, bietet SINA ein umfassendes Sicherheitsportfolio, das unter anderem bei Bundes- und Landesbehörden sowie -ministerien eingesetzt wird. Auch bei der Bundeswehr und Kritischen Infrastrukturen wie Energie- oder Wasserversorgern findet SINA Anwendung. Anstelle kostspieliger und umständlicher Einzellösungen für die lokale IT-Sicherheit bietet SINA eine zeitgemäße Gesamtlösung für sämtliche Sicherheitsbelange. Damit ist nicht nur die sichere Umsetzung digitaler Verwaltungsmöglichkeiten gewährleistet. Eine einfache Handhabung sowie vertraute Arbeitsoberflächen sorgen zudem für eine hohe Nutzerfreundlichkeit. Außerdem können die aufeinander abgestimmten Komponenten einheitlich und zen­ tral administriert werden, was nicht nur Zeit, sondern auch Personalressourcen spart. Die SINA Workstation S als mobiler und sicherer Arbeitsplatz, das digitale Managementsystem für Verschlusssachen SINA Workflow und das Multikrypto-Telefon SINA Communicator H garantieren umfassende Sicherheit von Daten und bilden die ideale Basis für die digitale Verwaltung.

Komplexe Vorgaben bedürfen sicherer Lösungen Gerade im Öffentlichen Dienst stellt sich die Digitalisierung der Verwaltungsinfrastruktur kompliziert dar. Ursächlich hierfür sind Vorschriften, wie zum Beispiel die Verschlusssachenanweisung (VSA), die im Rahmen der landes- oder bundesbehördlichen Ver- und Bearbeitung von hochsensiblen Verschlusssachen (VS) berücksichtigt werden müssen. Die Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für einen sicheren Arbeitsplatz erfordern dabei ein umfassendes Sicherheitskonzept, welches unter anderem einen unumgehbaren VPN-Client (Virtual Private Network), eine zugelassene Festplattenverschlüsselung sowie eine Schnittstellenkontrolle vorsieht. Um diese Vorgaben umzusetzen, nutzen viele öffentliche Einrichtungen teilweise bis heute verschiedene technische Einzellösungen, die in Zeiten zunehmender Vernetzung und immer größerer Datenmengen

Foto: BS/secunet

einige Probleme mit sich bringen können. Zu den potenziellen Folgen zählen Verzögerungen in der Risikobekämpfung und zusätzliches Gefahrenpotenzial bei immer kreativeren und professionelleren Bedrohungslagen. Eine effizientere, umfassendere und vor allem kostengünstigere Alternative ist die strategische Gesamtlösung, die SINA mit ihren Komponenten bietet.

tektur mit strikter Separierung kann das Gerät parallel für eine Vielzahl von Nutzungsszenarien eingesetzt werden. So können auf derselben Workstation z. B. offene Videokonferenzen mit kommerziellen Anwendungen wie Teams, Skype oder Zoom stattfinden, ohne dass diese zu einem Sicherheitsrisiko werden und sensible Daten gefährden könnten.

Moderner und VS-konformer Kollaborationsarbeitsplatz

Mehr als nur ein Telefon

SINA umfasst alle für den VSkonformen Betrieb notwendigen, aufeinander abgestimmten Bestandteile und erfüllt die Vorgaben des BSI. Die Komponenten gewährleisten höchste Sicherheit für Daten – falls erforderlich sogar bis zum Einstufungsgrad GEHEIM – und bieten eine intuitive Nutzungserfahrung. Denn Anwender können mit SINASicherheitsfunktionen in ihren gewohnten Umgebungen, also den bekannten Betriebssystemen und Anwendungen, arbeiten. Das gilt im Büro genauso wie unterwegs, weshalb sich SINA auch für das Homeoffice oder hybrides Arbeiten bestens eignet. Dabei nutzen Mitarbeiter die SINA Workstation S als DesktopPC, Laptop oder Tablet. Netzseitig garantieren SINA-Boxen als Krypto-Gateways die Datenübertragung. Mitarbeiter können sich dabei auch problemlos von außen beispielweise über das heimische WLAN, einwählen. Auf diese Weise ist der gesicherte und standortunabhängige Zugriff auf das Behördennetzwerk beziehungsweise auf vertrauliche Dokumente möglich, während zeitgleich auch alle lokal gespeicherten Daten automatisch auf der Festplatte verschlüsselt werden.

Verschlusssachen digital verwalten mit SINA Workflow Darüber hinaus können mit SINA Workflow eingestufte Dokumente gänzlich digital erstellt, registriert und verwaltet werden. SINA Workflow ist das erste und einzige durchgängig digitale Managementsystem für Verschlusssachen mit Zulassung bis zur Geheimhaltungsstufe GEHEIM. Sämtliche VS-Inhalte – also alle Dateien, ohne Einschränkung auf bestimmte Formate – werden durchgängig digital bearbeitet, registriert und zugriffsgeschützt verteilt. Dies können neben normalen Schriftstücken auch Audio- und Videodateien oder z. B. Bilder sein. Das Managementsystem bindet sich ideal in die intuitive Arbeitsoberfläche der Workstation ein und eignet sich sogar für die organisationübergreifende Kollaboration. Aufgrund der Sicherheitsarchi-

Auch Telefongespräche sind über einen in die SINA Workstation standardmäßig integrierten Voice-over-IP-Client bereits möglich. Darüber hinaus stellt secunet noch eine umfangreichere Lösung zur Verfügung. Der SINA Communicator H ermöglicht als Endgerät im Telefonformat mit Touchdisplay die Sprach- und Datenkommunikation bis zum Einstufungsgrad GEHEIM sowie vergleichbaren internationalen Levels. Er kann sowohl innerhalb von Behördennetzen als auch direkt am Internetzugang betrieben werden und ist eine moderne Hochsicherheits-Alternative zur klassischen Telefonie. Zukünftig wird der SINA Communicator H zudem Möglichkeiten zur Textkommunikation und Videotelefonie bieten.

Nachhaltige Sicherheit braucht Innovation Auf die fortwährende Weiterentwicklung des SINA-Portfolios und dessen Anpassung an die sich verändernden Anforderungen der Nutzer legt secunet besonderen Fokus. So führte etwa die verstärkte Nachfrage nach Videokonferenzen in Corona-Zeiten zu immer höheren Grafikansprüchen an die SINA Workstations, worauf secunet mit einer Verbesserung der Clients durch eine Grafikbeschleunigung für alle unterstützten HardwareModelle reagiert hat, ohne dabei die Sicherheitsanforderungen zu reduzieren. Ziel des Cyber-Security-Unternehmens ist es zudem, den alten Widerspruch zwischen Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit immer weiter aufzulösen. Bei allen Hürden, die es beim Aufbau oder der Optimierung der digitalen Verwaltung zu nehmen gilt, gehört die IT-Sicherheit zu den kritischsten. SINA ist eine komfortable, nachhaltige und hochsichere Gesamtlösung und bewährt sich deshalb bereits seit vielen Jahren vor allem bei deutschen Behörden, kritischen Infrastrukturen und zunehmend auch international. * Patrick Franitza ist stellvertretender Leiter im Bereich Marketing, PR & Interne Kommunikation bei der secunet Security Networks AG.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / September 2021

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Ein Siegel für sichere Produkte

Schaden durch Cyber-Angriffe steigt weiter

BMI konkretisiert IT-Sicherheitskennzeichen

Ransomware und Spionage plagen deutsche Wirtschaft

(BS/Benjamin Stiebel) Ein Gütesiegel für IT-Sicherheit: Ende des Jahres sollen erste Produkte für Verbraucher/- (BS/stb) 223 Milliarden Euro. So hoch ist der jährliche Gesamtschaden für die deutsche Wirtschaft durch innen mit dem IT-Sicherheitskennzeichen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Diebstahl, Spionage und Sabotage im Cyber-Raum. Die Zahl hat sich gegenüber 2019 mehr als verdopversehen werden. Den Anfang machen Router und E-Mail-Dienste. Das Echo ist geteilt. pelt – damals war von 103 Milliarden Euro die Rede. Getroffen hat es inzwischen fast jedes Unternehmen: 86 Prozent sagen von sich selbst, in den letzten zwölf Monaten Opfer geworden zu sein.

Die Idee: Anhand eines Siegels mit Wiedererkennungswert sollen Anwender/-innen auf einen Blick erkennen, welche IT-Geräte oder Dienste ein Mindestmaß an ITSicherheit erfüllen. Die Hoffnung: Kaufentscheidungen zugunsten sicherer Produkte sollen so gefördert werden. Das Kalkül: Wenn das klappt, könnten auch Hersteller und Dienstleister einen zusätzlichen Anreiz haben, auf Sicherheit in ihren Produkten Wert zu legen. Gesetzliche Grundlage ist das im Frühjahr verabschiedete IT-Sicherheitsgesetz 2.0. Mit einem jetzt veröffentlichten Verordnungsentwurf gestaltet das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) das Kennzeichen konkret aus. Es ist demnach zweiteilig angelegt. Kern ist eine Selbsterklärung der Hersteller über Sicherheitseigenschaften des Produktes. Flankiert wird sie von zusätzlichen Sicherheitsinformationen, die das BSI bereitstellt. Das können Anleitungen zur sicheren Konfiguration sein oder Warnungen vor entdeckten Schwachstellen nebst Hinweis auf entsprechende SicherheitsUpdates. Herstellererklärung und Sicherheitsinformationen sollen über eine dafür einzurichtende Webseite abgerufen werden. So sollen auch Aktualisierungen möglich sein. Das ist ein entscheidender Faktor, weil IT-Sicherheit keine statische Eigenschaft ist: Was heute als sicher gilt, kann morgen schon durch neu entdeckte Schwachstellen gefährdet sein. Entsprechend ist auch die Laufzeit des Kennzeichens beschränkt. In der Regel soll es nach zwei Jahren erlöschen, produktbezogen sind Abweichungen möglich. Eine Verlängerung erfordert einen Folgeantrag des Herstellers.

Keine technische ­Tiefenanalyse Die bürokratischen Hürden für den Erwerb des IT-Sicherheitskennzeichens hält das BMI bewusst niedrig, damit das Kennzeichen sich im Markt etablieren kann. Die Selbsterklärung liegt in der Verantwortung der Hersteller. Das BSI soll keine technische Tiefenanalyse vornehmen, nur eine Plausibilitätsprüfung ist vorgesehen. Während der Laufzeit soll zudem eine Marktaufsicht sicherstellen, dass die Herstellerversprechen eingehalten werden. Das beinhaltet auch Testkäufe durch das BSI. In konkreten Zweifelsfällen kann das BSI nachträglich weitere Prüfungen anstellen und das Kennzeichen gegebenenfalls vorzeitig aberkennen. Grundlage für die Herstellererklärung sind für die jeweilige Produkt-

Mit “Brief und Siegel” will das BMI für Verbraucher/-innen auf einen Blick sichtbar machen, ob ein Produkt Mindestanforderungen an IT-Sicherheit erfüllt. Grafik: BS/Bruno Glätsch, pixabay.com

kategorie anerkannte Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit. Diese können sich aus Branchenstandards ergeben. Die Eignung stellt das BSI zuvor fest. Basis können aber auch vom BSI selbst erstellte Technische Richtlinien sein. Solche hatte das Bundesamt bereits für die ersten beiden Produktkategorien “Breitbandrouter” und “E-Mail-Dienste” unter Beteiligung der Anbieter erstellt.

Freiwilligkeit stößt auf Kritik Die Reaktionen auf das schon länger angekündigte freiwillige IT-Sicherheitskennzeichen waren von Anfang an gemischt. So kritisierte der Sprecher des Chaos Computer Clubs Linus Neumann das Kennzeichen als Ressourcenverschwendung: “Schlappe 25 Stellen im BSI werden hierfür veranschlagt, obwohl noch nicht einmal eine unabhängige Prüfung vorgesehen ist.” Zielführender wäre die Ausweitung der Produkthaftung gewesen, moniert Neumann. Als Gewinner sieht er bei der jetzigen Ausgestaltung die Hersteller: Die einen könnten ohne weitere Investition in Sicherheit mit dem Kennzeichen ihre höheren Preise rechtfertigen, die anderen könnten weiter ungehindert Produkte mit mangelhafter Qualität an Anwender/-innen ver­k aufen, die hauptsächlich nach dem Preis entschieden. In dieselbe Kerbe schlägt Manuel Höferlin: “Den Verbraucher/innen wäre in Sachen IT-Sicherheit mit einer Update-Pflicht der Hersteller weitaus mehr geholfen.” Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion kritisiert das IT-Sicherheitskennzeichen als “nationalen Alleingang” und fordert die Bunderegierung auf, sich auf europäischer Ebene für einen wirksamen IT-Verbraucherschutz einzusetzen. “Beispielsweise, indem Hersteller von IT-Produkten verpflichtet werden, während der üblichen Nutzungsdauer eines Produk-

tes Updates zur Verfügung zu stellen und, falls dies über die Gewährleistungszeit hinaus nicht möglich ist, die Verbraucher/ -innen darauf klar hinzuweisen.”

Perspektive für Europa ­gefordert Es kommt aber auch Lob von Vertretern der Industrie und von Digitalexperten. Viele begrüßen die Initiative als einen guten Ausgangspunkt für besseren Verbraucherschutz im Digitalen. Patrick von Braunmühl, Senior Director Public Affairs bei der Bundesdruckerei GmbH, sieht Vorteile gleichermaßen für Verbraucher/-innen und Unternehmen. In Zeiten eines europäischen Marktes sei damit ein erster Schritt getan. “Wichtig wäre, dass mittelfristig ein EU-weit gültiges, einheitliches IT-Sicherheitskennzeichen angestrebt wird, das bestehende höherwertige Zertifizierungen nicht schwächt”, so von Braunmühl. Eine Initiative in Richtung europäische Märkte hält auch Dr. Christoph Baron, Director Public bei KPMG, für den notwendigen nächsten Schritt. Vom IT-Sicherheitskennzeichen erhofft er sich vor allem, dass das Versprechen der dynamischen Aktualisierung gehalten werden kann. “Wenn ich jederzeit umfangreiche Informationen zum aktuellen Sicherheitsstand eines Produktes mit Kennzeichen abrufen könnte, wäre das ein großer Gewinn. Das würde auch die Hersteller zu mehr Transparenz bezüglich Sicherheitsproblemen treiben.” Es müsse aber klar an die Anwender/-innen kommuniziert werden, dass mit der Entscheidung für ein gekennzeichnetes Produkt das Thema IT-Sicherheit nicht erledigt sein könne, betont Baron. Anders als etwa CE-Kennzeichen für physische Sicherheit oder Gesundheitsschutz könne das ITSicherheitskennzeichen Produkten keinesfalls einhundertprozentige Unbedenklichkeit bescheinigen.

Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die der Digitalbranchenverband Bitkom alle zwei Jahre in der deutschen Wirtschaft durchführt. Wesentlicher Treiber für das Wachstum sind Erpressungsfälle. CyberKriminelle verschlüsseln IT-Systeme mittels Ransomware und stellen die Freigabe gegen ein Lösegeld in Bitcoin in Aussicht. Das illegale Geschäftsmodell hat erneut Fahrt aufgenommen. Die dadurch verursachten jährlichen Schäden haben sich gegenüber der letzten Befragung mehr als vervierfacht – von rund fünf auf über 24 Milliarden Euro. Sonstige Angriffe auf Produktionssysteme und Betriebsabläufe schlagen mit insgesamt knapp 62 Milliarden zu Buche. Einen ebenfalls erheblichen Anteil an der Schadenssumme haben Angriffe, die mit dem Diebstahl von geistigem Eigentum oder Geschäftsgeheimnissen zu tun haben. Zusammengenommen bringen es Umsatzeinbußen durch Patentrechtsverletzungen, Plagiate und den Verlust von Wettbewerbsvorteilen auf Schäden von mehr als 80 Milliarden Euro. Bei diesen Summen sind weitere Folgeschäden durch Imageverlust sowie Kosten für Ermittlungen und Rechtsstreitigkeiten noch nicht einberechnet. Dafür und für notwendige datenschutzrechtliche Maßnahmen nach Sicherheitsvorfällen entstanden noch einmal jährliche Kosten in Höhe von 55 Milliarden Euro. Für den Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Sinan Selen machen

die Zahlen deutlich, wie wichtig eine resiliente Wirtschaft für den Standort Deutschland sei. Die Corona-Pandemie habe die Situation noch verschärft. Sechs von zehn Unternehmen, in denen Homeoffice möglich sei, hätten angegeben, seit Beginn der Pandemie habe es IT-Sicherheitsvorfälle gegeben, die auf die Heimarbeit zurückzuführen seien. In der Hälfte der Fälle sei auch ein unmittelbarer Schaden entstanden. Mit dem vermehrten Homeoffice-Angebot haben auch direkte Manipulations-Versuche bei Mitarbeitenden zugenommen. Je rund ein Viertel der Unternehmen gab an, dass Kriminelle per E-Mail bzw. per Telefon versucht hätten, direkt von Beschäftigten sensible Daten wie Passwörter zu

erhalten. Die Cyber-Bedrohungslage werde sich in den nächsten Monaten noch verschärfen, so die vorherrschende Meinung in der deutschen Wirtschaft. Acht von zehn Unternehmen glauben an eine Zunahme der Angriffe bis Ende des Jahres. Nach ihren Erwartungen an die Politik befragt, fordern fast alle befragten Unternehmen (99 Prozent) je ein stärkeres Vorgehen gegen Angriffe aus dem Ausland, einen intensiveren Austausch zwischen Staat und Wirtschaft und bessere Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Gefordert wurden zudem ein Förderprogramm für IT-Sicherheit im Homeoffice (94 Prozent) und ein stärkerer staatlicher Einsatz für den Schutz von Unternehmen (85 Prozent).

MELDUNG

Zusammenarbeit für mehr Cyber-Sicherheit

(BS/sp) Baden-Württemberg und Hessen werden in der Cyber-Sicherheit zukünftig enger miteinander zusammenarbeiten. Die Innenminister der Länder haben mit einer Kooperationsvereinbarung eine Steigerung der Cyber-Sicherheit schriftlich manifestiert. Beginnen wird die Kooperation mit gegenseitigen Hospitationen in den jeweiligen Cyber-Sicherheits-Institutionen Hessen Cyber Competence Center (Hessen3C) und Cyber-Sicherheitsagentur Baden-Württemberg (CSBW). Der Stellvertretende Ministerpräsident und Minister des Innern, für Digitalisierung und

Kommunen in Baden-Württemberg, Thomas Strobl, erklärte: “Cyber-Angriffe machen nicht vor Ländergrenzen halt. Daher reagieren wir nun mit einer Vernetzung der Expertise in beiden Ländern auf diese Herausforderung.” Peter Beuth, Minister des Innern und für Sport in Hessen, ergänzte: “Bedroht wird die Cyber-Sicherheit nicht zuletzt durch die zunehmende Agilität und die professionellen Fähigkeiten der Angreifer im Cyber-Raum. Um diese Angriffe effizient abzuwehren, ist eine Vernetzung unserer beiden Länder im Bereich der Cyber-Sicherheit sinnvoll und notwendig.”


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Informationssicherheit / PITS

Behörden Spiegel / September 2021


Das Bundeszentralamt für Steuern wird Berlin und Bonn / September 2021

Attraktiver Arbeitgeber – viele Aufgaben

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ehörden Spiegel: Frau Kohlrust-Schulz, das Bundeszentralamt für Steuern feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. Wie hat die Geschichte Ihrer Behörde begonnen? Kohlrust-Schulz: Steuervollzug ist grundsätzlich Ländersache. Jedoch hat der Bund laut Artikel 108 Abs. IV GG die Möglichkeit, die Verwaltung von Steuern zu übernehmen, wenn durch die Zentralisierung die Aufgabenerledigung erheblich verbessert wird. Diesem Umstand verdankt das Bundesamt für Finanzen (BfF) seine Existenz. Am 03. September 1971 erging der Erlass des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Neben einigen bis dahin von den Landesfinanzbehörden wahrgenommenen Aufgaben wurden dem Amt auch die Aufgaben nach der “Verordnung über die Erstattung von Umsatzsteuer an ausländische ständige diplomatische Missionen und deren Mitglieder“ übertragen und die „Zentrale Bundesbetriebsprüfungsstelle – Steuer” (Bundesbetriebsprüfung) eingegliedert. Die Bundesbetriebsprüfung wirkt seitdem an den Prüfungen der Landesfinanzbehörden mit, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen. Damals starteten wir mit 30 Bundesbetriebsprüfer*innen. Heute haben wir rund 500 Beschäftigte in diesem Bereich, die allein in 2020 trotz Corona insgesamt 1.292 Mitwirkungen abgeschlossen haben und an weiteren 3.738 Prüfungen beteiligt waren. Behörden Spiegel: Welche Veränderungen bei der Organisationsstruktur sind mit dem Aufgabenzuwachs verbunden? Kohlrust-Schulz: Die zunehmende Internationalisierung der Besteuerung sowie die gebotene elektronische Vernetzung des föderalen Steuervollzugs haben zu immer neuen Aufgaben geführt. Andere Aufgaben, die sich auf die Organisationsstruktur ausgewirkt haben, sind beispielsweise die Steueridentifikati-

Maren Kohlrust-Schulz über das Bundeszentralamt für Steuern (BS) “Wir bündeln das Wissen, bauen Datenbanken auf und stellen diese Informationen den Landesfinanzbehörden zur Verfügung”, sagt Maren Kohlrust-Schulz, Präsidentin des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt). Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel thematisiert sie die Herausforderungen im Kampf gegen Steuerbetrügereien am Kapitalmarkt, die Rolle des BZSt und was das Zentralamt im Bereich der Personalgewinnung und -entwicklung als attraktiver Arbeitgeber unternimmt. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. onsnummer für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaftsidentifikationsnummer. Inzwischen haben wir über 80 Aufgaben. Die Behörde ist kontinuierlich gewachsen und wächst weiter. Behörden Spiegel: 2020 ist beim BZSt eine Sondereinheit eingerichtet worden. Mit welchem Fokus? Kohlrust-Schulz: Die Internationalisierung der Besteuerung hat immer mehr Spielraum für Steuergestaltungen eröffnet. Ein Beispiel hierfür sind Steuerbetrügereien am Kapitalmarkt, wie z.B. Cum/Ex-Gestaltungen, mit denen wir uns in den letzten Jahren sehr stark befassen mussten. Um Steuergestaltungen u.a. am Kapitalmarkt in Zukunft früher zu erkennen und diesen entgegenzuwirken, wurde im März 2020 die Sondereinheit gegründet. Wichtig ist es, sich mit anderen Behörden zu vernetzen. Wir bündeln das Wissen, bauen Datenbanken auf und stellen diese Informationen den Landesfinanzbehörden zur Verfügung. Der zweite Bereich der Sondereinheit ist die Gruppe “Internationaler Informationsaustausch”. Diese ist aus der internationalen Amtshilfe hervorgegangen. Bisher lag der Schwerpunkt im internationalen Austausch von Daten. Wir sind die Datendrehscheibe – das ist eine unserer Kernaufgaben. Zuletzt wurde ein solcher Informationsaustausch auch über meldepflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltungen in der EU etabliert. Neu hinzugekommen ist dabei die Analyse der Informationen aus den gemeldeten Gestaltungen. Gemeinsam mit Vertretern der Landesfinanzbehörden werden diese rechtspolitisch ausgewertet und Empfehlungen für das Bundesministerium der Finanzen abgeleitet.

Das ist eine schlagkräftige Truppe

Maren Kohlrust-Schulz

Präsidentin des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt). Foto: BS/BZSt

Behörden Spiegel: Vor kurzem hat das BZSt auf Anweisung des BMF eine CD mit Steuerdaten aus Dubai angekauft. Wie kam es dazu und wie weit ist der Stand der Auswertung? Kohlrust-Schulz: Zuerst einmal ist es nicht ungewöhnlich, dass Informanten Daten anbieten. Wir sind bei solchen Prozessen immer involviert, auch wenn das Angebot an einzelne Bundesländer geht. In dem aktuellen Fall hat ein Informant eine CD mit den sogenannten Dubai-Daten Nordrhein-Westfalen zum Kauf angeboten. NRW hat das Angebot an uns weitergeleitet. Nachdem die Werthaltigkeit geprüft wurde, haben wir die Daten angekauft und inzwischen die jeweiligen Pakete an die Finanzbehörden der Bundesländer weitergeleitet. Aktuell sind wir dabei, andere Staaten betreffende Daten im Wege der sogenannten Spontanauskunft weiterzugeben.

Kohlrust-Schulz: In der Sondereinheit haben wir insgesamt 331 Planstellen. Die sind nahezu voll besetzt. Das ist eine schlagkräftige Truppe. Aber wir sind stetig auf der Suche nach neuem Personal. Für die Gruppe Kapitalmarkt und die Auswertung von Datenbanken suchen wir neben Jurist*innen und DiplomFinanzwirt*innen auch Wirtschaft swissenschaftler*innen und ganz speziell Datenanalyst*innen sowie Informatiker*innen. Denn wir wollen bei der grenzüberschreitenden Steuergestaltung Business Intelligenz (BI) und Künstliche Intelligenz (KI) einsetzen. Hier können wir erste Erfolge vorweisen.

Behörden Spiegel: Und wie ist es um die Personalsituation im BZSt insgesamt bestellt, auch hinsichtlich des demografischen Wandels? Kohlrust-Schulz: Allgemein haben wir uns in den letzten Jahren Behörden Spiegel: Wie viel Personal von 1.200 Beschäftigten auf rund steht Ihnen für die Sondereinheit zur 2.300 Personen nahezu verdoppelt. Deshalb ist unsere Belegschaft reVerfügung?

lativ jung. Vor allem am Dienstsitz Bonn. Das Durchschnittsalter liegt bei unter 40 Jahren. Bei den anderen Dienstsitzen liegt es etwas höher. Hier müssen wir verstärkt Altersabgänge kompensieren. Behörden Spiegel: Was unternehmen Sie dagegen? Kohlrust-Schulz: Eine ganze Menge. Früher haben wir lediglich die fertig ausgebildeten Finanzwirt*innen im mittleren Dienst und Diplomfinanzwirt*innen im gehobenen Dienst von den Ländern übernommen. Seit 2010 stellt das BZSt selbst Anwärter*innen ein, die wir in den Bundesländern ausbilden lassen. Letztes Jahr haben wir 132 Anwärter*innen im mittleren und gehobenen Dienst neu eingestellt. Wer die Ausbildung erfolgreich durchläuft, wird übernommen. Hinzu kommen 50 Einstellungen von Externen. Für dieses Jahr sind rund 140 Anwärtereinstellungen vorgesehen. Außerdem schreiben wir im höheren Dienst inzwischen ganzjährig aus. Interessierte Bewerber*innen haben die Möglichkeit, im Rahmen eines Praktikantenprogramms das BZSt kennenzulernen. Und für Neueinsteiger*innen gibt es ein umfangreiches Trainee-Programm, bei dem sie verschiedene Abteilungen durchlaufen und verpflichtende Lehrangebote der Bundesfinanzakademie absolvieren.

Im Rahmen eines Mentor*innenProgramms werden den Neuzugängen Pat*innen an die Seite gestellt. Für unsere Beschäftigten gibt es zudem viele Aufstiegsangebote. Obwohl wir ein attraktives Arbeitsumfeld bieten, werden wir als Bundeszentralamt in der Öffentlichkeit immer noch nicht in dem gewünschten Maße wahrgenommen. Das liegt vielleicht daran, dass wir keinen Publikumsverkehr haben. Behörden Spiegel: Das klingt nach einer besonderen Herausforderung. Kohlrust-Schulz: Ja, deshalb haben wir in diesem Jahr eine Marketingkampagne gestartet. Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber mit vielfältigen Aufgaben, die nicht nur anspruchsvoll, sondern auch sinnstiftend sind. Und wir haben viel zu bieten. Zum einen haben wir sehr gut ausgestattete Arbeitsplätze. Schon zu Beginn der Pandemie hatte jeder Beschäftigte einen Laptop und war im Homeoffice schnell arbeitsfähig. Zum anderen ist WorkLife-Balance bei uns keine Phrase. Aufgrund der guten Erfahrungen aus der Pandemie werden wir unser Angebot für mobiles Arbeiten weiter ausbauen. Künftig wird es allen Mitarbeiter*innen möglich sein, bis zu drei Tage die Woche von zu Hause aus zu arbeiten. Behörden Spiegel: Sie haben vorhin den Einsatz von BI und KI angesprochen. Welche Bedeutung messen sie der Digitalisierung bei? Kohlrust-Schulz: Die Datenmengen, mit denen wir zu tun haben, werden kontinuierlich zunehmen. Um diese sinnvoll auswerten zu können, brauchen wir KI-Lösungen. Aber die Digitalisierung ist kein reines IT-Projekt. Sie geht uns alle an und umfasst drei essenzielle Bereiche: die Aufgabenorientierung, unsere Kundenorientierung und die Personalorientierung. Deshalb entwickeln wir aktuell ein digitales Zielbild und geben uns eine digitale Agenda.

Kooperation kennt keine Grenzen Neue Wege der Personalgewinnung beim Bundeszentralamt für Steuern (BS/Annika Deitmer/Dr. Uwe-Simon Hermann/Ragna Vorholt*) Das Aus- und Fortbildungsreferat Q 2 A – einst als Annex des Personalreferats Q 2 zunächst vorübergehend eingerichtet, um die Bundesbetriebsprüfung aufzustocken – gilt seit nunmehr zehn Jahren als fester Bestandteil der Zentralabteilung. Von seiner ehemals provisorischen Einrichtung zeugt heute nur noch das “A” in seinem Namen. Die Aufgaben sind seither stetig gewachsen und neben der Aus- und Fortbildung betreuen die Referatsangehörigen seit Anfang des Jahres auch das Informations- und Wissensmanagement (IWM), die operative Öffentlichkeitsarbeit sowie vor allem das Personalmarketing.

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omit übernimmt das Referat den gesamten Prozess der Personalgewinnung vom ersten Kennenlernen des BZSt in den sozialen Medien, über das Auswahlverfahren zum Pre- und Onboarding bis hin zur passgenauen Fortbildung und dem IWM. Das Referat Q 2 A hat seit 2010 insgesamt bereits mehr als 900 Anwärter*innen für den mittleren und gehobenen Steuerdienst des Bundes aus der Gesamtmenge der eingegangenen Bewerbungen ausgewählt und bis zu ihrer Ernennung zu Probezeitbeamt*innen begleitet. Derzeit werden in den Einstellungsjahrgängen 2018 bis 2020 in beiden Laufbahngruppen 274 Anwärter*innen betreut; für den Einstellungsjahrgang 2021 stehen insgesamt mehr als 150 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Damit hat das BZSt seit Errichtung des Referats die Zahl seiner Beschäftigten mit fast

2.300 mehr als verdoppelt. Nach dem Motto “Kooperation kennt keine Grenzen” legen wir die Laufbahnausbildungen im mittleren und gehobenen Steuerdienst des Bundes seit jeher vertrauensvoll in die Hände der Länder. Die Beschäftigten werden hierfür an Finanzämter bzw. Bildungseinrichtungen abgeordnet. Auch bei der Fortbildung im Rahmen der Groß- und Konzernbetriebsprüfung darf der Bund auf die Länder bauen: Bundesbetriebsprüfer*innen absolvieren ihre bis zu 27-monatige Fortbildung ebenfalls dort. Jährlich durchlaufen so gut 150 Personen die Ausbildung und 25 Personen die Fortbildung. Ein wechselseitiges Erfolgsmodell. Die Zusammenarbeit mit den Ländern fördert nicht nur die Ausbildung, sondern auch die Vernetzung innerhalb der Finanzverwaltung. Die Kollegen*innen und Ausbilder*innen von heute sind die Ansprechpartner von Morgen.

“BZSt was?” Insbesondere in den persönlichen Auswahlgesprächen fällt auf, selbst die Zusendung der Steuer-ID führt nicht dazu, dass das BZSt nachhaltig im Gedächtnis der Empfänger verankert ist. Eine Ursache: Vielfach haben in den regelmäßig international geprägten Sachverhalten nur Steuerberater*innen oder Unternehmen unmittelbaren Kontakt zum BZSt. Dies erschwert die ohnehin schwierige und aufwändige Suche nach Fachkräften zusätzlich. Schließlich hat sich der Arbeitsmarkt zu einem regelrechten “ArbeitnehmerMarkt” gewandelt. Die Zahl der Bewerbungen ist stetig zurückgegangen. Deshalb war es jetzt an der Zeit, eine professionelle Werbeagentur mit dem Fokus auf digitale Medien hinzuzuziehen, um gemeinsam eine neue Personalmarketingkampagne zu entwerfen und umzusetzen. Was macht das BZSt als Verwaltung und

vor allem als Arbeitgeber besonders? Diese Frage dient als Grundlage, um die die Arbeitgebermarke des BZSt zu bestimmen. Sie enthält alle Kerneigenschaften, die uns als Arbeitgeber attraktiv machen, und hat zum Ziel, das BZSt am Markt gegenüber der Konkurrenz positiv abzugrenzen. So steht das BZSt für Steuergerechtigkeit, für Vielfalt und Sicherheit, es ist agil, kreativ und digital – und es bietet Perspektiven und Karrierechancen. Es gilt nun, Menschen zu finden, die diese Werte leben und beruflich umsetzen möchten. Diese Suche soll authentisch sein, deshalb wird das BZSt nicht mit Modellfotos und Agenturtexten werben, sondern mit den Gesichtern und Geschichten der eigenen Beschäftigten überzeugen. Und noch etwas ist neu: “Digital First!” Dem Motto der Personalmarketingkampagne folgend, soll der

Gesichter der Mitarbeiter*innen prägen die Plakate der Personalmarketingkampagne, um möglichst authentisch und überzeugend zu sein. Foto: BS/BZSt

erste Kontakt mit potenziellen Bewerber*innen in den Sozialen Medien erfolgen. Mit dieser Kampagne begibt sich das Referat Q 2 A auf einen neuen, digital ausgerichteten Weg der Personalgewinnung. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum einen kann die digitale Werbung zielgruppengerecht ausgespielt werden, wodurch Streuverluste vermieden werden. Zum anderen kann die Kampagne in Echtzeit gemessen und evaluiert werden. So können Motive und Botschaften, die nicht “geklickt” werden, sofort ausgetauscht werden. Außerdem ermögli-

chen es die digitalen Werbeformate, direkt mit den Nutzer*innen in Interaktion zu treten und durch die “Infotainment”-Möglichkeiten kann das BZSt auch erklärungsbedürftige Tätigkeiten anschaulich darstellen. So meistern wir die Herausforderungen des demografischen Wandels und überlassen nichts dem Zufall, denn “Steuern sind unser Ding”. *Annika Deitmer leitet das Referat für Aus- und Fortbildung, Dr. UweSimon Hermann ist Referent und Ragna Vorholt Sachbearbeiterin in dem Referat.


50 Jahre BZSt

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Behörden Spiegel / September 2021

Für den Wandel gut gerüstet 50 Jahre Bundesbetriebsprüfung im föderalen deutschen Steuervollzug (BS/Bernhard Barth*) Mit Errichtung des Bundesamtes für Finanzen (BfF) am 3. September 1971, als selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) mit Sitz in Bonn, wurde die Mitwirkung an Außenprüfungen dem BfF als Aufgabe übertragen. Diese Aufgabe war früher durch die “Zentrale Bundesbetriebsprüfungsstelle – Steuer – (ZBp)”, einer nachgeordneten Dienststelle des BMF, wahrgenommen worden und wurde 1971 in eine eigenständige Abteilung mit neun Fachreferaten des BfF überführt. Mittlerweile kann die Bundesbetriebsprüfung (BundesBp) einen Zuwachs auf drei Abteilungen mit rund 30 Fach- und Spezialreferaten verzeichnen. Seit nunmehr 50 Jahren bildet sie eine wesentliche “Säule” zunächst des BfF und seit 2006 des BZSt.

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n der föderalen deutschen Steuerverwaltung wird die abschließende Prüfung der Besteuerung der Betriebe von den Ländern durchgeführt. Im Jahre 2019 wurden hierfür 13.341 Prüfungskräfte in der Landesfinanzverwaltung eingesetzt. Bei den Groß- und Konzernunternehmen werden diese Bediensteten bundesweit von derzeit 434 (3,25 Prozent) Bundesbetriebsprüfer*innen des BZSt unterstützt.

Tätigkeitsspektrum Die Landesfinanzbehörden verwalten im Auftrag des Bundes die “Gemeinschaftssteuern” (Einkommen-, Körperschaft-, Lohn- und Umsatzsteuer) und sind im Rahmen dieser Aufgabenerfüllung auch für die Durchführung der Außenprüfungen zuständig. Die Bundesbetriebsprüfung des BZSt unterstützt die Landesbehörden zur Verbesserung des Steuervollzugs. Bei dieser Zusammenarbeit haben sich im Laufe der Jahre eine Reihe von Tätigkeitsschwerpunkten herausgebildet, wie beispielsweise: • Wahrung der Bundesinteressen bei der Verwaltung der Gemeinschaftssteuern durch einheitliche Rechtsanwendung und gleichmäßige Besteuerung im Bundesgebiet durch steuerliche Branchenfokussierung (Automobil-, Pharma-, Chemieindustrie, Energieversorger, Banken, Versicherungen, Logistik, Handel, usw.) und Themenspezialisierung wie “betriebliche Altersversorgung” oder “digitale Wirtschaft” • Überprüfung grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen (Internationales Steuerrecht), die ggfs. eine Abstimmung mit den

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ie steht es denn jetzt wirklich um den Jubilar? Am Dienstsitz Bonn scheint alles gut. Mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren scheint das BZSt zukunftssicher aufgestellt zu sein. Anders sieht es aber zum Beispiel an den Standorten Saarlouis und Schwedt aus. Sind die saarländischen Beschäftigten im Schnitt schon 47 Jahre alt, so liegt der Altersdurchschnitt in der Uckermark bei fast 49 Jahren. Und mehr noch: Rund 350 Kolleg*innen werden in den kommenden Jahren das BZSt geplant verlassen – Faktoren wie Dienstunfähigkeit, vorzeitigen Ruhestand noch nicht mit eingerechnet. Und schließlich: Auch der erste Blick auf Bonn ist trügerisch. Denn rechnet man die 299 Anwärter*innen und Auszubildenden heraus, so ist der größte Dienstsitz auch schon 41,45 Jahre alt. Das zeigt: Auch hier, im BZSt, findet der demographische Wandel unaufhaltsam statt. Mit all seinen Folgen: Erfahrungswissen geht verloren, passende Nachwuchskräfte zu gewinnen, wird zusehends schwieriger.

der Bundesbetriebsprüfung unterlagen im Laufe der letzten 50 Jahre einem starken Wandel. Zu Beginn strebte der Bund eine “Teilhabe” und “Mitverantwortung” an. Die BundesBp sollte vor allem über Erfahrungen und steuerliche Gestaltungen berichten, damit der Gesetzgeber oder das BMF bei Bedarf entsprechende Regelungen erlassen können. Insbesondere die Besteuerung international agierender Groß- und Konzernunternehmen ist in den letzten Jahrzehnten vielschichtiger und komplexer geworden. Aufgrund dieser neuen Entwicklungen erschien es der Bundesbetriebsprüfung immer zwingender erforderlich, auf diese Entwicklung zu reagieren. In der Prüfungsmitwirkung stellt die BundesBp der Landesfinanzverwaltung ein “Informationsnetzwerk” zur Verfügung. Regelmäßig werden von den Prüfungsreferaten des BZSt zudem Fachtagungen angeboten, um einen länderübergreifenden Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Zudem erweiterten sich die Aufgaben auch in Bezug auf die geprüften Steuerarten: Im Mai 1998 wurde ein Referat für die Mitwirkung an LohnsteuerAußenprüfungen eingerichtet. Das Entwicklungsstadien Prüfungsengagement beim LohnIn den Anfangsjahren wurden nur steuerabzug wurde in den letzten rund 30 Prüfer im Außenprüfungs- Jahren ausgedehnt. Derzeit sind in drei Prüfungsreferaten 45 Außeneinsatz beschäftigt. Am 1. Juli 1986 wechselte erstmals dienstbeschäftigte tätig. Am 1. Juli 2010 ging die Verwaleine Frau in den Bundesbetriebsprüfungsdienst. Heute hat der Au- tungshoheit für die Versicherungßendienst eine Frauenquote von 35 und Feuerschutzsteuer einschließlich Prozent und kann eine erfreuliche der Außenprüfung von den Ländern Tendenz dieser Quote nach oben auf den Bund über. Seit diesem Zeitpunkt wird die vollumfängliche verzeichnen. Strategie und Selbstverständnis bundesweite Außenprüfung von ei-

ausländischen Finanzverwaltungen erforderlich machen (Joint Audits), • fachliche Unterstützung im Bereich internationaler Verständigungsverfahren, • steuerliche Stellungnahmen für das BMF, • Organisation sowie Teilnahme an nationalen und internationalen Fachtagungen. Sofern sich Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der steuerlichen Behandlung untersuchter Sachverhalte zwischen der Landesfinanzverwaltung und der Bundesbetriebsprüfung ergeben, fällen zu guter Letzt die obersten Finanzbehörden des Bundes und des jeweiligen Landes als abschließende Entscheidungsinstanz einen Entschluss. Im Außenverhältnis, z. B. gegenüber den geprüften Unternehmen, ist jedoch die Landesfinanzverwaltung federführend. Die Prüfungskräfte von Bund und Land werden trotzdem von den Unternehmen als einheitliches Prüfungsteam wahrgenommen. Zu verdanken ist dies der stets kollegialen und vetrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bundesprüfer*innen.

nem Prüfungsreferat des BZSt durchgeführt. Um internationale Geschäftsbeziehungen und grenzüberschreitende steueroptimierte Gestal- Foto: BS/BZSt tungen steuerlich besser überprüfen zu können, wurden internationale Verwaltungsverfahren für den Informationsaustausch, für parallele Außenprüfungen oder die Streitbeilegung implementiert. Auf internationaler Ebene sollen Geschäftsbeziehungen von den betroffenen Staaten nicht doppelt besteuert werden. Dagegen sollen aggressive Gestaltungen mit dem Ziel der SteuFoto: BS/BZSt ervermeidung von den Finanzverwaltungen verstärkt aufgegriffen und bekämpft vorantreiben. Eine weiterführende werden. Die Bundesbetriebsprüfung Entwicklung in diese Richtung ist ist in diese Prozesse eingebunden auch Gegenstand des Tätigkeitsund kann diese mithilfe von viel- bereichs der Arbeitsgruppe IDA. fältigen Kenntnissen im Bereich Deren Bestreben ist es nicht nur, des internationalen Steuerrechts eine mögliche Ausgestaltung der “Bundesbetriebsprüfung von morbereichern. gen” vorzudenken, sondern auch auf Zukünftige Ausrichtung die dynamischen Veränderungen Auch in Zukunft wird die BundesBp der steuerrechtlichen und organiden Besonderheiten des föderalen satorischen Rahmenbedingungen Systems beim nationalen wie inter- Bezug zu nehmen. Im Hinblick auf das genannte konnationalen Steuervollzug gerecht werden. Um die Landesfinanz- krete Beispiel der fortschreitenden verwaltungen auch weiterhin mit Internationalisierung erweitert die eigenem Know-how unterstützen BundesBp somit ihre Prüfungstäzu können, wird die Bundesbe- tigkeit im Auslandsbereich durch triebsprüfung ihre internationale die sukzessive Übernahme weiterer Ausrichtung im Hinblick auf die sich zukünftiger Verfahren mit internaabzeichnenden Entwicklungen auf tionalem Bezug (Unified Approach, OECD-Ebene (“Unified Approach” System der Mindestbesteuerung), und “Mindestbesteuerung”) weiter schafft deren administrative Vo­

Natalia Grigorev Ich bin Bundesbetriebsprüferin und Mutter. Dank der Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Gleitzeit und Homeoffice kann ich meinen vielseitigen und spannenden Job im Außendienst der Bundesbetriebsprüfung auch mit meinen familiären Bedürfnissen problemlos in Einklang bringen.

Kirsten Rösel-Krichbaum Internationale Zusammenarbeit ist heute nicht mehr wegzudenken. Wir sind Vorreiter bei den gemeinsamen Steuerprüfungen mit anderen Staaten und mussten viel Pionierarbeit leisten. Inzwischen arbeiten wir mit 30 Staaten zusammen und es werden ständig mehr. Für die Zukunft bin ich positiv gestimmt und sehr gespannt.

raussetzungen und trägt zu einer vermehrten sogenannten “Tax Certainity” bei. Des Weiteren werden eine intensivere Vernetzung mit ausländischen Finanzverwaltungen, ein verstärktes Engagement in internationalen Gremien (OECD, EU, IOTA) sowie eine Vertretung der Position Deutschlands auf internationalen Vortragsveranstaltungen seitens der Bundesbetriebsprüfung angestrebt. Wie schon in den vergangenen 50 Jahren wird die Bundesbetriebsprüfung auch in Zukunft stets im Wandel sein. Dank sehr guter technischer und personeller Ausstattung und nicht zuletzt Dank der sehr guten Zusammenarbeit von Bund und Ländern sieht sie sich gut gerüstet. *Bernhard Barth ist Referatsleiter in der Bundesbetriebsprüfung.

Was Du heute kannst besorgen…! Wie begegnen wir dem demographischen Wandel? (BS/Dr. Jürgen Werner*) Der demographische Wandel ist in aller Munde. Deutschland wird altern und gleichzeitig schrumpfen – mit einschneidenden Veränderungen am Arbeitsmarkt. All das, könnte man glauben, hat jedenfalls im BZSt noch keine Spuren hinterlassen. Obgleich das Amt auf stolze 50 Jahre zurückblicken kann – seine Beschäftigten sind im Schnitt erst 40 Jahre alt. Also alles kein Problem? – mitnichten! Den demographischen Wandel aktiv managen, das ist ein Ziel, das sich das BZSt gesetzt hat. regelmäßigen Zieleklausuren der Hausleitung. Unter der Federführung des Personalreferats werden dort gemeinsam Themenblöcke festgelegt, Verantwortlichkeiten für die Umsetzung verabredet, Fortschritte nachgehalten und für alle Beschäftigten sichtbar gemacht.

Konkrete Maßnahmen

Über allem steht der Grundsatz einer gründlichen und zahlenbasierten Analyse. Einmal im Jahr erstellt das Personalreferat eine ausführliche Altersstrukturanalyse. Quer über alle Laufbahngruppen, Dienstsitze, Abteilungen wird tiefgreifend analysiert, wie die Altersstruktur aktuell aussieht und wie sie sich in den nächsten Jahren perspekDemographiemanagement tivisch entwickelt. Neben dieser als strategisches jährlichen Auswertung soll künftig Hausleitungsthema die demographische Entwicklung Aktives und möglichst umfassen- auch und vor allem bei jeglichen des Demographiemanagement – so strategischen Entscheidungen einlautet die Lösungsstrategie im BZSt. bezogen werden – und zwar stets Demographie soll ein Thema für auf Basis möglichst tagesaktueller alle BZSt’ler sein – für die Haus- (nicht nur) demographierelevanleitung und die Beschäftigten. Im ter Personalkennzahlen. Möglich Leitungszielesystem des BZSt hat es macht dies ein interaktives und deshalb großen Raum bekommen. benutzerfreundliches Controlling. Damit ist es Dauerthema bei den Mit Erfolg: So hat Demographie bei

gleich aber auch ein Lösungsansatz für den demographischen Wandel. Einerseits können digitale Lösungen dazu genutzt werden, den Fachkräftemangel auszugleichen. Weiterhin geht es aber auch darum, (nicht nur) älteren Beschäftigten den Zugang zur Digitalisierung zu erleichtern. Mit anderen Worten: Es geht um das “digitale Mindset” im BZSt, das bei der Personalentwicklung und der Fortbildung künftig besonders im Fokus stehen soll. Und apropos Fortbildung: Diese soll künftig möglichst generationengerecht und generationenindividuell erfolgen. Von großer Bedeutung ist auch ein aktives Nachfolgemanagement. Bei Beschäftigten in exponierten Positionen und mit besonders ausgeprägtem Spezialwissen soll darauf hingewirkt werden, dass ein frühDer demographische Wandel setzt sich im BZSt unaufhaltsam zeitiger Wissenstransfer erfolgen fort und trifft die verschiedenen Standorte unterschiedlich hart. muss. Denn das Erfahrungswissen Grafiks: BS/BZSt gerade der älteren Beschäftigten ist unschätzbar. Hier soll künftig ein der Verlagerung der Fachaufgabe Saarlouis hin zu einem modernen strukturierter Prozess dafür Sorge des Familienleistungsausgleichs von und digital geprägten Services- tragen (“Expert Debriefing”), dass es nicht verlorengeht. Bonn nach Berlin eine entschei- tandort. dende Rolle gespielt, genauso wie Die (weitere) Digitalisierung des Und weitere Maßnahmen sind uns bei aktuellen Überlegungen zur BZSt ist ebenfalls ein eigenes Lei- wichtig: Weiterentwicklung des Dienstsitzes tungsziel. Digitalisierung ist zu- • Demographiebeauftragte sollen

diesem zum Thema sensibilisieren und es “in der Fläche” bekannt machen. • Die Arbeitsplätze werden systematisch dahingehend untersucht, ob es generationenspezifische Anforderungen gibt. • Das dislozierte und flexible Arbeiten soll weiter ausgebaut werden. • Das Gesundheitsmanagement im BZSt begleitet eng das Thema Demographie und bietet generationenspezifische Gesundheitsförderungsmaßnahmen an. Ein wichtiges Anliegen im BZSt ist es aber auch, das unterschiedliche Generationenverständnis zu stärken – einerseits durch Sensibilisierung der Führungskräfte auf den alljährlichen Führungskräfteworkshops, andererseits durch eine breit angelegte Workshop-Kampagne zum Thema Diversity Awareness. All das zeigt: Das BZSt sieht sich gewappnet für die Zukunft und geht den demographischen Wandel aktiv an, um auch am 100. Geburtstag weiterhin so leistungsfähig wie heute zu sein. *Dr. Jürgen Werner leitet das Personalreferat im BZSt.


50 Jahre BZSt

Behörden Spiegel / September 2021

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Gegen den größten Steuerraub aller Zeiten Die Sondereinheit im Kampf gegen Steuergestaltung (BS/Melanie Deurer/Petra Klawikowski/Janine Görg*) Durch die sog. Cum/Ex-Gestaltungen sah sich die Finanzverwaltung mit dem “größten Steuerraub” in der Geschichte konfrontiert. Um im Kampf gegen Steuergestaltungen in Zukunft besser gewappnet zu sein, wurde im BZSt im März letzten Jahres die Sondereinheit eingerichtet. Ziel ist es, missbräuchliche Gestaltungen frühzeitiger und effektiver zu bekämpfen.

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ie Sondereinheit besteht aus den neu geschaffenen Gruppen “Kapitalmarkt” und “Internationaler Informationsaustausch”. In der Gruppe “Kapitalmarkt” wurden alle von Steuergestaltungen am Kapitalmarkt tangierten Referate des BZSt zusammengefasst. Durch die Bündelung dieser Ressourcen unter einem Dach wird eine enge Verzahnung der Aufgaben sichergestellt und es werden die Voraussetzungen für eine schlagkräftige Vorgehensweise geschaffen. Zur Nutzung von Synergieeffekten aus den Informationen, die das BZSt aufgrund der Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen erhält, ist dieser Aufgabenbereich des BZSt in der Gruppe “Internationaler Informationsaustausch” mit der Gruppe “Kapitalmarkt” in einer eigenen Abteilung zusammengefasst und der Präsidentin des Bundeszentralamtes für Steuern direkt unterstellt. Der internationale Informationsaustausch ermöglicht den nationalen Finanzbehörden in Zeiten von Globalisierung und grenzüberschrei-

tender Vernetzung das Erkennen der Verwirklichung steuerlicher Tatbestände und trägt so zur steuerlichen Transparenz sowie zur Verhinderung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung bei.

Gestaltungen zeitnah identifizieren Teil des internationalen automatischen Informationsaustauschs ist der Austausch von Informationen über grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Ziel des Informationsaustauschs ist es, Gestaltungen zur Steuervermeidung und Gewinnverlagerung zeitnah zu identifizieren und im Bedarfsfall effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um eine Verringerung des (deutschen) Steuersubstrats zu verhindern. Der Inhalt der Meldung beschränkt sich nicht nur auf die bloße Beschreibung der Steuergestaltung selbst, sondern umfasst ebenfalls Angaben zu den Nutzern und damit auch dem potenziell steuerpflichtigen Personenkreis. Die rechtspolitische Auswertung der Informationen, Daten und Meldungen erfolgt in

der Sondereinheit des BZSt durch spezielle Fachreferate (DAC 6 – Auswertungsreferate). Aufgabe und Ziel der rechtspolitischen Auswertung ist es, einen gesetzgeberischen bzw. rechtspolitischen Handlungsbedarf bei einzelnen Steuergestaltungen zu identifizieren, welcher sich aus der Nutzung aggressiver – vom Gesetzgeber nicht gewollter – Steuergestaltungsplanung ergibt. Die Finanzbehörden der Länder wirken bei der Auswertung der grenzüberschreitenden Steuergestaltungen mit, soweit Steuern betroffen sind, die von ihnen oder den Gemeinden verwaltet werden. Zur Analyse und Auswertung der Informationen stehen den Auswertungsreferaten Tools zur Verfügung, wobei Methoden der Geschäftsanalytik (Business Intelligence) und Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) unterstützend eingesetzt werden. Diese neuen Tools werden im BZSt weiterentwickelt und auch für andere Aufgaben nutzbar gemacht. Dadurch baut das BZSt seine digitale Kompetenz kontinuierlich aus und verbessert die Datenqualität

sowie Auswertungsmethoden zur Risikoerkennung.

Gruppe Kapitalmarkt Zum 01.03.2020 wurde außerdem in der Gruppe “Kapitalmarkt” das Informations- und Analysezentrum Kapitalertragsteuer (IAZ) eingerichtet. Zu den Aufgaben des IAZ gehören die frühzeitige Erkennung von steuerrechtlich und strafrechtlich auffälligen Steuergestaltungen sowie die Unterstützung in laufenden Steuer- und Steuerstrafverfahren mit modellhaftem Charakter im Bereich Kapitalmarkt. Dabei fungiert das IAZ sowohl BZSt-intern als auch nach außen als zentrale Kontaktstelle (Single Point of Contact) für alle Anfragen und Mitteilungen, die Bezug zu Steuergestaltungen am Kapitalmarkt aufweisen. Erfahrungen aus der Praxis der Cum/Ex-Ermittlungen zeigen, dass die Gestaltungen am Kapitalmarkt mit erheblicher krimineller Energie umgesetzt wurden. Die Strukturen sind in höchstem Maß komplex und nicht mit anderen, bisher bekannt gewordenen Steuergestaltungen

Von Bonn in die Welt Wie es sich anfühlt, einmal am Tisch mit der halben Welt zu sitzen (BS/Sarah Benthues/Elke Nikoljacic/Janet Priemer*) Paris – wir befinden uns in einem der größten Besprechungsräume im Konferenzzentrum der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und sitzen an einem riesigen runden Tisch. Vor uns stehen Namensschilder mit “Germany” und ein Mikrofon, links neben uns sitzen die Vertreter*innen aus Georgien, rechts aus Ghana und auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes blicken wir nach Neuseeland und Saudi-Arabien.

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Datenaustausch bedeutet, etwas abgekürzt, dass mehrere Staaten anhand einheitlich abgestimmter und festgelegter Kriterien gegenseitig Daten mit steuerlichem Bezug zu einem festen Stichtag austauschen, ohne dass es dafür eines konkreten Anlasses oder einer konkreten Anfrage aus dem jeweiligen Staat bedarf. Damit rechnet man nicht Das Referat ist dabei insbesondere Wir befinden uns mitten in einer für die technische und praktische von der OECD ausgerichteten Sit- Umsetzung solcher Austauschverzung zum internationalen Daten- fahren zuständig, bevor die ausgeaustausch. Wir von der deutschen tauschten Daten in den jeweiligen Delegation sind zusammen mit Finanzverwaltungen ausgewertet Vertreter*innen von über 50 ande- werden. ren Staaten vor Ort, die ebenfalls am Rom, Wien, Lissabon und Datenaustausch teilnehmen oder in Kopenhagen Zukunft teilnehmen werden. Hier mit Kolleg*innen aus aller Welt ein Das Besondere am internationalen Thema zu erarbeiten, ohne Blick auf Informationsaustausch ist, dass alle unterschiedliche Kulturen, politische teilnehmenden Staaten mit der BeAnschauungen oder gar Religio- kämpfung grenzüberschreitender nen, und die sich gegenseitig in den Steuerumgehung ein einheitliches Diskussionen entgegengebrachte und national wie international beWertschätzung machen uns fast ein deutsames Ziel verfolgen. Und dieses kann nur erreicht werden, wenn alle bisschen demütig. Dass die Teilnahme an einer solchen Staaten am gleichen Strang ziehen Veranstaltung mal Teil der berufli- – immerhin hängt die Qualität und chen Tätigkeit sein wird, hätte sich Vollständigkeit der empfangenden während des Studiums zur Diplom- Daten an der korrekten Umsetzung Finanzwirtin keine von uns jemals der festgelegten Austauschkriterien träumen lassen. Selbst im privaten bei den jeweiligen Partnerstaaten Umfeld erscheint den meisten bei und umgekehrt. Neben den gleichen der Tätigkeit Finanzbeamtin doch Zielen stehen alle Partnerstaaten eher das etwas angestaubte Bild vor ähnlichen Herausforderungen, eines Schreibtisches mit Kaffeetasse angepasst an die unterschiedlichen und einem riesigen Aktenberg vor nationalen Gegebenheiten. Die Gedem geistigen Auge. Erst bei nä- spräche finden sowohl in großen herer Erläuterung der tagtäglichen Sitzungen als auch in kleineren ArArbeit und Erwähnung der teilweise beitsgruppen auf internationaler damit verbundenen Dienstreisen Ebene statt. werden die Augen etwas größer. “Das wäre doch spannend”, reagierDamit rechnet man im ersten Mo- te die Vorgesetzte auf den Aufruf der ment wohl wirklich nicht – und um EU zur Teilnahme an einer solchen ehrlich zu sein, haben wir das damals Arbeitsgruppe und schon sind wir auch nicht. Seit ein paar Jahren sind Teil einer 20-köpfigen Gruppe intewir im Referat für den internati- ressierter Kolleg*innen aus den veronalen Austausch von steuerlich schiedensten EU-Staaten. Ziel dieser relevanten Daten im BZSt einge- exemplarischen Arbeitsgruppe ist es, setzt und betreuen dort eines der den Datenaustausch verschiedener Austauschverfahren. Internationaler Verfahren, die zum Teil schon gerauer sich an der laufenden Diskussion beteiligen möchte, stellt sein Namensschild hochkant auf, um einen Sprechwunsch zu signalisieren. Sobald der Vorsitzende das Wort erteilt, darf eine von uns sprechen – mit leichtem Herzklopfen.

me Zeit im Einsatz sind, nachhaltig zu verbessern und die erarbeiteten Ergebnisse in einem finalen Dokument, welches als Leitfaden für alle EU-Staaten dienen soll, festzuhalten. Anders als die OECD-Sitzungen in Paris oder die EU-Sitzungen in Brüssel wird jedes der angesetzten sechs Treffen der Arbeitsgruppe von einem anderen EU-Staat organisiert und findet somit immer an einem anderen Veranstaltungsort statt. So finde ich mich schnell in Rom, Wien, Lissabon oder Kopenhagen wieder. Etwas, das uns bei den ersten Sitzungen nervös gemacht hat, ist die Tatsache, dass wir uns natürlich international auf Englisch unterhalten. Wir konnten nicht einschätzen, ob die eigenen Englischkenntnisse

wirklich ausreichen, um sich angemessen einbringen zu können. Aber auch das war am Ende halb so wild. Natürlich gibt es unter den Teilnehmer*innen viele, die ein perfektes Englisch sprechen, weil sie Muttersprachler*innen sind oder im Ausland gelebt haben. Es gibt aber auch mindestens genauso viele Kolleg*innen, denen auch das richtige Wort nicht immer auf Anhieb einfällt. Aber auch das ist kein Problem. Unsere Wahrnehmung war immer, dass jeder, der etwas zu sagen hat, es ohne Hemmungen auch tun kann. Der Umgang miteinander war immer äußerst respektvoll. An sich selbst merkt man, dass man an

zur Erfüllung seiner Aufgabe auch eine marktbeobachtende Funktion wahr. Konkret bedeutet dies, dass eine Vielzahl von kapitalertragsteuerrelevanten Daten untersucht und analysiert wird. Sofern die Prüfungen ergeben, dass Maßnahmen zur Vermeidung eines bestimmten Steuergestaltungsmodells getroffen werden sollen, ist es Ziel, konkrete Vorschläge zur Vermeidung derartiger Gestaltungen zu erarbeiten. Hierzu zählt insbesondere die Mitwirkung bei der Vorbereitung von gesetzlichen Regelungen oder der Ausgestaltung von Verwaltungsmaßnahmen für den Bereich des Kapitalmarktes, die die Nutzung einer bestimmten Steuergestaltung verhindern sollen. Durch die neu geschaffene Sondereinheit sind gute Voraussetzungen geschaffen worden, um gemeinsam mit den Finanzverwaltungen der Länder Steuergestaltungen in Zukunft frühzeitig zu erkennen und im Sinne des ehrlichen Steuerzahlers entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

bzw. Betrugsszenarien vergleichbar. Auffällig ist dabei, dass häufig dieselben Akteure in verschiedenen, von der Finanzverwaltung aufgegriffenen Verfahren in Erscheinung getreten sind und die Handlungsmuster häufig identisch waren. Durch die Zusammenführung und Analyse von Informationen zu möglichen Gestaltungen bei einer Stelle kann erreicht werden, dass die komplexen und nur mit Spezialwissen zu Finanztransaktionen bewertbaren Sachverhalte schneller erfasst, geprüft und bewertet werden können. Dies soll den zuständigen Stellen erleichtern, geeignete Maßnahmen ergreifen zu können. Darüber hinaus wird aktuell eine bundesweit zu nutzende Datenbank für steuergetriebene Gestaltungen am Kapitalmarkt aufgebaut, in der alle vorhandenen Erkenntnisse zu Ermittlungen vernetzt dargestellt werden sollen. Spezifische Handlungsmuster und Strukturen der einzelnen Fälle sollen dadurch leichter erkannt und Ermittlungen schneller *Melanie Deurer ist Abteilungsleitedurchgeführt werden. Neben der rin, Petra Klawikowski ist GruppenDurchführung von eigenen steuer- leiterin und Janine Görg ist Referatlichen Ermittlungen nimmt das IAZ sleiterin in der Sondereinheit.

Mit dem internationalen Informationsaustausch wollen alle beteiligten Staaten ein national wie international bedeutsames Ziel verfolgen: mehr Steuergerechtigkeit. Foto: BS/Björn Bielesch, pixabay.com

Partnerstaaten in den Pausen und am Abend, die gegenseitigen Gedankenaustausche und auch mal eine Frage in kleinem Kreis besprechen zu neuen Aufgaben wächst, sowohl können. Nicht jedes Thema möchte inhaltlich als auch sprachlich. Manch- man im großen Plenum diskutieren. mal muss man Dinge einfach wagen. Unabhängig davon, ob wir uns in Im Moment weiß noch niemand, Zukunft bei Sitzungen persönlich wie es nach der Pandemie weiter- oder über Videokonferenzen begehen wird. Es hat sich gezeigt, dass gegnen werden. Was uns bestimmt auch Videokonferenzen wunderbar noch eine Zeit lang begleiten wird, funktionieren, sodass wir davon aus- ist das Herzklopfen, wenn (digital) gehen, dass man sich auch in Zu- die Hand für den Sprechwunsch kunft häufiger hierüber austauschen gehoben wird. wird. Das ist auch in Ordnung und trotzdem bleibt die Hoffnung, dass *Sarah Benthues, Elke Nikoljaci und auch persönliche Treffen nicht zu Janet Priemer arbeiten als Diplomkurz kommen werden. Wir vermis- Finanzwirtinnen im Referat für den sen den persönlichen Kontakt und internationalen Austausch von steuAustausch mit den Kolleg*innen der erlich relevanten Daten im BZSt.

Der One-Stop-Shop im BZSt Neue umsatzsteuerliche Regelungen für den Onlinehandel (BS/Jochen Heckmann/Nadja Schug*) Nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie ist der elektronische Geschäftsverkehr explosionsartig gewachsen. Schon davor haben Globalisierung und technologischer Wandel das Wachstum in diesem Bereich forciert. Auch die Steuerverwaltung muss diesem Umstand durch eine stärkere Digitalisierung Rechnung tragen, um einerseits Steuerhinterziehung zu bekämpfen und andererseits Unternehmern die Erfüllung ihrer steuerlichen Aufgaben zu vereinfachen. Mit Einführung des EU-weiten Verfahrens Mini-One-Stop-Shop (OSS) zum 1. Januar 2015 konnten Unternehmer, die auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen sowie Rundfunk-, Fernseh- und Telekommunikationsdienstleistungen ausgeführt haben, ihre mehrwertsteuerlichen Pflichten in Bezug auf die vorgenannten Tätigkeiten in der gesamten EU in dem Mitgliedsstaat erfüllen, in dem sie ansässig sind. Auf dem Weg zu einem endgültigen Mehrwertsteuersystem und dem sogenannten Bestimmungslandprinzip war die Schaffung dieser kleinen einzigen Anlaufstelle ein erster Schritt. Ohne die Teilnahme an diesem beson-

deren Besteuerungsverfahren sind die Unternehmer gehalten, sich in jedem Mitgliedsstaat der EU für Zwecke der Umsatzsteuer erfassen zu lassen und dort ihren Melde- und Erklärungspflichten nachzukommen. Mit Umsetzung der zum 1. Juli 2021 in Kraft tretenen zweiten Stufe des Digitalpakets der EU wird das bisherige System einer einzigen Anlaufstelle zum sogenannten One-Stop-Shop (OSS) ausgedehnt. Unternehmer können mit einer Teilnahme am OSS-Verfahren umsatzsteuerliche Registrierungen in mehreren Mitgliedstaaten der EU vermeiden und die dort geschuldete Umsatzsteuer in ihrem Sitzstaat zentral erklären und entrichten. Das

BZSt ist in Deutschland die Behörde, bei der alle Unternehmer, die Deutschland als Registrierungsstaat auswählen, sich für sämtliche Teilverfahren des besonderen Besteuerungsverfahrens OSS registrieren können. Das BZSt leitet die von den Unternehmern eingereichten Steuererklärungen und die gezahlte Umsatzsteuer an die jeweils betroffenen anderen Mitgliedsstaaten weiter, in denen die Leistung zu versteuern ist. Im Gegenzug erhält das BZSt Steuererklärungen und Umsatzsteuerzahlungen aus allen anderem Mitgliedsstaaten von den dort zum Verfahren angemeldeten Unternehmern und leitet diese an die zuständigen Finanzämter der

Bundesländer weiter. Die Umsetzung des besonderen Besteuerungsverfahrens OSS in Deutschland erfolgt sowohl seitens des BZSt als auch durch die Finanzbehörden der Bundesländer in enger Abstimmung. Bereits seit dem 1. April diesen Jahres können sich Unternehmer für die Teilnahme am OSS in Deutschland beim BZSt registrieren. Mit der Einführung des OSS soll zudem EU-weit die Prüfung der Steuerpflichtigen durch die einzelnen Mitgliedsstaaten stärker koordiniert und vereinheitlicht werden. *Jochen Heckmann ist Referatsleiter, Nadja Schug ist Referentin im Referat für Umsatzsteuerkontrollverfahren.


50 Jahre BZSt

Seite IV

Behörden Spiegel / September 2021

“Der erste Brief im Leben” Die Steueridentifikationsnummer für alle Steuerpflichtigen (BS/Kyra Mühlenharz*) Die Digitalisierung gehört inzwischen zur Finanzverwaltung untrennbar dazu. Mit der Einführung der Steueridentifikationsnummer (Steuer-ID) wurde ein Meilenstein in der Digitalisierung erreicht. Mehr Effizienz in die Finanzverwaltung bringen – das ist die eine Seite der Steuer-ID. Die andere Seite ist die Entlastung der Steuerpflichtigen und der Unternehmen von bürokratischen Aufgaben und Papierprozessen. In der Pandemie ist der Bedarf für eine effiziente und vernetzte Verwaltung sehr deutlich geworden – mit der Nutzung der Steuer-ID ist das BZSt auf einem sehr guten Weg.

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ie Umsetzung des gesetzlichen Auftrags “Vergabe und Verwaltung der Steuer-ID” war für das BZSt eine große He­ rausforderung. Die Steuer-ID wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 eingeführt. In den parlamentarischen Beratungen im Finanzausschuss des Bundestages wurde der Entwurf für die Vorschriften formuliert. Ziel war es, die Finanzbehörden in die Lage zu versetzen, die steuerlich erforderlichen Überprüfungen effizient vorzunehmen. Wesentliche Voraussetzung hierfür ist die eindeutige Identifizierung des/der Steuerpflichtigen. Die bis dato verwendete Steuernummer, die nicht dauerhaft vergeben wurde, war dafür kaum geeignet. Daher war – bei föderalem Aufbau der Steuerverwaltung in Deutschland – die Einführung der Steuer-ID als einheitliches Identifikationsmerkmal für das Besteuerungsverfahren unerlässlich, um dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung umfassend Rechnung zu tragen. Daher wurde sie als eindeutiges, dauerhaftes, unveränderliches und nicht sprechendes Ordnungskriterium konzipiert.

Daten von 5.500 Meldebehörden Die für die Vergabe einer SteuerID benötigten Grunddaten (insb. Namensdaten, Anschriftendaten, Geburtstag und -ort) erhält das BZSt von den zuständigen Melde­ behörden. Die im BZSt gespeicherten Daten werden stetig aktualisiert. Für die erstmalige Vergabe musste die Datenlieferung für ca. 80 Mio. Bürger*innen durch 5.500 Meldebehörden koordiniert werden. Alle Erstdatenlieferungen wurden

in eine Datenbank eingepflegt und miteinander abgeglichen, um Mehrfachnennungen zu vermeiden. Die nach einer mathematischen Formel erstellten Steuer-IDs wurden nach dem Zufallsprinzip vergeben. Im Sommer/Herbst 2008 wurden alle Bürger*innen über die vergebenen Steuer-ID-Nummern und die im BZSt dazu gespeicherten Daten per Brief unterrichtet. Viele kamen so erstmals mit dem BZSt in Kontakt. Dieser Brief ist heute für viele neue Erdenbürger der erste Brief im Leben. Die Herausforderungen aus dem neuen Verfahren waren mit der Vergabe und der Bekanntgabe der Steuer-ID nicht beendet. Es folgten viele Anfragen zu den gespeicherten Daten und zur beabsichtigten Nutzung. Fehler in den Meldedaten konnten aufgedeckt, beseitigt und die Datenqualität somit deutlich gesteigert werden. Ebenso mussten Prozesse für die dauerhafte Zusammenarbeit mit den Meldebehörden, die sich als gute Partner bei der Datenübermittlung erwiesen haben, etabliert werden.

Steuer-ID in den Prozessen der Finanzbehörden Schon kurz nach der Vergabe änderte sich der Fokus auf das Verfahren. Es ging nicht mehr vorrangig darum, für Steuerpflichtige eine Steuer-ID zu vergeben, sondern die Nutzung der Nummern in den Prozessen der Finanzbehörden voran­ zutreiben, um die prognostizierten Effizienzrenditen auch zu realisieren. Die erste Anwendung fand die Steuer-ID mit der Einführung des Rentenbezugsmitteilungsverfahrens. In diesem Verfahren ist von den mitteilungspflichtigen Stellen (Rententräger) eine Bescheinigung

über die geleisteten Zahlungen an die Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln. Hieran sieht man auf den ersten Blick den großen Nutzen der Steuer-ID. Eine automatisierte Prüfung, ob Rentenempfänger steuerpflichtig sind und deshalb zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert werden sollten, ist nur dann möglich, wenn alle Rentenzahlungen unter Angabe des Ordnungskriteriums “Steuer-ID” an die Finanzverwaltung gemeldet werden. Inzwischen werden alle steuerlich relevanten nationalen Bescheinigungen unter Nutzung der Steuer-ID elektronisch an die Finanzverwaltung übermittelt. Diese Vorgehensweise, die Medienbrüche vermeidet, leistet einen wichtigen Beitrag zur Verfahrensökonomie und zum Bürokratieabbau. Weitere Anwendungsfelder wurden erschlossen. Verwaltungsintern werden die gespeicherten Daten für die Aufbereitung von Vorgängen genutzt: Hier ist das “Once-OnlyPrinzip” schon verwirklicht worden. Als Beispiel ist auf die Nutzung der Anschriftendaten im Zusammenhang mit der Kfz-Steuer zu verweisen. Die Daten werden auch für Authentifizierungsaufgaben in der elektronischen Kommunikation der Steuerpflichtigen mit der Finanzverwaltung genutzt. Ein Anwendungsbereich, der zukünftig vermutlich an Bedeutung gewinnt. Ohne die Steuer-ID und die regelmäßige Datenübermittlung der Meldebehörden wäre die Modernisierung des Lohnsteuerverfahrens nicht möglich gewesen. Das BZSt bildet die Lohnsteuerabzugsmerkmale und stellt sie den Arbeitgeber*innen zum Abruf bereit. Diese legitimieren sich unter anderem mit der Steuer-ID der Arbeitnehmer*innen und erhalten

dann die tagesaktuell gebildeten Lohnsteuerabzugsmerkmale für die Gehaltsabrechnung. Ein ähnlicher Ansatz wird im Verfahren Kirchensteuer auf Abgeltungsteuer verfolgt.

Zentrales Ordnungskriterium für alle Verwaltungszweige Bisher war die Nutzung der SteuerID und der dazu gespeicherten Daten strikt auf steuerliche Zwecke legitimiert. Das ändert sich durch das Registermodernisierungsgesetz. Die Steuer-ID wird damit zum zentralen Ordnungskriterium für alle Verwaltungszweige. Das ist ein weiterer Meilenstein in den Digitalisierungsbestrebungen der Verwaltungen, die uns alle künftig weitestgehend von Nachweispflichten entlasten sollen und wollen. Dafür muss die Verwaltung ertüchtigt werden, diese Nachweise (etwa Geburtsurkunden) selbst auf digitalem Wege zu beschaffen. Dieser behördenübergreifende Datenaustausch kann effizient nur umgesetzt werden, wenn die Register der Verwaltungen anhand eines Ordnungskriteriums synchronisiert werden. Eine zentrale Identifikationsnummer wird in die für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes relevanten Verwaltungsregister von Bund und Ländern eingeführt. Damit wird gewährleistet, dass Basisdaten natürlicher Personen von einer dafür verantwortlichen Stelle auf Inkonsistenzen geprüft, verlässlich gepflegt, aktualisiert und bereitgestellt werden. Hierzu wird auf die vorhandenen Strukturen der Steuer-ID aufgesetzt.

Astrid Grünkorn

Als bedeutender Arbeitgeber vor Ort sind wir lokal verankert und gleichzeitig international vernetzt. Für uns am Dienstsitz Schwedt kein Widerspruch, sondern gelebte Praxis. Hierauf bin ich stolz!

Foto: BS/BZSt

(W-ID) als eindeutiges Identifikationsmerkmal für jede wirtschaftlich tätige natürliche und juristische Person sowie Personenvereinigung eingeführt. Auch hierbei soll eine eigens für diesen Zweck beim BZSt vorgehaltene zentrale Datenbank eingerichtet werden. Diese wird mit den Grunddaten der bei den Finanzämtern geführten wirtschaftlich Tätigen befüllt und laufend aktualisiert. Die W-ID kommt Die W-ID wird nicht nur als IdenWährend natürliche Personen tifikationsmerkmal für steuerliche eine Steuer-ID erhalten, wird die Fachverfahren, sondern auch als sich in der Entwicklung befindende ressortübergreifende bundeseinWirtschafts-Identifikationsnummer heitliche Wirtschaftsnummer beim

sog. Basisregister verwendet werden. Mit diesem beim Statistischen Bundesamt einzurichtenden Register werden neben öffentlichen Registern insb. auch die Sozialversicherungsträger verbunden sein. Die W-ID soll im Laufe des Jahres 2023 an wirtschaftlich Tätige vergeben werden. Als Fazit nach mehr als zehn Jahren ist klar: Die Steuer-ID ist als Identifikationsmerkmal unverzichtbar. Es werden sicher noch viele weitere Anwendungen in der Verwaltung folgen. *Kyra Mühlenharz arbeitet als Referatsleiterin im BZSt.

45 Mrd. Euro für unsere Kinder Fachaufsicht über die Familienkassen im BZSt (BS/Norbert Haag*) Als das BfF als Vorgängerbehörde des BZSt 1971 gegründet wurde, betrug das Kindergeld 25 DM, und dies erst ab dem zweiten Kind. Aktuell beträgt es monatlich für das erste und zweite Kind jeweils 219 Euro, für das dritte 225 Euro und für das vierte und jedes weitere Kind jeweils 250 Euro. Insgesamt werden über 45 Mrd. Euro jährlich als Kindergeld ausgezahlt. Außerhalb von Pandemiezeiten sind das mehr als zehn Prozent des gesamten Bundeshaushaltes! Dementsprechend verantwortungsvoll sind die Aufgaben der Fachaufsicht, die seit 1996 im BZSt angesiedelt ist.

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um 1. Januar 1996 gab es eine Systemumstellung beim Kindergeld: Aus der bisherigen Sozialleistung wurde eine Steuervergütung im Rahmen des steuerlichen Familienleistungsausgleichs. Diese bezweckt die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung. Im Rahmen einer Günstigerprüfung berechnet das Finanzamt jedes Jahr, ob dies vollständig gelungen ist oder ob der Kinder-Freibetrag zu einer weiteren Steuerentlastung führt.

Dienststellen der BA für das BZSt Die Auszahlung des Kindergeldes wurde durch eine Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes zu einer weiteren Aufgabe des BZSt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) stellt dem BZSt zur Durchführung dieser Aufgaben ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung. Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts setzen für

ihre Beschäftigten und Versorgungsempfänger das Kindergeld selbst fest und zahlen dieses aus. Die Aufgabe der Fachaufsicht hatte daher sehr unterschiedliche Aspekte: Etwa 90 Prozent des Kindergeldes wurde von rund 100 Familienkassen der BA ausgezahlt, der Rest von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, deren Zahl auf bis zu 20.000 geschätzt wurde. Die größte Familienkasse im Öffentlichen Dienst war für über 220.000 Kinder verantwortlich, die meisten Familienkassen hingegen nur für 50 oder weniger, manche nur für ein oder zwei Kinder. Erste Versuche, die Zahl der Familienkassen zu reduzieren, führten zur Einrichtung von sog. Landesfamilienkassen in den Bundesländern und der Bundesfamilienkasse (BFK). Kleinere Körperschaften konnten das Kindergeld dort festsetzen und auszahlen lassen. So konnte diese Zahl deutlich reduziert werden. Ende 2016 waren noch rund 5.400 Körperschaften als Familienkassen aktiv. Zu diesem Zeitpunkt be-

schloss der Gesetzgeber, dass die Familienkassen des Bundes ihre Zuständigkeit bis zum 31. Dezember 2021 verlieren, mit Ausnahme der Familienkassen der BA und der BFK, die zwischenzeitlich Teil des Bundesverwaltungsamtes (BVA) geworden war. Sie können zugunsten der BA kostenfrei auf ihre Sonderzuständigkeit verzichten oder eine Dienstleistungsvereinbarung mit dem BVA schließen. Den Familienkassen der Länder und Kommunen räumte der Gesetzgeber die Möglichkeit ein, freiwillig zugunsten der BA auf ihre Sonderzuständigkeit zu verzichten. Seit dem Beginn der Reform haben über 80 Prozent der Familienkassen diesen Schritt getan. Die BA, die Ende 2016 für rd. 14,7 Mio. Kinder verantwortlich war, hat im Rahmen der Reform die Zuständigkeit für etwa weitere 1,2 Mio. Kinder übernommen.

Strukturreform der Familienkassen geht weiter Etliche weitere Familienkassen haben ihren Verzicht bereits erklärt, die

übrigen werden sich fragen lassen müssen, weshalb sie Personal und Mittel für eine Aufgabe aufwenden, die sie kostenfrei übertragen können. Möglicherweise führen die gestiegenen Anforderungen an die Familienkassen, etwa durch das Onlinezugangsgesetz, hier noch zu anderen Entscheidungen.

Innovative Lernplattform Wie aber übt man bei einer anfangs sehr unübersichtlichen Lage die Fachaufsicht über die unterschiedlich organisierten Familienkassen aus? Neben den herkömmlichen Wegen – wie im BStBl. veröffentlichten Dienstanweisungen, Schulungen im BZSt und vor Ort und Fachgeschäftsprüfungen – wurde eine sehr innovative Lern- und Informationsplattform entwickelt und 2003 in Betrieb genommen. Die Beschäftigten aller Familienkassen haben so Zugriff auf aktuelle Gesetzestexte, Dienstanweisungen und sonstige wichtige Informationen der Fachaufsicht, die sie bei der täglichen Arbeit unterstützen. Weiter

Für jedes Neugeborene gibt es Kindergeld. Dessen Auszahlung übernehmen die Familienkassen. Die Fachaufsicht über die Kassen ist wiederum im BZSt angesiedelt. F oto: BS/Virvoreanu Laurentiu, Pixabay

finden sich Schulungsunterlagen zum Selbststudium, Lernfälle und ein Fachlexikon, dessen Einträge laufend aktualisiert werden. Rege genutzt wird das Forum, in das fachliche Fragen eingestellt werden können. Diese werden dann von anderen Nutzern oder von der Fachaufsicht beantwortet. Fachlich zutreffende Antworten anderer Nutzer werden

zum Zwecke der Qualitätssicherung mit dem Siegel des BZSt versehen. Das BZSt wird, wie bisher, in enger und kollegialer Zusammenarbeit mit den Familienkassen die ordnungsgemäße Auszahlung des Kindergeldes sicherstellen. *Norbert Haag arbeitet als Referatsleiter im BZSt.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / September 2021

Teilweise löchrige Erfassung

KNAPP Die neue AFCEA Bonn

Einige Behörden bleiben genaue Unfallzahlen ihrer Beschäftigten schuldig (BS/Marco Feldmann) Um die exakte statistische Erfassung von Dienst- und Arbeitsunfällen ist es bei einigen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) offenbar nicht allzu gut bestellt. Sie können keine exakten Zahlen nennen. Möglicherweise dürfen oder wollen sie es aber auch nicht detaillierter tun. So finden sich im Gesundheitsförderungsbericht der unmittelbaren Bundesverwaltung – der aktuellste enthält Zahlen von 2019 und wurde vom Bundesinnenministerium (BMI) he­ rausgegeben – nur Daten zu Arbeits- und Dienstunfällen für die jeweiligen Geschäftsbereiche der Ministerien. Angaben zu einzelnen Behörden, wie etwa der Bundespolizei, gibt es leider nicht. Dazu heißt es auf Nachfrage aus dem BMI, dass aufgrund der unterschiedlichen Strukturen der Geschäftsbereichsbehörden eine gesonderte Darstellung beziehungsweise Herausgabe statistischer Daten der einzelnen Behörden aus dem Gesundheitsförderungsbericht nicht sachgerecht und nicht vorgesehen sei. Vermutlich deshalb sind auch keine weiteren Details aus dem Bundespolizeipräsidium zu erfahren, wo man ausschließlich auf die BMI-Publikation verweist. Und das, obwohl die entsprechenden Daten nach Informationen des Behörden Spiegel eigentlich in einem Referat des Präsidiums vorliegen müssten.

Rechnerisch etwa 900 Dienstunfälle bei der Bundespolizei Rein rechnerisch ergeben sich nach den Zahlen des Gesundheitsförderungsberichts rund 900 Dienstunfälle und etwa 190 Dienstwegeunfälle für die Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei. Für die überschlägige Berechnung werden dabei Zahlen des Bundeshaushalts zugrunde gelegt. Demnach hat die Bundesverwaltung rund 82.000 Beamtinnen und Beamte. Circa 50.000 davon, also rund 60 Prozent, entfallen auf die Bundespolizei. Nimmt man nun die 1.500 im Bericht verzeichneten Dienstunfälle im BMI-Geschäftsbereich beziehungsweise die 320 ausgewiesenen Dienstwegeunfälle dort als

Basis, kommt man auf die oben genannten Werte (circa 900 beziehungsweise rund 190). Aufgrund der gefahrengeneigteren Tätigkeit der Bundespolizistinnen und -polizisten im Vergleich zu vielen anderen Beschäftigten im BMIGeschäftsbereich ist es jedoch durchaus wahrscheinlich, dass die tatsächlichen Werte höher liegen. Besser ist die statistische Erfassung bei den Arbeits- und Wegeunfällen der Tarifbeschäftigten der Bundespolizei. Laut der zuständigen Unfallversicherung Bund und Bahn, auf die das Bundespolizeipräsidium verwies, gab es 2019 329 solcher Vorkommnisse, die meldepflichtig waren. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Meldepflichtig sind Unfälle, sofern der oder die Versicherte dabei getötet wurde oder mehr als drei Tage arbeitsunfähig war.

Keine händisch geführte Erfassung mehr Bei der Polizei Berlin werden zwar auch weiterhin statistische Erhebungen zu Dienstunfällen von (Polizeivollzugs-)Beamtinnen und Beamten und zu Arbeitsunfällen von Tarifbeschäftigten in der Abteilung Arbeitsschutz- und Gesundheitsmanagement vorgenommen. Eine in der Vergangenheit aus dem Bereich der Dienstunfallfürsorge für statistische Auswertungen herangezogene, händisch geführte Erfassung von Dienstunfällen in einer auf Windows XP basierenden Datei habe ab der Umstellung auf Windows 7 jedoch nur noch bedingt analysiert werden können, heißt es. Ab der Einführung von Windows 10 sei gar keine statistische Auswertung mehr möglich gewesen. Da die Dienstunfallfürsorge primär die einzelfallbezogene Bearbeitung von Dienstunfällen – also die Entscheidung über die Anerkennung eines Schadensereignisses als Dienstunfall – vornehme, sei

benenfalls zu einer frühzeitigen Versetzung in den Ruhestand oder zu einer Einmalzahlung des Dienstherrn führen.

Teilweise detaillierte Zahlen

Die statistische Erfassung von Dienstunfällen von Vollzugsbeamtinnen und -beamten der Polizeien ist offenbar nicht vollumfassend. Im Datenmaterial gibt es zahlreiche Löcher, insbesondere bei der Bundespolizei und bei der Polizei Berlin. Das sollte sich rasch ändern. Foto: BS/Andre B., stock.adobe.com

schließlich auf die Weiterführung dieser Erfassung verzichtet worden. Es ist nur bekannt, dass 2018 1.529 Dienstunfälle mit und ohne Verletzung von Vollzugskräften angezeigt wurden. Für die Zukunft sei allerdings geplant, die Voraussetzungen für eine automatisierte zentrale Gesamterfassung wieder zu schaffen. Ähnliches ist aus der Senatsverwaltung für Inneres und Sport zu vernehmen. Auch in der Bundeshauptstadt ist die Statistiksituation für die Tarifbeschäftigten der Polizei, die unter anderem im Objektschutz tätig sind, besser und eindeutiger. Laut Unfallkasse Berlin wurden ihr im vergangenen Jahr 359 Unfälle gemeldet. Von diesen wurden bisher 260 anerkannt. Für 87 Fälle sei die Unfallkasse Berlin nicht zuständig, war auf Nachfrage und kurioserweise erst nach schriftlicher Freigabeerlaubnis durch die Polizei Berlin zu erfahren.

Über 450 Unfallanzeigen Bei der Berliner Feuerwehr wurden unterdessen 2020 462 Anzeigen zu Dienst- und Arbeitsunfällen erfasst. Davon entfielen 328 auf Dienstunfälle von Beamten, 70 auf Tarifbeschäftigte, 61

auf die Freiwillige Feuerwehr und drei auf die Jugendfeuerwehr. Ob eine Unfallanzeige von der dafür zuständigen Dienstunfallfürsorgestelle tatsächlich als Dienstunfall anerkannt wird, entzieht sich aber der Kenntnis der Behörde. Denn die Anerkennungsstelle ist bei der Polizei Berlin angesiedelt und teilt ihr Prüfergebnis nur dem Betroffenen selbst mit. Und die Polizei kann oder will nicht einmal die Zahlen der Unfallanzeigen der Feuerwehr bestätigen. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Erfassung von Dienstunfällen bei der Polizei verbesserungsbedürftig. Aus dem Düsseldorfer Innenministerium ist keine Gesamtzahl zu allen Dienstunfällen bei der Landespolizei in Erfahrung zu bringen. Zur Begründung heißt es, dass nicht alle Dienstunfälle in der obersten Landesbehörde bearbeitet würden, sondern in den einzelnen Landesoberbehörden oder Kreispolizeibehörden selbst. Im Innenministerium würden ausschließlich sogenannte qualifizierte Dienstunfälle bearbeitet. Dabei handelt es sich um Fälle, die mit bleibenden Folgen für die Betroffene oder den Betroffenen verbunden sind und gege-

Anders sieht es unter anderem in Brandenburg aus. Bei der dortigen Polizei gab es im vergangenen Jahr 634 Arbeitsund Dienstunfälle. In 608 Fällen waren Vollzugsbeamtinnen und -beamte betroffen, in sechs Verwaltungsbeamte und 20-mal Tarifbeschäftigte. Von den 634 Unfällen waren 92 Wegeunfälle. In Baden-Württemberg wurden 2020 1.863 Unfälle mit verletzten Beschäftigten bekannt. Laut Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei (PTLS) waren in 1.744 Fällen Vollzugskräfte betroffen, 16-mal Verwaltungsbeamte und 103-mal Tarifbeschäftigte. In Schleswig-Holstein stammen die letzten belastbaren Zahlen zu Dienstunfällen von Beamten von 2018. Denn dort können Dienstunfälle noch bis zu zwei Jahre nach dem Vorfall angezeigt werden. Im hohen Norden gab es bei der Polizei 2018 laut Innenministerium 516 anerkannte Dienstunfälle. Für Tarifbeschäftigte sind die Zahlen aktueller. In dieser Gruppe gab es 2020 29 gemeldete Arbeitsunfälle. Bei der Bundeswehr schließlich wurden im vergangenen Jahr rund 200 Einsatzunfälle in allen Einsätzen und anerkannten Missionen verzeichnet. Darunter fallen alle Verletzungen im Einsatzgebiet, die durch äußere Einwirkung entstanden sind und einer Behandlung bedürfen. Hierzu zählen unter anderem Unfälle mit Fahrzeugen oder im Einsatzdienst. Die zuletzt genannten Daten und Fakten zeigen, dass es also sehr wohl möglich ist, detailliert zu Dienstund Arbeitsunfällen Auskunft zu geben.

(BS/df) Die Corona-Pandemie hat es besonders den “Neuen” sehr schwer gemacht, sich angemessen vorzustellen. AFCEA Bonn e. V. nutzte deshalb ein digitales Format, um gemeinsam mit dem Behörden Spiegel den neuen Vorstand des Vereins mit seinen Funktionen, Ideen und Vorhaben vorzustellen. Dabei erhielten die Zuschauer auch Einblicke in die Arbeit der AFCEA, die verschiedenen Felder, auf denen der Verein tätig ist und welche Beteiligungsmöglichkeiten existieren. So vergibt die AFCEA nicht nur Studienpreise, sondern hilft auch Schulen bei der Ausstattung mit IT-Systemen. Ebenso ist die Fachausstellung zwar die größte, aber bei Weitem nicht die einzige Veranstaltung der AFCEA. In der Zukunft soll vor allem auch das digitale Angebot erweitert werden. Die Sendung kann in der Mediathek bei Digitaler Staat Online aufgerufen werden. www.digitaler-staat.online

Ausbau der Sirenen gestartet

(BS/bk) Der angekündigte Ausbau des Sirenennetzes ist gestartet. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katas­ trophenhilfe (BBK) unterstützt mit einem Förderprogramm in Höhe von knapp 90 Millionen Euro die Ausbaumaßnahmen der Länder. Zu Beginn unterzeichneten sieben Bundesländer dazu eine Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund. Durch die Fördermittel sollen die Kommunen und Länder bei der Anschaffung und Modernisierung von Sirenen unterstützt werden. Außerdem sollen die kommunalen Sirenennetze so technisch aufgerüstet werden, dass sie auch an das Modulare Warnsystem (MoWaS) des BBK angeschlossen werden können. Dadurch soll ein zeitgleiches Auslösen der Warnmittel ermöglicht werden.

Beschaffertage 2021

10.–11. November 2021, Bonn

Eine Veranstaltung des

Fachliche Leitung

Weitere Informationen sowie Online-Anmeldemöglichkeit unter: www.bos-beschaffertage.de www.bos-beschaffertage.de


Innere Sicherheit

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m hier mit den Straftätern Schritt zu halten, brauche es insbesondere eine moderne Ausrüstung und Ausstattung für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), meint der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU). Außerdem komme es auf eine effektive (internationale) Vernetzung der Polizeien an, so der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK). Denn die Digitalisierung sei zwar eine “Notwendigkeit unserer Zeit”, berge aber sowohl Licht als auch Schatten. Zudem verändere sie die Arbeitsgrundlage der Polizeien grundlegend, ergänzte Hagen Husgen von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Im Zuge des digitalen Fortschritts sowie der Corona-Pandemie seien stark anwachsende Deliktzahlen in den Bereichen Cyber Crime und Wirtschaftskriminalität zu verzeichnen, so der sächsische GdP-Landesvorsitzende, der auch Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes der Gewerkschaft ist.

Corona gab Schub Deshalb komme es darauf an, dass die Polizeibehörden mit der Zeit gingen. Die Corona-Pandemie habe Digitalisierungslücken schonungslos offengelegt, zugleich aber auch für einen entsprechenden Schub gesorgt. Inzwischen seien “die Zeichen der Zeit erkannt worden”. Nun sei es von entscheidender Bedeutung, eine einheitliche Informationsstruktur und -plattform für alle deutsche Polizeien zu schaffen. Die IT-Systeme müssten dringend vereinheitlicht werden, um Informationen schneller und medienbruchfreier als bislang auszutauschen. Aus Husgens Sicht ist das entsprechende Programm “Polizei 2020” dabei grundsätzlich zwar zu begrüßen. Der Fokus des Vorhabens sei derzeit allerdings noch zu stak strategisch und zu wenig operativ ausgerichtet. Das müsse sich ändern. Außerdem bräuchten die deutschen Polizeien mehr eigene IT-Experten, verlangte er auf dem Digitalen Polizeitag des Behörden Spiegel. Um hier mehr Attraktivität für Bewerberinnen und Bewerber zu erzielen, brauche es Reformen im Beamtenund Tarifrecht. Derzeit dauere insbesondere die Auswertung unstrukturierter Daten, mit denen sich die Polizisten vermehrt

Changemanagement in den Polizeien Digitaler Polizeitag: Mit der Zeit gehen (BS/Marco Feldmann) Die Arbeit der Polizeien verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum. Dies gilt ganz besonders für die Bekämpfung von Cyber- und Hasskriminalität. Auch im Darknet sind die Beamtinnen und Beamten verstärkt unterwegs. konfrontiert sähen, sehr lange. Dies sorge für nicht hinnehmbare Verzögerungen bei der polizeilichen Arbeit, kritisierte Husgen. Die Kritik am Programm “Polizei 2020” wollte dessen Gesamtleiter Holger Gadorosi nicht gelten lassen. Er erläuterte vielmehr die Ziele des Vorhabens. So sollen polizeiliche Informationen besser verfügbar gemacht werden und der Datenschutz soll durch Technik gestärkt werden. Zudem sei beabsichtigt, die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen, so Gadorosi. Insgesamt solle die bislang sehr heterogene polizeiliche Informationsarchitektur, die durch viele verschiedene Anwendungen mit jeweils eigenen Logiken und Schnittstellen gekennzeichnet sei, durch eine einheitliche polizeiliche Informationsarchitektur abgelöst werden. Dabei gehe es um eine Vereinheitlichung und Zentralisierung von Daten, Funktionen und Anwendungen auf einer Plattform. Gadorosi musste allerdings auch einräumen, dass es sich um einen großen und langwierigen Prozess handele, der nur schrittweise und unter ständiger Einbeziehung und Berücksichtigung der Bedarfe aller 20 Teilnehmer funktioniere. Denn das Projekt verändere die IT-Systemlandschaft sowie die Arbeitsabläufe und -weisen aller Polizeibeschäftigten in allen Bereichen und Laufbahnen grundlegend. Er berichtete, dass bis 2023 ein initiales Datenhaus aufgebaut sein sollte. Bis 2025 sei dann vorgesehen, ein Sachbearbeitungsdatenhaus umgesetzt zu haben. Und bis 2028 solle der Aufbau eines Verbundes im Datenhaus erledigt sein. Zudem sei geplant, bis dahin die Migration der Interims-Vorgangsbearbeitungssysteme sowie die Einführung des einheitlichen Asservatenmanagementsystems beendet zu haben.

Mehrere Apps bei der ­Bundespolizei im Einsatz Bei der Bundespolizei schreitet die Digitalisierung derweil immer weiter voran. So seien auf rund 6.000 dienstlich genutzten Smartphones unter anderem ein

Plädiert für eine moderne Polizeiausstattung sowie eine grenzüberschreitende Vernetzung und Zusammenarbeit: Thomas Strobl (CDU), Innenminister Baden-Württembergs.

Hagen Husgen, sächsischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand der Gewerkschaft, fordert mehr Einheitlichkeit bei polizeilicher IT.

Verteidigte und erläuterte das Projekt “Polizei 2020”: ­Gesamtprojektleiter Holger Gadorosi. Screenshots: BS/Feldmann

Messenger sowie mehrere Applikationen verfügbar, erläuterte Mathias Schaef, Abteilungsleiter Kriminalitätsbekämpfung im Bundespolizeipräsidium. Die Beamtinnen und Beamten des Streifendienstes könnten zum Beispiel eine Fahndungs-App nutzen. Damit seien sowohl Personen- als auch Fahrzeugabfragen möglich. Die Anwendung, die in den Direktionen unterschiedlich stark genutzt werde, habe zu mehr Fahndungstreffern beigetragen und die zugleich die Leitstellen entlastet, so Schaef. Auch die DokumentenprüfungsApp habe sich bewährt. Damit könnten Chips, die in Personalausweisdokumenten integriert seien, ausgelesen werden. Zudem stehe eine UrkundenberatungsAnwendung bereit. Bei dieser könnten Beamte verdächtige Dokumente fotografieren und an einen Help Desk schicken. Dort fände eine sehr schnelle, weitergehende Kontrolle statt. Deren Ergebnis werde telefonisch an die Streife weitergegeben. Die-

Markus Oswald von der Zentralstelle Hasskriminalität bei der Berliner Staatsanwaltschaft berichtete von der erfolgreichen Arbeit seiner Einheit.

se könne dann gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen ergreifen, erklärte Schaef. Für die Zukunft hält er eine Verbindung zwischen Smartphones und Vorgangsbearbeitungssystem der Bundespolizei sowie eine Möglichkeit zur mobilen Abfrage von Fingerabdrücken für wünschenswert.

Technik bietet zahlreiche Möglichkeiten Hinweisdaten könnten technisch schon heute mobil angenommen und verarbeitet werden, erläuterte der CEO der itWatch GmbH, Ramon Mörl. Auch Verschlusssachen ließen sich bereits komplett digital managen, so Julian Schwerdtfeger, Key Account Manager in der Division Innere Sicherheit der secunet Security Networks AG. Und Spuren könnten mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) automatisch klassifiziert werden, betonte Armin Vollmer vom Unternehmen Optimal Systems. Ebenfalls mit KI sowie mit Wis-

sensgraphen ließen sich Daten intelligent nutzen, unterstrichen Claudia Iken, Senior Applications Consultant im Bereich Insights & Data, sowie Pierre-Adrien Hanania, Global Offer Leader AI in Public Sector, beide Capgemini Deutschland GmbH. Einem analogen, aber für den Schutz der Polizisten eminent wichtigen Thema widmete sich der Geschäftsführende Gesellschafter der Firma Ulbrichts, Georg Scharpenack. Er erläuterte Möglichkeiten zur Aufwertung von Schutzhelmen.

Großes Dunkelfeld Sowohl auf den analogen als auch den digitalen Raum ging Markus Oswald, von der Zentralstelle Hasskriminalität der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Er betonte, dass Hasskriminalität ein sehr spezielles Phänomen sei. Es sei mit einem großen Dunkelfeld verbunden, da viele Taten nicht angezeigt würden. Um das zu verändern und das Dunkelfeld aufzuhellen, verfolge die Einheit eine Drei-Säulen-

Katastrophen als Fortschrittstreiber (BS/Dr. Barbara Held) Belgien war eines der ersten europäischen Länder, das einen nationalen Digitalfunk für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) aufbaute. Jetzt ist es Vorreiter in Sachen Breitbanddienste für Einsatzkräfte. Beide Male stand vor dem Entschluss zur Infrastruktur-Investition viel menschliches Unglück. Regierung. Den Rest muss die Firma als Gebühren von ihren Kundinnen und Kunden einziehen. 2001 ging die erste belgische Provinz mit ihrem TETRA-Netz in den Wirkbetrieb. Der vollstände Rollout erstreckte sich bis 2005/2006. Rund 600 Basisstationen und elf Vermittlungsstationen versorgen das Land flächendeckend mit hochverfügbarem schmalbandigem Digitalfunk. 2021 zählt das Astrid-Netz rund 57.000 Abonnenten aus Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften. Überlegungen zu einem MidlifeUpgrade gab es schon seit 2010, da sich der Life Cycle wichtiger Komponenten dem Ende zuneigte. Damals wurde unter anderem die Migration auf Breitband-Technologie in Erwägung gezogen, aber dann doch verworfen, erklärt Christophe Grégoire, seit 2013 Technischer Direktor (CTO) bei Astrid. Die für BOS unentbehrlichen Funktionen wie Gruppenruf, Priorisierung, Alarmierung und Direct Mode seien in den entsprechenden 3GPPStandards noch nicht ausreichend abgebildet gewesen.

Strategie. Bei der Strafverfolgung werde dabei einerseits auf eine Konzentration der Fallbearbeitung in einer Hauptabteilung mit zwei Abteilungen gesetzt. Außerdem informiere man die Betroffenen über eine Anklageerhebung sowie den Verfahrensausgang, so der Staatsanwalt. Zudem fänden bei Hasskriminalität keine Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen durch die Staatsanwaltschaft statt. Die Betroffenen würden auch nicht auf den Privatklageweg verwiesen. Andererseits vernetze man sich mit Behörden, Nichtregierungsorganisationen sowie Hilfseinrichtungen und fungiere als Ansprechperson für Opfer, Mitarbeiter und Hilfseinrichtungen. Dieser Ansatz scheint der richtige zu sein. Denn laut Oswald steigen die Verfahrenszahlen jedes Jahr signifikant.

Super Recognizer können helfen

BOS-Funk in Belgien

I

n Sachen Katastrophenprävention und -schutz beginnt die technische Innovation oft mit einer menschlichen Katastrophe. Im Falle des belgischen Digitalfunks war das die Tragödie im Brüsseler Heysel-Stadion, auf dessen Rängen im Mai 1985 vor einem Fußballspiel 39 Fußballfans ums Leben kamen. Zwei Jahre später kenterte 1987 die Fähre “Herald of Free Enterprise” vor dem Hafen Zeebrugge an der belgischen Nordseeküste. Von den 623 Personen an Bord kamen 193 ums Leben. Eine parlamentarische Untersuchungskommission identifizierte in beiden Fällen fehlende Kommunikationsmöglichkeiten als Mitursache für die hohe Anzahl von Todesopfer. 1998 einigte sich die belgische Politik schließlich auf eine neue Kommunikationsinfrastruktur: Man schloss mit der heutigen Firma Airbus einen Vertrag zum Aufbau eines nationalen TETRANetzes ab. Gleichzeitig wurde “Astrid” als staatliche GmbH gegründet, die bis heute Aufbau, Betrieb und Weiterentwicklung der belgischen BOS-Kommunikationsinfrastrukturen steuert. Grundlage sind Verträge mit der Regierung, in denen die Qualität von Funkversorgung und Dienstleistungen definiert sind. Dafür erhält das Astrid-Netz einen Teil seines Budgets von der

Behörden Spiegel / September 2021

Astrid habe sich stattdessen zu einer umfassenden Modernisierung seines einsatzkritischen TETRA-Netzes entschlossen, um dessen Lebensdauer bis 2030 zu verlängern. Das Midlife-Upgrade fand weitestgehend zwischen 2014 und 2019 statt. Sowohl die Basisstationen des Zugangsnetzes als auch die Switches des CoreNetworks wurden durch moderne Upgrades ausgetauscht. Damit verbunden war die Abschaltung der E1-Leitungen und die Migration zu einem Full-IP-Netzwerk. Parallel zur Netzmodernisierung rief Astrid 2014 mit Blue Light Mobile (BLM) einen BreitbandService ins Leben, der den BOS über Smartphones mit BLM-SIMKarte eine sichere, mobile, aber nicht “einsatzkritische” Datenkommunikation ermöglichte. Denn die kommerziellen Betreiber konnten BOS-Ansprüche an Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit nicht vollumfänglich erfüllen. Die Etablierung der ersten Phase von BLM beruht auf einer öffentlichen Ausschreibung für Mobile-Virtual-Network-Operator-

(MVNO)-Dienste, die nationales Roaming auf den drei kommerziellen Netzwerken in Belgien erlauben sollten. Die Beschaffung führte in einen Hauptvertrag mit Proximus, der Astrid erlaubt, als MVNO seine Nutzer über die kommerzielle Infrastruktur zu steuern. Dabei werde auch ein gewisses Roaming in die Netze der beiden anderen belgischen Betreiber Base und Orange ermöglicht, so CTO Grégoire. Eine weitere Zäsur bildeten die islamistisch motivierten Terroranschläge in Brüssel im März 2016, die am Flughafen BrüsselZaventem sowie in der Brüsseler Innenstadt insgesamt 35 Tote und über 340 Verletzte forderten. Unendliche Warteschlangen im TETRA-Netz und der Zusammenbruch der kommerziellen Telefonie während der kritischen Tage führten erneut zu umfassenden offiziellen Untersuchungen. Im Ergebnis wurde die TETRA-Infrastruktur weiter ausgebaut und gehärtet, das Nutzer-Management neu überdacht und es wurden die entsprechenden BOS-Schulungen neu aufgesetzt, da nicht nur die

Technik, sondern auch regelwidriges Fleet-Mapping als Ursache für die Kommunikationsprobleme identifiziert wurde. Das breitbandige BLM Phase zwei erhielt 2017 nach Verhandlungen mit Proximus verstärkte Priority- und PreemptionRechte sowie ein optimiertes Management von Zugangsklassen. Darüber hinaus wurden Sprachdienste implementiert. Rund 7.500 Abonnenten zählt der Breitband-Service in diesem Jahr, viele davon aus dem Behörden-Management. Diese relative Zurückhaltung erklärt Grégoire mit Astrids anfänglicher Preispolitik, die BLM teurer machte als kommerzielle Netze. Inzwischen verzeichne man aber einen steten Zulauf. Die Planungen für das BLMBreitbandnetz auf einsatzkritischem Niveau starteten ebenfalls 2017. Schließlich würden in naher Zukunft Video, DrohnenSteuerung und IoT-Dienste für die BOS zum einsatzkritischen Instrumentarium gehören, so Grégoire. Für das BLM der Zukunft setzt Astrid auf ein hy-

Ebenso erfolgreich wie die Zentralstelle Hasskriminalität könnten Super Recognizer bei den Polizeien sein, zeigte sich Prof. Dr. Meike Ramon vom Applied Face Cognition Lab der Universität Fribourg in der Schweiz überzeugt. Dabei handelt es sich um Personen, die andere Menschen in Videoaufnahmen sehr gut und effektiv wiedererkennen und identifizieren können. Damit Super Recognizer einen Mehrwert brächten, brauche es jedoch eine bedarfsorientierte Auswahl und einen bedarfsorientierten Einsatz von ihnen. Außerdem müsse behördeninternes Wissen, das bereits vorhanden sei, auch tatsächlich genutzt werden. Leistungen dürften keinesfalls ausgelagert werden, verlangte Ramon unter Bezugnahme auf verschiedene entsprechende Pilotprojekte. Würden all diese Bedingungen erfüllt, könnten Super Recognizer eine große Hilfe für die Polizeien darstellen. Zumal Videomaterial für Ermittlungen und die Gefahrenabwehr immer wichtiger werde und zugleich langsam, aber sicher die Grenzen der automatisierten Gesichtserkennung erreicht seien. Hinzu kommt, dass dieses Instrument datenschutzrechtlich stark umstritten ist und es immer wieder zu Diskussionen kommt.

brides MVNO-Modell, in dem die staatliche Firma ein eigenes Kernnetz betreiben will und nationales Roaming sowie Bevorrechtigungen steuert. “Wenn Sie kein ausreichendes Spektrum haben, dann haben Sie auch keine Chance auf ein dediziertes Netz”, erklärt Grégoire die Strategie. In Vorbereitung der ausstehenden Frequenzauktionen liegen derzeit Gesetzesvorlagen vor, die Astrid – analog zum deutschen Digitalfunk – nur zweimal fünf Megahertz in Band 68 und zweimal drei Megahertz in Band 28 zugestehen. Zumindest Letzteres werde man zum RAN-Sharing mit den kommerziellen Netzbetreibern einsetzen können, hofft Astrids CTO. Die Ausfertigung der entsprechenden Königlichen Dekrete wird bis Jahresende erwartet. Zudem läuft der bestehende BLM-Vertrag in diesem Jahr aus, sodass sich Astrid derzeit in einem Vergabeverfahren für den Betreiber befindet, der ab 2022 als präferierter MNO übernehmen soll. Der Teilnehmerwettbewerb steht vor dem Abschluss. Der Vertrag läuft dann etwa bis 2026, genau richtig, um beim vorgesehenen Übergang von 4G zu 5G die Weichen neu stellen können. “Es wird nicht alles nach unseren Plänen laufen, aber wir müssen trotzdem Pläne machen”, fasst Christophe Grégoire die Perspektiven zusammen.


Innere Sicherheit

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Vor Angriffen geschützt?

Nachrichtendienst-Ausbildung

Polizisten sind immer öfter Attacken ausgesetzt

Einrichtung wird von BND und BfV gemeinsam betrieben

(BS/Adrian Jochum*) Eine bittere Realität: Seit Jahren nehmen Übergriffe und rohe Gewalt gegen Beschäf- (BS/Marco Feldmann) In der Aus- und Fortbildung kooperieren der Bundesnachrichtendienst (BND) und das tigte im Öffentlichen Dienst zu. Vor allem Polizeibeamte sind massiv betroffen. Wie lassen sich Menschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) inzwischen sehr eng miteinander. Ausdruck dessen ist das “Zentrum wirklich schützen? für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung” (ZNAF) in Berlin. Dieses wird – ungeachtet ihrer unter­ schiedlichen Aufgabenfelder und übergeordneten Ministerien – von beiden Nachrichtendiensten zusammen getragen. Und das offenbar erfolgreich. Respekt vor Polizisten und anderen Ordnungshütern. Furcht vor rechtlichen Konsequenzen. Gibt es das aktuell wirklich nicht mehr? Wer sich Ereignisse wie andauernde Konflikte in der Berliner Hausbesetzer-Szene oder Demos in Hamburg und Nordrhein-Westfalen vor Augen führt, der kann diese Frage nur so beantworten: nein. Es ist eine Tatsache: Immer häufiger werden Beamte, die im Einsatz für Recht und Ordnung sorgen, das direkte Ziel von roher Gewalt. Ein Beispiel aus Berlin: Der eine Demonstrant greift sich das Visier des Polizisten, schiebt es hoch und dann … der andere schlägt zu. Ohne Respekt vor dem Menschen, der unter dem Helm steckt. Passiert ist es so in Berlin bei einer Eskalation auf offener Straße. Auf der einen Seite die Beamten im Einsatz. Auf der anderen Seite zahlreiche gewaltbereite Demonstranten, die weder vor Personen im Dienst noch vor Schutzschilden, Visieren und Fahrzeugen haltmachen.

Eindeutige Zahlen Auch Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache – und eine erschreckende, die nichts beschönigt: “Respekt schwindet, die Hemmschwelle sinkt”, hieß es schon vor zehn Jahren in der Presse. Geändert hat sich bis heute nichts: In Berlin finden laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) “durchschnittlich neun Angriffe auf Polizisten pro Tag statt. Dabei werden drei Polizeibeamte mehr

KASIGLAS® hält auch Extrembelastungen stand.

oder weniger schwer verletzt”. Die “Beamten werden oft nicht ernst genommen”, so Andreas Zick vom Bielefelder Institut für Gewaltforschung. Manche Täter sagen sich: “Mir passiert eh nichts.” Entsprechend zeigt die Zahl der Gewalttaten gegen Polizisten permanent nach oben: In den letzten zehn Jahren hat die Anzahl an Opfern unter den Ordnungshütern Jahr für Jahr um rund zehn Prozent zugenommen. Aber Einsatzkräfte tragen doch Helme oder Schutzschilde und kommen in Fahrzeugen – da sind sie doch geschützt? Häufig nicht, da in den Einsatzfahrzeugen oft die Originalscheiben verwendet werden, gelegentlich scheinbar geschützt durch eine Splitterschutzfolie. Doch ist dies meist wirklich nur ein scheinbarer Schutz. Die Folie und die entsprechenden Normen stammen aus der Einbruchhemmung an Gebäuden und sind für den

Foto: BS/KRD

harten Einsatz in Fahrzeugen ungeeignet. Denn im Angriffsfall wird die Scheibe von Rissen überzogen, was die Durchsicht verhindert.

Sicherheitszellen entstehen Ein Rückzug durch Weiterfahrt aus der Gefahrenzone ist nicht mehr möglich. Wirklichen und nach der Technischen Richtlinie der Polizei geprüften Schutz bieten innovative KASIGLAS®Verbundsicherheitsscheiben aus ultrarobustem Kunststoff. Sie machen aus den Fahrzeugkabinen regelrechte Sicherheitszellen, sind schlag- und stoßsicher und halten, bewährt seit vielen Jahren, jedem erdenklichen Angriff stand – auf Dauer. So bieten sie optimalen Schutz und die Beamten können sich sicher fühlen. Sicherheit mit Durchblick jederzeit. *Adrian Jochum ist Key Account Manager bei KRD.

MELDUNG

Bundesbeamtengesetz anpassen? (BS/mfe) Beamtinnen und

Beamte des Bundes können Schmerzensgeldansprüche an ihren Dienstherrn abtreten. Bundespolizisten, die etwa in bi- oder trilateralen Streifen eingesetzt sind, ist dies jedoch nicht immer möglich. Denn die Abtretung ist an einige Voraussetzungen gebunden. Außerdem hat die Regelung Lücken. So gibt es die Abtre-

tungsmöglichkeit laut Paragraf 78a Bundesbeamtengesetz (BBG) nur, wenn der Schmerzensgeldanspruch wegen einer vorsätzlichen Verletzung

A

uf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Such- und Analysesoftware hilft dabei, eine zentrale Herausforderung unserer Zeit zu meistern: die Bewältigung der überbordenden Informationsflut. Sie nutzt moderne Methoden der KI in Kombination mit fortschrittlichen Suchtechnologien, um in Datenbeständen gleich welcher Größe relevante Kerninformationen zu identifizieren, zu analysieren und logisch miteinander zu verknüpfen. Die Nutzer erhalten eine 360-Grad-Sicht auf alle wichtigen Informationen, können sich flexibel von allen Seiten relevante Informationen erschließen und Zusammenhänge erkennen. Die Größe der Datenbestände spielt dabei praktisch ebenso wenig eine Rolle wie die Art der Datenquellen. Die Lösung iFinder etwa ermöglicht eine beliebig skalierbare Suche in Milliarden von Dokumenten in Echtzeit. Es werden alle für den Einsatzzweck relevanten Datenquellen angebunden – egal ob strukturierte oder unstrukturierte Daten aus der Vorgangs- oder Fallbearbeitung oder sonstigen Quellen. Für das Durchsuchen und die Analy-

des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung, die der Beamtin oder dem Beamten wegen ihrer oder seiner Eigenschaft als Amtsträgerin oder Amtsträger zugefügt worden ist, besteht. Außerdem braucht es einen Antrag des Betroffenen sowie ein rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts. Ein solches können die Beamtinnen und Beamten jedoch nicht immer ohne Weiteres herbeiführen. Dies betrifft unter anderem die bereits erwähnten Kräfte multilateraler Streifen, sofern sie im

Ausland attackiert werden, oder Beamte, die in Einsätzen der europäischen Küstenwachen- und Grenzschutzagentur Frontex Verwendung finden. Nach Informationen des Behörden Spiegel soll die Spitze des Bundesinnenministeriums (BMI) diesbezüglich Verbesserungen und Einzelfallregelungen zugunsten der Betroffenen zugesagt haben, etwa auf dem Wege eines Erlasses. Offiziell heißt es aus dem BMI jedoch, dass derzeit weder eine Änderung des BBG noch untergesetzliche Anpassungen beabsichtigt seien.

So sehen es jedenfalls der Leiter des ZNAF Albert Blankenburg vom BND und seine Stellvertreterin Heike Mahlstedt vom BfV. Die Einrichtung habe BND und BfV näher zusammengebracht und dazu beigetragen, ein besseres Verständnis füreinander zu schaffen. Das gelte sowohl für die Laufbahnausbildung im mittleren Dienst als auch für die Laufbahnausbildung im gehobenen Dienst (duales Studium). Ausdruck dieses gemeinsamen Ansatzes, der laut Blankenburg auch im internationalen Vergleich vorbildlich sei, ist, dass es in der ZNAF-Praxis gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Lehrenden beider Behörden in Tandem-Teams für die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auslands- sowie des Inlandsnachrichtendienstes gebe. Dadurch, dass beide Behörden Dozenten stellten, ließen sich Kompetenzen sowie Kräfte bündeln. Außerdem könne so der Austausch zwischen diesen beiden Nachrichtendiensten des Bundes gestärkt werden, ist sich Blankenburg mit seiner Stellvertreterin Mahlstedt einig.

Initiative ausgehend vom Vertrauensgremium Der Impuls zur Gründung einer gemeinsamen Schule beider Nachrichtendienste ging aus dem Vertrauensgremium des Deutschen Bundestages im Jahr 2007 hervor. Die Einrichtung befinde sich bereits seit zwei Jahren im Wirkbetrieb, erläutert Blankenburg. Die Corona-Pandemie habe auch das ZNAF vor große Herausforderungen gestellt, da digitale Lehre für Nachrichtendienste in einigen Fächern nur schwer umzusetzen sei. Durch flexible Lösungen, wie zum Beispiel Blended-Learning-Modelle, habe jedoch sichergestellt werden, dass alle Studierenden und Auszubildenden ihre Laufbahnausbildung fristgerecht beendeten. Für die Zukunft sei eine spezielle E-Learning-Plattform für die Nachrichtendienste des Bundes geplant, kündigt der ZNAF-Leiter an. “Sie soll noch in diesem Jahr eingeführt werden”, zeigt sich Blankenburg überzeugt. Auch wenn die Pandemie das ZNAF vor große Herausforderungen

gestellt habe, habe durch flexible Lösungen sichergestellt werden können, dass alle Anwärterinnen und Anwärter ihre Ausbildung oder ihr Studium fristgerecht hätten beenden können. Dies sei ein Erfolg für das ZNAF, betont Mahlstedt. Denn zum Teil hätten – selbstverständlich unter Wahrung der Corona-Regeln und -Beschränkungen – trotz allem auch Präsenzveranstaltungen abgehalten werden können. So seien zum Beispiel Vorlesungen teilweise in mehrere Hörsäle gleichzeitig übertragen worden. Im Umsetzungsprozess habe es auch viele Anregungen und konstruktive Vorschläge durch die Anwärterinnen und Anwärter gegeben. Trotz der allgemein gut funktionierenden Abläufe seien dennoch fortlaufend kleinere Anpassungen erforderlich, unterstreicht Blankenburg. So müsse man sich strukturell-organisatorisch auf das weitere ZNAF-Aufwachsen vorbereiten. Außerdem solle die digitale Komponente gestärkt werden. Denn die Corona-Pandemie habe diesbezüglich Rückenwind gebracht. Darüber hinaus wird aktuell ein Methodik- und Didaktikzentrum am ZNAF aufgebaut. In diesem Zusammenhang sagt der ZNAF-Leiter: “Hilfreich bei der Identifizierung von Verbesserungspotenzialen in den Verwaltungsabläufen sind die regelmäßigen Jour fixe, die wir mit allen Lehrgangssprecherinnen und -sprechern abgehalten haben und auch weiterhin abhalten.”

Verschiedene Behörden vertreten Bislang haben die Absolventinnen und Absolventen zweier Lehrgänge für den mittleren Dienst ihre Ausbildung am ZNAF abgeschlossen. In Kürze folgt der erste Lehrgang für den gehobenen Dienst. Die aktuellen Bewerberzahlen in den Behörden bewegen sich sowohl im mittleren als auch im gehobenen Dienst im unteren vierstelligen Bereich. Neben dem BND und dem BfV entsenden auch das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und einige Landesämter für Verfassungsschutz Anwärterinnen und Anwärter an

Kommissar Suchmaschine Künstliche Intelligenz unterstützt die Polizeiarbeit (BS/Franz Kögl*) Von intelligenten Suchmaschinen können auch Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) ganz erheblich profitieren. Das gilt gerade für die Polizei, der damit ein effektives Einsatzmittel für den digitalen Raum zur Verfügung steht. se dieser Daten und Inhalte steht eine unkomplizierte Benutzeroberfläche bereit, die sich sowohl separat als auch integriert in bereits vorhandene Workflows oder Plattformen, wie das Intranet oder Behörden-Portale, nutzen lässt. Die integrierte KI erkennt beispielsweise Personennamen, Kontodaten, Kfz-Kennzeichen, Vorfallstypen sowie Relationen unter den gewählten Entitäten und kann diese somit quellübergreifend vernetzen.

Intelligentes Wissens­ management-Tool für BOS

Mithilfe der Software iFinder ist eine beliebig skalierbare Suche in Milliarden von Dokumenten in Echtzeit möglich. Foto: BS/IntraFind Software AG

Bei der Recherche sorgen hochwertige Textanalyse-Funktionen für vollständige und relevante Trefferlisten. So berücksichtigt die Software beispielsweise Sy­ nonyme, zerlegt Mehrwortbegriffe in ihre sinntragenden Einzelteile und erkennt Eigennamen, Orte, Zahlen und Einheiten. Mit diesen vielfältigen linguistischen Vorverarbeitungen für rund 30 Sprachen stellt die Software sicher, dass die Beamten bei ihren Ermittlungen nichts Relevantes übersehen.

Strenge Sicherheits­ anforderungen erfüllen Von solch einem intelligenten, Tat-, Täter- oder organisierter Vorgangsbearbeitungssystemen

suchbasierten Wissensmanagement-Tool können auch BOS erheblich profitieren. So steht damit der Polizei ein effektives Einsatzmittel für den digitalen Raum zur Verfügung: sei es für die Aufklärung von Phänomen-,

Strukturen, zur Einsatzvorbereitung in der Gefahrenabwehr oder zur Unterstützung strafprozessualer Ermittlungen. Dazu kann die Polizei sämtliche erforderlichen Informationssysteme nahtlos integrieren – von Fall- und

über Daten aus Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ), beschlagnahmten Datenträgern oder Images, Cloudspeichern und E-Mail-Systemen bis hin zu Social Media, Internet, Deep Web oder Dark Web.

Beim Einsatz in der Polizeiarbeit muss eine Such- und Analysesoftware natürlich strengen Sicherheitsanforderungen gerecht werden und die Einhaltung des Datenschutzes gewährleisten. Das

das BfV, damit sie dort an der Laufbahnausbildung teilnehmen. Grundlage für die Teilnahme aus den Ländern ist dabei der Abschluss einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung zwischen dem jeweiligen Landesamt für Verfassungsschutz und dem BfV. Von dieser Möglichkeit haben jedoch bislang noch nicht alle Länder Gebrauch gemacht. Am ZNAF findet auch die BNDeigene Aus- und Fortbildung statt. Zudem erfolgen in dem im ZNAF angesiedelten “Fortbildungszentrum Islamismus” (FZI) auch einige Fortbildungskomponenten des BfV. Ferner absolvieren am ZNAF die Studierenden des Masters für Intelligence and Security Studies (MISS) einen Teil ihres gemeinsamen MasterStudienganges, einer Kooperation zwischen der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, der Universität der Bundeswehr München sowie BND und BfV.

Studierende zufrieden Unterhält man sich direkt mit ZNAF-Studierenden, hört man nur Gutes über die Einrichtung. So hätten sich die Professorinnen und Professoren sehr schnell auf die Corona-Bedingungen eingestellt. Zugute gekommen sei hier zudem, dass es sich um ein duales Studium handele und die Ausbildung in den jeweiligen Diensten ganz normal weitergegangen sei. Die jeweiligen “Heimatbehörden”, zu denen die Absolventinnen und Absolventen dann später auch wieder zurückkehrten, hätten sie auch sehr gut unterstützt. Das habe unter anderem für Dienstreisen trotz der Pandemie gegolten, ist zu hören. Durch die gemeinsame Zeit am ZNAF hätten sich BND- und BfVAnwärterinnen und Anwärter außerdem besser kennen- und verstehen gelernt. Es sei nun ein besseres Verständnis für die Arbeitsweise sowie die Nöte des jeweils anderen vorhanden. Als unglücklich, aber letztendlich Pandemie-bedingt auch nicht vermeidbar, wird allerdings gesehen, dass wegen Corona keine gegenseitigen Praktika und keine Vernetzung mit anderen Lehrgängen möglich gewesen sei.

Rechte- und Rollenkonzept des iFinders ermöglicht eine präzise Abgrenzung besonders schützenswerter Datenbestände. Durch eine feingranulare Vergabe von Rechten und Rollen lassen sich Zugriffe auf Inhalte mit hohem Sicherheits- und Schutzbedarf auf berechtigte Nutzer beschränken und auch protokollieren. Hinter dem iFinder steht mit der IntraFind Software AG ein deutscher Hersteller, der über 15 Jahre umfangreicher Projekterfahrung im öffentlichen Bereich und in Polizeibehörden sowie in der Geheimschutzbetreuung der deutschen Wirtschaft mit entsprechend sicherheitsüberprüftem Personal verfügt. Die Software ist bereits bei mehreren Bundesämtern, Landeskriminalämtern und Landesverwaltungen sowie bei Regionalträgern der Deutschen Rentenversicherung im Einsatz. Weitere Informationen und Anfragen unter: www.intrafind.com/ BOS *Franz Kögl ist Vorstand der IntraFind Software AG.


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

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Behörden Spiegel / September 2021

Cloud kann Polizeien helfen

Notare werden aktiver

Bundeskriminalamt arbeitet an Lösungen

Deutlich mehr Geldwäscheverdachtsmeldungen

(BS) Im Bundeskriminalamt (BKA) existiert eine eigene Cloud. Noch wird diese nur für interne Anwendungen genutzt. Eine Ausweitung ist aber vorgesehen. Denn im Zuge der Digitalisierung benötigten die Polizeien derartige Lösungen, meint der IT-Abteilungsleiter im BKA, Peter Ehrmann. Die Fragen stellten die Behörden Spiegel-Redakteure Marco Feldmann und Benjamin Stiebel.

(BS/mfe) Bei der “Financial Intelligence Unit” (FIU) zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sind im vergangenen Jahr 25 Prozent mehr Verdachtsmeldungen eingegangen als noch 2019. Bei der Stelle, die inzwischen zur Generalzolldirektion (GZD) gehört, liefen 2020 insgesamt 144.005 Hinweise auf. Ein Jahr zuvor waren es noch “nur” 114.914 gewesen.

Behörden Spiegel: Herr Ehrmann, wie kam es zur Entwicklung der BKA-Cloud?

Mit einem absoluten Zuwachs von rund 29.000 Meldungen stellt dies in der Gesamtbetrachtung den zweithöchsten Anstieg innerhalb eines Jahres dar. In den letzten zehn Jahren hat sich das jährliche Meldeaufkommen mehr als verzwölffacht. Der Anstieg des Meldeaufkommens im Jahr 2020 erstreckt sich sowohl auf den Finanz- als auch auf den Nichtfinanzsektor. Noch immer stammt mit rund 97 ­Prozent der weit überwiegende Teil der Meldungen aus dem Finanzsektor. Mit einer Zunahme von über 27.000 Meldungen beträgt der Anstieg in diesem Sektor knapp 25 Prozent. Im Nichtfinanzsektor, zu dem et-

Peter Ehrmann: Die Gesellschaft wird insgesamt immer digitaler. Das betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche und Akteure. Auch bei den Polizeien haben wir es mit immer mehr und immer größeren Datenmengen zu tun. Außerdem müssen die Ermittlerinnen und Ermittler oftmals sehr spezielle Daten auswerten. Dafür brauchen sie Werkzeuge, die diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Heutzutage müssen die Polizeien in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit Unmengen an Daten zu analysieren. Dafür wird eine technische Basis benötigt, die flexibel derartige Lösungen bereitstellt. Das kann die Cloud des Bundeskriminalamtes, mit deren Erarbeitung wir bereits vor zwei Jahren begonnen haben. Denn sie stellt perspektivisch unter anderem Infrastrukturdienstleistungen und Dienstleistungen bereit, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten.

Die Cloud hingegen ist nicht ans Internet angeschlossen, sondern befindet sich in einem besonders gesicherten Bereich.

Zwischenschritt notwendigen Interimslösungen, auf die man sich dort geeinigt hat, von ihrer IT-Architektur her nicht Cloud-

Behörden Spiegel: Auf der Cloud können Daten bis zum Geheimhaltungsgrad VS-NfD verarbeitet werden. Was passiert bei höher eingestuften Daten?

“Derzeit nutzen wir die Cloud nur für interne Anwendungen.”

Ehrmann: Für höher eingestufte Daten haben wir eigene Umgebungen und Verfahren. Die laufen dann nicht über die Cloud, sondern über eigene Infrastrukturen. Hier findet eine klare Trennung statt.

Behörden Spiegel: Ist die Cloud eine reine Storage-Lösung oder werden noch weitere Dienste darüber bereitgestellt?

Behörden Spiegel: Wie verhält sich die Cloud des Bundeskriminalamtes zum Projekt “Polizei 2020”? Ehrmann: Die Cloud wird mit ihren Dienstleistungen künftig sowohl dem Bundeskriminalamt (BKA) als auch – im Rahmen von “Polizei 2020” – den beteiligten Bundes- und Landespolizeien zur Verfügung stehen. Behörden Spiegel: Welche Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) können die BKA-Cloud nutzen?

fähig sind. Das gilt etwa für die Interims-Vorgangsbearbeitungssysteme. Die finalen Lösungen, die bei “Polizei 2020” erarbeitet werden, werden aber Cloud-fähig sein. Natürlich stehe ich diesbezüglich in engem Austausch mit den Programmverantwortlichen von “Polizei 2020”.

Peter Ehrmann ist Leiter der Abteilung Informationstechnik im Bundeskriminalamt (BKA). Foto: BS/Bundeskriminalamt

Behörden Spiegel: Befindet sich die Cloud bereits im Wirkbetrieb? Ehrmann: Derzeit nutzen wir die Cloud nur für interne Anwendungen. Momentan befinden sich in der Cloud bereits mehrere interne Services, die wir den Entwicklern auch zur Verfügung

Ehrmann: Für mich ist eine reine Storage-Lösung gar keine Cloud. Für uns bedeutet Cloud, dass wir den Entwicklern von Verfahren alle Möglichkeiten und Dienste anbieten, damit sie schnell und effizient und direkt auf der Cloud eigene Anwendungen entwickeln können. Außerdem verstehen wir unter der Cloud auch vorgefertigte Dienstleistungen, etwa solche, die KI zur Bild- oder Sprachanalyse nutzen. Diese können vom Entwickler dann in seine Verfahren und Programme einbezogen werden. Behörden Spiegel: Wie können bei einer zentralen Cloud unberechtigte Zugriffe auf die sensiblen Daten verhindert werden?

Ehrmann: Die Zugriffe werden Ehrmann: Hauptnutzer der durch die Verfahren geregelt, Cloud sind entsprechend der die sich auf der Cloud befingesetzlichen den. Dafür haVorgaben das ben wir einen “Hauptnutzer der Cloud sind entsprechend der Bundeskrimiexternen Sern a l a m t u n d gesetzlichen Vorgaben das Bundeskriminalamt und vice, der den Entwicklern perspektivisch perspektivisch die Bundes- und Landespolizeien, von Verfahren die Bundesdie im Rahmen der “Saarbrücker Agenda” und Landeszur Verfügung ­zusammenarbeiten.” polizeien, die steht. Grundim Rahmen der sätzlich kann “Saarbrücker Agenda” zusam- stellen. Für die Zukunft ist hier ein Administrator nicht auf die menarbeiten. eine Ausweitung auf Services und Daten der Cloud zugreifen. Er Dienste wie Machine Learning kann nur sagen, ob eine virBehörden Spiegel: Können nur oder Blockchain vorgesehen, die tuelle Maschine läuft oder ein BOS die BKA-Cloud nutzen? Oder in der Öffentlichkeit bekannt Container verfügbar ist. Aukönnen zum Beispiel auch Bürger sind. Ende dieses Jahres soll ßerdem werden die Daten verhierüber Fotos und Videos zur die Cloud in den externen Wirk- schlüsselt abgelegt. Über ein BeVerfügung stellen? betrieb gehen. rechtigungsverzeichnis werden unberechtigte Zugriffe und die Ehrmann: Nein, für die InterBehörden Spiegel: Es ist zu hö- Vermischung von Daten verhinaktion mit den Bürgerinnen und ren, dass “Polizei 2020” die Cloud dert. In der Cloud haben wir ein Bürgern haben wir als Bundes- nicht nutzen will. Stimmt das? sehr differenziertes Rollenmodell kriminalamt ein Hinweisportal, ohne Masterzugriffe für Admidas an das Internet angeschlosEhrmann: Das Programm “Po- nistratoren. Das ist auch mit sen ist. Über diese eigene Infra- lizei 2020” wird ja in mehreren dem Bundesamt für Sicherheit struktur lassen sich Fotos und Stufen realisiert. Die Situati- in der Informationstechnik so Videos zur Verfügung stellen. on derzeit ist, dass die als ein abgestimmt.

BKA-Bericht veröffentlicht Pandemie wirkt sich auf Kriminalität aus (BS/mfe) Die Corona-Pandemie hatte deutliche Folgen für die Kriminalitätsentwicklung hierzulande. Das geht aus einem entsprechenden Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor. Dieser wurde im ­Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) erstellt und nun als Managementfassung veröffentlicht. Ihr zufolge nahm die Zahl der Taschen- oder Wohnungseinbruchdiebstähle massiv ab, da die Tatgelegenheiten pandemiebedingt wegfielen. Andererseits wurden aber auch neue Möglichkeiten für Kriminelle geschaffen, sodass etwa der Subventionsbetrug im Zusammenhang mit den CoronaSoforthilfen sehr stark zunahm. Auch auf die Politisch Motivierte Kriminalität hatte die Pandemie Auswirkungen: Über 3.500 politisch motivierte Straftaten im

thematischen Zusammenhang mit Corona zählten die Bundesländer im vergangenen Jahr. Der Blick auf das Kriminalitätsgeschehen 2020 zeigt aber auch, dass der grundsätzlich rückläufige Trend in der Allgemeinkriminalität durch die Pandemie nicht beeinflusst wurde. Auch im “Pandemiejahr 2020” sank die Zahl der Straftaten um 2,3 Prozent im Vergleich zu 2019. Dabei war die Allgemeinkriminalität insbesondere zur Zeit des

ersten Lockdowns im April im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres niedriger. BKA-Präsident Holger Münch sagte dazu: “Der Bericht verdeutlicht, wie Kriminelle die Pandemie-Situation ausgenutzt haben: Betrugsdelikte und Cyber Crime haben zugenommen. Insbesondere die unberechtigte Inanspruchnahme von Leistungen, etwa von Corona-Subventionen, haben den Staat über 90 Millionen Euro gekostet.”

wa Notare, Auto- und Mineralölhändler sowie Juweliere gehören, gab es erneut einen überproportionalen Anstieg in Höhe von fast 90 Prozent im Vergleich zu 2019. Insgesamt stieg der Anteil der Meldungen aus dem Nichtfinanzsektor von gut 1,3 Prozent im Vorjahr auf nunmehr knapp zwei Prozent an. Es ist also immer noch deutlich Luft nach oben, zumal die Kontrolle des Nichtfinanzsektors in Deutschland sehr zersplittert ist. War der Anstieg im Vorjahr vor allem dem gestiegenen Meldeaufkommen der Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen geschuldet, ist der Anstieg

im Jahr 2020 auf die Verpflichtetengruppe der Notare zurückzuführen. Hintergrund hierfür ist insbesondere die zum 1. Oktober letzten Jahres in Kraft getretene Geldwäschegesetzmeldepflichtverordnung-Immobilien, die nun die Meldepflichten bestimmter Berufsgruppen bei Immobilientransaktionen konkretisiert und verschärft. Auch aus dem Bereich der Finanzunternehmen und von Immobilienmaklern gingen deutlich mehr Verdachtsmeldungen bei der FIU ein. Im Gegensatz dazu ist im Glücksspielsektor sowie bei den Güterhändlern ein starker Rückgang der Meldungen zu verzeichnen.

Die Koordinierungsstelle NOAH 9/11: Geburtsstunde staatlicher Stellen für Nachsorge (BS/Dr. Jutta Helmerichs/Nathalie Schopp) Der 11. September 2001 markiert in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt im deutschen Bevölkerungsschutz. Er war unter anderem der entscheidende Impuls für die Errichtung der Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (KoSt NOAH) bereits ein paar Monate später im Jahr 2002. Die Bundesregierung hatte erkannt, dass Deutschland zeitgemäße Anpassungen im Bevölkerungsschutz vornehmen musste. Während zum Beispiel in den USA die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) für Betroffene von Anschlägen und Katastrophen schon lange integraler Bestandteil der Gefahrenabwehr war, gab es in Deutschland noch eine Versorgungslücke. Das betraf damit auch die insgesamt 14 Familien, deren Angehörige bei den 9/11-Anschlägen in den USA zu Tode kamen und die sich letzten Endes an Presse und Politik wandten und so ihrem Anliegen Gehör verschafften. Willkürlich attackierte Betroffene von Terroranschlägen haben eine Stellvertreterrolle. Sie erleiden die Auswirkungen des Anschlags, aber sie sind als Ziel nicht gemeint. Das mittelbare Ziel ist der Staat, der destabilisiert werden soll. Insofern hat der Staat hier eine besondere Verpflichtung, der er seit 2002 mit der KoSt NOAH nachkommt. Seit 2004 ist sie im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) angesiedelt. Ursprünglich für Terrorbetroffene eingerichtet, zeigte die praktische Arbeit der Koordinierungsstelle schnell, dass bei komplexen Schadenslagen ein genereller und hoher Bedarf nach einer psychosozialen, bedarfsorientierten und interdisziplinären Ansprech- und Koordinierungsstelle besteht. Entsprechend hat die KoSt NOAH in den vergangenen 20 Jahren 368 Einsätze abgearbeitet, die je nach Größe bis zu 18 Monate und länger andauerten, darunter auch der Tsunami in Südostasien 2004 und der Germanwings-Absturz 2015.

Keine typische ­Behördeneinheit Die KoSt NOAH kooperiert eng mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskriminalamt (BKA) und weiteren Bundesbehörden, mit Landesbehörden, dabei vor allem mit PSNV-Landeszentralstellen, mit Wissenschaftlern und Fachgesellschaften sowie bundesweit mit der regionalen Notfallseelsorge und den Kriseninterventionsteams der Hilfsorganisationen am Wohnort der Betroffenen. Schon bei Gründung ein Novum, ist die KoSt NOAH dabei auch heute noch als behördliche Stelle eine Besonderheit. Denn die konsequente Ausrichtung auf die Bedarfe der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist mit der Handlungslogik von Zuständigkeiten

und Ressortgrenzen manchmal nur aufwendig vereinbar. Doch unter dem Brennglas von Pandemie und Hochwasser treten Bedarfsorientierung, transparente Kommunikation, interdisziplinäre und engere Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure, Hierarchien und föderaler Ebenen als unabdingbare Notwendigkeit immer klarer zutage. So stellt sich in diesem Jahr 2021 die Frage, ob Struktur und Arbeitsweise der KoSt NOAH nicht als Blaupause herangezogen werden können, was etwa temporäre Hilfestrukturen nach komplexen Schadenslagen im Inland betrifft.

Für Auslandslagen zuständig Der Auftrag der KoSt NOAH als zentrale Ansprechstelle der Bundesregierung bezieht sich ausschließlich auf Schadenslagen im Ausland. Bei Schadenslagen im Inland sind die Länder als Aufgabenträger des Katastrophenschutzes zuständig. 2017, nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, setzte die Bundesregierung einen Beauftragten für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten im Inland mit Geschäftsstelle beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ein. Die meisten Länder folgten mit eigenen Opferschutzstellen. Darüber hinaus wurde die Opferschutzgesetzgebung verbessert. Die Entwicklung ist zu begrüßen, werden die Belange von Betroffenen auf diese Weise sichtbarer. Doch das Hochwasser in diesem Jahr in Westdeutschland legt nahe, dass zentrale koordinierende Strukturen auf Bundes- und Länderebene in Kombination mit Vor-Ort-Präsenzangeboten hilfreich sein könnten. Ein erster Schritt in diese Richtung erfolgte bereits: Besonders in der Anfangsphase ab Mitte Juli wurden angesichts der dramatischen Auswirkungen des Starkregens und der zahlreichen Toten und Verletzten PSNV-Kräfte aus dem gesamten

Dr. Jutta Helmerichs ist Leiterin des Referats Psychosoziales Krisenmanagement und der Koordinierungsstelle NOAH im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).

Nathalie Schopp ist stellvertretende Leiterin des Referats Psychosoziales Krisenmanagement im BBK. Foto: BS/BBK

Bundesgebiet angefordert. Das BBK übernahm auf Basis der Expertise der KoSt NOAH und in Kooperation mit der Landeszentralstelle PSNV in RheinlandPfalz in einem Ad-hoc-Einsatz koordinierende Aufgaben.

Temporäre interdisziplinäre Hilfestruktur schaffen Die Länder Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben die Betreuung der Betroffenen des Hochwassers mittlerweile ihren Opferschutzstellen übertragen. Ergänzt werden müsste dies aus fachlicher Sicht durch eine temporäre interdisziplinäre Hilfestruktur mit einer starken psychologischen, traumatherapeutischen und sozialen, aber auch rechtlich und finanziell beratenden Komponente für mindestens eineinhalb bis zwei Jahre: Eine Verzahnung von Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene mit jeweils unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten, die in den Katastrophengebieten regional durch Versorgungsstationen verankert ist. Diese wiederum könnten beispielsweise von Hilfsorganisationen, Kirchen und weiteren Anbietern psychosozialer Dienste und mit fachkundigem und erfahrenem Personal getragen werden. Für die Betroffenen wäre dies eine optimale Unterstützung. Das zeigen die Erfahrungen vergangener Hochwasser – und auch die Erfahrungen der KoSt NOAH seit nunmehr 20 Jahren. Weitere Informationen unter: www.bbk.bund.de/DE/Themen/ NOAH/noah_node.html


Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / September 2021

D

as betont auch der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen (CDU). Ebenso wichtig sei eine ressortübergreifende Stabsarbeit. Denn Katastrophen könnten nur von mehreren Akteuren gemeinsam bewältigt werden. Außerdem würden sich Helfer im Katastrophenund Bevölkerungsschutz künftig mit immer komplexeren Lagen auseinandersetzen müssen, prognostizierte Stübgen. Um diese bewältigen zu können, brauche es eine moderne, zeitgemäße Ausstattung. Hier sei an einigen Stellen aber noch etwas zu tun, so der CDU-Politiker auf dem Brandund Katastrophenschutztag des Behörden Spiegel in Potsdam. Kommunikationsnetzwerke müssten künftig gestärkt und weiter gehärtet werden, um ausfallsicherer zu sein. Brandenburg baue hier ein eigenes Krisenkommunikationssystem auf, in das auch die Kommunen einbezogen werden sollen. Die Errichtung des Systems werde aber noch einige Jahre dauern und teuer werden, räumte der Innenminister ein. Applikationen zur Warnung der Bevölkerung sowie Cell Broadcast könnten in diesem Kontext ebenfalls nur der Anfang sein, meint der Geschäftsführer der DigitalAgentur Brandenburg, Dr. André Göbel. Nötig sind aus

Kommunikation muss funktionieren Katastrophen machen rasches Handeln erforderlich (BS/Marco Feldmann) Um Großschadenslagen und Katastrophen effektiv bewältigen zu können, braucht es unter anderem eine funktionierende Einsatzkommunikation. Hier sei auch ein einheitliches Einsatzleitsystem in allen beteiligten Leitstellen vonnöten. Denn in derartigen Situationen geht es vor allem um schnelles Reagieren durch die Kräfte der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), insbesondere im nichtpolizeilichen Bereich. seiner Sicht digitale Plattformen, die die koordinativen Herausforderungen disruptiver Einschläge meistern könnten. Insgesamt sei die Digitalisierung ein mächtiges Hilfsmittel, um auf örtlicher Ebene resilienter zu werden und Katastrophenlagen zu bewältigen, zeigte er sich überzeugt.

Mehr Einheitlichkeit wäre wünschenswert Hilfreich sein könnten auch eine gemeinsame Geobasis und Geodateninfrastruktur, erläuterte Andreas Hensel von der Stabsstelle BOS in der Abteilung für öffentliche Sicherheit und Ordnung, Polizei und Ordnungsrecht sowie Kriminalprävention im Brandenburger Innenministerium. Denn wenn sie existierten, seien zum Beispiel eine einfachere und schnellere Erkennung munitionsbelasteter Flächen, Echtzeitlagebilder sowie eine bessere Positionsermittlung von Einsatzkräften möglich.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU, links im Bild) unterstrich die Bedeutsamkeit einer funktionierenden Einsatzkommunikation und der Kommandeur des Landeskommandos Brandenburg der Bundeswehr, Oberst Olaf Detlefsen (rechts), erläuterte die Hilfs- und Unterstützungsangebote der Streitkräfte in Katastrophenlagen. Fotos: BS/Feldmann

Momentan sei die Geodatenin­ frastruktur (GDI) im BOS-Umfeld technisch jedoch noch äußerst heterogen und nicht auf eine zentrale und ressortübergreifende Informationsbasis ausgerichtet,

bemängelte Hensel. Auch werde noch zu oft auf Einzellösungen gesetzt. Zudem finde kein BOSübergreifender Austausch von Geodaten – idealerweise sogar in Echtzeit – statt. Um einen solchen

“Resilienz entsteht nicht im luftleeren Raum” Forschungsprojekt zur Resilienz der Bevölkerung gestartet (BS) Eine Nachbarschaft, die sich kennt und gegenseitig stützt, ist resilienter als eine, in der keine Hilfsbereitschaft vorherrscht. Dies hat die Corona-Pandemie eindrücklich gezeigt. Die Soziologen Dr. Tim Lukas und Bo Tackenberg von der Universität Wuppertal wollen in einem Projekt diese Resilienz näher untersuchen und daraus Rahmenempfehlungen für den Bevölkerungsschutz entwickeln. Was Sie konkret vorhaben und welchen Nutzen die Untersuchung haben soll, erklären sie im Interview. Die Fragen stellte Bennet Klawon. Tackenberg: Die Ergebnisse fließen dann in ein GIS-basiertes Dashboard, so ähnlich wie das, das man vom Blick auf die Inzidenzzahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) kennt. Das Dashboard soll Städte dabei unterstützen besonderen Handlungsbedarf zu identifizieren, Zusammenhalt und Engagement quartiersbezogen noch vor Eintreten einer Krise oder Katas­ trophe zu fördern. Behörden Spiegel: Was soll am Ende des Projekts entstehen?

Dr. Tim Lukas (links) ist Akademischer Rat im Fachgebiet Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit an der Bergischen Universität Wuppertal. Bo Tackenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt Sokapi-R. Fotos: BS/Tackenberg

Behörden Spiegel: Was steckt hinter dem Namen Sokapi-R? Dr. Tim Lukas: Sokapi-R ist das Akronym unseres Forschungsprojekts “Entwicklung eines Sozialkapital-Radars für den sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz”, das wir am Lehrstuhl für Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit an der Uni Wuppertal durchführen. Das Projekt wird seit August über eine Laufzeit von drei Jahren durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gefördert und begleitet. Am Projekt beteiligt sind auch eine Reihe weiterer Partner, wie z. B. der Verband für sozial-kulturelle Arbeit und das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Behörden Spiegel: In welchem Zusammenhang stehen das soziale Kapital und der Bevölkerungsschutz? Bo Tackenberg: Der Wert von sozialem Kapital drückt sich in den Verbindungen aus, die man mit anderen Menschen eingeht, d. h. im sozialen Zusammenhalt, der zwischen Menschen innerhalb einer Gemeinschaft besteht. Wir können in allen Lebenslagen

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von den Beziehungen zu unseren Mitmenschen profitieren, etwa durch “Vitamin B” bei der Karriereplanung oder der Wohnungssuche, bei kleineren und größeren Gefälligkeiten im Alltag. Indem soziales Kapital dazu beiträgt, dass sich Menschen gegenseitig Hilfe leisten, bildet es aber auch das Fundament für die Herausbildung von lokalen Unterstützungsgemeinschaften im Krisen- und Katastrophenfall. In der Katastrophenforschung wird soziales Kapital daher als ein wesentliches Element einer resilienten Bevölkerung betrachtet. Resilienz entsteht aber nicht im luftleeren Raum, sondern vorrangig dort, wo die Menschen sich kennen. Lukas: In Krisen und Katas­ trophen sind Nachbarinnen und Nachbarn häufig die ersten, die am Ort des Geschehens Hilfe leisten. In der Covid-19-Pandemie kann man sehen, welchen Beitrag nachbarschaftliche Hilfe zur Bewältigung von Krisen und Katastrophen leistet. Nachbarinnen und Nachbarn übernehmen Einkäufe und andere Erledigungen für besonders vulnerable Personen, engagieren in der Kinderbetreuung oder führen den Hund aus. Die Erfahrungen zeigen, dass die Grundlagen dieser

Unterstützungsleistungen bereits im alltäglichen Miteinander von Nachbarschaften gelegt werden. Behörden Spiegel: Was wollen Sie konkret machen? Lukas: Zentrales Anliegen des Projekts ist die Entwicklung eines Sozialkapital-Radars, mit dem sich das soziale Kapital, also die Unterstützungsbereitschaft von Bewohnerinnen und Bewohnern in ihren Wohnquartieren, identifizieren und nachvollziehen lässt. Wir entwickeln das Radar am Beispiel der Stadt Wuppertal und werden uns zunächst sehr intensiv mit den sozialen Strukturen in den einzelnen Stadtquartieren beschäftigen. Im kommenden Jahr soll dann eine große, mehrsprachig umgesetzte Bevölkerungsbefragung stattfinden, in der wir über Fallbeschreibungen das Bevölkerungsverhalten in Krisen und Katastrophen und die Wahrnehmung des sozialen Zusammenhalts in der Nachbarschaft erfragen werden. Darüber hinaus werden wir Interviews und Workshops mit Akteurinnen und Akteuren der Nachbarschaftsarbeit, des freiwilligen Engagements und natürlich des Katastrophenschutzes durchführen.

Tackenberg: Neben dem Dashboard werden wir auf Basis der Projektergebnisse Rahmenempfehlungen für die Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz formulieren, die die Identifikation und Nachvollziehbarkeit von kollektiven Anpassungsprozessen und Unterstützungsleistungen in unterschiedlichen Krisen und Katastrophenlagen ermöglichen sollen. Behörden Spiegel: Welchen Nutzen sollen Katastrophenschutzorganisationen und Kommunen aus den Ergebnissen ziehen? Lukas: Wir wollen mit dem Projekt einen Beitrag zu einem sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz leisten. Es geht uns darum, Katastrophenschutzorganisationen und Kommunen enger zu vernetzen und bei der Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Wohnquartier zu unterstützen. Im Bevölkerungsschutz erfordert das ein Umdenken hin zu einer stärkeren Alltagsorientierung. Hilfs- und Katastrophenschutzorganisationen können sich verstärkt im sozialen Nahraum von Stadtquartieren und Nachbarschaften einbringen, um noch vor Eintreten krisenhafter Ereignisse mehr darüber zu erfahren, welche kollektiven Kapazitäten der Krisenbewältigung es vor Ort gibt. Im Sinne einer resilienten Bevölkerung können Katastrophenschutzorganisationen und Kommunen diese Ressourcen gezielt fördern.

zu ermöglichen, brauche es eine gemeinsame zentrale GDI-BOS. Sie ermögliche zum einen eine ressortübergreifende Vernetzung. Zum anderen könne über sie eine Georedundanz erzielt werden, die momentan nicht existiere, und eine bessere Informationsgrundlage für Einsatzsituationen geschaffen werden. Außerdem wäre die Integration neuer mobiler und innovativer Anwendungen möglich, erläuterte der Mitarbeiter des Potsdamer Ministeriums. Zu einer GDI-BOS für Brandenburg bestünden bereits ein Fachkonzept, ein Whitepaper für die Entscheidungsträger sowie die technischen Anforderungen. Eine erste Pilotphase für das Vorhaben, das nicht Teil des Projektes “Polizei 2020” ist, solle im kommenden Jahr starten, kündigte Hensel an.

Katastrophenschutz ­besonders gefordert Eine derartige Lösung könnte dann möglicherweise auch bei Hochwasserlagen helfen. Problematisch ist dabei vor allem, dass es bei Hochwasser infolge von Starkregen nur kurze Vorwarnzeiten gibt. Eine solche Situation könne immer und überall, also auch fernab von Flüssen, auftreten, warnte die Abteilungsleiterin Wasser und Bodenschutz im Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg, Anke Herrmann. Sie stellten daher eine besondere Herausforderung für den Katastrophenschutz dar, zumal technische Anlagen zum Hochwasserschutz nicht beliebig groß dimensioniert werden könnten. Und die Gefahren würden künftig eher zunehmen, prognostizierte Herrmann. Denn aufgrund des Klimawandels würden auch in der Mark Häufigkeit und Intensität von Starkregenereignissen zunehmen. Aus diesem Grunde seien Investitionen in und die landesweite Instandhaltung von Hochwasserschutzanlagen eine Daueraufgabe der Daseinsvorsorge. Aber nicht nur die öffentliche Hand sei hier gefordert. Auch die private Hochwasserprävention, die Wetterwarnungen sowie die kommunale Flächenvorsorge müssten verbessert werden.

Zahlreiche Waldbrände zu bewältigen Auch bei Waldbränden könnte eine GDI möglicherweise helfen. Denn Brandenburg ist durch sie stark gefährdet. 2020 habe es in der Mark insgesamt 287 Vegeta-

tionsbrände gegeben, bei denen 115 Hektar Fläche betroffen gewesen seien. In diesem Jahr seien es bislang 148 Brände mit einer betroffenen Fläche von 34 Hektar gewesen. Diese Zahlen nannte der Brandenburger Landesbranddirektor Michael Koch. Um effektiv gegen sie vorgehen zu können, brauche es unbedingt eine stabile und nachhaltige Löschwasserversorgung. Diese müsse frühzeitig geplant und aufgebaut werden. Ebenso hilfreich seien Hochleistungspumpen, große Wasserbehälter für Löschhubschrauber sowie spezielle Tanklöschfahrzeuge, unterstrich er. Die Kräfte des Katastrophenund Bevölkerungsschutz unterstützen könnten zudem hybride Brennstoffzellensysteme, findet Christian Rucker vom Unternehmen SFC. Hilfe könne auch von der Bundeswehr kommen, erklärte Oberst Olaf Detlefsen, Kommandeur des Landeskommandos Brandenburg.

Bundeswehr nur subsidiär tätig Allerdings sei die Truppe in Katastrophenfällen nur die dritte Unterstützungsebene und werde nur subsidiär tätig. Die Soldaten würden nur insoweit und nur so lange tätig sein, wie die notwendigen zivilen Ressourcen zur Lagebewältigung nicht in ausreichendem Maße oder mit den erforderlichen Fähigkeiten zur Verfügung stünden. Im Ernstfall könne die Bundeswehr jedoch auch Soforthilfe mit unmittelbar vor Ort vorhandenen Ressourcen leisten oder nach einem Eilverfahren Unterstützung bereitstellen. Dabei könnte jedes der bundesweit 16 Landeskommandos – über das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr mit Sitz in Berlin – auf alle Fähigkeiten und Kapazitäten der Streitkräfte zugreifen. Aus Sicht von Landespolitikern ist Brandenburg im Bereich des Katastrophenschutzes jedoch recht gut aufgestellt. Das gelte unter anderem für die Bekämpfung von Waldbränden, meint der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Uwe Adler. Ähnlich äußert sich Heiner Klemp von Bündnis 90/Die Grünen. Er sieht gleichzeitig jedoch noch Verbesserungsbedarf. So müsse die Gefahrenanalyse des Landes auf den neuesten Stand gebracht werden. Zudem sollten auch auf Bundes- und Landesebene verstärkt eigene Lagebilder erstellt werden, um Kommunen im Ernstfall effektiv beraten und Bedrohungen rechtzeitig selbst erkennen zu können. Hier brauche es dringend Redundanzen, findet Klemp. Aus Adlers Sicht wiederum sollte über eine Zen­ tralstellenfunktion des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) nachgedacht werden. Für diese ist jedoch eine Grundgesetzänderung erforderlich.

MELDUNGEN

Kein EU-Katastrophenschutzzentrum, aber… (BS/bk) Eine Förderung eines EU-Katastrophenschutzzentrums am Standort Welzow/Senftenberg in Brandenburg ist durch EU-Mitteln ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis kommt ein vom Land beauftragtes Gutachten. Es sollte ein Konzept erstellt werden, das zur Einwerbung von Fördergeldern der EU dienen könnte. Der Standort könne aber nicht über rescEU gefördert werden. Zwar könne keine EU finanzierte Ansiedlung realisiert werden, aber die Voraussetzungen für andere katastrophenschutztechnischen Ansiedlungen seien gegeben. Der Standort Welzow/Senftenberg habe eine gute Ausgangslage für eine weitere Entwicklung im Bereich des Katastrophenschut-

zes. Es würden sich zwei Alternativen anbieten.Zum einen könnte an diesem Standort ein Kompetenz- und Wirtschaftsclusters Katastrophenschutztechnologie aufgebaut werden. Dazu müsse eine Clusterstrategie mit den zuständigen Ressorts, Kommunen, Wissenschaftseinrichtungen und regionalen Wirtschaftsakteuren entwickelt werden. Es könnte aber auch eine Katastrophenschutzeinrichtung ohne EU-Beteiligung mit dem Schwerpunkt eines Kompetenzund Trainingszentrums für realitätsnahe Aus- und Weiterbildung angestrebt werden. Dabei könnte ein Feuerwehrtechnisches Zentrum in Kooperation mit einer privatrechtlich geführten Einrichtung etabliert werden.


Wehrtechnik

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Fähigkeiten und Defizite der A400M Der deutsche taktische Transporter in der Bewährung

Behörden Spiegel / September 2021

MELDUNGEN

Neue Fahrzeuge für das KSK (BS/df) Das BAAINBw hat dem

nen. Der endgültige Aufbau wird

von taktischen Fahrzeugen für das Kommando Spezialkräfte (KSK) erteilt. Die Vereinbarung ermöglicht die Beschaffung von bis zu 80 Fahrzeugen der Typen “Mittleres Aufklärungs- und Gefechtsfahrzeug Spezialkräfte” (AGF 2) und “Mittleres taktisches Unterstützungsfahrzeug Kommando Spezialkräfte” (UFK). Die gewählte Fahrzeugplattform ist der Defenture Mammoth, ein 9-Tonnen-Fahrzeug, das auf der erprobten GRF-5.12-Plattform basiert. Die niederländischen Korps Commandotroepen (KCT) und andere Länder setzen diese Plattform ebenfalls ein. Die Programme AGF 2 und UFK (Mittleres taktisches Unterstützungsfahrzeug Kommando Spezialkräfte) umfassen die Lieferung von vier Prototypenfahrzeugen in unterschiedlichen Konfiguratio-

verschiedener Waffen auf der Hauptlafette und den Sekundärlafetten mitführen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen Aufklärungs- und Beobachtungssensor mitzuführen. Die Fahrzeugvariante UFK dient hingegen primär dem Material- und Personentransport. Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung soll durch die Bewaffnungsmöglichkeiten analog zum AGF 2 weiterhin gegeben sein. Die AGF 2 sowie die UFK ersetzen die bis dato genutzten Gefechtsfahrzeuge vom Typ Serval und schließen gleichzeitig die Fähigkeitslücke eines Transportfahrzeugs für die taktische Unterstützung bei den Spezialkräften, die bisher nur eingeschränkt durch die vorhandenen Fahrzeugtypen durchgeführt werden konnte.

(BS/df) Es war die Bewährungsprobe für das deutsche Transportflugzeug A400M. Die Evakuierungsmission aus Afghanistan forderte alle niederländischen Unterneh- vor dem Start für Serie festge­Fähigkeiten und die Maschinen bewältigten sie mit Bravour. Allerdings war der Einsatz zumindest für die Flugzeuge nicht so kritisch, wie es men Defenture den Auftrag zur legt. Die Fahrzeuge der Variante nach Papierlage erscheint. Entwicklung und Herstellung AGF 2 sollen dabei eine Vielzahl Eine schwierige, beschädigte Runway. Ein gerade noch gehaltener Flughafen mitten in feindlichem Gebiet. Die sichere Evakuierung von Zivilisten. Eine solche Situation ist mit das anspruchsvollste, was es an militärischen Operationen geben kann. Und die eingesetzten A400M haben diese höchst anspruchsvollen Aufgaben hervorragend bewältigt. Nur eine Maschine fiel kurzzeitig aus, weil auf der schlechten und verunreinigten Runway des Kabuler Flughafens die Reifen beschädigt wurden. Nach dem Austausch der Reifen vor Ort flog aber auch diese Maschine wieder problemlos.

Flugbrücke nach Taschkent Der deutsche Hub der Evakuierungsmission war der Flughafen Taschkent in Usbekistan. Dieser liegt etwa anderthalb Stunden A400M-Flugzeit von Kabul entfernt. Somit konnten die Maschinen dort auf die Freigabe von Landeslots durch die USA warten und schnell auf sich ändernde Lagen reagieren. In Taschkent konnte die Bundeswehr zudem Hangars nutzen, um Evakuierte und Material unterzubringen. Auch Ersatzteile für die A400M waren vor Ort verfügbar. Sobald die USA einen freien Zeitslot anzeigten, flogen die Maschinen los und nahmen in Kabul Evakuierte auf. Dass sie dies so problemlos durchführen konnten, lag allerdings auch daran, dass es sich bei Kabul eben nur auf dem Papier um ein Gebiet in Feindeshand handelte. Die Sicherheit aller Flugzeuge – auch der deutschen – war vorher durch die USA mit den Taliban ausgehandelt worden. So sagte auch der Generalinspekteur der

Die deutschen A400M bewährten sich in der Evakuierungsmission – auch dank des Mangels an Gegnern. Foto: BS/Bundeswehr

Bundeswehr, General Eberhard Zorn, noch während der Mission: “Die Luftraumbedrohung wird durch die Amerikaner im Wesentlichen zurzeit so eingeschätzt, dass die Taliban hier keine Luftverteidigungssysteme einsetzen.” Es werde durch die amerikanischen Kräfte vermittelt, dass die Taliban die Luftoperationen nicht behindern würden. Für die deutschen A400M bedeutete diese Zusage wahrscheinlich den Unterschied zwischen Einsatz und Nicht-Einsetzbarkeit. Sie verfügen nämlich noch nicht über die eigentlich vorgesehenen Selbstschutzsysteme. Der Vertrag zu DIRCM (Directed Infrared Counter Measure) hatte sich mehrfach verzögert. Während die deutsche Luftwaffe im Dezember 2014 bereits die erste A400M übernahm, ging DIRCM erst im Juni 2019 unter Vertrag. Durch Corona kam es zu weiteren Verzögerungen, sodass die Musterintegration erst in diesem Jahr erfolgen soll. Als einziges Selbstschutzsystem bleibt das im Dezember 2019 abgenommene Infrarot(IR)-Schutzsystem, das Düppel und Flares ausstoßen kann. Allerdings nicht zu viele. Das “Leuchten wie ein

Weihnachtsbaum” wird es mit den A400M nicht geben, da durch die Strömungen um das Flugzeug sonst das Risiko besteht, dass die Abwehrmaßnahmen an der Maschine anschlagen.

Fliegen in friedlicher ­Umgebung Es braucht also aktuell – und wahrscheinlich noch für die nächsten Jahre – eine Landebahn in friedlicher Umgebung, wo kein Feind mit Luftverteidigungsmaßnahmen versucht, die deutschen taktischen Transporter abzuschießen. Ein zweites Defizit ist der Passagiertransport. Es waren Bilder zu sehen, wo viele Menschen im A400M auf dem Boden saßen. Eigentlich ist auch ein Modul für den Passagiertransport in den A400M vorgesehen, mit Sitzen ähnlich einem zivilen Passagierflugzeug. Schließlich sollen die A400M Soldaten in den Einsatz bringen und diese können schlecht alle auf dem Boden sitzen. Die Module für den Passagiertransport sind allerdings noch nicht abgenommen. Was bereits zugelassen ist und auch in Taschkent bereitstand, ist die MedEvac-Version. Hier-

bei besteht das Modul, das über Schienen in die A400M inte­griert wird, aus Patiententransportkapazitäten inklusive dem notwendigen medizinischen Spezialgerät zur Überwachung und für kleinere Hilfseingriffe. Nach dem Anschlag stieg eine deutsche A400M MedEvac sogar in die Luft, um bei Bedarf direkt Verletzte ausfliegen zu können. Die USA forderten sie allerdings nicht an.

Gute Grundlage Das Konzept der A400M hat sich somit bewährt. Die Maschinen konnten in schwierigem Gelände problemlos starten und landen. Das Prinzip der Module, mit denen die A400M schnell ihre Rollen wechseln können, hat sich bei der MedEvac-Version ebenfalls bewährt. Umso negativer bleibt der fehlende Selbstschutz. Die Bundeswehr muss schließlich auch in schwierigen Situationen in der Lage sein, handlungsfähig zu bleiben. Und zur Handlungsfähigkeit gehört heutzutage zwingend der Lufttransport. Ein taktischer Transporter ohne Selbstschutz gegen gegnerische Luftverteidigungssysteme ist kaum tragbar.

Beschleunigung der Digitalisierung “Lage der Innovation” – das Spitzentreffen zum Thema Digitalisierung

Neue Systeme für die NH90 TTH (BS/df) Die Transporthubschrauber NH90 erhalten ein neues Electronic Warfare System (EWS) sowie ein neues Satellitenkommunikationssystem (SatCom-System). Hierdurch sollen sie für den Einsatz in Gefahrenzonen befähigt werden. “Durch die im Einsatz gemachten Erfahrungen erhalten die NH90 TTH (Taktischer Transporthubschrauber) des Heeres mit diesen beiden Einrüstungen an die aktuellen operationellen Bedarfe angepasste Fähigkeiten. Das EWS dient dem Selbstschutz, indem es Bedrohungen durch auf Radar-, Infrarot(IR)- und Ultraviolettstrahlung (UV) basierende Bekämpfungssysteme erkennt und Gegenmaßnahmen einleitet. Durch das neue SatCom-System wird eine weltweite Kommunikationsanbindung ermöglicht”, beschreibt das BAAINBw, das kürzlich gemeinsam mit der NATO Helicopter Management

Roboter zur Aufklärung, Beobachtung

(BS/Dr. Stephanie Khadjavi*) Im August fand zum 6. Mal die “Lage der Innovation” des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr (CIHBw) mit seinem und Erkundung Leiter Sven Weizenegger als Gastgeber statt. Rund 30 hochkarätige Vertreter aus Digitalwirtschaft und Politik erwartete ein spannender Austausch zum diesmaligen Schwerpunktthema: “Was muss die Bundesregierung tun, um die Digitalisierung des Staates nachhaltig zu beschleunigen?” (BS/df) Wie das BAAINBw beWährend der Corona-Krise stieg die Homeoffice-Quote in Deutschland dank digitaler Lösungen innerhalb kürzester Zeit erheblich an. Im Bundesministerium der Verteidigung befanden sich während des Lockdowns zeitweilig über 75 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice. Am 9. Juli 2021 hat der Landrat des Landkreises Anhalt-Bitterfeld erstmals in Deutschland den digitalen Katastrophenfall ausgerufen. Grund war ein Cyber-Angriff auf das gesamte IT-System des Landkreises. Weite Teile der Verwaltung waren blockiert. Bei der Beseitigung der Schäden kam auch die Bundeswehr mit Spezialisten aus dem Kommando Cyber- und Informationsraum zum Einsatz. Nahezu zeitgleich sahen die USA, die EU-Staaten sowie weitere NATO-Verbündete es als erwiesen an, dass die Volksrepublik China verantwortlich sei für den Angriff auf die Microsoft-Exchange-Server und weitere bösartige Cyber-Attacken. US-Präsident Biden warnte, dass ein schwerwiegender CyberAngriff sehr wohl auch einen “echten Krieg” auslösen könne.

Befähigung, Deutschland auch im Cyber-Raum zu verteidigen “Was lernen wir daraus?”, so die Frage von Generalleutnant Michael Vetter, Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im BMVg, einer der drei Impulsgeber eingangs der Veranstaltung. “Die Digitalisierung ist da

und sie wird bleiben.” Ein Großteil der täglichen Handlungen und Entscheidungen sei ohne Digitalisierung faktisch nicht mehr denkbar. Dies gelte auch uneingeschränkt für die Bundeswehr. Die gemeinsame Herausforderung bestünde nun darin, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, aber auch ihre Risiken beherrschbar zu halten. Kurz: “Wer nicht digitalisiert, verliert.” Für die Bundeswehr bedeutet Digitalisierung die Befähigung, Deutschland auch im Cyber-Raum zu verteidigen. Dabei ist Digitalisierung nicht billig, aber eben auch alternativlos. Gemäß Vetter ist es entsprechend wichtig, dass in den kommenden Jahren die dafür notwendigen Haushaltsmittel zuverlässig bereitgestellt und die Fähigkeiten weiter ausgebaut werden. Bei der Diskussion zum Aufbau eines Digital- oder Digitalisierungsministeriums nach der Bundestagwahl müssten die bereits heute sehr ausgeprägten Digitalisierungskompetenzen, aber auch die spezifischen Rahmenbedingungen und Anforderungen der Bundeswehr berücksichtigt werden. “Wir wollen uns da gerne mit unseren Kompetenzen und Know-how einbringen”, so Vetter am Ende seines Kurzimpulses zum Veranstaltungsthema.

Koordinierung der digitalen Transformation “Das Hauptproblem sind nicht zu wenige Ideen, sondern ein mangelndes Projektmanagement

für deren Umsetzung”, ist die Überzeugung von Manuel Höferlin, Mitglied des Deutschen Bundestags und zweiter Impulsgeber in der Runde. Höferlin, seit 2019 auch Vorsitzender des Ausschusses Digitale Agenda des Deutschen Bundestags, setzt sich seit Jahren für die Bildung eines Digitalministeriums ein, respektive für ein “Ministerium für digitale Transformation und Innovation”. Alle bisherigen Ansätze einer koordinierten digitalen Transformation auf staatlicher Ebene haben laut Höferlin versagt und vor allem eins gekostet: Zeit. Silodenken sowie mangelnde Koordination und Abstimmung zwischen den Ministerien zeugten von dem Erfordernis einer zentralen Stelle, die gleichzeitig ein Ministerium sein müsse, da sonst die Durchschlagkraft fehle.

Tempo, Transparenz und Teilhabe Nach dem Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling braucht die digitale Transformation vor allem Tempo, Transparenz und Teilhabe der Beschäftigten. Aktuell hapere es allerdings an all diesen drei “Ts” in Deutschland. Beispiel Transparenz: Der eine wisse nicht, was der andere mache. Hier müsse angesetzt werden! Übergeordnetes Ziel der digitalen Transformation müsse sein, die Resilienz in Deutschland wieder messbar zu erhöhen. Dafür brauche es

auch ganz klar wieder Bedrohungsszenarien. Der globale Wettbewerb mit den USA und China an der Spitze fordert eine europäische Antwort. Deutschland mit Europa muss bis 2030 zu den Top Drei der High-TechStaaten zählen. Voraussetzung für das Gelingen ist nach jahrelangem Modernisierungsstau eine umfassende Bundesverwaltungsreform. Ein Baustein davon ist die Einrichtung eines Digitalisierungsministeriums, dessen Steuerung – neben dem bereits angesprochenen Projektmanagement – über Ziele, Kennzahlen und veröffentlichte Berichte erfolgen sollte. Basis bilden deutliche Mehrinvestitionen in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter. “Mehr Kapital, mehr Köpfe und mehr Kompetenz”, so Dettling am Ende seiner Ausführungen. In den anschließenden Diskussionen waren sich alle Teilnehmer der “Lage der Innovation” einig, dass ein Digitalministerium ein starkes Mandat brauche, um durchgreifen zu können. Dabei geht es nicht darum, dass es die gesamte Digitalisierungskompetenz im Staat auf sich zieht. Im Gegenteil, ein Stück weit davon muss in den anderen Ministerien verbleiben. *Dr. Stephanie Khadjavi, Communications & Strategic Partnerships, Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw)

Agency (NAHEMA) den Vertrag mit den Unternehmen schloss. “Die Einführung der beiden Systeme sind Teil des aus rund 60 Einzelmaßnahmen bestehenden Upgrade-Programms, mit dem der NH90 TTH an die aktuellen Bedrohungslagen, wie sie etwa bei den Einsätzen in Afghanistan und Mali festgestellt wurden, angepasst wird.” Gero Anthe, Referatsleiter des Systemmanagements NH90 im BAAINBw, ergänzte: “Ich freue mich, dass wir nun diese beiden wichtigen Fähigkeiten beauftragen konnten, da sie maßgeblich zum Missionserfolg in den Einsätzen beitragen. Das neue EWS bietet dem Hubschrauber einen deutlich gesteigerten Selbstschutz gegenüber dem derzeitig eingerüsteten EWS. Mit dem SatCom-System kann die Crew zu jeder Zeit über eine stabile und topologieunabhängige Verbindung mit den anderen Einheiten im Einsatzgebiet kommunizieren.”

richtet, werden die Funktionen und die Mobilität des Aufklärungssystems RABE (Roboter zur Aufklärung, Beobachtung und Erkundung im Orts- und Häuserkampf) in der Wehrtechnischen Dienststelle 41 getestet. Das Deutsche Heer setzt diese kleinen Roboter bereits ein. Der RABE wurde 2018 eingeführt und soll bis Ende 2022 an die militärischen Organisationsbereiche Heer, Luftwaffe, Marine und Streitkräftebasis (SKB) ausgeliefert werden. Die Beschaffung läuft aktuell.

Insgesamt sind für das Heer 155 Systeme, für die Luftwaffe 18, für die Marine 16 und für die SKB vier RABE vorgesehen. Die Ausstattung dieser Roboter ist dabei überaus unterschiedlich. Das Heer, die Luftwaffe und die SKB werden als Module Schwachlichtkameras und Wärmebildkameras erhalten. Die Module für die RABE der Marine sind hingegen: Schwachlichtkamera, Wärmebildkamera, Kleiner C-IEDManipulatorarm sowie Aufsatzplatte zum Transport von absetzbaren Gegenständen oder Sensoren.

Finnland modernisiert seine CV90 (BS/df) Finnland modernisiert seine CV90. Im Rahmen dieses Mid-Life-Upgrades sollen die CV9030FIN-Prototypen und -Erprobungsfahrzeuge zuerst umgerüstet werden, die restlichen Nachrüstungen sollen zwischen 2022 und 2026 folgen. Mit den Upgrades sollen die allgemeine Verfügbarkeit und Wartung des Fahrzeugs verbessert, der Schutz erhöht und die Technologie und Software des Systems angepasst werden. “Das Modernisierungsprogramm wird die Leistungsfähigkeit der Fahrzeuge bis in die 2030erJahre sichern. Gleichzeitig wird es möglich sein, die Fahrzeuge in der zweiten Hälfte ihres Lebenszyklus einer umfassenderen Nachrüstung zu unterziehen”, sagte Oberst Rainer Peltoniemi, Inspekteur der Infanterie der finnischen Armee.

Vier der sieben CV90-Nutzernationen haben kürzlich Verträge zur Verlängerung der Lebensdauer ihrer Flotten und zur Verbesserung der Fähigkeiten ihrer Fahrzeuge unterzeichnet. Schweden, die Schweiz und die Niederlande unterzeichneten Verträge zum Upgrade nach der Hälfte der Nutzungsdauer, während die norwegische Armee vor Kurzem die Modernisierung abgeschlossen und 20 zusätzliche CV90 bestellt hat. Finnland ist eines von sieben Ländern, die den CV90 einsetzen. Die anderen sechs sind Dänemark, Estland, die Niederlande, Norwegen, Schweden und die Schweiz. Mit fast 1.300 CV90 in zahlreichen Varianten im Einsatz hat sich das Fahrzeug im Kampf bewährt und ist für künftiges Wachstum ausgelegt, um den sich entwickelnden Aufgaben gerecht zu werden.


Afghanistan-Einsatz

Behörden Spiegel / September 2021

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Der Afghanistan-Einsatz Enduring Freedom, ISAF und Resolute Support (BS/df) Der Afghanistan-Einsatz fand in drei Phasen statt. Als erstes begannen amerikanische und britische Streitkräfte am 7. Oktober 2001 im Rahmen der “Operation Enduring Freedom” mit militärischen Schlägen gegen afghanische Ziele. Die Legitimierung geschah sowohl durch die Vereinten Nationen (VN) als auch die NATO. Die VN verurteilten in der Resolution UNSCR 1368 am 12. September 2001 die Anschläge auf das World Trade Center als Bedrohung für die internationale Sicherheit. Der NATORat nahm dies auf und wertete die Anschläge als bewaffneten Angriff. Enduring Freedom war allerdings nicht auf Afghanistan beschränkt, sondern umfasste im Kampf gegen den Terrorismus weitere Einsatzgebiete, etwa am Horn von Afrika. Vom 20. Dezember 2001 bis zum 31. Dezember 2014 übernahm in Afghanistan die “International Security Assistance Force” (ISAF) den Einsatz. Dabei handelte es sich um eine Koalition von über 40 Nationen unter Führung der NATO. Grundlage bildeten mehrere Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. “Der ISAF-Einsatz hat unverändert das Ziel, die vorläufigen Staatsorgane Afghanistans und ihre Nachfolgeinstituti-

onen bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Afghanistan so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können”, nannte die Bundesregierung in ihrem Antrag zur Mission (Drucksache 15/3710) die Ziele. Die Verantwortung über Afghanistan ging am 18. Juni 2013 an die afghanische Regierung. Vom 1. Januar 2015 bis zum 16. Juli 2021 folgte die NATO-Mission “Resolute Support” (RS). Während ISAF noch den Aufbau demokratischer Strukturen und die Wahl der neuen afghanischen Regierung unterstützt hatte, standen bei RS die afghanischen Sicherheitskräfte vermehrt im Fokus. Diese sollten beraten und ausgebildet werden. Zudem sollten die internationalen Kräfte den Status quo erhalten, bis die afghanischen Sicherheitsorgane stark genug wären, um selbst die Verantwortung für ihr Land zu übernehmen. Die USA stellten durchgehend über die Hälfte des gesamten Einsatzkontingentes und übernahmen dabei die besonders gefährlichen oder teuren Aufgaben.

Der vernetzte Ansatz (BS/wk) Der vernetzte Ansatz (Comprehensive Approach) ist eines der Grundprinzipien eines Einsatzes im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement. Dabei versucht man, die Anstrengungen aller im Einsatzgebiet befindlichen Kräfte und Mittel staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen zu harmonisieren. Für Afghanistan bildete die schon erwähnte UNSCR 1386 die Grundlage eines vernetzten Ansatzes mit der Aufforderung an die Kräfte ISAFs, sich während der Durchführung ihrer Aufgaben eng mit der afghanischen Regierung und dem Sonderbeauftragten der UN für Afghanistan abzustimmen. Diese Forderung des UN-Sicherheitsrates wurde sehr unterschiedlich umgesetzt. Es gab sehr gute Beispiele der gegenseitigen Abstimmung, z. B. bei der Unterstützung der Räumung von Explosivstoffen (Unexploded Ordnance) in Zusammenarbeit

mit der United Nations Assistance Mission in Afghanistan, hier insbesondere mit dem United Nations Mine Action Service (UNMAS), oder auch bei dem Betrieb der Provincial Reconstruction Teams (PRTs) in Afghanistan. Aber es gab auch einen Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Afghanistan (Leiter UNAMA, 2008 bis 2010), der sich geweigert hat, mit der militärischen Seite (ISAF) grundsätzlich zusammenzuarbeiten. Dies führte zu erheblichen Effizienzverlusten. Der vernetzte Ansatz ist komplex, da einige staatliche und vor allem nichtstaatliche Organisationen völlig neutral bleiben wollen und Berührungsängste zu den militärischen Kräften haben, obwohl sie sich von diesen Kräften oft schützen lassen. Der vernetzte Ansatz ist häufiges Übungsziel bei Übungen der NATO, wie z. B. bei den Übungen der “Trident Juncture”-Serie.

Der Beginn des Afghanistan-Einsatzes (BS/df) “Heute wurden unsere Mitmenschen, unsere Lebensweise und unsere Freiheit durch eine Reihe von gezielten und tödlichen Terroranschlägen angegriffen. Die Opfer saßen in Flugzeugen oder in ihren Büros: Sekretärinnen, Geschäftsleute, Militär- und Staatsbedienstete, Mütter und Väter, Freunde und Nachbarn. Tausende von Leben wurden plötzlich durch böse, abscheuliche Terrorakte beendet”, mit diesen Worten richtete sich der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, George W. Bush, am 11. September 2001 nach den Anschlägen auf das World Trade Center an die Nation. Dieser Anschlag traf die USA, die sich bis dahin als absolut sicher wähnte, bis ins Mark. 19 Terroristen der Al Qaida töteten fast 3.000 Menschen und zeigten, dass auch der mächtigste Staat der Erde eines seiner wichtigsten Wirtschaftszentren mitten im eigenen Land nicht verteidigen konnte. Hierauf musste die Führung der USA eine Antwort finden, die Ausbildungs- und Radikalisierungslager der Terrororganisation in Afghanistan rückten schnell in den Fokus. Am 7. Oktober 2001 wandte sich US-Präsident Bush erneut in einer Rede an die Nation: “Auf meinen Befehl hin haben die Streitkräfte der Vereinigten Staaten mit Angriffen auf Ausbildungslager der Al-Qaida-Terroristen und militärische Einrichtungen des Taliban-Regimes in Afghanistan begonnen. Diese gezielten Aktionen sollen die Nutzung Afgha-

nistans als Operationsbasis für Terroristen unterbinden und die militärischen Fähigkeiten des Taliban-Regimes angreifen. Bei dieser Operation werden wir von unserem treuen Verbündeten Großbritannien unterstützt. Andere enge Verbündete, darunter Kanada, Australien, Deutschland und Frankreich, haben für den Verlauf der Operation Truppen zugesagt. Mehr als 40 Länder im Nahen Osten, in Afrika, Europa und ganz Asien haben uns Transit- oder Landerechte erteilt. Viele weitere haben Informationen zur Verfügung gestellt. Wir werden durch den kollektiven Willen der Welt unterstützt.” Bei dieser Rede benannte Bush die Erwartungen an den Einsatz deutlich: “Vor mehr als zwei Wochen habe ich der Taliban-Führung eine Reihe klarer und konkreter Forderungen gestellt: Schließung der Ausbildungslager für Terroristen, Auslieferung der Führer des Al-Qaida-Netzwerks und Überstellung aller ausländischen Staatsangehörigen, einschließlich amerikanischer Bürger, die zu Unrecht in diesem Land festgehalten werden. Keine dieser Forderungen wurde erfüllt. Und jetzt werden die Taliban den Preis dafür zahlen.” Diese drei konkreten Ziele – Zerschlagung der Al-Qaida-Führung, Zerstörung von deren Ausbildungslagern, freies Ausreiserecht für amerikanische Staatsbürger – sollten durch den Einsatz erreicht werden. Daran muss er gemessen werden, nicht an erweiterten Wunschvorstellungen, die später hinzukamen.

(BS/df) Neben dem militärischen Einsatz mit den klar umfassten sicherheitspolitischen Zielen haben die Alliierten auch versucht, die Lebensgrundlage der afghanischen Bevölkerung zu verbessern. Hierfür hat allein Deutschland seit 2001 rund 6,2 Milliarden Euro an Mitteln für Entwicklungs- und Hilfsprojekte zugesagt. Davon entfielen auf das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) rund 3,5 Milliarden Euro. Durch die internationale Gemeinschaft erhielten unter anderem rund 87 Prozent der Menschen Zugang zu Gesundheitsdiensten, 2001 lag diese Zahl bei nur acht Prozent. Allein durch Projekte des BMZ profitieren eine Million Menschen vom Wiederaufbau von 35 Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Zugang zu sauberem Trinkwasser besitzen nun 67 Prozent der Bevölkerung, 2002 waren es nur 28 Prozent. Dabei erhielten 1,5 Mio. Menschen durch deutsche BMZProjekte eine Wasserversorgung und es wurden mehr als 70.000 neue Trinkwasser-Hausanschlüsse gelegt. Die Zahl der Kinder, die

zur Schule gehen, hat sich auf über 12 Millionen verzwölffacht. Die Alphabetisierungsrate ist auf 43 Prozent gestiegen. 2001 lag sie bei 18 Prozent. Mit BMZ-Projekten wurden dabei über 17.000 Lehrerinnen und Lehrer weitergebildet, darunter rund 6.000 Frauen. Insgesamt erhielten über 66.000 Personen, darunter ein Viertel Frauen, im Bildungssektor Trainings oder Fortbildungen. Zugang zu Elektrizität haben nun 98 Prozent der Bevölkerung, 2005 lag diese Zahl noch bei 23 Prozent. Hier ermöglichten deutsche BMZProjekte den Zugang zu Energie für rund eine Million Menschen. Ein Sprecher des BMZ sagte gegenüber dem Behörden Spiegel: “Die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan ist derzeit ausgesetzt, weil die Voraussetzungen, die daran geknüpft sind, nicht mehr gegeben sind, vor allem die Achtung der Menschenrechte. Das heißt, dass auch die Auszahlung für laufende Projekte ausgesetzt wurde. Dies betrifft rund 40 Projekte für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit.”

(BS/wk) Manche Medien beginnen ihre Berichterstattung mit der Behauptung, dass “der Westen” Afghanistan eine demokratische Gesellschaftsordnung aufzwingen wollte. Das ist nicht der Fall gewesen. Wenn man die wesentlichen “Mission Statements” der UN und der NATO betrachtet, standen die folgenden Aufträge im Vordergrund: Die United Nations Security Council Resolution 1386 vom 20. Dezember 2001 autorisierte die Einsetzung der International Security Assistance Force, um das “Interim Government of Afghanistan” bei der Sicherung Kabuls und seiner Umgebung zu unterstützen. Diese UNSCR benannte damals bereits die grundsätzliche Verantwortung des Volkes von Afghanistan, für Sicherheit und Recht selbst zu sorgen. Das Mandat der International Security Assistance Force (ISAF) lautete sinngemäß wie folgt: “ISAF, in Unterstützung der vorläufigen Regierung von Afghanistan, führt Operationen gegen terroristische Kräfte durch, unterstützt die afghanischen Sicherheitskräfte und trägt zur Verbesserung von Regierungsverantwortung und sozial-wirtschaftlicher Verbesserung bei, um ein sicheres Umfeld zu schaffen, das ein sichtbares Zeichen für die Bevölkerung ist.” Wir stellen hier keine Implementation “westlichen Demokratieverständnisses” in den Missionsbeschreibungen fest. Es ist zu vermuten, dass mit

dem Versprechen, Afghanistan in eine irgendwie geartete demokratische Staatsform zu überführen, die Außenministerien (z. B. der USA, Großbritannien und Deutschland) einen schwebenden Zustand der “relativen Sicherheit” erhalten wollten. Die UNSCR 2189 vom 12. Dezember 2014 “erwartete mit Interesse, dass die Führung der Mission “Resolute Support” mit der Regierung Afghanistans zusammenarbeitet und sich nach Bedarf eng mit der Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan und dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Afghanistan abstimmt und mit ihnen zusammenarbeitet”. Der Auftrag an die Kräfte der NATO-Mission “Resolute Support” bezog sich ausschließlich auf die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte, damit diese die Sicherheit Afghanistans auch zukünftig dauerhaft gewährleisten könnten. Abschließend lautete der Auftrag an die United Nations Assistance Mission in Afghanistan: “UNAMA’s mission is to support the people and institutions of Afghanistan in achieving peace and stability, in line with the rights and obligations enshrined in the Afghan constitution.” Es lässt sich in den Aufträgen an die Hauptorganisationen kein Implementierungswillen eines westlichen Demokratiemodells finden – dieser ist vermutlich in den Außenministerien der beteiligten Länder entstanden, um künftigen Einfluss auszuüben.

Führung des Einsatzes

Wenn die Einsatzregeln stimmen, ist der Erfolg wahrscheinlich: Deutscher Kampfhubschrauber Tiger in Masar-e Scharif. Die Tiger schützten unter anderem die Übergabe des Feldlagers Kundus und den Abzug der deutschen Kräfte im Oktober 2013. Foto: BS/Bundeswehr

Das DOHA-Agreement

Entwicklungshilfe

Die Mandate

(BS/wk) Dieser Titel muss wörtlich zitiert werden, da er wohl auch völkerrechtlich ziemlich einzigartig ist: “Agreement for Bringing Peace to Afghanistan between the Islamic Emirate of Afghanistan which is not recognized by the United States as a state and is known as the Taliban and the United States of America.” Dies ist ein Abkommen zwischen den USA und einem selbsternannten Staat, der von den USA nicht anerkannt wird, die ihrerseits eine inhomogene Gruppe (die Taliban) ansprechen. Denkwürdig. Die Vereinbarung wurde am 29.02.2020 unterzeichnet und enthält folgende wesentlichen Punkte (Übersetzung sinngemäß): • Garantien und das Durchsetzen, dass Grund und Boden Afghanistans nicht mehr von Gruppen, die gegen die USA und ihre Alliierten agieren, ­genutzt werden; • Festlegung von Zeit und Verfahren für einen Rückzug aller Alliierten aus Afghanistan; • Garantie für die Zeit nach dem Abzug der USA und ihrer Alliierten, dass weiterhin interne (politische) Gespräche stattfinden;

•V ereinbarung über eine komplette Feuereinstellung innerhalb Afghanistans und deren Überwachung. So plausibel diese Vereinbarungen auch klingen, stellen sich etliche Fragen dabei. Es ist aus hiesiger Sicht (möglicherweise durch einen Untersuchungsausschuss) zu prüfen, wer mit dem Originalbegriff “its Allies”, also der Verbündeten, gemeint war. Haben die USA einen Vertrag stellvertretend für die NATO oder die einzelnen Staaten der NATO-Mission “Resolute Support” abgeschlossen? Welche Staaten der Koalition haben dem zugestimmt? War die Bundesregierung beteiligt? Aus hiesiger Sicht hätte das Auswärtige Amt – falls es mit den Verhandlungen befasst oder zumindest als “Ally” informiert gewesen wäre – die Bundesregierung und vor allem die Öffentlichkeit informieren müssen. Eine Vorauswarnung, die sich als Konsequenz dieses Abkommens angebahnt hätte, wäre für die relevanten Ressorts erkennbar gewesen, diese hätten Maßnahmen treffen können.

(BS/wk) Die Führung der Einsätze der International Security Assistance Force (ISAF) sowie Resolute Support (RS) unterlag über 20 Jahre natürlich einem starken Wandel. Kamen von 2001 bis 2007 die Kommandeure der NATO-Kräfte noch aus verschiedenen NATO-Staaten, so übernahm ab Februar 2007 jeweils ein Vier-SterneGeneral der amerikanischen Streitkräfte das Kommando. Dies war aufgrund des hohen Personaleinsatzes der USA und der Verfügbarkeit der Kräftemultiplikatoren nur folgerichtig. Untersucht man die Führung des Einsatzes nach Regeln der operativen Führung, kann man – skizzenhaft – zu folgendem Ergebnis kommen: •C larity of mission and purpose = Klarheit des Auftrages und seines Zweckes: Der Auftrag an ISAF und RS war deutlich, ebenso die Abgrenzung von ISAF zu RS. Er wurde jedoch oft durch das sogenannte “Mission Creep” erweitert, z. B. durch die Übernahme zusätzlicher humanitärer Aufgaben, die durch die Raumverantwortung der eingesetzten Kräfte notwendig wurden. • Unity of Command = Einheitliche Kommandoführung: Alle ISAF/RS-Kommandeure bemühten sich redlich, die Kohäsion der Allianz zu wahren und die Operationsführung zu harmonisieren. Allerdings gab es neben der NATO-Mission auch eigene nationale Operationen, z. B. die der United States Forces Afghanistan (USFOR-A) bei der “Operation Enduring Freedom” oder auch weniger bekannte britische Alleingänge. • Robust Rules of Engagement (RoE) = robuste Einsatzregeln: So sehr man bei der NATO auf robuste und einheitliche RoE drängte, so sehr konnte dieses nicht realisiert werden.

Abhängig von nationalen politischen Vorgaben und natürlich auch von der Verfügbarkeit von Kräften und Mitteln schlossen Nationen mittels der “National Caveats” (nationale Vorbehalte) Einsatzregeln aus, wenn sie Kräfte für die Afghanistan-Mission der NATO zur Verfügung stellten. Prominentes deutsches Beispiel hierfür ist das sehr eingegrenzte Missionsprofil der Aufklärungs-Tornados 2007 bis 2010. • R esources to match requirements = Die Kräfte und Mittel müssen dem Auftrag entsprechen: Hier lässt sich unverblümt sagen, dass die USA die Unzulänglichkeiten nahezu aller anderen teilnehmenden Staaten bezüglich Personaleinsatz, Kräftemultiplikatoren und strategischer Ressourcen auch im logistischen Bereich immer ausgleichen mussten und dies auch getan haben. Hier muss Europa neu ansetzen, um glaubwürdig zu bleiben! National muss festgestellt werden, dass die personelle Begrenzung der deutschen Kontingente aus politischen Gründen oftmals schädlich war. • Exit Strategy = Strategie des Abzugs: Auch wenn es scheint, dass diese nicht existiert hat, sind stets während der sich wandelnden Operation sogenannte “Conditions for Success” beschrieben worden, die einen Abzug zur Folge gehabt hätten. Ein anderer Begriff war “How winning looks like” für die Erfolgsmessung der Mission. Abschließend lässt sich aber jetzt leider feststellen, dass konsequentes Festhalten an der Mission mit einheitlicher Zielsetzung einem durch die USA politisch induzierten Abzug vorzuziehen gewesen wäre.


Verteidigung/Wehrtechnik

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Die Ruhe vor dem Sturm

MELDUNGEN

Zweite Erprobung im Rahmen von OCEAN2020

Fragen zur Krisenreaktionsfähigkeit der Bundeswehr (BS/Anton Meier*) Es war ruhig geworden in der Bundeswehr, zumindest aus militärischer Sicht. Die heftigen Gefechte der Jahre 2008 bis 2012 in Afghanistan hatten nicht nur dutzende gefallene deutsche Soldaten gefordert, sondern auch die Psyche dieser Armee tiefgreifend verändert. Sie hatte ihre Feuertaufe erlebt, war erwachsen geworden und besaß nun wieder Kämpfer in den eigenen Reihen, die sich selbst durchaus stolz als “Veteranen” bezeichneten und eine Gefechtsmedaille auf der Brust trugen. Doch spätestens mit der Übergabe der Verantwortung von ISAF auf RESOLUTE SUPPORT endeten die deutschen Offensivoperationen ebenso rasch, wie sie begonnen hatten. Während man in Afghanistan immer seltener die Lager verließ, rückte 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine die überwunden geglaubte Landes- und Bündnisverteidigung zurück in den Fokus. Afghanistan, der beginnende Einsatz im Mali, der lange vergessene Stabilisierungseinsatz im Kosovo – sie alle wurden überschattet von der “neuen und alten” Bedrohung im Osten. Zwar entsandte die Bundeswehr jährlich immer noch tausende Soldaten in die “heißen” Krisenregionen dieser Welt, doch mit Wiedererstarken der “Kalten Krieger” in Ministerium und Truppenschulen gerieten die bitteren und hart erkämpften Erfahrungen des Afghanistaneinsatzes in Vergessenheit – oder wurden schlichtweg ignoriert. Dann kam 2021. Im Juni verwundete ein Selbstmordattentäter zwölf deutsche Soldaten in Mali teils schwer. Im August überrollte der Zusammenbruch der afghanischen Regierung und der Fall Kabuls die zivil-militärischen Entscheidungsträger in Berlin. Viele gefechtserfahrene Veteranen hatten in den knapp zehn Jahren relativer Ruhe die Bundeswehr verlassen, eine frische, junge Generation war nachgerückt. Und genau diesen Soldatinnen und Soldaten wurde nun, ebenso wie der Politik und Zivilbevölkerung, der tödliche Ernst der Auslandseinsätze schonungslos vor Augen geführt. Wie die Bundeswehr darauf reagierte, kann nicht zufriedenstellen.

Handlungsfähigeit in Krisenlagen In Mali – wo man trotz interner Widerstände und anhaltender Kritik der Presse die militärische Rettungskette an eine Privatfirma “outgesourct” hatte – muss man sich die Frage stellen, wieso sich das Fahrzeug des Attentäters überhaupt der Patrouille so weit nähern konnte. Genau diese Bedrohung durch Selbstmordattentäter hatte man doch eigentlich jahrelang um Kunduz, Feyzabad und Baghlan erlebt und aus diesen oftmals blutigen Erfahrungen gelernt. Die Wagenburg, die die deutschen Kräfte in Mali tatsächlich sogar mit ihren gepanzerten Fahrzeugen gebildet hatten, war eine dieser Lessons Learned. Dass die Angreifer sich dieser eigentlich unüberwindbaren Rundumsicherung nicht nur nähern, sondern diese sogar durchbrechen konnten, wirft die Frage auf, ob wirklich allen eingesetzten Soldaten und militärischen Führern die Gefahren der heutigen Einsätze auch bewusst sind. Denn während beim Anschlag in Mali eher taktische Defizite auftraten, wirkte in Afghanistan die übergeordnete zivil-militärische Führungsebene ebenso wenig einsatzerfahren. Erst Tage nachdem der Vormarsch der Taliban bereits Momentum gewonnen hatte und Kabul bereits eingekesselt war, alarmierte man die bereitstehenden Truppen für eine Militärische Evakuierungsoperation (MilEvakOp). Während die genaue Verantwortung hierfür derzeit noch unklar ist, scheint es bisher so, dass das Auswärtige Amt die frühzeitige Alarmierung von deutschen Soldaten blockiert hat – aber auch innerhalb der Bundeswehr wurde nur reagiert, anstatt vor-

Ein Personnel-Recovery-Team verlässt den Transporthubschrauber CH-53 bei einer Rettungsübung in Afghanistan im Rahmen von RESOLUTE SUPPORT. Die militärische Rettungskette in Mali war hingegen an eine Privatfirma “outgesourced” worden. Foto: BS/Bundeswehr/Andrea Bienert

sichtshalber die eigenen Kräfte im Schulterschluss mit den Verbündeten wenigstens in erhöhte Alarmbereitschaft zu setzen.

Forderungen für die Einsatzfähigkeit Angesichts schwer verwundeter deutscher Soldaten, angesichts unzähliger schutzloser oder gar zurückgelassener deutscher Staatsbürger und afghanischenrOrtskräfte in Kabul muss man kritisch hinterfragen, ob sich die Bundeswehr mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und dem nötigen Handlungswillen auf solche Notfälle und Krisenlagen vorbereitet: Warum wurden die Kampferfahrungen aus Afghanistan nicht in einem angebrachten Maße institutionalisiert und in die Ausbildung der nächsten Generation eingebracht verfügt? Warum die Bundeswehr, welche mit der Division Schnelle Kräfte extra einen Großverband für das Retten und Evakuieren von Staatsbürgern im Ausland unterhält, weder über genügend Flugzeuge noch gepanzerte Fahrzeuge für die Verlegung dieser Division? Stattdessen dauerte es fast eine Woche, von zwei A400M auf acht anzuwachsen – und in Hannover warteten ungeschützte Fahrzeuge vom Typ Wolf und Mungo, deren Einsatz am Hindukusch bereits Mitte der 2000er-Jahre in der Kritik stand. Man muss fragen, warum, nach fast 20 Jahren Afghanistan, die Soldaten dieser schnellen Eingreiftruppe immer noch nicht alle mit Uniformen in Wüstentarn ausgerüstet sind, sondern wieder Soldaten in mitteleuropäisch-grünem Flecktarn in Kabul standen und damit ein leichtes Ziel boten. Oder warum Fallschirmjäger immer noch mit Funkgeräten aus dem Kalten Krieg, unverschlüsselt und kinderleicht abzuhören, in den Einsatz fliegen mussten. Oder ob die bisherige Notfallplanung für Militärische Evakuierungsoperationen – deren vergleichsweise geringer Personalansatz sich eher an der relativ gefahrlosen Operation Pegasus 2011 in Libyen orientiert – überhaupt für Großlagen wie Kabul geeignet ist. Ob man nicht ebenfalls ganze Verbände, welche mit den beiden Fallschirmjägerregimentern zur Verfügung stehen, hätte aktivieren müssen? Warum wurde das Kommando Spezialkräfte – einstmals gegründet, weil deutsche Staatsbürger von belgischen Para-Commandos aus dem Kongo gerettet werden mussten – nicht mit einem deutlich umfangreicheren Kräfteansatz einbezogen?

Rückfall in gewohnte Muster Derzeit wirkt es eher, als basierten alle Annahmen und Planungen der Bundeswehr auf einem “Best Case”-Szenario, in wel-

chem Material und Kräfte stets ausreichen und der Feind artig mitspielt. Während vereinzelte Gefechtsveteranen noch die Unwägbarkeiten und vor allem die Konsequenzen des Krieges zu vermitteln versuchen, scheint die Bundeswehr insgesamt eingelullt zu sein von den Übungsgefechten einer Friedensarmee, welche schlussendlich doch immer gewonnen werden. Was sich auch in der entsprechenden Krisenkommunikation der Ereignisse widerspiegelte, die alles andere als militärisch-entschlossen wirkte. Dabei hatte doch zuletzt Generalinspekteur General Eberhard Zorn selbst wieder vermehrt das “scharfe Ende des Berufes” betont und ein neues, gefechtsorientierteres Mindset gefordert. Dieser Stil, welcher in der Truppe auch durchaus Anerkennung fand, weckte allerdings auch bei vielen die Erwartungshaltung, die Bundeswehr würde sich jetzt in Krisensituationen stärker – und vor allem robuster – einbringen und auftreten. Doch stattdessen verfiel sie beim ersten Schuss in gewohnte Muster. In Mali – kaum eine Reaktion auf den Anschlag. Die üblichen Floskeln, öffentliches Bedauern der Ministerin, genaue Dokumentation der funktionierenden Rettungskette. Doch eine Erklärung der politischen oder gar der militärischen Reaktion auf diesen Anschlag? Folgerungen daraus? Wenigstens ein Update, wie es den Schwerverwundeten heute geht? Man ließ die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit lieber vorbeiziehen, als sie für ein aggressives Herausstellen der Notwendigkeit gut ausgerüsteter und ausgebildeter Streitkräfte zu nutzen. Ähnliches beim Fall von Kabul. Es wurden, selbst als die Taliban schon in Kabul einrückten, auf den offiziellen Social-MediaKanälen noch lustige Video-Clips von Fallschirmspringern in Deutschland gezeigt. Es dauerte tatsächlich Tage (!), ehe die Verantwortlichen der Bundeswehr zu einer auch nur ansatzweise passablen Krisenkommunikation fanden. Und erneut – anstatt die Aufmerksamkeit der Medien zu nutzen und eventuell auch Vertrauen und Informationen über die Truppe in die breite Öffentlichkeit bringen, wurde gerade in der kritischen ersten Phase den Reportern von Spiegel Online und Bild das Feld gänzlich überlassen. Eklatant dabei auch der verzweifelte Versuch, zunächst von offizieller Seite Informationen geheim zu halten – welche dann wenig später an anderer Stelle geleakt wurden – und anschließend selbst durch Videos der Verlegung von SpezialkräfteHubschraubern die eigene Operationsführung zu gefährden. Im Vergleich dazu hatten bei-

Behörden Spiegel / September 2021

spielsweise die britischen Streitkräfte nicht nur von Anfang an die heimische Bevölkerung transparent und offen informiert, sie hatten auch durch ein proaktiv inszeniertes Narrativ in der Berichterstattung ihren eingesetzten Soldatinnen und Soldaten eine sinnstiftende Helden-Rolle in diesem Desaster gegeben. Doch statt vor die Welle zu kommen, beschränkte man sich in der Bundeswehr-Presseabteilung auf das Reagieren und Agieren in bekannten Mustern und mit bekannten Methoden, ohne selbst über die eigenen Kanäle die Informationen zu den Menschen zu bringen. Dass, nach zwei Jahrzehnten eines hochumstrittenen Einsatzes in Afghanistan, die politischmilitärische Führung im BMVg immer noch glaubt, durch Todschweigen von Krisen irgendeine Form von Zustimmung in der Bevölkerung für Auslandseinsätze erhalten zu können, muss kritisiert werden. Dass ebenso wenig erkannt wird, dass eine transparente und detaillierte Auswertung von Gefechtshandlungen und Anschlägen nicht nur der eigenen Truppe dient, sich selbst effektiver vorzubereiten und zu schützen, sondern auch Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ausbildung der Bundeswehr stärken würde, ist nicht nachvollziehbar. Und dass man glaubt, einerseits die Bundeswehr auf einen möglicherweise nötigen Abwehrkampf gegen Russland einstimmen zu können, andererseits aber schon kommunikativ mit Krisen in Mali und Afghanistan – beides wahrlich keine strategisch entscheidenden Krisenherde – überfordert zu sein scheint, wirkt gerade zu bizarr. Bizarr auch deswegen, weil wohl kaum einer, in der Bundeswehr oder außerhalb, derzeit davon ausgehen kann, dass Deutschlands Streitkräfte einer friedlichen Zukunft entgegenziehen. Ob im Baltikum, in Afrika, dem Nahen/Mittleren Osten oder nun auch im Pazifik – die neue “Weltunordnung” hält viele Gefahren und Konfliktpotential bereit. Zuletzt wurden mehrere Jahrgänge militärischer Führer und Soldaten ausgebildet und erzogen, ohne dass ihnen ein Kampfeinsatz unmittelbar bevorstand. Die Ereignisse von 2021 haben gezeigt, wie schnell diese Ruhe in Sturm umschlagen kann. Es muss sichergestellt sein, dass die Streitkräfte ebenso schnell umschalten können. Denn den Soldatenberuf trennt eins von allen anderen Berufen: Im Ernstfall bedeutet Versagen den unmittelbaren und gewaltvollen Verlust von Menschenleben. *Anton Meier (Name von der Redaktion geändert) ist Offizier bei einer Kampfeinheit der Bundeswehr.

(BS/df) Ende August fand vor der südlichen Küste Schwedens die zweite Seedemonstration des europäischen Projekts OCEAN2020 statt. 18 europäische Unternehmen, Forschungsinstitute und Verteidigungsministerien aus zehn verschiedenen EU-Ländern nahmen teil. Hierbei wurde die Integration von im Einsatzgebiet gesammelten Informationen erprobt, um ein zuverlässiges maritimes Lagebild (Recognised Maritime Picture, RMP) zu erstellen. Während der OCEAN2020-Demonstration patrouillierten die unbemannten Aufklärungssysteme in dem Gebiet und erfassten bzw. klassifizierten dabei Bedrohungen mithilfe einer Reihe von Sensoren. In einem Szenario ging es um die Überwachung, Hemmung und Bekämpfung mehrerer Bedrohungen an der Oberfläche, während in einem zweiten Szenario die Identifizierung von Unterwassergefahren und das Aufspüren feindlicher Spezialeinheiten in Küstengebieten im Mittelpunkt standen. Die Koordination der Übung lag bei Saab.

OCEAN2020 ist das größte von Europa finanzierte Verteidigungsforschungsprojekt für die Seeraumüberwachung. Leonardo koordiniert das Team von 43 Partnern aus 15 Ländern. An der Ostseedemonstration waren 13 unbemannte Systeme, vier Marineeinheiten – ein schwedisches Unterstützungsschiff, ein litauisches Patrouillenschiff, ein polnischer Minenjäger und ein deutsches Forschungsschiff – ein Satellit und zwei Kommandozentralen beteiligt. Mit dem Projekt OCEAN2020 erforscht die EU unterschiedliche Bereiche der maritimen Überwachung. Zu diesem Zweck integrieren die europäischen Partner Drohnen und unbemannte U-Boote in Flottenverbände. Für Deutschland bringt unter anderem das Fraunhofer IOSB seine Expertise im Bereich Unterwasserdrohnen und maritime Situationsanalyse ein. Die weiteren beteiligten deutschen Unternehmen sind: Hensoldt Sensors, Infinite Vision, MBDA Deutschland und Schönhofer Sales and Engineering.

Digitalfunk für 16 Schiffe (BS/df) 16 Einheiten der Deutschen Marine erhalten Digitalfunksysteme von Motorola Solutions Germany. Der Auftrag umfasst die Lieferung der Digitalfunknetze an Bord von 16 Schiffen sowie die Integration der neuen Systeme in die bestehende IT-Infrastruktur der Marine. Zum Einsatz kommt außerdem eine neue Leitstellenlösung, eine Referenzanlage am Marinearsenal in Wilhelmshaven, die das Sicherheitspersonal in Echtzeit über den Betriebsstatus der Marineplattformen informiert. Ebenfalls Bestandteil sind neue TETRA-Endgeräte. Zusätzlich ist die Installation einer stationären Ausbildungsanlage an der Marinetechnikschule in Parow vorgesehen. “Bei den Bündelfunknetzen handelt es sich um zellular betriebene Funksysteme, ähnlich

zivilen Mobilfunksystemen, die Sprach- und Schmalband-Datenübertragung über den Standard ‚Terrestrial Trunked Radio‘ (TETRA) ermöglichen. Die Nutzung dieser marktverfügbaren Funktechnologie bietet neben der Realisierung der geforderten Dienste und Reichweiten auch die Einbindung in Netze der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Deutschland”, beschreibt das BAAINBw. “Somit ist neben der internen Funkkommunikation auf dem jeweiligen Schiff auch die organisationsübergreifende Kommunikation mit zivilen Einsatzkräften, insbesondere in Krisenlagen und Katastrophensituationen, sichergestellt.” Nach einer umfangreichen Testphase ist die Integration der ersten Systeme bereits für Mitte 2022 geplant.

Unbemannter Schreitpanzer (BS/df) Ende August präsentierte Donaustahl das interessante Konzept eines unbemannten Schreitpanzers. Das Projekt läuft unter dem Namen IBEX. Schreitbagger befinden sich bereits bei der Bundeswehr in der Erprobung und wurden unter anderem bereits im Rahmen der Amtshilfe während der Flutkatastrophe erfolgreich eingesetzt. Diese Idee des Schreitfahrzeugs führt Donaustahl nun mit einer unbemannten (UGV-)Plattform sowie – für das Konzept – mit einer Flugabwehrstation zusammen. “Innovation erfordert originelle und mutige Ideen. Donaustahl will einen neuen Weg gehen und hat eine Konzeptstudie zur Zukunft unbemannter Gefechts-

fahrzeuge erstellt”, beschreibt das Unternehmen die Hintergründe. “Der IBEX bietet hervorragende, bisher ungesehene Mobilitätsoptionen. So kann er sich auf Terrain bewegen, welches kein sich derzeit auf dem Markt befindliches schweres Gerät – zum Beispiel klassische Panzer oder Artillerie – erreichen kann.” Diese Konzeptstudie soll eine Familie von unbemannten Plattformen ergeben, die beispielsweise für Luftverteidigung, Mörser, mittlere Geschütze oder Verwundetentransport geeignet sind. Durch den Aufbau als Schreitplattform ist eine Überbrückungsfähigkeit von drei Metern und eine Steigfähigkeit von über 1,8 Metern vorgesehen.

Überwachungsballons “Fliegendes Auge” (BS/df) Deutschland beschafft die Überwachungsballons “Fliegendes Auge”. Sensoren sind die Augen und Ohren der Soldatinnen und Soldaten in den Feldlagern. Je höher diese verbracht werden können, desto besser der Überblick. Israel und die USA hatten zur Installation von Sensoren vor Jahrzehnten erstmals Ballons eingesetzt. Auch Deutschland nutzte diese zum Feldlagerschutz in Afghanistan. Die Nachteile liegen in der geringen Härtung, Ballone lassen sich schließlich leicht abschießen. Dieser Nachteil kommt allerdings in wüstenähnlichem Gelände mit karger Vegetation kaum zum

Tragen, da die Aufklärung der Sensorik weit genug reicht, um die Trägersysteme zu schützen. Der 21-Millionen-Euro-Auftrag ging an Rheinmetall. “Die Einbindung der Sensoren des Ballons in das militärische Führungssystem erfolgt durch die RheinmetallTochtergesellschaft Rheinmetall Canada”, beschreibt das Unternehmen. “Die Ballons können über lange Zeiträume in großer Höhe über dem zu schützenden Objekt schweben und mit ihren hochempfindlichen Sensoren gegnerische Objekte schon auf große Distanzen erkennen.” Die Ballons sollen erstmals in Niger zum Einsatz kommen.


Verteidigung

Behörden Spiegel /September 2021

“D

ie Bundeswehr war bei dieser internationalen Luftbrücke eine der Führungsnationen”, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. “Die Bundeswehr hat nachgewiesen, dass sie in einer hochkomplexen, hochsensiblen und hochgefährlichen Lage handeln kann, dass auf sie Verlass ist. Darauf können die Soldatinnen und Soldaten stolz sein. Und zwar mit Recht stolz sein.” Das eher frühzeitige Ende war aufgrund der gestiegenen Terrorwarnungen notwendig. Informationen aus den USA wiesen bereits über einen Tag vor den Anschlägen auf 12 potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation IS hin, die extra nach Kabul gereist waren, um dort am Flughafen Aktionen durchzuführen. “Bis zum letzten möglichen Moment haben unsere Kräfte vor Ort versucht – und auch dafür gesorgt – dass wir so viele Menschen wie möglich außer Landes bringen konnten”, betonte die Ministerin. “Seit Montag, dem 16. August, haben wir insgesamt 5.347 Personen aus mindestens 45 Nationen evakuiert. Rund 500 Deutsche, über 4.000 Afghanen. Rund 2.000 Ortskräfte der Bundeswehr und ihre Angehörigen haben wir bereits vor Beginn der Evakuierungsaktion nach Deutschland geholt.” Der Kommandeur der Evakuierungsmission, Brigadegeneral Jens Arlt, sagte nach der Ankunft in Wunstorf: “Ein hochdynamischer Einsatz, mit nichts zu vergleichen, was ich bis dato erlebt habe. Wo jeder an seine Belastungsgrenze geht und jeder sich einbringt, um das Ganze möglich zu machen. Das ist eine hervorragende Teamleistung.” Brigadegeneral Arlt lobte besonders auch die Zusammenarbeit mit den anderen Ressorts. Neben der Bundeswehr befanden sich Mitarbeiter des Auswärtigen Am-

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Die Evakuierungsmission aus Afghanistan Bundeswehr leistet erfolgreich Hilfe (BS/Dorothee Frank) Am 27. August trafen die deutschen Soldaten der Evakuierungsmission aus Afghanistan am Flughafen in Wunstorf ein. Damit endet der größte Evakuierungseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr. Rund 600 Soldatinnen und Soldaten waren daran beteiligt. Die letzten Stunden wurden durch mehrere Anschläge am Flughafen in Kabul überschattet.

Die Evakuierungsmission aus Afghanistan wurde durch die Bundeswehr erfolgreich durchgeführt. Foto: BS/Bundeswehr

tes und der Bundespolizei am Kabuler Flughafen.

Die Zonen der Mission Während der Evakuierungsmission konnte Afghanistan im Grunde in mehrere Zonen eingeteilt werden. Als erstes das Innere des Flughafens, der Kern, die Transitzone. Kontrolliert und gesichert durch die USA. Die Zustände in diesem Wartebereich waren zwischenzeitlich durchaus kritisch, besonders für Kinder. Der Evakuierungshub der USA in Doha war überlastet, in der Spitze warteten fast 7.000 Menschen auf den Weiterflug. Deutschland hatte zur Entlastung der Situation mehrere Tonnen Hilfsgüter nach Kabul gebracht. Die nächste Zone war der Bereich unmittelbar um den Flughafen in Kabul. Hier herrschte Chaos, das allerdings hauptsächlich nicht durch die Taliban verursacht

wurde, sondern durch die Masse an Menschen, welche in den Flughafen gelangen wollten. Die USA sorgten – unterstützt durch die Kräfte von Partnernationen – dafür, dass diese Menschen nicht den Flughafen stürmten. Dies war die Grundvoraussetzung für ein Fortführen der Evakuierungsmission. Es existierte während der gesamten Evakuierung gewissermaßen eine Wand aus Menschen um das Gebäude, die nicht zu kontrollieren war. Während in den ersten Tagen hauptsächlich Familien, die auf der Flucht vor den Taliban in den Flughafen gelangen wollten, vor dem Flughafen standen, änderte sich die Zusammensetzung nach wenigen Tagen. Gegen Ende der Evakuierungsmission bestand dieser Menschenwall vor allem aus jungen, kräftigen Männern. Dies führte zu einer deutlichen Verschärfung der Situation, da die

jungen Männer weniger vorsichtig oder rücksichtsvoll agierten, als etwa eine Familie mit Kindern. Augenzeugen berichteten, es habe keinerlei Rücksichtnahme zwischen den Menschen in der Masse vor dem Flughafen gegeben. Es habe ein brutaler Wettkampf geherrscht, um in den Flughafen zu gelangen. Für die Evakuierung bedeutete dieser Ring aus kräftigen jungen Männern ein Problem, da Frauen, ältere Menschen und Kinder sich durch diese Menge kaum bis zu den Gates durchschlagen konnten. Dies war ein Grund, warum es für alle Nationen immer schwieriger wurde, ihre zu Evakuierenden überhaupt zu den Fliegern zu bringen. Zu Beginn standen noch Soldaten und Bundespolizisten an den Toren und suchten in der Menschenmenge nach jenen, die mit ihren Pässen oder Papieren oder anderen sichtbaren Zeugnissen ihres Rechts auf Einlass winkten, um durch die gesicherten Tore ins Innere des Flughafens gebracht zu werden. Mit der Veränderung der Zusammensetzung der Menschenmenge sowie der steigenden Gefahr von Anschlägen wurde dieses Vorgehen immer undurchführbarer.

Hubschrauber-Einsatz mit den USA Um dieses Hindernis, die Menschenmasse vor dem Flughafen, zu überwinden, hatte die Bundeswehr zwei Hubschrauber H145M LUH SOF (Light Utility Helicopter Special Operation Forces) nach Kabul verlegt. Die USA hatten

diese Fähigkeit bei den Deutschen angefragt. “Diese Hubschrauber wurden angefordert durch die amerikanische Seite”, berichtete der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn. “Die Amerikaner fliegen dort überwiegend mit großvolumigen Hubschraubern, sodass sie also im urbanen Umfeld von Kabul eine kleinere Maschine benötigten.” Die deutschen Hubschrauber waren dementsprechend für Operationen in Zusammenarbeit mit den US-Kräften vorgesehen und wurden bei den Flügen auch grundsätzlich von amerikanischen Hubschraubern begleitet. Hinzu kam eine von den Amerikanern bereitgestellte, luftbewegliche Eingreifreserve im Hintergrund. Die Hubschrauber waren also kein Ersatz dafür, dass die zu Evakuierenden selbstständig zum Flugplatz in Kabul gelangten, sondern eine Sondermöglichkeit für Spezialfälle. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden mit den Hubschraubern rund 20 Personen von Kabul in den Flughafen gebracht.

Kontrolle der Taliban Zum Zeitpunkt der Evakuierungsmission wurde Kabul bereits durch die Taliban kontrolliert. Diese richteten in einem Ring um den Flughafen Checkpoints ein, um zu kontrollieren, wer in den Einflussbereich der Alliierten gelangen durfte. Allerdings hatten die USA mit der neuen TalibanFührung vorverhandelt, sodass Ausländer und andere durchge-

lassen wurden. Hierfür wurden auch Listen an die Taliban übergeben, damit diese Personen die Checkpoints passieren durften. Wer als Afghane nicht auf der Liste stand, kam nicht durch. Außer jenen jungen, kräftigen Männern, die wahrscheinlich in so großen (und gewaltbereiten) Gruppen die Checkpoints passiert hatten, dass auch die Taliban machtlos waren. Der ehemalige deutsche Stützpunkt, Masar-e Scharif, liegt allerdings über 400 km von Kabul entfernt. Die meisten seinerzeit für Deutschland beschäftigten afghanischen Ortskräfte befanden sich dementsprechend nicht in der Hauptstadt und in der Nähe des Flughafens, sondern mitten im Herrschaftsgebiet der Taliban. Für sie bestand kaum eine Chance, im Zuge der Evakuierung gerettet zu werden. Dies zeigen auch die Zahlen aus dem Bundesinnenministerium. Demnach wurden weniger als 200 Ortskräfte (plus ihre Familien) durch die Evakuierungsflüge gerettet. Der Fokus der Evakuierungsmission lag jedoch nicht auf den Ortskräften, sondern auf deutschen Staatsbürgern. Schließlich kann jeder Bürger von seinem Land erwarten, dass es sich im Ernstfall um seine Sicherheit bemüht. Angesichts der großen Schwierigkeiten, überhaupt Menschen in den Flughafen zu bringen, stand dadurch die Kontaktaufnahme und Betreuung von Deutschen im Fokus. Aber auch davon konnten nicht alle rechtzeitig in den Flughafen gebracht werden. Das Auswärtige Amt nahm bereits Verhandlungen mit den Taliban auf. Als erster Schritt soll eine Entwicklungshilfe von rund 100 Millionen Euro vereinbart worden sein. Die Details zur Gegenleistung wurden nicht bekannt gegeben, aber die sichere Heimkehr deutscher Staatsbürger und registrierter Ortskräfte gilt als sehr wahrscheinlich.

Berlin Security Conference 2021

Europe – Developing Capabilities for a credible Defence 24.-25. November 2021, Vienna House Andel’s Berlin

• Eine der größten Veranstaltungen zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung • Analysiert die Entwicklung der europäischen sicherheitspolitischen und militärischen Fähigkeiten und Beschaffung, eingebettet in den sicherheits- und verteidigungspolitischen Kontext von EU und NATO • Internationales Forum für Abgeordnete, Politiker und Angehörige der Streitkräfte, der Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und der Industrie • Partner in 2021: OCCAR, EDA, NCIA, NSPA Melden Sie sich zu Europas führende • Frühere Partner: Russland, Großbritannien, Türkei, USA, Frankreich, Schweden, Niederlande, r Veranstaltung fü Sicherheit und Ve r rteidigung auf ww w.euro-defence. Italien, Tschechien eu an. • Nationale und internationale Aussteller • Veranstaltet vom – Deutschlands führender unabhängiger Zeitung für den Öffentlichen Dienst

Über 120 Topreferenten, u. a.:

Wolfgang Hellmich MdB, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Kongresspräsident BSC 2021

General Claudio Graziano, Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union

Ambassador Claude-France Arnould, Leitende Beraterin für europäische Angelegenheiten des Instituts (ifri), ehemalige Botschafterin in Belgien, ehemalige Geschäftsführerin der EDA

Dr. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments 20072009, Beauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Europafragen, Kongresspräsident BSC 2019-2020

Botschafter Jiří Šedivý, Generalsekretär der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA), Verteidigungsminister der Tschechischen Republik 2006-2007, Kongresspräsident BSC 2015-2017

Vizeadmiral a.D. Matteo Bisceglia, Direktor der gemeinsamen Organisation für Rüstungskooperation (OCCAR)

Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 2015-2020

General Jörg Vollmer, Befehlshaber des Allied Joint Forces Command der NATO in Brunssum

www.euro-defence.eu

Foto: Dombrowsky

Die Berliner Sicherheitskonferenz


Verteidigung

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Das neue Usbekistan

W

ährend der Zeit der Interimsregierung und bis ihn die Wahlen im Dezember 2016 bestätigten, kündigte Mirziyoyev seine großen Pläne für Usbekistan an. Eine Öffnung sollte es geben, neue Autobahnen und eine neue Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplätzen. Seine Pläne waren verlockend und vielversprechend. Die Usbekinnen und Usbeken gaben ihm ihre Stimmen. Schon bei seiner ersten langen Rede an seine Landsleute im Dezember 2016 machte er klar: Große Veränderungen würden kommen, die nicht allein er als Präsident bewältigen könne, aber alle Usbekinnen und Usbeken müssten bei den anstehenden Aufgaben mitarbeiten. Nur so seien die Aufgaben zu lösen, die das Land aus der damals desolaten Lage bringen könnten. Seit dem Dezember 2016 hat sich sehr viel getan: In atemberaubendem Tempo kamen Reformen über Reformen, in einem Tempo, das es nie zuvor gegeben hatte. Der Alltag wandelte sich in einen neuen Alltag, das alte Usbekistan wandelte sich in ein neues Usbekistan. Öffnung war angesagt, nach innen und nach außen. Aus einem Bildungsministerium wurden drei – für die Vorschulen, die Schulen, und die Universitäten und Weiterbildungen. Usbekistan müsse die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufholen, hieß es. Alle Ministerien erhielten Beschwerde-Stellen, damit Hürden und Engpässe zielgerichtet bearbeitet werden konnten. Die Wertschätzung, die damit jedem Bürger zuteilwurde, war ganz neu.

Die neue Außenpolitik Auch in der Außenpolitik gab es eine ganz neue Agenda: Eine Öffnung. Schon bevor er sein Amt antrat, hatte Schavkat Mirziyoyev angekündigt, dass die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Nachbarn für ihn oberste Priorität habe. Das war in Zentralasien eine gewaltige Aufgabe. Über Jahre hatten sich Konflikte um Grenzen und Wasser, Ver-

A

ußenminister Heiko Maas betonte im Vorwort zu den “Leitlinien”, die von seinem Ministerium herausgegeben worden sind: “Mehr als irgendwo sonst entscheidet sich die Ausgestaltung der internationalen Ordnung von morgen im Indo-Pazifik. Als global agierende Handelsnation und Verfechter einer regelbasierten internationalen Ordnung darf Deutschland sich im Angesicht dieser dynamischen Entwicklung nicht mit einer Zuschauerrolle begnügen.” Die “Präsenz- und Ausbildungsfahrt” der Fregatte, hob das BMVg hervor, sei ohnehin etwas ganz “Besonderes: Häfen wie Singapur oder Tokio hat die Deutsche Marine zuletzt 2002 angelaufen. Die “Bayern” selbst war zuletzt 1997 in der Region.”

Indien Auch von den Anrainern des Indo-Pazifiks selbst nehmen die maritimen Bewegungen zu. Im August hat Indien eine ganze “Task Force”, bestehend aus vier Kriegsschiffen, ins Südchinesische Meer entsandt, um den dortigen territorialen Alleinvertretungsanspruch der Volksrepublik China herauszufordern. Zwei Monate lang soll der indische Schiffsverband unterwegs sein. Geplant sind dabei u. a. Seeübungen mit den sog. “Quad”-Partnern Australien, Japan und USA, wie das Verteidigungsministerium in Neu-Delhi mitteilte. Dieser “quadrilaterale Sicherheitsdialog” war vom früheren japanischen Premierminister Shinzo Abe am Ende seiner ersten Amtszeit 2007 begründet

Behörden Spiegel /September 2021

Deutscher Partner in Zentralasien (BS/Dr. Birgit Wetzel*) Usbekistan entwickelt sich rasant. Das Land befindet sich mitten in der Transformation zur Marktwirtschaft und auch die Demokratisierung geht Schritt für Schritt voran. Viele Jahre war Usbekistan abgeschottet, bis zum Tod des ersten Präsidenten Islam Karimov im September 2016. Dann trat Präsident Schavkat Mirziyoyev als neues Staatsoberhaupt des unabhängigen Usbekistans die Nachfolge an und verordnete dem Land eine neue Dynamik und große Veränderungen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde bei seinem Usbekistan-Besuch von Staatspräsident Shavkat Mirziyoyev mit militärischen Ehren empfangen.

Foto: BS/Präsident der Republik Usbekistan

kehrswege und Arbeitsplätze aufgestaut und sorgten immer wieder für Konflikte. Präsident Mirziyoyev ergriff die Initiative, besuchte Land für Land, alle umliegenden Nachbarn und fand zusammen mit ihnen Kompromisse, die Stück für Stück alle Konflikte lösten. Damit wuchs das Vertrauen der Staaten zueinander, sodass sie im November 2017 auf der Konferenz in Samarkand einen zunächst losen Verbund schlossen, mit dem Ziel, die Zusammenarbeit auszubauen. Sie hat sich Monat um Monat weiterentwickelt und vertieft. Die EU stand dabei beratend zu Seite. Die neuen außenpolitischen Ziele führen zu neuen Meilensteinen bei den vielen Aufgaben, die nur gemeinsam mit den Nachbarn oder sogar der internationalen Gemeinschaft gelöst werden können, so wie die Sorge um den Aralsee, der jeweils zur Hälfte zu Usbekistan und zu Kasachstan ge-

hört. Nur noch zehn Prozent seiner ursprünglichen Größe hat der See heute. Millionen Menschen verlieren damit ihre Lebensgrundlage. Im Rahmen der neuen Außenpolitik lud Präsident Mirziyoyev Politiker und Wissenschaftler, Experten und Journalisten aus aller Welt zu einer UN-Konferenz nach Moynak an den Aralsee ein. Sie sollten mit eigenen Augen sehen, welche Katastrophe sich dort ereignet hatte, die weiter ihren Lauf nahm. Die Hoffnung war groß, dass die internationalen Fachleute Lösungen für die Menschen und Probleme der Aralsee-Region fanden, gegen die Verwüstung und Versalzung der Region und gegen die Sandstürme, die immer wieder über hunderte Kilometer über die Wüste fegten und das Leben lahmlegten.

Die Verbindung mit Deutschland Außenpolitisch hatte und hat die Beziehung zu Deutschland

viel Gewicht. Sie war traditionell gut, schon seit vielen Jahren. In der neuen Außenpolitik gewann sie nochmals an Bedeutung. Im Januar 2019 besuchte der Präsident Schavkat Mirziyoyev Deutschland, traf Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, sowie weitere Mitglieder des Bundestages und der Regierung. Schon kurz darauf, im Mai 2019, erfolgte der Gegenbesuch aus Deutschland in Usbekistan und damit deutlich früher, als üblich – ein Zeichen der Wertschätzung. Der offizielle,dreitägige Besuch von Frank-Walter Steinmeier umfasste intensive Gespräche zwischen den Präsidenten, mit vielen Mitgliedern der Regierung, mit Vertretern der Zivilgesellschaft von Usbekistan und usbekischen NGOs – ein Treffen, das es im alten Usbekistan nicht hätte geben können. Das Goethe-Institut in Taschkent bereitete ebenso einen herzlichen Empfang. Ein Tag mit Kulturprogramm brachte den Bundespräsidenten in den Westen Usbekistan, wo er sich an einer Schule selbst ein Bild machen konnte, wie intensiv junge Menschen in Usbekistan Deutsch lernen. Im ganzen Land sind es rund 300.000. Hinzu kommen viele weitere, die bereits Deutsch gelernt haben. Ein Gang durch Chiva, die uralte Stadt an der Seidenstraße mit bis heute intakter Bebauung und einer jahrhundertealten Moschee, rundete den Besuch ab. Während der Corona-Pandemie hielten Deutschland und Usbekistan den guten Kontakt aufrecht. Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Schavkat Mirziyoyev

hielten zwei Videokonferenzen ab und brachten einander so auf den neuesten Stand der Entwicklungen. Auch die Wirtschaft spiegelt die zunehmend intensiven Kontakte zwischen Usbekistan und der EU. Trotz der CoronaPandemie verzeichnet die Wirtschaft des Landes ein leichtes Wachstum. Vor wenigen Monaten erhielt Usbekistan den ASP-Status, der dem Land verbesserte Exportmöglichkeiten in die EU eröffnet. In diesem Jahr werden Investitionen von rund einer Milliarde US-Dollar in die Textilindustrie, die Lebensmittelindustrie, in Pharmazie, Landwirtschaft und Baustoffindustrie fließen.

Stützpunkt der Bundeswehr Die gute Zusammenarbeit bestätigt sich erneut in der aktuellen Situation in und um Afghanistan. 13 Jahre nutzte die Bundeswehr den Stützpunkt in Termez, Usbekistan, zur Versorgung der Truppen in Afghanistan. Die grenznahe Stadt war über Jahre ein sicherer Platz, auch in Zeiten, in denen das alte Usbekistan sich noch nach außen abschottete. Jetzt, wo

Regierungsform: Präsidialrepublik mit Zwei-Kammer-Parlament Staatsoberhaupt: Shavkat Mirziyoyev (Amtsantritt 2016) Hauptstadt: Taschkent Bevölkerung: 33,5 Mio. Fläche: 447.400 km² Nominales BIP: 48,3 Mrd. Euro BIP pro Kopf: 1.443 Euro BIP-Wachstum 2020: 1,6 Prozent Verteidigungsetat: 4 Prozent des BIP Streitkräfte: 52.500 aktive Soldaten Wehrpflicht: 1 Jahr für alle Männer zwischen 18 und 27 Quellen: BS/Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, CIA World Factbook

Zahlreiche Seestreitkräfte zeigen demonstrativ Flagge (BS/Dr. Gerd Portugall) Anfang August ist die deutsche Fregatte “Bayern” von Wilhelmshaven aus für sieben Monate in Richtung Indo-Pazifik ausgelaufen. Am Tag zuvor ist die Bundesrepublik dem internationalen Übereinkommen ReCAAP (“Regional Cooperation Agreement on Combating Piracy and Armed Robbery against Ships in Asia”) beigetreten. Beides steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den “Leitlinien der Bundesregierung zum Indo-Pazifik” vom September des vergangenen Jahres.

Großbritannien Bereits im Mai war eine Trägerkampfgruppe der Royal Navy rund um die “HMS Queen Elisabeth” in Richtung Fernost ausgelaufen. Laut dem Londoner Verteidigungsministerium handelte es sich dabei um die “größte Konzentration von See- und Luftmacht, die sich

seit einer Generation vom Vereinigten Königreich aus auf den Weg gemacht” habe. An Bord des britischen Flugzeugträgers befinden sich u. a. zehn TarnkappenKampfflugzeuge vom Typ F-35B “Lightning II” des U.S. Marine Corps. Auch ein US-Zerstörer und eine niederländische Fregatte zählen zu dieser Trägerkampfgruppe. Deren weitester Anlaufpunkt wird Südkorea sein. Der Großverband soll sich im Herbst auf den Rückweg begeben.

Vereinigte Staaten Ende Juli nannte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin während eines Aufenthalts in Singapur die Verlegung der unter britischer Führung stehenden Trägerkampfgruppe “historisch”. Außerdem bezeichnete er den Anspruch des “Reiches der Mitte” auf den größten Teil des Südchinesischen Meeres als “illegitim”. Gerade wegen dieses Anspruches ist auch die Marine der Volksbefreiungsarmee in diesem Seegebiet stets präsent und aktiv, schüttet bisher unbewohnte Atolle und Riffe künstlich auf und errichtet darauf Militäreinrichtungen. Unterdessen hat ebenfalls Ende Juli der US-Lenkwaffenzerstörer

“USS Benfold” die Taiwan-Straße zwischen dem Ost- und dem Südchinesischen Meer passiert – sehr zum Missfallen der Staats- und Parteiführung in Peking. Dies war in diesem Jahr bereits der siebente Transit eines US-Kriegsschiffes zwischen den Küsten der Volksrepublik und der Republik China auf Taiwan.

*Dr. Birgit Wetzel ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Zen­ tralasien, Kaukasus, Osteuropa und Energiethemen (www.bir gitwetzel.de).

Republik Usbekistan (O‘zbekiston Respublikasi)

Maritimer Hochbetrieb in Fernost

und nach seiner Rückkehr an die Regierungsspitze ab 2013 neu belebt worden. Die indische “Task Force” soll aus einem Lenkwaffenzerstörer, einer Lenkwaffenfregatte, einer U-Boot-Jagdkorvette sowie einer Lenkwaffenkorvette bestehen. Auf dem Programm steht u. a. das Seemanöver “Malabar 2021” mit den Streitkräften Australiens, Japans und der USA. Außerdem sollen bilaterale Übungen mit folgenden Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres stattfinden: Indonesien, Philippinen, Singapur und Vietnam. “Diese maritimen Initiativen”, so das Verteidigungsministerium in Neu-Delhi, “steigern die Synergie und Abstimmung zwischen der Indischen Marine und befreundeten Ländern, basierend auf gemeinsamen maritimen Interessen und der Verpflichtung gegenüber der Freiheit der Meere.”

der Abzug der NATO-Truppen und die rapide, abrupte Machtübernahme durch die Taliban neue Flüchtlingsströme in Gang gesetzt haben und eine schnelle und flexible Rettung der Ausländer aus Afghanistan nötig machten, ist Usbekistan wieder ein zuverlässiger Partner für Rettungsflüge zwischen Kabul und Taschkent. “Ich möchte mich bei der Regierung von Usbekistan bedanken, die in einer Situation großer Anspannung ein verlässlicher Partner war und uns die Möglichkeiten, in Taschkent zu handeln, gegeben hat. Das werden wir nicht vergessen”, erklärte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor ihre Abreise nach Taschkent am 26. August. Ihr Amtskollege Außenminister Heiko Maas, machte sich auf den gleichen Weg, nur ein paar Tage später. Das neue Usbekistan präsentiert sich der Weltöffentlichkeit in einem neuen Licht. Es gibt noch viel zu tun, heißt es aus Taschkent. Aber schon jetzt lässt sich feststellen, dass Usbekistan sich in den vergangenen Monaten und Jahren einen neuen Platz in der Region und auf der internationalen Bühne verschafft hat. Bei den Wahlen im kommenden Oktober werden die Wähler entscheiden, wie es im Land weitergehen soll.

“dass unser blau-grünes Team weiterhin mit gleichgesinnten Nationen operieren wird, um Stabilität und die internationale regelbasierte Ordnung voranzubringen.” Eine “Blue-Water Navy” wird auf Hoher See und eine “Green-Water-Navy” wird in Küstenregionen eingesetzt. Multinational war CJBP wegen

der Beteiligung des australischen Hubschrauberträgers “HMAS Canberra” und der australischen Fregatte “HMAS Ballarat” sowie des japanischen Zerstörers “JS Makinami”. “Australien findet es immer gut, mit gleichgesinnten Partnern und Freunden zu arbeiten und zu üben”, so Flottillenadmiral Mick Harris, Befehlshaber der australischen Flottille, “um sich gemeinsamen Sicherheitsherausforderungen in unserer Region zu stellen.” Durch die Beteiligung der amphibischen Angriffsschiffe “USS America” und der “HMAS Canberra” soll die Volksbefreiungsarmee glaubwürdig mit der Fähigkeit westlicher Landungsoperationen abgeschreckt werden.

CJBP im Korallenmeer Unter Führung des “U.S. IndoPacific Command” (USINDOPACOM) in Hawaii fand Anfang August im Korallenmeer nordöstlich von Australien, d. h. im Verantwortungsbereich der 7. US-Flotte, die Übung “Combined and Joint Battle Problem” (CJBP) statt. “Combined” bedeutet die Beteiligung mehrerer Teilstreitkräfte (TSK) und “Joint” bedeutet multinational. Auf amerikanischer Seite beteiligten sich Schiffe der “Expeditionary Strike Group” (ESG) 7, die TSK-übergreifend ist, weil sie sich aus dem Hubschrauberträger “USS America” der USMarine und der 31st “Marine Expeditionary Unit” (MEU) der US-Marineinfanterie zusammensetzt. “Niemand sollte überrascht sein”, so US-Konteradmiral Chris Engdahl, Befehlshaber der ESG 7,

Maritimer Hochbetrieb im Südchinesischen Meer und den angrenzenden Seegebieten

Grafik: BS/Beate Dach


Die letzte Seite

Behörden Spiegel / September 2021

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ine der größten Herausforderung während der Lockdown-Phasen war es laut Heizler, die in weniger stressigen Zeiten gerne Freunde und Familie besucht sowie Sport macht und reist, einen Rhythmus beizubehalten. Sich selbst den Tag zu strukturieren und die zu erledigenden Schulaufgaben einzuteilen und abzuarbeiten, sei vielen Jugendlichen schwergefallen. “Und seien wir mal ehrlich, wir hätten als Teenager vermutlich auch bis mittags geschlafen”, meint die 31-Jährige mit einem Schmunzeln.

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Der Wunsch, andere zu inspirieren Janina Heizler berichtet über Schule in Pandemiezeiten (BS/Malin Jacobson) “Am Anfang ging es drunter und drüber, man hat eigentlich 24 Stunden am Tag gearbeitet”, erzählt Janina Heizler, Klassenlehrerin einer achten Klasse im Schwarzwald. “Wir haben manchmal nachts um halb eins noch Nachrichten von besorgten Eltern beantwortet.” Selbst während des Einkaufens oder Kochens habe man ständig seine Nachrichten überprüft, erzählt sie weiter. Um dem allgemeinen Chaos, der Verunsicherung der Schülerinnen und Schüler und den Ansprüchen der Eltern Herr zu werden, musste also ein System her. Das gab es zu Beginn der Pandemie aber nicht. Heizler: “Jeder musste sich selbst ein Konzept und ein System aufbauen, das für einen selbst, die eigene Klasse und die jeweiligen Schülerinnen und Schüler passt.”

Corona-Schulalltag Um in ihrer Werkrealschulklasse, in der auch einige Kinder sind, die sich nicht auf ein strukturierendes Elternhaus verlassen können, diesen nachteiligen Faktor auszuschließen, wurden schnell feste Strukturen etabliert. Dazu gehörte es, die Aufgaben der Kolleginnen und Kollegen auf der Schulplattform zu organisieren, diese bis 15 Uhr von den Kindern bearbeiten zu lassen und wiederum korrigiert am gleichen Tag zurückzugeben. Aber auch Weckanrufe bei einzelnen Schülerinnen und Schülern gehörten zur Umsetzung dieser Struktur, damit alle Kinder die Chance hatten, am Unterricht teilzuhaben. “Ich war wirklich streng, wir haben nach Stundenplan weitergearbeitet”, erzählt die junge Lehrerin. “Wir hatten meistens erst zur zweiten Stunde Unterricht, das heißt bis 8:30 Uhr musste sich jeder telefonisch, per Mail oder auf der Schulplattform bei mir gemeldet haben.” Eine harte Struktur, die ihr selbst, ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Schülerinnen und Schülern viel abverlangt hat – die sich aber auch ausgezahlt hat, denn zumindest inhaltlich hätten die Kinder kaum Defizite davongetragen. Ein typischer Tag im Distanzunterricht begann für Heizler meistens mit dem Einloggen und Überblick verschaffen auf der Schulplattform um 6:30 Uhr, es folgten Videokonferenzen – sofern diese funktionierten – mit verschiedenen Klassen und Gruppen von 8:30 Uhr bis zum Mittag und danach das Beantworten von Eltern- und Schülerfragen. Anschließend wurden noch die Aufgaben der Lernenden kontrolliert beziehungsweise Erinnerungen daran verschickt. Und die Unterrichtsvorbereitung musste in den Abendstunden stattfinden.

Janina Heizler während der Unterrichtsvorbereitungen am heimischen Schreibtisch.

Zwischen Werkreal- und Realschule

Kleine Danksagungen während des Wechselunterrichts zeigen, wieso sich die Investition von Zeit und Energie in die Schülerinnen und Schüler lohnt. Fotos: BS/Janina Heizler

Während des Distanzunterrichts bestimmten viele kleine Nachrichten den Schulalltag.

Kreativität und Investitionen “Für uns war alles neu”, antwortet Heizler auf die Frage, wie sie mit dem Online-Unterricht klargekommen sei. Wie man seine Lehrmittel digitalisiert, Lerninhalte online vermittelt, über Distanz Input gibt oder Aufgaben und Lernfortschritte kontrolliert, war jedem selbst überlassen. Bewährte Unterrichtskonzepte mit Gruppenarbeiten, Sprechübungen oder Arbeitsstationen mussten irgendwie kompensiert werden. Dabei seien auch kreative Aufbereitungen wie YouTubeVideos oder Sprachnachrichten entstanden sowie intensive Coachings per Einzelvideokonferenz oder per Telefon. Solche Anstrengungen lohnten sich immer, da ist sie sich sicher. “Wir haben einen Facharbeitermangel, keinen Akademikermangel”, erklärt die gebürtige Freiburgerin. Man müsse daher gerade die schwachen Schüler fördern und diese befähigen, später ihren Beitrag in der Gesellschaft leisten zu können. Dafür brauche es mehr Geld, mehr Förderstunden, mehr Personal und mehr Anerkennung für Schüler und Lehrer an Haupt-, Werkreal- und Realschulen, fordert sie. Von ihrer Klasse bekommt sie für ihr Engagement die positive Rückmeldung unmittelbar. Da wird dann auch mal ein Kuchen gebacken, um die Klassenlehrerin zum Geburtstag zu überraschen

Foto: BS/Janina Heizler

det, und dann hat das Mädchen noch drei Geschwister. In diesem Fall müssen sie zu sechst mit einem Computer, einem kaputten Handy und einem Leihgerät von der Schule über die Runden kommen – Geld für weitere Geräte ist keines da. Zum Glück, meint Heizler, wohne die Schülerin in der Nähe der Schule, sodass die Lehrer ihr vieles ausdrucken und mitgeben könnten. In anderen Fällen greift die Klassenlehrerin auch mal zum Telefonhörer, um nachzuforschen, warum der- oder diejenige nicht in der Videokonferenz war. Denn in manchen Familien könne sie sich nicht darauf verlassen, dass die Eltern sich ausreichend kümmerten. “Wir erleben alles: von unfähigen Eltern bis hin zu Eltern, die sich einfach nicht für ihre Kinder interessieren. Aber auch schlimme Fälle, die Gewalt, Drogenkonsum oder Alkohol- und Spielsucht in der Familie beinhalten, kommen vor.” Dann zu sehen, wie es den Kindern im Laufe der 17 bis 18 Wochen Homeschooling seit Januar immer schlechter gehe, sei hart, berichtet sie. Im Schulalltag falle es eher mal auf, wenn es einem Kind nicht gut gehe. Dann könne man es unauffällig beiseite nehmen und ein paar Fragen stellen. Digital bekomme man viel weniger mit und könne auch kaum niedrigschwellig agieren. Heizler: “Das Problem ist, dass sich alles verschleppt.” Natürlich schreibe die Schulleitung bei Auffälligkeiten Briefe an die Eltern, die Klassenlehrer riefen an und auch die Schulsozialarbeiterin mache Besuche. Aber zwischen den einzelnen Schritten könnten jeweils mehrere Wochen vergehen. Wochen, in denen man gerade zu Pandemiezeiten nie wisse, wie es den Jugendlichen gehe.

Foto: BS/Malin Jacobson

Zum Abschluss des Referendariats gab es von Heizlers Schülerinnen und Schülern ein Zeugnis mit Bestnoten. Foto: BS/Malin Jacobson

– wohlgemerkt ohne die Hilfe von Eltern. “Wir brauchen junge, engagierte Lehrkräfte”, meint Heizler, “die in der Lage sind, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Denn gerade für die Schwierigen ist man eine unfassbar wichtige Person in deren Leben – man ist teilweise die einzige erwachsene Person, der sie vertrauen und auf die sie sich verlassen können.”

Verwaltung und Organisation Vom baden-württembergischen Kultusministerium wünscht sich die 31-Jährige an vielen Stellen mehr Unterstützung und Klarheit. Zum einen müssten die Lehrkräfte seit einigen Jahren immer mehr Verwaltungsaufgaben bewältigen, ohne Aussicht auf Entlastung oder Hilfestellung, zum anderen seien in der Pandemiezeit viele

Bestimmungen sehr kurzfristig verabschiedet worden. So blieben beispielsweise die soziale und psychische Betreuung immer mehr an den Pädagogen hängen, aber auch die Durchführung und Zertifizierung von Corona-Tests sowie die Kontrolle des Masernimpfschutzes. Fraglich sei auch bis Mitte des zweiten Halbjahres gewesen, ob Leistungsabfragen wie Klassenarbeiten, Vokabeltests oder Projektarbeiten online durchgeführt und benotet werden könnten. “Erst hieß es, wir dürften alternative Klassenarbeiten, sprich Leistungsfeststellungen, machen”, erzählt sie, “und haben die Kinder Plakate und Präsentationen machen lassen, die benotet werden konnten.” Dann sei die Vorgabe gekommen, dass es doch Klassenarbeiten sein

müssten, dafür habe es eine Erlaubnis gegeben, nachmittags ins Schulgebäude zu kommen. Die folgende Woche sei es wieder nicht gegangen und schließlich habe es verschiedene Regelungen für Haupt- und Nebenfächer gegeben. Währenddessen habe der Unterricht, der an die jeweiligen Vorgaben angepasst gewesen sei, ständig umgestellt werden müssen und zuletzt hätten die Leistungsfeststellungen schnell und damit rechtzeitig vor Schuljahresende durchgeführt werden müssen, was für Kinder, Eltern und Lehrerschaft sehr stressig gewesen sei.

Distanzunterricht bedeutet vor allem Distanz Die Videokonferenzen der letzten Pandemiemonate hätten ihre eigenen Fallstricke mit sich ge-

bracht, erzählt die Lehrerin für Englisch, Geschichte und Alltagskultur-Ernährung-Soziales (AES, früher “MuM”). Einerseits habe immer genau dokumentiert werden müssen, wer alles anwesend gewesen sei, es habe ja weiterhin Schulpflicht bestanden. Andererseits habe man auch niemanden als fehlend ins Klassenbuch eintragen können, weil eventuelle technische Probleme mit WLAN, Computer oder der Schulplattform nicht zulasten des Schülers oder der Schülerin ausgelegt werden sollten. Wenn das Internet nicht stabil sei oder nicht genügend Endgeräte zur Verfügung stünden, könne man kaum etwas machen. “Ich habe Kinder, die haben in der ganzen Zeit über ihr Handy ihre Schulaufgaben gemacht. Jedes Arbeitsblatt haben sie rangezoomt, die Fragen abgeschrieben, beantwortet und dann wiederum abfotografiert und das Ergebnis hochgeladen, sodass ich es kontrollieren konnte”, berichtet sie. Eine Schülerin kommt beispielsweise aus Afghanistan. Die Eltern müssen beide einen Deutschkurs besuchen, der nur digital stattfin-

Im kommenden Schuljahr kann die junge Lehrerin ihre bisherige Werkrealschulklasse weiterbetreuen, welche dann ihren Abschluss macht. Das bedeutet zum einen, dass viele Routinen schon eingespielt sind. Zum anderen, dass auch bei ungewisser Pandemieentwicklung sie viel in Präsenz sein werden, da die Abschlussklassen meistens vom Distanzlernen ausgenommen sind. Als einzige studierte AES-Lehrerin der Verbundschule wird Heizler zudem auch regelmäßig in den Realschulklassen eingesetzt. Die Unterschiede zwischen den Schulformen seien nach wie vor enorm, meint sie. Gerade an der kognitiven Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, aber auch an der Anzahl von Störenfrieden in einer Klasse merke man das. Das führe im Gesamtschulalltag dazu, dass viele Lehrkräfte, gerade diejenigen, die noch im alten Studiensystem und nur auf Realschullehramt studiert hätten, sich weigerten die Werkrealschulklassen zu unterrichten. Die junge Lehrergeneration um Janina Heizler, die auf Sekundarstufe I studiert hat, muss daher vorrangig die arbeitsintensiveren Werkrealschulklassen übernehmen. Auch wenn es anstrengend sei, mache sie die Arbeit gerne, betont sie. Sie habe immer einen sozialen Beruf ausüben wollen, habe immer schon anderen gerne Dinge erklärt und geholfen. Über verschiedene Praktika – in Seniorenheim und Krabbelgruppe – hat sich ihr Berufswunsch nach und nach konkretisiert und sie hat sich für das Lehramt entschlossen. Damit einher ging der Wunsch, andere zu inspirieren. Etwas, was sie auch heute jeden Tag in ihrer Arbeit umzusetzen versucht. Sei es im Englisch- oder Geschichtsunterricht, in der Schulküche während Alltagskultur-Ernährung-Soziales oder auf den Gängen und in Zwiegesprächen mit den Kindern und Jugendlichen der Verbundschule.



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