Behörden Spiegel Dezember 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. XII / 37. Jg / 50. Woche

Berlin und Bonn / Dezember 2021

Schlüssel zur Fehlervermeidung Dr. Oliver Hermann über Bürgerbeteiligung in Wittenberge........................................... Seite 17

Kompetenzzentrum kommt

(BS/mfe) Auf der Innenministerkonferenz (IMK) wurde die Verwaltungsvereinbarung für ein neues Bund-Länder-Kompetenzzentrum für Krisenmanagement und Krisenprävention verabschiedet. Das Zentrum soll schon im kommenden Jahr seine Arbeit aufnehmen. Zudem soll ein neues IT-gestütztes Frühwarnsystem zur Identifikation und Bekämpfung von Krisen aufgebaut werden. Bei diesem Warnsystem ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) geplant. Nach Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, der in der IMK als Sprecher der SPDgeführten Ressorts (sogenannte “A-Länder”) fungiert, braucht es mehr Kompetenzbündelung in diesem Bereich. Die Trennung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz habe sich überlebt.

250 Millionen Euro bis 2025

(BS/mj) Bis 2025 haben Städte und Gemeinden aller Größenklassen Zeit, Maßnahmen zur Entwicklung ihrer Innenstädte und Zentren umzusetzen. Die für das Bundesprogramm “Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren” vorgesehenen Mittel wurden im Sommer dieses Jahres, auf Beschluss des Bundestages von ursprünglich 25 Millionen Euro um das Zehnfache auf 250 Mio. Euro erhöht. Das Programm soll vor allem konzeptionelle Maßnahmen von rund 240 Kommunen fördern und legt den Fokus auf langfristige, resiliente und krisenfeste Entwicklung. “Die zentralen Stadtbereiche sollen damit als lebendige und attraktive Orte für Handel, Gewerbe, Bildung, Kultur, Wohnen und Freizeit weiterentwickelt werden”, beschreibt ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) das Ziel des Förderprogramms. Und die positive Resonanz auf den Projektaufruf zeige den großen Handlungsbedarf in den Innenstädten.

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Landespolizei weiterentwickeln

Sprengmeister mit viel Erfahrung

Innenministerin Dr. Tamara Zieschang über ihre Ziele................................................... Seite 59

Gerd Fleischhauer über den Kampfmittelbeseitigungsdienst............................................... Seite 71

Die neue Dreifarbigkeit

Klares Bekenntnis pro Bonn

(BS/tr) Wichtige Weichenstellung für Bonn: Die künftige Bundesregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zum BerlinBonn-Gesetz und kündigt einen Zusatzvertrag an. “Es ist ein starkes und wichtiges Zeichen der Stärkung für Bonn und die Region durch die künftige Regierung”, begrüßt Bonns Oberbürgermeisterin Katja Dörner das Bekenntnis. Man werde sich mit Nachdruck für die Einhaltung der Versprechen einsetzten. “Es ist von zentraler Bedeutung, Bonn als zweites bundespolitisches Zentrum zu benennen”, so Dörner. Im Koalitionsvertrag werden vor allem die Stärkung und der Ausbau der ansässigen Zukunftscluster sowie der UNStandort Bonn benannt.

G 1805

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung (BS/Uwe Proll/Jörn Fieseler) 177 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP mit dem Titel “Mehr Fortschritt wagen”. Wie bei Koalitionsvereinbarungen üblich, enthält das Dokument viele Allgemeinplätze, aber auch sehr konkrete Vorhaben und sogar Ungewöhnliches. Auch mit Blick auf den Öffentlichen Dienst. Zwei Dinge unterstreichen jedoch die Andersartigkeit dieses Dokumentes und das Gefühl einer neuen Zusammenarbeit der Koalitionsparteien. Zugleich ist nicht alles positiv zu bewerten. “Die Verwaltung soll agiler und digitaler werden. Sie muss interdisziplinäre und kreative Problemlösungen setzen. Wir werden sie konsequent aus der Nutzungsperspektive heraus denken. Wir wollen das Silodenken überwinden und werden feste ressort- und behördenübergreifende, agile Projektteams und Innovationseinheiten mit Kompetenzen ausstatten. Wir werden proaktives Verwaltungshandeln durch antragslose und automatisierte Verfahren gesetzlich verankern”, heißt es an prominenter Stelle zu Beginn des Textes. Zugleich soll der Öffentliche Dienst attraktiver gestaltet werden. Aber wie? Hier schweigen die Koalitionäre weitestgehend. Schaut man mal zurück, waren die Ansätze hierzu in der letzten SPD-geführten Bundesregierung bis Ende 2006 deutlich radikaler und zukunftsweisender. Damals ging es um eine wirkliche Veränderung der Struktur des Öffentlichen Dienstes und eine durchaus signifikante Veränderung des Beamtenrechts. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition bleibt hinter diesen damaligen Vorstellungen, die besonders von Ex-Bundesinnenminister Otto Schily getrieben wurden, doch weit zurück. Einzig der Personalaustausch und die Rotation zwischen Behörden, zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Verwaltung und

Wann kommt es bei der Bundesregierung zum ersten Sündenfall, der den ganzen Korb ansteckt? Foto: BS/grey, stock-adobe.com

Privatwirtschaft sind genannt. Wie das beamtenrechtlich umgesetzt wird, ist noch völlig offen. Die neue Innenministerin, die hessische SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser, hat hier Spielräume für die konkrete Ausgestaltung. Das ist der Vorteil von Allgemeinsätzen. Anders etwa beim Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Bis 2030 sollen eine Million öffentliche und diskriminierungsfrei zugängliche Ladepunkte in Deutschland vorhanden sein. An

solchen Aussagen wird man sich künftig messen lassen müssen. Und dass die Koalitionäre an die Sozialpartner in Kommunen und bei den Gewerkschaften appellieren, einen eigenständigen Tarifvertrag für die Beschäftigten im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zu schaffen, ist in dieser Form noch nicht vorgekommen. Der unterschiedliche Detailierungsgrad der Formulierungen ist ein Zeugnis der Vorbereitung des Textes. Manche der 22 Ar-

beitsgruppen haben sehr ergebnisorientiert gearbeitet, konkrete Schritte und Projekte benannt. Andere sind strategischer vorgegangen, haben es bei allgemeineren Aussagen bewenden lassen. Zugleich zeigt der Vertrag die neue Art der Zusammenarbeit. Denn zwei Querschnittsthemen durchziehen den Koalitionsvertrag in einer Art und Weise, dass die Bezeichnung Querschnittsthema berechtigt ist: Digitalisierung und Klima.

Kommentar

Der DBB braucht mehr Frauen (BS) Im November 2022 steht der nächste Gewerkschaftstag des DBB Beamtenbunds und Tarifunion (DBB) an. Schon jetzt positionieren sich die Kandidaten. Während die Spitze der Bundesleitung für eine zweite Amtszeit kandidieren will, ist die Frauenfrage noch offen – leider. Die Kandidatenkür beim DBB ist immer eine Frage des Einflusses der Landesbünde und der größeren Fachgewerkschaften von Beamten und Tarifbeschäftigte. Schon ein Jahr vor den Wahlen positionieren sich die Kandidaten, um diesem ausgeklügelten System Rechnung zu tragen. Dabei wird einmal mehr deutlich: Frauen sind im Bundesvorsitz mit seinen sechs Stellvertreterposten selten. Insbesondere in diesem Jahr. Neun Personen müssen gewählt werden, sieben Männer haben ihre Kandidatur bekannt gegeben. So stellt sich der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach ebenso zur Wiederwahl wie die beiden Fachvorstände Friedhelm Schäfer (Beamtenpolitik) und Volker Geyer (Tarifpolitik). Bei einer Wiederwahl wäre dies die dritte Amtszeit eines Tarifbeschäftigten

an der Spitze des Beamtenbundes. Und Silberbach ist intern nicht unumstritten. Der neuen Bundesleitung wird einer der jetzigen Stellvertreter nicht mehr angehören: Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft (DStG), wird nicht mehr antreten. Anders Claus Weselsky (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer), Maik Wagner (Gewerkschaft der Sozialversicherung) und Jürgen Böhm (Verband Deutscher Realschullehrer). Alle drei haben ihre Kandidatur zur Wiederwahl schon bekannt gegeben. Und auch Andreas Hemsing, Chef der Komba, tritt an. Bei den zwei weiblichen Mitgliedern ist aktuell unklar, ob sie sich wieder zur Wahl stellen. Kirsten Lühmann hat sich noch nicht positioniert. Ihre Chancen werden als gering eingeschätzt,

nachdem sie nicht mehr für die Bundestagswahl angetreten war und auch die Wahl um den Bundesvorsitz der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) gegen Rainer Wendt verloren hat. Und auch von Astrid Hollmann hat man bisher noch nichts vernommen. Karoline Herrmann (DBB Jugend) und Milanie Kreutz (DBB Frauen) sind über ihre Ämter schon in der Bundesleitung kooptiert, allerdings ohne Stimmrecht. Der DBB braucht dringend mehr Frauen. Andrea Sauer-Schnieber (DStG NRW), Simone Fleischmann (Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband) oder Sabine Schumann (DPolG Berlin) sind nur einige der möglichen Kandidatinnen. Sie und andere Frauen sollten sich trauen. Dem Verband würde mehr Weiblichkeit in der Bundesleitung guttun. Jörn Fieseler

Durchstarten

Landwirtschaft, Verkehr, Gesundheitswesen und vor allem die Verwaltung – in jedem Bereich soll die Digitalisierung mitgedacht werden. Man darf gespannt sein, wie die Zuständigkeit des neuen Verkehrsministeriums unter Volker Wissing (FDP) mit der zusätzlichen Aufgabe Digitales im Ressortkreis zurechtkommen wird. Und inwiefern er den anderen Ministerien bei diesem Thema Vorgaben machen kann und darf. Gleiches gilt für das Klima und den Klimaschutz. Ganze 196mal findet sich das Wort “Klima” im Koalitionsvertag wieder. Sämtliche Lebensbereiche sollen unter dem Gesichtspunkt Klimaschutz betrachtet und jedes Gesetz soll einem Klimacheck unterzogen werden. Auch hier wird man sehen, wie sich Klimaschutzminister und Vizekanzler Robert Habeck in Zukunft schlagen wird. Trotz zahlreicher Vorhaben gibt es aber auch Abstriche. Vor allem bei der Bundespolizei. Es scheint, als gebe es eher ein Misstrauen gegen die Gesetzeshüter in Uniform. Wie sonst soll man es bezeichnen, wenn erlaubte Instrumente zurückgenommen werden, wie die biometrische Auswertung von Videoüberwachung, die Telekommunikationsüberwachung für die Bundespolizei und die Online-Durchsuchung.


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Inhalt

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Hands-on: Die neue “Ampel”-Koalition will es anpacken und einigt sich auf Innovationen und Investitionen, um mehr Zukunft zu wagen. Aber nicht alles, was im Koalitionsvertrag steht, ist neu, nicht jede Finanzierung gesichert und nicht alles muss man von Grund auf neu konstruieren. BS/were, stock.adobe.com

Wenn Altes und Neues koalieren Mehr Chancengleichheit

Die Spannung bleibt

Wie die neue Regierung das Bildungssystem verbessern will ................. Seite 7

Digitalisierung im neuen Koalitionsvertrag .......................................... Seite 40

Investieren trotz Schuldenbremse

Was heißt unabhängig?

Koalitionäre versprechen ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen ......... Seite 9

Koalitionspartner wollen BSI neu aufstellen ........................................ Seite 50

Ampel for Future

Zahlreiche Reformen vorgesehen

Neue Koalition wagt viel beim Klimaschutz ......................................... Seite 22

Koalitionäre wollen einiges in der Inneren Sicherheit enger fassen ...... Seite 60

Koalitionsvertrag verspricht bessere Finanzausstattung

Mehr Bund soll es richten

Altschuldenlösung, Investitionen und effektivere Förderprogramme........... Seite 24

Die Zentralstelle kommt ...................................................................... Seite 62

Weniger Bürokratie, mehr Investitionen Ampelkoalition nimmt sich bezüglich der deutschen Infrastruktur viel vor................................................................................................ Seite 32

Innen Spiegel

Erster Ampelabend Kennenlernen von Alt und Neu (BS/rup) Der Behörden Spiegel hatte die wiedergewählten und neu gewählten Abgeordneten der drei die neue Regierung bildenden Fraktionen, also SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP, zu einem ersten Kennenlernabend in Berlin eingeladen. Zu diesem ersten Ampelabend kamen 80 Abgeordnete der neuen Koalition, um sich kennenzulernen, um über Fraktionsgrenzen hinweg und zwischen den Wiedergewählten und Neuen Gespräche und Erfahrungsaustausch zu erlauben.

Freuten sich über den ersten Ampelabend des Behörden Spiegel (v.l.n.r.): Karsten Klein (FDP), Uwe Proll (Behörden Spiegel), Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) und Martin Gerster (SPD). Foto: Behörden Spiegel/Peter Lorenz

Der Initiator des Ampelabends, der SPD-Abgeordnete Martin Gerster, freute sich über den regen Zuspruch seiner Parlamentskolleginnen und -kollegen. Die Aufbruchsstimmung sei spürbar und man nutze den Abend, auch jenseits der eigenen Gremien, in dieser frühen Phase persönliche Kontakte fraktionsübergreifend zu bilden. Die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz, ebenfalls Einladende, hielt in einer launigen Rede ihre Erfahrungen aus dem Rechnungsprüfungsausschuss fest. Es sei kein beliebter Ausschuss, aber doch der wichtigste. Der dritte parlamentarische Einlader, der FDP-Abgeordnete Karsten Klein, zeigte sich mit seiner Kollegin und dem Kollegen, alle drei erfahrene Bundestagsmitglieder, erfreut, dass innerhalb des angekündigten Zeitrahmens ein abstimmungsfähiger Text für

den Koalitionsvertrag ausgearbeitet wurde. Das Wort Ampel geht zurück auf den lateinischen Begriff ampulla, bedeute kleine Flasche für Salben und heilsame Öle. Später wurde sinnbegrifflich daraus Leuchte. Heute ist die Ampel umgangssprachlich gleichbedeutend mit Signalgeber. Uwe Proll vom Behörden Spiegel griff diese etymologische Wortentwicklung auf: “Nehmt einen Schluck des heilsamen Mittels, leuchtet und vor allem setzt Signale.” Seitens der Teilnehmenden wurde angeregt, den Ampelabend fortzusetzen, auch wenn diese mal auf Rot, Gelb oder Grün steht. Regeln gelten halt für alle.

Fotoquellen Seite 1 Hermann: BS/Sina Teschner Zieschang: BS/Laurence Chaperon Fleischhauer: BS/Feldmann

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2021

KNAPP

Das Maximum erreicht Bundesverfassungsgericht muss über Klage zum Arbeitsvorgang entscheiden (BS/Jörn Fieseler) Die Tarifrunde der Länder ist zu Ende gegangen. Der Ausgang kam nicht unerwartet. Da sich beide Seiten nicht beim Thema Arbeitsvorgang einigen konnten, verständigten sich die Gewerkschaften mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) auf eine lineare Anpassung mit einigen Zulagenerhöhungen im Krankenhausbereich. Damit ist die Eingruppierungsproblematik nur vertagt. Um dies zu lösen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Gewerkschaften haben sogar schon einen vorsichtigen Vorschlag gemacht. Zum 1. Dezember 2022 steigen die Entgelte um 2,8 Prozent bei einer Laufzeit von 24 Monaten – so das zentrale Ergebnis bei den Tarifverhandlungen. Je nach Entgeltgruppe und -stufe sind dies zwischen 57 und 216 Euro brutto mehr im Monat (siehe Tabelle). Für Auszubildende gibt es 50 Euro pro Monat mehr, für Auszubildende im Gesundheitsbereich 70 Euro. Damit verbunden ist jedoch ein weiterer Wermutstropfen für die Beschäftigten. Die Laufzeit begann bereits zum 1. Oktober 2021. Heißt: Für die ersten beiden Monate steht faktisch eine Nullrunde zu Buche. Zusätzlich bekommen die Beschäftigten einen ordentlichen Corona-Bonus. 1.300 Euro steuer- und sozialabgabenfrei erhalten alle Tarifangestellten in den Ländern, Teilzeitkräfte anteilig. Auszubildende bekommen 650 Euro als Corona-Sonderzahlung. Zudem gelten die Übernahmeregelungen für Azubis weiter.

Tragbares Ergebnis trotz schwieriger Ausgangslage “Trotz außergewöhnlich schwieriger Rahmenbedingungen haben die Tarifvertragsparteien Verantwortung bewiesen und ein für alle Seiten tragbares Ergebnis erzielt”, sagte TdL-Verhandlungsführer Reinhold Hilbers, Finanzminister in Niedersachsen. Die CoronaPandemie verlange den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes weiterhin Außergewöhnliches ab, dafür gebühre ihnen unser aller Dank und Anerkennung. Zudem hätten die Tarifvertragsparteien in der besonders belasteten Krankenhausversorgung überproportionale Verbesserungen vereinbart, so der niedersächsische Finanzminister mit Blick auf die Zulagenerhöhungen (siehe Hinweiskasten). Und das, obwohl die Haushalte der Länder aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs und angesichts staatlicher Unterstützungsmaßnah-

Der Tarifabschluss ist geschafft, die Gewerkschaften haben das bestmögliche Ergebnis herausgeholt. Und das, obwohl die Messlatte ziemlich hoch hing, doch viele strukturelle Fragen, die mit dem Arbeitsvorgang zusammen hängen, wurden vertagt. Foto: BS/roxcon, stock.adobe.com

men unter einem zusätzlichen Konsolidierungsdruck stünden.

Das Maximum herausgeholt Anders die Gewerkschaften. Sie können mit diesem Ergebnis lediglich zum Teil zufrieden sein. Ursprünglich hatten sie fünf Prozent, mindestens aber 150 Euro (vergleiche Behörden Spiegel, September 2021, Seite 3) und für den Gesundheitsbereich einen Mindestbetrag von 300 Euro gefordert. “Wir haben beim Arbeitsvorgang keinen Fuß breit nachgegeben. Verschlechterungen bei der Eingruppierung wird es nicht geben”, so das einstimmige Fazit der stellvertretenden Verdi-Vorsitzenden Christine Behle und von Volker Geyer, stellvertretender Bundesvorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik beim DBB Beamtenbund und Tarifunion (DBB). “Allerdings hat das auch einen Preis gehabt: Alle Themen, die uns sonst wichtig waren, wie

EG

Stufe 1

Stufe 2

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Stufe 6

Basis: Entgelttabelle TV-L allgemeinm gültig vom 01. Januar 2021 bis mindestens 30. September 2021 Quelle: Eigene Berechnungen

strukturelle Veränderungen, etwa bei der Eingruppierung der Straßenbauverwaltung oder weitere Verbesserungen für Auszubildende des Gesundheitswesens, wurden von den Arbeitgebern strikt abgelehnt”, so Behle weiter. Allerdings habe man von der TdL eine Verhandlungszusage erhalten, über die Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten an Universitäten auf der Basis einer gemeinsamen Bestandsaufnahme Gespräche zu führen. Und Volker Geyer ergänzt: “Hinzu kommt, dass die TdL schon vor einiger Zeit eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht hat. Wenn hier ein Ergebnis vorliegt, sind wir natürlich bereit, mit der TdL über die Konsequenzen, die sich möglicherweise daraus ergeben, zu sprechen.” “Das BVerfG muss zuerst darüber entscheiden, ob Tarifvertragsparteien Grundrechtsträger sind und damit überhaupt Klagen können”, wirft Karin Spelge, Vorsitzende Richterin des sechsten Senats am Bundesarbeitsgericht (BAG), ein.

Grundsatz der Tarifautomatik “Ich hätte nicht gedacht, dass diese Entscheidung über die Eingruppierung der Beschäftigten in den Geschäftsstellen der Gerichte so eine Brisanz entfaltet”, sagt Dr. Mario Eylert, ehemaliger Vorsitzender Richter des vierten Senats am BAG. Sein Senat hatte die Entscheidung im September 2020 getroffen und mit Verweis auf den Grundsatz der Tarifauto-

matik festgehalten: “Die Eingruppierung ist kein Gestaltungsakt, sondern ein Akt der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung.” Das bedeute, der Arbeitnehmer werde nicht durch eine Handlung des Arbeitgebers eingruppiert, er sei vielmehr aufgrund der geltenden Entgeltordnung für sein Arbeitsverhältnis und der von ihm auszuübenden Tätigkeit automatisch in die einschlägige Entgeltgruppe eingruppiert. “Das ist schlichte Rechtsanwendung, da gibt es kein Ermessen”, bringt es Eylert auf den Punkt. Es gebe nur richtig oder falsch und am Ende falle es der Gerichtsbarkeit dazu, darüber zu entscheiden, nicht den Tarifvertragsparteien. Mit Blick auf die Praxis stellt der ehemalige Richter einen Trend zu größeren bzw. einheitlichen Arbeitsvorgängen durch geänderte Organisationsabläufe und -formen in den Verwaltungen und Dienststellen fest: Dieses “Job-Enlargement” führe dazu, dass klare Konturen bei den Tätigkeiten verschwimmen würden. Wenn also die Arbeitgeber die Arbeitsorganisation ändern würden und Tätigkeiten zusammenfassen, dann ändere sich folglich die Eingruppierung. “Und das kostet mehr Geld.”

Entgeltordnung neu fassen Die Eingruppierung aller Beschäftigten in den Justiz-Geschäftsstellen in die höhere Entgeltgruppe 9a ist für die Justizministerien der Länder nicht denkbar, wie aus einem Brief von Dirk Wedel, Justizstaatssekretär

in NRW, an den Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, Lutz Lienenkämper (ebenfalls NRW), hervorgeht. Und wie es seitens der TdL in den aktuellen Verhandlungen auch verhindert wurde. Solange sich im Tarifvertrag keine Klarstellung findet, werden weiterhin lediglich Einzelfallentscheidungen anhand von Gerichtsurteilen zu einer Höhergruppierung von betroffenen Beschäftigten führen. Allerdings sei es auch keine Option, Geschäftsstellen und Schreibdienst wieder zu trennen. “Diese Organisationsform garantiert sei Langem eine ebenso zeitnahe wie effektive Bearbeitung der anfallenden Tätigkeiten”, so Wedel in dem Schreiben. Einige Länder hätten deshalb einen Vorschlag zu einer Neufassung des Teils II Abschnitt 12 Unterabschnitt 1 der Entgeltordnung erarbeitet.

Bewegung bei Gewerk- schaften erkennbar Dem gegenüber könnte man sich seitens der Gewerkschaften vorstellen, die Entgeltordnung mittelfristig an die Auswirkungen der Digitalisierung anzupassen und die Entgeltordnung zukunftsfest zu machen. Ein sehr begrüßenswerter Vorschlag. Allerdings darf es nicht dazu führen, dass das ganze Regelwerk noch komplexer wird. Denn nicht nur die Experten der Tarifparteien müssen die Verträge verstehen, sondern am Ende auch die Richter an den Gerichten, die über die Auslegung der Vertragsparagrafen entscheiden.

Zulagen im Krankenhausbereich (BS/jf) Fünf Zulagen werden für die Beschäftigten in den Universitätskliniken und Krankenhäusern der Länder zum 1. Januar 2022 angehoben: • So steigt die Universitätsklinik- bzw. Pflegezulage auf 140 Euro pro Monat. Davon profitieren auch die Mitarbeitenden in den Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg. • Die Intensivzulage und Die Infektionszulage werden von 90 Euro auf monatlich 150 Euro angehoben. • Im Geltungsbereich des § 43 TV-L wird die Wechselschichtzulage ebenfalls auf 150 Euro monatlich erhöht, die Schichtzulage auf 60 Euro.

Zudem erhalten Männer und Frauen, die als Diätassistenten, Ergotherapeuten, Logopäden, Masseure, medizinische Bademeister, (zahn-) medizinische Fachangestellte, medizinisch-technische Assistenten, und Gehilfen, pharmazeutisch-technische Assistenten, Physiotherapeuten, biologisch- und chemischtechnische Assistenten tätig sind, eine dynamische Gesundheitsdienstzulage von 70 Euro im Monat. Dies gilt auch für Beschäftigte in den Zentren für Psychiatrie Baden-Württemberg, die als Ergotherapeut/innen, Logopäd/-innen und Arbeitserzieher/-innen arbeiten.

Zu wenig ambitioniert (BS/lkm) Der Berliner Rechnungshof legte Anfang Dezember seinen zweiten Teil des Jahresberichts 2021 vor. Positiv bewerten die Prüfer darin, dass sich die Koalitionspartner zur Einhaltung der Schuldenbremse bekannt haben. Diese Absichtserklärung und die aus Sicht der Prüfer teilweise noch sehr offenen Finanzierungsfragen müssten jedoch noch konkretisiert werden. Das Ziel, bis zum Ende der Legislaturperiode einen strukturellen Haushaltsausgleich herbeizuführen, ist laut Rechnungshof “zu wenig ambitioniert”. Auch die Überlegung im Koalitionsvertrag, eine Rückzahlung der Notfallkredite nur vorzusehen, wenn diese nicht ausgeschöpft werden, und mit der bisher vorgesehenen Tilgung möglicherweise erst zum Ende der Legislaturperiode zu beginnen, sieht der Rechnungshof kritisch. Für problematisch hält der Rechnungshof außerdem die Ankündigung, für mögliche Verluste der Landesunternehmen im Haushalt 2022/23 erneut Notfallkredite aufzunehmen, obwohl in der Pandemierücklage noch Mittel in Milliardenhöhe vorhanden sind.

Abgeschlossen (BS/akh) Der Tarifabschluss der Gewerkschaft Deutscher Lockführer (GDL) trifft bei den Mitgliedern auf große Zustimmung. Dies zeigte die zweite Urabstimmung bei der Deutschen Bahn (DB) in Frankfurt. Über 60 Prozent der GDL-Mitglieder nahmen an dem Votum teil. 96 Prozent davon stimmten mittels geheimer schriftlicher Briefwahl für die Beendigung des Arbeitskampfes und die Annahme des Tarifabschlusses. Die Sicherung der Betriebsrente für die GDLMitglieder gehört zu den Erfolgen aus dem Tarifabschluss der Gewerkschaft vom 16. September 2021. Hinzu kam die Erhöhung der Entgelte um 3,3 Prozent bei einer Laufzeit bis zum 31. Oktober 2023 sowie die Vereinbarung einer Coronaprämie von 1.000 bzw. 800 Euro. Den GDL-Abschluss hat die DB auf den Tarifvertrag der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) übertragen und für deren Mitglieder nochmal 100 Euro Coronabonus dazugegeben.

Sonderprämie (BS/bt) Tarifbeschäftigte des Bundes, die im Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 28. Februar 2022 in einer Gesundheitsbehörde mindestens einen Monat überwiegend zur Bewältigung der Corona-Pandemie eingesetzt worden sind, haben im Mai 2021 und/oder im Mai 2022 Anspruch auf eine Corona-Sonderprämie. Dieser Zuschuss soll den besonderen Einsatz der Beschäftigten bei der Eindämmung der CoronaPandemie honorieren. Aufgrund der Corona-Krise sind Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 Euro in der Zeit vom 1. März 2020 bis zum 31. März 2022 steuerfrei. Die Auszahlung der ersten Prämie im Mai 2021 erfolgte daher ebenfalls steuerfrei. Der Auszahlungszeitpunkt für die zweite Prämie ist tarifvertraglich geregelt und liegt im Mai 2022. Diese Prämie ist jedoch steuerund sozialversicherungspflichtig.


Zukunft Dienstrecht

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nterliegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst und Beamte bei Missständen wirklich einer Verschwiegenheitspflicht und gesteigerten Loyalitätspflicht? Ja. Auch wenn man bei der Beobachtung von Personen potenziellen illegale, unmoralische oder illegitime, von Arbeitgebern kontrollierte Praktiken aufdeckt. durch Mitarbeiter gegenüber diesbezüglich potenziell beseitigungsfähigen Personen beobachtet. Diese Pflicht gilt gegenüber jedermann, außer Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen, die im engeren Dienstbereich mit der geheim zu haltenden Angelegenheit dienstlich befasst sind. Gleichzeitig müssen Beamtinnen und Beamte bei Rechtsverstößen aber auch tätig werden. Dazu müssen Regeln beachtet werden, um mit ihrem Status und den damit verbundenen Pflichten nicht in Konflikt zu geraten. Dazu gäbe es zwei Möglichkeiten: die interne und die externe Meldung. Bei interner Meldung steht der Vorgesetzte oder die behördeneigene Whistleblowing-Stelle zur Verfügung. Bei verwaltungsexterner Meldung hingegen könne man sich an die Öffentlichkeit wenden: die Staatsanwaltschaft oder Medien, erklärt Dr. Nico Herold, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Resultat eines fehlerhaften Umgangs Rechte und Pflichten von Whistleblowern im Öffentlichen Dienst (BS/Büsra Tasdemir) Whistleblowing: Beamte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst unterliegen einer gesteigerten Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht. Doch bei Rechtsverstößen müssen sie aktiv werden. Der womöglich international bekannteste Fall des Whistleblowings war der von CIA-Mitarbeiter Edward Snowden. Über die Rechte und Pflichten der Whistleblower im Öffentlichen Dienst in Deutschland informierte Dr. Nico Herold.

keit, sich bei Beschwerden an den Personalrat zu wenden, wenn der schonendste Beginn über den Dienstweg nichts bringt. Nützt auch das nichts, steht Beamtinnen und Beamten die zweite Stufe zur Verfügung: Die verwaltungsexterne Meldung über die Polizei. Hier kann sogar die erste Stufe je nach Einzelfall ausgelassen werden. Wenn die zweite Stufe auch erfolgslos bleibt, führe kein Weg an der Öffentlichkeit vorbei. “Externes Whistleblowing ist immer das Resultat eines fehlerhaften internen Umgangs mit dem Missstand” erklärt der Rechtsexperte für Whistleblowing.

Mit Sanktionen muss gerechnet werden

Dienstrechtsexperten(links) haben auf der Tagung “Zukunft Dienstrecht” des Behörden Spiegel in Bonn über den aktuellen Stand rund um die Bereiche Eingruppierungsrecht, Disziplinarrecht, Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht und viele weitere Themen informiert. Dabei referierte Dr. Nico Herold (rechts) von der Ludwig-Maximilians-Universität München über das Thema Whistleblowing. Fotos: BS/Tasdemir

gibt viele Möglichkeiten, Missstände zu melden. Dabei gelte es auch, viele allgemeine Regeln zu befolgen, führt Herold weiter aus. Eine wichtige Regel sei hier, die Beschwerde nach dem Dienstwegprinzip vorzubringen. Gemäß Paragraf 125 des Bun-

desbeamtengesetzes (BBG) ist es eine allgemeine Pflicht, den Dienstweg einzuhalten. Richtet sich die Beschwerde gegen den eigenen Vorgesetzten, könne die Beschwerde dem Vorvorgesetzten vorgetragen werden. Das Gesetz birgt jedoch die Gefahr, dass die

Beschwerden auf dem Dienstweg nicht beachtet werden. Daher brauchen Beamtinnen und Beamte geordnete Verfahren mit umfassenden Schutzmechanismen, wenn ihre Meldungen zu Rechtsverstößen nicht beachtet werden. Dabei sei die Unterstüt-

zungs- und Beratungspflicht der Vorgesetzten gemäß Paragraf 62 BBG eine davon. Der Vorgesetzte verpflichtet sich zur vertrauensvollen Zusammenarbeit gegenüber gleich- und nachgeordneten Mitarbeitern. Zudem haben Whistleblower auch die Möglich-

Auch bedeute unrechtmäßiges Whistleblowing ein schuldhaftes Dienstvergehen. Liegen Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der Vorgesetzte gar die Pflicht, ein Disziplinarverfahren gemäß Paragraf 17 Bundesdiziplinargesetz (BDG) einzuleiten. Gleichzeitig müsse dabei die Identität des Beamten geschützt werden, auch wenn es sich um unrechtmäßiges Whistleblowing handelt. So oder so, birgt dennoch ein Whistleblowing – vor allem ein externes Whistleblowing – sehr große rechtliche und praktische Risiken, fasst der Jurist Dr. Herold zusammen.

Was tun bei einer Klage?

Recht auf digitale Weiterqualifizierung?

Das Allgemeine Gleichhandlungsgesetz im Öffentlichen Dienst

“Für die öffentliche Verwaltung ist die Digitalisierung Fluch und Segen zugleich”

(BS/Büsra Tasdemir) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zielt darauf ab, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern. Welche arbeitsrechtlichen Fragen ergeben sich dabei im Öffentlichen Dienst?

(BS/Tim Rotthaus) Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran und macht auch nicht vor der deutschen Verwaltung halt. Wie verändern sich dadurch die Tätigkeiten, beruflichen Anforderungen und Arbeitsweisen? Welche Kompetenzen und Qualifikationen müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter künftig mitbringen? Diesen Fragen widmet sich das Projekt “Qualifica Digitalis”, welches Prof Dr. Margrit Seckelmann, Professorin für Rechtsinformatik an der Leibniz Universität Hannover, auf der Tagung „Zukunft Dienstrecht“ des Behörden Spiegel vorstellte.

Diskriminierungen aufgrund des Alters oder einer Schwerbehinderung werfen bei Bewerbungsverfahren im Öffentlichen Dienst oft viele Fragen auf. Auf der diesjährigen Tagung Zukunft Dienstrecht stellte Dr. Eberhard Natter, Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, viele Fälle vor und gab Personalvertretern Tipps.

Wenn Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst gegen sozialrechtliche Pflichten verstoßen, kann darin eine AGG-relevante Benachteiligung von bspw. Schwerbehinderten liegen. Denn öffentliche Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Wenn eine Einladung ausbleibt, kann das als Indiz für eine Diskriminierung durch den Arbeitgeber gelten. Doch Ausnahmen gibt es trotzdem: “Wenn Bewerber die fachlichen Voraussetzungen nicht erfüllen und der Arbeitgeber das belegen kann”, erklärte Dr. Eberhard Natter, Präsident des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg. In den vergangenen Jahren gab es unzählige Klagen von schwerbehinderten Menschen gegen Rechtsverstöße von Arbeitgebern. Der Präsident des LAG Baden-Württemberg hatte auf der Tagung Zukunft Dienstrecht arbeitsrechtliche Fragen des AGG im Öffentlichen Dienst geklärt. Besprochen wurden viele Fallbeispiele bezüglich der internen Stellenbesetzung, des gestuften Bewerbungsverfahrens und des Verzichts auf Einladungen für Mitarbeitende der Personalverwaltungen und Personalvertreter. Dabei standen

Foto: BS/Tasdemir

viele Fragen im Raum: Besteht bei einem gestuften Bewerbungsverfahren eine Einladungspflicht für den zweiten Teil des Auswahlverfahrens, wenn der Bewerber den ersten Teil nicht erfolgreich absolviert hat? “Die Nichteignung muss nach dem ersten Teil des Auswahlverfahrens offensichtlich sein. Ein knappes Nichtbestehen lässt die Einladungspflicht im zweiten Teil des Auswahlverfahrens nicht entfallen” meinte Natter. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sieht es etwas anders. Die Einladungspflicht entfalle nur dann, wenn sich der Arbeitgeber bereits im ersten Teil des Auswahlverfahrens einen umfassenden Überblick über die fachliche Eignung des Bewerbers verschaffen könne. So empfiehlt Natter bei einem zweistufigen Auswahlverfahren die sorgfältige Dokumentierung der Nichteignung im ersten Teil.

“Wir sind ein junges dynamisches Team” Auch können Menschen aufgrund ihres Alters benachteiligt werden. Oft gibt es Stellenangebote von Arbeitgebern, die mit bestimmten Slogans Altersrentner gleich vom Bewerbungsverfahren ausschließen, wie mit der Formulierung “Wir sind ein junges dynamisches Team”. Auch in

solchen Fällen schützt das AGG Personen mit hohem Alter. Mit dieser Methode werde typischerweise die wirtschaftliche Absicherung des Arbeitnehmers und das Bedürfnis des Arbeitgebers nach sachgerechter Personalplanung abgesichert, so Natter. Doch Arbeitgeber dürfen Altersrentner nicht von vornherein aus dem Bewerbungsverfahren ausschließen. Hier ist eine Einzelabwägung im Rahmen der Auswahlentscheidung erforderlich, urteilten die Landesarbeitsgerichte Niedersachsen und Köln. Diese Bewertung sei fraglich, sagte Natter zum Abschluss.

Laut Seckelmann erfordere die fortschreitende Digitalisierung, dass die öffentliche Verwaltung komplett umgestellt und den neuen Verhältnissen angepasst werde. Dies bedeute für die Beamtinnen und Beamten sowie die Tarifbeschäftigten, dass sie neue und veränderte Kompetenzen mit an den Arbeitsplatz bringen müssten, die sich nicht auf die normale IT- und MedienAnwenderkompetenz beschränken dürfe. Eine erfolgreiche und passende Aus-, Fort- und Weiterbildung müsse daher über das einfache Erlernen des Umgangs mit neuen Technologien und Softwarelösungen hinausgehen. Ziel des Projekts “Qualifica Digitalis” sei es, während der zweieinhalbjährigen Laufzeit von Anfang 2020 bis Mitte 2022 auf Grundlage wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse zu den oben genannten Themen Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Mit den Projektergebnissen sollen politische und administrative Entscheider sowie Sozialpartner und Einrichtungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung unterstützt werden. Außerdem sollen sie einen Leitfaden an die Hand bekommen. “Für die öffentliche Verwaltung ist die Digitalisierung Fluch und Segen zugleich”, so Seckelmann.

Zwar würden viele langwierige Prozesse durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und anderen Softwarelösungen vereinfacht, doch würden sich dadurch neue Probleme ergeben. “Wenn es keine “einfachen” Aufgaben mehr gibt, muss das vorhandene Personal die anspruchsvollen Aufgaben dann in derselben Zeit abarbeiten?” Auch ergeben sich durch den digitalen Wandel mehrere personalrechtliche Fragen. So zum Beispiel stehe im Raum, ob es einen rechtlichen Anspruch beziehungsweise eine Pflicht auf eine digitale Weiterqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe. Diese Fragestellung werde im “Arbeitspaket sechs” von “Qualifica Digitalis” ebenfalls behandelt. So könne aus dem bestehenden Beamtenrecht durch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ein allgemeines Recht auf Weiterqualifikation abgeleitet werden. “In vielen öffentlichen Einrichtungen ist das Thema Aus-, Fort und Weiterbildung für bestimmte Gruppen schon längst geregelt. Berufsgruppen wie Ärzte, Lehrer und Ingenieure verpflichten sich auf dem neusten Fachstand zu sein”, so Seckelmann. Das Problem liege eher bei Mitarbeitenden anderer Berufsgruppen. Hier

Mit dem Projekt “Qualifica Digitalis” erarbeitet ein Expertenteam um Prof. Dr. Margrit Seckelmann Handlungsempfehlungen für politische und administrative Entscheider, sowie Sozialpartner und Einrichtungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Thema digitale Weiterbildung. Foto: BS/Rothaus

würden die Angebote meistens nicht in Anspruch genommen. Von einer Durchsetzung eines individuellen Rechts oder einer Pflicht auf Weiterqualifizierung rate sie jedoch ab. Dies könne zu internen Spannungen in den Abteilungen führen, da es zum Beispiel nur begrenzt Platz in Weiterbildungsmaßnahmen gebe. Auch würde ein individuelles Recht auf Weiterqualifizierung dazu führen, dass Weiterbildungsmaßnahmen einklagbar seien.

MELDUNG

Stufenaufstieg durch Zulage – Tipps für die Praxis (BS/jf) Für Ärzte, IT-Fachkräfte oder Bauingenieure ist der Öffentliche Dienst finanziell gesehen nicht gerade attraktiv. Zulagen können einen Anreiz bieten. Tarifrechtlich gesehen wird dadurch eine höhere Stufe vorweggewährt (siehe § 16 TvöD). Doch was passiert mit der Zulage, wenn der Stufenaufstieg kommt? Tarifvertraglich ist der Fall klar. Kommt es zum Stufenaufstieg, schmilzt die Zulage. Diese Rege-

lung sei nicht zu beanstanden, sagte Karin Spelge. Der Senat hatte eine dagegen gerichtete Klage im Juli 2021 (6 AZR 561/20) abgewiesen. Wenn die Zulage auch beim Stufenanstieg erhalten bleiben soll, dann muss der Arbeitgeber dies entscheiden, unterstrich die Vorsitzende Richterin des sechsten Senats

des Bundesarbeitsgerichts (BAG), indem er die Höhe und die Dauer der Zulage festlege. Alternativ könne er die Zulage nur widerrufen. Ansonsten bliebe nur die Wahl, entweder an der Bestenauslese festzuhalten oder eine Kandidatin oder einen Kandidaten aus der zweiten Reihe zu nehmen.

Stellte die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Tarifrecht vor: Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht.

Foto: BS/Tasdemir


Themenseite BAMF

Behörden Spiegel / Dezember 2021

FLORA im BAMF

I

n der Gesamtschau ergibt sich das Bild eines komplexen Systems von Kommunikationsbeziehungen zwischen den am Asylprozess Beteiligten. Zur Erledigung der Aufgaben im eigenen Zuständigkeitsbereich setzen die Beteiligten auf eigene Fach-IT-Anwendungen. Für die Bereitstellung von Daten und Informationen für andere Beteiligte gibt es bereits verschiedene gemeinsame IT-Lösungen wie ­z.B. das Ausländerzentralregister (AZR) als gemeinsame zentrale Datenbank für die Speicherung von Bestandsdaten und Dokumenten oder auch XAVIA als Möglichkeit des gegenseitigen Austauschs von standardisierten Nachrichten.

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Zusammenarbeit mit Föderaler Blockchain-Infrastruktur Asyl (FLORA) stärken (BS) Das Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland erfordert in seiner Gesamtheit eine enge Zusammenarbeit verschiedener Behörden auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, die alle im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit bestimmte Aufgaben im Kontext des Themas Asyl bearbeiten. Hinzu kommt, dass diese föderalen Organisationsstrukturen auf landesgesetzlichen Regelungen beruhen und durch örtliche Gegebenheiten zu bedingten Variationen der Prozessabläufe führen. Für die Realisierung der Zusammenarbeit ist ein zuverlässiger Austausch von vielfältigen Informationen und Daten notwendig.

Abb.1: Vereinfachte Darstellung des pilotierten FLORA-Anwendungsfalls I “Registrierung, Aktenanlage und Anhörung”

Status quo: Papier und Excel-Dateien Für die Koordination des gemeinsamen Prozesses vor Ort ist bisher keine übergreifende ITLösung vorhanden, vielmehr gibt es an jedem Standort individuelle Vorgehensweisen. Häufig wird hier auf den Austausch von Papierunterlagen oder Excel-Dateien via Mail zurückgegriffen. Das Management des behördenübergreifenden Prozesses mit diesem Weg der Informationsübermittlung ist jedoch umständlich, sehr zeitaufwendig und fehleranfällig. Ein Lösungsansatz könnte hier der Einsatz dezentraler Versionen klassischer Workflow-Management-Systeme sein. Diese Systeme legen jedoch häufig den Schwerpunkt auf die automatisierte Verwaltung von Arbeitsabläufen, während die föderale Verteilung der Zuständigkeiten und Kompetenzen eine behördenübergreifende Automatisierung und eine organisationsübergreifende Überwachung von Prozessen verbietet. Das BAMF setzte vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen auf die Blockchain-Technologie, um die behördenübergreifende Kommunikation und Zusammenarbeit im Asylprozess mittels einer dezentralen IT-Lösung zum Austausch von Informationen zum Verfahrensstand von Asylverfahren zu unterstützen. Insbesondere fokussierte das BAMF unter Wahrung der föderalen Prinzipien die Harmonisierung der heterogenen IT- und Prozesslandschaft der vielen am Asylprozess beteiligten Behörden durch ein Blockchain-basiertes System – ohne bestehende behördeneigene oder behördenübergreifende Systeme zu ersetzen.

Was ist FLORA? Im Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung (AnkER) für den Standort Dresden wird derzeit gemeinsam mit der

Dies ist eine stark vereinfachte Darstellung des pilotierten Anwendungsfalls I “Registrierung, Aktenanlage und Anhörung” in der AnkER-Einrichtung Dresden, welcher die einzelnen Teilprozesse veranschaulicht. Gleichzeitig kann die Beteiligung der vielfältigen Behörden in den jeweiligen Teilprozessen durch die stark vereinfachte Darstellungsweise nicht abgebildet werden. Quelle: BS/BAMF

Landesdirektion Sachsen (LDS) das Fundament für eine Föderale Blockchain-Infrastruktur Asyl (FLORA) gelegt. Ein neues Blockchain-basiertes Assistenzsystem unterstützt dabei die behördenübergreifende Zusammenarbeit im Asylprozess. Durch das FLORA-Assistenzsystem sollen nicht nur Arbeitsabläufe verbessert, sondern auch die Anfälligkeit für Prozessfehler reduziert werden (vgl. Abbildung 1). Gleichzeitig werden Datenschutz und Manipulationssicherheit gewahrt. Das Pilotprojekt des BAMF kann dabei als ein Leuchtturmprojekt für den Einsatz von Blockchain im öffentlichen Sektor betrachtet werden.

Pilotprojekt zeigt positive Veränderungen Nach einer initialen Machbarkeitsstudie und einer initialen, erfolgreichen Pilotierung befindet sich das FLORA-Assistenzsystem nun in einer Erweiterungsphase. Im Rahmen der im Pilotprojekt durchgeführten umfassenden Evaluation konnten signifikante positive Veränderungen durch die Einführung des FLORA-Assistenzsystems in der AnkEREinrichtung Dresden festgestellt werden. Besonders hervorzuheben sind folgende Aspekte: • Reduktion der Fehleranfälligkeit bei gleichzeitiger Wahrung des Datenschutzes und Gewährleistung der Manipu-

lationssicherheit im Asylverfahren, • Optimierung des Asylverfahrens durch die Verkürzung von Abläufen z. B. bei der Planung von Terminen, • Erhebliche Reduktion und Vereinfachung des manuellen Erfassungsaufwands von verfahrensrelevanten Informationen, • Initiierung eines innovativen und konstruktiven Konzeptes zur behördeninternen und behördenübergreifenden Zusammenarbeit, • bessere Verfügbarkeit und Transparenz von verfahrensrelevanten Informationen bei gleichzeitiger Reduktion manueller Kommunikationsaufwände, • konsequentere Einhaltung von Datenschutzbestimmungen durch vordefinierte Regeln zur Löschung von Informationen im FLORA-Assistenzsystem.

Wie funktioniert die Blockchain? Eine Blockchain lässt sich am besten mit einem gemeinsamen, “magischen” Notizbuch vergleichen, das sich durch drei beson-

dere Eigenschaften auszeichnet: • Die erste besondere Eigenschaft dieses Notizbuches ist seine beliebig wachsende Anzahl an Seiten. Diese Seiten sind die Blöcke der Blockchain. • Die zweite besondere Eigenschaft besteht darin, dass alle Beteiligten eines BlockchainNetzwerkes, sprich alle zuständigen Behörden, stets eine identische Kopie des Notizbuches besitzen. Schreibt beispielsweise eine zugangs- und schreibberechtigte Behörde etwas in ihre Kopie des Notizbuches, erscheint dieser Eintrag automatisch bei allen anderen leseberechtigten und damit zuständigen Behörden. • Die dritte besondere Eigenschaft ist jene, dass einmal in die Blockchain geschriebene Informationen nicht mehr unbemerkt “herausradiert” oder geändert werden können. Dies wird durch die kryptografische Verkettung der Blöcke, sprich die Bindung der Seiten des Notizbuches, möglich. Diese Bindung verhindert, dass einzelne Informationen auf den Seiten oder auch komplette Seiten unbemerkt vertauscht,

herausgenommen oder zwischendrin neu hinzugefügt werden können. In der Abbildung 2 wird zusätzlich zu diesen drei wesentlichen Charakteristiken der Blockchain noch der Bezug zur praktischen Anwendung hergestellt.

Wie soll es beim BAMF weitergehen? Das Pilotprojekt zum Blockchain-basierten Assistenzsystem für Asylverfahren in der AnkEREinrichtung Dresden ist nur der erste Schritt in Richtung einer komplexen Föderalen Blockchain-Infrastruktur Asyl. FLORA bildet den Rahmen für verschiedene fachliche Vorhaben, die das Ziel haben, behördenübergreifende Abläufe und Prozesse mittels weiterer Blockchain-basierter Anwendungen zu unterstützen. Auf Grundlage der sehr positiven Evaluationsergebnisse des pilotierten FLORA-Assistenzsystems in der AnkER-Einrichtung Dresden sind verschiedene Erweiterungs- und Weiterentwicklungsszenarien denkbar.

Weitere Vorhaben im nationalen Bereich Zuerst soll die Erweiterung des bereits umgesetzten Anwendungsbereichs “Registrierung, Aktenanlage, Anhörung” an weiteren Standorten realisiert werden. Das BAMF steht hierfür

bereits mit einigen Bundesländern in enger Abstimmung. Dabei wird die Anbindung dieser interessierten anderen Behörden an das FLORA-Assistenzsystem auf inhaltlicher und teilweise sogar schon auf technischer Ebene untersucht. Darüber hinaus ist eine Weiterentwicklung hinsichtlich zusätzlicher fachlicher Anwendungsbereiche für die Unterstützung der Prozesse zwischen den BAMF-Außenstellen und den Partnerbehörden an den verschiedenen Standorten angedacht. Hierzu fanden bereits während der Pilotierung umfangreiche Konzeptionierungsarbeiten statt. Konkret kommen die Anwendungsbereiche “Unterbringung und Zuweisung in Landkreisen und Kommunen”, “Entscheidung und Vollzug” sowie “Rückkehrberatung” in Betracht.

Weiteres Vorhaben innerhalb der EU im Kontext von EBSI Im Kontext der “European Blockchain Services Infrastructure” (EBSI), welche durch die Europäische Kommission initiiert wurde, geht das BAMF einen weiteren wichtigen Schritt. Ziel von EBSI ist die Bereitstellung grenzüberschreitender öffentlicher Verwaltungsleistungen auf Blockchain-Basis. Im Rahmen der Identifizierung initialer Anwendungsfälle für die europäische Zusammenarbeit wurde der vom BAMF eingereichte Use Case “Dublin-Verfahren” als einer von acht Use Cases ausgewählt. Das Dublin-Verfahren regelt die Feststellung der Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten für Asylverfahren sowie ggf. erforderliche Überstellungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Auch hier sind zahlreiche Abstimmungen zwischen etlichen beteiligten Behörden (diesmal im nationalen und internationalen Bereich) notwendig, um den übergreifenden Prozess zu managen. In diesem Zusammenhang befindet sich das BAMF aktuell gemeinsam mit Frankreich im Testbetrieb einer Blockchain-basierten Lösung zur Unterstützung der Kommunikation und Koordination zwischen den jeweiligen Dublin-Einheiten. Analog zum FLORA-Assistenzsystem im nationalen Bereich sollen auch hier mittels einer Blockchain-basierten IT-Anwendung die behördenübergreifende Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Wahrung föderaler Organisationsstrukturen, der Datenschutz und die Manipulationssicherheit unterstützt und verbessert werden. Im Falle eines erfolgreich verlaufenden Testbetriebs sollen weitere Mitgliedsstaaten für eine Beteiligung an diesem Use Case gewonnen werden.

Quelle: BS/BAMF

Abb.2: Blockchain in der praktischen Anwendung im föderalen Kontext


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Bund

“W

Menschenkenntnis wird oft überschätzt

enn wir aus dem Bauch heraus andere Menschen beurteilen, dann begehen wir ganz typische Fehler” erklärt Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning von der Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Der erste Fehler bei der Personalauswahl sei häufig der Glaube daran, selbst ein Menschenkenner zu sein. Wer sich im Gespräch statt auf Methodik auf die eigene Einschätzung seines Gegenübers verlasse, laufe Gefahr, getäuscht zu werden. Der bekannte Hochstapler Gert Postel ist ein schönes Beispiel dafür. Postel war ein deutscher Postbote, doch er wollte mehr aus seinem Leben machen, dachte sich eine neue Biografie aus und wurde so zum Juristen, Arzt und Psychiater. Er war nicht nur ein guter Schauspieler, er wusste auch Stereotype zu bedienen. Das können sich auch heute Bewerberinnen und Bewerber in den gängigen Auswahlprozessen zunutze machen, Personaler müssen sich dessen bewusst sein und mit entsprechenden Maßnahmen Fehlentscheidungen oder sogar Täuschungen vorbeugen.

Auswahlfaktor Attraktivität Klassische Urteilsfehler im Auswahlprozess sind, laut Kanning, z. B. dass Bewerberinnen oder Bewerber aufgrund ihres Aussehens eher für ein Bewerbungsgespräch eingeladen und schließlich positiver bewertet werden. Das mache natürlich (fast) niemand absichtlich, “das passiert einfach automatisch, ohne dass wir es merken”, erläutert der Wissenschaftler. Ein weiterer Grund, Bewerberinnen und Bewerber positiver zu bewerten, sei der Ähnlichkeits-Attraktivitätseffekt.

Gängige Fehler bei der Personalauswahl (BS/Ann Kathrin Herweg) Wohl die meisten Leute halten sich selbst für gute Menschenkenner und vertrauen auf ihr Bauchgefühl, wenn es darum geht, ihr Gegenüber einzuschätzen. Doch Menschen lassen sich leicht täuschen und unbemerkt durch ihr Unterbewusstsein beeinflussen. In Sachen Personalauswahl kann das fatale Folgen haben. Demnach würden Menschen, zu denen man Ähnlichkeiten habe besser bewertet als Personen, die einem eher fremd oder unbekannt erschienen. Komme man beispielsweise aus der gleichen Stadt, habe ähnliche Hobbys oder das gleiche Fach studiert, so bewerte man das Gegenüber positiver. Auch ein maskuliner Körperbau sei ein Vorteil, im Gegensatz zu kleinen und zarten Personen würden große und kräftige Menschen als Führungskräfte stärker eingeschätzt, unabhängig vom Geschlecht. Diese Voraussetzungen führen laut Die Auswahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber sollte man nicht dem Kanning dazu, dass man nicht die eigenen Bauchgefühl überlassen. Foto: BS/© Andrey Popov, stock.adobe.com besten potenziellen Mitarbeitenden auswähle, sondern die, bei chen und sich durch bestimmte “Wie viele haben sich beworben?”. denen man sich am besten fühle. Methodik davor schützen, fordert Ein riesiger Bewerberpool beAspekte, die dazu führten, der Psychologe. deute außerdem, dass bei der dass Menschen negativer beAuswahl die Zufallstrefferquote wertet und in ihrer Qualifikati- Qualität statt Quantität sinke, warnt Kanning. Umso beson unterschätzt würden, seien Ein weiterer häufiger Fehler ser müsse dementsprechend der ein ausländischer Name, ein im Bewerbungsprozess ist, laut Auswahlprozess sein. Auch vor der Annahme, gute Akzent oder Übergewicht, zählt Kanning, zu versuchen, die BeKanning auf. “All das sind Effek- werberanzahl zu maximieren. Personalauswahl werde immer te, die unbewusst ablaufen, das Man wolle sich offensiver präsen- weniger wichtig, warnt der Wismacht ja keiner absichtlich oder tieren und im Internet, mit Fly- senschaftler ebenso wie davor, bewusst, dann würde es einem ern etc. ein positives Gefühl bei dem Anschreiben eine zu groauffallen, sondern das passiert den potenziellen Bewerberinnen ße Bedeutung beizumessen. 67 uns einfach, wenn wir unserer und Bewerbern erzeugen. Wenn Prozent der Bewerberinnen und Wahrnehmung blind vertrauen. daraus resultiere, dass mehr Be- Bewerber schrieben ihre BewerSolche Bewertungen entstehen werbungen eingingen, freue man bungsanschreiben nicht mehr unbewusst, wenn wir uns auf sich, dass sich das Personal- selbst, Texte aus dem Internet unser Bauchgefühl verlassen”, marketing gelohnt habe. Diese würden hierfür angepasst und erklärte er. Erfahrene Persona- Annahme sei ein Trugschluss, so könnten dementsprechend keine ler seien dabei nicht besser als Kanning. Die eigentlich wichtige Aussage mehr über den Menandere Menschen. Man müsse Information sei: “Wie viele Per- schen selbst haben, untermalt sich diese Effekte bewusst ma- sonen sind geeignet?” und nicht Kanning seine These. Tipp- und

Beratungsangebote gegen Diskriminierung ausbauen Betroffene stärken und besser unterstützen (BS/ahk) Die Zahl der Beratungsanfragen von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen steigt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sowie zwei Beauftragte der Bundesregierung fordern verstärkten Einsatz für die Betroffenen und einen Ausbau der Beratungsangebote gegen Diskriminierung. “Wir müssen alles dafür tun, Menschen noch besser zu unterstützen: Durch ein deutschlandweit dichtes Netz an Anlaufstellen, neue und niedrigschwellige Möglichkeiten zur Klärung von Diskriminierungsfällen und einen Ausbau der Forschung, um noch gezielter Wege zur Bekämpfung von Benachteiligung finden zu können”, so Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Von der zukünftigen Bundesregierung erwartet er, dass Betroffene mehr gestärkt werden und die Rechtsdurchsetzung für Menschen, die gegen Benachteiligung vorgehen wollen, verbessert wird. Möglichkeiten dazu sieht er z. B. im Verbandsklagerecht und darin, Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen zu verlängern. Nicht nur bei der ADS, auch beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Jürgen Dusel sowie beim Bürgerservice der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Annette Widmann-Mauz mehren sich die Beratungsanfragen. Im Vierten Gemeinsamen Bericht an den Deutschen Bundestag fordern die beiden Beauftragten und die ADS daher eine Stärkung des Engagements gegen Diskriminierung.

Maßnahmen ergreifen Konkret empfehlen sie zum einen den flächendeckenden und finanziell langfristig gesicherten Ausbau staatlicher und nichtstaatlicher Antidiskriminierungsstellen. Dazu gehöre auch, in allen Bundeländern Landesantidiskriminierungsstel-

Behörden Spiegel / Dezember 2021

len einzurichten. Zum anderen sollten alternative Streitbeilegungsverfahren von Diskriminierungsfällen ausgebaut werden, beispielsweise mithilfe von Schlichtungsstellen gerade für zentrale Bereiche wie den Wohnungsmarkt. Darüber hinaus sprechen die ADS und die Beauftragten der Bundesregierung in dem gemeinsamen Bericht eine Empfehlung für eine Verbesserung bei der Sichtbarmachung von Diskriminierungsthemen aus. Dazu sollen groß angelegte Datenerhebungen wie das sozioökonomische Panel SOEP dienen und auch zu einem Gleichstellungsmonitoring wird geraten.

Gleichbehandlung für alle Auch zu konkreten Erkenntnissen aus verschiedenen Lebensbereichen enthält der Bericht Informationen sowie daraus abgeleitete Handlungsansätze. Für den Bereich “Ämter und Behörden” wird angemerkt, dass hier häufig Gesetze oder deren Anwendung als diskriminierend beanstandet würden. Dazu gehöre z. B., dass Kosten für reproduktionsmedizinische Leistungen für lesbische Ehepaare nicht durch die GKV übernommen würden, aber auch die Diskriminierung durch Mitarbeitende der Ämter und Behörden aufgrund von Alter oder Geschlechtsidentität. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt die ADS, den Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf den staatlichen Bereich auszuweiten und Antidiskriminierungsgesetze in weiteren Bundesländern zu verabschieden. Zudem spricht sich die ADS für den Austausch des Transsexuellengesetzes gegen ein Gesetz zur geschlecht-

lichen Selbstbestimmung aus. Sie rät, die Änderung des Geschlechtseintrags für trans- und intergeschlechtliche Menschen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen.

Diskriminierung durch Beamte Gehen Beratungsanfragen mit Bezug zur Polizei oder zur Justiz ein, so handelt es sich laut Bericht in über 50 Prozent der Fälle um rassistische Diskriminierung. Ebenfalls häufig habe es Anfragen von Vätern, Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte gegeben, die sich im Umgang mit den eigenen Kindern diskriminiert fühlen. Auch die kommunikative Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung wird in diesem Zusammenhang bemängelt. Um hier Verbesserungen zu erzielen, schlägt die ADS vor, in Polizeidienststellen Kontaktpersonen für Betroffene von rassistisch motivierten Straftaten zu benennen. Die Einrichtung von Staatsanwaltschaften für ebensolche Straftaten sollte ebenfalls bundesweit geprüft werden. Um die neutrale Bearbeitung von Diskriminierung durch die Polizei und Racial Profiling durch Beamt/-innen der Bundespolizei zu gewährleisten, wird empfohlen, eine bundesweit einheitliche Beschwerdestelle sowie unabhängige Landespolizeibeauftragte einzuführen. Eine Sensibilisierung für die Themen Diskriminierungsschutz, Antidiskriminierungsrecht und zu unterschiedlichen Formen von Diskriminierung hält die ADS für alle Mitarbeitenden im Bereich Polizei und Justiz für sinnvoll. Durch entsprechende

verpflichtende Aus-, Weiter- und Fortbildungen solle ein professioneller Umgang mit Betroffenen gewährleistet werden können.

Faires Bildungsumfeld Was den Bereich Bildung angeht, zeigen die Beratungsanfragen von Betroffenen: Rassismus wie auch Diskriminierung aufgrund von Behinderung sind v. a. in Kitas und Schulen ein Problem. Studierende hingegen hätten häufiger auch mit Benachteiligungen wegen ihres Geschlechts oder Alters zu kämpfen. Mehr und mehr werde zudem der soziale Status zum Angriffspunkt. Diskriminierung finde hier hauptsächlich durch Worte statt, könne aber auch den Zugang zur Kita, Schule oder Hochschule sowie die Leistungsbewertung betreffen. Im Bildungsbereich, so der Bericht, sei aber positiv zu vermerken, dass das Bewusstsein und die Sensibilität für Diskriminierungen gestärkt worden sei und es zunehmend Beratungsangebote gebe. Um die Situation weiter zu verbessern, setzt die ADS in ihren Empfehlungen auf die Schaffung spezifischer Beratungsstellen und niedrigschwellige Anlaufstellen und Beschwerdeverfahren für Kinder, Schüler/-innen und Studierende innerhalb der Institutionen. Eine Klarstellung dazu, dass das AGG für alle privatrechtlichen Betreuungsverträge in Kitas gelte, solle Eltern dabei helfen, sich gegen Diskriminierung beim Zugang zu Kitas zur Wehr zu setzen. Um Rechtssicherheit und Rechtsschutz zu erreichen, fordert die ADS, Lücken im Diskriminierungsschutz in den einschlägigen Bundes- und Ländergesetzen zu schließen.

Grammatikfehler würden ebenfalls häufig von Personalern überinterpretiert. Daraus abzuleiten, die Bewerberin oder der Bewerber sei nicht gewissenhaft oder wolle die Stelle gar nicht, hält Kanning für falsch. Es könne sich hier um Zufallswerte handeln oder die- bzw. derjenige habe es ggf. in der Schule nicht mehr richtig gelernt. Sollte korrekte Rechtschreibung für die Ausführung der zu besetzenden Stelle wichtig sein, könne später immer noch ein Rechtschreibtest gemacht werden, schlägt er vor.

Erfahrung ist kein Kriterium Auch wenn dies oft anders erwartet wird, zwischen der Dauer der Berufserfahrung und der Leistung besteht laut Kanning ein überraschend geringer Zusammenhang. Nur Menschen mit Erfahrung einzustellen, macht in seinen Augen daher keinen Sinn. Je komplexer der Beruf, desto relevanter sei die Erfahrung und, umgekehrt, je einfacher ein Beruf, desto irrelevanter die Erfahrung, gab er zu bedenken. Vielfalt sei hier wichtiger als die Dauer der bisherigen Tätigkeit. Manchmal gebe es auch schlichtweg nicht mehr zu lernen, die Dauer der Berufserfahrung sei damit kein Kriterium für die Auswahl. Gleiches gelte auch für Führungskräfte, “auch da kann man ja sagen, je länger ich Führungskraft bin, desto besser werde ich. Das zeigt die Forschung leider nicht”.

Methodenmix im Auswahlverfahren Weitere häufige Fehler von Personalern sieht der Psychologe darin, unstrukturierte oder gering strukturierte Einstellungsinterviews zu führen. Oft gebe es zwei bis drei Fragen zur Person, die Fragen entstünden erst spontan im Gespräch, man mache keine

Notizen und klare Regeln zur Bewertung der Antworten fehlten. Außerdem würden häufig Standardfragen gestellt, doch diese seien inklusive passender Antworten im Internet zu finden und hinzu komme, dass man mit den Antworten oft wenig anfangen könne. Von solchen Fragen sollte daher abgesehen werden. Hochstrukturierte Interviews seien im Vergleich dazu mit viel mehr Arbeit im Vorfeld verbunden. Eine Anforderungsanalyse, vorformulierte Fragen zu den erwünschten und zuvor definierten Kompetenzen, gleiche Fragen für alle Bewerberinnen und Bewerber sowie ein Lösungsschlüssel für die gegebenen Antworten lohnen sich laut Kanning dennoch, denn die Ergebnisse aus solchen Interviews haben eine deutlich höhere Aussagekraft. Interviews alleine reichen seiner Ansicht nach jedoch nicht aus. Er empfiehlt zusätzliche Methoden, wie Arbeitsproben, Leistungstests, und Persönlichkeitsfragebögen zur Bewertung der Bewerberinnen und Bewerber heranzuziehen. Intelligenztests einzusetzen, hält Kanning ebenfalls für sehr hilfreich. Der Annahme, dies mache keinen Sinn, da solche Tests nichts mit dem Leben zu tun hätten, widerspricht er. Er empfiehlt sogar, je komplexer die angestrebte Aufgabe sei, desto eher sollte die Bewerberin bzw. der Bewerber einen Intelligenztest absolvieren. In der Realität würde dies im Bewerbungsprozess bei 30 Prozent der Auszubildenden, aber nur etwa bei drei Prozent von Geschäftsführungsmitgliedern so gehandhabt, dies sollte man umkehren, findet Kanning. Auch Assessment Center können laut Kanning sehr gute Auswahlverfahren sein, da hier verschiedene Methoden kombiniert würden und so die Gesamtvalidität steige. Doch nicht jedes Assessment Center sei ein gutes Assessment Center. Es müsse auf vieles geachtet werden, damit die Ergebnisse aussagekräftig seien. Kanning rät daher, nicht einfach selbst ein Assessment Center zu planen, sondern stattdessen zunächst Fachliteratur zu lesen oder sich beraten zu lassen.

KOLUMNE

Umgang mit Unklarheiten (BS) Entscheidungen fallen dann leicht, wenn Sachverhalte in klare “Wenn-Dann-Schemata” passen. Doch was tun, wenn dies nicht der Fall ist? So wie IT-Entwickler digitale Regelwerke schaffen, nach denen Softwareprogramme ablaufen, so werden Gesetze in der Verwaltung über Verordnungen und Geschäftsanweisungen konkretisiert und ausgeprägt. Selbst die Künstliche Intelligenz sucht in neuronalen Netzen nach Mustern, um eine Bewertung vorzunehmen. Doch wir leben nun einmal nicht im Labor, Entscheidungen müssen auch dann getroffen werden, wenn eben kein klares Bild, kein Muster erkennbar ist oder die Geschäftsanweisung genau diese Lebenssituation nicht aufführt. Dann gilt es zum einen, den Ermessensspielraum auszuleuchten und für die jeweilige Situation auszulegen. Herleitungen, Abwägungen und Abgrenzungen müssen dann in die Entscheidungsfindung und -begründung mit einfließen. Auch im alltäglichen Führungshandeln bin ich immer wieder auf Unklarheiten getroffen. Die Erklärung einer Mitarbeiterin erschien völlig einleuchtend. Hörte ich die Meinung eines zweiten Mitarbeiters zum gleichen Sachverhalt, sah ich die Situation plötzlich anders. Und nun? Die zuvor getroffene Entscheidung

Beate van Kempen ist IT-Architektin beim LVR Infokom. Foto BS/privat

zurücknehmen? Dabei bleiben? Hier hilft eine gemeinsame Lösungsfindung. Denn womöglich ergeben sich sogar noch weitere Aspekte, wenn die Sichtweisen auf den Tisch gelegt werden. Also habe ich die beiden an den Tisch geholt – und bei Bedarf auch noch Weitere hinzugezogen. Zur Einleitung habe ich die entstandene Unklarheit ganz klar adressiert und die für mich widerstreitigen Optionen auf den Tisch gelegt. Somit lag der Fokus auf der Situation und den Optionen und nicht auf den Mitarbeitenden. Die Argumente wurden nun gemeinsam bewertet. Entweder entstand dann eine neue Klarheit, welche die Entscheidung quasi vorgab, oder ich musste diese Klarheit mit einer eigenen “ChefEntscheidung” schaffen. Rückmeldungen zeigten, dass dieser Weg zu “Chef-Entscheidungen” hilfreiche Muster aufgezeigt hat.


Bund

Behörden Spiegel / Dezember 2021

D

ie Ampelkoalition will das Bildungswesen in Qualität, Leistungsfähigkeit und Weiterentwicklung stärken. Hierzu setzt man auf mehr Kooperation von Schulträgern, Ländern und Bund für eine neue Stärke und eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit. Außerdem will die neue Regierung einen Bildungsgipfel einberufen und eine Arbeitsgruppe einsetzen. Auch für Gespräche über eine Grundgesetzänderung sind die Parteien offen, sollte dies zur Erreichung der Ziele erforderlich sein. Für bessere Bildung wollen die Koalitionäre auch Geld in die Hand nehmen, um gemeinsam mit den Ländern mehr in Bildung und Chancengleichheit für alle zu investieren. Die öffentlichen Bildungsausgaben sollen dazu deutlich steigen.

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Mehr Chancengleichheit Wie die neue Regierung das Bildungssystem verbessern will (BS/Ann Kathrin Herweg) Beste Bildung und gleiche Chancen, das haben laut Ampelkoalition alle Kinder verdient. Wie die neue Regierung nun den Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen legen will, erläutern die Parteien im Koalitionsvertrag.

Schon die Kleinsten fördern Angefangen bei der frühkindlichen Bildung, verspricht die Ampelkoalition Unterstützung in verschiedenen Bildungsbereichen. Das Gute-Kita-Gesetz soll fortgesetzt und in Zusammenarbeit mit den Ländern in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards überführt werden. Konkret soll dabei die Betreuungsrelation verbessert werden. Auch auf Sprachförderung sowie ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot legt die Koalition einen Fokus. Ein Investitionsprogramm soll zudem beim Ausbau von Kita-Plätzen helfen. Auch die Weiterentwicklung der Kindertagespflege und von “Sprach-Kitas” wird im Koalitionsvertrag angekündigt. Für Schülerinnen und Schüler sollen Ganztagsangebote ausgebaut und qualitativ verbessert werden. Mit der Zusammenführung von Basis- und Bonustopf sowie einer Fristverlängerung für den Beschleunigungstopf sollen bereitgestellte Mittel künftig ein-

Digitalkompetenz zu stärken, gehört zu den Zielen der neuen Bundesregierung. Das soll schon bei Kleinkindern anfangen. Foto: BS/Gorodenkoff, stock.adobe.com

facher abgerufen werden können. Im schulischen und außerschulischen Bereich wollen die Parteien den gemeinsamen Einsatz von Fachkräften ermöglichen. Sie sichern verschiedenen Angeboten und Aktionen aus diesem Bereich ihre Unterstützung zu und wollen zudem das zivilgesellschaftliche Bildungsengagement und die Einbindung außerschulischer Akteure fördern. Bei ihrem Einsatz für Chancengleichheit nehmen die Koalitionsparteien Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders in den Blick. Unabhängig von der sozialen Lage der Eltern sollen Kinder und Jugendliche bessere Bildungschancen bekommen.

Über 4.000 solcher allgemein- und berufsbildenden Schulen sollen dazu ganz direkt Unterstützung erfahren. “Startchancen” heißt das neue Investitionsprogramm für moderne, klimagerechte, barrierefreie Schulen mit einer zeitgemäßen Lernumgebung und Kreativlaboren. Das Programm beinhaltet ein Chancenbudget, das die Schulen individuell einsetzen können. Für die Bereiche Schulentwicklung und Berufsorientierung soll es weitere Unterstützungsprogramme geben. Außerdem soll es an diesen Schulen Stellen für schulische Sozialarbeit geben. Nochmal fast 4.000 Schulen aus benachteiligten Gebieten sollen ebenfalls mit zusätzlichen Stellen in die-

sem Bereich unterstützt werden. Angebote für Lernförderung und soziokulturelle Teilhabe sollen an Schulen, an denen viele Schülerinnen und Schüler Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungsund Teilhabepaket haben, unbürokratisch und auf Dauer eingerichtet werden.

Digitalkompetenz stärken Die neue Regierung will bereits in der frühkindlichen Bildung die Medienkompetenz stärken. Mittel aus dem Digitalpakt Schule will die Koalition einfacher und unbürokratischer zugänglich machen. Bereits im ersten Halbjahr 2022 sollen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam Vorschläge formulieren, wie dies kurzfristig

umzusetzen ist. Die Regierung will Service-, Beratungs- und Vernetzungsangebote einrichten. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit den Ländern ein Digitalpakt 2.0 für Schulen entstehen. Dieser soll einen verbesserten Mittelabfluss sowie die gemeinsam analysierten Bedarfe abbilden und beinhaltet, dass Hardware nachhaltig neuangeschafft und veraltete Technik ausgetauscht wird sowie die Gerätewartung und Administration. Für bedürftige Schülerinnen und Schüler soll zudem die digitale Lernmittelfreiheit gefördert werden. Gemeinsam mit den Ländern will die Ampelkoalition weitere Vorhaben und Projekte zur Digitalisierung des Bildungswesens umsetzen und unterstützen. Dazu gehören zum Beispiel Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung, eine zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt sowie die Entwicklung und zum Teil lizenzfreie Bereitstellung digitaler Lehr- und Lernmittel.

Finanziell unterstützen Geld soll aber nicht nur ins Bildungssystem als solches fließen. Auszubildende und Studierende sollen auch direkt von finanzieller Unterstützung profitieren. So soll das BAföG überarbeitet werden. Künftig soll es weniger von den Eltern abhängig sein, deutlich höhere Freibeträge erlauben, die Altersgrenzen sollen angehoben und auch an anderen Stellen soll es hier Erleichterungen und zusätzliche Unterstützung geben.

Die Beantragung und Verwaltung des BAföG will die neue Regierung ebenfalls effizienter und digitaler gestalten. Volljährige Anspruchsberechtigte in Ausbildung und Studium sollen zudem den elternunabhängigen Garantiebetrag im Rahmen der Kindergrundsicherung direkt ausgezahlt bekommen.

MELDUNG

Erweiterungsbau am Finanzministerium (BS/tr) Das Berliner Architekturbüro Staab Architekten GmbH setzte sich im Realisierungswettbewerb für den Erweiterungsbau des Bundesfinanzministeriums (BMF) durch. Der Entwurf überzeugte vor allem durch die Verwendung von nachhaltigen Baustoffen und einem energieeffizienten Betrieb. “Der Entwurf für den Erweiterungsbau des BMF überzeugt. Es wird eine freundliche, nachhaltigmoderne und vor allem flexible Büroorganisation ermöglicht. Gleichzeitig leistet das BMF damit seinen Beitrag, eine langjährige Lücke mitten in der Hauptstadt zu schließen”, erklärte Werner Gatzer, beamteter Staatssekretär im BMF. Das neue Gebäude soll im sogenannten Postblock-Areal in Berlin-Mitte entstehen. In ihrer Begründung hoben die Jurymitglieder hervor, dass das Areal konsequent genutzt werde und durch die Gliederung in einzelne zusammengeschlossene Baukörper, übersichtliche und gut gegliederte Einheiten entstünden. So entstehe ein modernes und energieeffizientes Verwaltungsgebäude, welches die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung unterstreiche, heißt es.


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Zahlen & Daten

Behörden Spiegel / Dezember 2021


Länder

Behörden Spiegel / Dezember 2021

B

ehörden Spiegel: Herr Golibrzuch, Sie sind seit Juni 2017 Präsident des LGLN. Welche Aufgaben hat Ihr Haus?

Golibrzuch: Kernaufgaben der Katasterverwaltung sind die Eigentumssicherung und die Transparenz des Grundstücksmarkts. Als Träger des amtlichen Vermessungswesens weisen wir die Liegenschaften und die Topografie des Landesgebietes nach. Auch stellen wir Geobasisdaten in unterschiedlichen Formaten bereit. Ebenso Teil des LGLN ist die Kampfmittelbeseitigung, also Luftbildauswertung und Entschärfung von Blindgängern vornehmlich des Zweiten Weltkriegs.

Vorweggehen in Niedersachsen LGLN-Chef stellt das Landesamt digital neu auf (BS) Michel Golibrzuch ist Präsident des Landesamtes für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN). Als eines der größten Landesämter Niedersachsens ist das LGLN an 55 Dienstorten verteilt. Im Behörden Spiegel-Interview spricht der Verwaltungsmodernisierer, der von 1993 bis 2003 als Abgeordneter für die Fraktion Bündnis 90/Grüne dem Niedersächsischen Landtag angehörte, über Digitalisierungsprojekte, Schlüsseltechnologien, Partner und seine langfristigen Ziele.

“In fünf Jahren ­möchten wir LGLN als zentralen Geodaten­ dienstleister der Landesverwaltung etabliert haben.”

Behörden Spiegel: Sprechen wir über Digitalisierung: Welche Projekte sind hier bislang besonders gut gelungen? Golibrzuch: Einzuräumen ist, dass wir im LGLN zunächst einmal eine nachholende Modernisierung der IT-Infrastruktur vorzunehmen hatten. NetzwerkVerkabelungen an zahlreichen Standorten waren zu erneuern, die Anbindung ans Weitverkehrsnetz des Landes zu verbessern. Wir mussten die Hardware standardisieren und die Zahl der eingesetzten Software-Produkte konsolidieren. Manche Behörden haben diese Phase schon vor zehn Jahren abgeschlossen, viele Ämter haben das alles aber auch noch vor sich. Hierfür muss man gut zwei Jahre veranschlagen, allein schon wegen der notwendigen baulichen Ertüchtigungen. Auch mussten erst mal Rahmenverträge aufseiten unseres Partners, dem Landesbetrieb IT.Niedersachsen (IT.N), geschlossen werden. Einen Feldrechner, wie wir ihn zwingend für unsere Messtrupps im Außendienst benötigen, hatte IT.N vor drei Jahren noch gar nicht im Portfolio. In dieser Phase der Konsolidierung sieht man dann vergleichsweise rasch auch die Erfolge: ein standardisierter Feldrechner

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Michel Golibrzuch leitet seit Juni 2017 das Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN). Foto: BS/LGLN

statt zuvor 14 unterschiedliche Modelle; nur noch 200 SoftwareProdukte statt zuvor über 500. Außerdem konnten wir damit punktgenau zum zweiten Lockdown eine hundertprozentige Notebook-Ausstattung aller Arbeitsplätze im LGLN realisieren und dadurch ohne größere Einschränkungen auch im Homeoffice weiterarbeiten. Der schwierigere Teil ist demgegenüber die Modernisierung sämtlicher Fachanwendungen. Das ist nicht nur im LGLN so, das gilt für die öffentliche Verwaltung in Deutschland insgesamt. Die ITArchitektur der Fachverfahren ist in der Regel nicht kompatibel mit dem Anspruch einer durchgehend medienbruchfreien Bearbeitung, wie sie auch das Onlinezugangsgesetz (OZG) idealtypisch verlangt. Hier müssen Monolithen dekonstruiert und mittels standardisierter Schnittstellen vernetzbar gemacht werden. Das gilt für den Datenaustausch mit anderen Behörden vertikal wie horizontal, aber natürlich auch für die Leistungserbringung gegenüber ex-

ternen Kundinnen und Kunden. Erfolge bei der Anwendungsmodernisierung werden deshalb meist erst später sichtbar. Mit BORIS-mobile haben wir indes bereits erste wichtige Bestandteile einer zukünftigen Wertermittlungsplattform freigeschaltet, mit der Bodenrichtwerte und andere Marktdaten auch für Smartphones und Tablets verfügbar gemacht werden. Behörden Spiegel: Auf welche Schlüsseltechnologien und Trends setzen Sie? Golibrzuch: Unsere Referenzarchitektur sieht vor, dass wir bei all unseren Anforderungen zunächst einmal regelhaft prüfen, ob es entsprechende Lösungen am Markt gibt, die wir als Software-as-a-Service einkaufen können. Ist das nicht der Fall, müssen wir selbst entwickeln, was bei unseren sehr speziellen Anforderungen durchaus häufiger vorkommt. Wir setzen dabei auf Cloud-basierte Entwicklungen, natürlich unter Beachtung aller Compliance-Anforderungen.

Auch gehen wir davon aus, dass die Cloud-Angebote sich dynamisch entwickeln und öffentlich-rechtliche IT-Dienstleister entsprechende Leistungen vorhalten werden. Hilfsweise könnten private Anbieter zertifiziert werden und als Partner der öffentlichen Verwaltung auftreten. Die Diskussion darüber ist ja in vollem Gange. Bei der Modernisierung unserer Fachanwendungen setzen wir auf allgemein gebräuchliche Web-Technologien und standardisierte Programmierschnittstellen, sogenannte Application Programming Interfaces (API). Wir entwickeln die Software agil und nutzen dabei die Scrum-Methode. Unser strategisches Ziel ist es, den Betrieb eigener IT-Infrastruktur aufzugeben und uns auf Entwicklung und Pflege unserer Applikationen zu fokussieren. Folgerichtig sind die Clients des LGLN im letzten Jahr in die Betriebsverantwortung von IT.N abgegeben worden, sämtliche Server und Datenbanken, Speicher- und Archivsysteme sollen bis 2024 folgen. Darüber hinaus pilotieren wir seit zwei Jahren den Einsatz von automatisierten Bilderkennungsverfahren und von Künstlicher Intelligenz (KI). Wir wollen aus digitalen Luftbildbeständen Gebäude identifizieren, die nicht oder geometrisch unrichtig in den aktuellen Datenbeständen des Liegenschaftskatasters eingetragen sind. Zum Einsatz kommen hier die IBM-Software Watson bzw. andere neuronale Netze wie Scaled YOLO4 zur Verbesserung der Erkennungsrate. Der Einsatz von KI wird im LGLN weiterhin zur Ableitung von Informationen, etwa zur Landbedeckung

aus Satellitenbilddaten der EU (Copernicus), und damit zur automatisierten Aktualisierung unserer geotopografischen Datenbestände erprobt.

tung praktiziert. Überhaupt pflegen wir gute Kontakte ins Ausland, insbesondere in die Niederlande, nach Finnland und nach Österreich, wo die öffentliche und auch die Vermessungsverwaltung ja teilweise schon weiter ist, als wir es in Deutschland sind. Behörden Spiegel: Wie stellen Sie sich Ihr Haus in fünf Jahren vor?

Golibrzuch: Geobasisdaten in Kombination mit Fachdaten spielen für die öffentliche Verwaltung Behörden Spiegel: Welche eine zunehmend wichtige Rolle. Partner hatten Sie auf diesem Schon heute gibt es zahlreiche Anwendungsfälle, die von andeWeg an Ihrer Seite? ren Behörden an uns herangetraGolibrzuch: Vorneweg zu gen werden: So haben wir etwa nennen ist der Landesbetrieb eine Waldbrandeinsatzkarte als IT.N, unser landesinterner IT- App programmiert, ein HaltestelDienstleister, mit dem zusammen len- und ein Radwegekataster wir die Client-Migration durch- erstellt oder einen Sportstättengeführt haben und aktuell die Viewer unterstützt. Jüngst ist die Polizei an uns Server-Migration vorbereiten. Dort, wo IT.N kein eigenes Per- herangetreten, um zur Wiedersonal vorhält, bedient der Lan- aufnahme von Ermittlungen in desbetrieb sich aus dem jeweils sogenannten “Cold Cases” hisgültigen IT-Dienstleistungs- torische Karten bzw. Datensätze rahmenvertrag und so werden zu erhalten. Kurzum, Anwendann mittelbar auch Privatfirmen dungsfälle gibt es zuhauf, aber unsere Partner, auch wenn wir es macht keinen Sinn, dass jetzt ausschließlich Rechnungen von alle Behörden Geoinformatiker/IT.N bekommen. innen einstellen, so viele FachEntsprechend den jeweiligen Lo- kräfte gibt der Markt auch nicht sen haben hier zuletzt Computa- annähernd her. center und Materna den Zuschlag In fünf Jahren möchten wir für das Land Niedersachsen be- das LGLN deshalb als zentrakommen. Beide Firmen haben len Geodatendienstleister der uns in den vergangenen Jahren Landesverwaltung etabliert hain hervorraben, als eine gender Weise “Geobasisdaten in Kom­ Behörde also, u n t erst ü t zt . an die sich albination mit Fachdaten Computacenle öffentlichen spielen für die öffentliche Verwaltungen ter bei derMigration der Verwaltung eine zuneh­ in Niedersachsen gerne wenClients, Mamend wichtige Rolle.” terna bei der den, wenn sie entsprechende Entwicklung von BORIS.mobile, aber auch Unterstützung benötigen. Und in den Workshops zu unserer natürlich wollen wir zudem zenneuen IT-Referenzarchitektur. traler Vermessungsdienstleister Im Bereich der KI arbeiten wir sein, auch für Flurbereinigung, darüber hinaus seit zwei Jahren Straßen- oder Deichbau, denn sehr eng mit IBM zusammen und auch hier wird der Mangel an nutzen die neuronalen Netze von Ingenieuren zunehmen, während Watson, wie das auch unsere die fachliche Expertise immer schwedische Schwesterverwal- häufiger benötigt werden wird.

Investieren trotz Schuldenbremse

95 Milliarden Euro mehr

Koalitionäre versprechen ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen

Studie zeigt Investitionsspielräume auf

(BS/lkm) Die Ampelkoalition bekennt sich klar zur Schuldenbremse. Die kommenden Jahre wollen die Koalitionäre dennoch zu einem “Jahrzehnt (BS/lkm) Viele Investitionsfragen sind im Koalitionsvertrag noch under Zukunftsinvestitionen” machen. Vor allem in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur soll investiert wer- geklärt. Zwar haben die Koalitionäre einige Vorhaben für mehr Investiden. Private wie öffentliche Investitionen sollen dazu “deutlich erhöht” werden. tionsspielräume im Koalitionsvertrag skizziert. Experten gehen jedoch davon aus, dass diese nicht ausreichen werden, um die Vorhaben von Die haushaltspolitische Aus- erforderlichen Maßnahmen zu fi- gerichtet einsetzen, um ab dem zungen des Koalitionsvertrages SPD, Grünen und FDP zu finanzieren. Eine aktuelle Studie des Instituts der gangslage des Bundes bezeich- nanzieren und die wirtschaftliche Jahr 2023 wieder den verfas- erfolgen. Finanzielle Potenziale für deutschen Wirtschaft (IW) meint, auch ohne Schulden oder breite Steunen SPD; Grünen und FDP als Erholung mit dem Abklingen der sungsrechtlich gebotenen “Nor- Zukunftsinvestitionen sollen auch ererhöhungen könne die neue Bundesregierung an mehr Geld kommen.

“äußerst anspruchsvoll”. Die Corona-Pandemie wirke weiterhin nach. Auch im Jahr 2022 müssten fortwirkende Pandemiefolgen zu bewältigen sein, die eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenregel auch im kommenden Jahr begründen. Ab 2023 will die Bundesregierung die Verschuldung wieder auf den verfassungsrechtlich von der

Corona-Pandemie abzusichern. Dies könne nur gelingen, wenn zeitgleich notwendige und nicht aufschiebbare Investitionen zur Transformation der deutschen Wirtschaft getätigt würden. Ein Abwarten beim Beginn der notwendigen Maßnahmen würde insbesondere die Erreichung der Klimaziele gefährden und die notwendigen Anpassungskos-

SPD, Grüne und FDP planen ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen. Vor allem in den Klimaschutz und die Digitalisierung sollen viele Gelder fließen. Foto: BS/RoboAdvisor, Pixabay.com

Schuldenbremse vorgegebenen Spielraum beschränken und die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Zugleich sollen “in nie dagewesenem Umfang” zusätzliche Mittel eingesetzt werden, um die zur Erreichung des 1,5-Grad-Klimazieles und zur Transformation der Wirtschaft

ten weiter erhöhen. “Wir werden Planungssicherheit geben, indem wir dauerhaft hohe Investitionszusagen treffen und diese in einer langfristigen Investitionsplanung darlegen”, versprechen die Koalitionäre im Koalitionsvertrag. Zugleich müsse der Bund alle Ressourcen bündeln und ziel-

malpfad” nach der Schuldenregel erreichen zu können.

Investitionsspielräume schaffen Die neue Bundesregierung steht damit vor der Herausforderung, ausreichend öffentliche Gelder für den Klimaschutz bereitzustellen und zugleich die gesetzlichen Vorschriften zur Neuverschuldung zu wahren. Zukunftsinvestitionen sollen über den Energie- und Klimafonds (EKF) getätigt werden. Dazu soll der Fonds zu einem Klimaund Transformationsfonds weiterentwickelt werden. Er soll mit Geldern aufgestockt werden, die aus nicht genutzten Krediten des Jahres 2021 stammen. Mittel, die aus dem EKF oder ähnlichen “Sondervermögen” abfließen, sollen laut Koalitionsvertrag nicht mehr relevant für die Schuldenbremse sein. Zusätzliche Haushaltspielräume will die neue Regierung unter anderem durch den Abbau von unwirksamen und umwelt- und klimaschädlichen Subventionen und Ausgaben schaffen. Darüber hinaus sollen für die gesamte Legislaturperiode alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden und es soll eine strikte Neupriorisierung am Maßstab der Zielset-

durch Ausgabenkürzungen und den Abbau von Ausgabenreste geschaffen werden. Eine weitere Idee, um die Spielräume für Investition auszuweiten ist staatliche Institutionen Kredite aufnehmen zu lassen, die nicht Teil des Bundeshaushaltes sind. Um mehr privates Kapital für Transformationsprojekte zu aktivieren, wollen die Koalitionäre prüfen, welche Beiträge öffentliche Förderbanken kapitalmarktnah zur Risikoabsicherung leisten können. Die staatliche Förderbank (KfW) soll stärker als Innovations- und Investitionsagentur wirken. KfW-Anleihen werden – anders als etwa Bundesanleihen – bei der Schuldenbremse nicht mitgerechnet, weil die Bank als finanzieller Mittler gilt und autonom agiert. Im Koalitionsvertrag wird auch erwähnt, dass beispielsweise die bundeseigene Deutsche Bahn AG ermächtigt wird, Kredite aufzunehmen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bewertet das Vorhaben, die Finanzierungsmöglichkeiten öffentlicher Unternehmen wie der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und der Bahn AG zu verbessern, positiv. So könnten mehr Investitionen in die Bahninfrastruktur und den Wohnungsbau ermöglicht werden.

Stellschrauben, die die neue Regierung nutzen können sind laut IW Steuermehreinnahmen, ein längerer Tilgungszeitraum für die Corona-Schulden und der Verkauf von Beteiligungen. Von 2023 bis 2025 könnten so 95 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. 2022 stelle sich das Finanzierungsproblem nicht, da die normalen Verschuldungsregeln der Schuldenbremse ausgesetzt seien. Doch ab 2023 werde die Schuldenbremse voraussichtlich wieder greifen. Besonders die Steuermehreinnahmen würden den Haushaltsspielraum erhöhen. Laut Steuerschätzung könne der Bund in den kommenden Jahren mit höheren Einnahmen rechnen als bisher in der Finanzplanung unterstellt. Zudem könnte sich die geplante Mindeststeuer in der Kasse bemerkbar machen. Und auch die Cannabislegalisierung könnte laut einer kürzlich erschienenen Studie des “Düsseldorf Institute for Competition Economics” Geld in die Kassen spülen. Summiert man diese Mehreinnahmen auf, würden dem Bund zwischen 2023 und 2025 rund 50 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Würde die Regierung den Til-

gungsplan der Coronaschulden auf 40 statt 20 Jahre strecken, käme rund eine Milliarde jährlich dazu. Ab dem Jahr 2026 würde sich die Tilgungsrate sogar um schätzungsweise zehn Milliarden Euro pro Jahr reduzieren. Auch ein Blick auf die Ausgaben lohne sich: Sozialausgaben und Subventionen seien in jüngerer Vergangenheit deutlich gestiegen.

Von Beteiligungen trennen Würde die Bundesregierung darüber hinaus ihre Beteiligungen an der Deutschen Telekom AG und der Deutschen Post AG abstoßen, könnten die Koalitionäre einmalig rund 25 Milliarden Euro einnehmen – über die KfW würden weitere 15 Milliarden dazukommen. “Insgesamt stünden so zwar 95 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung”, so Studienautor und Finanzexperte Tobias Hentze. “Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um die großen Herausforderungen der kommenden Jahre zu bewältigen. Da eine Reform der Schuldenbremse keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag finden dürfte, ist ein rechtlich selbstständiger Investitionsfonds der richtige Weg, um den Strukturwandel zu ermöglichen.”


Finanzen / Vergaberecht

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raglich ist sowohl in den eher standardisiert verlaufenden Fällen als auch in komplexe Rechtsberatungsleistungen erfordernden Sachverhalten, ob und ggf. inwieweit die Vergabeberatung, -abwicklung und -begleitung dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) unterfällt. Das Landgericht Magdeburg hat hierzu in seinem Urteil vom 15. September 2021 (Az. 7 O 1109/21) deutlich Stellung bezogen, und zwar aus wettbewerbsrechtlicher Sicht. Die Entscheidung könnte Signalwirkung haben.

Vergabeberatung ist oft Rechtsberatung Beschaffungsdienstleistungen auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand

Rechtsberatung darf nur anbieten, wer die anwaltliche Befähigung hat. Foto: BS/Freedomz

der Vergabegrundsätze, (…) Vermeidung von Diskriminierungsaspekten und (…) Sicherung des Gleichbehandlungsgrundsatzes”. Zudem sollten mit Bezug hierauf “Handlungsempfehlungen” erteilt werden. Exakt dieses Leistungsportfolio hatte die Verfügungsbeklagte auch auf ihrer Website beworben, was die Verfügungsklägerin ebenfalls zum Gegenstand von Abmahnung und Verfügungsantrag erhob.

Entscheidung wegen unlauteren Wettbewerbs Das Landgericht bejaht zunächst die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung. Die zu un-

terlassenden Handlungen seien hinreichend konkret bezeichnet. Auch grenzt das Landgericht seine eigene Zuständigkeit von derjenigen der Vergabekammer ab. Das Rechtsschutzziel im hiesigen Verfahren sei die Verfolgung von Unterlassungsansprüchen nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) gegenüber einer Wettbewerberin und nicht die Überprüfung eines Vergabeverfahrens. Auch die Begründetheit der Anträge bejaht das Landgericht. Es erkennt zunächst auf den geschäftlichen Charakter der Handlungen der Beklagten. Insoweit weist es ausdrücklich

darauf hin, dass die Beklagte mit den in Rede stehenden Beratungsleistungen auf ihrer Website werbe und diese noch dazu entgeltlich erbracht werden würden. In einem zweiten Schritt nimmt das Landgericht ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Anwaltskanzlei und der nichtanwaltlichen Beratungsstelle an. Beide Parteien erbrächten Leistungen der Verfahrensbegleitung und Vergaberechtsberatung. Anschließend überprüft das Landgericht, ob das Leistungsangebot der Beklagten dem Rechtsdienstleistungsgesetz unterfällt. Da die Beratung in vergaberechtlichen Fragen sowie die Erteilung von Handlungsempfehlungen “eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordern”, handle es sich um Rechtsdienstleistungen. Wie intensiv oder schwierig diese Prüfung sei, spiele keine Rolle.

Keine Erlaubnis ersichtlich Die Erbringung solcher Rechtsdienstleistungen, so das Landgericht weiter, sei gemäß § 3 RDG nur dann zulässig, wenn sie durch Gesetz erlaubt sei. Eine solche Erlaubnis sei im Fall der Beklagten jedoch nicht ersichtlich. Die Beklagte sei weder Rechtsanwaltsgesellschaft noch sonstige Person, die zur

Finanzpolitischer Reformbedarf (BS/Pola Schneemelcher) Ein finanzpolitisches Thema bestimmt Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen: Wie umgehen mit öffentlichen Haushalten, die angesichts des demografischen Wandels, des Klimawandels und Corona stark belastet werden? Und das, während die staatliche Schuldenaufnahme immer noch als politisch heikel gebrandmarkt wird? Wir argumentieren im Folgenden, weshalb die Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß ist, wie sie reformiert werden kann und weshalb davon besonders der Öffentliche Dienst profitieren würde. schuldenfinanzierter Nachfrage die Wirtschaft ankurbeln. Über gute Löhne und eine niedrige Arbeitslosenquote wäre dann für hohe Steuereinnahmen und geringe Sozialausgaben gesorgt. Das würde, trotz Defizit, zu nachhaltigen Staatsfinanzen führen und den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand sichern. Eine entsprechende Anpassung der Inputfaktoren (z. B. Vollbeschäftigung statt aus der Vergangenheit abPola Schneemelcher ist Progeleiteten Arbeitsjektleiterin beim Dezernat losenquoten) ist Zukunft und arbeitet schwereinfachgesetzlich punktmäßig zum Bereich möglich und würArbeitsmarkt. Davor war sie de für die nötigen als Expertin für europäische ­finanziellen SpielWirtschaftspolitik beim ­Jac­räume sorgen, ques Delors Centre und als wissenschaftliche Mitarbeium den Herausterin im Bundestag tätig. forderungen zu Foto: BS/T. Lobenwein begegnen und die politisch gesetzten Ziele zu erreichen. Schuldenbremse führt also dazu, dass vergangene wirtschaftliche … und im Öffentlichen Dienst Trends – prozyklisch – verstärkt Die finanziellen Spielräume werden und die Wirtschaft ihr zu schaffen, ist das eine. Das tatsächliches Potenzial nicht andere ist, gute Ausgaben und erreicht. Investitionen umzusetzen. Hier spielt der Öffentliche Dienst die Die Lösung liegt im entscheidende Rolle – und würde ­Arbeitsmarkt … überproportional von einer auf Wir schlagen daher vor, die Be- Vollauslastung ausgerichteten rechnung des Produktionspoten- Finanzpolitik profitieren. Denn zials zu reformieren. Insbeson- bisher ist er auf die Bewältigung dere die Inputfaktoren sollten so von Herausforderungen wie Demodifiziert werden, dass sie ab- karbonisierung oder Digitalisiebilden, wohin wir wollen, anstatt rung nur bedingt vorbereitet: vergangene Trends zu reprodu- bis 2030 werden im Öffentlichen zieren: zu einer vollausgelasteten Dienst 816.000 Fachkräfte fehWirtschaft. Diese definiert sich len, der größte absolute Mangel dadurch, dass jede/r, der Arbeit in allen beobachteten Branchen. finden will, auch Arbeit finden Gleichzeitig droht jede neunte und ausreichend produktiv sein Stelle unbesetzt zu bleiben. Das kann, um den eigenen Lebens- wird vor allem Länder und Komunterhalt zu bestreiten. Um das munen betreffen, aber auch den erreichbar zu machen, muss der Bund. Um neue Arbeitskräfte zu Staat gegebenenfalls mittels rekrutieren, muss der Öffentliche Eine dieser Komponenten ist das Arbeitspotenzial: haben z. B. Frauen in der Vergangenheit weniger gearbeitet als Männer, nimmt man an, dass das in Zukunft genauso sein wird. Nehmen jetzt mehr Frauen Arbeit auf, schrumpft die Lücke zwischen BIP und Produktionspotenzial, die Zeichen stehen auf Überauslastung, der Staat muss sparen. Die heutige Ausgestaltung der

Erbringung von Rechtsdienstleistungen ermächtigt sei. Die Leistungen der Beklagten erfolgten entgeltlich, sodass § 6 RDG nicht einschlägig sei. Auch handle es sich bei der rechtlichen Beratung gerade nicht um eine bloße Nebentätigkeit, wenn man den Internetauftritt der Beklagten zugrunde lege, sodass § 5 RDG ebenso wenig einschlägig sei. Auch § 7 RDG rechtfertige das Leistungsangebot der Beklagten nicht, denn die Beklagte sei weder Berufsvereinigung noch – als Stiftung des bürgerlichen Rechts – Genossenschaft. § 8 Abs. 1 Nr. 2 RDG helfe der Beklagten schließlich auch nicht weiter. Zwar könne hiernach eine Erlaubnis bestehen, Mitgliedsunternehmen der die Beklagte tragenden funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften in Vergaberechtsfragen zu beraten. Öffentliche Auftraggeber seien jedoch keine solchen Unternehmen.

Anwaltlicher Erfüllungs­ gehilfe reicht nicht aus

Wie die Reform der Schuldenbremse den Öffentlichen Dienst transformieren kann

Zwei der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit sind der demografische Wandel, in dem immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentner aufkommen müssen, und der Klimawandel, der umfangreiche Investitionen in die Dekarbonisierung erfordert. In seinem Umgang mit diesen Herausforderungen hat sich der Staat selbst die Hände gebunden: Die Schuldenbremse begrenzt seit 2009 seine Möglichkeiten, schuldenfinanzierte Ausgaben zu tätigen, denn sie erlaubt lediglich ein jährliches Defizit von 0,35 Prozent. Das kann allerdings um die sogenannte Konjunkturkomponente vergrößert oder verkleinert werden. Diese soll sicherstellen, dass in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs gespart wird, um eine Überhitzung der Wirtschaft, und damit Inflation, zu verhindern. In Zeiten des Abschwungs soll der Bund dagegen mehr Schulden machen können, um die Wirtschaft mittels staatlicher Nachfrage anzukurbeln. Die Schuldenbremse soll also eine antizyklische Politik möglich machen, durch die das Potenzial der Wirtschaft bestmöglich ausgereizt wird, ohne dass es dabei zur Inflation kommt. Dieses Versprechen hält sie aber heute nicht. Denn die jetzige Berechnungsmethode der Konjunkturkomponente beruht auf dem Vergleich des tatsächlichen BIP mit dem Potenzial, das die Wirtschaft theoretisch erreichen könnte, dem Produktionspotenzial. Das Produktionspotenzial ist nicht beobachtbar, sondern muss anhand verschiedener Komponenten geschätzt werden – und das passiert nicht anhand dessen, wie diese sich entwickeln werden, sondern basiert darauf, wie sie sich in der Vergangenheit verhalten haben.

dass die Beklagte durch diesen Vortrag letztlich zugestanden hat, Rechtsdienstleistungen nicht nur zu bewerben, sondern diese auch selbst zu erbringen, wenn auch durch einen anwaltlichen Erfüllungsgehilfen.

(BS/Dr. Christoph Kins/Günther Pinkenburg) Die Vergabeberatung, -abwicklung und -begleitung wird immer mehr zur Ware. Zahlreiche Dienstleister, die weit überwiegend keine Rechtsanwälte sind, betätigen sich auf diesem Gebiet. Bedenklich wird dies spätestens dann, wenn all die vergabebegleitenden Unternehmensberater, Projektsteuerer, Ingenieure, Beratungsstellen etc. ihre Kompetenzen überinterpretieren. Dies geschieht Den richtigen Bieterkreis wählen auf unterschiedliche Weise. Mal werden die Leistungsphasen 6 und 7 der HOAI extensiv ausgelegt, mal zieht der Dienstleister “seinen eigenen” Anwalt hinzu, mal wird der Rechtsberatungsanteil als Nebensache abgetan. Die Entscheidung ist richtig.

Vorab-Abmahnungen waren erfolglos Die Verfügungsklägerin ist eine auf Vergaberecht und die Vergabebegleitung spezialisierte Anwaltskanzlei. Nach zwei erfolglosen Abmahnungen stellte sie einen auf §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 UWG i.V.m. § 3 RDG gestützten einstweiligen Verfügungsantrag des Inhalts, der Beklagten zu untersagen, im Einzelnen definierte Vergabeberatungsleistungen zu erbringen. Die Verfügungsbeklagte ist eine “von den Institutionen der verkammerten Wirtschaft” des betreffenden Bundeslands getragene Stelle, die im Rahmen einer “entgeltpflichtigen Grundberatung” nach eigenen Angaben u. a. zur Anwendung vergaberechtlicher “Regelwerke” beriet und “Hinweise und Empfehlungen im Hinblick auf die korrekte Anwendung” dieser Regelungen erteilte. Anlass des Streitverfahrens bildete ein Vergabeverfahren über Vergabeberatungsleistungen, an dem sich Klägerin und Beklagte beteiligt hatten. Ausgeschrieben war u. a. die Prüfung der “Einhaltung von Wettbewerbsregeln und

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Dienst, neben Investitionen z. B. in Aus- und Weiterbildung und die Digitalisierung der Verwaltung, als Arbeitgeber wettbewerbsfä­ higer werden, z. B. durch bessere Löhne. Darüber hinaus könnte eine Lohnsteigerung eine gesamtwirtschaftliche und -gesellschaftliche Strahlkraft entfalten: der Öffentliche Dienst ist schon heute der größte Arbeitgeber in Deutschland, sodass höhere Löhne hier die Nachfrage anheizen. Zweitens würde er so auch für andere Branchen mit gutem Beispiel vorangehen. Denn bisher hinkt das Lohnwachstum im Öffentlichen Dienst hinterher. Auch die Zahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse wie Befristungen stagniert seit Jahren auf einem hohen Niveau. Um den Faktor Arbeit optimal zum Einsatz zu bringen, muss der Staat, statt Bremse zu sein, zum Vorbild werden.

Fazit Die Schuldenbremse hält heute nicht, was sie verspricht. Sie bremst Wirtschaft und Verwaltung, verhindert die Nutzung unseres vollen Potenzials und schadet somit der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Eine Neuausrichtung an politischen Zielen wie einem voll ausgelasteten Arbeitsmarkt ist notwendig, um den gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen und nachhaltige Staatsfinanzen zu sichern. Dafür bedarf es keiner Verfassungsänderung. Eine solche Reform kann aber nur ein erster Schritt sein: für die Umsetzung der politischen Ziele ist der Öffentliche Dienst zentral, der dafür, Dank der Anpassung der Konjunkturkomponente, mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden würde.

Schließlich hat die Beklagte noch eingewendet, dass die Rechtsberatungsleistungen durch einen von ihr hinzugezogenen Anwalt erbracht würden. Unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 29. Juli 2009 – I ZR 166/06, NJW 2009, 3242 m.w.N.), nach der es auf das Eingehen der Verpflichtung zur Übernahme der Rechtsbesorgung gegenüber dem Vertragspartner ankommt, räumt das Landgericht auch diesen Einwand ab. Hier fällt vor allem auf,

Die Beklagte bewarb die Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Auch sicherte sie die Erbringung solcher Leistungen vertraglich zu, andernfalls hätte sie sich schon nicht an dem konkreten, den Anlass des landgerichtlichen Verfahrens bildenden Vergabeverfahren beteiligen können. Anders formuliert, anknüpfend an das aus dem Urteil ersichtliche Leistungsangebot der Beklagten: Wer “Handlungsempfehlungen

Dr. Christoph Kins ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht bei abante Rechtsanwälte, Leipzig. Foto: BS/privat

Günther Pinkenburg, LL.M., ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht und für Vergaberecht bei der MAYBURG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München. Foto: BS/Klawon

für die Anwendung von Vergaberegeln” in einem konkreten Vergabeverfahren erteilt, der erbringt Rechtsdienstleistungen. Öffentliche Auftraggeber sind gerade angesichts der beträchtlichen Konsequenzen einer Verletzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes gut beraten, sich genau zu überlegen, welche Beratungsleistungen sie benötigen und welcher der richtige Bieterkreis ist, da (öffentliche) Aufträge nur an geeignete Bieter vergeben werden dürfen. Nichtanwaltliche Vergabeberater sollten im Lichte des Urteils des LG Magdeburg ihr Geschäftsmodell gleichsam dringend wie kritisch überprüfen.

Öffentliche Verschwendung Neues Schwarzbuch 2021/2022 vorgestellt (BS/lkm) Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat sein 49. Schwarzbuch mit Steuergeldverschwendungsfällen vorgestellt. Insgesamt hat der Verband im aktuellen Schwarzbuch 100 exemplarische Fälle auf kommunaler, Landes- sowie Bundesebene recherchiert. Ein “erster Spatenstich” in Schleswig-Holstein, der gleich zweimal gefeiert wurde – 5.000 Euro verschwendet. Teststrecken mit markierten Fahrrad-Schutzstreifen in Niedersachsen, die trotz positiver Resonanz entfernt wurden – 763.000 Euro allein für den Rückbau. Und schließlich das Debakel um die Bremer Privatbank Greensill, der rund 40 deutsche Gebietskörperschaften – vor allem Kommunen – insgesamt 350 Millionen Euro anvertrauten. Seitdem die Bank wegen drohender Insolvenz dichtgemacht wurde, sind Steuer- und Gebührengelder in Gefahr. In Stuttgart wurden mehrere Treppenanlagen bunt bemalt: Eine davon ziert ein riesiges Brezelherz. Warum? Weil die Stadt hofft, dass ihre Bürger die verzierten Stufen häufig nutzen und somit etwas für ihre Gesundheit tun werden. Für diese Hoffnung gab die Stadt 75.000 Euro aus. Aktionismus gab es auch in Eslohe im Sauerland: Direkt neben einer Straßenbrücke mit Fußweg entstand eine neue Fuß-

gängerbrücke – doch diese ist nur wenige Zentimeter breiter und macht die Stadt um 95.000 Steuer-Euro ärmer. Damit auswärtige Besucher die Innenstadt künftig noch einfacher und vor allem “intuitiver” finden können, ließ Bremen im Oktober 2020 insgesamt 140 auffällige rote Piktogramme mit dem Abbild der Bremer Stadtmusikanten auf Gehwege und Plätze in der Nähe von Parkhäusern und Hauptbahnhof malen. Bereits nach kürzester Zeit – teilweise nach nur einer Woche – blätterten viele der Piktogramme jedoch ab. Für diese Aktion nahm Bremen rund 30.000 Euro in die Hand. Diese und weitere Fälle von Steuergeldverschwendung fasst das 49. Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler zusammen. Bei der Präsentation des aktuellen Schwarzbuchs appellierte BdStPräsident Reiner Holznagel an die Verantwortlichen, mit fremdem Geld sorgfältiger umzugehen. Das digitale Schwarzbuch ist auf www.schwarzbuch.de abrufbar.


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Dezember 2021

N

icht nur der Wandel der Technik oder veraltetes Einsatzgerät können die kommunalen Verantwortlichen zwingen, neue Wege bei der Beschaffung zu gehen. Auch organisatorische und gesellschaftliche Umstände können zu einer Veränderung beitragen. Da das deutsche Hilfeleistungssystem im Bereich der Feuerwehr sich stark auf die Freiwillige Feuerwehr stützt, können aufgrund von Nachwuchsproblemen oder fehlender Verfügbarkeit von Feuerwehrkräften wegen unzureichender Freistellung durch den Arbeitgeber Lücken in der Schutzzielplanung entstehen. Dies heißt, in bestimmten Bereichen können die vorgegebenen Reaktionszeiten nicht eingehalten werden. Aus diesem Grund musste sich Dr. Andreas Graber, Amtsleiter für Brand- und Katastrophenschutz der Stadt Augsburg, sich etwas einfallen lassen. Es habe ein weiterer Standort der Berufsfeuerwehr mit einem halben Zug geschaffen werden müssen, da für einen kompletten Zug der Personalbedarf zu hoch gewesen sei. Ebenso könne keine Drehleiter besetzt werden. Da aber sowohl die Funktion des Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeugs (HLF) und einer Drehleiter (DLK) benötigt werde, habe man eine Zwischenlösung mit dem Kombinationsfahrzeug HLF 10/ Multistar gefunden. Dazu sei das HLF 10 für Testzwecke zunächst geliehen worden. Ob dieses Fahrzeug beschafft werde, sei noch nicht klar.

Aus Erfahrungen lernen Mit dem Abweichen von den üblichen Fahrzeugen mussten Graber und seine Kollegen andere Wege beschreiten. Normalerweise beschaffe die Stadt Augsburg nach dem “AEG-Prinzip”. Dies stehe für “aus Erfahrung gut”, so der Amtsleiter. In 95 Prozent aller Fälle reiche dies. Es flössen dabei in jede Ausschreibung die Erfahrungen der vergangenen ein. Dies sei besonders effizient und rechtssicher. Jedoch seien diese Ausschreibungen nicht besonders effektiv im Hinblick auf sich verändernde Rahmenbedingungen. Bei der Beschaffung des Kombinationsfahrzeugs setzten die Augsburger auf eine “konzeptorientierte” Ausschreibung, da dies sich eher für eine Beschaffung von Technik für neue Einsatzkonzepte anbiete. Dies sei besonders effektiv gewesen. Dennoch müssten bei einer konzeptorientierten Ausschreibung gegebenenfalls auch Juristen

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Expertise auch außerhalb suchen

“Selten war ich so positiv von einem Gesetzgebungsprozess überrascht”, sagt Günther Pinkenburg, Geschäftsführer der Mayburg Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und fachlicher Leiter (BS/Bennet Klawon) Die Beschaffung von Einsatzfahrzeugen für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) kann Vergabestel- der BOS-Beschaffertage, zur Aklen vor Herausforderungen stellen. Die Anforderungen sowie der Aufbau der Einsatzfahrzeuge unterscheiden sich zum Teil von den üblichen Fahr- tualisierung des SaubFahrzeugzeugen aus dem kommunalen Fuhrpark. Doch wenn ein paar Punkte beachtet werden, können kleine oder größere Hindernisse umfahren werden. BeschG. Bis zum August dieses Jahres galt im alten VgV nach Paragraf 68, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung von Straßenfahrzeugen Energieverbrauch und Umweltauswirkungen berücksichtigen muss. Dann kam mit Absatz vier des gleichen Paragrafen die Ausnahme für Fahrzeuge, die “im Rahmen des hoheitlichen Auftrags der Streitkräfte, des Günther Pinkenburg zeigt sich positiv Katastrophenschutzes, der Feuvon der Überarbeitung des Saubere- erwehren und der Polizeien des Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetzes Bundes und der Länder kon(SaubFahrzeugBeschG) überrascht. struiert und gebaut wurden”. Jedoch wurde von dieser Aus nahme gleich eine Rückausnahme, die es nur in Deutschland gibt, gemacht. Die Anforderungen an Energieverbrauch und Umweltauswirkungen, wie in Äußere Umstände zwingen Feuerwehren, wie in Augsburg die bekannten Wege der Beschaffung zu verlassen, wie das Beispiel des HLF 10 zeigt. Paragraf 68 Absatz eins bis drei Foto: BS/Feuerwehr Augsburg gefordert, müssen berücksichtig werden, “soweit es der Stand der oder Ingenieurbüros beteiligt reich oder Spanien ein, denn Auftraggeber vor der DurchfühTechnik zulässt und hierdurch werden, um externes Wissen für bisher gebe es keine einheitli- rung der Vergabe gemäß Paragraf die Einsatzfähigkeit nicht beeinneue Technik einfließen zulassen. chen Standards oder Normungen 28 VgV eine Markterkundung trächtigt” werde. Die bekannten Pfade mussten für Vegetationsbrandbekämp- durchführen, um das Verfahren Nach der Neufassung der CVD bei der Beschaffung von Wald- fungsfahrzeuge. Wie schon bei vorzubereiten. Dazu empfiehlt brand-Tanklöschfahrzeugen für der Stadt Augsburg biete es sich Stetter neben dem Eigenstudi- Andreas Graber, Amtsleiter für Brand- wurde der Paragraf 68 der VgV die Bundeswehr auch Lars Herold an, aus den Erfahrungen von um das Einschalten von Ex- und Katastrophenschutz der Stadt Augs- aufgeboben. An seine Stelle perten oder das Anfragen bei burg, erklärt die Situation in Augsburg. trat Paragraf vier Absatz eins und seine Kollegen vom BwFuhr- anderen zu lernen. potentiellen Bietern mit einer parkService verlassen. “Ich bin Fotos: BS/Klawon Nr. acht des SaubFahrzeugBeschG, welcher die Ausnahmen seit 2003 beim BwFuhrpark- “Vergabe ist Projektarbeit” Leistungsbeschreibung. Bei der Service und durfte schon sehr Damit eine Vergabe gelinge, Erkundung sei jedoch zu beach- fend sein, sodass die Beschrei- der Beschaffung von sauberen viele unterschiedliche Projekte müsse man eine Vergabe als ten, ob es sich um eine EU-weite bung für alle verständlich ist. Fahrzeugen regelt. Dort heißt Dies sieht der Paragraf 121 des es: “Dieses Gesetz ist nicht anmanagen. Die Beschaffung der Projektarbeit auffassen, sagt Ausschreibung handele. Fabian Steiger, Geschäfts- Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- zuwenden auf (...) Fahrzeuge, Feuerwehrfahrzeuge unterschied Christian Stetter, Rechtsanwalt sich erheblich von den bisher von der Mayburg Rechtsanwalts- führer von der AFTAF GmbH, schränkungen (GWB) vor. Stetter die für den Einsatz durch den gestemmten Projekten”, so He- gesellschaft mbH. Ein Projekt weist auch darauf hin, dass ei- empfiehlt, bei der Beschreibung Zivil- und Katastrophenschutz, rold. Bisher hätten seine Kollegen habe immer drei Dimensionen: ne Marktsondierung momentan lieber auf eine funktionale Leis- durch das Rettungswesen, durch und er nur Mobilitäts- und keine Zeit, Leistung und Budget. sehr schwierig sei, da man einen tungserbringung als auf genaue die Feuerwehr oder durch die Funktionslösungen beschaffen Für die Dimension Zeit müss- langen Zeitvorlauf vor der Ver- Produktnennung zu setzen, da für die Aufrechterhaltung der müssen. Normalerweise schreibe ten unter anderem die Vorgaben gabe brauche. Dabei könne es sonst die Gefahr von Dysfunk- öffentlichen Sicherheit und die BwFuhrparkService selbst für die Fristen, resultierend aus passieren, dass man bei der Be- tionalität beim Gesamtprodukt Ordnung zuständigen Behörden entwickelt und gebaut aus, aber da in diesem Fall die Paragraf 20 Absatz eins der Ver- schaffung vom Stand der Technik entstehen könnte. oder dafür angepasst wurden.” zuständige Stelle überlastet gewe- gabeverordnung (VgV), beachtet überholt werde. Auch eine weitere Unklarheit sen sei und das Fachwissen für werden. Stetter warnt jedoch daDie letzte Dimension Leistung Positiv überrascht diese Art von Fahrzeug im Haus vor, aufgrund von Pandemie und ergebe sich zwar schon größDoch als würden die Anfor- kann Pinkenburg aufklären. So gefehlt habe, habe man externen Materialknappheit die Fristen tenteils aus der DIN, doch man derungen nicht schon reichen, werde mit Paragraf fünf Absatz Sachverstand eingekauft, um die- zu kurz zu fassen. Da Einsatz- habe immer noch genug Spiel- blickte man sorgenvoll auf eins des SaubFahrzeugBeschG sen Auftrag zu bewältigen. Denn fahrzeuge umfangreiche Projekte raum bei der Ausgestaltung die Änderungen des Saubere- gefordert, dass ein bestimmter gerade Spezialfahrzeuge sind seien, müssten mehrere Anbie- der Leistungsbeschreibung, Fahrzeuge-Beschaffungs-Ge- Anteil der durch die öffentliche noch um einiges komplexer als ter bzw. Unternehmen beteiligt so Stetter. Dennoch warnt der setzes (SaubFahrzeugBeschG). Hand beschafften Fahrzeuge in die üblichen Einsatzfahrzeuge, werden. Wenn ein mittelständi- Jurist davor, eine “eierlegende Bekanntermaßen haben Ein- einem Referenzzeitraum sauber weiß Dipl.-Ing. Thomas Zawadke, scher Fahrgestellaufbauer den Wollmilchsau auszuschreiben”. satzfahrzeuge der Feuerwehr sein müssten. Da stelle sich die Geschäftsführer von Feuerwehr- Zuschlag erhielte, müsse sich Unternehmen würden selbst bei meistens einen hohen Energie- Frage: Wenn nun die BOS-EinFahrzeugTechnikZawadke, auf dieser bestimmte Komponenten unrealistischen Ausschreibun- verbrauch und sind meistens satzfahrzeuge von der Reglung den BOS-Beschaffertagen des von anderen Unternehmen zu- gen nicht nein sagen. Deshalb nicht besonders energieeffizi- ausgenommen seien, müssten Behörden Spiegel zu berichten. Er sammensuchen. Sollte die Frist sei eine Nachprüfung, ob die ent. So kam die Sorge auf, dass diese trotzdem in die Berechunterstützte Herold bei der Aus- zu kurz sein, könnten sonst keine ausgeschriebene Lösung bzw. aufgrund der Verordnung der nung des Anteils mit einbezogen schreibung. Bei der Gestaltung Angebote kommen. das Fahrzeug überhaupt zu Europäischen Kommission, der werden? Dabei kann der Jurist Das Budget ergebe sich aus den verwirklichen sei, sinnvoll. Die Clean-Vehicle-Directive (CVD), Entwarnung geben. Auch hier der Ausschreibungsunterlagen seien Erfahrungen von anderen zur Verfügung stehenden Haus- Leistungsbeschreibung muss eine neue Beschaffung von Ein- werde eine Ausnahme für die europäischen Ländern wie Frank- haltsmitteln. Ebenso könne der möglichst eindeutig und erschöp- satzfahrzeugen schwieriger wird. BOS-Fahrzeuge gemacht.

Beschaffung von BOS-Einsatzfahrzeugen

→ 19. – 20. Januar 2022, WEBKONFERENZ

Praxis-Workshops:

Keynotes u.a. von:

• Beschaffung von Kommunalfahrzeugen und das SaubFahrzeugBeschG • Vergabe von Dienstleistungen für eine agile Softwareentwicklung • Immobiliengeschäfte, Stadtentwicklung und Vergaberecht • Markterkundung zur Vorbereitung einer effektiven und zielgerichteten Beschaffung • Konzessionsvergabe • Erfolgreiches Verhandeln für den öffentlichen Einkauf • Keine Angst vor Eignungskriterien und der Eignungsprüfung • Klimaschutz und Vergabe • Planungsbeschleunigung • Nutzung der Inhouse-Vergabe und ähnlicher Ausnahmen als Alternative bei zeitkritischen Leistungen und Bietermangel • Scheitern als Chance – Handlungsoptionen und Perspektiven bei fehlgeschlagenem Vergabeverfahren • Flexible Beschaffung durch Open-House-Verfahren? Veranstalter:

Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Düsseldorf

Dr. Martin Schellenberg, Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M.

Hamburger Vergabetag – DER Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Auftragnehmer und Vergaberechtler Diskutieren Sie über aktuelle Rechtsfragen und einschlägige Spruchpraxis und erfahren Sie, wie digitale Einkaufsstrategien wirksam und zugleich rechtskonform umgesetzt werden können. Die insgesamt 12 Workshops mit einem stark praxisorientierten Ansatz sowie die Möglichkeit zum persönlichen Erfahrungsaustausch runden den Hamburger Vergabetag weiter ab.

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Beschaffung / Vergaberecht

Seite 12

Vier Bewerber für den Oscar der Beschaffung

Behörden Spiegel / Dezember 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht

BME vergibt Award “Innovation schafft Vorsprung 2022 (BS/Jörn Fieseler) Die Jury für den BME-Award für öffentliche Auftraggeber “Innovation schafft Vorsprung 2022”, hat vier Bewerber nominiert. Die Gewinner werden am Tag der öffentlichen Auftraggeber im nächsten Jahr bekannt gegeben.

►AUSFÜHRUNGSFRIST

Um den Oscar der öffentlichen Beschaffung können sich Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen sowie öffentliche Unternehmen und Institutionen in zwei Kategorien bewerben. Der jährliche Preis wird einerseits für die Beschaffung von innovativen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen vergeben sowie andererseits für die Gestaltung innovativer Beschaffungsprozesse. Voraussetzung ist, dass die eingereichten Konzepte in der Praxis verwirklicht wurden und dauerhaft zur Optimierung sowie zur Effizienzsteigerung beigetragen haben. Zudem müssen sie auf andere vergleichbare Institutionen und Organisationen der öffentlichen Hand übertragbar sein. Außerdem muss der praktische Einsatz innovativer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen die Produktivität und Effizienz nachweislich deutlich verbessert haben – sei es unter finanziellen, prozessualen und/oder umwelttechnischen Aspekten. In diesem Jahr schafften es vier öffentliche Auftraggeber in die engere Wahl. Es sind dies in alphabetischer Reihenfolge und mit ihren Konzepten: • Deutsche Gesellschaft für in-

Keine Vereinbarungen vor dem Zuschlag!

Was der Oscar für Hollywood ist, ist der BME Award “Innovation schafft Vorsprung” für öffentliche Auftraggeber.

Foto: BS/kalhh,pixabay.com

ternationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, “Digitalisierung weltweiter Beschaffungsprozesse in einem internationalen Bundesunternehmen” • Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement, “Prozessoptimierung durch Einführung eines C-Teile-Managements zusammen mit einem Gefahrstoffinformationssystem” • Kreisstadt Saarlouis, “Klimaneutrale Wärmenutzung – CO2-neutrale und dezentrale

Wärmeversorgung aus Restwärme bei der thermischen Schwachgasnutzung von Deponiegas mittels eines mobilen Wärmespeichers” • N-ERGIE Aktiengesellschaft, “Erlebbare Sektorkopplung – Digitalisierung und Elektrifizierung von Parkraum (Smart Parking)” In diesem Jahr erhielt die ESWE Versorgungs- AG und die ESWE Verkehrsgesellschaft mbH aus Wiesbaden die Auszeichnung für das Kooperationsprojekt “Beschaffung von 120 Elektrobussen einschließlich der Errichtung der Ladeinfrastruktur und der Einrichtung eines Betriebshofmanagements”. Alle in Frage kommenden öffentlichen Auftraggeber sind zudem aufgerufen, sich für den Preis “Innovation schafft Vorsprung im Jahr 2023” zu bewerben. Einsendeschluss ist der 14. Oktober 2022. Mit dem Award zeichnet der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) seit 2006 Spitzenleistungen öffentlicher Auftraggeber aus. Auch in diesem Jahr stellten sich die vier Nominierten in einem zwei-stufigen Verfahren der Jury.

MELDUNG

Erweiterungsbau am Finanzministerium

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

(BS/jf) Die Europäische Kommission hat die neuen Schwellenwerte für europaweite Ausschreibungen bekannt gegeben. Ab dem 1. Januar 2022 müssen Bauvergaben und Konzessionen ab einem Wert von 5,382 Millionen Euro im Europäischen Ausschreibungsportal veröffentlicht werden. Für Liefer- und Dienstleistungen gelten drei unterschiedliche Wertgrenzen. Zentrale Stellen gilt der Wert von 140.000 Euro, für alle übrigen klassischen Auftraggeber der die Summe von 215.000 Euro. Sektorenauftraggeber können bis zu einem Höchstwert von 431.000 Euro Ausschreibungen national durchführen. Insgesamt sind die Werte etwas höher als im Vorjahr, haben Höchststand von 2018 jedoch noch nicht erreicht. Der Schwellenwert für besondere Dienstleistungen liegt weiterhin unverändert bei 750.000 Euro. Er ist von den zwei-jährlichen Aktualisierungen der EU-Kommission ausgenommen, da er auf dem Government Procurement Agreement (GPA) beruht.

Vorsicht bei Änderung

Das Vergabeverfahren über Abbrucharbeiten hat sich durch einen ersten Nachprüfungsantrag bereits verzögert. Der Auftraggeber kann die geplanten Ausführungsfristen nicht mehr einhalten. Mit dem für den Zuschlag vorgesehenen Bieter führt er ein von ihm so bezeichnetes Aufklärungsgespräch. Ergebnis dieses Gespräches ist es, dass der Bieter den Auftrag auch mit verschobener Ausführungsfrist annehmen wird und zudem an seinem Preis auch für die neuen Fristen festhält. Den Inhalt dieses Gespräches macht nun ein Mitbieter zum Thema in einem weiteren Nachprüfungsverfahren. Er hält den Zuschlagsprätendenten wegen verbotener Nachverhandlung für ausschlussbedürftig, während der Auftraggeber den Gesprächsinhalt lediglich als mündliche Zusage einer Bindefristverlängerung versteht. Die Vergabekammer kommt in diesem Fall zu folgendem Schluss: Das Gespräch stellt eine Nachverhandlung dar. Denn eine reine Bindefristverlängerung hätte keinen Verzicht auf ein Nachtragsverlangen wegen Friständerung enthalten dürfen. Hier war vielmehr vom Auftraggeber unzulässig (weil nur gegenüber einem einzelnen Bieter) der Auftragsgegenstand verändert worden. Im Ergebnis führt ein solches Verhalten nicht zum Bieterausschluss, wohl aber zum Ausschluss des nachverhandelten Angebotes. Das Ursprungsangebot mit der überholten Ausführungsfrist bleibt dann üblicherweise wertbar. Weil hier aber der Auftraggeber bereits mit einem Bieter wirksam neue Ausführungszeiten vereinbart hat, hat die Vergabekammer das Verfahren bis vor Bekanntmachung zurückversetzt: Er muss nun allen Interessenten die Gelegenheit geben, neu mit geänderten Fristen anzubieten. Den Ärger hätte sich der Auftraggeber sparen können, hätte er die Verhandlung über den unveränderten Preis erst nach dem Zuschlag geführt. VK Berlin (Beschl. v. 25.06.2021, Az.: VK B 2-7/21)

► INKLUSIONSBETRIEB

Gewinn beabsichtigt? Nicht alle sind privilegiert Manchmal arten auch schriftWo gibt’s denn so was – Behindertenwerkstätten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind? Aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs erfahren wir das: In Spanien! Solch ein kommerzieller Behindertenbetrieb fand es nämlich gänzlich ungerecht, dass ein spanischer Auftraggeber ihn aus einem Vergabeverfahren ausschließen wollte, welches Inklusionsbetrieben vorbehalten war. Nach spanischem Recht war das ausdrücklich so vorgesehen: Privilegiert sind nur solche Werkstätten, die gemeinnützig arbeiten. Diese Beschränkung hält der kommerzielle Betrieb für nicht vereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz. Der EuGH gibt dem spanischen Auftraggeber Recht. Der 36. Erwägungsgrund der Vergabekoordinierungsrichtlinie lässt eindeutig erkennen, dass

solche Betriebe begünstigt werden sollen, die am Markt nicht bestehen könnten. Müssten sie mit kommerziellen Inklusionsbetrieben konkurrieren, würde dies eine Verdrängung der am wenigsten leistungsfähigen Mitarbeiter zur Folge haben – das Gegenteil dessen, was mit der Privilegierung beabsichtigt ist. In Deutschland sind solche Betriebe nicht bekannt. Sollen aber z.B. Lieferleistungen an Inklusionsbetriebe vergeben werden, muss bedacht werden, dass sich darauf auch ein kommerzieller spanischer Betrieb bewerben könnte. Im deutschen Recht gibt es keine kodifizierte Beschränkung auf gemeinnützige Bieter wie in Spanien. Eine solche Beschränkung müsste hier in die Vergabeunterlagen aufgenommen werden. EuGH (Urt. v. 06.10.2021, Rs. C-598/19)

► AUFKLÄRUNG

Widersprüche hinterfragen Pflicht kann nicht abgewendet werden Für die Bewachung einer militärischen Liegenschaft sollten die Bieter neben dem durchgerechneten Angebot auch einen Musterdienstplan vorlegen, der Vertragsbestandteil werden sollte. Vorgesehen waren 5 Wachleute pro Schicht. Ein Bieter rechnete in seinem Angebot mit genau diesen 5 Mitarbeitern, hinterlegte im Musterdienstplan jedoch nur 4. Die Vergabestelle schloss das Angebot aus, weil es in sich widersprüchlich war. In den Vergabeunterlagen hatte sie ausdrücklich angekündigt, dass die Dienstpläne auf Schlüssigkeit geprüft würden und unschlüssige Pläne zum Ausschluss führen. So einfach geht das jedoch nicht, meint die Vergabekammer. Ein vermeintlich widersprüchliches Angebot müsse zunächst ausgelegt werden. Das konnte hier nicht zum Erfolg führen. Dann jedoch sei die Aufklärung erforderlich. Da die Kalkulation von fünf Wachleuten ausgeht, bestehe nicht die Gefahr, dass durch die Aufklärung der Angebotsinhalt verändert werden könnte. Ergibt sie, dass vier gemeint waren, erfolgt der Ausschluss, sind fünf gemeint, bleibt der rechnerische Teil des Angebots unverändert. Insbesondere steht die Aufklärung nicht einer Nachforderung von Unterlagen gleich. Eine Nachforderung kann vorab ausgeschlossen werden. Die Aufklärung hingegen ist eine unabdingbare Pflicht, die sich aus dem Wettbewerbsgrundsatz ergibt. VK Bund (Beschl. v. 23.07.2021, Az.: VK 2-75/21)

► STIFTUNG

Kapitalquelle unerheblich Laufende Einnahmen entscheiden Die Auftraggeberin ist eine Krankenhausgesellschaft, die im alleinigen Eigentum einer gemeinnützigen GmbH steht. Letztere wiederum gehört zu 57% einer katholischen Organisation und zu weiteren 43% einer Stiftung. Alle gemeinsam gehören zu einem Verbund einer katholischen Ordensgemeinschaft. Im Zuge eines Nachprüfungsbegehrens eines Bieters stellt sich nun die Frage, ob diese Krankenhausgesellschaft

ein öffentlicher Auftraggeber ist. Ausschlaggebend dafür ist letztlich, ob die 43% Stiftungsanteil zu einer überwiegenden Finanzierung durch eine staatliche Stelle führen. Das Stiftungskapital nämlich war einstmals von der öffentlichen Hand bereitgestellt worden. Die 57% kirchlicher Anteil spielen hingegen keine Rolle, weil die Kirchen selbst keine öffentlichen Auftraggeber sind – ebenso wenig die kirchlichen Orden. Die Stiftung jedoch ist selbst nicht öffentliche Auftraggeberin. Ihr Anteil kann also nicht zu einer überwiegenden staatlichen Finanzierung führen. Bezugspunkt dafür ist nämlich das jeweilige Haushalts- bzw. Wirtschaftsjahr, in welchem der fragliche Auftrag ausgeschrieben wird. Das heißt: Zu beurteilen ist, ob im Jahr der Ausschreibung die zufließenden Mittel zu mehr als 50% aus staatlichen Quellen stammen. Woher frühere Mittelzuflüsse kamen, spielt keine Rolle mehr. Somit sind auch die Umstände der lange zurückliegenden Stiftungsgründung und die Herkunft des Stiftungsvermögens für diese Betrachtung unerheblich. VK Berlin (Beschl. v. 11.12.2020, Az.: VK B 2-54/20)

► UMSATZ

Die Null ist erlaubt Chancen für Newcomer In den Vergabeunterlagen für die Ausführung von Bauleistungen hatte der Auftraggeber das Formblatt 124 – Eigenerklärung zur Eignung – angefordert. Darin wird der Bieter unter anderem angehalten, seine Umsätze der vergangenen drei Geschäftsjahre anzugeben. Dies nahm ein junges Unternehmen rügelos hin und trug wahrheitsgemäß für die Zeit vor seiner Gründung in die jeweilige Zeile die Zahl Null ein. Schließlich kann man vor der Gründung noch keinen Umsatz erwirtschaften. Der Auftraggeber schloss das Angebot aus. Das Formblatt habe gezeigt, dass dem Unternehmen mangels hinreichender Umsätze die Leistungsfähigkeit für den Auftrag fehle. Gegen den Ausschluss wehrt sich der Bieter letztlich vor dem OLG mit Erfolg. Der Vergabesenat klärt den Auftraggeber auf: Allein das Verlangen, eine Umsatzzahl anzugeben darf nicht gleichgesetzt werden mit der Forderung nach einer mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit. Eine solche Deutung lässt sich aus der Gestaltung des Formblattes nicht ableiten. Wenn ein Auftraggeber eine fachliche Eignung durch eine Mindestdauer des Bestehens des Betriebes erkennen will, kann er dies nicht durch die Abfrage der finanziellen Leistungsfähigkeit anhand des Umsatzes tun. Vielmehr muss er dann die Dauer der Geschäftstätigkeit als eigenes Eignungskriterium definieren, bekannt machen und abfragen. Oder er muss jeweils einen Mindestumsatz für die vergangenen Jahre definieren. Weil beides hier unterblieb, war der Ausschluss ungerechtfertigt. OLG Dresden (Beschl. v. 05.02.2021, Az.: Verg 5/20)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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-3211 420

-3211 110

-3211 511

-0361/57 3213-240

Daniel Runge

-3211 510 Wolfgang Kölsch  Innenrevision

Ursula Wilhelm-Hischa 

Julia Belter  Dr. Eva Schauerte  -3211 834

-3211 833

Büro des Ministers und Chefs der Staatskanzlei

Johannes Häfner  Christian Kraft 

Abteilung 3

Referatsgruppe 3B Europa und internationale Angelegenheiten Referat 3B 1 EU-Angelegenheiten; Strukturund Regionalpolitik; EMK;

-3215 300 N.N.

Dr. Oliver Laqua

-3215 240 Bernd Drößler 

-3215 270

Hilke Höhn

-3215 140

Mechthild Schlichting -3218 962 Referat 3B 4 Internationale Angelegenheiten

-3211 520 Christine Holeschovsky -3216 242 Referat 3B 3 Europäisches Informations­ zentrum (EIZ)

-3215 340 Nils Jonas Greiner -3211 470 Dr. Bettina Reinisch Referat 3A 3 Referat 3B 2 Medienwirtschaft und Medien­ Vertretung bei der Europäischen standort Union

Dr. Natascha Füchtner Matthias Hofmann -3215 330 - 3215 333  Referat 3A 2 Entwicklungszusammenarbeit Medienrecht und Medienpolitik

Referatsgruppe 3A Bundesangelegenheiten; Medien Referat 3A 1 Bundes- und länderübergreifende Angelegenheiten; MPK

N.N.  Vertretung:

Bundes-, Europa- und internationale Angelegenheiten; Medien

Malte Krückels

Steffen Thormann 

-3214 231

-3214 812

Anja Mau 

-3214 740

Referat 45 Gedenkstätten; Erinnerungskultur; Landeskunde; Literatur; Bibliotheken; UNESCO-Weltkulturerbe

N.N. 

Christina Halwas  -3214 120 Referat 44 Theater und Musik; Kulturstiftung Thüringen; Rechtsangelegenheiten

Referat 43 Denkmalschutz und -pflege; Archive; Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten; Grundsatz- und Bauangelegenheiten

Jörg Schmid 

Dr. Marita Kasper  -3214 730 Referat 42 Museen; Stiftung Schloss Friedenstein Gotha; Kulturgutschutz; Bildende Kunst und Ausstellungen; Heimat- und Brauchpflege

Elke Harjes-Ecker -3214 710 Vertretung: Dr. Marita Kasper Referat 41 Haushaltsangelegenheiten; Klassikstiftung Weimar; Wartburg-Stiftung; Kulturelle Bildung; Soziokultur; Bauhaus 2019

-3211 852

-3212 700

-3215 950

Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie

nachgeordneter Bereich:

Landesarchiv Thüringen

nachgeordneter Bereich:

Franka Günther

deutsch-französisches Kulturbüro

Büro des Staatssekretärs

Franz-Josef Schlichting 

Kultur und Kunst

-3211 150

Landeszentrale für politische Bildung

Michael Hasenbeck 

Stabsreferat Bürger/-innenanliegen und Landesservicestelle Bürger/-innenbeteiligung; Antidiskriminierungsstelle; Kontaktstelle für Betroffene und deren Angehörige von Terroranschlägen und Amoktaten

Abteilung 4

-3211 850

Staatssekretär für Medien und Europa und Bevollmächtigter beim Bund

Referat 27 Der Beauftragte für Kirchen-‚ Cornelia Schymura -3215 230 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften; ReligionsReferat 26 Bildung, Jugend und Sport; Arbeit, So- und Weltanschauungsangeleziales, Gesundheit, Frauen und Familie genheiten, Staatskirchenrecht

-3215 220 Christoph Eggers  Referat 25 Umwelt, Energie und Naturschutz; Infrastruktur und Landwirtschaft

-3215 210 Sonja Schmidt  Referat 24 Finanzen; Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft

Referat 21 Strategische Planung

-3215 250 Oliver Trumm  Referat 23 Inneres u. Kommunales; Migration, Justiz u. Verbraucherschutz; Integration; Verkündungswesen

-3215 225

Katrin Mehlhorn -0361/573213-220 Referat BLN 3 Finanzen; Wissenschaft und Wirtschaft; Infrastruktur und Landwirtschaft

Jan Lemanski 

Sarah Laubenstein -3215 204 Referat 22 Kabinett; Landtag

Babro Ute Süpfle -0361/57 3213-230 Referat BLN 4 Veranstaltungen; Öffentlichkeitsarbeit; Verwaltung

Kristin Meisel 

-3215 200 Oliver Trumm

Geschäftsstelle für den Wissenschaftlichen Beirat zum Corona-Pande-miemanagement

Ulrich Grünhage Vertretung:

Koordination u. Planung; Religions-u. Weltanschauungsangelegenheiten

Abteilung 2

-3211 840

Dr. Veronika Janßen -0361/57 3213-210 Referat BLN 2 Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie; Bildung; Kultur und Medien; Umwelt, Naturschutz und Energie

Referat BLN 1 Bundesratskoordinierung; Inneres; Justiz, Migration und Integration; Europa

Raimund Grafe  -3213 200 Vertretung: Dr. Veronika Janßen

Dr. Volkmar Schau  -3211 191 Referat 15 Justiziariat; interne Organisation; Datenschutz; Moderne Gesetzgebung

Dr. Claus Muschik  -3211 130 Referat 14 IT; E-Government; E-Akte

Thomas Hirsch  -3211 120 Referat 13 Innerer Dienst; Gebäude- und Liegenschaftsmanagement (Erfurt)

Referat 12 Haushalt; Controlling

Stephan König 

Abteilung BLN

Tina Beer

Staatssekretärin für Kultur**

Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff

Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei*

Vertretung beim Bund

-3211 842

-3211 480

Foto: BS/ Thüringer Staatskanzlei (TSK)

Bodo Ramelow

Ministerpräsident

Büro des Ministerpräsidenten

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Thüringer Staatskanzlei Stand: Dezember 2021

Personelles

* B eauftragter für jüdisches Leben in Thüringen und die Bekämpfung des Antisemitismus ** stellv. Beauftragte für jüdisches Leben in Thüringen und die Bekämpfung des Antisemitismus

-3211 410

-3211 451 Referat PÖ 5 Online-Kommunikation

Bernd Edelmann 

N.N. 

Antje Hellmann -3211 433 Referat PÖ 4 Protokoll und Ordens­ angelegenheiten

Referat PÖ 3 Reden und Grußworte

Heidi Itter 

Marion Wermann  -3211 405 Referat PÖ 2 Öffentlichkeitsarbeit

Referat PÖ 1 Medienservice; Koordination und Kommunikationsplanung; Kommunikation Kulturbereich

Johannes Blasius  -3211100 Vertretung: Stephan König Referat 11 Personal; Personal- und Organisationsmanagement; ressortüber­ greifende Personalangelegenheiten; Dienstrecht und Fortbildung

Abteilung 1

Dr. Regine Ahlert 

Büro der Staatssekretärin

Bärbel Grönegres 

Zentrale Dienste / Moderne Verwaltung

-3211 400 Marion Wermann

-3211 405

Stabsstelle „Tag der Deutschen Einheit (TdDE) 2022“

Marion Wermann 

Presse und Öffentlichkeit

Falk Neubert  Vertretung:

-3211 400

Stellv. Regierungssprecherin

Falk Neubert 

Regierungssprecher

Abteilung PÖ

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Behörden Spiegel / Dezember 2021 Seite 13


Diplomaten Spiegel

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er ca. 24-Millionen-Einwohner-Staat hat mit 36.188 Quadratkilometern die Größe von Baden-Württemberg und damit eben nicht die Bedeutung der 260-mal größeren Volksrepublik. Deshalb macht der Westen unglaubliche Verrenkungen, um mit Taiwan zu kooperieren, ohne dass dies nach Anerkennung aussieht, um ja nicht den Handel mit dem Riesenreich durch einen diplomatischen Wandel mit dem “Kleinen” zu gefährden. Schweigen ist Gold! Nur 15 Staaten, wie z. B. Belize, Guatemala, Haiti, Honduras oder der Vatikan, tun das nicht und unterhalten diplomatische Beziehungen mit dem Inselstaat. Der ist, trotz alledem (oder gerade deshalb), wirtschaftlich ein ganz Großer und Erfolgreicher mit seiner IT-Hard- und Software. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) z.b., zählt neben Intel und Samsung zu den größten internationalen Halbleiterherstellern und ist damit der weltweit größte Auftragsproduzent der Branche.

Wirksamer Impfstoff Der von “Medigen Vaccine Biologics Corp (MVC)” entwickelte Covid-19-Impfstoff “Medigen”, wird von der WHO als wirksam empfohlen. Das heimische Vakzin weist eine starke Immunreaktion auf die Delta-Variante auf, basierend auf einer Technologie, die einen Teil des CoronavirusProteins verwendet, um eine Immunantwort auszulösen, ähnlich wie einem Grippeimpfstoff. Darüber hinaus ist Taiwan einer der größten Hersteller von Fahrrädern (Giant, Merida u.v.m.), baut er Motorräder und Autos.

Taiwanischer “U-Bot” Repräsentant des nur flächenmäßig kleinen, wissenschaftlichaber hochtechnologisch Großen und ökonomisch prosperierenden "Ländles" in Deutschland ist seit August 2016 wieder Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh. Der 66-Jährige bezeichnet sich, trotz des Wirbels um den diplomatischen Status seines Landes, schon mal ironisch als “U-Bot” - UntergrundBotschafter. “Denn in Europa erkennt uns, bis auf den Vatikan, kein Land als souveränen Staat an.”

Über den diplomatischen Vertreter Taiwans Shieh kennt seine “Pappenheimer”, vor allem hierzulande. Er kommt, nach dem Germanistikstudium in Taipeh, 1982 nach Deutschland und promoviert 1987 an der Ruhr-Universität Bochum über Theodor Fontane. Bis vor Kurzem hatte er zu Hause eine Professur für deutsche Sprache und Kultur inne. Er hat eine Vorliebe für unser Land, wo ihn die meisten Diplomaten als gleichwertigen Kollegen betrachten.

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Der Graben wird immer tiefer Ein Gespräch mit dem taiwanischen Botschafter in Deutschland, Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh (BS/ps) Es gibt Jubiläen, wie die 50. Wiederkehr der Verabschiedung der UN-Resolution 2758, da gibt es nichts zu jubilieren. Durch sie wird am 25. Oktober 1971 die Volksrepublik China zur einzigen legitimen Vertreterin des chinesischen Volkes erklärt. Taiwan, bis dahin als "Republik China" sogar Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, wird durch diese "Ein-China-Politik" dort bis heute ausgeschlossen. Eröffnung eines Handelsbüros erlauben. Sein Pendant in Peking wurde ausgewiesen.

Wird es zur Wieder­ vereinigung kommen?

Der taiwanische Botschafter Jhy-Wey Shieh.

Foto: BS/Taiwanische Botschaft

Botschafters Rezept Taiwanische Rindfleisch-Köstlichkeit Zutaten (für 4 Personen): 250 g Rindfleischfilet, 150 g Frühlingszwiebeln (oder Lauch), 20 g Knoblauch, 1 Stück rote Chilischote, Speiseöl Rindfleisch-Marinade: 1 Ei, 1 TL Sojasoße, 1 EL Reiswein (oder Sherry), 1 EL Speisestärke, 1 EL Öl Soße: 1 TL Speisestärke, 1 TL weißer Pfeffer, 1 TL Zucker, 2 EL Sojasoße, 1 TL Balsamico-Essig, 1 EL Reiswein (oder Sherry) 1 EL Wasser, 1EL Sesamöl Zubereitung: Rindfleischfilet in schmale Scheiben schneiden und ca. 20 bis 30 Minuten in die Marinade einlegen. Frühlingszwiebeln klein schneiden, dabei weiße und grüne Teile trennen, Knoblauch und Chili fein hacken. Rindfleisch im Wok oder in einer großen Pfanne bei starker Hitze ganz kurz anbraten, nicht durchbraten! Fleisch herausnehmen und in der Pfanne Speiseöl, Knoblauch und weiße Teile der Frühlingszwiebeln kurz anbraten, dann Chili und grüne Teile der Frühlingszwiebeln dazugeben. Abschließend Rindfleisch und fertig angerührte Soße in die Pfanne geben und kurz schwenken. Mit Reis servieren. Guten Appetit!

Gemeinsame Geschichte, große Unterschiede “Es ist bei einigen allerdings beim “Betrachten” geblieben und nicht zum “Behandeln” gekommen. Manche zieren sich mitunter, wie “weit sie Letzteres sollen, ohne den Groll Pekings zu erregen”. Was in der Ära von Staatspräsident Xi Jinping schnell der Fall sein kann. So droht dieser immer unverhohlener, die Wiedervereinigung mit Taiwan, einem seit 1987 demokratischen Nationalstaat, notfalls mit Gewalt zu vollziehen. Dass dieser Status im Friedensvertrag von San Francisco 1952 ein Selbst -bestimmungsrecht beinhaltet, ob man zur Volksrepublik China gehören möchte oder nicht, ist in Peking natürlich nicht sehr relevant. So fliegt man dort provokative Luftmanöver vor dem ge-

rade mal 180 Kilometer entfernten “abtrünnigen Formosa”. Professor Shieh erinnert das an Goethes “Erlkönig-Ballade”: “Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt. Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. “Ja, die Zahl der Vorfälle wächst. Fast täglich dringen chinesische Kampfjets in unseren Luftraum.” In der ersten Woche des Monats Oktober war es eine Rekordzahl von 149 Maschinen. Eine Machtdemonstration Pekings als Antwort darauf, weil unsere Regierung zuvor erklärt hatte, dem pazifischen Handelsbündnis CPTPP (dem Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam angehören) beitreten zu wollen.” Selbst das geopolitisch freundlich-friedliche Litauen bekam sein “Fett” ab, als es wagte, Taiwan im Juli die

Seit 72 Jahren gibt es zwei chinesische Staaten: die kommunistische Volksrepublik und die Republik China, die offiziell so heißt, aber international bekannt ist unter dem Namen der Insel, auf der sie liegt: Taiwan. Foto: BS/xtock, stock.adobe.com

Vor einigen Jahren wurde Shieh in diesem Zusammenhang noch gefragt, ob es eine gewaltsame Wiedervereinigung mit Festlandchina gäbe. In letzter Zeit heißt es anstatt “ob” aber immer öfter “wann”? “Die meisten Taiwaner sehen die militärischen Drohungen mit wachsender Unruhe bzw. Angst, aber auch mit Verärgerung und Unmut. “Wir fühlen uns von China in jeder Hinsicht in die Enge getrieben und der Graben zwischen uns wird immer tiefer und breiter als die Taiwanstraße, die mein Land von China glücklicherweise trennt.” Die Taiwaner fürchten, dass Peking einen Angriffsgrund suchen könnte, um so von seiner innenpolitischen Misere, wie z.B. einem starken Wirtschaftsabschwung oder einer Krise der Sozialsysteme, abzulenken. “Das wäre dann der Klassiker, die Aufmerksamkeit auf einen äußeren Feind zu lenken."

Unterstützung aus den USA Derweil lenken die USA wiederholt Kriegsschiffe in den Indopazifik und die Taiwanstraße und sichern ihrem Verbündeten in Taipeh militärische Unterstützung im Falle eines chinesischen Angriffs zu. Auch Großbritannien und Frankreich engagieren sich bereits militärisch in der Region, ebenso wie Australien und Japan, damit China seine autoritäre Herrschaft nicht über das gesamte Südchinesische Meer ausdehnt. Es geht dabei um mehr als bloße Symbolik, denn die Sicherheit der Seewege in diesen Gewässern garantiert die Staatsinteressen einer jeden Exportnation wie u.a. den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. “Deutschland hat, im Rahmen der von den USA angeführten Indo-pazifischen Strategischen Allianz und aufgrund der Leitlinien zum Indopazifik des Auswärtigen Amts, das Schlachtschiff Bayern gerade in das Seegebiet entsandt, das China zu 80 Prozent zum eigenen maritimen Staatsgebiet erklärt hat. Das bringt der Bundesrepublik Ärger ein. Die Chinesen sollen damit leben müssen, dass man ihnen nicht immer zu Willen sein kann. Ich möchte mein Gastland mit einem sehr schönen Gedicht von Heinrich Heine trösten: “Das Fräulein stand an

den Meeren Und seufzte lang und bang Es rührte sie so sehre Der Sonnenuntergang Mein Fräulein! Sein Sie munter das ist ein altes Stück Hier vorne geht sie unter Und kehrt von hinten zurück."

“Si vis pacem para bellum” “Das alles bedeutet aber noch lange nicht das Ende der Welt, wenn sich die Chinesen über das Entsenden einer deutschen Fregatte, eines französischen UBootes oder gar eines britischen Flugzeugträgers ins Südchinesische Meer aufregen. Glauben Sie mir, wenn es sich wiederholt, wird China sich daran gewöhnen. Jedoch sind wir auch bereit, uns gegen jede mögliche Attacke aus China zu bewaffnen - weil wir Frieden wollen. Also: “Si vis pacem, para bellum” (wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor). Allerdings hörte es sich merkwürdig an, wenn ich sagen würde: "Taiwan baut U-Boote, um sich über Wasser zu halten."

Vorreiter in Asien Letzteres tun sie auf der “Ilha Formosa”, wie die portugiesischen Entdecker um 1550 die “Schöne Insel” nannten. Taiwan ist dadurch und durch sein wechselvolles historisches Schicksal in vielerlei Hinsicht anders zu charakterisieren als andere Länder Asiens. Vor allem toleranter. “Wir haben […], so Professor Shieh, als erstes asiatisches Land im Mai 2019 die Ehe für alle eingeführt. Diese Toleranz lässt sich meiner Ansicht nach darauf zurückführen, dass sich die Taiwaner im letzten Jahrhundert ständig mit der Identitätsfrage beschäftigt haben, sodass man in der Lage ist, mehr Verständnis aufzubringen, auch für die Frage, “Bin ich ein Mann, eine Frau, beides oder doch dazwischen?”. Dabei spielen Grenzerfahrungen mit Fremdherrschaft auf der Insel, ob durch Niederländer, Spanier, Chinesen oder Japaner ebenso wie die teilweise reumütige Selbstreflexion der vom chinesischen Festland Übergesiedelten gegenüber den Ureinwohnern eine Rolle. Taiwan ist ein Leuchtturm der Toleranz und Freiheit nicht nur für die chinesische Gesellschaft in Asien, sondern insgesamt ein kleines, aber wichtiges Vorbild für die Region.”

Endpunkt Duisburg Eher kritisch sieht Taiwans Frontmann Shieh in Berlin das Megaprojekt “Neue Seidenstra-

ße”, welches nach 11.000 Kilometern durch 65 Länder im Duisburger Hafen endet. “Das geopolitisches Projekt Chinas bringt einigen Regionen der Welt mehr Wohlstand, aber eigentlich zielen die Chinesen darauf ab, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu schaffen und größtmögliche Vorteile für sich zu erreichen. China beschwört einen Kolonialismus des 21. Jahrhunderts herauf. Und gibt man dem Teufel den kleinen Finger, nimmt er bekanntlich die ganze Hand und auch Deutschland sollte auf der Hut sein, jedenfalls nicht voreilig den Hut davor ziehen." Fast sechs Jahre ist Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh als “Repräsentant” Taiwans in Deutschland tätig, eloquent, kompetent, sensibel, wortgewandt und ohne vorauseilenden Gehorsam diplomatisch. Chapeau!

Problemat, Diplomat Doch er wird übersensibel. Als er vor einem Hotel wartete und ihn der Portier fragte: “can I call you a taxi?” Antwortete er treffend, aber spitz: “No, you call me ambassador!”. “Nein, ich bin mir der gewichtigen Rolle des chinesischen Absatzmarktes für Deutschland bewusst. Daher tue ich lediglich mein Bestes, damit Taiwan als ein Leuchtturm der Freiheit und Demokratie im chinesischen Kulturkreis hierzulande anerkannt wird. Dann würden die Deutschen mit mir in einem Boot sitzen und ich nenne mich dann “Bootschafter von Taiwan”. Ich wünsche mir insgesamt aber ein friedliches China, wo die Menschen frei sind, wie sie es auch verdienen. Andererseits aber kann ich nicht umhin, die Demokratisierungsbewegung der Chinesen, der Hongkonger, der Tibeter, der Uiguren, ja, der Mongolen zu unterstützen, wo es geht, und zwar öffentlich. Und ich weiß, die chinesische Botschaft hat sich diesbezüglich schon mehrmals beim Auswärtigen Amt über meine Auftritte beschwert und mich beschuldigt, u. a. Taiwans Unabhängigkeit betrieben zu haben. Ich pfeife aber einfach darauf und bin in diesem Fall lieber ein Problemat als ein Diplomat, denn ich bin der festen Ansicht, dass es nicht von Chinas Interpretation abhängen soll, ob Taiwan ein unabhängiger Staat sei oder nicht. Hauptsache, wir Taiwaner sind freie Menschen. Wir wollen sorgenfrei sein und nicht vogelfrei. Und, wäre vielleicht noch anzufügen, “Sie hassen nicht die Könige, sondern den Druck, den sie mit sich führen" – wie schon Theodor Fontane 1848 in einem Brief an seinen Freund Bernhard von Lepel schreibt.”

Eine Flagge, die auf einer nicht anerkannten Insel weht: Die Taiwanische Flagge ist rot mit einer weißen Sonne auf blauem Grund im oberen linken Viertel. Foto: BS/yaophotograph; stock.adobe.com


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2021

Das richtige Ziel, der falsche Weg Warum Mobilfunkstrategien von Kommunen und Landkreisen nur begrenzten Erfolg haben (BS/Jörn Fieseler) Viele Städte und Gemeinden gerade im ländlichen Raum kennen es: Das Mobilfunknetz soll verbessert, neue Masten sollen aufgebaut werden. Möglichst viele Menschen sollen Zugriff auf das Netz haben und parallel möglichst wenig von der Strahlung beeinträchtigt werden. Doch sobald die Standortsuche konkreter wird, mehren sich die Stimmen gegen den Aufbau. Zu groß ist die Angst vor negativen Auswirkungen der Strahlung, wenn auch unbegründet. Mit eigenen Mobilfunkstrategien oder Funkbedarfsplänen versuchen Gebietskörperschaften, den Bau zu beeinflussen. Besser nicht. Im baden-württembergischen Hohenfels im Landkreis Konstanz hat der Gemeinderat im Sommer ein Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem Ziel, analog zum Kindergarten- oder Schulbedarfsplan einen sogenannten Funkbedarfsplan zu erstellen. Die Gemeinde will im Sinne ihrer Bürger eine aktive und strukturierende Rolle einnehmen, indem sie klare Standorte für die Aufstellung von Mobilfunkmasten in einem Teil ihres Gebietes benennt. Auf dieser Grundlage wolle man mit den Mobilfunkbetreibern in einen Dialog treten. So hoffen die Mitglieder des Gemeinderates, die Standortsuche zu beeinflussen, bevor sich die Netzanbieter für private Grundstücke als Flächen entscheiden und damit der Einfluss der Gemeinde stark eingeschränkt werde.

Kraus empfiehlt den Kommunen, die Netzbetreiber während des Suchkreis-Verfahrens zu Bürgerversammlungen und anderen Informationsveranstaltungen für die Einwohner einzuladen, damit diese die funktechnischen Fakten und die Konsequenzen bei Standortverschiebungen erläutern könnten.

Keine Auswirkungen ­festgestellt

Das beste Netz bei gleichzeitig geringer Strahlung: Bei der Standortsuche von Sendemasten sollten Kommunen sich an den Netzbetreibern und deren technischen Anforderungen orientieren und weniger mit eigenen Konzepten agieren. Foto: BS/bluedesign, stock.adobe.com

Jennifer Pohl von der Deutschen Telekom.

wie auf allen übrigen Schienenwegen.

Versorgungsauflagen des Bundes beachten

Zielkonflikte und Suchkreise

Zugleich sind die Netzbetreiber

Gestaltungswille versus funk- an die zweistufigen Versorgungstechnische Anforderungen auflagen des Bundes gebunden. Das Beispiel zeigt den Gestaltungswillen der Akteure vor Ort beim Netzausbau und verdeutlicht zugleich das Dilemma, in dem sich Kommunen befinden. Der Ausbau der Mobilfunknetze ist für die Betreiber mit zahlreichen Anforderungen belegt. Generell haben die Unternehmen den Auftrag, ein Netz bereitzustellen und zu betreiben, über das das Datenvolumen der Verbraucher transportiert werden kann. Allein in den letzten zwei Jahren ist die Anzahl der aktiven SIM-Karten von 107 Millionen im Jahr 2019 auf derzeit rund 137 Mio. gestiegen. Im Schnitt besitzt jeder Bundesbürger damit 1,7 aktive Karten. Pro Karte werden durchschnittlich 3,08 Gigabyte Daten genutzt, rund zwei Stunden telefoniert sowie fünf SMS pro Karte versendet, erläutert

Bis Ende 2022 müssen 98 Prozent der Haushalte in jedem Bundesland, sämtliche Bundesautobahnen sowie die Schienenwege mit mehr als 2.000 Fahrgästen pro Tag mit 100 Mbit/s pro Sekunde versorgt werden. Zudem dürfe es bei den Bundesautobahnen nur eine Latenz von maximal zehn Millisekunden geben. Hinzu komme die Verpflichtung, in diesem Zeitraum 1.000 5GBasisstationen zu errichten, davon 500 mit mindestens 100 Mbit/s in den sogenannten “weißen Flecken”. In einer zweiten Stufe sind bis Ende 2024 alle Bundesstraßen so auszustatten wie in der ersten Stufe die Bundesautobahnen. Auf sämtlichen Land- und Kreisstraßen muss eine Netzqualität von 50 Mbit/s verfügbar sein, ebenso in den Seehäfen und dem Kernnetz der Wasserstraßen so-

Anhand dieser funktechnischen Anforderungen planen und bauen die Betreiber ihre Netze aus und suchen neue Standorte. Aktuell gibt es rund 73.000 Mobilfunkmasten in Deutschland. “Wir sind daran interessiert, anständige Lösungen zu bekommen, mit so wenig Masten wie möglich”, unterstreicht Pohl. Das Verfahren für den Bau neuer Mobilfunktürme beginne anhand der funktechnischen Planungen mit der Definition eines Suchkreises. Dieser werde den Kommunen mitgeteilt. Binnen 30 Tagen könnten diese entscheiden, ob sie sich an dem Verfahren beteiligen möchten. Daran schließe sich eine 60-tägige Frist an, in der alternative Standortwünsche mitgeteilt werden könnten, die innerhalb von 15 Tagen durch die Netzbetreiber zu prüfen seien. “Als Netzbetreiber mache ich keine Stadtentwicklung”, sagt Pohl. Aus der Aussage hört man he­raus, dass Kommunen sich an der Planung von Mobilfunkmas-

ten zwar beteiligen, sich aber an den Anforderungen der Netzbetreiber orientieren sollen.

Keine rechtliche Handhabe Unterstützung erhält Pohl von Stefan Kraus: “Holen sie sich die Konflikte über die Standortwahl nicht ins Rathaus”, rät der Leiter des Referats Bauordnungsrecht im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Verkehr und Bauen, und erteilt den Funkbedarfsplänen eine klare Absage. Denn die Einflussmöglichkeiten der Kommunen seien im Endeffekt gering. Aus dem Baurecht heraus gebe es kaum eine Möglichkeit, den Bau von Mobilfunkmasten zu verhindern. Allenfalls in Naturschutzgebieten sei dies denkbar. Ansonsten könnten die Kommunen nur darauf hinwirken, dass der Standort verschoben werde. Im Gegenzug könne der Netzbetreiber in diesen Fällen Schadensersatzforderungen stellen, wenn er dadurch gezwungen werde, mehr Masten zu bauen als nach einer funktechnischen Planung nötig seien. Hierfür fehle in den Kommunalverwaltungen die Expertise.

Gleiches gelte übrigens für die Einbeziehung von Strahlenschutzexperten, etwa aus dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Das Amt untersucht seit Jahren die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlen auf den Menschen. Fazit nach mehr als zehn Jahren Forschung: “Kein positiver Wirkmechanismus konnte bisher bestätigt werden”, erläutert Dr. Gunde Ziegelberger, Leiterin des Kompetenzzentrums elektromagnetische Felder beim BfS. Für die vier Mobilfunkstandards mit dem Frequenzbereich von 700 bis 3,7 Megahertz (Mhz) seien gesundheitlich relevante Wirkungen und schädliche Langzeitwirkungen am Menschen durch die Strahlung bisher nicht wissenschaftlich belegt. Allerdings beruhten die Erkenntnisse auf der Nutzung von Smart­phones am Kopf. Die Strahlung von Basisstationen sei noch nicht untersucht worden. Auch, weil diese als nicht relevant eingeschätzt werde, nachdem die direkte Strahlenquelle am Kopf keine negativen Auswirkungen zeige. Zudem würde sich am 5G-Standard nur dahingehend etwas ändern, dass ein höherer Frequenzbereich genutzt werde. Aber: Je höher die Frequenzen, desto geringer die Eindringungstiefe der Strahlen beim Menschen, so die Wissenschaftlerin abschließend.

KNAPP Kommunen im neuen Koalitionsvertrag

(BS/mj) Der Koalitionsvertrag aus SPD, Grünen und FDP strebt “engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen an” und verspricht, “die Erfahrungen und Erfordernisse von Ländern und Kommunen bei der konkreten Gesetzesausführung zu berücksichtigen”. Laut Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster, Präsident des Deutschen Städtetages, enthält der Koalitionsvertrag “zahlreiche positive Impulse für zukunftsfähige Städte”. Man freue sich über geplante Investitionen in bezahlbare Wohnungen und für den Klimaschutz, über die Stärkung öffentlichen Nahverkehrs, Digitalisierung, Kindergrundsicherung und die Entscheidung, dass die Lösung des kommunalen Altschuldenproblems im Verbund mit den betroffenen Ländern gelöst werden soll. Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), sieht viele wichtige Ziele Im Koalitionsvertrag beschrieben, die konkrete Umsetzung – insbesondere die nachhaltige Finanzierung – sei allerdings zu vage. “Es bleibt zu hoffen, dass die Ampel die Leistungsfähigkeit unseres Staates und der Wirtschaft nicht überschätzt hat”, merkt er an. Das Bekenntnis zu Zukunftsinvestitionen unter Berücksichtigung des hohen kommunalen Investitionsbedarfs sei positiv zu bewerten und erkenne die Notwendigkeit leistungsstarker und handlungsfähiger Kommunen an, fährt Landsberg fort und meint abschließend: “Wir erwarten, dass entsprechend der Ankündigung im Koalitionsvertrag die Kommunen nicht an den Katzentisch verwiesen werden, sondern ihren entscheidenden Beitrag zur Neugestaltung unseres Landes leisten können.” Weiteres hierzu finden Sie auf den Seiten 22, 24 und 32 in dieser Ausgabe.

→ 22.–23. Februar 2022

Tag der Beteiligungsverwaltung Vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern

DER Treffpunkt für das Beteiligungsmanagement, öffentliche Unternehmen, Politik und Aufsichtsrat Weitere Informationen zur Veranstaltung sowie Online-Anmeldemöglichkeit unter: www.beteiligungsverwaltung.org


Kommunalpolitik

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ch war Mitglied in einer Partei, die schon seit 60 Jahren in Blankenheim den Bürgermeister stellte. Diese Partei wollte im Jahre 2009 ihren Weg ohne mich und mit ihrem Vorsitzenden als neuen Bürgermeisterkandidaten gehen. Als unabhängiger amtierender Bürgermeister mit einem kleinen Unterstützerkreis sollte gegen eine schier übermächtige Parteienmaschinerie das bisher Unmögliche geschafft werden. Nach wie vor war Wesenskern meiner Wahlkampagne das analoge Haustürgespräch. Ich nannte es damals Verhandlungen, um mit den Wählerinnen und Wählern meinen Fünf-JahresVertrag verlängern zu dürfen. Eine neue digitale Kommunikationsform erschloss sich für mich. Ich setzte mich mit wkw auseinander. Immer mehr meiner Bekannten vernetzten sich mit dieser Plattform, zuerst viele junge Menschen, nach und nach wurde wkw aber auch von vielen Mid- und Best Agern genutzt. War das Netzwerk tatsächlich nur eine Singlebörse, wie so oft behauptet wurde? Würde es meinem seriösen Ansehen in der Gemeinde schaden? Das war die spannende Frage.

Erfolgsbaustein für die Wahl Der Bürgermeister von Blankenheim wagte den damals viel beachteten Schritt und war plötzlich im Sozialen Medium wkw. Die Bürger/-innen, die eventuell deshalb empört sein könnten, bekamen das gar nicht mit. Und die, die bereits in wkw waren, fanden das “cool”. Über 2.000 “Freunde” hatten sich mit mir verbunden, die meisten aus der Gemeinde und bei einer gewöhnlichen Zahl von rund 5.000 Wählern sicherlich nicht eine zu vernachlässigende Größe. Wkw war für einen Hauptverwaltungsbeamten zur damaligen Zeit sicherlich eine exotische Wahlkampfwaffe. Es war eine einfache Rechnung: Mit ein paar Klicks, Fotos, kurzen Videos und Texten werden tausende Menschen erreicht, gleichzeitig und unabhängig von Ort und Zeit. Kein Kommunikationsinstrument kann hier mithalten. Natürlich machte ich mir das zunutze; wkw war 2009

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Nicht nur auf die digitale Karte setzen

2009 hatte meine Interaktion mit wkw sicherlich einen kleinen Sensationscharakter. Aktuell grenzen sich eher diejenigen vom Mainstream ab, die sich bewusst von den Sozialen Medien distanzieren. (BS/Rolf Hartmann) Kennen Sie noch das Portal “wer-kennt-wen” (wkw)? Es war das deutsche “Facebook”, im Jahre 2006 gegründet. Bis dahin war Heutzutage ist ja fast jede Person die Welt eines Bürgermeisters noch analog und in Ordnung. Man kam mit der eigenen Bevölkerung auf dem Marktplatz ins Gespräch oder eben beim in der Politik mehr oder weniger Metzger. Auch in meinem ersten Wahlkampf im Jahr 2004 setzte ich auf den persönlichen Austausch mit der Bevölkerung. Alle 3.800 Haushalte der erfolgreich in den Sozialen Medien Gemeinde Blankenheim wurden besucht. unterwegs. Es ist nichts Außergewöhnliches mehr und verliert politischer Partizipation schaffen zu Bordmitteln konnten die Bürger seinen Reiz. Hier wirken in großen können. Doch leider lassen sich nur informiert werden. Gerade in Kri- Teilen Gewöhnungseffekte. Wenn wenige Menschen aktiv beteiligen. senzeiten – wie in der aktuellen Sie zu Weihnachten von Freunden Es sind vor allem Personen, die in Pandemiesituation – leisten die eine Postkarte und ausnahmsweise der Gemeinde nicht gerade durch Sozialen Medien einen wertvollen keine dieser inflationären digitalen gesellschaftliches Engagement auf- Beitrag zur schnellen und unmit- Grüße erhalten, dann werden Sie fallen, die Diskussionen emotional telbaren Information in der Krisen- sich über diese Karte besonders freuen. Auch die Kommunikation und konfrontativ in Social Media kommunikation. Doch der Ton in den Sozialen mit der Bürgerschaft verlangt inführen. Nicht selten laufen diese auf unterirdischem Niveau. Die Medien wird immer rauer. In dieser dividuelle Empathie. Gerade weil vernünftige und schweigende Mehr- Entwicklung steckt viel Brisanz. unsere Welt immer anonymer und heit der Bevölkerung ist von sol- Nicht nur bekannte Politiker/innen digitaler wird, kommt dem analochen Auseinandersetzungen eher sind hiervon betroffen. Eine Befra- gen Gespräch eine immer größer genervt. Jeder kann ja schreiben, gung unter Bürgermeister(inne)n werdende Bedeutung zu. Die Menwas er denkt, ob dies richtig oder in Baden-Württemberg zeigt auf, schen haben regelrecht Sehnsucht Trotz aller Hetze und Verrohung, Soziale Medien sind eine Art Frühwarnsystem, falsch ist. Leider werden die Sozi- dass solche Anfeindungen auch nach analoger Geborgenheit und meint Rolf Hartmann. Heimat. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay alen Medien immer mehr Ort für Hetze, Soziale Medien sind lediglich ein zusätzlicher Kommunikationskaein Erfolgsbaustein für das Wahler- darum kümmern konnten. Häufig Beleidigungen und nal, nicht mehr und nicht weniger. gebnis mit über 80-prozentiger Zu- war das Problem gelöst, bevor der Falschmeldungen. Sie werden überschätzt und haben stimmung bei drei Mitbewerbern. öffentliche Hype entstehen konnte. Die Chancen für eiRolf Hartmann war von 2004 für Bürgermeister/-innen nicht die Der Austausch mit den Bürgern ne effektivere Bürbis Ende Oktober 2020 Bürunterliegt schon seit langer Zeit Authentische Inhalte posten gerbeteiligung und herausgehobene Funktion wie so oft angenommen. Deshalb empfehund Corona-unabhängig einem Facebook hat heute als Plattform Unterstützung von germeister der Gemeinde Blankenheim. Foto: BS/privat le ich Kommunalpolitikern, nicht Wandel. Die Bedeutung klassischer für jüngere Nutzer an Attraktivität Entscheidungen nur auf die digitale Karte zu setzen. Medien wie der Tageszeitung sinkt verloren. Junge Menschen nutzen sind also begrenzt. Sie sollten in naher Zukunft wieder leider. Immer mehr Menschen in- Messenger-Dienste, danach folgt Ich muss zugeben: formieren sich über die Sozialen Instagram. Das hat auch direkt Dies war schon ein so viele “Türklinken” wie möglich Medien. Die Pandemie hat diesen Bedeutung für kommende Wahl- ernüchternder Be“putzen”; jedenfalls sobald es CoProzess beschleunigt. kämpfe. Von Jahr zu Jahr sinken fund für mich. rana wieder erlaubt. Soziale Medien gibt es heute viele: die Chancen, zukünftige Wählerinauf kommunaler Ebene immer Wkw verschwand im Jahre 2014. nen und Wähler über Facebook zu Wertvoller Beitrag in mehr gang und gäbe sind. Mehr ­Krisenzeiten Ich wurde nun User von Facebook. erreichen. Bürgermeister/-innen als die Hälfte aller Befragten haben Neue Portale entstanden: beispiels- sind gut beraten, sich immer mehr Dennoch gibt es viele Chan- bereits persönliche Anfeindungen Mehr zum Thema weise YouTube, Twitter, Instagram mit der Nachfrageseite auseinan- cen: Man kann die immer grö- in den Sozialen Medien erlebt. Und und TikTok. Auch die Gemeinde derzusetzen. Natürlich muss man ßere Zahl der Nichtzeitungsleser dennoch lässt sich auch damit zuDen Umgang mit den Sozialen Blankenheim schaltete eine pro- in der Kommunalpolitik nicht auf schnell und virtuell erreichen. nächst souverän umgehen, solange Netzwerken thematisiert der fessionelle “Facebook-Seite”. Es TikTok sein. Man sollte nur die Mandatsträger(inne)n begegnen eine rote Linie nicht überschritten Autor in seinem Webinar für neu gewählte Bürgermeister/-innen, war der erste Social-Media-Auftritt Kanäle nutzen, für die man au- ihren Bürger(inne)n sozusagen auf wird. So habe ich die Kommentare “Neu im Amt”, ab dem 25. Januar einer Kommune im Kreis Euskir- thentisch Inhalte posten kann. einer Augenhöhe, die Bürgernähe nicht gelöscht, die Community hat 2021. chen. Viele meiner Amtskollegen Fotos und Videos werden immer wird digital. Mit Facebook wurde das meistens selbst geklärt und scheuten den Aufwand und das wichtiger. Nur zu “texten” geht in ich vom Nachrichtenwert der lo- sich rasch hinter den BürgermeisInformationen und Anmeldung der Vielzahl der Contents unter. Mit kalen Presse relativ unabhängig. ter gestellt. Mit der Zeit bekommt Risiko. unter www.fuehrungskraefte-­ Gerne war ich persönlich stil- der Story-Funktion können auch Häufig griffen sogar Presse, Funk man auch ein Gespür dafür, was forum.de, Suchwort “Neu im Amt” ler Leser in den verschiedenen ganze Geschichten multimedial und Fernsehen von mir gepos- einen Shitstorm auslöst und ungemeindespezifischen Gruppen. erzählt werden. Somit werden viel tete Themen auf. Mit einfachen terlässt es einfach. Dies war so eine Art “Frühwarn- mehr Inhalte transferiert als in eisystem”. Ehe eine Angelegenheit nem gewöhnlichen Post. Und nicht zu eskalieren drohte, wurde ein nur hier gilt: Qualität ist besser als Screenshot über eine Diskussion Quantität. Ich hatte gehofft, mit an die Fachleute im Rathaus ge- Social Media gute Rahmenbedinsandt, damit diese sich rechtzeitig gungen für direkte Demokratie und

Social Media für Kommunalpolitiker/-innen

Ohne Strategie geht nichts

Social-Media-Einsatz in der Kommunalpolitik und -verwaltung

Wir stehen erst am Anfang Erfolgreiches Talentmanagement in Zeiten des Fachkräftemangels

(BS/Matthias Lorenz) Um Soziale Medien kommt heutzutage keiner mehr herum, schon gar nicht Personen des öffentlichen Lebens, aber auch Organisationen nicht. Deswegen ist es unerlässlich, dass sich auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Kommunen mit der Nutzung von Sozialen Medien beschäftigen. Aber: Eine professionelle Bespielung Sozialer Medien ist ohne eine entsprechende Strategie nicht möglich. Dies betont zum Beispiel Silke

hohen Ressourcenaufwand. Dies

seinem jungen Publikum auch

Sozialen Medien erreicht, manche sogar nur über bestimmte Kanäle. “Die Stadt hat sich von Anfang an verschiedene Dinge angeguckt. Zum Beispiel ging es darum, welche Kanäle es überhaupt gibt und welche Zielgruppen dort unterwegs sind”, erklärt Lenz. Am Ende des Prozesses stand eine Social-Media-Strategie, für deren Erarbeitung man sich in Essen rund ein Jahr lang Zeit genommen hat. Auch eine Probephase wurde durchgeführt. 2014 startete man dann mit der eigenen Präsenz in den Sozialen Medien. Momentan werden vier Kanäle bespielt: Facebook, Instagram, Twitter und YouTube. Diese vier Kanäle bespielte die Stadt nicht alle mit denselben Inhalten, so Lenz weiter. Vielmehr würden die Inhalte an die einzelnen Plattformen und Zielgruppen angepasst. Auf Instagram komme beispielsweise die “Story”-Funktion sehr gut an, auf YouTube seien es unter anderem kurze animierte Filme zu Verhaltensregeln in der Corona-Pandemie gewesen. Ein weiterer Vorteil für die Stadt bei der Nutzung von Sozialen Medien: Informationen können auch mehrsprachig verbreitet werden.

zialen Medien ja auch Feedback von den Userinnen und Usern, zum Beispiel in Form von Kommentaren, bekomme, sagt Lenz. “Dafür braucht man einfach eine gewisse Manpower.” In der ehemaligen Bergbau-Hochburg arbeiten deswegen vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vollzeit im Schichtdienst, um die Kanäle der Stadt an 365 Tagen im Jahr zu pflegen. Es gibt einen Redaktionsplan und Freigabeschleifen, außerdem gilt das Vier-AugenPrinzip. Darüber hinaus bewertet die Stadt Essen kontinuierlich, wie sich Kanäle und Zielgruppen wandeln und ob die Stadt auf neuen Kanälen aktiv werden muss. So wird Facebook von jüngeren Menschen inzwischen deutlich weniger genutzt, dafür wachsen andere Plattformen wie TikTok rasant. “Über TikTok kann man viele Botschaften senden, die man auf anderen Plattformen nicht platzieren kann”, erläutert Matthias Beer, Bürgermeister der Marktgemeinde Beratzhausen in Bayern und auch bekannt als der “TikTokBürgermeister” (siehe Behörden Spiegel, Juni 2021, Seite 17). In kurzen Videos präsentiert er sich auf der Plattform meist witzig, manchmal auch selbstironisch. Zwar tritt Beer dort als Privatperson auf, trotzdem möchte er

erinnen und Zuschauern ein anderes Bild eines Bürgermeisters geben”, so Beer. Dieses sei zum Beispiel in Geschichten für Kinder oftmals negativ. Auch wolle er die Jugend an die Politik heranführen.

(BS/Julia Schwick) Der Fachkräftemangel ist längst Realität in den Rathäusern und wir stehen erst am Anfang Lenz, Pressesprecherin der Ruhr- liege nicht zuletzt daran, dass etwas vermitteln, vor allem zwei der Entwicklung. Wie kann das Personalmanagement öffentlicher Verwaltungen dennoch ein erfolgreiches pott-Metropole Essen. Bestimmte man auch berücksichtigen müs- Kernbotschaften: “Zunächst Finden und Binden von Fach- und Führungskräften sicherstellen? Zielgruppen würden nur über die se, dass man auf Beiträge in So- möchte ich meinen Zuschaune Profil geschärft und ausgeprägt werden. Die ArbeitgeberJulia Schwick ist Wirtschaftspsychologin, M.Sc., und armarke soll potenbeitet als Beraterin beim zfm zielle Bewerberin– Zentrum für Managementnen und Bewerber und Personalberatung. anziehen und ihnen signalisieren, Foto: BS/privat wofür die Verwaltung als Arbeitgeberin steht, welIn diesem Zusammenhang sind che Ziele sie verfolgt und was sie insbesondere die folgenden drei einzigartig macht. Nach außen kann die Arbeitgebermarke über Fragen relevant: 1. Wie positionieren wir uns als eine Karriereseite, Social-Mediaattraktiver Arbeitgeber? Kanäle oder auch Hochschulmar2. Wie binden wir Potenzialträ- keting sowie Veranstaltungen gerinnen und -träger? kommuniziert werden. Aber auch 3. Wie finden wir passende Fach- bereits bestehenden Mitarbeitenden sollte transparent gemacht und Führungskräfte? werden, was den Arbeitgeber Aufbau einer Arbeitgebermarke ausmacht und was er für seine Um sich als attraktiver Arbeit- Mitarbeitenden leistet. geber zu positionieren, ist der Aufbau einer Arbeitgebermarke Bindung von Potenzialträgern unerlässlich. Es gilt, sich über eiUm Potenzialträger zu binden, gene Stärken bewusst zu werden müssen diesen individuelle Karund diese nach außen zu kom- rierepläne aufgezeigt werden. Für munizieren. Die Arbeit für das die Identifikation und systemaGemeinwohl ist hierbei das Al- tische Entwicklung von Fühleinstellungsmerkmal des öffent- rungsnachwuchskräften bieten lichen Sektors. Darüber hi­naus sich Potenzialanalysen an. Es bieten öffentliche Arbeitgeber gilt zudem, auch Nachwuchsvielfältige Aufgaben, flexible Ar- kräften, die keine Führungsbeitszeitmodelle und nicht zuletzt funktion anstreben, alternative eine hohe Arbeitsplatzsicherheit. Karrierechancen aufzuzeigen (z. Auf dieser Basis kann das eige- B. Expertenlaufbahnen).

Darüber hinaus ist die Erhaltung der Arbeitszufriedenheit und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden essenziell. Mögliche Maßnahmen hierfür sind motivationsfördernde Arbeitsbedingungen, regelmäßige Mitarbeitendengespräche, die Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Arbeitsort, aber auch die Implementierung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Finden von geeigneten ­Kandidaten Personalmarketing und Recruiting müssen dort stattfinden, wo Kandidaten sind: In Fachverbänden oder an Hochschulen, über fachspezifische Online-Medien sowie nicht zuletzt in Karrierenetzwerken und Sozialen Medien. Um den Bewerberkreis zu erweitern, bietet sich zusätzlich die direkte Ansprache potenziell geeigneter Kandidaten an, beispielsweise mit Unterstützung einer externen Personalberatung. Abschließend gilt es nicht zuletzt, den Bewerbungsprozess zu optimieren: Schnelligkeit, Transparenz und ein verbindlicher Kontakt bilden das Fundament für einen erfolgreichen Auswahlprozess, an den sich ein systematisches Onboarding anschließen muss.

Hoher Ressourcen-Aufwand Für Essen bedeutet diese Nutzung der Sozialen Medien einen

Auch negative Erfahrungen Weniger positive Erfahrungen mit Sozialen Medien hat Christoph Meineke gemacht. Er war bis Ende Oktober diesen Jahres Bürgermeister von Wennigsen (Niedersachsen), gewann 2006 dort seinen ersten Wahlkampf als parteiloser Kandidat gegen Kandidaten von CDU, SPD und FDP unter anderem auch dank des damals noch neuen Einsatzes von Sozialen Medien. Heute sagt er: “Es verändert einen Mandatsträger sehr. Social Media hat mich irgendwann an den Rand des Wahnsinns getrieben.” Dies liege beispielsweise daran, dass es ihm immer schwerer gefallen sei, auch mal abzuschalten, weil man permanent online sei. Sein Verhältnis zu den Sozialen Medien habe sich deswegen sehr gewandelt. Er empfehle zwar weiterhin deren Nutzung, zum Beispiel weil man durch sie schnell und direkt kommunizieren könne. “Ich bin aber immer weiter davon abgerückt, dort persönlich zu sein.”


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Dezember 2021

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Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Dr. Oliver Hermann, Bürgermeister der Stadt Wittenberge, Brandenburg

Foto: BS/Sina Teschner

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ehörden Spiegel: Herr Dr. Hermann, Sie suchen in Wittenberge Stadtkomplizen. Was verbirgt sich dahinter?

Hermann: Stadtkomplizen ist ein Projekt, bei dem es um die Zukunft der Stadt, konkret um die Gestaltung der neuen Mitte der Stadt, sowie um Bürgerbeteiligung geht. Dahinter steckt ein Fördermittelprogramm des Landes Brandenburg namens “Meine Stadt der Zukunft”. Wir haben uns mit unserer Nachbarstadt Perleberg auf dieses Programm beworben. In beiden Städten stellen sich die Frage, wo die Mitte der Stadt ist, wie diese zu gestalten ist und wie die Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess eingebunden werden können. Denn viele Konflikte rühren aus falscher oder NichtInformation. Deshalb wollen wir die Bürger informieren und ihre Ideen abholen. Inhaltlich geht es um die Innenstadt und wie man diese lebendig hält und die Aufenthaltsqualität verbessern kann. Das ist eines der wesentlichen Ziele der Städtebauförderung. Gerade in Zeiten von Corona und Online-Handel. Letzteren will ich nicht verteufeln, derartige Veränderungen bieten auch Chancen, gerade für den ländlichen Raum. Stadtkomplizen ist aber nur ein Projekt von vielen, um die Einwohner unserer Stadt einzubeziehen. Generell hat Bürgerbeteiligung das Problem, dass mit den einzelnen Formaten immer nur spezifische Gruppen angesprochen werden. Mit Stadtkomplizen wollten wir unter anderem auch Neubürger ansprechen, die wir seit einigen Jahren verstärkt in unserer Stadt begrüßen können. Die Idee dazu kam aus einem anderen Projekt, welches wir im Sommer gestartet

Schlüssel zur Fehlervermeidung Dr. Hermann über Bürgerbeteiligung in Wittenberge (BS) “Entscheidend ist die Vielzahl der Formate”, sagt Dr. Oliver Hermann, Bürgermeister der Stadt Wittenberge, zur Beteiligung von Bürgern in kommunalen Angelegenheiten. Natürlich entscheiden am Ende immer die gewählten Vertreter der Stadtverordnetenversammlung, aber je besser sie über die Anliegen der Bevölkerung informiert sind, desto breiter ist die Akzeptanz der Entscheidungen. Das zeigt sich auch beim neuesten Beteiligungsprojekt “Stadtkomplizen”. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. anderen Beteiligungsmöglichkeiten schaffen wir nicht ab. Jeder Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene weiß, dass es kein einfaches Unterfangen ist, Bürger in klassische Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Ich stelle zwar einen kleinen Trend fest, dass Bürger wieder regelmäßiger die Stadtverordnetenversammlung besuchen, aber das ist nur ein kleiner Baustein. Je nach Information brauchen sie unterschiedliche Ansätze. Entscheidend ist einerseits die Vielfalt der Formate und andererseits die Qualität der Informationen. Um die Bürger animieren zu können, brauchen sie die notwendigen Ressourcen. Wir haben dafür anteilig eine Stelle geschaffen. Die Kollegin macht das Beschwerdemanagement und die Bürgerbeteiligung. Das passt sehr gut zusammen. Dabei versuchen wir, die verschiedenen Formate in den unterschiedlichen Fachbereichen zu koordinieren. Das eine Verfahren gibt es bei der Bürgerbeteiligung nicht. Wir haben unter anderem eine “Ansprechbar” im Rahmen des Projektes „Meine Stadt der Zukunft“ in der Stadtmitte eingerichtet, die als Anlaufstelle fungiert. Manchmal greift auch eine Spontanbeteiligung durch Befragungen im Stadtpark oder anderswo, wie bspw. auf Social Media. Auch solche Formate sind wichtig, um Feedback zu bekom-

Bürgerbeteiligung ist ein gutes Instrument, um beispielsweise über Workshops zu erfahren, was die Bürger bewegt. Foto: BS/ulrichw, pixabay

haben: den Summer of Pioneers. Damit haben wir Menschen zwischen 25 und 50 angesprochen, in Wittenberge Probe zu wohnen und ihnen einen Co-Working-Space angeboten. Einige dieser Neubürger sind sesshaft geworden, haben eine Agentur gegründet und begleiten jetzt das Projekt Stadtkomplizen. Behörden Spiegel: Wer kann sich beteiligen beziehungsweise wie animieren Sie die Bürger zum Mitmachen? Hermann: Wir haben einen sehr offenen Prozess. Nicht nur die Einwohner von Wittenberge können mitmachen, diese interessiert es aber am meisten. Auch die Menschen aus Perleberg und den umliegenden Gemeinden können sich beteiligen. Dieser Austausch ist gewollt und findet rege statt. Wichtig ist: Alle die mitmachen, müssen sich auf “Stadtkomplizen” einlassen. Dazu lohnt schon ein Blick auf die Internetseite www. stadt-komplizen.de. Langfristig soll sich eine Gruppe von 20 bis 30 Menschen bilden, die sich intensiv und substanziell einbringen. Die

men. Die Menschen bringen sich ein und benennen die Dinge, die ihnen wichtig sind. Darauf muss man eingehen. Behörden Spiegel: Aber die Prüfung des Machbaren und die Entscheidung liegen bei der Verwaltung und bei der Stadtverord­ netenversammlung? Wie gehen diese beiden Akteure mit der Bürgerbeteiligung um? Hermann: Projekte gelingen nur, wenn man eine gut aufgestellte Verwaltung mit einer guten Personalausstattung hat. Gerade bei den Stadtentwicklungs- und Bauämtern stehen und fallen diese Prozesse mit den Mitarbeitern. Zusätzlich muss man der Verwaltung Gelegenheit geben, Dinge zu üben und Erfahrungen zu sammeln. Letztlich ist Bürgerbeteiligung ein gutes Instrument, die Barrieren zwischen Bürgern und Verwaltung abzubauen, im Gespräch zu bleiben und zu wissen, was die Bürger bewegt. Das gilt für die Stadtverordneten gleichermaßen. Denn sie sind diejenigen, die am Ende entscheiden, was

umzusetzen ist. Aber sie können durch die Bürgerbeteiligung fundiertere Entscheidungen treffen, die auf breite Akzeptanz stoßen. Das Wichtigste ist, dass die Menschen den Prozess an sich positiv empfinden. Dass sie sehen, ihre Interessen werden ernst genommen und wertgeschätzt. Die Kultur des Miteinanders ist entscheidend. In der Sache kann man unterschiedlicher Meinung sein. Letztlich ist

Bürgerbeteiligung ein Schlüssel, um in der Stadtentwicklung weniger Fehler zu machen. Behörden Spiegel: Neben Wittenberge läuft das Projekt auch in der Nachbarstadt Perleberg. Wie kam es zu dieser Kooperation? Hermann: Dazu muss man wissen, die Region Prignitz ist eine der am dünnsten besiedelten Re-

gionen in Deutschland. Perleberg ist die alte Kreisstadt und eine klassische deutsche mittelalterliche Stadt mit Markt, Kirche und Rathaus im Zentrum. Demgegenüber hat sich Wittenberge mit der Industrialisierung aus ganz kleinen Anfängen entwickelt und besitzt eher eine dezentrale Struktur. Die Kirche steht in der Altstadt, das Rathaus in einem Jugendstil-Viertel und der Markt

ist wieder an einem anderen Ort. Inzwischen ist Wittenberge zwar die größte Stadt, Perleberg aber nach wie vor der Sitz der Kreisverwaltung. Angesichts der historischen Entwicklung könnte man die Beziehung zwischen den Städten mit einem Augenzwinkern als “gehasster Freund, geliebter Feind” bezeichnen. Man vergleicht sich halt gern mit dem Nachbarn, hat aber trotz aller Unterschiede sehr ähnliche Herausforderungen. Wir bilden daher zusammen ein kooperatives Mittelzentrum. Der Kooperationsgedanke ist etwa seit 2005 erwachsen. Über die Jahre haben wir dabei auch die Erfahrung gemacht, wenn wir die Zusammenarbeit vertiefen, haben wir im Wettbewerb auf Landes- und Bundesebene sehr gute Chancen.


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Personelles

Behörden Spiegel / Dezember 2021


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Celle 4.0

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ehörden Spiegel: Herr Oberbürgermeister, wie ist Celle nach Ihrer Meinung durch die Pandemie gekommen? Wie rüsten Sie sich für ähnliche Ereignisse?

Dr. Nigge: Rundum lässt sich sagen, dass wir in Celle recht glimpflich durch die Pandemie gekommen sind – obwohl sich einige Auswirkungen sicher erst langfristig zeigen werden. Wir haben von Anfang an ein aktives Krisenmanagement betrieben. Über eine extra eingerichtete Hotline, die auch nach Feierabend und am Wochenende geschaltet war, konnten Bürger und Unternehmen sich über die aktuelle Lage, Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten informieren oder einfach mal aussprechen. Später wurde diese Hotline dazu genutzt, um Senioren bei der Online-Anmeldung für einen Impftermin zu unterstützen. Mit #kaufregional haben wir im Hinblick auf regionale Wirtschaftskreisläufe eine Händlerplattform geschaffen, auf der Gastronomen und Dienstleister aus Stadt und Landkreis ihren Online-Service präsentieren. Bürgerinnen und Bürger konnten so während des Lockdowns ihre Lieblingsgeschäfte mit einer Bestellung unterstützen. Die Celler Idee zündete derart, dass der Hersteller unserer Software am Celler Beispiel ein ähnliches Händlerportal für seine anderen kommunalen Kunden erstellt hat. Wir haben die Sondernutzungsgebühren erlassen und den Innenstadthändlern ermöglicht, ihre Außenflächen zu erweitern. Wir haben vorübergehend zehn Minuten freies Parken für schnelle Besorgungen gewährt. Erwähnenswert ist auch die “Celler City Challenge”: 22.000 Euro Spenden und damit über 1.000 Gutscheine für unsere Corona-Helfer, die sie beim Einkauf bei unseren Händlern einsetzen können. Und über unsere Homepage können Unternehmen unkompliziert Steuerstundungen beantragen. Da Schülerinnen und Schüler, Jugendliche allgemein bekanntlich ganz besonders unter der Krise gelitten, ihre gewohnten sozialen Kontakte vermisst haben, sind wir dem durch Implementierung von aufsuchender Sozialarbeit begegnet. Die Corona-Krise hat gezeigt,

Interview mit dem Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge (BS) Für den Oberbürgermeister der niedersächsischen Stadt Celle, Dr. Jörg Nigge, ist die Digitalisierung seiner Kommune insbesondere mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung verbunden. Über dieses und weitere Themen sprach der Behörden Spiegel mit dem 47-jährigen Stadtoberhaupt. Das Interview führte Reinhard Wolski. dass, wer langfristig am Markt bestehen möchte, auch im Internet präsent sein muss. Mit dem Online-Händlerportal haben wir vielen eine Tür geöffnet, die bisher noch nicht im Netz unterwegs waren. Behörden Spiegel: Preiswerter Wohnraum für die Bürger – wie sieht es damit in Celle aus? Dr. Nigge: Dazu tut sich in Celle – endlich – wieder einiges. Denn da ist vor Beginn meiner Amtszeit so manches liegen geblieben. Im Rahmen unserer WohnbauOffensive schaffen wir derzeit mit unserer städtischen Tochter, der allerland Immobilien GmbH, wieder geförderten Wohnraum. 38 Einheiten sind bereits vermietet. Von 50 bis 70 m², barrierefrei, energieeffizient und erschwinglich. Spielflächen, Carsharing und E-Mobilität gibt es obendrein. Das nächste Projekt steht schon in den Startlöchern, wenn am Äußeren Ring um die Altstadt seitens der allerland weitere Einheiten errichtet werden. Aber auch bei anderen Projekten ist geförderter Wohnraum fest mit eingeplant. Behörden Spiegel: Sie stehen für Modernisierung und Digitalisierung der Kommune. Was sind dort Ihre Handlungslinien? Wie wird “Celle 4.0” aussehen? Dr. Nigge: Celle 4.0, das heißt natürlich zuallererst Verwaltung 4.0. Bei diesem Thema haben wir uns sofort nach meinem Amtsantritt auf den Weg gemacht. Denn eine moderne Verwaltung muss es den Bürgern so einfach wie möglich machen, von ihren Leistungen zu profitieren. Das beginnt bei uns bei der OnlineTerminvergabe im Bürgerbüro bis zum in Kürze möglichen Abholen von Ausweispapieren am 24-hTerminal vor dem Neuen Rathaus. Wer in Celle einen Kitaplatz braucht, kann ihn sich über das gleichnamige Portal per Internet

Klimaziele sollen möglichst beschleunigt werden Feinstaub, Schwefeldioxid, Stickoxide – der Kohleausstieg soll “idealerweise” beschleunigt werden. Angestrebt wird ein Ausstieg bis 2030, acht Jahre früher als derzeit geplant. “Die betroffenen Regionen sowie die vom Kohleabbau Betroffenen können weiterhin auf solidarische Unterstützung zählen”, heißt es im Koalitionsvertrag. Maßnahmen zur Stärkung der Regionen sollen vorgezogen werden. Für den Strukturwandel seien Hilfen in Milliardenhöhe

Der Celler Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge (re.) im Gespräche Reinhard Wolski, Behörden Spiegel. Foto: BS/Stadt Celle

buchen. Sportvereine können via “Hallenbelegung-Online” sehen, wann und wo es freie Zeiten für sie gibt. Und für die Aktionen unseres beliebten Ferienpassangebots kann sich ebenfalls online angemeldet werden. Hier war früher eher Schlange stehen an der Tagesordnung. Das sind natürlich nur einige Beispiele unseres stetig wachsenden Portfolios. Mein Ziel: Celle digital so aufzustellen, wie es Estland heute schon ist. Da können wir von den Balten viel lernen, die ja mittlerweile die absolute Vorreiterrolle einnehmen, gerade was die Bürgerdienste anbelangt. Allerdings stehen dem die oftmals unverständlichen Regulierungen des Gesetzgebers im Weg, die dafür sorgen, dass wir uns selbst im Weg stehen. Das ist die eingebaute Innovationsbremse, die die Pläne jedes Politikers, der in regelmäßigen Abständen zum Aufbruch bläst, konterkariert. Behörden Spiegel: Wie sehen Sie den Ausbau bzw. den Umbau des öffentlichen Nahverkehrs für die Stadt? Dr. Nigge: Zurzeit werden intensive Beratungen darüber geführt, wie zukünftig ein attraktives Nahverkehrsangebot gestaltet sein kann. Neben den bestehenden Systemen können wir uns als

Stadt Celle eine Erweiterung des Angebotes im Bereich OnDemand sehr gut vorstellen. Insbesondere die Anbindung der Innenstadt und die bessere Vernetzung der bestehenden Strecken untereinander könnten den Komfort für die Nutzerinnen und Nutzer erhöhen. Emissionsarme beziehungsweise emissionsfreie Fahrzeuge spielen in diesen Überlegungen eine große Rolle. Das Land Niedersachsen erwägt derzeit den Erwerb der Bahnstrecken Wittingen sowie Beckedorf und Munster. Neben dem Nutzen für den Güterverkehr wird auch der Fokus auf den Personennahverkehr gelegt. Inwiefern eine weitere Machbarkeitsstudie hier ein positiveres Ergebnis als noch vor sechs Jahren generiert, wird sich erweisen müssen. Letztlich ist jede Verlagerung von motorisiertem Individualverkehr auf die Schiene zu begrüßen und stellt gerade für den ländlichen Raum einen wichtigen Entwicklungsfaktor dar. Behörden Spiegel: Energiekosten steigen und steigen. Was können Sie dagegen unternehmen? Dr. Nigge: Grundsätzlich sehr schwierig als Kommune, da ist der Gesetzgeber gefragt. Wir haben in Celle schon vor langer

Zeit begonnen, nach anderen Energieformen zu suchen und diese unter anderem in der Geothermie gefunden. Da nutzen wir auch unsere über 150-jährigen Erfahrungen als Standort der Erdöl- und Erdgasindustrie und damit einhergehend die Kernkompetenz in oberflächennaher und Tiefbohrtechnologie. Dazu wurde vor einigen Jahren eigens unter Mithilfe der städtischen Wirtschaftsförderung der Verein Geoenergy Celle gegründet, ein Kooperationsnetzwerk aller lokalen, aber auch überregionalen Player auf diesem Gebiet. Gemeinsam stehen diese für die Erschließung neuer Energien. Um zwei praktische Beispiele zu nennen: Das bereits erwähnte Wohnbauprojekt der allerland Immobilien GmbH an der Wittinger Straße wird mit Geothermie beheizt und gekühlt. Auch unsere Freiwillige Feuerwehr speist die Energie für ihre Hauptwache aus Erdwärme. Zudem setzen wir verstärkt auf klimaneutrales Bauen. So entsteht in naher Zukunft im Ortsteil Vorwerk eine klimaneutrale Siedlung. Bei Neubaugebieten wollen wir grundsätzlich nicht mehr auf den Einsatz fossiler Energie setzen. Behörden Spiegel: Stichwort CO2-Bilanz: Wie bekommt man die kommunale Verwaltung klimaneutraler, welche Anstrengungen für die öffentliche Infrastruktur sind absehbar? Dr. Nigge: Wir bewirtschaften einen Klimaschutzfonds von mehreren hunderttausend Euro, welcher Bürgern Zuschüsse für die Nutzung regenerativer Energien, innovativer Technologien bis hin zu Fahrrad- und E-Mobilität gewährt. Mit unserem Solarpotenzialkataster geben wir Hilfestellung, ob das eigene Dach für die Nutzung von Solarenergie geeignet ist. Mit unserer Fahrradoffensive – begonnen bei der Einrichtung

Ampel for Future

D

ie Prognosen der Klimaexperten sind drastisch. Wenn der Treibhausgasausstoß nicht gesenkt wird, kann die Durchschnittstemperatur auf der Erde weiter steigen. Dies hätte gravierende Folgen weltweit, aber auch hierzulande. Nicht umsonst nimmt der Klimaschutz daher viel Raum in den Koalitionspapieren ein. Die Ampel-Parteien haben es sich als gemeinsame und zentrale Aufgabe gemacht, Deutschland – so wie es der Pariser Klimavertrag und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgab – auf den 1,5 Grad-Pfad zu bringen. Auf rund 41 Seiten wurden klimarelevante Ziele beschrieben, die die Digitalisierung, Energie, Mobilität, Wirtschaft und den Umwelt- und Naturschutz betreffen.

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Neue Koalition wagt viel beim Klimaschutz (BS/Büsra Tasdemir) Die Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien sind beendet. “Mehr Fortschritt wagen” heißt das 177-Seitige Dokument und listet die vielen Vorhaben der Ampelparteien. Dabei nimmt das Thema Klimaschutz einen großen Raum im Papier ein. Deutschland soll bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein. beschlossen worden, daher gäbe es keine zusätzlichen Entschädigungen für Unternehmen. NRWMinisterpräsident Hendrik Wüst hält einen vorzeitigen Ausstieg in seinem Land für möglich. Bis Ende 2029 soll nach heutiger Planung ein Großteil der Braunkohle-Kraftwerke in NRW außer Betrieb sein, so die nordrheinwestfälische Landesregierung. Dass bis zum Jahr 2030 Wind und Sonne 80 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland decken und so der Ausbau der alternativen Energien deutlich beschleunigt werden, sei richtig, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Dr. Gerd Landsberg. Aus kommunaler Sicht bliebe aber auch – im Hinblick auf die großen Widerstände in der Bevölkerung abzuwarten, ob die Umsetzung gelinge. Zuverlässige und belastbare Planungsperspektiven für die Stadtwerke und kommunalen Unternehmen seien unverzichtbar, da sie eine zentrale Rolle bei der Energiewende spielen, führt Landsberg weiter aus. Der Ausstieg aus fossilen Ener-

Klimaneutral bis 2045? Der frühzeitige Kohleausstieg ist ein Hauptaspekt des Klimaschutzprogramms der Ampelkoalition. Foto: BS/Foto-Rabe, pixabay.com

gieträgern bedeutet den Umstieg auf erneuerbare Energien. Hier setzen die Ampel-Parteien große Hoffnung in die Sonne. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. Das bedeutet, dass mehr als doppelt so viel Wind und Sonnenstrom benötigt wird. Für Windräder sollen zwei Prozent der Bundesfläche reserviert werden, doch dafür ist kein neues Rad genehmigt. Es sollen rund 200 Gigawatt Leistung an Solarparks und Photovoltaik-Anlagen bis zum Beginn des kommenden Jahr-

zehnts installiert werden. Um das zu erreichen, sollen neue Vorgaben wie eine Solardachpflicht bei Neubauten realisiert werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, wird allerdings nicht beschrieben. Auch der Neubau von Gastkraftwerken (sofern sie auch geeignet für grünen Wasserstoff sind) steht im Koalitionsvertrag. Beim Thema Wasserstoff setzen die Ampelparteien auf den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft. Die Koalitionäre wollen sich für die Gründung einer Europäischen

Union für grünen Wasserstoff einsetzen. Die Energiewende wird auch die Autoindustrie massiv umkrempeln. Die Ampel-Koalition plant, mit Hilfe staatlicher Fördermittel mindestens 15 Millionen vollelektrische PKWs auf die Straßen zu bringen. Dafür sollen eine Million Ladestationen öffentlich zugänglich sein. “Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für E-Mobilität” verspricht der Koalitionsvertrag. Die Koalitionäre legen zudem einen Fokus auf den Ausbau des Bahnverkehrs: Günstiger Bahnverkehr, starker Güterverkehr. Bis 2030 soll ein Viertel des Güterverkehrs mit der Bahn abgewickelt werden. Die Anzahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr soll deutlich ansteigen.

HTW: Ampel verfehlt ­Klimaziele Die Koalitionäre haben sich für den Klimaschutz viel vorgenommen. Die Maßnahmen sind richtig, können aber zum Verfehlen der Klimaziele führen, so das Ergebnis einer Studie der Berliner Hochschule für Technik und

von Fahrradstraßen und Schutzstreifen über die Schließfächer und Ladestationen für E-Bikes an Parkhäusern, der DoppelstockParkanlage für Zweiräder am Bahnhof bis hin zu einer öffentlichen Luftpumpe am Alten Rathaus inmitten der City – bieten wir Anreize, beim Besuch der Altstadt auf das Auto zu verzichten. Derzeit in der Planung ist die mögliche Einrichtung eines neuen Parkleitsystems, das unnötigen Parksuchverkehr auf ein Minimum reduziert und ebenfalls hilft, CO2 einzusparen. Auch in der Verwaltung setzen wir bei Dienstfahrten vermehrt auf klimafreundliche Varianten – ob Fahrrad, E-Bike, E-Scooter oder ab dem kommenden Jahr eine reine E-Dienstwagenflotte. In der Umsetzung ist momentan auch ein Fahrrad-Leasing-Modell für Verwaltungsmitarbeiter. Ein Klimakonzept für die Altstadt wird derzeit erstellt. Beim Bauen geht unser Blick stark in Richtung Klimaneutralität. Behörden Spiegel: Zur Bindung von Unternehmen an den Wirtschaftsstandort Celle: Was können Sie jungen Unternehmen und Start-ups anbieten? Dr. Nigge: Unsere Wirtschaftsförderung agiert als “One Stop Agency”: ein Ansprechpartner für alle Belange eines Unternehmens. Entsprechend erhalten auch Existenzgründer umfassende Beratung bei der Erstellung eines Businessplans bis hin zur Auswahl von Büroräumen etc. Auf dieser Basis wird auch über öffentliche Förderprogramme und Darlehen beraten und die Antragstellung begleitet. Sie bekommen Unterstützung bei der Suche nach Büros oder Coworking Spaces und Hinweise zur unternehmensbezogenen Vernetzung. Wir rollen buchstäblich den roten Teppich aus. Für nächstes Jahr ist vorgesehen, ein Existenzgründungszentrum zu eröffnen. Auch hier wollen wir ein Rundum-sorglos-Paket anbieten, denn eine Stadt wie Celle kann zwar mit vielen Aspekten punkten, das ist aber kein Selbstläufer, weil natürlich viele Gründer auf die großen Städte schielen. Wir müssen also einen Mehrwert bieten und haben genau das durch verschiedene Faktoren auch vor.

Wirtschaft (HTW). Studienleiter Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW, kommt zum Ergebnis, dass die Ampelparteien ihre Klimaziele des Pariser Klimaschutzabkommens verfehlen. Die aktuellen Daten zum CO2-Ausstoß und verschiedene Modellierungen der Reduzierung der Emissionen ergeben sich laut Studie 2030 und 2035 als Referenzjahre zum Erreichen der CO2-Neutralität. “Die Maßnahmen des Koalitionsvertrags lassen eine Kohlendioxidneutralität bis 2045 möglich erscheinen, nicht aber das Einhalten des Pariser Klimaschutzabkommens”, sagt Volker Quaschning. Eine doppelte Photovoltaikleistung sei erforderlich, um auf den Pfad des Pariser Klimaschutzzieles zu kommen. Die installierte Photovoltaikleistung von 59 Gigawatt sei auf mindestens 590 zu verzehnfachen, erklärt Quaschning weiter. Zudem orientiere sich die Ampelkoalition nicht an dem CO2-Budget. “Sich entwickelnde Länder werden derartige Rechnungen nicht akzeptieren. Wenn jeder so argumentiert, dann ist das Klimaschutzabkommen gescheitert”, so Quaschning. Laut Ampel-Parteien wird das Klimaschutzgesetz im kommenden Jahr weiterentwickelt. Ob die Ziele den wissenschaftlichen Studien angepasst werden, bleibt abzuwarten.


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Dezember 2021

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ft sind Aspekte der Denkmalpflege, Zerstörungsspuren eines Ereignisses, Merkmale der Sozialgeschichte und nicht sichtbare Spuren, die im Archiv auffindbar sind, miteinander verknüpft”, erklärte Prof. Dr. Dolff-Bonekämper, Historikerin und Denkmalschützerin, während einer Diskussionsrunde auf der Veranstaltungsplattform neuestadt.org. Demnach könne ein Haus einerseits als Wohn- und Lebensraum betrachtet werden, an dem sich die sozialen Schichten, die darin gewohnt hätten, nachzeichnen ließen. Gleichzeitig lasse es sich auch in den größeren historischen Kontext einordnen, wenn es beispielsweise um die Deportation von Bewohnern ginge. Auch Dr. Andreas Pilger, Direktor des Stadtarchivs und Projektleitung des Zentrums für Erinnerungskultur der Stadt Duisburg, begrüßt eine breit situierte Erinnerungskultur und deren vielschichtige Vermittlung. “Geschichte kann man erzählen, aufarbeiten und mit den Archivquellen kombinieren, sodass wir dem Ganzen eine hohe Anschaulichkeit geben und viel tiefer in die Materie eintauchen können,” erklärte er.

Erinnerung als kommunale Verantwortung Anstößiges zu beseitigen, erregt keinen Anstoß mehr (BS/Malin Jacobson) Deutschland blickt auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurück. Schaut man sich in unseren Kommunen einmal genauer um, findet man immer wieder kleine oder große Hinweise auf prägende Ereignisse und Menschen, die Besonderes geleistet haben. Denkmäler, Straßennahmen und Ehrenbürgerschaften haben ein gemeinsames Ziel: Demokratie stärken.

Vergessen des Anstößigen Die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Denkmalpflege habe sich seit der Wende radikal verändert, meinte die Professorin für Denkmalpflege am Institut für Stadt- und Regionalplanung (ISR) der TU Berlin: “Heute hat das Denkmalamt nicht mehr diese amtliche Autorität, sondern muss sich vermehrt den bürgerschaftlichen Figurationen stellen und sich mit diesen auch verbünden, um sich Gehör verschaffen zu können. Da kann man nicht mit kunsthistorischem Vokabular argumentieren, sondern muss Geschichten erzählen und Bilder erzeugen,” weiß die Professorin. Und sobald es etwas brisanter werde, sei Denkmalpflege nicht mehr nur eine Frage der zuständigen Behörden, der Eigentümer und der Bürger, sondern werde sofort politisiert, fährt sie fort. Dies könne man auch an den aktuellen Diskussionen um Straßenumbenennungen sehen. “Die Benennung von Orten, die Toponymie, ist ein wesentliches Medium des Erinnerns”, erklärt Dolff-Bonekämper, und es stelle sich die Frage, ob das Entfernen einer als makelhaft empfundenen Benennung durch Umbenennung ein Gewinn sei – oder doch eher ein Verlust. Wenn der Ortsname keinen Anstoß mehr errege und daher seine frühere Geschichte nicht weiter tradiert werde, laufe man Gefahr, zu vergessen, schlussfolgert sie und sieht Politik, Verwaltung und Gesellschaft in der Pflicht, auch an Anstößiges zu erinnern. Der Leiter des Stadtarchivs berichtet in diesem Zusammenhang von der Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft, die vor Kurzem in Duisburg vorgenommen worden sei. Aufgrund technischer Details – eine Ehrenbürgerschaft gelte nur, solange die Person am Leben sei und die entsprechende Person wäre eigentlich nur

Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper und Dr. Andreas Pilger sprachen in der Diskussionsrunde “Erinnerungskultur als kommunale Verantwortung” auf neuestadt.org über verschiedene Möglichkeiten, Erinnerungskultur zu verorten und darzustellen, über Kooperationsmöglichkeiten und darüber, welche Aspekte des gesellschaftlichen Diskurses auf die kommunale Umsetzung Einfluss nehmen. Screenshot: BS/Jacobson

Ehrenbürger eines zu Duisburg eingemeindeten Ortes – hätte man die Ehrenbürgerwürde problemlos unter den Tisch fallen lassen können. Dennoch hätten sich die Stadt und das Zentrum für Erinnerungskultur für einen breiten Diskurs entschieden, sodass der Würdenträger zwar aus der Liste der Duisburger Ehrenbürger gestrichen, der Fall aber auch in den Medien noch einmal abgehandelt worden sei. So habe jeder die Möglichkeit gehabt, sich mit den Umständen der Ehrung und den Argumenten für deren Aberkennung auseinanderzusetzen.

Bemächtigung und Aushandlung Auch wenn viele Themen und Inhalte von Bürgerinnen und Bürgern selbst an die Verwaltung herangetragen würden, sei es immer ein Aushandeln in Bezug auf die Frage, wie man die Inhalte vermitteln könne, führt Pilger weiter aus. Hier ginge es vor allem um Anknüpfungspunkte und die Frage, ob man mit einem Gedenkort auf Resonanz stoße. Schwierig seien vor allem Ereignisse von nationaler oder internationaler Bedeutung. “Das hat auch etwas mit Bemächtigung zu tun und der Frage: Wem steht es zu, welche Ereignisse mit welchen Medien und welchen Formen in der Öffentlichkeit repräsentieren zu dürfen”, ergänzte Dolff-Bonekämper. In diesem Zusammenhang verwies sie auf Probleme bei der Planung des Berliner Holocaust-Denkmals. Die Initiatorin Lea Rosh und Überlebende sowie Angehörige von Ermordeten hätten Deutungs- und Gestaltungshoheit

Die Benennung und Umbenennung von Orten ist ein wichtiger Aspekt der Erinnerungskultur. BS/Gerd Altmann, pixabay.com

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jeweils für sich beansprucht. Die Problematik sei durch einen neuen und schlichteren Entwurf – so wie man das Mahnmal heute kenne – gelöst worden, auch wenn es nach wie vor Kritik daran gebe. Für Kommunen bedeute das, rät der Entscheidungsträger des Zentrums für Erinnerungskultur der Stadt Duisburg, sowohl im vorinstitutionellen Raum als auch in verschiedenen Gremien offen über Gedenkinitiativen zu sprechen. Und: “Viele wollen natürlich ihre Agenda in der Stadt repräsentiert sehen”, was problematisch werde, wenn Konzepte bereits auf bestimmte Orte, Künstler und Inhalte festgelegt seien und den Kommunen so die Möglichkeit eines breiten Aushandlungsprozesses nähmen. Generell empfehlen die beiden Experten, erst die komplexen historischen Ereignisspuren zu erforschen, bevor etwas aktiv sichtbarer (oder unsichtbarer) gemacht werde. Dazu gehöre, die verschiedenen Akteure sprechfähig und die Verwaltung selbst “hörfähig” zu machen, indem Fachkundige hinzugezogen würden. Nur so könne eine gute Oberbürgermeisterin oder ein guter Oberbürgermeister der Komplexität aus historisch-politisch-gesellschaftlichem Erinnern gerecht werden. Die komplette Diskussionsrunde finden Sie in der Mediathek auf www.neuestadt.org/mediathek


Kommunaler Haushalt

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hne Zweifel haben die Kommunen aufgrund der Unterstützung durch Bund und Länder das Jahr 2020 mit einem blauen Auge überstanden: die Konjunkturpakete haben die lokale Wirtschaft stabilisiert, die Übernahme der Gewerbesteuerverluste hat funktioniert, die Aufstockung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft entlastet insbesondere die großen Kommunen dauerhaft und auch der ÖPNV-Rettungsschirm hat geholfen. 2021 sehen nicht alle, aber viele Kommunen eine überraschend schnelle Erholung der Gewerbesteuereinnahmen, zum Teil sogar auf einem Niveau, das deutlich über dem Vorkrisenjahr 2019 liegt. Es herrscht allerdings Einigkeit, dass es sich hier um ein Zwischenhoch handelt, bedingt durch stark überdurchschnittliche Steuereinnahmen aus den starken Veranlagungsjahren 2017 bis 2019 sowie Nachholeffekten bei den Vorauszahlungen für frühere Jahre.

Paradoxon der kommunalen Haushalte Long Covid trotz Zwischenhoch bei der Gewerbesteuer? (BS/Harald Riedel) Es wird immer klarer, dass die Pandemie nicht nur große Unsicherheit bezüglich der medizinischen und gesellschaftlichen Folgen unseres Landes verursacht, auch die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen sind nicht einfach zu bewerten. Dies gilt ebenso für die aktuelle und mittelfristige Entwicklung der Kommunalfinanzen in Deutschland. Die Ambivalenz zeigte sich auch in den Nachrichten und Prognosen der letzten Wochen.

Euro summieren. Man befürchtet einen jährlichen Rückgang der Investitionen um fünf Mrd. Euro pro Jahr mit der Folge, dass wichtige Zukunftsinvestitionen in Bildung, Klimaschutz, Verkehrswende und Digitalisierung nicht angegangen werden können. Dies vor dem Hintergrund, dass der errechnete kommunale Investitionsstau nach dem KfWKommunalpanel immer noch knapp 150 Mrd. Euro beträgt. Die Ergebnisse der NovemberSteuerschätzung bestätigten die unerwartete Erholung für das Jahr 2021 mit hohen Steigerungsraten bei Gewerbesteuer und Einkommenssteuer gegenüber dem ersten Krisenjahr 2020, aber auch gegenüber der Mai-Steuerschätzung 2021. Die Prognose zeigt aber auch, dass die Harald Riedel ist Stadtrat, Finanzreferent und Kämmerer Steuereinnahmen der Stadt Nürnberg. der Kommunen in den Folgejahren ab Foto: BS/privat 2022 zumindest bis 2024 schwäTrotz dieser schnellen Erholung cher weiterwachsen als in der Mai2021 haben die drei kommunalen Steuerschätzung angenommen. Verstärkt wird das sich abzeichSpitzenverbände Ende Oktober gemeinsam Alarm geschlagen nende “Long-Covid-Syndrom” der und vor einer neuen, langanhal- Kommunalfinanzen durch Zutenden kommunalen Haushalts- satzbelastungen aufgrund direkkrise mit steigenden Defiziten ter Pandemiekosten für Personal und der Gefahr einbrechender in der Kontaktnachverfolgung, Investitionshaushalte gewarnt. Pandemieartikel, vor allem aber Als Ursache werden stark stei- aufgrund hoher Corona-Verluste gende Sozial-, Personal- und von wichtigen kommunalen BeSachausgaben genannt, die auch teiligungen wie Kliniken, Verdurch moderat steigende Steu- kehrsbetrieben, Messen oder ereinnahmen nicht kompensiert auch Flughäfen. Die vierte Welle werden können und sich bis 2024 hat in allen diesen Segmenten die auf ein Defizit von über 25 Mrd. erhoffte wirtschaftliche Erholung

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ls Finanzminister hatte Olaf Scholz bereits einige Versuche unternommen, die Altschuldenproblematik der Kommunen anzugehen. Im Koalitionsvertrag haben SPD, FDP und die Grünen das Thema nun aufgenommen: “Wir brauchen leistungsstarke und handlungsfähige Kommunen. Es gibt viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien können. Ihnen fehlt die Finanzkraft für dringend notwendige Investitionen. Wir wollen daher diese Kommunen von Altschulden entlasten. Dazu bedarf es einer gemeinsamen, einmaligen Kraftanstrengung des Bundes und der Länder, deren Kommunen von der Altschuldenproblematik betroffen sind”, heißt es im Kapitel VIII “Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen”. Um die Kommunen von den Altschulden zu entlasten, ist eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: “Dies kann nur in einem übergreifenden Konsens gelingen, der das Einvernehmen der Länder erfordert und einer Änderung des Grundgesetzes bedarf, für die die entsprechende Mehrheit im Deutschen Bundestag und Bundesrat nötig ist.” Damit Kommunen nicht wieder in eine solche Situation kommen, soll zudem eine erneute derartige Überschuldung künftig rechtssicher verhindert werden, die Investitionskraft gestärkt und ein enges Monitoring etabliert werden. Von den betroffenen Kommunen fordern die Ampelparteien im Koalitionsvertrag auch eigene Beiträge zur Entschuldung. “Wir fühlen uns verstanden und hoffen darauf, dass die Versprechen gehalten werden”,

Behörden Spiegel / Dezember 2021

massiv beeinträchtigt. Deswegen sind kommunale Forderungen nach finanziellen Hilfen auch für kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge berechtigt, finden allerdings aktuell aufgrund der laufenden Regierungsbildung kaum Ansprechpartner. Insofern dürfte klar sein, dass der Alarmruf der kommunalen Spitzenverbände im Oktober nicht als das branchenübliche “Jammern” im Hinblick auf die Berücksichtigung von kommunalen Finanzinteressen im “Ampel-Koalitionsvertrag” zu sehen ist, sondern als eine ernst zu nehmende Warnung vor einer drohenden Abwärtsspirale, von der wir alle dachten, dass wir sie hinter uns gelassen haben. Und um es noch ein wenig zuzuspitzen: in einem Moment, in dem es als Konsens gilt, dass unser Land auf allen Ebenen einen Aufbruch insbesondere bei den Megathemen Klimawandel, Verkehrs- und Energiewende sowie Digitalisierung braucht, wäre es fatal, wenn der föderalen Ebene, die diesen Aufbruch vor Ort mit konkreten Investitionen umsetzen soll, das Geld fehlt, um das anzupacken. Wir haben für Nürnberg mal errechnet, dass wir in den nächsten zehn Jahren ca. 2,4 Mrd. Euro ausgeben werden bzw. müssen, um die Anforderungen an eine klimaneutrale Stadt auch nur annähernd zu erfüllen. Dazu gehören: • die energetische Sanierung des städtischen Gebäudebestandes, die flächendeckende Ausstattung von Dächern mit PV-Anlagen, die Umstellung des städtischen Fuhrparks auf

E-Mobilität und der Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur, • Klimaanpassungsmaßnahmen im Bereich Grün und Stadtplanung – mehr Parks und Straßenbäume, grüne Dächer und Fassaden, • die Umsetzung der Mobilitätswende mit einem flächendeckenden Ausbau von Radwegen, dem Ausbau und der Digitalisierung des ÖPNV, dazu subventionsfinanzierte ÖPNVPreisangebote wie das 365- Euro-Ticket für jedermann. Dies alles zusätzlich zu den ohnehin notwendigen Investitionen in Höhe von fast 4,5 Mrd. Euro für den Neubau und die Sanierung von Schulen und Kitas, Infrastruktursanierungen von Brücken, Straßen und Kulturbauten wie Stadthalle, Opernhaus, Museen. Der Stadt Nürnberg fehlen aufgrund dieser Prognoserechnung, die wir “Szenario 2031” genannt haben, allein vier Mrd. Euro an eigentlich notwendigen Eigenmitteln, d. h. wir würden diese Maßnahmen komplett mit neuen Schulden finanzieren. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Stadt würde sich damit innerhalb eines Jahrzehnts auf einen Wert verdreifachen, der sich der 10.000-Euro-Grenze annähert. Dies alles vorausgesetzt, dass eine solche Entwicklung haushaltsrechtlich überhaupt vorstellbar und genehmigungsfähig wäre, was äußerst unwahrscheinlich ist. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass selbst eine Kommune wie Nürnberg, die unter den großen Städten über 300.000

Einwohner hinsichtlich ihrer Finanz- und Steuerkraft im guten Mittelfeld anzusiedeln ist, die notwendigen Investitionen für Klimaschutz, Verkehrswende und Digitalisierung eigentlich nicht angehen kann. Dann aber können es viele finanzschwächere Kommunen in Deutschland erst recht nicht und damit würden diese gesamtgesellschaftlichen Ziele insgesamt zur Diskussion stehen. Allein aus diesen Gründen sind die konkreten Forderungen der letzten Wochen, die von unterschiedlicher kommunaler Seite an die neue Bundesregierung und die Länder gerichtet wurden, wichtig und können gar nicht oft genug wiederholt werden: • Schneller finanzieller Ersatz der Pandemie-Mehraufwendungen der Kommunen – allein 2020 hatte eine Kommune wie Nürnberg fast 28 Mio. Euro Mehrausgaben, die bisher nicht erstattet wurden. Auch 2021 und 2022 drohen ähnliche Größenordnungen durch Personalmehrkosten im Kontaktmanagement, Kosten von Pandemieartikeln, entgangenen Gebühren- und Eintrittseinnahmen usw. • Auch in der vierten Welle brauchen wir finanzielle Unterstützung für unsere kommunalen Krankenhäuser, Flughäfen, Messen, Beschäftigungsgesellschaften bis hin zu unseren Behindertenwerkstätten. • Daneben Fortsetzung des ÖPNV-Rettungsschirms – auch aktuell halten die kommunalen Verkehrsbetriebe ihr Angebot trotz niedriger Fahrgastzahlen aufrecht – und mindestens

Koalitionsvertrag verspricht bessere Finanzausstattung Altschuldenlösung, Investitionen und effektivere Förderprogramme (BS/lkm) Die neue Ampelkoalition hat sich im Koalitionsvertrag auch für die Kommunalfinanzen stark gemacht. Sie spricht dort eine Lösung der Altschuldenfrage, Investitionen in Zukunftsthemen und kommunale Förderprogramme an. Die Kommunalverbände haben die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag überwiegend positiv aufgenommen. Insgesamt sehen die Kommunen im Koalitionsvertrag ein wichtiges Signal auf dem Weg zu einer gerechten Finanzverteilung und gleichwertigen Lebensverhältnissen. Ein bedeutender Aspekt fehle allerdings. kommentierte Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz die Vorhaben der Koalitionäre. Mast-Weisz ist einer der vier Bündnissprecher des Aktionsbündnisses “Für die Würde unserer Städte”, in dem sich benachteiligte Kommunen zusammengeschlossen haben, um auf ihre finanziellen Probleme aufmerksam zu machen.

nanzverteilung in der Sozialpolitik. Der Bund könne die Aufgaben hier beliebig an die Kommunen delegieren und dabei festlegen, wie er die Kosten der Kommunen ausgleiche. In der Vergangenheit hätten die Kommunen bei Weitem nicht das Geld bekommen, das sie hätten ausgeben müssen. Sie seien gezwungen gewesen, Kredite aufnehmen, um Aufgaben zu erfüllen, die ihnen der Bund übertragen hätte, kritisiert Mast-Weisz.

Sozialbereich wird weiter ausgedehnt

Lichtblick im ­Förderdschungel Um die Altschuldenlösung in Angriff zu nehmen, kündigten die Koalitionäre an, entsprechende Gespräche mit den Ländern und den anderen Fraktionen der demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag zeitnah im Jahre 2022 führen zu wollen. Das Aktionsbündnis setzt große Hoffnung in dieses Versprechen: “Damit könnte das Hin-und-Herschieben von Verantwortung, das wir in den vergangenen Jahren so oft und so bitter erfahren mussten, endlich ein Ende finden”, so Mast-Weisz. Die Kommunen würden ihre Forderungen deshalb insbesondere bei den Regierungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wiederholen. In diesen Ländern gebe es bisher keine Altschuldenregelung, anders als beispielsweise in Brandenburg, Hessen oder dem Saarland, erläuterte Remscheids Oberbürgermeister. Neben den Altschulden bekennen sich SPD, FDP und Grüne

genauso wichtig: eine bessere, künftige Finanzausstattung des kommunalen ÖPNV: Erhöhung der sog. Regionalisierungsmittel um 1,5 Mrd. Euro, um Investitionen in die Infrastruktur und das rollende Material zu unterstützen und Einstieg in die Finanzierung der laufenden Defizite, die sich bis 2031 auf elf Mrd. Euro aufsummieren werden und ansonsten aus den laufenden Kommunalhaushalten zu decken sind. • Eine stärkere finanzielle Unterstützung für den klimawandelbedingten Stadtumbau z. B. in Form eines erhöhten kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer, befristet bis zum Erreichen der gesamtgesellschaftlichen Klimaneutralität. Was wir Kommunen nicht wollen, sind detaillierte, bürokratische Förderprogramme, deren Umsetzung dann aufgrund ihres Zeitverzugs wieder Kritik nach sich zieht. Allein die Stadt Nürnberg ist aktuell mit laufenden Beantragungsverfahren für über 100 verschiedene Förderprogramme der unterschiedlichen Ebenen Bund, Land und Europa beschäftigt. Leider greift der Ende November vorgelegte Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung diese Forderungen kaum auf. Über die wichtige Ankündigung der Lösung des Altschuldenproblems hinaus, die aber nur einem Teil der Kommunen zugutekommt, ist die Ankündigung der Entbürokratisierung der laufenden kommunalen Förderprogramme enthalten, aber kein Vorhaben, den Kommunen direkt weitere Finanzmittel im obigen Sinn zur Verfügung zu stellen. Deshalb sei es an dieser Stelle nochmals deutlich gesagt: Bund und Länder sind jetzt gefordert, einen kommunalen “Long Covid” zu verhindern und damit gleichzeitig alle Kommunen finanziell fit zu machen für Verkehrswende, Klimaschutz und Digitalisierung!

Vor allem Kommunen, die tief in der Verschuldung stecken, können mit dem neuen Koalitionsvertrag auf eine Lösung der Altschuldenproblematik hoffen. Foto: BS/CC BY 2.0, 7C0, flickr.com

im Koalitionsvertrag zur Unterstützung kommunaler Investitionstätigkeit, unter anderem im Bereich des Klimaschutzes und der Transformation. “Für die zielgerichtete Unterstützung bauen wir Investitionshemmnisse bei den Förderprogrammen ab und passen die Bedingungen zur Inanspruchnahme insbesondere für steuerschwache oder überschuldete Kommunen gezielt an”, heißt es dazu im Papier. Der Eigenanteil von benachteiligten Kommunen soll reduziert oder ersetzt und die Förderung soll am Merkmal “Strukturschwäche” ausgerichtet werden. Die kommunalen Förderprogramme sollen verbessert werden, indem sie entbürokratisiert und dort, wo möglich, sinnvoll gebündelt

und mit praxistauglichen Fristen versehen werden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert seit Jahren, den Förderdschungel zu entwirren und somit den Zugang zu Fördermitteln auch für kleinere Verwaltungseinheiten zu vereinfachen. Der Kommunalverband begrüßt daher, dass hier eine neue Förderstruktur die Übersichtlichkeit und damit auch die Umsetzbarkeit erleichtern soll. Auch die reduzierten Eigenanteile bei finanzschwachen Kommunen bewertet der DStGB positiv. Das Aktionsbündnis begrüßt die Reform bei den Förderprogrammen ebenfalls. Die bisherige Förderpolitik des Bundes habe nicht zu benachteiligten Kommunen gepasst. Sie

hätten nicht das Personal, um die aufwendigen Antragsverfahren zu bewältigen, und ihnen würden oft auch die Eigenmittel fehlen, die dabei vorausgesetzt würden. Von den Förderprogrammen hätten daher meist die wohlhabenden Städte profitiert. Der Deutsche Städtetag bewertete es als “gut und notwendig”, die Investitionsfähigkeit der Städte zu unterstützen. Allerdings bräuchten die Städte nicht nur Förderprogramme, sondern mehr frei verfügbare Mittel durch einen größeren Anteil am Steueraufkommen. In einem Punkt hätten sich die Kommunen mehr von der neuen Regierung erhofft. Wesentliche Ursache für die Lasten der Kommunen sei die ungerechte Fi-

Im Koalitionsvertrag wird zwar angekündigt, dass die Bundesregierung bei neuen Aufgaben im Sozialbereich stärker auf die “Ausgewogenheit der Finanzierung” achten möchte, jedoch sind für den DStGB die geplante Einführung einer Kindergrundsicherung, das Bürgergeld (Ersatz für Hartz-IV), die Rentengarantie, die fehlende Positionierung, dass in einer älter werdenden Gesellschaft auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit kein Tabu sein darf, Indizien dafür, dass der Sozialbereich weiter ausgedehnt werden wird. In diesem Zusammenhang fehle ein wirklich klares Bekenntnis zum Grundsatz: Wer bestellt, bezahlt. Dem Kommunalverband ist die nachhaltige Finanzierung im Koalitionsvertrag zu vage formuliert. Es bleibe zu hoffen, dass die Ampel die Leistungsfähigkeit des Staates und der Wirtschaft nicht überschätzt. Insbesondere im Sozialbereich sei eine Reform mit dem Ziel “Finanzierung des Sozialstaats dauerhaft sichern, Überforderung vermeiden” kaum erkennbar. Auch der Deutsche Städtetag bewertet die Ankündigungen als “unzureichend”.


Kommunaler Haushalt

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Kommunale Finanzen weiter im Corona-Tief

Vielfalt digital erleben

Trotz leichter Erholung bei den Steuereinnahmen

Zukunft von Stadt und Handel gestalten

(BS/lkm) Die November-Steuerschätzungen von Bund und Ländern fielen besser als erwartet aus. Die Steuereinnahmen werden höher sein als noch im Mai dieses Jahrs erwartet. Auf kommunaler Ebene erwartet das Bundesfinanzministerium für dieses Jahr demnach ein Steuerplus von 12,2 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020. Für die Kommunalfinanzen könne dennoch keine Entwarnung gegeben werden, meint der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB).

(BS/Torsten Schröder*) Einkaufen, genießen, erleben – eine Stadt wird laut aktuellen Studien dann als attraktiv wahrgenommen, wenn sie es schafft, als Ort der Begegnung alle Sinne anzusprechen. Mit einem lokalen Online-Marktplatz von Locamo lässt sich Ihre Stadt in ihrer ganzen Bandbreite abbilden: Das multifunktionale Konzept verbindet stationäre Angebote mit Online-Sortimenten und Services. Erfahren Sie, wie Städte Bürger und Besucher digital abholen und diese Lösung nutzen, um die Gesamtattraktivität zu stärken sowie die Innenstädte zu beleben.

Der Arbeitskreis Steuerschätzungen prognostiziert für die Kommunen im Jahr 2021 Steuereinnahmen in Höhe von 120,5 Milliarden Euro und im Jahr 2022 dann 122,5 Milliarden Euro. Das macht ein Plus von mehr als zwölf Prozent. Dennoch werden die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden 2021 um 1,4 Milliarden Euro unter den ursprünglichen Erwartungen vor Corona liegen. Für 2022 werden 3,6 Milliarden Euro weniger prognostiziert als ursprünglich angenommen.

Einnahmeverluste Das Gesamtaufkommen der Gewerbesteuer, eine der wichtigsten Steuern der Städte, wird 2021 voraussichtlich bei 55,8 Milliarden Euro liegen und damit 0,6 Milliarden unter dem Niveau, was vor Corona zu erwarten war. Dieser Wert sei allerdings stark von Nachzahlungen für das Jahr 2020 geprägt. Auch beim Einkommensteueranteil erwarten die Gemeinden spürbare Einnahmeverluste. “Die kommunalen Finanzen erholen sich, stecken aber weiter im Corona-Tief”, betonte Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. “Auch wenn die Lage der öffentlichen Finanzen eine positive Tendenz aufzeigt, kann vor allem für die Kommunalfinanzen keine Entwarnung gegeben werden. Wir brauchen mehr kommunale Finanzmittel

und dürfen die Städte und Gemeinden nicht mit immer neuen Aufgaben und Ausgaben überlasten.” “Zwar ist die Lage der Kommunalfinanzen nicht mehr katastrophal – sie bleibt aber angespannt”, gab auch Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, zu bedenken. Ferner sei offen, ab wann wieder mit steigenden Zuweisungen seitens der Länder gerechnet werden könne. Zudem sei ein großer Teil der verbesserten Erwartungen Folge der gestiegenen Inflation: Die Steuermehreinnahmen müssten also zu einem Teil herhalten, um höhere Preise zu kompensieren. Laut DStGB werden die Kommunen trotz der Steuererholung bis 2024 mit 19,6 Milliarden Euro weniger im Vergleich zu den Planungen vor Corona auskommen müssen. Der DStGB fordert von der neuen Bundesregierung und den Ländern daher eine dauerhafte und auskömmliche finanzielle Unterstützung. Nur so könnten die Haushalte vieler Kommunen stabil gehalten und es könne in die Zukunft investiert werden.

lanfgrisitge Finanzierung sichern “Die neue Bundesregierung muss klären, wie die nötigen Investitionen in die Zukunft unseres Landes verlässlich und langfristig ausfinanziert werden können”, so Landsberg. Der Investitionsrückstand der Kommunen beläuft sich schon heute auf

fast 150 Milliarden Euro. Dieser Berg kann nur langfristig abgetragen werden, dafür sind ein Bürokratieabbau, Pauschalierungen und vor allem Planungssicherheit unverzichtbar, um die nötigen Personalkapazitäten in den Verwaltungen und in den Unternehmen zu gewinnen und halten zu können.

Mehr Absicherung notwendig “Zudem dürfen die Kommunen nicht immer weiter mit Ausgabenbelastungen ausgezehrt werden”, so Landsberg. “Der Anspruch auf Ganztagsbetreuung ist politisch und gesellschaftlich gewollt. Wenn der Bund diesen verspricht, muss der dessen Erfüllung auch ausfinanzieren und nicht bei den Gemeinden abladen, die Milliardenausgaben deswegen zu stemmen haben, über die sie nicht verfügen. “Weniger versprechen, mehr absichern” muss die Devise sein”. Der Deutsche Städtetag fordert zur besseren Finanzausstattung der Kommunen einen höheren Anteil am Steueraufkommen. “Nur bei einer ausreichenden Finanzausstattung werden wir vor Ort in eigener Verantwortung und frei von bürokratischen Hemmnissen deutlich stärker investieren können. Und nur so wird es den Städten möglich werden, die wichtigen Transformationsprozesse rund um Klima, Mobilität, Bildung und Digitalisierung erfolgreich zu gestalten”, so Dedy.

“Aufgabenverteilung”

Kommunalisierungsgrad im Vergleich von Dr. Ulrich Keilmann Die Aufteilung von Landes- und kommunalen Aufgaben ist im Flächenländervergleich heterogen. Zur kursorischen Untersuchung der Aufgabenverteilung hat sich die Kenngröße des Kommunalisierungsgrades etabliert. Dieser beschreibt den prozentualen Anteil der kommunalen Ausgaben an den Gesamtausgaben des Landes und seiner Kommunen. Damit können Unterschiede in der Aufgabenverteilung näherungsweise dargestellt werden. Unterschiede können sich u. a. aus einer heterogenen Aufgabenfülle und den gesetzten Standards ergeben. Zu beachten ist: Der Kommunalisierungsgrad ist nur quantitativ interpretierbar. Über ihn lassen sich keine Aussagen über die Qualität oder Effizienz der er-

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

brachten Leistungen ableiten. Zur Berechnung des Kommunalisierungsgrades gibt es verschiedene Methoden. Im Folgenden werden die unmittelbaren Ausgaben herangezogen. Die unmittelbaren Ausgaben sind die im Zuge der Aufgabenerfüllung getätigten Ausgaben – ohne Zahlungen an den öffentlichen Gesamthaushalt. Zu den unmittelbaren Ausgaben zählen: Personalausgaben, laufender Sachaufwand, Zinsausgaben, laufende Zuweisun-

Kommunalisierungsgrad 2019 im Flächenländervergleich Grafik: BS/ Eigene Berechnung und Darstellung

Lokale OnlineMarktplätze sind eine geeignete Lösung, um die Innenstädte nicht nur in PandemieZeiten mit all ihren Facetten zu erhalten. Locamo hat deshalb einen Online-Marktplatz speziell für den stationären Einzelhandel entwickelt. Foto: BS/Locamo

gen und Zuschüsse, Schuldendiensthilfen, Sachinvestitionen (Baumaßnahmen sowie Erwerb von Sachvermögen), Vermögensübertragungen, Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen, Darlehen an andere Bereiche und Erwerb von Beteiligungen. Die Abbildung zeigt den Kommunalisierungsgrad auf Basis der Kassenstatistik 2019 im Flächenländervergleich. Die Analyse beschränkt sich auf das Vorkrisenjahr, um ein Bild ohne pandemiebedingte Auswirkungen zu zeigen. Im Durchschnitt der Flächenländer lag der Kommunalisierungsgrad bei 51,74 Prozent. Damit war das Ausgabevolumen der Kommunen etwas größer als das der Länder. Indes finden sich im Flächenländervergleich große Differenzen. Den höchsten Wert des Kommunalisierungsgrads hatte mit 57,20 Prozent NordrheinWestfalen und den niedrigsten Wert mit 40,22 Prozent das Saarland. Lesen Sie mehr zum Thema “Aufgabenverteilung” im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 35 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

Kommunen stehen vor der Aufgabe, tragfähige Zukunftskonzepte für städtische Räume zu entwickeln. Die Menschen wünschen sich erlebnisorientierte Innenstädte mit vielfältigen Angeboten des Handels und der Gastronomie, aber auch Freizeit- und Kulturaktivitäten. Wie kann ein lokaler OnlineMarktplatz dieses Bedürfnis unterstützen? Die Realität zeigt, dass Kommunen, die Locamo nutzen, die Attraktivität ihrer Innenstadt steigern konnten. Denn aus Anwenderperspektive wird hier mehr als ein Shopping-Portal geboten: Eine digitale Plattform, die den lebendigen Charakter einer Stadt widerspiegelt.

Der Funktionsumfang lokaler Online-Marktplätze von Locamo orientiert sich am Bedürfnis nach Information, Einkauf, Genuss und Erlebnis. Für jedes Projekt wird der Marktplatz individuell konfiguriert und ist gleichzeitig Shopping-Plattform und Unternehmensverzeichnis mit Öffnungszeiten und Kontaktmöglichkeiten. Er präsentiert Gastronomie, Dienstleister, Handwerk und Vereine. In der Funktion als Info- und Buchungsportal für Gutscheine, Veranstaltungen, Tourismus, ÖPNV und Parken bündelt das Portal alle relevanten Angebote für Besucher. Per Click & Collect werden Ein-

zelhändler auch ohne OnlineShop sichtbarer und profitieren vom Wunsch der Verbraucher, verstärkt lokal einzukaufen. Wenn der Weg in die Stadt mit einem Besuch im Café oder bei einem Dienstleister verbunden wird, trägt Locamo auch zu einer positiveren Umweltbilanz bei. Möchten Sie erfahren, ob sich diese Marktplatz-Lösung auch für Ihre Stadt oder Region lohnt? Nähere Informationen erhalten interessierte Städte bei Torsten Schröder: torsten.schroeder@locamo.de . *Torsten Schröder ist Vertriebsleiter City Solutions bei Locamo.


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Behörden Spiegel / Dezember 2021

Fuhrparkmanagement D

ie Themen “Klimaschutz” und “Nachhaltigkeit” sind für Freiburg nicht neu – im Gegenteil: sie werden hier seit Jahrzehnten großgeschrieben und gehören praktisch zur DNA der Stadt. Sie sind fest verankert: in der Politik, der Verwaltung und der Bürgerschaft. Bereits 1996 wurden hier erstmals städtische Klimaschutzziele formuliert. Seitdem werden unsere Klimaschutzziele regemäßig überprüft, angepasst und von Zeit zu Zeit auch immer ehrgeiziger. Freiburg hat sich schon früh mit seiner ambitionierten Umweltpolitik und einem klaren politischen und bürgerlichen Bekenntnis zur nachhaltigen Stadtentwicklung als “Green City” weltweit einen Namen gemacht.

Auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt Wie gelingt uns die CO2-freie Verkehrswende? (BS/Prof. Dr. Martin Haag*) “Stadtverträgliche Mobilität fördern, weniger Verkehrsbelastung produzieren” – so lautet eines der Freiburger Nachhaltigkeitsziele. Eine nachhaltige Mobilität ist unabdingbar, um die verkehrsbedingten Emissionen zu senken und damit die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen.

Märkte- und Zentrenkonzept entwickelt – sozusagen eine “Stadt der kurzen Wege”, d. h. die Stadtteilzentren werden durch ortsnahe Versorgung und den Anschluss an die Stadtbahnnetze gestärkt. Ansiedlungen auf der “grünen Wiese” werden nur unter bestimmten Voraussetzungen genehmigt. Ein weiterer wichtiger Baustein für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist sicher auch der in den Regio-Umweltkarte letzten Jahren verstärkte Ausbau Schon vor Jahrzehnten wurde von Carsharing-Angeboten und hier, mit dem Bau neuer Straßen- Leihrädern. Und Freiburg lässt nicht nach: Mit bahnlinien, eine Art Verkehrswende eingeläutet. Dazu kam 1991 dem im Jahr 2019 verabschiedeten die Einführung einer sogenannten Klima- und Artenschutzmanifest Regio-Umweltkarte für den ÖPNV, werden alle Entscheidungen des die Radwege wurden – und werden Gemeinderats hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Klima und die biologische Vielfalt überprüft. Auch die Klimaschutzziele hat man erst Prof. Dr. Martin Haag ist vor wenigen TaBaubürgermeister der Stadt gen noch einmal Freiburg im Breisgau, Badenverschärft: Die Württemberg. CO 2 -Emissionen Foto: BS/Stadt Freiburg soll bis zum Jahr 2030 um 60 Prozent reduziert wernoch immer – weiter ausgebaut, den – und schon 2038 soll Freiburg der Verkehr für Fußgänger/-innen klimaneutral sein! Was die Verwalwird ebenso gezielt gefördert und tung selbst angeht, ist man sogar in neuen Stadtteilen plante man noch ehrgeiziger: Hier will man bis schon früh erste autofreie Wohn- 2030 klimaneutral werden! Diese ehrgeizigen Ziele können gebiete – der neue Stadtteil Dietenbach, der gerade am Entstehen nur erreicht werden, wenn hier ist, soll sogar ganz klimaneutral auch die Verwaltung Verantwerden. Zudem hat Freiburg ein wortung und eine wichtige Vor-

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amit Unternehmensmobilität langfristig bestehen kann, muss sie sowohl ökonomisch als auch ökologisch tragfähig sein. Die Weichen dafür muss die neue Regierung in einem Masterplan stellen. Die wichtigsten Treiber in der Wende sind zum einen alternative Antriebsarten als Beitrag zur Dekarbonisierung bis 2050 und zum anderen eine weiter zunehmende Geschwindigkeit der Digitalisierung. Hier ist aktives Handeln der nächsten Bundesregierung gefragt.

Mobilitätsalternativen schaffen Unternehmen mit betrieblichem Fuhrpark nehmen eine Schlüsselfunktion beim Mobilitätswandel ein. Die Mobilität der Arbeitnehmer/-innen kann aber nur durch intelligente Unternehmensstrategien und punktuelle öffentliche Unterstützung verändert werden. Um den Wandel hin zu ökologischen Alternativen zu vollziehen, muss das Blickfeld geöffnet werden. Forderungen nach einem absoluten “Verbot aller Verbrennerfahrzeuge” stellen Unternehmen vor unlösbare Probleme, wenn beispielsweise Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in erforderlicher Größe und Leistungsfähigkeit noch nicht vorhanden sind. Die UN-Klimakonferenz hat gezeigt, dass das “Verbrenner-Aus” immer noch ein Thema ist. Zum

Planung und Bereitschaft

In Freiburg werden 79 Prozent der Wege zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV zurückgelegt.

bildfunktion einnimmt – in ihrer täglichen Arbeit, aber auch für die Mitarbeiter/-innen. Was kann klimaverträglich gestaltet werden? Das betrifft unter anderem den eigenen Bausektor, die Mobilität, aber auch interne Abläufe.

Klimaneutrale Dienstfahrten Für den Neubau und die Sanierung sämtlicher Verwaltungsgebäude, Schulen oder Kindergärten gibt es in Freiburg zum Beispiel klare Energieleitlinien. Für Neubauten ist die Passivbauweise grundsätzlich umzusetzen. Auch in Sachen Mobilität geht die Freiburger Verwaltung mit gutem Beispiel voran: Der stadtinterne Post-Botendienst wird ausschließlich auf Fahrrädern bewerkstelligt und der stadteigene Fahrzeugpool besteht größtenteils aus Elektro-Autos.

Um die klimafreundliche Mobilität der Mitarbeiter/-innen zu unterstützen, hat die Stadtverwaltung 2016 mithilfe eines externen Beratungsunternehmens ein Personenmobilitätskonzept entwickelt. Das Konzept sollte aufzeigen, wie die Stadt die eingesetzten Verkehrsmittel der Beschäftigten für Dienstfahrten und Dienstgänge optimieren und auch die Wege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz umweltfreundlicher gestalten kann. Die Mitarbeiter/-innen sollten also für nachhaltige Mobilität sensibilisiert werden. Herausgekommen sind – auch finanziell gesehen – attraktive Angebote für die Beschäftigten. Die wichtigsten Punkte sind die Optimierung des Fahrzeugpools (ein verwaltungsinternes Carsharing), die Reduzierung von Parkplätzen für private Autos, der sehr hohe Zuschuss

Foto: BS/Stadt Freiburg

für ein ÖPNV-Ticket und die Möglichkeit des Fahrradleasings im Gehaltumwandlungsmodell. Die Beschäftigten können das Rad bzw. E-Bike ihrer Wahl sowohl im Dienst als auch privat nutzen. Mit den genannten Bausteinen des Personalmobilitätskonzeptes leistet die Stadt Freiburg somit einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz, zur Verkehrsentlastung und auch zur Gesundheitsvorsorge der Mitarbeitenden. Und die Maßnahmen zeigen Erfolg: Eine aktuelle Studie zur Verkehrsmobilität zeigt: bereits jetzt werden in Freiburg 79 Prozent der Wege im innerstädtischen Verkehr zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV zurückgelegt. Damit ist Freiburg bezogen auf den Verkehrsbereich eine der umweltfreundlichsten Städte Deutschlands. Die Bedingungen

Es gibt viel zu tun, Herr Wissing! Forderungen an die neue Regierung (BS/Axel Schäfer*) Mit der UN-Klimakonferenz im November ist ein fast vergessenes Thema wieder in den Fokus gerückt – der Klimawandel. Und damit einhergehend natürlich auch die Frage nach der dringend nötigen Mobilitätswende. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP bietet gute Ansätze. Um dem Klimawandel endgültig entgegenzuwirken, bedarf es aber weiterer Maßnahmen. Der Bundesverband Fuhrparkmanagement e. V. (BVF) hat dazu konkrete Impulse und Forderungen entwickelt, um den Mobilitätswandel in Unternehmen weiter anzukurbeln. jetzigen Zeitpunkt sollte allerdings noch kein Verbrenner-Verbot beschlossen werden, solange es keine ausreichenden Alternativen gibt. Deutschland setzt vordergründig auf Elektromobilität, ohne dass dafür die geeigneten Mittel vorhanden sind. Zum jetzigen Zeitpunkt herrscht bei der möglichen Regierung Einigkeit darüber, dass bis 2035 nur noch Null-Emissionen-Fahrzeuge neu zugelassen werden sollen. Damit ist aber noch nicht das endgültige Verbot des Verbrenners beschlossen – alternative Kraftstoffe wie E-Fuels könnten durchaus Teil der Lösung sein. Das wäre wünschenswert. Außerdem sollten bereits vorhandene und bewährte Technologien (beispielsweise CNG) als Übergangslösungen genutzt und gefördert werden.

Lösungsansätze Um den Mobilitätswandel zu bestreiten, bedarf es eines Masterplans der Regierung. Dadurch ist nicht nur eine Verbesserung bei der ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit möglich, sondern auch eine Steigerung in

im Fuß- und Radverkehr sowie im ÖPNV erhalten regelmäßig Bestnoten in Bürgerumfragen oder Mobilitätsuntersuchungen. Und trotzdem sind die CO2-Emissionen im Verkehr noch zu hoch – hier stagniert der Rückgang. Das wollen wir ändern. Um die Verkehrswende voranzubringen, wollen wir neue Wege einschlagen. Denn der Rückgang des motorisierten Individualverkehrs leistet nicht nur einen positiven Klimabeitrag: Auch die Lebens- und Aufenthaltsqualität in den Städten, die Verkehrssicherheit sowie die Lärm- und Feinstaubbelastung werden somit verbessert. Ein Gewinn für Mensch und Klima!

der Qualität der Mobilitätsangebote. An erster Stelle des Masterplans sollte ein Mobilitätsgesetz stehen, das regulatorische Rahmenbedingungen auch für die betriebliche Mobilität schafft. Elektromobilität scheint – zumindest aus Sicht der Regierung – das Mittel auf dem Weg in die Nachhaltigkeit. Dafür bedarf es aber noch einiger Veränderungen. Insbesondere die Frage der Schaffung von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und ein verbindliches Roaming-System für Ladestrom-Tarife sollten im Rahmen eines Masterplans festgelegt werden. Der derzeit herrschende Tarifdschungel verursacht bei Fuhrparkmanager/innen einen erheblichen Mehraufwand. Durch die Vielzahl der Anbieter bestehen abweichende Zahlungsmittel und Konditionen, was die Abrechnung der Ladevorgänge unnötig erschwert. Hier wäre beispielsweise die Vorgabe eines einheitlichen Zahlungsmittels, das immer an Ladestationen nutzbar sein sollte, sinnvoll. Ebenso zu überdenken ist die staatliche Förderung alternativer

Antriebe. Zur Erreichung des Mobilitätswandels mit nachhaltig ökologischer Wirkung ist eine stärkere Differenzierung der Förderung erforderlich. Die Förderung von Plugin-Hybriden ist nicht zielführend, da diese zwar die Automobilindustrie bei der Erreichung von CO2-Vorgaben begünstigt, in der Praxis aber kein nennenswerter Nachhaltigkeitseffekt sichtbar ist. Außerdem werden diese Fahrzeugtypen zu wenig elektrisch betrieben. Als Anreiz für den Kauf dient meist der Dienstwagensteuervorteil – nachhaltige Aspekte spielen häufig keine Rolle. Die Förderungen und die Dienstwagenbesteuerung sollten von der neuen Bundesregierung dringend korrigiert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt eines Masterplans zur Mobilitätswende ist die hürdenfreie Bereitstellung von Mobilitätsdaten. Außerdem muss das Recht auf die eigenen Daten des Datengebers gewährleistet sein. Fahrzeughersteller dürfen nicht Eigentümer und Verfügungsberechtigte über Daten der Fahrzeugnutzer/-innen

sein, da hierdurch sinnvolle, durch Dritte angebotene Services zur Verbesserung der Mobilität eingeschränkt würden. Zudem muss der Masterplan die Angleichung steuerlicher Gegebenheiten beinhalten. Derzeit werden Unternehmen durch je nach Bundesland abweichenden Regelungen eingeschränkt, wenn sie ihren Mitarbeitenden den Zugang zu alternativen Mobilitätsmitteln wie Fahrrädern oder ÖPNV ermöglichen. Dem muss entgegengewirkt werden.

Zuständigkeiten müssen geregelt werden Eine erforderliche Grundlage für den Mobilitätswandel ist es, Zuständigkeiten, Entscheidungs- und Umsetzungskompetenzen für alle Mobilitätsmittel zu bündeln. Das betrifft nicht nur die Organisation der verantwortlichen Ministerien, sondern auch die Interaktion der nachgeordneten Behörden und

Mithilfe eines Klimamobilitätsplans möchten wir im kommenden Jahr genau untersuchen, wo noch weiteres Einsparpotenzial liegt, wo wir genau auf unserem Weg zur Klimaneutralität im Verkehr noch ansetzen können und welche Maßnahmen hier besonders wirksam sind. Diese sogenannten Klimamobilitätspläne sind ein Instrument im neuen Klimaschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg – Freiburg hat sich beim Verkehrsministerium für dieses Projekt beworben und wurde als eine von vier Pilotkommunen ausgewählt. Mit der richtigen Stadt- und Verkehrsplanung und der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich umweltverträglich zu verhalten, ist in der Zukunft noch einiges möglich. Aber nicht alle Elemente einer Mobilitäts- und Verkehrswende tragen gleichermaßen zum Klimaschutz und zur Minderung der CO2-Emission bei. Deswegen sind sie aber nicht überflüssig, da sie andere wichtige politische Ziele verfolgen: Denn mit diesen Maßnahmen verbessern wir auch die Lebensqualität in unseren Städten!

Gesellschaften im Bundesbesitz. Der Bund muss die dazu nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Die Verantwortung für die Gestaltung des Mobilitätswandels sollte weiterhin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gebündelt sein, das aber als Bundesministerium für Mobilität auftreten sollte. Um die Probleme aus dem Weg zu räumen, denen Unternehmen derzeit bei der Gestaltung des Mo-

Axel Schäfer ist Geschäftsführer und beratendes Vorstandsmitglied des Bundesverbands Fuhrparkmanagement e. V. Foto: BS/Bundesverband Fuhrparmanagement

bilitätswandels ausgesetzt sind, ist die Umsetzung des Masterplans sinnvoll. Es bedarf einer Kombination aus gesetzlichen Vorgaben und Nutzerfinanzierung (Push) und Angebotsverbesserungen in Qualität und Quantität (Pull). Der Handlungsbedarf ist groß, eine strategisch ausgerichtete und gebündelte Vorgehensweise wird uns aber schneller machen, Kosten reduzieren und Unmut verhindern. Alle sollen Lust bekommen, an nachhaltigen Verbesserungen mitzuwirken.


Fuhrparkmanagement

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as Klimaschutzgesetz sieht vor, dass Deutschland bis 2045 die Treibhausgasneutralität erreichen soll. Der Verkehrssektor muss dazu bis 2030 48 Prozent weniger Treibhausgase emittieren. Auch die Europäische Union verfolgt ambitionierte Reduktionsziele. Für das öffentliche Beschaffungswesen wurde 2019 die überarbeitete Richtlinie über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge (Clean Vehicles Directive) erlassen. Die Richtlinie fordert und fördert die Transformation hin zu einer emissionsärmeren Mobilität in den EU-Mitgliedsstaaten. Damit rücken vermehrt Städte, Landkreise und Kommunen in den Fokus von Klimaschutzmaßnahmen im Straßenverkehr. Landkreise und kreisfreie Städte in ihrer Funktion als Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie Gemeinden mit kommunalen Fuhrparks haben als öffentlicher Auftraggeber die Möglichkeit, über die Art der zu beschaffenden Straßenfahrzeuge zu bestimmen. Sie können dabei festlegen, welche Nachhaltigkeits- und Umweltaspekte im Beschaffungsprozess berücksichtigt werden sollen.

SaubFahrzeugBeschG Deutschland setzt die Clean Vehicles Directive durch das neu erlassene Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge (Saubere-FahrzeugeBeschaffungs-Gesetz – SaubFahrzeugBeschG) um. Nach diesem sind die öffentliche Hand sowie bestimmte private Akteure seit dem zweiten August dieses Jahres dazu verpflichtet, dass ein Teil der neu angeschafften Fahrzeuge emissionsarm oder -frei sein muss. Die Umstellung kommunaler Fuhrparks und Flotten des ÖPNV birgt eine große Chance, alternative Antriebe sichtbar und den ÖPNV attraktiver zu machen. Viele Städte und Kommunen besitzen bereits eigene Klimaschutz- oder Elektromobilitätskonzepte. Damit leisten sie schon jetzt einen wertvollen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung und fördern durch eine dauerhafte Senkung des Energieverbrauchs den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Auch der Ausbau von Betankungs- und Ladeinfrastruktur für emissionsarme und emissionsfreie Fahrzeuge ist ein wichtiger Schritt hin zur Gestaltung einer flächendeckenden Verkehrswende. Dabei können die Fahrzeuge mit alternativen Antrieben nicht nur Emissionen senken. Unter bestimmten

Alternative Antriebe in Fuhrparks dena erarbeitet einen Leitfaden für Kommunen (BS/Carsten Bamberg/Jascha Lackner/Stefan Siegmund) Die Deutsche Energie-Agentur (dena) erarbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) einen Leitfaden für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in Kommunen. Damit bekommen Gemeinden und Landkreise konkrete Unterstützung bei der Umsetzung einer nachhaltigeren Mobilität. schwere Nutz- und Sonderfahrzeuge für den kommunalen Bereich sowie Busse.

Rechtssichere Beschaffung Für eine rechtssichere Beschaffung sind zudem die Anforderungen des Vergaberechts zwingend zu beachten. Dessen Komplexität stellt kommunale Aufgabenträger häufig vor große Herausforderungen. Daher bietet der Leitfaden eine Hilfestellung bei der Integration alternaCarsten Bamberg ist Seniorexperte für Jascha Lackner ist Experte für Markt- Stefan Siegmund ist Leiter der Abteilung alternative Antriebe und nachhaltige integration von E-Mobilität sowie für “Nachhaltige Mobilität und alternative tiver Antriebe in das VerEnergieträger” (alle dena). Mobilität. gabeverfahren. Anhand von Fotos: BS/dena nachhaltige Mobilität. konkreten Beispielen und Formulierungshilfen zeigt er Voraussetzungen lassen sich Übersichten zu derzeit am Markt der Leitfaden Fördermöglichkei- auf, wie kommunale Gebietskörauch die laufenden Kosten für verfügbaren Fahrzeugen und ten für alternative Antriebe. Die perschaften im Beschaffungsden Betrieb der Fahrzeugflotte deren Lade- und Betankungs- Marktübersicht umfasst dabei prozess Fahrzeuge mit alternainfrastruktur. Auch beschreibt Pkws, leichte Nutzfahrzeuge, tiven Antrieben integrieren bzw. reduzieren.

Leitfaden zur Beschaffung Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unterstützt Kommunen und kommunale Akteure (z. B. ÖPNV) durch ein breites Förderangebot bei der Beschaffung von Fahrzeugen mit klimafreundlichen Antrieben sowie der Infrastruktur. Das BMWi in Zuständigkeit für Energie- und volkswirtschaftliche Effizienz unterstützt kommunale Gebietskörperschaften durch einen im Dezember 2021 erscheinenden Leitfaden mit Hintergründen und organisatorischen Fragestellungen zur Beschaffung von Fahrzeugen. Erstellt wurde der Leitfaden “Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in Kommunen” durch die Deutsche Energie-Agentur (dena). Der Leitfaden gibt einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten zur Beschaffung von Straßenfahrzeugen mit alternativen Antrieben für den öffentlichen Personennahverkehr und kommunale Fuhrparks sowie deren notwendiger Infrastruktur. Es werden die verschiedenen alternativen Antriebskonzepte und die entsprechenden Ladebzw. Betankungsinfrastrukturen sowie deren Vor- und Nachteile dargestellt. Der Leitfaden verdeutlicht anhand von ausgewählten Best-Practice-Beispielen, wie unterschiedliche lokale Lösungen in der Praxis aussehen können. Des Weiteren enthält er

MELDUNG

3G für ÖPNV (BS/mj) Mit Beschluss des neuen Infektionsschutzgesetzes durch Bundestag und Bundesrat soll im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und in den Zügen des Regional- und Fernverkehrs zukünftig die 3GRegel gelten – zusätzlich zur Maskenpflicht. Laut einem Sprecher des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) sind “die 3G-Kontrollen deutlich aufwendiger als die Maskenkontrollen, da nicht auf den ersten Blick erkannt werden kann, ob jemand geimpft, genesen oder getestet ist”. Außerdem wird kritisiert, dass für viele Menschen in systemrelevanten Berufen Bus und Bahn die einzige Möglichkeit seien, zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Die Gewerkschaft Verdi fordert zudem, die Kontrollen nicht auf die Beschäftigten abzuwälzen und klare Zuständigkeiten zu schaffen. Christine Behle, stellvertretende Verdi-Vorsitzende, erklärt: “Eine

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halbgare Regelung nutzt dem Infektionsschutz sicherlich nichts und bringt die Beschäftigten in Gefahr.” Auch Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), merkt an: “Sofern die künftigen Regierungskoalitionäre sich weiter gehende Kontrollen vorstellen, müssen sie die Frage beantworten, wie die öffentliche Mobilität dann aufrechterhalten werden soll und ob beispielsweise die Bundespolizei die Kontrollen dann auch im ÖPNV durchführt.” Eine flächendeckende Kontrolle der 3G-Regel sei im Nahverkehr nicht möglich, meint auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). “Aber konsequente, stichprobenartige Kontrollen können eine Wirkung entfalten. Die Länder sind gefordert, die Bußgelder entsprechend zu erhöhen, damit die Wirkung nicht verfehlt wird.”

berücksichtigen können. Eine Checkliste unterstützt kommunale Akteure bei einer ersten Einschätzung, welche Antriebstechnologie in ihrem Anwendungsfall am besten geeignet sein kann. Bereits heute gibt es eine Vielzahl an Kommunen, die Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in ihren Fuhrparks einsetzen. Neben dem reinen Personentransport finden sich mittlerweile auch immer mehr Fahrzeuge für den Bereich der Straßenreinigung, Abfallsammlung und Grünflächenpflege. Die Anzahl von batterieelektrischen Bussen steigt stetig an und bringt vielseitige Vorteile für Menschen in Stadt und Land mit sich. Der Leitfaden stellt daher kommunale Praxisbeispiele vor, die bereits Fahrzeuge mit alternativen Antrieben angeschafft haben. Es zeigt sich, dass viele Kommunen, trotz weiterhin bestehender Herausforderungen, positiv auf die Beschaffungen der Fahrzeuge blicken. Denn die Fahrzeuge tragen nicht nur zum Erreichen der Klima- und Luftreinheitsvorgaben bei, sondern stärken das Image durch die modernen Flotten.


Fuhrparkmanagement

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“Wir fahren umweltfreundlich”

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ie Aufgaben des Fuhrparks sind im Sachgebiet Mobilitäts- und Fuhrparkmanagement gebündelt. Neben der reinen Verwaltung obliegt den Mitarbeitenden auch die Beschaffung, Aussonderung und Reparatur der Fahrzeuge, wobei die Fahrzeuge der Feuerwehr und der Eigenbetriebe (z. B. Theater und Zoo) hier ausgenommen sind. Eine typische Aufgabe des bisherigen Mobilitätsmanagements war es, einen Mobilitätspool zu konzipieren und aufzubauen. In diesem Pool werden bis heute nicht nur die Autos, sondern auch Dienstfahrräder und -monatskarten verwaltet. Die Beschäftigung mit alternativen Antrieben ist eine obligatorische Aufgabe im Fuhrpark, wobei das Hauptaugenmerk gegenwärtig auf der Elektrifizierung liegt. Weitere Alternativen wie Wasserstoff werden aber ständig evaluiert. Die Elektrifizierung des Fuhrparks hat 2016 mit ersten Überlegungen begonnen, die dazu führten, dass 2017 drei E-Pkws angeschafft wurden. In den letzten Jahren wurden weitere 13 E-Pkws beschafft. Ziel der Stadtverwaltung Erfurt ist es, bis Ende 2026 im Bereich der Pkws 85 Prozent auf Elektroantrieb umzustellen. Im Segment der Kleintransporter und Kastenwagen wird für den gleichen Zeitraum eine Umstellung auf 50 Prozent angestrebt. Im Bereich der Grünanlagenpflege und Friedhofsunterhaltung sind derzeit zwei E-Lastenräder im Einsatz und erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Ebenfalls wurden zwei E-Transporter beschafft, die in der Grünanlagenpflege und im Sachgebiet Landschaftsbau/ Technik eingesetzt werden. Des Weiteren sind derzeit 22 Dienstfahrräder als E-Bikes in allen Ämtern der Stadt in Benutzung.

Umsetzung mit Schwierigkeiten Die anfängliche Skepsis der Mitarbeitenden gegenüber der damals noch unbekannten Technologie, vor allem was die Reichweite betrifft, ist im Laufe der letzten Jahre eher in eine Begeisterung für diese Technologie umgeschlagen. “Das ist ein wenig wie Kart fahren” ist zwar keine offizielle Aussage, aber eben auch nicht selten zu hören. Ebenfalls hat die Einführung und Möglichkeit der Nutzung von dienstlichen E-Bikes zur Steigerung der Akzeptanz dieser Technik bei den Mitarbeitenden geführt. Ungeachtet dieser positiven Entwicklung des Meinungsbildes stehen die Mitarbeitenden des Mobilitäts- und Fuhrparkmanagements noch vor erheblichen Problemen im Zusammenhang mit der Ladeinfrastruktur selbst. Damit mehrere Fahrzeuge an ei-

Die Elektrifizierung des Erfurter Fuhrparks (BS/Andreas Hegt*) Die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Erfurt unterhält einen eigenen Fuhrpark, der dem Garten- und Friedhofsamt zugeordnet ist. Dies ist teils historisch gewachsen, da das Gartenamt einerseits zu den größten Ämtern gehört und die meisten Fahrzeuge nutzt, andererseits verfügt Erfurt nicht über ein klassisches Hauptamt. nem Standort gleichzeitig laden können – und es ist mittlerweile Allgemeinwissen, dass dies nicht über eine handelsübliche Schukosteckdose, sondern mittels Wallboxen oder Ladesäulen funktioniert –, wird ein ausreichend großer Netzanschluss vorausgesetzt. Das bedeutet konkret, dass an den meisten Ladestandorten gänzlich neue Anschlüsse mittels aufwendiger Tiefbauarbeiten gezogen werden müssen, um ausreichend dimensionierte Leitungen für die Ladevorgänge zu haben.

Abrechnung Die Abrechnung des getankten Stromes wie auch die Anzahl der zukünftigen E-Fahrzeuge und die dementsprechende Anzahl an Ladepunkten sind weitere Schwierigkeiten, vor denen die Mitarbeitenden des Fuhrparks stehen. Diese Probleme zu lösen, hat die letzten zwei Jah-

“Wir fahren umweltfreundlich” lautet das Motto der Stadtverwaltung von Thüringens Hauptstadt. Die Dienstfahrzeuge laden hauptsächlich an stadteigener Ladeinfrastruktur. Foto: BS/Andreas Hegt

re in Anspruch genommen. So wurde zum Beispiel entschieden, dass die Abrechnung des getankten Stroms direkt über den Fuhrpark erfolgt. Damit dies passieren kann, wird nun an jedem neuen E-Mobil-Standort

ein neuer Strom-Hausanschluss beantragt, der direkt über den Fuhrpark angemeldet wird. Die Anzahl der E-Fahrzeuge wird stetig steigen, die Anzahl der Ladepunkte dagegen nicht. Jedem E-Dienstfahrzeug einen eigenen

Ladepunkt zur Verfügung zu stellen, würde einerseits die Kosten für die Ladeinfrastruktur in die Höhe treiben und andererseits die Anforderungen an den jeweiligen Netzanschluss überfordern. Daher entschied man sich für eine intelligente Ladeinfrastruktur mit integriertem Lastenmanagement und einem Verhältnis von E-Fahrzeug zu Ladepunkt von zwei zu eins. Der weitere Vorteil der intelligenten Ladeinfrastruktur liegt in der Möglichkeit, die einzelnen Ladevorgänge je Fahrzeug über das Intranet auszulesen und im Nachhinein, wenn es notwendig ist, zuordnen zu können – und dies ohne zusätzliche Kosten, denn viele Anbieter von Ladeinfrastruktur bieten diese Möglichkeiten nur in Verbindung mit UMTS-Karten in der Ladeinfrastruktur und einem kostenpflichtigen Online-Portal. Der Ausbau der Elektromobi-

lität im Bereich der Pkwss und Kleintransporter auf nahezu 85 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre ist das große Ziel der Stadtverwaltung Erfurt. Neben diesem ambitionierten Ziel wird gleichzeitig der Ausbau der Mobilitätspools in der Stadtverwaltung Erfurt weiter vorangetrieben. Mehrere dieser Pools sind bereits in Betrieb und erfreuen sich großer Beliebtheit. Auch dort wird weiter auf E-Mobilität umgestellt, einerseits bei den Fahrzeugen und andererseits bei den Fahrrädern.

Auch Transporter und Kipper werden elektrisch Neben den gewöhnlichen Pkws soll der Fuhrpark aber auch im Bereich der Transporter mit Pritsche oder mit Kipper weiter auf Elektromobilität umgestellt werden. Hier zeigt sich allerdings aktuell immer mehr, dass die Hersteller in der Entwicklung solcher Fahrzeuge noch nicht so weit sind beziehungsweise es nur wenige Fahrzeuge in diesem Segment gibt und bei diesen die Ausstattungsvarianten stark in der Nutzung eingeschränkt sind. *Andreas Hegt ist Sachgebietsleiter des Fuhrpark- und Mobilitätsmanagements der Stadt Erfurt.

“Der Anwendungsbereich ist sehr groß” Umrüstung statt Neukauf (BS) Die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft (UVG) rüstet Dieselbusse auf Wasserstoff-Brennzellen-Antrieb um, anstatt neue Wasserstoffbusse zu kaufen. Darüber spricht Lars Boehme, Geschäftsführer der UVG, im Interview mit Matthias Lorenz. Behörden Spiegel: Warum hat sich die UVG für die Umrüstung von Dieselbussen und nicht für die Neuanschaffung von Wasserstoffbussen entschieden? Lars Boehme: Dafür gibt es ein paar gute Gründe: Zum Zeitpunkt der Entscheidung gab es vielleicht zwei potenzielle Hersteller von Neufahrzeugen, die möglicherweise in der Lage gewesen wären, Wasserstoffbusse als Neufahrzeuge anzubieten. Allerdings versehen mit einer Technik von gestern und mit Preisen von übermorgen. Von den Lieferzeiten von deutlich über zwei Jahren gar nicht gesprochen. Auch hätten diese Hersteller zunächst eher Experimentalfahrzeuge auf die Straße gebracht und das zu einem damaligen Preis, der jede Vorstellungskraft gesprengt hat (damals über 0,7 Mio. Euro). Auch heute sind Wasserstoff-Busse wenigstens zwei- bis dreimal so teuer wie normale herkömmliche Fahrzeuge. Von Sonderfahrzeugen (Gliederfahrzeugen oder Hochflur) ganz abgesehen. Da ergibt

es dann Sinn, auf bestehende Fahrzeuge zurückzugreifen und diese umzurüsten. Die Effekte und Nutzen liegen klar auf der Hand: Die Lebensdauer der “alten” Fahrzeuge wird um sieben bis zehn Jahren, verlängert. Man spart die Ressourcen für den Neubau. Außerdem unterstützt man so den Nachhaltigkeitsgedanken viel stärker und hilft den Herstellern von Nutzfahrzeugen, eine zeitliche Lücke zu schließen, da diese mit der Produktion von Neufahrzeugen gar nicht hinterherkommen, um die gewünschten Klimaziele mittelfristig zu erreichen. Es müsste jetzt schon begonnen werden, rund 200.000 Nutzfahrzeuge wie Lkws oder Busse emissionsfrei auf die Straße zu bringen. Davon sind die Hersteller noch Lichtjahre entfernt. Von der benötigten Tankinfrastruktur ganz zu schweigen. Behörden Spiegel: Lohnt sich eine solche Umrüstung im Gegensatz zur Neuanschaffung? Boehme: Wir sagen klar ja. Es lohnt sich aus unterschiedlichen

130 Fahrzeuge per Software im Blick Stadtwerke Neumünster digitalisieren Fuhrparkverwaltung (BS/Andreas Schneider*) “Digitalisierung des Fuhrparks“ – so der Vorsatz der Stadtwerke Neumünster für 2021. Im Laufe der Zeit und durch wechselnde Zuständigkeit war ein heterogener Datenbestand herangewachsen, teils auf Papier, teils in Excel-Tabellen, der nicht immer einfach zu verwalten war. Dem sollten digitale Lösungen ein Ende setzen. Die Fuhrparkverwaltung sollte künftig als Software auf Cloud-Basis

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schlanker und homogener sein. Nach einem Vergleich verschiedener Möglichkeiten fiel die Wahl auf das Software-Angebot von

Setzen auf Cloud-basierte Softwarelösungen zum Fuhrparkmanagement: die Stadtwerke Neumünster (SWN). Foto: BS/Vimcar

Vimcar. Anfang des Jahres erfolgte die Umstellung. Seitdem können die Stadtwerke Neumünster die Kosten ihres Fuhrparks zentral überblicken und analysieren. Auch Aufgaben wie eine rechtssichere Führerscheinkontrolle sind im neuen System möglich. Zudem erleichtert die integrierte Übersicht aller CO2-Emissionen die geplante Umstellung auf Elektromobilität. “Heutzutage möchte ich Daten managen und Erkenntnisse ziehen. Für unseren Fuhrpark sind wir jetzt aussagefähig”, sagt Frank Wede von den Stadtwerken Neumünster (SWN). *Andreas Schneider ist Geschäftsführer von Vimcar.

komponenten zukünftiger Nutzfahrzeuge ein. Auch sollen die Fahrzeuge nach und nach als ganz “normale Fahrzeuge” ihren Dienst bei der UVG auf dem gesamten Streckennetz verrichten. Behörden Spiegel: Plant die UVG die Umrüstung weiterer Busse?

Lars Boehme, Geschäftsführer der UVG

Gründen, bestehende Fahrzeuge umzurüsten und nicht nur auf Neufahrzeuge zu setzen. Die Wertschöpfung kann in der Region bleiben und landet nicht bei den großen Nutzfahrzeugherstellen allein. Die Lebensdauer der Fahrzeuge kann deutlich erhöht werden. Das Fahrpersonal braucht sich nicht umzustellen bzw. auf neue Fahrzeuge umgewöhnen, was ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist. Und der Umbau selbst wird mit einer entsprechenden Skalierung der Stückzahlen deutlich günstiger sein bzw. werden als Neufahrzeuge. Sind die Teilkomponenten (Brennstoffzelle, Tanksystem, Elektroachsen etc.) für die Fahrzeugtypen einmal konzipiert, kann der Umbau relativ zügig und schnell erfolgen. Zusätzlicher Effekt ist die Einsparung von Ressourcen. Und vor allem bleibt und ist die Umrüstung wesentlich günstiger als eine Neuanschaffung. Behörden Spiegel: Wo liegen die Herausforderungen bei der Umrüstung? Boehme: Aus unserer Sicht liegen die größten Herausforderungen darin, zunächst einmal standardisierte Komponenten für die Fahrzeugtypen zu entwickeln. Da spielen Einsatzbereiche, Routenlängen und Gesamtkapazitäten eine wichtige Rolle. Hiernach müssten Handbücher und Dokumentationen erstellt werden, wie die Umrüstung entsprechender Fahrzeuge vonstatten gehen soll. Ist das einmal beschrieben und sind die Techniker und Mechaniker geschult (Hochvolt und Gastechnik), werden die Teile der Fahrzeuge ausgetauscht.

Foto: BS/UVG

Das bedeutet: Verbrennungsmotor raus, Brennstoffzelle und Batterie rein. Gastanks kommen auf das Dach, Leitungen werden neu und sach- und fachgerecht verlegt. Größte Herausforderung ist die Softwareanpassung und Umsetzung dieser in den Fahrzeugen. Die Originalhersteller haben bisher wenig bis gar nichts dazu beigetragen. Warum nicht? Diese Frage darf sich jeder gern nach seinen eigenen Vorstellungen selbst beantworten. Ein weiteres großes Problem wird die Betankungsinfrastruktur sein. Ohne diese können weder umgerüstete noch neue Fahrzeuge sinnvoll eingesetzt werden. Auch die Produktion von günstigem grünem Wasserstoff muss zu einem konkurrenzfähigen Preis erfolgen. Passiert dies nicht, wird sich diese Technik rein schon aus monetären Gründen nicht durchsetzen, was dann auch verständlich ist. Niemand wäre gegenwärtig bereit, sich ein Fahrzeug anzuschaffen, für das er den zwei- bis dreifachen Preis des Diesels bezahlen muss. Behörden Spiegel: Wie werden die umgerüsteten Busse zukünftig eingesetzt? Boehme: Die UVG plant, die Fahrzeuge im bestehenden Liniennetz auf der sogenannten “Nationalparklinie” entlang von Teilen des Nationalparks “Unteres Odertal” einzusetzen. Gegenwärtig sind diese zwei ersten Fahrzeuge “Testfahrzeuge”, die im Rahmen eines Projektes umgebaut wurden und nun auf Herz und Nieren getestet werden sollen. Die daraus gewonnen Erkenntnisse fließen in die Weiterentwicklung von Umbau-

Boehme: Sofern es dafür Fördermöglichkeiten gibt, würden wir gern die gesamte Fahrzeugflotte mit rund 120 Fahrzeugen Zug um Zug auf emissionsfreie Antriebe umrüsten. Ohne Förderungen werden wir das als UVG allerdings nicht stemmen können. In diesem Fall werden wir so lange auf konventionelle Fahrzeuge setzen müssen, bis der Gesetzgeber diese verbietet und/oder der Aufgabenträger Leistungen mit emissionsfreien Fahrzeugen bestellt. Der klassische Verbrenner ist derzeit leider noch wirtschaftlich konkurrenzlos günstiger als andere Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Die Klimabilanz steht auf einem anderen Blatt. Behörden Spiegel: Welche Kosten entstehen denn durch die Umrüstung? Boehme: Für die Umrüstung im ersten Schritt entstehen Kosten für die Entwicklung sämtlicher für den Austausch benötigten Komponenten. Die Mitarbeiter müssen auf die neue Technik vorbereitet und geschult werden. Daneben muss die Software entsprechend entwickelt und für die Fahrzeuge angepasst werden. Auch müssen die Gebäude mit entsprechenden Sicherungssystemen wie automatischen Deckenlichten ausgestattet werden. Sind diese “Erstkosten” einmal getätigt, können zukünftig die benötigten Komponenten pro Fahrzeugtyp von der Stange gekauft und eingebaut werden. Dies könnte dann eine beliebige mittlere Nutzfahrzeugwerkstatt erledigen. Auf die Fläche projiziert lassen sich in relativ kurzer Zeit dann viele, viele Fahrzeuge umrüsten – warum nicht auch Müllfahrzeug, Rettungsfahrzeug oder Gabelstapler? Der Anwendungsbereich ist sehr groß.


Fuhrparkmanagement

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ie Motivation für die Umstellung auf einen elektrisch betriebenen Fuhrpark sahen Kreispolitik und Verwaltung darin, sich den Herausforderungen des Klimaschutzes zu stellen und als Vorbild im Bereich der nachhaltigen Mobilität zu fungieren. Da der Verkehr mit 20 Prozent zu den Treibhausgasemissionen in Deutschland beiträgt, wird ein verstärktes Engagement für eine klimaschonende Mobilität als wichtiges Handlungsfeld im Kreis Pinneberg gesehen. Bereits bei vorherigen Wechseln der Fahrzeuge hatte die Kreisverwaltung auf eine klimagerechte Ausstattung des Fuhrparkes geachtet. So lag der Durchschnittswert der CO2-Belastung durch den kreiseigenen Fuhrpark bei 95 g/ km. Folglich war die vollständige Umstellung auf Elektrofahrzeuge in Verbindung mit einer intelligenten Ladeinfrastruktur und einer FlottenmanagementSoftware eine konsequente Weiterentwicklung, ein gutes Beispiel für digitale Transformation.

Mobilitätsanalyse Um sicherzustellen, dass die Fuhrparklösung den Anforderungen der Kreisverwaltung gerecht wird und ein hohes Maß an Komfort bei der Nutzung bietet, wurde vorab eine Mobilitätsanalyse durchgeführt. Diese Analyse beinhaltete unter anderem die Erfassung der Fahrstrecken der Mitarbeiter/-innen der Kreisverwaltung. Innerhalb eines Bemessungszeitraumes von sieben Monaten wurden die 26 Bestandsfahrzeuge des Fuhrparks insgesamt 121.672 km

Der E-Fuhrpark des Kreises Pinneberg Ein Beispiel für digitale Transformation (BS/Andreas Köhler/Alexander Dittmer*) Der Startschuss fiel im Dezember 2016. Der Kreistag des Kreises Pinneberg hatte beschlossen, zum nächstmöglichen Zeitpunkt den eigenen kommunalen Fuhrpark komplett auf E-Mobilität umzurüsten. Der richtige Zeitpunkt kam mit dem turnusmäßigen Wechsel der Verbrenner-Leasingfahrzeuge 2020, die Projektarbeit begann im Frühjahr 2018. übertragbaren Beispiele. Daher hat sich die Kreisverwaltung Pinneberg mit der Firma GP Joule aus Nordfriesland einen kompetenten Partner an die Seite geholt, mit dem das Gesamtprojekt konzipiert und umgesetzt wurde. Die besondere Herausforderung bestand darin, dass am Tag der Umstellung des herkömmlichen auf den rein eklektisch betriebenen Fuhrpark alle Systeme einwandfrei funktionieren mussten. Eine Rückkehr zum alten System war natürlich ausgeschlossen. Daher lagen alle Anstrengungen darauf, den neuen Fuhrpark ab dem ersten Tag störungsfrei zu betreiben.

Ausfallsicherheit Um die Energieversorgung des Fuhrparks möglichst nachhaltig zu gestalten, wurde auf dem Dach des Carports eine Photovoltaikanlage installiert. Diese kann an einem sonnigen Tag bis zu 75 Prozent des durchschnittlich benötigten Ladestroms generieren. An einem wolkenreichen Tag wird die Photovoltaikanlage durch einen integrierten Batteriespeicher mit einer Kapazität von 50 kWh unterstützt. Im Falle eines Stromausfalles könnten über den Batteriespeicher ca. zwei Fahrzeugladungen bezogen

Auf dem Dach des Carports befindet sich eine Photovoltaikanlage.

bewegt. Dabei zeigte sich, dass etwa ein Drittel der Tagesfahrten eine Strecke von höchstens 30 Kilometern ausmachen und 90 Prozent der Tagesfahrten Entfernungen von maximal 100 Kilometern betragen. Bei weiteren fünf Prozent lag die Tagesleistung bei bis zu 200 Kilometern. Also gerade einmal fünf Prozent der Fahrten können nicht rein elektrisch durchgeführt werden. Außerdem zeigte die Mobilitätsanalyse, dass durch das stete Wachstum der Kreisverwaltung ein zusätzlicher Bedarf an Dienstfahrzeugen besteht. Denn auch aus ökologischen Gründen gilt bei der Kreisverwaltung das Gebot, möglichst alle dienstlichen Fahrten mit dem ÖPNV oder einem Dienstwagen zu absolvieren und auf die Nutzung privater Fahrzeuge zu verzichten. Der neue Fuhrpark der Kreisverwaltung wurde um folglich zehn Fahrzeuge auf insgesamt 32 rein elektrische Kleinwagen (Renault Zoe und BMW i3) und fünf Hybrid-Fahrzeuge (VW Passat) aufgestockt. Der Dienstwagen der Landrätin ist ein VW ID.3. Für die Planung und Umsetzung eines Projektes dieser Größenordnung gibt es bundesweit keine vergleichbaren Beispiele. Zwar gibt es Carsharing-Modelle schon seit langer Zeit oder es werden einzelne E-Fahrzeuge in (kommunalen) Fuhrparks eingesetzt. Aber einen integrierten Fuhrpark mit einer nahezu eingriffsfreien Gesamtsteuerung samt intelligenter Ladeinfrastruktur, auf den über 1.000 Beschäftigte individuell niederschwellig zugreifen müssen, dafür gab es bisher keine

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werden. Diese Technik bietet in Kombination mit der Photovoltaik eine hohe Ausfallsicherheit und kann auch in einem Katastrophenfall die Nutzung von Dienstfahrzeugen sicherstellen. Wird die erzeugte Energie des gewonnenen Stroms nicht benötigt, so wird die überschüssige Sonnenenergie in das Gebäude der Kreisverwaltung Pinneberg eingespeist. Dank der intelligenten Ladein­ frastruktur ist in Verbindung mit einer auf die Bedürfnisse des Kreises angepassten smarten Buchungssoftware sichergestellt, dass jederzeit ein ausreichend geladenes Fahrzeug genutzt werden kann. In die neu installierten Baulichkeiten und Systeme auf dem Kreishausgelände wurde eine synchronisierte Flottenmanagement-Software implementiert, die E- Fahrzeuge wurden für Sharing umgerüstet und sind schlüssellos buchbar und nutzbar.

Buchung per App Die Buchung der Fahrzeuge erfolgt über eine extra entwickelte App, mit der nicht nur das Fahrzeug gebucht, sondern auch geöffnet und nach Fahrtende verschlossen wird. Informationen für das Fahrtenbuch werden automatisch erzeugt. Außerdem ist die Buchung auch webbasiert möglich. Das Buchungssystem ist bis hin zur Schlüsselfunktion komplett digitalisiert worden.

Energiespitzen und -kosten In einem bevorstehenden nächsten Schritt wird das System auf die Buchung einer konkreten Fahrt und nicht mehr auf ein vor-

Die Fahrzeuge werden im Carport der Kreisverwaltung geladen.

ab bestimmtes Auto abgestellt. Mit der Angabe der Fahrtstrecke wird den Beschäftigten ein auf ihre Nutzung zugeschnittenes Fahrzeug bereitgestellt, das eine entsprechende Batterieladung aufweist. Das gelingt deshalb,

BS/ Kreis Pinneberg

weil das Lademanagement die Aufladung je nach Bedarf reguliert und nicht alle Fahrzeuge zu jeder Tages- und Nachtzeit zu 100 Prozent voll auflädt. Vollständig geladene Fahrzeuge werden für lange Fahrten zugewiesen, wäh-

rend für kurze Fahrten auch teilgeladene Autos zugeteilt werden. Bei der Ladung werden Energiespitzen vermieden, Energiekosten im Blick behalten. Ein großer Vorteil des Softwaresystems besteht darin, dass gebuchte Fahrzeuge, die nicht zur Nutzung abgeholt werden, nach 30 Minuten automatisch wieder von anderen Beschäftigten gebucht werden können. Dies ermöglicht eine optimale und effiziente Auslastung der Fahrzeuge und verhindert, dass auf private Pkws zurückgegriffen werden muss, obwohl gebuchte, aber ungenutzte Dienstwagen in der Garage stehen.

Fahrsicherheitstraining Wichtige Informationen zur Bedienung der E-Fahrzeuge wurden den Beschäftigten in Schulungen vermittelt. Weiter-

hin wurden zahlreiche Fahrsicherheitstrainings genutzt, um eine entsprechende Sicherheit im Umgang mit den neuen Fahrzeugen zu geben und die Akzeptanz für die E-Autos sicherzustellen. Die Fahrsicherheitstrainings erfreuten sich großer Beliebtheit bei den Teilnehmenden.

Fast komplett digital Der Fuhrpark funktioniert weitestgehend autark mit nur geringem Eingriff durch den Fuhrparkmanager. Personalkapazitäten wurden entsprechend reduziert und auf ein Mindestmaß zurückgeführt, da auch die Überwachung des Fuhrparks digital erfolgt. Mit der Umstellung des Fuhrparks ist ein überdurchschnittlicher Effizienz- und Effektivitätsgewinn verbunden. Nur eines muss noch von Menschenhand gemacht werden: Ab und an benötigen die Fahrzeuge eine Reinigung von innen und von außen. Und das ganz analog. *Andreas Köhler ist Leiter des Fachbereichs Service, Recht und Bauen im Kreis Pinneberg, und Alexander Dittmer arbeitet für den Fachbereich Service, Recht und Bauen im Kreis Pinneberg.


Fuhrparkmanagement

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Verkehr der Zukunft

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war war in den LockdownWochen, als das öffentliche Leben stillstehen musste, deutlich weniger Verkehr auf den Straßen unterwegs. Aber eines wurde sehr deutlich: Das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs blieb verlässlich. Busse und Bahnen haben die Menschen jederzeit pünktlich und sicher vorangebracht. Der öffentliche Nahverkehr hat sich auch in dieser unsicheren Zeit als starkes Rückgrat des städtischen Verkehrs bewiesen. Zugelegt haben im vergangenen Corona-Jahr der Rad- und Fußverkehr in den Städten. Darauf haben die Städte schnell reagiert. Bekannt geworden sind etwa die Pop-up-Radwege. Damit wurde der Radverkehr unmittelbar gestärkt. Mittlerweile sorgen Autos und Lieferverkehre wieder für übervolle Straßen und Staus. Abgase und der CO2-Ausstoß belasten das Klima. Es gibt immer mehr Verkehr in den Städten und mehr Lärm. Darunter leiden die Wohn- und Aufenthaltsqualität. Deshalb brauchen wir dringend Lösungen. Wir müssen den öffentlichen Raum besser für ein Miteinander der Menschen nutzen. Denn Städte für Menschen können nicht Parkplätze sein, sie sind Orte zum Leben und Wohlfühlen. Wenn wir die Städte entlasten und den CO2-Ausstoß im Verkehr verringern wollen, brauchen wir jetzt Mut und Willen zur Veränderung. Laut Prognosen werden Ende 2021 noch etwa 15 Prozent

Behörden Spiegel / Dezember 2021

“Wie gelingt die Mobilitätswende in den Städten?” (BS/Helmut Dedy*) Wir brauchen eine Mobilität, die klimaschonender und attraktiver wird, aber fair bezahlbar bleibt. Diese Ziele sind unstrittig. Doch während der Corona-Pandemie sind viele Menschen wieder auf das eigene Auto umgestiegen. Weil es sich sicherer anfühlte. Ist uns also die Corona-Pandemie auf dem Weg hin zum klimaschonenden Verkehr in den Städten in die Quere gekommen? Wurde der Umbau hin zu nachhaltiger Mobilität sogar ausgebremst? weniger Fahrgäste im Nahverkehr mitfahren als vor der Pandemie. Trotzdem bleiben wir dabei: Bis 2030 wollen die Städte die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr verdoppeln. Doch wie motivieren wir die Menschen, vom Auto auf emissionsarme und flächensparende Verkehrsmittel umzusteigen?

Umsteigen attraktiv machen Das A und O ist ein attraktiver, moderner und leistungsstarker öffentlicher Nahverkehr. Dafür müssen wir Straßen- und Stadtbahnen ausbauen und erneuern, Tunnel- und Gleisanlagen sanieren. Es braucht zeitgemäße und komfortable Busse, Bahnen und Haltestellen und digitale Bezahlsysteme, die das Abrechnen für die Fahrgäste erleichtern. Und die unterschiedlichen Verkehrssysteme müssen so aufeinander abgestimmt werden, dass sie eine engere Taktung und Verbindung mit anderen Beförderungsmöglichkeiten bieten. Schon diese Beispiele zeigen: Für all das muss viel Geld in die Hand genommen werden. Es gilt, den ÖPNV nach Corona finanziell zu stabilisieren und weiter auszubauen.

private Autos und Paketdienstleister darauf im Stau. Zuviel Verkehr darf erst gar nicht entstehen. Die Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen StädStädte brauchen tetages deshalb mehr HandlungsspielFoto: BS/Laurence Chaperon, Deutscher Städtetag räume für Mobilitätsprojekte, zum Beispiel für Und genauso kommt es auf ein Bürgertickets oder im Umgang attraktives und sicheres Rad- mit Tempo 30 oder anderen, dem und Fußwegenetz an. Um die In- jeweiligen Ort angepassten Genenstädte zu entlasten, brauchen schwindigkeiten. wir auch gute Verbindungen zum Umland. Wenn es mit dem Fahr- Klimaziele im Verkehr bis 2030 erreichen rad oder dem ÖPNV schneller und stressfreier geht, das Parkticket Gerade im Verkehr gibt es noch in der Innenstadt mehr kostet, viel Potenzial für CO2-Einsparunwerden mehr Menschen ihr Auto gen. Dass müssen wir nutzen, häufiger stehen lassen. um die Klimaziele bis 2030 zu Zu einer guten Mischung gehö- erreichen. Die Städte und ihre ren auch Sharing-Anbieter und Betriebe rüsten beispielsweise On-Demand-Dienste für Klein- ihre Verkehrsflotten auf Elekbusse. So wird die Mobilität in tromobilität, Wasserstoff oder den Städten vielfältiger. Denn Biogas um. Und auch für den priwir brauchen in der Stadt kluge vaten Verkehr wird mit dem AufAlternativen zum privaten Auto. bau von Ladeinfrastruktur der Niemandem ist geholfen, wenn Weg hin zur klimafreundlichen wir die Straßen weiter ausbauen Fortbewegung geebnet. Auch für – denn Straße erzeugt stets Ver- den Lieferverkehr brauchen wir kehr. Dann stehen immer mehr neue Konzepte. Ich denke da

an eine durchgängige Elektrifizierung von Lieferketten. Meine Bestellung kann zum Beispiel nachts weite Strecken mit der Bahn zurücklegen, dann über das Umladen auf Elektro-Lkws weiterfahren und schließlich per Lastenrad oder zu Fuß bei mir ankommen. Logistikunternehmen könnten sich endlich für Lieferkonzepte auf der “letzten Meile” zu den Kunden zusammenfinden, gemeinsame Mikro-Depots als Zwischenlager unterhalten und anschließend die Auslieferung bündeln. Dafür können die Städte bei der Suche nach entsprechenden Flächen unterstützen und Ladezonen in der Stadt stellen. Wir müssen dafür sorgen, dass intensiv verbrauchende Verbrenner-Fahrzeuge mehr zahlen, saubere Fahrzeuge dagegen entlastet werden. Eine entschiedene CO2Bepreisung kann dabei helfen, klimafreundlichen Verkehr gegenüber schädlichen Verkehrsformen besserzustellen. Für mich ist klar: Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn wir sie als große Gemeinschaftsaufgabe verstehen. Die Europäische Union, der Bund

Elektrifizierung des Straßenverkehrs

und die Länder müssen gemeinsam mit den Städten an einem Strang ziehen. Wir alle brauchen den Mut der Politik, neue Wege zu gehen, zu fahren und zu rollen. Und alle beteiligten Ebenen müssen diesen Wandel ausreichend und verlässlich finanzieren. In Deutschland haben wir ein Bündnis für moderne Mobilität zwischen Bund, Ländern und Kommunen erprobt. Ich denke, das war durchaus ein Erfolgsmodell. Auf einer nationalen Plattform zur Zukunft der Mobilität wurden mit den unterschiedlichsten Interessengruppen auf Bundesebene Ideen entwickelt, wie wir die Mobilität der Zukunft nachhaltig gestalten. Daraus müssen jetzt konkrete Pläne, Programme und Projekte werden. Die europäische Kommission hat ihr Programm für einen nachhaltigen Verkehr ganz frisch in das umfangreiche “Fit for 55”-Paket verpackt. Damit sollen der Ausstoß klimaschädlicher Gase im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken und die Klimaziele 2030 erreicht werden. Um Mobilität so zu gestalten, dass sie zu den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen passt, brauchen wir vor Ort Entscheidungsspielräume. Die Städte müssen Neues unter Realbedingungen erproben können. Dafür muss der Bund die gesetzlichen Regelungen schaffen. An Bund und Länder gewandt kann ich nur sagen: Habt Mut, Neues auszuprobieren und vertraut den Entscheidungen der Städte vor Ort.

MELDUNG

CNG-Hybrid-Bus

Vorausschauender Aufbau der Ladeinfrastruktur notwendig

(BS/mj) Der Verkehrsbetrieb

(BS/Dagmar Fehler/Johannes Pallasch) Im Rahmen ihrer Klimaschutzstrategie hat die Bundesregierung beschlossen, den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 um etwa Greifswald nimmt den ersten Bus die Hälfte gegenüber 1990 zu reduzieren. Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs ist ein zentraler Bestandteil der umfassenden Verkehrswende, die für die Erreichung der Klimaschutz- der neuen Generation von CNGziele notwendig ist. In den vergangenen Monaten ist der endgültige Durchbruch der Elektromobilität gelungen. Hybrid-Bussen der Firma MAN Im August 2021 konnte mit einer Million zugelassener Elektrofahrzeuge (Batterie und Plugin) ein wichtiges Zwischenziel erreicht werden. Bis zum Jahr 2030 werden bis zu 14 Millionen Elektroautos erwartet. Dieser Markthochlauf macht einen vorausschauenden Ausbau einer flächendeckenden und bedarfsgerechten Ladeinfrastruktur notwendig, bei dem Bund, Länder, Kommunen, Energie- und Mineralölwirtschaft und Automobilindustrie gemeinsam entschlossen handeln müssen. Derzeit gibt es in Deutschland rund 46.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte, davon knapp 7.000 Schnellladepunkte mit mehr als 22 kW Leistung. Bis 2030 müssen in jedem relevanten Szenario mehrere Hunderttausend öffentliche Ladepunkte vorhanden sein. Die große Bedeutung des La­ deinfrastrukturausbaus schlägt sich auch in den bis zum Jahr 2025 für den Ausbau der Tankund Ladeinfrastruktur für alternative Antriebe vom Bund zur Verfügung gestellten Mitteln in Höhe von 7,1 Milliarden Euro nieder. Auf europäischer Ebene hat die EU-Kommission ebenfalls ein Paket von ambitionierten Vorschlägen beschlossen, um die Treibhausgasemissionen zu senken (“Fit for 55”).

Bundesweiter Ausbau Im Jahr 2019 hat die Bundesregierung im Rahmen des “Masterplans Ladeinfrastruktur” erstmals eine umfassende Gesamtstrategie für den Ausbau der Ladeinfrastruktur formuliert und die unterschiedlichen Maßnahmen der Bundesregierung zum beschleunigten Aufbau von Ladeinfrastruktur mit den Bemühungen aus der Wirtschaft zusammengeführt. Innerhalb der Bundesregierung arbeitet das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) federführend an der Umsetzung

Die Ladeinfrastruktur in Deutschland muss massiv ausgebaut werden. Foto: BS/A.Krebs, pixabay.com

StandortTOOL zur datenbasierten Bedarfsplanung für Pkw und Lkw und das FlächenTOOL zur Meldung von für den Aufbau von Ladeinfrastruktur verfügbaren Flächen. Das Leitungsteam der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur: Dagmar Fehler und Johannes Pallasch

dieser Ziele. Entsprechend des Masterplans hat das BMVI im Jahr 2020 die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur gegründet, um den Aufbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland besser zu koordinieren. Im Auftrag des BMVI koordiniert und steuert die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur unter dem Dach der bundeseigenen NOW GmbH die Aktivitäten zum Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland. Wir begreifen uns als “Think-anddo-Tank” rund um das Thema Ladeinfrastruktur. Wir unterstützen beim Planen, Umsetzen und Fördern von Ladestationen, analysieren Daten zu deren Aufbau und Betrieb und entwickeln eigene digitale Tools wie das

Use-Cases

Damit der breite Umstieg auf die Elektromobilität gelingen kann, müssen aber vor allem die Nutzerinnen und Nutzer überzeugt und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Planungen gestellt werden. Deshalb orientieren sich Leitstelle und Bundesregierung an den verschiedenen Anwendungsfällen (“Use-Cases”) des Ladens und reagieren mit einem Portfolio aus einer Reihe passgenauer Fördermaßnahmen auf die sich unterscheidenden Nutzerbedürfnisse – egal ob beim Laden zu Hause, beim Arbeitgeber, beim Einkaufen, in der Freizeit oder auf Reisen. Mit der Förderrichtlinie “Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge” stehen bereits seit 2017 300 Millionen Euro für den Aufbau

Fotos: BS/Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur

öffentlich zugänglicher Ladepunkte zur Verfügung. Knapp 30.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte wurden so gefördert. Dieses Förderprogramm für öffentlich zugängliche Lade­ infrastruktur wurde nun mit einem Fördervolumen von 500 Millionen Euro neu aufgelegt. Die Antragszeiträume der ersten zwei Förderaufrufe laufen noch bis zum Januar 2022. Mit der Förderrichtlinie “Ladeinfrastruktur vor Ort” unterstützt das BMVI zum Beispiel Restaurants, Hotels, Fachgeschäfte und Gebietskörperschaften beim Aufbau öffentlich zugänglicher Ladein­ frastruktur mit einem Fördervolumen von 300 Millionen Euro. Eine weitere Förderrichtlinie zielt auf die Beschleunigung des Ausbaus der Ladeinfrastruktur für das Laden am Arbeitsplatz und von Firmenflotten. Dafür stehen in naher Zukunft 350 Millionen Euro zur Verfügung. Einen riesigen Erfolg erzielte das Förderprogramm für private Wallboxen, welches im Juli 2021 zum dritten Mal auf nun insgesamt 800 Millionen Euro aufgestockt wurde. Darin können sich Hausbesitzerinnen, Mieter, Vermieterinnen und Vermietungsgesellschaften die Anschaffung und die Installation einer Wallbox pauschal mit 900 Euro fördern lassen. Auch das zeigt: Die Elektromobilität ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Probleme überwinden Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur treten aber bisweilen auch Probleme auf. Regelmäßig erhalten wir Rückmeldungen dazu, dass sich der Aufbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur verzögert oder die Nutzungsfreundlichkeit nur unzureichend beachtet wurde. Eine einheitliche, benutzerfreundliche und einfache Zahlungsmöglichkeit an allen öffentlich zugänglichen

Ladepunkten ist weiter Ziel der Bundesregierung, maßgeblich dafür sind die Ladesäulenverordnung (LSV) sowie auf europäischer Ebene die AFI-Richtlinie. Um zusätzliche Flächen für die Ladeinfrastruktur zu erschließen, wurden zuletzt ebenfalls weitere rechtliche Voraussetzungen geschaffen. Beispiele sind hier das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) oder das Baulandmobilisierungsgesetz mit seinen Vorschlägen an die Gemeinden zur stärkeren Berücksichtigung der Elektromobilität. Mit dem Schnellladegesetz hat der Bundestag außerdem die rechtliche Grundlage für die Ausschreibung und Finanzierung der mehr als 1.000 Schnellladestandorte im “Deutschlandnetz” verabschiedet. Die Ausschreibung zum Deutschlandnetz ergänzt die Förderprogramme des Bundes und reagiert auf den zukünftig weiter stark wachsenden Bedarf nach Schnellladeinfrastruktur. Sie antizipiert den fahrzeugseitigen Markthochlauf und die absehbaren technischen Entwicklungen. Mit insgesamt etwa 10.000 neuen HochleistungsSchnellladepunkten an mehr als 1.000 Standorten erweitert sie den aktuellen Bestand sinnvoll, tilgt weiße Flecken auf der Ladelandkarte und leistet einen entscheidenden Betrag für die Mittel- und Langstreckentauglichkeit der Elektromobilität. Gerade in diesem Marktsegment ist der Ausbau bislang hinter dem zukünftig notwendigen Bedarf zurückgeblieben. Durch dieses weltweit einzigartige Infrastrukturvorhaben wird es ermöglicht, dass im gesamten Bundesgebiet die nächste Schnellladestation innerhalb weniger Minuten zu erreichen sein wird. Sorgen über die Erreichbarkeit von Ladeinfrastruktur werden damit schon in naher Zukunft der Vergangenheit angehören.

in Betrieb. CNG steht für Compressed Natural Gas und besteht vorwiegend aus Methan. Damit werde ein Dieselbus ersetzt und somit würden CO2-Emmissionen von 54 bis 60 Tonnen pro Jahr eingespart, erklärt Henrik Umnus, Geschäftsführer des Verkehrsbetriebs Greifswald GmbH. Der Bus präsentiere sich zudem mit neuem Außendesign und habe mehr Komfort für die Fahrgäste und das Fahrpersonal. “Aktuell fahren 14 von 18 Bussen der Verkehrsbetrieb Greifswald GmbH (VBG) mit Biomethan und sind damit CO2-neutral. Das sind 77 Prozent der Busflotte und 2022 soll der Anteil weiter steigen”, berichtet Umnus. Der zunächst erste CNG-Hybrid-Buss in Mecklenburg-Vorpommern verfüge, wie die gesamte Erdgasbusflotte, über einen Abbiegeassistenten des Herstellers ROSHO vom Typ TurnCAM 4. Damit sollen der tote Winkel ausgeschaltet und die Verkehrssicherheit beim Abbiegen spürbar erhöht werden. Auch einen gesteigerten Komfort verspricht die neue Busgeneration. Die Stadtwerke Greifswald beziehen für ihre beiden Erdgastankstelle verbiogas, einen echten Biokraftstoff für CNG-Fahrzeuge. Dieser wird seit 2014 in Schwedt/Oder aus 100 Prozent Stroh hergestellt, ganz ohne den Einsatz von Nahrungsmitteln. Wer mit 100 Prozent Biomethan unterwegs sei, fahre 100 Prozent klimaneutral und sei damit der E-Mobilität gleichgestellt, meint Umnus. Zudem sei für viele Fahrzeuggruppen die Elektrifizierung keine Option, führt er aus, da deren Ladezeit viel zu lang sei, weswegen man bei einer rein elektrisch betriebenen Flotte an Müllbeseitigungsfahrzeugen beispielsweise 50 Prozent mehr Fahrzeuge brauche – noch dazu sei deren Anschaffung viel teurer und Subventionen übernähmen maximal den Differenzbetrag.


Fuhrparkmanagement

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Brennstoffzellenbus

N

ach ersten positiven Erfahrungen mit der Erprobung der Technologie und dem Einsatz von vier Prototypen bzw. Vorserienfahrzeugen in den Jahren 2011 bis 2016 war es für die RVK an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen und die Fuhrparkumstellung auf emissionsfreie Antriebe weiter voranzutreiben. Diese Gelegenheit bot sich im großen Maßstab im Rahmen der europäischen JIVE- und JIVE-2-Projekte, die auf europäischer Ebene vom FCH JU (Fuel Cell and Hydrogen Joint Undertaking) gefördert sowie national vom BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) im Rahmen des NIP 2 (Nationales Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie) kofinanziert werden. Mit über 52 BrennstoffzellenBussen Anfang nächsten Jahres verfügt die RVK über die größte Brennstoffzellenbusflotte Deutschlands! In den kommenden Jahren sollen 50 weitere Brennstoffzellenbusse beschafft und eingesetzt werden. Die internen Vorbereitungen hierzu laufen bereits.

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Praxiserfahrungen der Regionalverkehr Köln GmbH (BS/Marcel Frank) Bereits seit 2009 arbeitet die Regionalverkehr Köln GmbH (RVK) im Zuge ihres Projekts “Null Emission” intensiv daran, einen nachhaltigen und emissionsfreien ÖPNV zu realisieren. Ziel ist es, ab 2030 ausschließlich Busse mit klimaneutralen Antrieben zu beschaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt soll bereits eine signifikante Flotte an emissionsfreien Bussen im Einsatz und die dafür benötigte Infrastruktur aufgebaut sein. Die RVK geht dabei technologieoffen vor, jedoch liegt ein wesentlicher Fokus auf der Brennstoffzellentechnologie.

Ein A330 FC von Van Hool am Busbahnhof in Bergisch Gladbach Bensberg Foto: RVK

wie konventionelle Dieselbusse. Gerade Reichweite und flexibler Fahrzeugeinsatz sind im Regionalverkehr sowie in einem Errichtung der H2-Betantopografisch anspruchsvollen kungsinfrastruktur und flächenmäßig großen und Zeitgleich musste auch für die heterogenen Verkehrsgebiet, entsprechende Wasserstoffbe- wie dem der RVK, entscheitankungsinfrastruktur gesorgt dende Kenngrößen. Eine hohe werden. Neben der Nutzung Flexibilität ist gegeben, da keider Tankstelle des RVK-Gesell- ne weitere streckengebundene schafters Stadtwerke Hürth am Nachladeinfrastruktur notwenChemiepark Hürth-Knapsack dig ist bzw. keine unwirtschaftnutzt die RVK auch zwei H2- lichen Leerfahrten ins Depot Tankstellen der H2 Mobility am zur Nachladung anfallen sowie Flughafen Köln/Bonn sowie in keine zusätzlichen Standflächen Frechen. und -zeiten erforderlich werden. Es lassen sich somit Produktivitätsverluste im Fahrdienst nahezu vollständig Marcel Frank ist Geschäftsführer der Regionalverkehr vermeiden. Köln GmbH. Die InvestitiFoto: BS/RVK onskosten für Fahrzeuge und Infrastruktur – wie bei allen NullEmissionstechnologien – liegen Zusätzlich wurden 2020 auf momentan noch deutlich über den RVK-eigenen Betriebshö- den Kosten für Dieselbusse. Tatfen in Meckenheim (Rhein-Sieg- sächlich konnten die Kosten Kreis) und Wermelskirchen für Brennstoffzellenbusse aber (Rheinisch-Bergischer Kreis) bereits signifikant reduziert werweitere Betankungsmöglich- den, da sich der Anbietermarkt keiten geschaffen. An beiden im Bereich Wasserstoff seit dem Tankstellen können täglich Startprojekt bei der RVK im Jahr jeweils 20 Busse betankt wer- 2011 stark weiterentwickelt hat. den. Aufgrund der steigenden Der Anschaffungspreis im Zuge Anzahl emissionsfreier Busse des EU-Förderprojekts JIVE 2 werden für die Zukunft wei- lag bei 625.000 Euro pro Bus. tere Tankmöglichkeiten im Durch die Akquirierung von Verkehrsgebiet benötigt. Der Fördermitteln lassen sich die Bau einer solchen Tankstelle Mehrkosten gut auffangen. in Eigenregie ist dabei sowohl vom personellen, zeitlichen als Kosten und Nutzen auch vom inhaltlichen Aufwand Beim Aufbau der Infrastruktur nicht zu unterschätzen. Bei den sind Wasserstofftankstellen ggf. anfallenden Kosten sind nicht die kostengünstigere Variante nur die Investitions- und Er- im Vergleich zu anderen Nullrichtungskosten der Gesamt- Emissionstechnologien. Wegen anlage zu beachten, sondern in der kurzen Betankungszeiten der Folge auch die notwendigen ist eine hohe Auslastung der Wartungs-, Instandhaltungs- H2-Infrastruktur möglich, wosowie ggf. Reparaturkosten und durch eine schnelle Amortisienatürlich die laufenden Be- rung ermöglicht wird. Gerade triebskosten. Dessen ungeachtet bei größeren Flotten (> 50 Buskann eine neue Technologie nur se) sind H2-Tankstellen daher dann wirksam greifen, wenn oft günstiger als z. B. der Aufes Vorreiter gibt, die gerade im bau einer Ladeinfrastruktur öffentlichen Raum eine breite inklusive einer gegebenenfalls Basis schaffen können. benötigten Ertüchtigung der Stromnetze, Umspannung und Vorteile der Brennstoffzelso weiter. Trotz allem muss nalentechnologie türlich erwähnt werden, dass Den Vorteil der Wasserstoff- die Einführung und Umstellung und Brennstoffzellentechno- einer komplett neuen Technologie sieht die RVK neben der logie eine gewisse Zeit benötigt. Vermeidung von schädlichen Neue Prozesse und KommuniEmissionen vor allem darin, kationswege müssen sich erst dass sich durch den Einsatz einspielen, die Zusammenarbeit von Brennstoffzellenbussen na- im Bereich After-Sales mit den hezu keine Einschränkungen unter Umständen neuen und im Betriebsablauf ergeben. Die unbekannten Herstellern muss Busse haben mit 350 Kilome- zunächst etabliert und auf den tern (Sommer wie Winter, oh- Bedarf im Linienverkehr eingene fossile Zusatzheizung) eine stellt werden. Zudem ist eine ähnliche Reichweite sowie mit Aufrüstung und Ausstattung der durchschnittlich zehn Minuten Werkstätten mit entsprecheneine ähnliche Betankungszeit dem Equipment und Sicher-

heitsvorkehrungen vonnöten. Hinzu kommen umfassende Schulungen des Werkstatt-,

Die Trailerstation an der RVK-Wasserstofftankstelle in Meckenheim Foto: Aschoffotografie

Wartungs- und Fahrpersonals sowie ggf. von weiteren relevanten Mitarbeiter(inne)n.

Insgesamt hat sich jedoch gezeigt, dass die Brennstoffzellentechnologie bereits jetzt für den

ÖPNV bestens geeignet ist. Gerade bei anspruchsvollen Verkehren bietet diese innovative Technologie im Vergleich zu den Batterie-Bussen eine gute Lösung und Alternative für einen emissionsfreien ÖPNV. Beide Null-Emissionstechnologien sollten jedoch nicht als Konkurrenten wahrgenommen werden, sondern als sich ergänzende Konzepte mit konkreten Vor- und Nachteilen. Wichtig ist, dass bei der Einführung von alternativen Antrieben sowohl die Einsatzbedingungen bzw. Ansprüche des Verkehrsunternehmens an die Fahrzeugtechnologie als auch die (regionalen) Rahmenbedingungen betrachtet werden und im Anschluss für die spezifische Situation die beste Wahl getroffen wird. Denn vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels, steigender Luftschadstoffbelastungen und der Verknappung von Ressourcen sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, um einen Beitrag zum Umweltschutz und zur Erreichung der Klimaziele zu leisten sowie den Fahrgästen einen zukunftsorientierten und zuverlässigen ÖPNV zu bieten.


Kommunale Infrastruktur

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Z

iel sei es, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren, beispielsweise indem der Bund künftig bei besonders prioritären Vorhaben – systemrelevanten Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerken (z. B. kritischen Brücken) – kurze Fristen zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, nach dem Vorbild des Bundesimmissionsschutzgesetzes, vorsehen kann. Dafür will man bereits im ersten Regierungsjahr alle dem zugrunde liegenden Entscheidungen treffen und durchsetzen. Auch die Vermeidung von Doppelprüfungen durch eine engere Verzahnung zwischen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren ist im Koalitionsvertrag vorgesehen. “Entscheidend ist, dass sich die Verfahren nur massiv beschleunigen lassen, wenn das zugrunde liegende materielle Recht vereinfacht wird. Dazu schweigt der Koalitionsvertrag völlig”, kritisiert Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages.

Mehr Schiene als Straße Langfristig plant die Bundesregierung, stärker in den Ausbau des Schienennetzes zu investieren und sich bezüglich der Bundesfernstraßen auf Erhalt und Sanierung zu fokussieren. Innerhalb des Konzerns Deutsche Bahn AG sollen daher die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt werden. “Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur verbleiben zukünftig in der neuen Infrastruktureinheit”, heißt es hierzu im Koalitionsvertrag, zusätzlich zur geplanten Erhöhung der Investitionsmittel. So sollen die Projekte des Deutschlandtaktes prioritär umgesetzt werden. Dazu gehöre auch “den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern und die

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Weniger Bürokratie, mehr Investitionen Ampelkoalition nimmt sich bezüglich der deutschen Infrastruktur viel vor (BS/Malin Jacobson) Das vorrangige Ziel “Mehr Fortschritt wagen” der Koalition aus SPD, Grünen und FPD findet sich auch im Handlungsfeld Infrastruktur wieder: “Wir werden die öffentliche Infrastruktur, öffentliche Räume und Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung und Umsetzung deutlich beschleunigen.” Dabei liegt der Fokus der Parteien auf Nachhaltigkeit, Innovationen und Verfahrensbeschleunigung. Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln” sowie die Schienennutzung günstiger und die Bahn wettbewerbsfähiger zu machen. Zudem wolle man “parallel zur laufenden Bedarfsplanüberprüfung einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten, mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplans”. Dieser soll noch vor dem Abschluss der Bedarfsplanüberprüfung abgeschlossen werden. Umweltschutzverbände kritisieren seit Langem, dass Projekte des Bundesverkehrswegeplans aufgrund der langen Vorlauf- und Planungszeit zum Zeitpunkt der Umsetzung häufig nicht mehr zeitgemäß seien und beispielsweise aktuelle Klimaschutzgesetze nicht ausreichend berücksichtigten. In diesem Sinne wolle man auch “einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 auf den Weg bringen”. Das Ziel, 75 Prozent des Streckennetzes zu elektrifizieren, ist laut dem Präsidium des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) “ambitioniert und notwendig, um leistungsfähige und klimafreundliche Verbindungen im Personen- und Güterverkehr anbieten zu können”. Wie bereits in vorherigen Koalitionsverträgen, wird im Rahemn des Infrastrukturausbaues auch der Lärmschutz in den Blick genommen. Hier plant die Regierung sowohl im Städtebau als auch im Straßen- und Schienenverkehr

Ob auf der Schiene, dem Wasser oder auf der Straße – die Infrastruktur soll flächendeckend modernisiert werden. Foto: BS/©connel_design, Fotolia.com Innovationen zur Lärmvermeidung und zum Lärmschutz einzusetzen.

Öffentlicher ­Personennahverkehr Auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) soll laut Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen gestärkt werden. Ab 2022 sollen die Regionalisierungsmittel erhöht werden, im Rahmen eines Modernisierungspaktes will man sich mit Ländern und Kommunen auf Eigenbeteiligung und Tarifstrukturen einigen und es ist geplant, “Qualitätskriterien und Standards für Angebote und Erreichbarkeit” zu definieren. Dies soll vor allem durch Zuhilfenahme digitaler Tools, wie digitaler Buchung und Bezahlung, Echtzeitdaten der Anbieter oder intermodaler Verknüpfungen, ermöglicht werden. Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster, Präsident des Deutschen Städtetages, kritisiert: “Es werden jedoch keine Beträge

genannt. So bleibt ein hohes Maß an Unsicherheit für die Zukunft der Verkehrswende durch den ÖPNV.” Laut DStGB wären zudem Aussagen zur Ermöglichung von Drittnutzerfinanzierungen im ÖPNV wünschenswert gewesen. Langfristige Qualitätssicherung erhofft man sich seitens der Regierung vor allem durch die Neuaufstellung und Erweiterung des Zentrums Zukunft der Mobilität sowie des Zentrums für Schienenverkehrsforschung. Und die Verlängerung und mittelstandsfreundliche Ausgestaltung bestehender Förderangebote sollen zeitnah klimaneutrales Fahren ermöglichen. Im Sinne des Klimaschutzes gilt es, beim Ausbau der Infrastruktur die Ladeinfrastruktur für elektrisch betriebene Fahrzeuge zu stärken, um auch den privaten Verkehr sukzessive klimaneutraler zu gestalten. “Wir werden deshalb den vorauslaufenden Ausbau der Ladesäule-

ninfrastruktur mit dem Ziel von einer Million öffentlicher und diskriminierungsfrei zugänglicher Ladepunkte bis 2030 mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur ressortübergreifend beschleunigen, auf Effizienz überprüfen und entbürokratisieren”, heißt es im Koalitionsvertrag. Dabei setze man auf die Mobilisierung privater Investitionen in Kombination mit Versorgungsauflagen und die Unterstützung der Kommunen bei einer vorausschauenden Planung der Ladeinfrastruktur. Das DStGB-Präsidium begrüßt diese Pläne: “Durch das Forcieren der Elektromobilität und den Ladeinfrastrukturausbau wird im Koalitionsvertrag richtigerweise auch der vielerorts weiterhin bedeutsamen Individualmobilität Rechnung getragen.” Man wünscht sich jedoch erweiterte Entscheidungsbefugnisse der Kommunen in StVG und StVO, um beispielsweise die Anordnung von Tempo 30 innerorts bald umzusetzen.

Energieinfrastruktur Die neue Regierung plant den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und eine Elektrolysekapazität von rund zehn Gigawatt bis zum Jahr 2030. Hierzu müssen die Import- und Transportinfrastruktur für Wasserstoff und der Zubau von OffshoreWindenergie möglichst schnell vorangetrieben werden. Um den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur zu fördern, sollen auch Programme wie das H2Global europäisch weiterentwickelt und entsprechend finanziell ausge-

stattet werden. Die vorhandenen Infrastrukturen wie Kraftwerke oder Gasleitungen sollen über das Jahr 2045 hinaus nur mit nicht-fossilen Brennstoffen betrieben werden können. Für eine langfristige Planung der Netzinfrastrukturen werde man “Bundesnetzagentur und Netzbetreiber umgehend beauftragen, einen über die aktuellen Netzentwicklungsplanungen hinausgehenden Plan für ein Klimaneutralitätsnetz zu berechnen und den Bundesbedarfsplan entsprechend fortschreiben”. Zudem sollen alle politischen Ebenen stärker gemeinsam und vorausschauend planen, wobei es eine klare Zuordnung der politischen Verantwortung geben soll. Auch bezüglich der Netzinfrastruktur setzt man wieder auf digitale Hilfsmittel, beispielsweise durch intelligente Messsysteme.

Finanzielle Förderung Um die kommunale Infrastruktur zu stärken, will man laut Koalitionsvertrag den Zugang zu Fördermitteln erleichtern, in dem man sie zusammenfasst, vereinfacht, flexibilisiert, harmonisiert und Beratungen zu den Förderprogrammen anbietet. Auch hier nimmt man sich vor, bürokratische Hürden abzubauen. Lewe freut sich, dass damit dem Wunsch nach weniger Bürokratie und mehr Praxistauglichkeit bei Förderprogrammen seitens der Kommunen nachgekommen wird. “Wir nehmen die Koalitionäre beim Wort. Das Ziel leistungsfähiger Kommunen mit einem hohen Maß an Entscheidungsfreiheit vor Ort, einer verlässlichen öffentlichen Daseinsvorsorge, einer starken Wirtschaft und einer engagierten Zivilgesellschaft ist auch unseres.” Der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse fehle ohne Stärkung der kommunalen Steuerausstattung allerdings eine grundlegende Maßnahme, kritisiert Sager.

Eigenwirtschaftlicher Ausbau beschlossen

Glasfaserausbau in Nordhessen

DNS:Net kann die ersten 4.000 Haushalte versorgen

goetel sichert flächendeckenden Ausbau in fünf Landkreisen zu

(BS/Thomas Schäfer*) Der Dezember beginnt mit Aufbruchstimmung im Landkreis Dahme-Spreewald. Im (BS/Gret Beccard *) Die Firma goetel wird die hessischen Landkreise Kassel, Hersfeld-Rotenburg, Schwalmsüdlichen Teil Brandenburgs wollen die Stadtverwaltung und Ratsverantwortlichen nicht länger auf eine Eder-Kreis, Waldeck-Frankenberg und Werra-Meißner-Kreis innerhalb der nächsten drei Jahre flächenverlässliche Glasfaserinfrastruktur warten und haben die Initiative ergriffen. deckend mit Glasfaser bis in die Häuser ausbauen. Das Göttinger Unternehmen ist bereits in zahlreichen eigenwirtschaftlichen und geförderten Projekten im Landkreis Kassel aktiv. Im Schwalm-Eder-Kreis wurden bereits die ersten Gemeinden als Ausbaugebiete erfolgreich vermarktet. Am 1. Dezember wurde in Luckau

die gemeinsame Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadt und DNS:NET unterzeichnet. In einer mit der Stadt Luckau abgestimmten Reihenfolge sollen so die Stadt und verschiedene Ortsteile sukzessive mit Glasfaser mit bis zu 2.500 Mbit/s ausgebaut werden. Mit der Vereinbarung können die ersten 4.000 Haushalte zügig realisiert werden.

in Deutschland und ist größer als die Stadt Stuttgart. Mit knapp 10.000 Einwohnern ist Luckau seit dem 1. Juli 2019 als Mittelzentrum ausgewiesen. Die Stadt verfügt über mehrere Gewerbegebiete: Luckau Ost und West sowie das Industriegebiet Luckau-Alteno; die südliche Hälfte des Gebietes der Stadt ist in den Naturpark Niederlausitzer Landrücken eingebettet. Luckau ist familienfreundlich und setzt dabei mit knapp sechs Schulen, neun Kitas und über fünfzehn Jugendclubs auf attraktive Schul-, Kita- und Jugendangebote sowie zahlreiche Kulturinstitutionen.

Der Glasfaserausbau der goetel wird die digitale Infrastruktur der Region Nordhessen nachhaltig prägen. Mit einer Gesamtfläche von fast 7.000 Quadratkilometern decken die fünf Landkreise Kassel, Hersfeld-Rotenburg, Schwalm-Eder-Kreis, WaldeckFrankenberg und Werra-Meißner-Kreis den gesamten Norden Hessens ab. Das ambitionierte Ziel der Firma goetel ist es, Glasfaser in jede Gemeinde und bis in die kleinste Ortschaft zu bringen. Das bedeutet für die zusammengenommen fast 800.000 Einwohner der fünf Landkreise, dass sie von der goetel in den kommenden Jahren mit Glasfaser direkt bis in ihren Haushalt versorgt werden. Der Landkreis Kassel wird derzeit nahezu komplett von der Firma goetel erschlossen. Aktuell läuft in 13 Städten und Gemeinden bereits der Glasfaserausbau. Darüber hinaus ist das Unternehmen dabei, in Kassel im Rahmen eines Förderprojekts die “weißen Flecken” mit Internet zu versorgen. Viele unterversorgte Ortschaften bekommen dadurch eine Chance, am digitalen Leben teilzuhaben. Die Digitalisierung der Schulen ist eines der erklärten Ziele des Förderprogramms.

Mehr Informationen unter www. luckau.de

Glasfasertrassen der ­Kommunen als Backbone

Verlässlicher Partner Die DNS:NET bewegt sich mit dem Entschluss des eigenwirtschaftlichen Ausbaus im Landkreis Dahme-Spreewald weiter in den Süden von Brandenburg und Richtung Sachsen. Nach Gesprächen mit dem Landkreis und der Wirtschaftsförderung ist das Thema des eigenwirtschaftlichen Ausbaus in den Ausschüssen auf fruchtbaren Boden gefallen und man hat gemeinsam entschieden, zunächst die Stadt und einen Teil ausgewählter Orte auszubauen. Luckaus Bürgermeister Gerald Lehmann (parteilos) freut sich, dass die DNS:NET als Brandenburgs größter alternativer Glasfaserversorger sich gezielt im weiter entfernten Bereich von Berlin samt Speckgürtel um die ländlichen Regionen kümmert. “Ich bin mir mit meinen Ratskollegen zusammen sicher, einen absolut verlässlichen Partner mit den attraktivsten Internetangeboten ausgesucht zu haben. Wir werden so unsere ehrgeizigen Ziele für die Digitalversorgung Luckaus schnell und gezielt in Angriff nehmen können.”

Luckaus Bürgermeister Gerald Lehmann (links) setzt auf Giganetze Made in Brandenburg. Foto: BS/DNS:Net

Glasfaserausbau in Brandenburg Die DNS:NET realisiert 2021 über 1.300 Kilometer Tiefbau, um den Nachholbedarf der ländlichen Regionen auszugleichen. Immer mehr Brandenburger Regionen haben somit durch den eigenwirtschaftlichen Ausbau der DNS:NET die Chance auf eine einzigartige Infrastruktur, welche neben der Daseinsvorsorge in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen die wirtschaftliche Entwicklung, Bildungschancen, die Versorgung der Bürger sowie die Wertsteigerung der Immobilien vor Ort antreibt. Über die Stadt Luckau: Luckau (niedersorbisch Łukow) liegt im Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg. Das Gebiet der Stadt Luckau in der Niederlausitz zählt mit 207,44 Quadratkilometern zu den flächengrößten (Platz 91 von 100) Gemeinden

*Thomas Schäfer leitet das Bürger- und Ordnungsamt der Stadt Luckau.

Grundlage für den weiteren Ausbau, auch bis in die kleineren Ortschaften, bildet das bereits bestehende Netz aus Glasfaser-

Der Glasfaserausbau der goetel wird die digitale Infrastruktur der Region Nordhessen nachhaltig prägen. Foto: BS/goetel

trassen der Kommunen. Dieses Netz wird von der Netcom Kassel betrieben und in Zukunft von der Firma goetel als Backbone genutzt. So kann die goetel die bislang unterversorgten Gebiete schnell mit dem eigenen Netz ausbauen. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Bürgerinnen und Bürger Nordhessens nachhaltig mit stabilem Internet versorgt werden. Darüber hinaus wurden im Schwalm-Eder-Kreis bereits die ersten Gemeinden als Ausbaugebiete erfolgreich vermarktet. Die goetel hat sich insbesondere auf die Erschließung des ländlichen Raumes mit FTTHInfrastruktur spezialisiert. In vielen eigenwirtschaftlichen und auch geförderten Projekten wurden Gemeinden und Dörfer zu Gigabitorten gemacht und

somit deren Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Somit werden auch 2022 in zahlreichen Gemeinden in Hessen und Niedersachsen Glasfaseranschlüsse mit bis zu einem Gbit/s umgesetzt. Die goetel Gruppe wurde 1987 gegründet und ist ein führender mitteldeutscher Telekommunikationsdienstleister mit Standorten in Göttingen, Kassel und Reiskirchen. Neben einem umfangreichen Angebot an Telefonie- und Internet-Produkten für Privatund Geschäftskunden gilt der Fokus dem Breitbandausbau. Bereits 2012 startete das Unternehmen mit der Errichtung des ersten eigenen Glasfasernetzes in Göttingen. *Gret Beccard ist freie Journalistin.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Sektorale Zusammenhänge mitdenken

D

ie Daseinsvorsorge weist in Deutschland eine lange Tradition auf, dennoch unterliegt sie im Zeitverlauf gewissen Veränderungen, die sich vor allem auch aus der Dynamik des gesellschaftlichen und technischen Wandels ergeben. Auch wurde mit dem Wandel vom “produzierenden” zum “gewährleistenden” Staat im Zuge der EU-Liberalisierungsprozesse ein gewisser effizienzbasierter Rahmen geschaffen, der es erlaubt, die Erbringungsform im Einzelfall und anhand der Spezifika vor Ort zu entscheiden.

Die digitale Bedeutung der Daseinsvorsorge (BS/Dr. Oliver Rottmann) Die Daseinsvorsorge befindet sich seit jeher in der Diskussion, wie sie optimal auszugestalten ist. Seit der CoronaPandemie gewinnt die Diskussion jedoch deutlich an Intensität. Im Gegensatz zu früheren Diskussionen geht es aktuell weniger um die Frage, ob der Staat die Leistung selbst erbringt, sondern vor allem darum, welche Leistungen künftig daseinsvorsorgerelevant sind und welche Bereiche der Daseinsvorsorge inhärent sind. Daseinsvorsorge als marktwirtschaftliches Randthema einzustufen, ist indes ahistorisch.

Digitalisierung und CoronaPandemie als Treiber Ferner führt die demografische Entwicklung speziell in ländlichen Räumen im Allgemeinen und besonders bei schrumpfender und alternder Bevölkerung zu spürbaren (tendenziell negativen) Veränderungen der Infrastrukturausstattung. Infolge einer fortschreitenden Abnahme und Alterung der Bevölkerung ergeben sich hiermit vielfältige Fragen zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge, besonders im Rahmen der Erbringung (rechtlich vorgeschriebener) Leistungen in der Fläche sowie der Organisation und Finanzierung der Leistungserbringung. Die Schaffung von effizienten Strukturen, die auch in Zukunft ein ausreichendes Leistungsangebot mindestens in den Kernbereichen der Daseinsvorsorge ermöglichen und zugleich mit anderen politischen Zielstellungen übereingebracht werden können (bspw. Umwelt-/ Klimaschutz), bilden zentrale Herausforderungen. Besonders die Digitalisierung bildet einen Treiber der aktuellen Diskussion, nicht zuletzt im Rahmen von Smart-City-Ansätzen. Die Corona-Pandemie wirkt hier als zusätzlicher Treiber. Die physische Erbringung grundlegender Daseinsvorsorgeleistungen hat sich zwar selbst im Lockdown bewährt, allerdings wurde auch deutlich, dass Daseinsvorsorge über physische Infrastrukturen hinausgehen muss, um zukunftsfest zu sein. Der Grund liegt daran, dass die digitale Versorgung, welche in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge während der Einschränkungen im Kontext der Corona-Pandemie die temporäre Form der Leistungserbringung darstellte (Behördengänge, Schulunterricht etc.), bislang auch unabhängig von dieser Ausnahmesituation eher unzureichend funktionierte.

A

uf der darin enthaltenen Negativliste für Dinge, die nicht mehr beschafft werden dürfen, stehen auch Getränke und Wasser in Einwegverpackungen. Nachhaltigkeitsaspekte sind in der öffentlichen Beschaffung seit Langem ein zentrales Thema. Von öffentlichen Institutionen wird erwartet, mit gutem Beispiel voranzugehen. Leitungsgebundene Wasserspender können dabei gleich mehrfach unterstützen. Im August 2021 wurde das “Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung 2021” von der Bundesregierung,

Kommunen verfügen über zahlreiche Daten im Bereich der Daseinsvorsorge wie der Mobilität. Mit dem Aufbau kommunaler Plattformen kann mithilfe dieser Daten die digitale Transformation in der Daseinsvorsorge gezielt vorangetrieben werden.

Foto: BS/LwcyD, pixabay.com

Steuerung über Plattformen Auch mit Blick auf Sektorenkopplung und sektorale Abgrenzung tut sich in der Daseinsvorsorge einiges: Traditionell waren die Bereiche der Daseinsvorsorge bislang eher bereichsspezifisch und unabhängig von anderen ausgerichtet. Angesichts der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gewinnt eine stärkere sektorenübergreifende

Leistungserbringung an Bedeutung. Dabei entsteht ein enormes Synergiepotenzial. Beispiele lassen sich zahlreiche finden, in der Energieversorgung, in der Mobilität oder in Konzepten der Wohn- und Quartiersentwicklung. Die wesentliche innovationstreibende Dynamik dieser multisektoral-gekoppelten Entwicklung geht dabei von digitalen Technologien aus.

Vor diesem Hintergrund bilden kommunale Plattformen einen wesentlichen Aspekt als Leistungsnetzwerke für die Bürger. Diese gehen über die physische Komponente der Breitbandversorgung (als Daseinsvorsorge) hinaus. Die digitale Steuerung über (kommunale) Plattformen könnte die Daseinsvorsorgeerbringung effizienter, ökologischer und passgenauer für die Bürger

realisieren. Als Beispiel lässt sich die intermodale Kopplung verschiedener Verkehrsträger über eine einzige App nennen. Die Voraussetzung dafür bildet aber die intelligente Nutzung der aus dem Betrieb der kommunalen Infrastruktur gewonnenen Daten und deren Vernetzung mit weiteren, insbesondere städtischen Bereichen. Durch den “smarten” Einsatz von Daten lassen sich in der Kommune zahlreiche Effizienzpotenziale heben, wie Umweltbelastungen zu senken und die Lebensqualität zu steigern. Dafür sind sektorale Zusammenhänge mitzudenken.

Private Dienstleister nicht ausgeschlossen Im Kontext der Digitalisierung und darauf basierenden Angeboten bzw. Lösungen stellt sich jedoch die Frage nach der Datenhoheit (Sammlung, Speicherung, Verarbeitung, Nutzung). Es kann sinnvoll sein, die in Verbindung mit Smart-City-Konzepten oder digitaler Daseinsvorsorge gesammelten Daten im kommunalen Eigentum zu belassen und nicht leichtfertig an internationale Tech-Konzerne auszulagern, da letztere über eine Marktmacht verfügen, die Gefahr läuft, dann auch die Daseinsvorsorge zu dominieren (Netzwerkeffekt digitaler Plattformen), wobei diese Konzerne dann eine Rolle einnähmen, die traditionell dem Gemeinwesen bzw. dem Staat zukommt. Daraus resultiert ein Konfliktfeld zwischen den global agierenden Plattformen einerseits und den staatlich-hoheitlichen Regelungen und Vorgaben im Rahmen der Leistungserbringung andererseits. Dies wirft Fragen auf, ob und wie Daseinsvorsorge im digitalen Raum auf einer demokratisch legitimierten Basis organisiert und gesteuert werden kann. Dies schließt aber dezidiert nicht aus, private Infrastrukturdienstleister mit ihrem Knowhow und ihrer Erfahrung mit

Beschaffung klimafreundlich gestalten AVV Klima: Trinkwasserversorgung nachhaltig umstellen (BS/Kirsten Junker*) Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung energieeffizienter Leistungen (AVV EnEff) gilt bereits seit 2008 und wird nun mit der AVV Klima um Vorgaben aus dem Bundesklimaschutzgesetz erweitert. Ab dem 1. Januar 2022 tritt diese in Kraft. beschlossen. Dort ist explizit die freiwillige Bereitstellung von Leitungswasser genannt. Die hohe Trinkwasserqualität lässt in Deutschland die Nutzung von Leitungswasser als Getränk zu. Leitungsgebundenes Trinkwasser bietet die Vorteile, dass weder Verpackungen anfallen noch zusätzliche Transporte erforderlich sind. Zudem ist es die preiswerteste Variante. Leitungswasser wird daher als Trinkwasser in Karaffen angeboten. HygieneStandards gemäß der Trinkwasserverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 2013 sind einzuhalten.

Enormes Einsparpotenzial

“Bei einer Behörde mit beispielhaft 500 Mitarbeitern sind pro Jahr Einsparungen von über 15 Tonnen CO2e und über 2,5 Tonnen Plastikmüll möglich”, sagt David Cerny, Director Sales und Service bei der BRITA Vivreau GmbH.

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Das ist für David Cerny, Director Sales und Service BRITAVivreau GmbH, gar nicht so überraschend: “Der Verzicht auf abgefülltes Wasser leistet einen wesentlichen und einfach umzusetzenden Beitrag zum Umweltund Klimaschutz. Deutliche Einsparungen von bis zu 86 Prozent

Die hohe Trinkwasserqualität lässt in Deutschland die Nutzung von Leitungswasser als Getränk zu. Fotos: BS/BRITA Vivreau GmbH

CO2e-Emissionen bringt der Einsatz eines leitungsgebundenen BRITA-Vivreau-Wasserspenders im Vergleich zur Nutzung von Flaschenwasser. Wir haben hier einen kalkulatorischen Mix aus Einweg-, Mehrweg-, Glas- und Plastikflaschen herangezogen und die Rechnung zeigt, dass bei einer Behörde beispielhaft mit 500 Mitarbeitern im Jahr

Einsparungen von über 15 Tonnen CO2e und über 2,5 Tonnen Plastikmüll möglich sind.”

Zahlreiche Vorteile Betrachtet man die Vorteile, die mit dieser modernen Art der Trinkwasserversorgung einhergehen, wird schnell klar, dass Wasserkisten künftig getrost von der Einkaufsliste gestrichen werden

können: Der Einsatz von BRITAVivreau-Wasserspendern trägt durch Substitution von Plastikflaschen und die Verringerung von Plastikmüll zum Schutz von Seen, Flüssen und Meeren und seiner Bewohner bei. Die Produktion von BRITA in Deutschland und Italien schafft eine um zwölf Prozent bessere CO2e-Bilanz als die Produktion in China. Wasserspender mit BRITA-HygienePlus System gewährleisten den Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser gemäß den mikrobiologischen Vorgaben der Trinkwasserverordnung. Unabhängige Labore attestieren die hervorragende Hygiene der Anlagen in Langzeitgutachten und unter realen Nutzungsbedingungen. BRITA-Vivreau-Wasserspender ermöglichen einen barrierefreien Zugang zu frischem Trinkwasser durch das Easy Access Panel und erfüllen die Anforderungen an Inklusion und Antidiskriminierung.

der Erbringung von Daseinsvorsorgeleitungen zu beauftragen. Dies impliziert ohnehin die am Anfang des Beitrags angeführte Gewährleistungsverantwortung. Vor dem Hintergrund der Datenproblematik gewinnt allerdings der Aufbau von eigenen kommunalen Plattformen, die Produzenten, Lieferanten und Verbraucher auf der lokalen oder regionalen Ebene zusammenbringen, an Bedeutung. Über Bottom-up-Prozesse gesteuert, unter Beachtung regionaler Spezifika, können die digitale Transformation in der Daseinsvorsorge gezielt vorangetrieben und dabei gleichzeitig auch die kommunale Ebene gestärkt werden. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Plattformstrategie, die gerade auch SmartCity-Ansätzen zugrunde liegt, um Lösungen zur Verknüpfung verschiedener Aufgabenfelder sowie öffentlicher und privater Dienste entwickeln zu können. Im Rahmen dieses verbundenen Datenmanagements nehmen besonders kommunale, aber auch privatwirtschaftliche Dienstleister eine tragende Rolle ein, da sie neben der kommunalen Verankerung oder Nähe auch entsprechende Geschäftsmodelle vorweisen können. Allerdings sollten entsprechende kommunale und personenbezogene Daten nicht zwangsläufig auf Servern außerhalb der deutschen bzw.

Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. und Geschäftsführer des KOMKIS Sachsen, beides Universität Leipzig. Foto: BS/privat

europäischen Datenschutzregelungen gelagert und verarbeitet werden. Eine kommunale Gewährleistungsverantwortung endet folglich nicht bei physischen Infrastrukturen. Der Text basiert auf der Studie “Zukunftsorientierte Daseinsvorsorge in der kommunalen Infrastrukturversorgung”, die das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig in Kooperation mit BakerTilly, DZ HYP, den Stadtwerken Düsseldorf, Leipziger Stadtwerken, NRW.BANK, RheinEnergie, den Wuppertaler Stadtwerken, VNG und 8KU erstellt hat.

Der Preis pro einem Liter Wasser aus BRITA-Vivreau-Wasserspendern liegt mit bis zu 73 Prozent deutlich unter dem von Mineralwasser/Flaschenwasser. BRITA-Vivreau bietet größtmögliche Sicherheit durch Komplettlösungen, bestehend aus individueller Beratung, engagierter Kundenbetreuung und einem umfassenden Service während des gesamten Lebenszyklus des Geräts und ist bereits geprüfter Lieferant von vielen Behörden und öffentlichen Einrichtungen. Das BRITA-Vivreau Servicekonzept und ein flächendeckendes Servicenetz in der D-A-CH-Region sorgt für den bestmöglichen Zustand der leitungsgebundenen Wasserspender und für stets einwandfreie Wasserqualität. Die Umsetzung der AVV Klima hinsichtlich Trinkwasser aus leitungsgebundenen Wasserspendern und Hygiene nach Trinkwasserverordnung kann als Sofortmaßnahme binnen weniger Tage realisiert werden. *Kirsten Junker arbeitet als Associate Managerin Marketing, Professional Filter & Dispenser DACH bei der BRITA-Vivreau GmbH.


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U

m Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, manipulieren die Poser ihre Autos auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Angefangen bei relativ primitiven Flexarbeiten an den Abgasanlagen, bei denen in die Rohre Vförmige Löcher geschnitten werden, entferntem Dämmmaterial aus den Anlagen oder zusätzlich (meistens nicht fachmännisch) verschweißten Auspuffrohren hin zu Software-Manipulationen ist alles dabei. Ziel des ganzen Aufwandes ist, Lärm zu erzeugen. Dadurch erhoffen sich (die meist jungen) Männer, Frauen anzusprechen. Natürlich sind dabei die Änderungen nie genehmigt worden. Doch die Manipulationen seien wesentlich professioneller geworden, weiß Michael Schwenk, ehemaliger Leiter der Ermittlungsgruppe Poser des Verkehrsdienstes Mannheim, zu berichten. Er wurde 2016 beauftragt, die Ermittlungsgruppe zu gründen und Maßnahmen gegen die Poserszene in Mannheim zu erarbeiten und durchzusetzen. Der Grund für das Aktivwerden waren die zahlreichen Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern aufgrund von Lärm und der Verkehrsproblematik an den Straßen rund um die Innenstadt. Mannheim ist durch seinen schachbrettartigen Aufbau mit langen graden Straßen, an denen sich viele Cafés, Bars und Restaurants reihen, für Poser besonders interessant. Sehr zum Leidwesen seiner Anwohnerinnen und Anwohner. Bis 2016 habe es noch kein Konzept gegen dieses Phänomen gegeben, sagt Schwenk. Deshalb worden ein Maßnahmenpaket von Polizei und Kommune geschnürt. “Wir waren ein bisschen Pioniere und Blaupause für andere Dienststellen”, erinnert sich der Polizeibeamte. Es habe viele Hospitationen von anderen Stellen aus ganz Deutschland gegeben. Konkret wurde u. a. eine Informationsstelle für die Bevölkerung eingerichtet, bei der Bürger auf Poser mit Kennzeichen, Ort und Uhrzeit aufmerksam machen konnten. Diese Informationen waren zunächst erforderlich, um ein Lagebild zu erstellen. Mittlerweile werden die Daten nicht mehr benötigt. In weiteren Schritten wurden Verbotsverfügungen erstellt und die Zusammenarbeit mit der Bußgeldstelle der Stadt intensiviert, um den Rahmen des Bußgeldkatalogs vollumfänglich auszureizen. Schwenk und seine Kollegen beließen es jedoch nicht nur bei sanktionsbasierten Maßnahmen, sondern setzten auch auf Prävention durch klassische Gefährderansprachen. Dies sei sehr erfolgreich gewesen. Alle angesprochenen Personen seien später nicht mehr auffällig geworden. Subjektiv sei die Stadt durch diese Maßnahmen leiser gewor-

Kommunale Infrastruktur / Kommunale Sicherheit

Poser im Straßenverkehr Zusammen gegen den Geltungsdrang (BS/Bennet Klawon) Das Problem besteht in mehreren deutschen Städten schon seit Jahren. Ob nun Dortmund, Düsseldorf, Mannheim oder Berlin, in Städten wie diesen belästigen Poser mit ihren manipulierten Wagen die Anwohnerinnen und Anwohner an beliebten Flaniermeilen. Doch die Polizei und die kommunalen Ordnungsbehörden reagieren. Dabei setzen die Verantwortlichen auf unterschiedliche Strategien. machtlos. Für den fließenden Verkehr ist in der Hauptstadt nur die Polizei zuständig. Von gemischten Streifen von Polizei und Ordnungsamt hält Liecke nicht viel, da in manchen Bezirken mittlerweile Hundertschaften zum Einsatz kommen müssten.

Wirkungsvoll geht es ­ nur zusammen

Was kann man gegen Poser unternehmen? Dazu diskutierten (im Uhrzeigersinn): Marco Feldmann (Moderation), Michael Schwenk, Falko Liecke und Timon Kuntz. Screenshot: BS/Klawon

den. Dennoch ist die Zahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren und der sichergestellten Fahrzeuge hoch. Allein 2020 gab es 231 Ordnungswidrigkeitsverfahren, 73 Fahrzeugsicherstellungen und 154 Verwarnungen wegen “unnötigen Lärms”.

(BS/mj) “Um unsere Ressourcen zu schonen und Stoffkreisläufe zu schließen, müssen wir Verpackungsmüll, wo es geht, vermeiden und – wo dies nicht möglich ist – Mehrwegsysteme forcieren”, erklärt Ursula HeinenEsser, Umweltministerin des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW). Auch der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist dies laut aktueller Forsa-Umfrage wichtig. Demnach sei 94 Prozent der Befragten die Vermeidung von Verpackungsmüll wichtig, 45 Prozent sogar sehr wichtig. Die vom nordrhein-westfälischen Umweltministerium in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage ergab zudem, dass eine Vielzahl der Befragten bereits Mehrwegverpackungen nutzt. Hierzu gehören beispielsweise Nachfüllsysteme für Körperpflegeprodukte,

nicht direkt von Posern geliehen worden seien) ein geldwerter Vorteil ergeben könne. Hier stehe man aber noch am Anfang. Bei der Beschlagnahmung von Fahrzeugen ist das Ordnungsamt

Das Thema Auto-Posing hat auch im Innenministerium Baden-Württembergs hohe Priorität. Hier hat der Kampf gegen das Phänomen erst 2019 an Fahrt aufgenommen, als ein Projekt zur Steigerung der kommunalen Sicherheit, an dem mehrere Ressorts beteiligt waren, gestartet wurde. Ein Arbeitspaket sei dabei das Thema Posinggewesen, berichtet Timon Kuntz, Verkehrsreferent im Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und

Kommunen des Landes BadenWürttemberg. “Wenn wir Wirkung im Kampf gegen Poser haben wollen, müssen alle Behörden, die Straßenverkehrsbehörden, die Fahrerlaubnisbehörden und die Polizeibehörden, zusammenarbeiten”, sagt der Referent. Das Beispiel aus Mannheim habe gezeigt, dass dies der richtige Weg sei. Ebenso müsse der Rechtsrahmen vollumfänglich genutzt und alle Register, die den Behörden zur Verfügung stünden, gezogen werden. Dies treffe im Besonderen Maße die Bußgelder. Liecke und Kuntz stimmen überein, dass die Anhebung der Strafen im Bußgeldkatalog der richtige Schritt gewesen sei. Besonders die Strafen bei gefahrenträchtigen Verkehrsverstößen seien vor der Reform zu niedrig gewesen. Der Anstieg der Bußgelder von 20 auf 100 Euro bei Verstößen wie

unnötigem Hin- und Herfahren tue den Posern schon mehr weh. Vor allem Bußgeldstellen hätten aber bei der Verhängung von Bußgeldern einen größeren Spielraum, unterstreicht Kuntz. So könnten diese die Gelder erhöhen, wenn zum Beispiel Vorsatz oder fehlende Einsicht vorliege. Dieser Rahmen müsse jedoch auch ausgenutzt werden. Um diese Erkenntnisse in die Fläche zu tragen, haben das Innenministerium und das Verkehrsministerium von Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium Mannheim einen sogenannten Posing-Erlass an die kommunalen Behörden herausgegeben, der die Maßnahmen zusammenfasst. “Mit diesem Erlass wissen alle Behörden, was zu tun ist”, zeigt sich Kuntz überzeugt. Dennoch sei man noch nicht am Ende des Weges angekommen. Deshalb richtete das Land ein Kompetenzzentrum zu diesem Thema ein, bei dem Schwenk Leiter ist, um die Vernetzung weiter voranzutreiben. Die Diskussionsrunde findet sich in der Mediathek der Plattform NeueStadt.org: www.neuestadt. org/mediathek/.

Problem nicht überall erfasst Aber nicht überall in Deutschland wird die Poserszene im gleichen Maße erfasst. “Vonseiten des Ordnungsdienstes in Berlin wird das Thema gar nicht behandelt”, sagt Falko Liecke (CDU), Bezirksstadtrat für Soziales im Bezirksamt Berlin-Neukölln. Es gebe keine Datengrundlage bei Ordnungsdiensten und Polizei zu Posern in Berlin. “Ich wünsche mir eine ähnliche Ermittlungsgruppe wie in Mannheim für Neukölln”, sagt der Bezirksstadtrat. Ebenso sei die Zusammenarbeit zwischen Ordnungsamt und Polizei in dem Stadtteil stark verbesserungswürdig. Liecke will nichtdestotrotz das Problem über den Zugang zu den hochmotorisierten und PSstarken Fahrzeugen für junge Menschen angehen. So müsse darüber diskutiert werden, diese Fahrzeuge nicht mehr an diese Gruppe zu verleihen. Ob bei Autovermietungen eine Alters- oder eine PS-Grenze eingeführt werden soll, ist dabei noch offen. Die Debatte sei noch nicht beendet, aber es sei gut, dass diese geführt werde, meint der Berliner. Außerdem möchte Liecke in diesem Bereich die Verfolgung von Posern und die Arbeit von Jobcentern verquicken. So sollen Jobcenter und Ordnungsbehörden Daten untereinander austauschen, um bei möglichem Bezug von SGB-II-Leistungen Sanktionen durchführen zu können, da sich durch die Inanspruchnahme dieser Fahrzeuge (auch wenn sie

WEBINAR: Neu in der öffentlichen Verwaltung Erste Schritte für einen erfolgreichen (Wieder-)Einstieg

Nicht nur für neue Mitarbeitende, Berufsanfänger und Quereinsteiger ohne klassische Verwaltungsausbildung ist die öffentliche Verwaltung mit ihren Geschäftsabläufen oftmals ein Buch mit sieben Siegeln. Auch für Wiedereinsteiger werfen die Regelungen der innerbehördlichen Verwaltungstätigkeit viele Fragen auf. Dieses Webinar gibt einen konzentrierten Überblick über die Basics des Verwaltungshandelns, insbesondere über die Arbeitstechniken in der Verwaltung, und erleichtert das rasche Einarbeiten in diese komplexe Materie.

THEMENÜBERBLICK: 11. Januar 2022, 10:00–14:30 Uhr • Grundlagen, Verwaltungsaufbau und Organisationsstrukturen öffentlich-rechtlicher Körperschaften • Formalziele und Sachziele des Verwaltungshandelns

MELDUNG

Weniger Abfall in NRW

Behörden Spiegel / Dezember 2021

• Ablauforganisation/Geschäftsverfahren in öffentlichen Verwaltungen Mehrwegflaschen für Getränke, Pfandbecher für unterwegs oder Mehrwegverpackung bei Takeaway-Essen. Dabei ist die Verteilung innerhalb der Bevölkerung recht unterschiedlich. Generell nutzen laut Umfrage jüngere Personen eher Mehrwegsysteme. Zudem liegt, laut der im Rahmen der europäischen Woche der Abfallvermeidung durchgeführten Umfrage Männern die Vermeidung von Verpackungsmüll etwas weniger am Herzen als Frauen und Befragten ab 60 Jahren sei das Thema wichtiger als den – bereits auf hohem Niveau liegenden – 18- bis 29-Jährigen. Die größten Hürden für eine Nutzung von Mehrwegsystemen liegen laut Befragten darin, dass eine Rückgabemöglichkeit von Verpackungen nicht überall verfügbar sei.

• Methodenkompetenzen • Gliederung und Aufbau von Vermerken • Bescheidtechnik / Verfügungsaufbau / Verfügungstechnik • Praktische Beispiele zum Verfassen von Vermerken und Erstellen von Verfügungen • E-Akte / E-Government

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchworte „Neu in der öffentlichen Verwaltung“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com


Kommunale Sicherheit

Behörden Spiegel / Dezember 2021

D

ie Zahlen der Corona-Fälle steigen in einem noch nicht erlebten Wachstum in Deutschland. Kommunen, insbesondere Gesundheitsämter, stehen dabei neben Krankenhäusern an vorderster Front. Um Herr der Lage zu bleiben, setzt Dr. Peter Schäfer, Fachbereichsleiter des Jugendund Gesundheitsamtes der Stadt Mannheim, auf vier Faktoren. Für das Gelingen eines guten Krisenmanagements müssten die Struktur, die Prozesse, die Kommunikation und die handelnden Personen funktionieren, so Schäfer. Als Herzstück des kompletten Managements betrachtet der Gesundheitsamtsleiter den Verwaltungsstab. Dieser sei für die Kommunikation verwaltungsintern mit der Politik, den fachlich Verantwortlichen und der Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung. Denn nur durch eine funktionierende Kommunikation könne Transparenz für Schutzmaßnahmen geschaffen werden. Dabei stützt sich der Stab auf umfangreiches Zahlenmaterial – insbesondere auf die Infektionszahlen in den verschiedenen Quartieren –, um z. B. zielgerichtete Impfaktionen durchzuführen. Die Zusammenarbeit des Stabes

Der vierten Welle begegnen Strategien für das kommunale Corona-Management

präventive Verbote auf andere Demonstrationen, die nicht aus dem Querdenker-Lager stammten, angewendet werden könnten.

Krise ist Alltag geworden

(BS/bk) Die vierte Corona-Welle rollt mit ungemeiner Kraft über Deutschland hinweg. Jetzt kommt die Virusmutation "Omikron", die ausbreitet Doch auch wenn die vierte Welle als die Delta-Variante. Neben den gesundheitlichen Herausforderungen gesellen sich auch immer mehr Sicherheitsfragen hinzu. Denn vor allem noch nicht überwunden wurde, Corona-Leugner und Gegner der staatlichen Schutzmaßnahmen setzen die Kommunen unter Druck. Auf dem zweiten Mannheimer Sicherheitstag sollten einige Lehren aus der stellten Praktiker Strategien vor, um der gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie Herr zu werden. Pandemie jetzt schon gezogen ist über eine Organisationsverfügung realisiert worden. Am Management der Lage sind eine Vielzahl an Akteuren beteiligt. Gerade bei den vielen beteiligten Stellen konnte Schäfer die Erfahrung machen, dass eine klare Trennung zwischen Personen und Funktionen sowie die Einrichtung von FunktionsE-Mail-Adressen zielführend ist. So könne der Informationsfluss trotz Ausfall oder Urlaub von beteiligten Personen aufrechter gehalten werden, da auch Stellvertreter reagieren könnten.

Prinzip der “Goldenen ­Stunde” beachten Gerade diese Transparenz ist in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit wichtig, weiß Anneliese Baas von der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums Mannheim zu berichten.

werden. “Die Krise ist Alltag geworden”, sagt Christian Specht (CDU), Erster Bürgermeister der Stadt Mannheim. Ob nun Hochwasser, Terror, Pandemie oder Cyber-Angriffe, Krisen bewältige man am besten, wenn man darauf vorbereitet sei, so Specht. Er ist sich sicher, dass der Begriff “kommunale Resilienz” das Wort der Post-Corona-Zeit wird. Dazu müsse aber die Widerstands­ fähigkeit gesteigert und das Unbekannte mitgedacht werden.

Christian Specht (links), Erster Bürgermeister der Stadt Mannheim, und Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg, sehen die kommunalen Sicherheitsbehörden besonders gefordert. Screenshot: BS/Klawon

Es gebe viel Unsicherheit in der Bevölkerung und im verstärkten Maße auch Falschmeldungen bzw. Fake News, was das Thema Corona angehe. Auch auf diese müsse man reagieren. Ignorieren von Fake News in den Sozialen Medien sei kein gangbarer Weg, so Baas.

Alles bleibt beim Alten Lars Oschmann als DFV-Vizepräsident wiedergewählt (BS/bk) Lars Oschmann wurde als Vizepräsident für die Freiwilligen Feuerwehren im Deutschen Feuerwehrverband (DFV) auf der 68. Delegiertenversammlung wiedergewählt. Die Entscheidung trifft nicht überall auf Zustimmung.

Die alten und neuen Vizepräsidenten des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) für die Freiwilligen Feuerwehren und für die Bundesgruppe Berufsfeuerwehren: Lars Oschmann und Karl-Heinz Frank Fotos: BS/Matthias Oestreicher, DFV

Damit setzte sich der 49-Jährige gegen Sascha Guzy, Vorsitzender des Landesfeuerwehrverbandes Berlin (LFV Berlin), und Birgit Kill vom Verband der Feuerwehren in NRW (VdF NRW) durch. Er erhielt im ersten Wahlgang 62,75 Prozent bzw. 96 der 153 Stimmen. Oschmann ist seit 2016 DFV-Vizepräsident. Kill konnte 35 Stimmen bzw. 22,88 Prozent auf sich vereinigen. Für Guzy votierten 22 bzw. 14,38 Prozent der Stimmberechtigten. Oschmann kündigte in seiner Bewerbungsrede an, sich auch weiterhin für die Hinterbliebenenabsicherung von verheirateten und auch nicht verheirateten Partnerinnen und Partnern einsetzen zu wollen. Mittlerweile habe man auf Bundesebene schon Fortschritte in diesem Bereich gemacht. Zudem will Oschmann über den DFV eine zusätzliche Altersrente für Feuerwehrkräfte bei der Deutschen Rentenversicherung etablieren. Außerdem möchte Oschmann als Jurist seine rechtlichen Kompetenzen weiter in die Bereiche Technik und Sozialwesen einbringen. Mit Blick auf die internen Querelen der Vergangenheit sagte der Thüringer: “Vermeintlich verloren gegangenes Vertrauen kann vom DFV nur durch gute Arbeit zurückgewonnen werden. Diese Arbeit leistet unser Verband.” Dennoch müssten die Erfolge der Arbeit besser kommuniziert werden, forderte Oschmann. “Ein Weiter-so darf es nicht geben”, sagte Guzy bei seiner Bewerbungsrede. Zwar freue er sich, dass es einen neuen Präsidenten gebe, dennoch dürfe man

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an diesem Punkt nicht stehen bleiben. Er wolle die Zukunft gemeinsam gestalten und das Ehrenamt stärken. Der Berliner will dem DFV zur alten Stärke verhelfen. Er forderte vor dem Hintergrund der langen Streitigkeiten im Präsidium des DFV, dass man wieder aufeinander zugehen müsse und wieder kameradschaftlich handeln solle. Dazu müsse der DFV seine Arbeit für seine Mitglieder transparent gestalten. Die Kandidatin aus NRW warb bei ihrer Vorstellung für mehr (Online-)Fortbildungen, Netzwerke und Veranstaltungen für Feuerwehrfrauen. Sie verwies dabei auf ihre Arbeit in NRW im Projekt Florentine NRW, bei dem sie Projektleiterin ist. Dies müsse auch bundesweit Schule machen. Kill will sich im besonderen Maße für Frauen in der Feuerwehr, Vereinbarkeit von Familie und Ehrenamt sowie Sport und Gesundheitsförderung einsetzen.

Kritik und Bedauern aus NRW Bedauern über den Ausgang der Wahl kommt aus NRW: “Wir gratulieren Lars Oschmann zur mehrheitlichen Wiederwahl, sind aber natürlich vom Wahlergebnis im DFV sehr enttäuscht. Wir haben den Delegierten eine hervorragende Kandidatin vorgeschlagen. Der Deutsche Feuerwehrverband hat die große Chance verpasst, in seine Außendarstellung und das wichtige Verbandspräsidium endlich erstmals eine Feuerwehrfrau einzubinden. Mehr Frauen in die Männerdomäne Feuerwehr einzubinden, ist eine unserer

wichtigsten Zukunftsaufgaben. Gerade deshalb hat der Deutsche Feuerwehrverband heute ein fatales Signal ausgesendet”, erklärte VdF-NRW-Vorsitzender Dr. Jan Heinisch. Der stellvertretende Vorsitzende des VdF NRW, Bernd Schneider, kritisierte: “Wir können nicht einerseits für mehr Frauen in den Feuerwehren werben und andererseits hervorragende und modern denkende Kandidatinnen ablehnen. Das war heute eine Chance für ein zeitgerechtes Gesicht des DFV. Diese Chance wurde vertan.” In der Wahl für das Vizepräsidentenamt für die Bundesgruppe Berufsfeuerwehren wurde KarlHeinz Frank, Leiter der Feuerwehr Frankfurt am Main, einstimmig gewählt. Es gab keinen Gegenkandidaten.

Satzungsänderungen nötig Abseits der Wahlen wurden Änderungen an der Satzung des DFV nötig. Zum einen musste die Satzung für virtuelle Wahlen und Versammlungen angepasst und es mussten die Rahmenbedingungen dafür aufgestellt werden. Konkret soll eine virtuelle Sitzung nur dann durchgeführt werden, wenn schwerwiegende Gründe, wie Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Notsituationen, vorliegen oder wenn aus anderen Gründen eine Präsenzveranstaltung nicht zumutbar ist. Außerdem bekennt sich der DFV mit einer Satzungsänderung ausdrücklich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und tritt allen rassistischen, fremden- und verfassungsfeindlichen Ansichten entschieden entgegen.

Besonders nach der Einführung der Maskenpflicht nahmen Verschwörungstheorien und Fake News an Fahrt auf und wurden vermehrt verbreitet. Dabei sei es nicht immer leicht, zu unterscheiden, ob es sich bei manchen Posts um bewusste Fehlinformationen oder einen automatisierten Social-Bot handle, erklärt Baas. Nichtsdestotrotz müsse auf jeden Post reagiert werden. Zwar gebe es keine Patentlösung, wie eine solche Reaktion auszusehen hat, aber es gebe ein paar Punkte, die man beachten sollte. Zunächst gelte das Prinzip der “Goldenen Stunde”, sagt Baas. Dies bedeute, dass auf Falschmeldungen schnell – innerhalb einer Stunde – reagiert werden sollte. Dabei gehe Geschwindigkeit vor Vollständigkeit. Um den betreffenden Sachverhalt zu überprüfen, was immer passieren sollte, sei eine kurze Anbindung an die Kolleginnen und Kollegen wichtig. Bei akuten Fällen wie Demonstrationen gelte sogar die “Goldene Viertelstunde”. Gerade bei Versammlungen aller Art müsse man versuchen, vor die Lage zu kommen, und sich bestmöglich darauf vorbereiten, um die Deutungshoheit zu behalten. Bei dem Widerspruch bzw. der Counterspeech von Fake News geht es laut Baas nicht darum, den Corona-Leugner oder den Verschwörungstheoretiker zu überzeugen, da dies sinnlos sei. Es gehe eher darum, die still Mitlesenden zu überzeugen und zu verhindern, dass sich die Fake News weiterverbreiteten. Wichtig sei zudem, dass kein Post in den Sozialen Medien gelöscht werde, da diese für spätere Verfahren oder zur Transparenz gebraucht würden. Dabei finde keine Zu-

sammenarbeit mit z. B. Facebook statt, da man die Erfahrung gemacht habe, dass dies zu nichts führe. Aber jede Beleidigung oder Volksverhetzung werde zur Anzeige gebracht.

Versammlungen vorab zu ­verbieten, ist schwierig Natürlich sind Corona-Leugner nicht nur im Netz zu finden, auch auf Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen machen sich diese sogenannten Querdenker Luft. Auch wenn diese Proteste einem persönlich nicht gefiehlen, müsse man diese als Ausdruck der Unzufriedenheit zulassen, sagt Prof. Dr. Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht am FÖPS Berlin. Dies sei durch die Versammlungsfreiheit, die durch das Grundgesetz (GG) garantiert werde, gedeckt. Hierbei hat es in den vergangenen Monaten nach der Ansicht von Arzt nicht immer eine juristisch richtige Entscheidung gegeben. Eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) sei nicht zulässig, meint Arzt, da es nicht spezifisch genug sei. Zudem kritisiert der Professor, dass es bis heute keine grundlegende Rechtsentscheidung zu diesem Sachverhalt gebe. Dies sei nicht ganz unumstritten. Der Gesundheitsschutz habe nicht immer Vorrang vor dem Versammlungsrecht, sagt der Jurist. Beschränkungen des Versammlungsrechts seien zwar grundsätzlich nicht unmöglich, müssten jedoch immer verhältnismäßig und an das aktuelle Infektionsgeschehen angepasst sein. Er sorgt sich darum, dass in Zukunft auch

Globale Auswirkungen auf die kommunale Sicherheit Dem kann sich Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg, nur anschließen. Eine Krise am anderen Ende der Welt finde auch ihren Niederschlag in der Kommune. So habe der Einmarsch von türkischen Truppen in Syrien Demonstrationen vor dem Mannheimer Bahnhof ausgelöst, so Stenger. Die Frequenz der Herausforderungen für die kommunale Sicherheit nehme durch die vielfachen Bedrohungen und Risiken in der vernetzten Welt zu. Deshalb müssten Lösungen schneller integriert werden. Dies sei vor allem im Bereich der Cyber-Kriminalität der Fall. Aber eine erfolgreiche Sicherheitsarbeit basiere nicht ausschließlich auf der reinen Kriminalitätsbekämpfung. Es müsse auch das subjektive Sicherheitsgefühl beachtet werden. Dazu brauche es neben der Technik auch einen ganzheitlichen Ansatz, der mit allen Akteuren der kommunalen Sicherheit gestaltet werde.

MELDUNG

Ausschuss gestartet (BS/bk) Der neu eingerichtete Ausschuss für Bevölkerungsschutz des Landkreistags NRW (LKT NRW) hat mit seiner Arbeit begonnen. Arbeitsschwerpunkt des Ausschusses ist die Aufstellung des Bevölkerungsschutzes in den Kreisen. Das Thema Bevölkerungsschutz wurde bislang in einer Arbeitsgemeinschaft diskutiert. Auf der konstituierenden Sitzung wurde Dr. Martin Sommer (parteilos), Landrat des Kreises Steinfurt, einstimmig zum Vorsitzenden gewählt.


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Okt. 2022 e-nrw: zukünftige IT-Strategien in NRW 3. November 2022, Neuss

www.public-it-security.de

Ansprechpartner Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de

Sept. 2022

Nordl@nderDIGITAL 22. September, Rostock

Nov. 2022

www.e-nrw.info

Permanente Online-Formate

Digitaler Staat ONLINE ONLINE

www.digitaler-staat.online


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Dezember 2021

Souverän im digitalen Zeitalter

KNAPP Dokumentation der föderalen IT-Landschaft

Mehr Open Source, aber nicht nur

(BS/Matthias Lorenz) Im digitalen Zeitalter verlagert sich auch staatliches Handeln immer mehr in die Online-Welt. Damit der Staat auch hier frei von Abhängigkeiten agieren kann, (BS/tr) Das föderale IT-Architekfällt zwangsläufig das Stichwort der digitalen Souveränität. Dies bedeutet unter anderem, dass der Staat im Bereich der Technik oder der Daten selbstbestimmt Entscheidungen treffen turboard hat die aktuelle föderale kann. Immer wieder wird die Verwendung von Open Source (OS) in diesem Zusammenhang gefordert. Klar ist schon jetzt, dass ihre Rolle in der Zukunft immer wichtiger werden wird. IT-Landschaft modelliert und Wie Dr. Markus Richter im Behörden Spiegel-Interview (Seite 41) klarstellt, will man jedoch nicht nur auf OS setzen. “Bei Souveränität geht es vor allem darum, mehr Optionen zu generieren”, sagt der Bundes-CIO. Es wäre illusorisch, zu sagen, man könne sich von allen Hyperscalern frei machen. Durch den vermehrten Einsatz von Open Source wolle man diese Vielfalt von Optionen schaffen. Diese Strategie der Optionenvielfalt wird bereits in mehreren Bereichen der staatlichen Digitalpolitik deutlich. Zunächst ist hier die Multi-Cloud-Strategie der Bundesregierung zu nennen. Der Plan ist, neben einer MicrosoftCloud, die in einem deutschen Rechenzentrum betrieben wird, auch eine nationale souveräne Cloud auf Open-Source-Basis zu etablieren. Des Weiteren will der Bund gemeinsam mit den Ländern auch im Bereich des Arbeitsplatzes für mehr Optionen sorgen. So ist zumindest die Absichtserklärung von Bund und neun Bundesländern zur gemeinsamen Erarbeitung eines souveränen Arbeitsplatzes zu verstehen. Dr. Richter bestätigt, dass das auf OS basierende und bereits am Markt befindliche Dataport-Projekt “Phoenix” die Grundlage für diesen Arbeitsplatz bilden soll. Zunächst ist es das Ziel, alle notwendigen Basisfunktionen eines Arbeitsplatzes in den Bereichen Produktivität (u. a. Textverarbeitung), Kollaboration (u.a. organisationsübergreifende Zusammenarbeit) und Kommunikation (u. a. Videokonferenzen) verfüg- und skalierbar zu machen. Mehr Open Source im Arbeitsplatzbereich ist unter anderem deswegen wichtig, weil die Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung (wie in Kommunen) von proprietärer Software an die-

Wie kann der Einsatz von Open Source gefördert werden? Der Bund müsse Leitplanken vorgeben, innerhalb derer beispielsweise Kommunen frei Entscheidungen treffen könnten, so eine Expertenmeinung. Foto: BS/dendoktoor, pixabay.com

ser Stelle mit am größten ist. Im Backend, zum Beispiel im Server-Bereich, wird hingegen bereits jetzt deutlich öfter auf OS gesetzt. Aus diesem Grund hebt Anika Krellmann, Referentin im Programmbereich Organisationsund Informationsmanagement bei der KGSt, bei einer Open Source-Diskussionsrunde auf der Plattform Digitaler Staat Online die Bedeutung der Absichtserklärung hervor: “Aus kommunaler Sicht sehen wir hier den sehr wichtigen Hebel: Es handelt sich um Open Source, da werden alle partizipieren können.” Auch hofft sie, dass sich durch den OSArbeitsplatz die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen weiter verbessere, da ein Arbeitsplatz schließlich auf allen drei Ebenen des Födera-

lismus benötigt werde. Wenn es um den Einsatz von Open Source gerade in Kommunen geht, betonen Experten wie Markus Feilner, IT-Journalist, Berater und Digitalisierungsbeauftragter der Stadt Treuchtlingen, die seit 20 Jahren auf das Open-SourceBetriebssystem Linux und andere OS-Anwendungen setzt, aber auch: “Es ist nicht viel gewonnen, wenn wir den Kommunen etwas Bestimmtes vorschreiben. Wir müssen sie vielmehr in die Lage versetzen, ihre Probleme selbst vor Ort zu lösen.” Es gelte, keine neuen Monopolstrukturen aufzubauen. Bei Dr. Christian Knebel, Geschäftsführer der publicplan GmbH, die Mitglied im Verein Open Source Business Alliance ist, klingt das so: “Nur Microsoft durch Phoenix ablösen zu wollen,

ist ein Denkfehler.” Der Staat müsse vielmehr dafür sorgen, dass ein OS-Ökosystem entstehe, bei dem alle mitmachen könnten. Der Bund müsse also Leitplanken vorgeben (beispielsweise Open Source, offene Schnittstellen und Standards), innerhalb derer sich die Kommunen frei bewegen könnten. Nur so könnten mehr Vorgaben seitens des Bundes auch für mehr Handlungssicherheit sorgen. Gerade für Kommunen stellt sich darüber hinaus die Frage, wie Fachverfahren in eine Open Source-Umgebung integriert werden können. Diese können oft noch nicht in verschiedene Software-Umgebungen eingebunden werden. In Meiningen, wo man ebenfalls einige OS-Projekte verfolgt, halte man deswegen

in Ausschreibungen fest, dass bestenfalls Webanwendungen geliefert werden sollten, weil diese plattformunabhängig liefen, erklärt der Informatiker Christian Neßlinger von der Stabsstelle Digitale Stadt Meiningen. Christian Nähle, Geschäftsführer der “Initiative für Freie und Open Source Software” bei der Stadt Dortmund (Do-FOSS), sagt, dass den Kommunen ein Code Repository helfen könne. Falls eine Kommune eine Anwendung baue, könnten andere Kommunen in dieser Ablage auf den Code zugreifen und ihn für sich nutzen. Ein staatliches Code Repository fordert auch Knebel, weil bei anderen Repositories bestimmte Sicherheitskriterien fehlen würden. Eine solche Einrichtung befindet sich von Bundes-Seite bereits in der Umsetzung: “Wir haben eine Plattform geschaffen, auf der sich ein Code Repository befindet”, sagt Bundes-CIO Dr. Richter. Es sei wichtig, dass dort, wo öffentliche Codes entstünden, diese auch öffentlich gestellt würden. Unter anderem aus diesem Grund bilanziert auch KGSt-Referentin Krellmann: “Wichtige Grundsteine sind seitens des Bundes gelegt.” Die neue Bundesregierung müsse diesen Weg nun gut fortführen und ausbauen. Was die Expert(inn)en jedoch unisono betonen: Damit auch Kommunen verstärkt auf Open Source setzen könnten, brauche es eine finanzielle Förderung des Bundes. So beklagt Christian Nähle: “Es gibt keine Fördermittel, um die digitale Souveränität nach vorne zu bringen.” Man brauche Förderprogramme, die zum Beispiel auch die Ausstiegskosten aus der bisherigen proprietären Software abdecken würden. Er hat für die Förderung auch schon einen Namensvorschlag: “OpenSource-Infrastrukturfonds”.

damit eine erste konkrete Wissensbasis geliefert, um potenzielle Lücken in der IT-Infrastruktur der öffentlichen Verwaltung zu identifizieren. Ähnlich wie bei einer geografischen Landkarte bildet die IT-Landschaft den aktuellen Ist-Zustand der föderalen IT-Systeme ab. Der Fokus liegt vor allem auf IT-Systemen, durch welche die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen mit der öffentlichen Verwaltung interagieren. Der Leitfaden für die Dokumentation wurde vom föderalen Architekturboard und dem IT-Planungsrat im Oktober dieses Jahres mit verbindlichen IT-Architekturrichtlinien beschlossen.

Deutsch-französischer Lagebericht

(BS/sp) Im gemeinsamen Lagebericht des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit der Agence nationale de la sécurité des systèmes d‘information (ANSSI) haben die beiden Behörden eindringlich vor Cyber-Attacken durch Ransomware gewarnt. Im Bericht heißt es, dass Ransomware-Attacken “nur mit nationalen und internationalen Kooperationen” bekämpft werden könnten. Die Schadsoftware sei aktuell eine der größten Gefahren für die hochdigitalisierte Gesellschaft weltweit, heißt es im IT-Sicherheitslagebild der beiden Länder. Vor allem die Professionalisierung der Cyber-Angriffe und die Zunahme des Schadenspotenzials werden als beunruhigend eingestuft. Einig sind sich beide Agenturen darin, dass die Zahlung von Lösegeld keine Option darstelle: “Das finanziert ein disruptives Geschäftsmodell, ohne zu garantieren, dass die Wiederherstellung von verschlüsselten Daten möglich gemacht wird”, heißt es im Lagebericht.

8. Zukunftskongress Bayern

Oans, Zwoa, Zack, OZG is! Mit neuem Schwung in die digitale Verwaltung

17. Februar 2022, München Je nach Pandemielage wird die Tagung virtuell durchgeführt.

www.zukunftskongress.bayern

Eine Veranstaltung des

#zkonbayern21

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isher tat sich die Bundespolitik schwer, digitale Identifikationsmöglichkeiten praktikabel zu gestalten. Lediglich 35 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben die Online-Ausweisfunktion des Personalausweises einsatzbereit, nur neun Prozent (!) haben die Funktion bislang genutzt. Dies ergab der eGovernment Monitor der Initiative D21 und der TU München. Mit dem Projekt der Smart-eID wollte die alte Bundesregierung den Nutzungsgrad der Online-Identifikation erhöhen. Diese ermöglicht es, sich nur noch mit dem Smartphone (also ohne den Personalausweis) auszuweisen. Doch die Technik läuft zunächst nur auf einer Reihe von Smartphone-Modellen der Firma Samsung.

Authentifizierung leicht gemacht Smartphone-Bürger-ID aus Gelsenkirchen und Aachen (BS/Matthias Lorenz) Ein großes Hemmnis für die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen stellen rechtliche Hürden wie zum Beispiel Unterschrifterfordernisse dar. Abhilfe könnte hier die digitale Identifikation, meist mittels des Smartphones, schaffen. Bisherige Lösungen werden allerdings kaum genutzt. In Gelsenkirchen jedoch wurde ein Projekt realisiert, welches die Smartphone-Identifikation stark erleichtern soll. Der Anschluss an das NRW-Serviceportal folgt in Kürze.

Mit vielen Geräten kompatibel Genau hier sieht Oliver Kazmierski von der Stabstelle Digitale Stadt Gelsenkirchen einen der Vorteile der gemeinsam mit der Stadt Aachen und anderen Projektpartnern entwickelten “Smartphone-Bürger-ID”. “Die Tatsache, dass unsere Anwendung auf fast allen Smartphones läuft, macht die Lösung aktuell deutlich attraktiver”, sagte der Leiter des Projekts aufseiten der Stadt Gelsenkirchen beim e-nrwKongress. Ziel sei es von vorneherein gewesen, eine digitale Identität zu schaffen, die ähnlich einfach nutzbar sei wie Lösungen großer Tech-Konzerne, zum Beispiel Amazon oder Apple. Die von den Projektpartnern entwickelte Anwendung eignet sich im Gegensatz zur Online-Ausweisfunktion des Personalausweises

Mit der “Smartphone-Bürger-ID” kann man sich bei vielen Online-Diensten der Verwaltung mit dem Smartphone ausweisen.

zwar nur zur Authentifizierung bei Leistungen, die das in der eIDAS-Verordnung der EU festgelegte Vertrauensniveau “sub­ stanziell” benötigen. “Die meisten Dienstleistungen können aber mit diesem Vertrauensniveau erledigt werden”, erklärt Kazmierski. Die noch darüberliegende Vertrauensstufe “hoch” werde längst nicht immer benötigt. Sobald der Personalausweis in die

App eingelesen sei, könnten die Anwender sich allein mit ihrem Smartphone unter Einhaltung des Vertrauensniveaus “substanziell” identifizieren. Der Freigabeprozess sei dabei immer gleich, zum Beispiel über einen Fingerabdruck oder Gesichtserkennung.

Mehrere Trigger Darüber hinaus, so Kazmierskis Erläuterungen weiter, könne

die Bürger-ID durch mehrere Trigger ausgelöst werden. Normalerweise sei dies das Einlesen eines QR-Codes, beispielsweise auf einem Online-Antrag. Da­ rüber hinaus gebe es aber noch weitere Trigger wie zum Beispiel

Foto: BS/Pexels, pixabay.com

eine NFC-Schnittstelle. “Deswegen gibt es für die Anwendung im Smart-City-Bereich auch interessante Einsatzgebiete abseits von Behördengängen”, sagt Kazmierski. So könnten Türschlösser mittels der App ge-

öffnet werden, auch die Nutzung bei Bürgerbeteiligungen und die Einrichtung von Storage-Boxen, in denen Bürgerinnen und Bürger Bescheide abseits von Verwaltungsöffnungszeiten abholen könnten, seien denkbar. In Kürze soll das Projekt an das Servicekonto NRW angeschlossen werden. Dort firmiert es dann unter dem Namen “Servicekonto.Pass”. Damit wird die Authentifizierungsmöglichkeit für alle Bürgerinnen und Bürger, die ein Nutzerkonto beim Servicekonto NRW haben, nutzbar. Für wie viele Verwaltungsleistungen die Anwendung dann letztendlich nutzbar sein wird, hängt allerdings auch davon ab, wie schnell Digitalisierungshemmnisse wie Schriftformoder Unterschrifterfordernisse abgebaut werden. “Es ist doch nur eine historisch bedingte Frage, was wir als Authentifizierung akzeptieren”, führt Dr. Marc Schrameyer, Bürgermeister der Stadt Ibbenbüren, die digitale Modellkommune war, in diesem Kontext aus. “Heutzutage gibt es viel sicherere Merkmale als eine Unterschrift.” Es sei also nur die Frage, ob der Gesetzgeber diese ersetzen wolle oder nicht. Der Wille hierzu sei bisher noch nicht erkennbar. Dr. Schrameyer wünscht sich eine bundesweit einheitliche eID, die für alle nutzbar ist. “Dann hätten wir richtig gewonnen und wären einen großen Schritt weiter.”

Nicht nur Projekte abarbeiten Das Leben mit Digitalisierung nachhaltig besser machen

(BS/Ralf Linden*) In der aktuellen Debatte um die Modernisierung, also Digitalisierung des Staates haben die Kommunen in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich an Gewicht gewonnen. Studien wie der eGovernment MONITOR der Initiative D21 belegen, dass Bürger/-innen den Digitalisierungsfortschritt des Staates zuallererst anhand der empfundenen Leistungsfähigkeit der Kommunen bewerten. Die Pandemie und die Viele Zwischenschritte müssen noch bewältigt werden damit verbundenen Beschränkungen des öffentlichen Lebens haben einen sprunghaften Anstieg der Digital(BS/lma) Prof. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie des Landes kompetenzen in weiten Teilen der Bevölkerung bewirkt. Daraus folgt, dass sich Bürger/-innen zunehmend Nordrhein-Westfalen, sieht sein Bundesland in Sachen Verwaltungsdigitalisierung auf einem guten Weg. der Möglichkeiten bewusst sind, welche die Digitalisierung – vor allem in der Neugestaltung von Prozessen Auf dem e-nrw-Kongress des Behörden Spiegel stellte er zahlreiche Errungenschaften vor, die das Land bei und Kommunikation – mit sich bringt und diese stärker einfordern. dieser Thematik in den letzten Jahren, auch durch die Pandemie erzwungen, erreicht habe. Trotzdem warnt er, es seien noch viele Zwischenschritte zu bewältigen. Online-Handel, neue Medien oder werden. Dies kostet Zeit, ist aber während des gesamten Forums

Verwaltungsdigitalisierung als Entwicklungsreise

wird.” Pinkwart hatte den Digitalisierungsabschnitt des Koalitionsvertrags für die FDP in der entsprechenden Arbeitsgruppe mitverhandelt.

“Die Verwaltungsdigitalisierung ist kein linear planbarer Prozess mit einem fest definierten Zielpunkt”, erklärt der FDP-Politiker. Vielmehr handele es sich um eine Entwicklungsreise, bei denen sich der richtige Weg erst durch Diskussion mit allen Beteiligten, mit dem Ausprobieren verschiedener Lösungen und mit dem Anpassen an neue Gegebenheiten zeige. Das Ziel müsse der medienbruchfreie, komplett digitale Verwaltungsvorgang sein.

Gesetze ändern Obwohl in NRW in rund einem halben Jahr ein neuer Landtag gewählt wird, kündigte der Minister noch zwei größere Gesetzentwürfe zum Thema Verwaltungsdigitalisierung an, die nach seinen Plänen noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden sollen. Zum einen geht es um ein Gesetz, durch das zahlreiche Schriftformerfordernisse gestrichen werden sollen. “Außerdem wollen wir in das E-Government-Gesetz NRW eine Experimentierklausel einbauen”, kündigte Pinkwart an. Außerdem forderte er, der Bund müsse ebenfalls einige Gesetze weiterentwickeln. So brauche es die Perspektive für eine Art OZG 2.0, welches auf das Onlinezugangsgesetz folgen

Kommunen: noch viele offene Fragen

Nordrhein-Westfalens Digitalminister Pinkwart betonte auf dem e-nrwKongress, in Sachen Digitalisierung müsse auch der Bund einige Gesetze weiterentwickeln. Screenshot: BS/Rotthaus

solle, um die Verwaltungsdigitalisierung auch im Back-End voranzutreiben. Hinsichtlich der Weiterentwicklung des OZG hat Pinkwart inzwischen auf Bundesebene ein Zwischenziel erreicht. Die kommende Ampelkoalition legt in ihrem Koalitionsvertrag (mehr hierzu auf S. 40 dieser Ausgabe) fest: “Die Weiterentwicklung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) geht mit einer ausreichenden Folgefinanzierung einher, mit der eine klare Standardisierung und Vereinheitlichung von ITVerfahren nach dem Einer-füralle-Prinzip (EfA) unterstützt

Auf dem Kongress legte Pinkwart einen weiteren Fokus auf die Kommunen. Auch hier schreite die Digitalisierung voran, zum Beispiel wegen des Landesförderprogramms für digitale Modellkommunen. “Bei diesem Förderprogramm ist vor allem die Übertragbarkeit entscheidend, andere Kommunen sollen die entwickelten Lösungen nachnutzen können”, sagt der Minister. Das Interesse an der Nachnutzung sei groß, das Land hätten über 400 Interessensbekundungen erreicht. Dies zeigt, dass die Kommunen an Lösungen für die digitale Transformation starkes Interesse haben. Trotzdem betont Reiner Breuer (SPD), Bürgermeister der Stadt Neuss: “Der Transformationsprozess ist noch immer am Anfang, für die Kommunen gibt es noch viele offene Fragen.” Dies betreffe zum Beispiel die richtige Aufstellung für diesen Prozess, aber auch detaillierte Fragen, unter anderem, wie die Zielmarke des OZG Ende 2022 zu halten sei.

Homeoffice machen es vor. Zuvor kaum für möglich gehaltene Veränderungen sind binnen kurzer Zeit umgesetzt und schaffen neue Möglichkeitsräume. Vor diesem Hintergrund werden Verwaltungen häufig als langsame Institutionen wahrgenommen, die nicht mit der Zeit gehen und die Bedürfnisse der Bevölkerungen häufig weniger ernst nehmen als die eigenen. Dieser Eindruck ist beides: richtig und falsch. Warum ist der Eindruck falsch? Große Digitalunternehmen wie Amazon, Facebook oder Google haben die Standards gesetzt, die nun vermehrt von Bürger(inn)en eingefordert werden. Dieser häufig als “Customer Journey” bezeichnete Fokus konzentriert sich ausschließlich auf das Erleben der Kund(inn)en und versucht Einkaufen (“conversions”) für sie so einfach (“convenient”) wie möglich zu gestalten – das eigene, wirtschaftliche Interesse immer im Blick. So weit, so legitim. Diese Unternehmen müssen sich zwar an Recht und Gesetz halten, müssen Rechtsstaatlichkeit aber nicht garantieren. Das ist bei Verwaltungen gänzlich anders. Jede Veränderung von Prozessen oder Kommunikation und jede Neujustierung von Aufgaben für Verwaltungen muss hinsichtlich ihrer rechtsstaatlichen Konformität geprüft und angeglichen

wichtig, weil Bürger/-innen eben keine Kund(inn)en sind. Kommunen organisieren das Fundament des Gemeinwesens und das Verhältnis von Rechten und Pflichten zwischen Bürger(inne)n und dem Staat ist ein ganzheitliches. Richtig ist allerdings, dass wir – trotz erheblicher Fortschritte – in der Modernisierung eben jenes Gemeinwesens deutlich zurückliegen; nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch gemessen an unseren eigenen Zielen, zum Beispiel denen des OZG. Mit früherer Planung, mehr politischer Steuerung und einem anderen Denken könnten wir deutlich weiter sein. Ein Denken, das nicht darauf zielt, Digitalisierungsprojekte nur abzuarbeiten, sondern mit der Frage beginnt, wie wir das Leben der Bürger/ innen mit Digitalisierung nachhaltig besser machen können. Dass sich etwas verändern muss, haben die Diskussionen während des vergangenen e-nrwKongresses mehr als deutlich gemacht. Es hat sich die Haltung durchgesetzt, dass die Verwaltungen und Kommunen endlich Treiber der Digitalisierung sein und vor allem selbstbewusst gegenüber der Digitalwirtschaft auftreten müssen. Das ist erfreulich. Fast 90 Teilnehmende allein im Fachforum zum Thema OZG-Umsetzung und über 350

haben sich – trotz der unvermeidlichen Beschränkungen des Online-Formats – intensiv und mit hoher Kompetenz ausgetauscht und die beschriebenen Widersprüche thematisiert. Diese Diskussionen sind wichtig, da sie die verschiedenen Positionen offenlegen und auch Herausforderungen klar adressieren. Gemeinsam mit uns, der SPublic Services – dem Kompetenzcenter für E-Government der Sparkassen-Finanzgruppe treiben Sparkassen die Digitalisierung der Verwaltungen voran. Zusammen unterstützen wir Kommunen bei der Digitalisierung von Bezahlströmen, die bei zwei von drei Kontakten zwischen der Verwaltung und den Bürger(inne)n entstehen. Die Zahl der kommunalen Transaktionen im digitalen Bezahlen hat sich allein im vergangenen Jahr mehr als verdreifacht – ein Zeichen dafür, dass medienbruchfreie Online-Services inkl. Bezahllösung einen Nerv treffen. Ihre Sparkasse und wir unterstützen Ihre Kommune bei der Umsetzung des OZG. Unsere Lösungen für digitales Bezahlen ermöglichen die medienbruchfreie Gestaltung von modernen Verwaltungsprozessen. Sprechen Sie uns an. * Ralf Linden ist Geschäftsführer der S-Public Services.



Informationstechnologie

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unächst seien hier aber einige Vorhaben erwähnt, die bereits etwas handfester wirken. So sollen alle Gesetze, wie im Vorfeld der Bundestagswahl von zahlreichen Expertinnen und Experten gefordert, zukünftig einem Digitalisierungscheck unterzogen werden. Hier geht es zum Beispiel darum, Digitalisierungshemmnisse wie die Schriftform durch eine Generalklausel abzubauen. Im Bereich der digitalen Verwaltung geben die Parteien im Koalitionsvertrag ein deutliches Bekenntnis zu Open Source ab: “Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.” Im Bereich Cloud wird an der bereits von der alten Bundesregierung angestoßenen Multi-Cloud-Strategie (auch mit Hyperscalern) festgehalten. Dahingegen finden sich in dem Papier auch Versprechen, die nach Fortschritt klingen, aber zur genauen Bewertung einer weiteren Konkretisierung bedürfen. So soll ein “zentrales zusätzliches Digitalbudget” eingeführt werden. Nicht ersichtlich ist jedoch, wie viel Geld dieses Budget umfassen und wer über die Verwendung der Mittel entscheiden wird. Das Finanzministerium oder doch das Verkehrsministerium mit dem neuen Zusatz Digitales (beide FDP)? Denkbar wäre auch das Kanzleramt, schließlich soll das Budget “zentral” sein, also wahrscheinlich für alle Ressorts nutzbar. Relativ allgemein gehalten ist auch die Ankündigung, das Onlinezugangsgesetz (OZG) weiterzuentwickeln. Hierzu heißt es lediglich, es gehe in Richtung einer klaren Standardisierung und Vereinheitlichung. Im Bereich der Datenpolitik soll es ein “Datengesetz” geben, die genaue Ausgestaltung bleibt abzuwarten. Deutlich wird aber bereits, dass

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Die Spannung bleibt Digitalisierung im neuen Koalitionsvertrag (BS/Matthias Lorenz) Selten wurde die Vorstellung eines neuen Koalitionsvertrags in Deutschland mit so viel Spannung erwartet wie zu Beginn dieser Legislaturperiode. Das liegt vor allem daran, dass aus den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP bis zuletzt so gut wie keine Informationen nach außen drangen. Das Digitalisierungsthema bildet nun einen der Schwerpunkte des Ampel-Verhandlungsergebnisses. Die Spannung dürfte bei diesem Thema allerdings bleiben: Zwar kündigen die Parteien zahlreiche Beschleunigungen, Reformen und neue Gesetze an. Jedoch ist die konkrete Ausgestaltung vieler Vorhaben nach wie vor unklar.

soll laut den Plänen der Parteien die zentrale Stelle im IT-Sicherheitsbereich werden. Im Kontext IT-Sicherheit (mehr dazu auch auf Seite 50 dieser Ausgabe) fällt im Allgemeinen auf, dass die Ampel-Koalition mehr auf eine reaktive als auf eine aktive Vorgehensweise setzen will. Eine aktive Cyber-Abwehr (Hackback) wird ebenso abgelehnt wie das staatliche Ausnutzen von sogenannten “ZeroDay-Lücken”, die bisher unter anderem von der zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) beschafft und an Nachrichtendienste und Polizeibehörden weitergegeben wurden. Die ZITiS soll darüber hinaus auf eine Rechtsgrundlage gestellt werden. Hier wollen die Parteien also rote Linien deutlich formulieren und verbindlich machen. Zusammenfassend betrachtet stellt sich heraus, dass die Ampelkoalition gravierende Änderungen in der Cyber-Sicherheitspolitik plant. Insgesamt wird also deutlich: SPD, Grüne und FDP haben sich bei der Digitalisierung einiges vorgenommen. Enthalten ist vieles, was Expertinnen und Experten grundsätzlich für sinnvoll erachten. Ob die neue Bundesregierung die Digitalisierung in Deutschland wirklich voranbringt, hängt nun aber von der konkreten Umsetzung der Vorhaben ab. Dabei geht es nicht nur um die Geschwindigkeit der Umsetzung, sondern auch um die detaillierte Ausgestaltung der Vorschläge. Man darf also gespannt bleiben.

Mit dieser Regelung eröffnen sich die Parteien, obwohl sie es nicht im Koalitionsvertrag schreiben, auch die Möglichkeit, dass das Opt-out-Modell künftig auch bei digitalen Verwaltungsdienstleistungen Anwendung findet. Abschließend muss auch die Arbeitsweise der künftigen Bundesregierung im Bereich Digitales fokussiert werden. Eine der wenigen Informationen, die bereits vor Ende der Verhandlungen an die Öffentlichkeit gelangten, war, dass es kein eigenes Digitalministerium geben wird. Überraschend kommt aber, dass nun dem Verkehrsministerium das Thema Digitales zugeschlagen wird. Das Ressort wird FDP-GeneralsekreDer Digitalcheck für Gesetze kommt. Andere Digital-Vorhaben der neuen Ampelkoalition bleiben allerdings im Ungefähren. tär Volker Wissing übernehmen. Foto: BS/Philip Neumann, pixabay.com Bisher war unter anderem spekuliert worden, dass das Thema sich die Neu-Koalitionäre im Kon- ebenso wie die Ankündigung für zerorientierung. Lohnenswert Digitales im Wirtschaftsministext Daten einiges vorgenommen ein Gesetz gegen digitale Gewalt, ist an dieser Stelle aber auch terium angesiedelt wird. Auch haben. Ein Rechtsanspruch auf durch welches rechtliche Hür- ein Blick in den Abschnitt über über das Ministerium hinaus Open Data wird ebenso ange- den für Betroffene, zum Beispiel Gesundheit. Hier schreiben die soll es Änderungen geben: “Aus kündigt wie ein neues Datenin- Lücken bei Auskunftsrechten, Parteien, alle Bürgerinnen und der Föderalen IT-Kooperation stitut oder die Einführung der abgebaut und umfassende Bera- Bürger bekämen unter Anwen- (FITKO) machen wir eine agile, Strafbarkeit der rechtswidrigen tungsangebote aufgesetzt werden dung des Opt-out-Modells die flexible Einheit mit einem mehrelektronische Patientenakte (ePA) jährigen Globalbudget”, heißt es. De-Anonymisierung. Überhaupt sollen. Hinsichtlich digitalpolitischer zur Verfügung gestellt. Heißt im Das Bundesamt für Sicherheit sollen Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft einfacheren Ziele, die konkret Bürgerinnen Klartext: Wer die ePA nicht will, in der Informationstechnik (BSI) Zugriff auf mehr Daten bekom- und Bürger betreffen, ist darüber muss dem aktiv widersprechen. wird unabhängiger aufgestellt, es men. hinaus auch die Frage interesNicht nur mit Blick auf die Da- sant, wie künftig die Nutzung von ® tennutzung stellt sich die Fra- bereits vorhandenen digitalen ge, wie die Koalition in das Ver- Verwaltungsdienstleistungen hältnis zwischen Digitalisierung erhöht werden kann. Dass hier Tool erhöht Rechtssicherheit bei Verwaltungsentscheidungen und Bürgerinnen und Bürgern noch Luft nach oben besteht, eingreifen will. Fest steht, dass hatte zuletzt unter anderem der (BS/Marian Möhren*) Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung schreitet voran. Ab Ende 2022 müssen die Kommunikationsregeln im “e-Government Monitor” der Initi- Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsleistungen den Bürgern auch online anbieten – eine massive Netz verschärft werden sollen. ative D21 gezeigt. Erwartungsge- Herausforderung. Digitalisierung vollzieht sich aber auch im Kleinen. Und sie beginnt überall dort, wo techIm Koalitionsvertrag findet sich mäß betont der Koalitionsvertrag nische Tools die Arbeit von Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern einfacher und schneller machen die Ankündigung von klaren Re- im Kapitel “Digitaler Staat und können. gelungen gegen Desinformation digitale Verwaltung” die NutLawTracker von Wolters Kluwer ist genauso ein Tool. Schriftsätze, Gutachten oder Verträge – zahlreiche Dokumente erreichen Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung heute digital, meist Mehreinnahmen durch digitalen Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug in Form von PDF-Dateien. Häufig (BS/Frances Noltekuhlemann/Karl Heinz Krug*) Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen, große wird darin auf Gesetze, RechtKlimaschutz- und Digitalisierungsvorhaben sind geplant, doch über allem schwebt nach wie vor die Frage der sprechung, Literatur oder GesetFinanzierbarkeit. Der Koalitionsvertrag der Ampel stellt hierzu einen verstärkten Kampf gegen Steuerhinter- zesmaterialien verwiesen. Geht ziehung und Steuervermeidung in Aussicht. Einen konkreten Ansatzpunkt hierfür bietet die Umsatzsteuer. es nun darum, Fundstellen wie Sie betrug im Jahr 2020 in Deutschland rund 168 Mrd. Euro (2019: rund 183 Mrd. Euro). Schätzungen zufolge Normen und Aktenzeichen zu überprüfen, müssen diese in der entsteht dabei durch Umsatzsteuerbetrug jährlich eine Steuerlücke in Höhe von über 20 Mrd. Euro. Regel per Copy & Paste in eine digitale Recherchedatenbank Italien geht bereits heute erfolg- etabliert: Laut einer Umfrage Clearing-Verfahren übertragen werden. Das ist bei reich gegen Umsatzsteuerbetrug des Branchenverbandes Bitkom erfolgreich etablieren vor. Durch die Digitalisierung nutzen schon jetzt 43 Prozent Nun besteht nicht nur die Mög- der Vielzahl an Dokumenten und der Umsatzsteuer und die Ein- der Unternehmen entsprechen- lichkeit, sondern vielmehr auch Zitierungen umständlich und führung eines Umsatzsteuer- de Prozesse und Schnittstellen. die Notwendigkeit, diese Chan- kostet Zeit. Hier setzt Wolters Kluwer mit Clearings durch die E-Rechnung Dies entkräftet auch das oft vor- ce zu ergreifen. Denn nicht nur konnte das Land seine Steuer- gebrachte Argument, man wolle Italien, auch andere europäische LawTracker an. Angelegt als Plugeinnahmen bereits 2019, im ers- Unternehmen keine zusätzlichen Nachbarländer wie Polen, Frank- in für die PDF-Software Adobe ten Jahr der Einführung, um Bürokratiepflichten und Inves- reich und Griechenland machen Reader erlaubt LawTracker die rund vier Mrd. Euro erhöhen. titionen aufbürden. Der Weg sich auf den Weg, dem Umsatz- juristische Recherche erstmals Die eingeführte elektronische für einen Formatstandard ist steuerbetrug durch Clearing-Ver- direkt aus einem PDF heraus – Rechnungsstellungspflicht führte in Europa schon bereitet, der fahren offensiv entgegenzutreten. ohne eine Recherchedatenbank dazu, dass innerhalb Italiens Weg zu einer Einigung auf her- Spanien und Portugal wollen extra aufzurufen, ohne das Wechansässige Unternehmen elekt- stellerunabhängige technische zumindest im ersten Schritt in seln zwischen Dokument und ronische Rechnungen erstellen Datenstandards nicht weit. Die Richtung Echtzeit-Reporting Browser, ohne Copy & Paste. müssen. Diese werden in einem Wirtschaft selbst hat sich längst Betrug schneller erkennen und Das Plug-in erkennt Paragrafen, vorgegebenen Datenformat (XML) mit elektronischen Rechnungs- bekämpfen. Deutschland sollte Aktenzeichen und Literaturhinüber ein zentrales Rechnungsre- prozessen im Geschäftsleben hier nicht ins Hintertreffen ge- weise automatisch und führt gister bei der Finanzverwaltung, arrangiert und weiß diese für raten und so zum Sammelplatz den Nutzer direkt zur Quelle: worüber dann das Umsatzsteuer- eigene Prozessoptimierungen zu von Umsatzsteuerbetrügern in Per Doppelklick auf die Referenz Strahlende Gesichter sind mit der Nutzung des LawTrackers für die juristische Clearing erfolgt, an den Rech- nutzen. Wie häufig im föderalen Europa werden. Und auch für die öffnet sich das gewünschte Do- Recherche erstmals direkt aus einem PDF heraus garantiert. Foto: BS/Wolters Kluwer nungsempfänger übermittelt. System müssen die Daten jedoch Wirtschaft bringt das Vorgehen kument in Wolters Kluwer OnDieses Vorgehen ermöglicht der über die Bundesländer hinweg Nutzen mit sich: Durch vermeid- line. Außerdem können beliebige unmittelbar aus dem zu bearbei- das ideale Tool, um die tägliche Finanzverwaltung unmittelbare bzw. länderübergreifend ver- bare Umsatzsteueraußenprüfun- Textpassagen im PDF markiert tenden Dokument ansteuern las- Arbeit mit PDF-Dokumenten einelektronische Kontrollen und netzt werden. Das Grundgesetz gen und damit weitere Entbüro- und in Wolters Kluwer Online sen, sodass der Arbeitsfluss nicht facher und flexibler zu gestalten”, eine Reduzierung der Umsatz- weist Kontrolle und Erhebung kratisierung kommen die Vorteile übertragen werden, wo dann eine unterbrochen werden muss”, zeigt sich Kalkuhl überzeugt. steuerlücke. der Umsatzsteuer den Ländern dieses Vorgehens unmittelbar entsprechende Suche ausgelöst betont Uwe Kalkuhl, Business LawTracker ist über die Seite zu. Eine zentrale Plattform bzw. und schnell in der Wirtschaft an. wird. Manager Public Digital bei Wol- wolterskluwer.com/lawtracker Die Voraussetzungen Und was, wenn die nötige Refe- ters Kluwer Deutschland. ein Rechnungsregister mit Da- Die Finanzverwaltung wiederum abrufbar. Das Plug-in lässt sich sind da tenaustauschverfahren in den kann ihre Ressourcen auf andere renz nicht explizit im Dokument Zeitersparnis und gesteigerte intuitiv von überall bedienen und vorkommt? Auch dafür bietet Effizienz bei der Bearbeitung ist damit sofort einsetzbar. Bis Auch in Deutschland wäre ein Ländern wäre der mögliche Weg. Fokusbereiche lenken. LawTracker eine Lösung: Nut- von Verwaltungsangelegenheiten zum 31. März 2022 können Nutsolches Modell denkbar und die Der Bundesrechnungshof hat in *Frances Noltekuhlemann ar- zerinnen und Nutzer können haben nach Überzeugung der zer LawTracker unverbindlich grundlegenden Voraussetzungen seinem 2020er-Bericht “Maßsind längst gegeben. Bereits heu- nahmen zur Verbesserung der beitet bei Capgemini Invent. Karl Schlagwörter direkt in die Law- Entwickler zudem den positiven und kostenlos testen; nötig ist te stellen etwa 50 bis 70 Prozent Umsatzsteuerbetrugsbekämp- Heinz Krug ist für Capgemini tätig. Tracker-Suchmaske im Adobe Effekt, dass digitales Arbeiten dazu nur eine Registrierung auf der Unternehmen ihre Rechnun- fung – Chancen der Digitalisie- Capgemini ist ein internationales Reader eingeben – alle relevanten attraktiver wird. Rechtsinforma- Wolters Kluwer Online. gen elektronisch an den Staat rung nutzen” das Erfordernis Beratungs- und Technologieunter- Treffer werden in Wolters Kluwer tionen werden häufiger nachge(B2G). Auch zwischen Unterneh- einer verstärkten Nutzung von nehmen und führender Anbieter Online angezeigt. “Der wesentli- lesen und im Ergebnis entsteht *Marian Möhren ist Senior Techmen (B2B) sind elektronische Technologie zur Erhöhung der von IT-Lösungen für die öffentliche che Vorteil von LawTracker ist, mehr Rechtssicherheit bei Ent- nology Product Manager bei WolRechnungsprozesse großflächig Steuergerechtigkeit verdeutlicht. Verwaltung. dass sich Rechtsinformationen scheidungen. “LawTracker ist ters Kluwer.

Musterbeispiel Italien

LawTracker erleichtert tägliche Arbeit


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: In Ihrem Neun-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland heißt es, dass Sie Herstellerunabhängigkeit auch insbesondere durch Open-Source-Software (OS) sicherstellen wollen. Wie kann OS Herstellerunabhängigkeit sichern und wie weit ist Ihr Plan in diesem Kontext fortgeschritten?

Kein Erkenntnisproblem Bundes-CIO Dr. Richter im Interview zu Open Source (BS) Noch immer sind die Produkte großer IT-Firmen, meist aus den USA, in der öffentlichen Verwaltung an der Tagesordnung. Der vermehrte Einsatz von Open Source (OS) könnte hier einen Weg zu mehr Unabhängigkeit darstellen. Welchen Blick der Bundes-CIO Dr. Markus Richter auf Open Source hat, erklärt der Staatssekretär aus dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Interview. Die Fragen stellte Matthias Lorenz.

verschiedenen dieser einzelDr. Markus Richter: Es wur- nen Stackes lauffähig werden. den bereits wichtige Meilenstei- Das reduziert Abhängigkeiten, ne erreicht. Zum Beispiel haben schafft Flexibilität und versetzt wir gemeinsam mit NRW und uns in die Lage, auch mal von Baden-Württemberg eine Platt- einem Stack zum anderen zu form geschaffen, auf der sich ein migrieren. Unser Vorgehen, zum Code Repository befindet, weil Beispiel im Hinblick auf nicht es wichtig ist, öffentliche Codes zu überschreitende rote Linidort, wo sie entstehen, auch en, ähnelt sehr stark Gaia-X. wirklich öffentlich zu stellen. Deswegen ist es durchaus vorDies geschieht unter dem Dach stellbar, dass einige der Stacks, des Zentrums für digitale Sou- die sich in unserer Multi-Cloud veränität, welches sich aktuell wiederfinden, auch bei Gaia-X in der Gründung befindet. Dort verortet sind. Bei den roten Lisoll ein Arbeitsmuskel entste- nien handelt es sich nicht nur hen, der dafür sorgt, dass Open um technische Vorgaben, sonSource auch wirklich in der Ver- dern auch um die Regel, dass waltung ankommt. Wir stehen der europäische Rechtsrahmen nämlich vor keinem Erkennt- berücksichtigt werden muss. nisproblem, sondern vor allem vor einer UmsetzungsherausBehörden Spiegel: Wie genau forderung. Des Weiteren geht soll die übergelagerte Applikaties auch darum, mit Start-ups onsschicht aussehen, von der Sie und kleinen mittelständischen eben sprachen? Unternehmen zusammenzuDr. Richter: “Es ist wichtig, öffent­ arbeiten und Diese Applikatechnische liche Codes dort, wo sie tionsschicht Standards zu ­entstehen, auch wirklich s o l l d e n Wechsel von etablieren. öffentlich zu stellen. ” Am Ende des einem CloudTages wollen Provider zum wir Herstellerunabhängigkeiten anderen möglich machen. Es erzielen und Lock-in-Effekte handelt sich hierbei um eine reduzieren. Art Standardisierungsschicht. In dieser Schicht soll ein CloudBehörden Spiegel: Trotzdem Service-Portal, vergleichbar mit hat der Bund im Februar 2021 einem App Store, entstehen. neue Rahmenverträge mit Mi- Darüber können Services aus crosoft geschlossen, einer Firma, den verschiedenen Clouds die wie kaum eine andere für durch die verschiedenen födeproprietäre Software steht. Wie passt das mit Ihren OS-Vorhaben zusammen? Dr. Richter: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir wollen nicht gegen Unternehmen arbeiten, im Gegenteil: Bei Souveränität geht es vor allem darum, mehr Optionen zu generieren. Ohnehin wäre es kurzfristig nicht realisierbar und illusorisch, zu sagen, wir machen uns frei von allen Hyperscalern. Vielmehr verfolgen wir ein klares Zielbild, unter anderem durch gemeinsame architekturelle Eckpunkte mit den Bundesländern, welche die Auftraggeberfähigkeit des Public Sectors erhöhen und klar unsere Vorstellungen beschreiben. Mit diesem Vorgehen ist Deutschland nicht allein, zum Beispiel geht Frankreich einen ganz ähnlichen Weg: Nicht einseitig verbieten, sondern durch Open Source mehr Optionen generieren. Ein Beispiel ist hier die multiple Cloud-Infrastruktur. Behörden Spiegel: Wie finden Sie denn die Multi-CloudStrategie der Bundesregierung? Wäre es nicht besser, beim Thema Cloud voll auf OS zu setzen?

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Behörden Spiegel: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf das Thema Open Source und IT-Sicherheit zu sprechen kommen. Würden Sie der Aussage zustimmen, dass Open Source grundsätzlich sicherer ist als proprietäre Software?

Open Source bedeutet laut Definition der Free Software Foundation Europe, dass der Quellcode einer Software frei gelesen, verwendet, verbreitet und verbessert werden kann. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

eta­blieren. Bis die Hyperscaler diese Infrastruktur in Deutschland aufgebaut haben, werden voraussichtlich auch ein bis zwei Jahre vergehen. Diese Zeit müssen wir dazu nutzen, unsere Entität und unsere Governance zu etablieren, damit wir dann die Struktur haben, welche die Souveränität befördert. Behörden Spiegel: Wie kann man die Verwaltung denn generell dazu bringen, mehr auf Open

CIOs aus neun Bundesländern haben Sie Mitte September eine Absichtserklärung zur Erarbeitung eines “souveränen Arbeitsplatzes” unterzeichnet. Worum geht es da genau?

den Arbeitsplatz auch bei sich einsetzen wollen. Der Arbeitsplatz soll ja nicht nur für die Bundes-, sondern auch für die Landes- und die kommunale Ebene sein.

Dr. Richter: Zunächst möchte ich betonen, dass wir in Deutschland verteilte Zuständigkeiten haben und nicht eben nur einen CIO, der alles von oben bestimmen kann. Da ist es wichtig, mit einer Stimme zu

Behörden Spiegel: Wird das von Ihnen bereits erwähnte Dataport-Projekt Phoenix die Basis für diesen Arbeitsplatz sein?

“Genau dieser OpenSource-Gedanke der Community-­ Einbindung ist die Zukunft, wenn es darum geht, Sicherheitslücken aufzuzeigen.”

Bei Open Source gehe es vor allem darum, mehr Optionen für die öffentliche Verwaltung zu generieren, erklärt Bundes-CIO Dr. Markus Richter im großen Behörden Spiegel-Interview. Foto: BS/Henning Schacht, BMI

ralen Ebenen abgerufen werden. Benötigen die Behörden einen Service, werden sie sich an dieses Portal wenden, das dann den Zugang organisiert. So wollen wir vermeiden, dass jetzt jede Verwaltungseinheit selbst auf einen Hyperscaler oder eine eigene Lösung zugreift und dadurch faktisch Lock-inEffekte vergrößert werden. Hierfür wollen wir eine koordinierende Betriebsentität schaffen. Zusammenfassend könnte man also sagen, dass wir Souveränität vor allem durch die starke, übergreifende Administration der verschiedenen Cloud-Lösungen erzielen wollen.

Dr. Richter: Diese Strategie, der ja alle Bundesressorts und die Länder zugestimmt haben, finde ich genau richtig. Wir werden uns langfristig daran gewöhnen, dass es eine hybriBehörden Spiegel: Wie sieht de Cloud-Struktur, eben eine der Zeitplan im Cloud-Bereich Multi-Cloud gibt. Dort werden nun aus? sowohl Hyperscaler als auch Open-Source-Lösungen mit Dr. Richter: Unsere Ambition Stacks vertreten sein. Das ist, dass wir jetzt in den nächsten Entscheidenein bis zwei de aus meiahren bei “Wir wollen Souveränität Jder ner Sicht ist Architekvor allem durch die starke, tur deutliche aber, dass wir über der Schritte nach übergreifende Adminis­ eigentlichen vorne matration verschiedener Infrastruktur chen. Schließeine Applika- Cloud-Lösungen erzielen.” lich müssen tionsschicht auch die Hyhaben, die es uns ermöglicht, perscaler, die künftig in diesem Lock-in-Effekte dadurch zu Konstrukt Lösungen anbieten vermeiden, dass Services auf wollen, eine souveräne Cloud

fest überzeugt. Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass wir gleich von Anfang an mit so vielen Ländern starten, denn das ist eher ungewöhnlich. Normalerweise, das kennen wir vom Prinzip Einer für alle, machen erst mal zwei, drei Bundesländer mit und dann skaliert die Lösung weiter. Doch hier sind wir von Anfang an in dieser größeren Zahl unterwegs.

Source zu setzen? Müssten hierfür nicht Prinzipien wie “Open Source first” oder sogar “Open Source only” gesetzlich verankert werden? Dr. Richter: “Open Source only” halte ich nicht für realistisch. Aber wir brauchen Architekturvorgaben, die für die ganze Bundesverwaltung gelten. Ein guter Aufschlag für die neue Bundesregierung könnte sein, ein solches Architekturboard zu schaffen. Hierfür haben wir bereits Eckpunkte zusammen mit den Bundesländern verabschiedet. Nun muss es eine Einheit geben, die auch ein Portfoliomanagement im Blick hat, sodass verwendete Lösungen und Produkte gesehen werden können. Schließlich soll verhindert werden, das Dinge doppelt und dreifach eingekauft und verwendet werden. Ein sehr gutes Beispiel ist der Open-SourceArbeitsplatz von Dataport, der bis Jahresende sukzessive in den Betrieb geht. Deren Lösung überzeugt absolut, sie muss jetzt in unserem Rechenzen­ trum lauffähig gemacht werden. Daran wird gerade mit einem engen Zeitplan gearbeitet. Behörden Spiegel: Ich würde gerne das Stichwort Arbeitsplatz aufgreifen. Zusammen mit den

sprechen. In diesem Kontext ist auch diese Initiative zu sehen, bei der es darum geht, dass wir gemeinsam diesen Arbeitsplatz nicht nur entwickeln, sondern vor allem auch einsetzen wollen. Deswegen freue ich mich, dass die Länder da gemeinschaftlich an einem Strang ziehen und

Dr. Richter: Absolut. Die Entwicklungsarbeiten, die bei Phoenix gemacht wurden und sehr fortgeschritten sind, müssen jetzt in die praktische Umsetzung gebracht werden. Dazu gehört, dass wir sie produktiv setzen. Wir haben bereits viele Verwaltungseinheiten, die den Arbeitsplatz testen und uns positive Rückmeldungen gegeben haben. Jetzt geht es darum, dass das Projekt in sicheren Umgebungen skalieren kann. An dieser Wegscheide befinden wir uns aktuell. Ich finde es gut, dass diese Skalierung nicht nur beim ITZBund, sondern auch in den entsprechenden Landesrechenzentren laufen soll. Behörden Spiegel: Rechnen Sie denn damit, dass noch weitere Länder dazustoßen werden oder haben Sie Sorge, dass es zu parallelen Entwicklungen in dem Bereich kommt? Dr. Richter: Nein, da habe ich keine Sorge. Die bessere Lösung wird überzeugen und dann voraussichtlich auch noch mehr Nutzende finden. Davon bin ich

Dr. Richter: Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Es muss immer beachtet werden, wie die proprietäre Software entstanden ist. Aber hinter dem Open-Source-Gedanken steckt mehr als nur eine reine Open-Source-IT-Lösung. Es geht darum, dass wir Angriffsmöglichkeiten zum Beispiel durch die Beteiligung der Community reduzieren. Open Source kann von der Öffentlichkeit und der Community auch kritisch untersucht und bewertet werden. Genau dieser Open-Source-Gedanke der Community-Einbindung ist die Zukunft, wenn es darum geht, Sicherheitslücken aufzuzeigen. Dafür braucht es diese Expertise. Behörden Spiegel: Wie kann denn der Staat eine solche Community entsprechend einbinden? Dr. Richter: Hier kommt es immer etwas auf die Sparte an, in der gerade Digitalisierung betrieben und eine Software eingesetzt wird. Aber es gibt eben eine starke Community mit Expertenwissen in verschiedenen Bereichen. Die gilt es, strukturierter einzubinden. Ein Beispiel ist der Chaos Computer Club, mit dem ich im Rahmen der Corona-Warn-App persönlich hervorragende Erfahrungen gemacht habe. Hier haben wir frühzeitig Dinge transparent gemacht und uns die Fachexpertise eingeholt. Es kamen viele sehr wichtige Hinweise, die uns im weiteren Verlauf geholfen haben. Natürlich hilft es auch in der Akzeptanz beim Nutzenden, wenn Expertinnen und Experten sagen: Wir haben uns die Lösung angeguckt, sie funktioniert und ist sicher. Das sind die Aussagen, die wir generieren müssen. Diese Aussagen fallen aber nicht vom Himmel, sondern erfordern eine enge Kommunikation, die wir genauso wie die User-Zen­trierung, den Datenschutz und Security by Design von Anfang an mitdenken müssen. Je früher das im Projektverlauf stattfindet, umso größer sind die Erfolgschancen.


Informationstechnologie

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Digitalisierung

“Schnell agil starten”…

Booster in der Pandemie

…sollte das Motto der OZG-Umsetzung lauten

von Martin Kaloudis

(BS/Richard Bürmann) Das OZG stellt die Verwaltung vor große Herausforderungen. Eine zögerliche Umsetzung ist aber kaum zu rechtfertigen. Schließlich sind Front-End-Applikationen, die den Bürgerservice unmittelbar und nachhaltig verbessern, schnell realisierbar.

F

ür acht von zehn Unternehmen hat Digitalisierung durch Corona an Bedeutung gewonnen, sagt eine repräsentative Studie des Digitalverbands Bitkom. Quer durch alle Branchen wurden eiligst Wege der digitalen Zusammenarbeit gefunden – mit unterschiedlichem Erfolg. Hand aufs Herz: Auch die BWI hatte die Anforderungen, die die Pandemie an unsere digitale Transformation stellt, in diesem Ausmaß nicht vorhergesehen. Die schnelle Reaktion, die wegen der pandemischen Lage im Frühjahr 2020 nötig war, hat aber bewiesen: Wir waren bereit dafür. Von heute auf morgen konnten wir rund 80 Prozent unserer Belegschaft ins Homeoffice schicken und von dort aus ihre gewohnte Arbeit machen lassen.

Erfolgsfaktor: hoher Reifegrad Kollaboration ohne physische Nähe, Führen auf Dis tanz, Onboarding neuer Mitarbeiter/-innen aus dem Homeoffice, sogar die virtuelle Kaffeepause: Dass das gut funktioniert, ist keineswegs selbstverständlich. Der Erfolgsfaktor: ein hoher Reifegrad in puncto digitaler Transformation. Und das bezieht sich keineswegs nur auf die technische Infrastruktur. Zwar müssen einsatzfähige

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Martin Kaloudis ist Chief Executive Officer (CEO) und Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, des ITSystemhauses der Bundeswehr. Foto: BS/BWI

Mobilgeräte, Tools und Technik für die Zusammenarbeit auf Distanz parat stehen und ohne eine ausreichende Internetbandbreite geht auch nichts. Wichtig sind aber auch eine hohe Digitalkompetenz, die Akzeptanz neuer Technologien als Ersatz für Althergebrachtes – und die Bereitschaft, dazuzulernen. Diese Fähigkeiten ermöglichen es uns, trotz der Einschränkungen positiv mit der Lage umzugehen und leistungsstark für unsere Kunden zu bleiben. Natürlich ist auch eine funktionierende digitale Zusammenarbeit kein vollständiger Ausgleich für das, was uns durch die aktuellen Restriktionen fehlt: Das Zwischen-

menschliche, das Technik nicht ersetzen kann. Daher ist klar: Wenn es wieder möglich ist, mehr Nähe und Präsenz zuzulassen, werden wir das tun. Doch wir nutzen das in der Pandemie entstandene Momentum und unsere Erfahrungen, um strategisch geplant, systematisch und strukturiert neue Formen der Zusammenarbeit zu etablieren, die gut für uns, für unsere Mitarbeitenden und für unsere Kunden sind. So stellen wir uns zukunftsfähig auf – jetzt und erst recht nach der Pandemie. Hybride Arbeitsmodelle, die sowohl Telearbeit als auch das Zusammenkommen im Büro ermöglichen, machen uns agil, flexibel und reaktionsschnell.

Wir müssen künftig weniger pendeln und können unsere Zeit produktiver nutzen. Wir brauchen nicht mehr so viele Büroflächen und stationäre Infrastruktur, weil nicht mehr alle jeden Tag ins Büro kommen. Wir haben volles Vertrauen in unsere Mitarbeitenden: Das Ergebnis steht im Vordergrund, nicht ihre Anwesenheit. Und wenn wir lange Fahrten zu Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzen, spart das in Zukunft Reisekosten und ist zudem gut für die Umwelt.

Impulse für die Zukunftsfähigkeit Trotz aller negativen Auswirkungen der Pandemie können wir sagen: Sie ist ein Booster für die digitale Transformation über alle Branchen hinweg und gibt Impulse für die Zukunftsfähigkeit unserer Arbeits- und Lebensmodelle. Sie hat uns deutlich vor Augen geführt: Um gut vorbereitet zu sein, ist es wichtig, von der Krise her zu denken. Nur so lassen sich die richtigen Schritte planen, um auch in Ausnahmesituationen flexibel und agil agieren zu können. Nur wer kontinuierlich sowohl in eine stabile IT-Infrastruktur als auch in die nötige Digitalkompetenz investiert, ist auch für kommende Herausforderungen gewappnet.

Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (OZG) verpflichtet Bund und Länder, bis Ende 2022 wesentliche Verwaltungsleistungen digital über Verwaltungsportale anzubieten. Bei der Planung und Umsetzung müssen zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden, z. B. Usability und Barrierefreiheit, gesetzliche Fristen, Sicherheitsanforderungen und IT-Rahmenbedingungen. Dies konfrontiert die Verwaltung mit erheblichen Herausforderungen. Alle Bürgerservices bis Ende 2022 digital anzubieten, dürfte eine Wunschvorstellung bleiben. In Resignation zu verfallen, ist aber auch keine Alternative. Stattdessen gilt es, unmittelbar zu starten. Dabei sollte mit den Verwaltungsleistungen begonnen werden, die am wichtigsten sind und den Bürgerinnen und Bürgern am meisten zugutekommen. Schließlich geht es im Gesetz um sie und – nicht zu vergessen – auch um Unternehmen.

Konventionelles Wasserfallmodell nicht zielführend Für die OZG-Umsetzung ist eine herkömmliche Vorgehensweise bei der Softwareentwicklung nicht unbedingt zielführend. Beim konventionellen Wasserfallmodell werden die Anforderungen bereits in einer längeren Planungsphase möglichst exakt bestimmt. Da dieses Modell aber weder schnell noch flexibel ist, kann nicht kurzfristig auf geänderte Anforderungen reagiert werden, etwa auf neue gesetzliche Vorgaben oder Nutzerfeedback. Um die Entwicklungsdauer zu verkürzen, ist es auch nicht vorgesehen, die Analyse der Anforderungen und die Umsetzung zu parallelisieren. Der agile Ansatz stellt die Beteiligten mit ihren fachlichen Anforderungen in den Mittelpunkt und liefert frühzeitige Zwischenergebnisse. Hierzu werden agile Projekte in Iterationen von zwei bis vier Wochen strukturiert. Das Ziel einer jeden Iteration ist ein funktionsfähiges Zwischenprodukt, das von Fachanwendern hinsichtlich Feature-Umsetzung getestet wird. So können schnell Fehler behoben oder funktionale Erweiterungen angestoßen werden. Jedes qualitätsgesicherte Zwischenprodukt dient als Planungsgrundlage für die nächste Iteration. CGI hat hier bereits mit vielen nationalen Bundesministerien und -behörden bei Register- und Anwendungslösungen zusammengearbeitet. Durch parallele Analyse- und Implementierungsphasen wurden Projektlaufzeiten deutlich verkürzt, obwohl sich Rahmenbedingungen teils im Laufe des Projekts änderten. Dieses in Sprints angelegte

Vorgehen ermöglichte die Bereitstellung von passgenauen Lösungen.

Frühzeitige Einbindung von UI-Designern Ein entscheidender Aspekt bei der OZG-Umsetzung ist die frühzeitige Einbindung von UI-Designern, die bereits beim Backlog-Aufbau die optimale Bedienung einer Anwendung adressieren. Das FrontEnds sollte stets im Vordergrund stehen, um schnell Ergebnisse zu erzielen, die “den Bürger glücklich machen”. Die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse muss somit vor allem aus Sicht der Nutzer erfolgen. Erst danach sollte die Digitalisierung der Back-End-Systeme in Angriff genommen werden, etwa mit der Integration von Altsystemen und der Beseitigung von Medienbrüchen. Voraussetzung für diesen Erfolg ist, dass die Projektteilnehmer ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und eine offene Kommunikationskultur leben. Dafür muss auch die Kommunikation innerhalb der Behörde enger werden, gerade auch zwischen IT und Fachbereichen.

Richard Bürmann ist Senior Vice President Consulting Services bei CGI. Foto: BS/CGI

Agile Transformationsprojekte im OZG-Umfeld erfordern unter Umständen auch externe Unterstützung. Basierend auf zahlreichen Erfahrungen auf Bundesund Landesebene bietet CGI hier umfassende Dienstleistungen an: vom Anforderungs- und Projektmanagement über das Lösungsdesign, die Softwareentwicklung und Implementierung bis hin zum Betrieb.

Aktivitäten beschleunigen Bereits heute ist absehbar, dass die Zielvorgabe der geplanten “OZG-Konformität” bis Ende 2022 nicht vollständig umsetzbar ist. Es ist aber auch kein Grund, Projekte auf die lange Bank zu schieben. Die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger ist schließlich hoch. Folglich sollten Bund sowie Länder ihre Aktivitäten beschleunigen und konkrete Projekte vorantreiben – und damit den Startschuss für eine lange Digitalisierungsreise geben.

MELDUNG

ITDZ Berlin verpflichtet sich zu Klimaschutz (BS/gg) Berlins Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz, Stefan Tidow, und der Vorstand des ITDZ Berlin, Marc Böttcher, haben eine Klimaschutzvereinbarung unterzeichnet. Darin verpflichtet sich das ITDZ Berlin bis 2030 zu einer Einsparung seiner direkten CO2-Emissionen von 33 Prozent gegenüber dem Jahr 2019. Verbleibende direkte Emissionen sollen kompensiert werden. Indirekte CO2-Emissionen, die bei der Erzeugung gelieferter Energieträger entstehen, sollen bis

2030 um mindestens 13 Prozent reduziert werden. Ein Maßnahmenkatalog umfasst neben baulichen und technischen Maßnahmen, etwa der Optimierung des Kühlungssystems in den Rechenzentren, auch den Einsatz erneuerbarer und CO2-neutraler Energiesysteme. Außerhalb des IT-Betriebs werden Lösungen wie die Umstellung der Dienstfahrzeuge auf E-Autos und das Angebot von Dienstfahrrädern weiter ausgebaut und ergänzt.



Informationstechnologie

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Ein Kulturthema

B

e h ö r d e n S p i e g e l : Sie sind zwei der vier internen Multiplikator(inn)en für das BIProjekt bei der Stadt Flensburg. Was sind Ihre Aufgaben, wie sehen Sie Ihre Rolle?

Carstensen: Wir sind jeweils in unserem Fachbereich tätig und kennen damit die Aufgaben des Bereichs und die Erwartungen an ein BI-Tool. Daher bilden wir “die Brücke” zwischen Fachbereich und dem BI-Team, das sich rein technisch mit dem Tool, dem Einspielen der Daten und dem Entwickeln von Dashboards beschäftigt. Hierfür haben wir ein internes Team und arbeiten mit dem IT-Dienstleister Akquinet zusammen. Als Multiplikator(inn) en kümmern wir uns darum, zu klären, welche Daten aus unserem Fachbereich initial in das BI-Tool eingespielt werden und wie das geschieht. Zudem promoten wir das BI-Projekt in unserem Team und vermitteln zwischen den Anforderungen der Bereiche und technischen Möglichkeiten. Hellwig: Dazu holen wir uns auch häufig Feedback der Fachbereiche ein, beispielsweise zu den Dashboards. Das geben wir anschließend an das BI-Team weiter, damit das BI-Tool wirklich nach den Wünschen der Fachbereiche entwickelt wird. Behörden Spiegel: Wie reagieren die Kolleg(inn)en denn, wenn sie diese Dashboards gezeigt bekommen? Arne Hellwig: Neulich habe ich in der Dienstbesprechung den Stand der Dashboards für unseren Fachbereich gezeigt. Das Team konnte konkret sehen, wie sich die

(BS) Die Verwaltung der Stadt Flensburg führt momentan eine zentrale Business-Intelligence-Plattform ein. Damit soll eine zentrale und digitale Datenablage geschaffen werden, auf die zukünftig alle Abteilungen und Fachbereiche zugreifen können. Das Projekt wird über das Förderprogramm mFUND des BMVI unterstützt und mit ca. 1,3 Millionen Euro gefördert (Förderlinie 2/Datenzugang/Projekt BI-F2022). Der Behörden Spiegel hat mit zwei Projektbeteiligten aus den Bereichen Verkehr und Bildung, Sport, Kultur der Stadtverwaltung Flensburg über die Einführung gesprochen. wie zum Beispiel vom ÖPNV, Carund Bikesharing oder von EScooter-Verleihern. Diese Ideen entstanden über eine Umfrage in unserem Fachbereich.

Arne Hellwig arbeitet bei der Stadt Flensburg im Fachbereich “Bildung, Sport, Kultur”, Johanna Carstensen ist im Bereich der Verkehrsentwicklungsplanung tätig. Foto: BS/Stadt Flensburg

Daten über einen Klick filtern und sortieren lassen, beispielsweise die Schüler/-innen-Zahlen nach Jahren oder Stadtteilen. Durch solche Beispiele wächst das Interesse an dem BI-Tool deutlich an, weil man sieht, wie es die tägliche Arbeit erleichtert und verbessert. Es wird anfassbar. Behörden Spiegel: Welche Daten sind aktuell in dem BI-Tool? Carstensen: Wir haben zunächst unsere Verkehrsmes-

sungen eingegeben. Wegen verschiedener Messmethoden lagen sie bisher unstrukturiert vor. Im Team gab es nur eine Person, die Experte für diesen Datenpool war und je nach Anfragen Auswertungen erstellt hat. Da diese Daten jetzt im BI-Tool sind, ist das Wissen für alle leicht nutzbar. Auswertungen können selbstständig erstellt werden. Perspektivisch könnten wir diese Daten auch den Bürger/-innen bereitstellen. Denkbar wäre es auch, externe Daten ins BI-Tool einzuspielen,

Critical Communications Community tagt in Madrid (BS/Dr. Barbara Held) Zur TCCA-Jahresveranstaltung der “Critical Communications Community” kamen Anfang November nicht nur internationale Hersteller und Dienstleister in die spanische Hauptstadt, sondern auch zahlreiche Vertreter der europäischen BOS-Digitalfunk-Betreiber.

Unterschiedliche ­Breitband-Strategien Und gute Ideen braucht die Branche. Das machte die internationale Rundschau unter den öffentlichen BOS-Digitalfunkbetreibern deutlich. Die vor zwei Jahren wahrnehmbare allgemeine Aufbruchstimmung Richtung Breitband und 5G-Dienste hat sich seitdem mit dem Eintritt in die Planungs- und beginnende Umsetzungsphase in eine Vielzahl von nationalen Konzepten und Zukunftsplänen aufgelöst, die mit unterschiedlichen politischen, legalen, finanziellen und organisatorischen Problemen zu kämpfen haben. Entsprechend divers fallen auch nationale Lösungen und Roadmaps aus. Das Gastgeberland Spanien war nicht nur durch hochrangige Be-

Das erleben viele als echten und großen Vorteil.

Einführung eines BI-Tools bei der Stadt Flensburg

BOS-Branchentreffen

Die Wiedersehensfreude war dem TCCA-CEO Mladen Vratonjic bei seiner Eröffnungsrede auf der Critical Communications World (CCWorld) 2021 ins Gesicht geschrieben: “Es ist so schön, Euch alle wiederzusehen!” Nach zwei Jahren Corona-bedingter Abstinenz hatte die TCCA (The Critical Communications Association) die internationale Community der kritischen Kommunikation zur Jahreskonferenz und -ausstellung auf die Madrider Messe geladen. Mit über 2.000 Besuchern plus rund 560 Ausstellern war die Veranstaltung zwar weniger als halb so groß als die Vorgänger der letzten Jahre, aber eine freudige Stimmung überwog allenthalben. Der Online-Stream der hybriden Veranstaltung blieb mit rund 560 Teilnehmenden demgegenüber recht übersichtlich. Vor Ort teilten die meisten die Auffassung von CEO Vratonjic, dass “die besten Ideen dann entstehen, wenn wir zusammensitzen und reden”.

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Hellwig: Aus unserem Fachbereich haben wir die gesamten Schüler/-innenzahlen und Prognosedaten dazu eingespielt. Im BI-Tool lässt sich zum Beispiel anzeigen, wie viele Schüler/-innen an welche Schule oder in welchem Stadtteil zur Schule gehen. Oder auch, wie viele Deutsch als Zweitsprache haben. Auch wiederkehrende Umfragen sind ein mögliches Thema für das BI-Tool. Vorstellbar ist beispielsweise, jährlich abzufragen, wie das pädagogische Angebot im offenen Ganztag bewertet wird oder auch wie das Mittagessen im offenen Ganztag schmeckt. Die Ergebnisse werden automatisiert mit dem BI synchronisiert und anschließend über einen längeren Zeitraum ausgewertet. So können diese Verwaltungsthemen viel näher an die Interessen der Bürger/innen herangerückt werden. Behörden Spiegel: Welche Hürden oder Ängste gegenüber dem BI-Projekt haben Sie erlebt? Carstensen: Die Kolleg(inn)en stehen dem Tool zunächst positiv gegenüber. Denn die Idee eines zentralen Datenpools ist ja sehr einleuchtend. Eine Hürde entsteht eher beim Gedanken daran, dass die Fachbereiche auf Dauer ihre Daten selbst in das System eingeben und sie dazu vorher prüfen müssen. Hier trauen sich manche nicht zu, dass sie in der Lage sind, zu entscheiden: Gehören diese Daten in das BI-Tool? Ist das datenschutzrechtlich OK, wenn ich sie dort eingebe? Wir versuchen als BI-Team und in Kooperation

mit weiteren Expert(inn)en, diese Fragen zu klären, sodass diese Zweifel nach und nach verschwinden. Inzwischen kommen viele Kolleg(inn)en selbst mit Ideen, welche Daten wir noch einpflegen könnten. Hellwig: Natürlich gab es auch einige Kolleg(inn)en, die dem Projekt eher verhalten gegenüberstanden, aber inzwischen haben wir viel Vertrauen für das BI-Projekt aufgebaut. Die Einführung des BI-Tools ist ja eigentlich ein Kulturthema. Es verändert unsere Arbeits- und Zusammenarbeitskultur grundlegend und hilft uns dabei, Silos aufzubrechen und Wissen besser zu teilen. Behörden Spiegel: Wie erreichen Sie eine möglichst hohe Usability des Dashboards? Hellwig: Gemeinsam mit der Hochschule Flensburg erhöhen wir mithilfe von agilen Methoden die Usability beziehungsweise Benutzerfreundlichkeit. Im ersten Schritt haben wir die Daten unserer Fachbereiche gesammelt und daraus erste Dashboards entwickelt. In weiteren Schritten haben wir iterativ das Dashboard an die Vorstellungen der Nutzer/-innen angepasst. Hierfür verändern wir auch Details der Dashboards wie Schriftgrößen oder Buttonfarben. So konnten wir die Usability Schritt für Schritt verbessern. Ein netter Nebeneffekt der Dashboards ist zudem, dass Daten nicht mehr versehentlich verändert werden können. In Tabellenkalkulationsprogrammen kann ein falscher Klick das Layout einer Tabelle ruinieren. Mit dem neuen Dashboard ist dies nicht mehr möglich, da sich das Layout der Tabelle automatisch an die Daten anpasst.

Carstensen: Wir stellen fest, dass die Geo-Referenzierung als wichtiger Pluspunkt gesehen wird, der die Usability erhöht. Wenn man eine Straße nicht nur über den Namen in einer Liste, sondern einfach auf der Karte suchen kann und sich beispielsweise zusätzlich anzeigen lassen kann, welche weiteren Verkehrsmessungspunkte in der Nähe sind, ist das viel übersichtlicher. Diese Verknüpfung zwischen Karte und Daten schafft ganz neue Denkmöglichkeiten. Das gilt nicht nur für den Verkehr, sondern auch für den Bildungsbereich mit den Schul- oder KitaStandorten und für viele weitere Fachbereiche. Behörden Spiegel: Werden Ihre Stellen als BI-Multiplikator(inn)en nach Projektabschluss überflüssig? Hellwig: Wenn wir unsere Arbeit richtig gut gemacht haben, wird sich der Arbeitsaufwand der Multiplikator(inn)en bestimmt noch verringern. Dann hat das Team verinnerlicht, wie das Tool funktioniert und welcher Nutzen entsteht. Die Kolleg(inn)en schlagen dann selbst vor, welche neuen Daten eingespielt werden sollen. Teilweise passiert das ja auch schon jetzt. Die Beratung durch die Multiplikator(inn)en zu Möglichkeiten des BI und der “Brückenfunktion” wird sicher auch zukünftig eine Rolle spielen. Weiterhin notwendig ist aber definitiv das technische BI-Team, unser “Maschinenraum”, um beispielsweise Wartungen und Updates der Software durchzuführen. Carstensen: Wir werden mit Projektabschluss allerdings nicht alle Abteilungen eingebunden haben. Bisher sind es nur einige ausgewählte unserer insgesamt über 40 Abteilungen. Daher ist es sicher sinnvoll, dass dort weiter BI-Multiplikator(inn)en aktiv sind, um zu beraten und den Start zu begleiten. Ich glaube, es braucht auch weitere Personen, die neue Ideen mit dem BI-Tool entwickeln.

Smart Mapping Künftige Visualisierungsformen amtlicher Geobasisdaten (BS/Tobias Kunst*) Mit dem Begriff “Karte der Zukunft” initiierte die Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) vor ein paar Jahren Überlegungen zu Verfahren und Ausprägung künftiger Visualisierungsformen der amtlichen Geobasisdaten, zu denen u. a. topografische Karten, Geländemodelle und Luftbilder zählen. Ausgangspunkt war die Herausforderung, dass die Zukunft der Kartografie in der mobilen Webpräsentation von Geodaten und weniger in einer vollautomatiViel persönlicher Austausch fand im “Government Authorities’ Global Village” schen Produktion von Papierkarten liegt. Das sich daraus entwickelte Projekt trägt die Bezeichnung “Smart statt, auf dessen Gemeinschaftstand u. a. auch Frankreich, Belgien, die Nieder- Mapping”. lande, Dänemark und Norwegen kleine Sitzecken betrieben.

amte aus den zentralen Ministerien und Behörden vertreten, sondern auch durch die Betreiber von BOS-Netzen in Regionen wie Katalonien oder dem Baskenland. Obwohl die spanischen BOS schon vor drei Jahren zwei Mal zehn MHZ nationales Spektrum im 700-MHz-Bereich erhielten, kommt der Breitbandausbau nur mühsam voran. Hauptursache ist die organisatorische wie regionale Zersplitterung der spanischen BOS. So konnte Enrique Belda, im spanischen Innenministerium zuständig für BOS-Kommunikation, zwar von der erfolgreich abgeschlossenen Ausschreibung für den Breitbandausbau und -betrieb berichten, gleichzeitig warb er aber mit deutlichen Worten um mehr interinstitutionelle Zusammenarbeit.

Vorreiter auf kommerzieller Basis BOS-Breitband-Vorreiter Finnland trat wie schon in den letzten Jahren gemeinsam mit VIRVECEO Jarmo Vinkvist in Mannschaftsstärke auf und brachte auch gleich noch die entsprechenden Hersteller und Dienstleister mit. Jarmo Vinkvist und

Foto: BS/CCWorld

Kollegen schilderten den nach erfolgreicher Vergabe bereits laufenden Ausbau von Kern- und Zugangsnetz der künftigen BOSBreitband-Dienste – und die mühevollen Gesetzesänderungen, die die neue Infrastruktur erst möglich machten. Ein weiteres Vergabeverfahren für Endgeräte läuft. Der Migrationsprozess auf die neue Infrastruktur soll 2022 starten. Die TETRA-Sprachdienste laufen vorerst weiter.

Internationaler Austausch Deutschland wurde unteren durch Thomas Scholle, Abteilungsleiter Strategie in der BDBOS (Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) vertreten, der den Vier-Phasenplan für BOS-Broadband erläuterte, der derzeit mit Bund und Ländern abgestimmt wird. Online zugeschaltet referierte CEO Ed Parkinson zur Erfolgsgeschichte des amerikanischen FirstNet und in London geriet Simon Parr, neuer ESMC-Projektleiter im Homeoffice, über die Fortschritte beim Breitband-Rollout ins Schwärmen. Auch aus Australien und SüdKorea kamen Beiträge.

Ziel des Projekts war es, moderne Instrumente der Webkartografie in die Anwendung zu bringen und aus einem Baukasten aus Daten, Methoden und Werkzeugen ein Verfahren zu entwickeln, das hochaktuelle kartografische Produkte erzeugt. Dabei werden Veränderungen in den Ausgangsdatensätzen durch hoch performante Erzeugung jeweils in Echtzeit in die kartografischen Produkte übertragen (Echtzeit-Kartografie). Der Schwerpunkt lag zunächst auf der Entwicklung und Bereitstellung hochaktueller Web-Karten im Vektorformat über moderne Schnittstellen und neue Technologien. Im Rahmen eines agilen Entwicklungsansatzes hatte die AdV bald eine Beta-Version einer neuen Webkarte (basemap.de) veröffentlicht, die unter www.adv-smart.de getestet werden kann und ständig weiterentwickelt wird, z. B. um die Integration von dreidimensionalen Gebäudemodellen. Das Verfahren ermöglicht dank eines Map-Editors eine individuelle Gestaltung kartografischer Produkte. Damit ist möglich, individuelle kartografische Produkte zu erzeugen und nutzerorientiert vorkonfektionierte oder speziell gestaltete kartografische Produk-

Visualisierungsbeispiel Frankfurt/Main aus dem Projekt Smart Mapping Grafik: BS/AdV

te einheitlich bereitzustellen. Die AdV beabsichtigt, den operativen Betrieb für die ersten Produkte aus Smart Mapping im Sommer 2022 einzuführen, nämlich die Webkarte im modernen Vektorformat, Rasterkartendienste, Schummerungsdienst und eine Präsentationsausgabe im Maßstab 1:10.000. Hierfür werden derzeit noch die Produkt- und Qualitätsstandards aufgestellt. Die beabsichtigten Lizenzen für die Bereitstellung werden stark flankiert werden von den noch offenen Entscheidungen der Europäischen Kommission zu den hochwertigen Datensätzen im Rahmen der EU-Richtlinie 2019/1024

vom 20. Juni 2019 über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Open-Data- und PSI-Richtlinie). Mit dieser OpenSource-Lösung und den offenen Schnittstellen für alle gängigen GIS-Werkzeuge und Portale sowie der Unterstützung von mobilen Anwendungen setzt die AdV auf noch mehr Nutzerorientierung und größere Flexibilität bei der Anwendung ihrer Geobasisdaten. *Tobias Kunst ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV).


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Dezember 2021

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

Seite 45

Dezember 2021

Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Zugang verweigert: Barrierefreiheit der digitalen Verwaltung Fehlendes Wissen, niedrige Priorisierung, unklare und selten durchgesetzte Regeln – daran scheitert die Barrierefreiheit digitaler Angebote der öffentlichen Verwaltung bisher. Warum sind Verwaltungswebseiten noch zu selten barrierefrei und was können wir tun, um das zu verbessern? Seit mehr als 20 Jahren ist in Deutschland vorgeschrieben, dass Webseiten und Apps der Verwaltung für Menschen mit dauerhaften oder situationsbedingten Behinderungen zugänglich und nutzbar sein müssen. Das können etwa Schriftgrößen und Kontraste für Menschen mit Sehbehinderungen, die Möglichkeit reiner Tastatursteuerung bei motorischen Einschränkungen oder verständliche Sprache für NichtMuttersprachler7-innen sein. ÖFIT-Wissenschaftler Basanta Thapa hat bestehende Studien ausgewertet und mit knapp zwanzig Expert(inn)en aus Verwaltung und Wirtschaft zum aktuellen Stand der digitalen Barrierefreiheit in der Verwaltung gesprochen. Darunter waren Mitarbeitende aus Fachstellen für Barrierefreiheit, von IT-Dienstleistern und von spezialisierten Beratungsunternehmen.

Fehlendes Wissen und ­unklare Regeln als Hürden Zu den Hürden herrscht bei den Befragten Einigkeit: In Behörden wie in Unternehmen fehlen Wissen

N

achdem der Kongress im vergangenen Jahr zu großen Teilen virtuell stattfand, war nun –u unter Übererfüllung der gesetzlichen Infektionsschutzmaßnahmen – für rund 100 Teilnehmer aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft wieder ein persönliches Treffen möglich. Weitere 200 Interessierte verfolgten die Veranstaltung im Livestream. Stefan Mensching, Vorstand der MACH AG, hob in seiner Begrüßung die Chancen hervor, die die Corona-bedingten Veränderungen gebracht haben. “Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass die öffentliche Verwaltung sich so schnell und in dem Umfang im Homeoffice organisieren würde.” Er mahnte aber auch, das in der Pandemie Gelernte nicht zu vergessen und auszubauen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther unterstrich in seinem Grußwort die während der Corona-Krise gesammelten Erfahrungen: “Wir alle haben in der Pandemie erfahren, was Digitalisierung bedeuten kann.” Einschränkend fügte er hinzu: “Ausschließlich auf Video zu setzen, führt dazu, dass vieles zurückbleibt.” Seine Erkenntnis: “Digital ist am Ende auch nicht alles.”

Licht und Schatten Pia Karger, Leiterin der Abteilung DG (Digitale Gesellschaft; Informationstechnik) und ITBeauftragte des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, gab in ihrem ImpulsVortrag einen Einblick, wie die Verwaltung bei der Digitalisierung voranschreitet. So habe die öffentliche Hand gezeigt, dass sie in Ausnahmesituationen schnell

und Erfahrung, um Barrierefreiheit umzusetzen. Folglich können Dienstleister der Verwaltung häufig unvollständig barrierefreie Produkte verkaufen, bei denen sich etwa die Schriftgröße doch nicht anpassen lässt. Unübersichtliche und uneinheitliche Regelwerke erschweren für Verwaltung wie Unternehmen den Kompetenzaufbau. Mangels nutzerfreundlicher Orientierung fühlen sich Neueinsteiger/-innen in das Thema schnell überfordert. Barrierefreiheit landet zudem oft weit unten auf der Prioritätenliste, weil Verwaltungsmitarbeitenden der persönliche Bezug fehlt. Entsprechend zieht Barrierefreiheit im Ringen um knappe Budgets oft den Kürzeren. “Barrierefreiheit ist wie Datenschutz – es nervt”, fasst eine Expertin die Haltung zusammen. Negative Folgen haben die Verantwortlichen selten zu befürchten, denn die Vorschriften werden kaum überprüft und es drohen eher vermittelnde Gespräche als spürbare Sanktionen.

Maßnahmen, die ­Barrierefreiheit stärken

In der öffentlichen Verwaltung fehlen Wissen und Erfahrung, um Barrierefreiheit umzusetzen.

Das Impulspapier sammelt zudem Ideen, um die Umsetzung von Barrierefreiheit zu verbessern. Im Unterschied zu vielen früheren Studien liegt das Augenmerk auf organisatorischen und politischen Maßnahmen statt auf technischen Lösungen. Die Vorschläge teilen sich in vier Gruppen: Kompetenzen aufbauen, Bewusstsein schaffen, Regeln durchsetzen und Ressourcen bereitstellen. Für mehr Kompetenzen sollte Barrierefreiheit beispielsweise ver-

pflichtender Ausbildungsinhalt für Verwaltungsfachleute sowie Webund Softwareentwickler/-innen wer­den. Ein Botschafter/-innen-Netzwerk könnte jene Mitarbeitende bestärken und befähigen, die in den Organisationen bereits heute für das Thema kämpfen. Persönlich mitzuerleben, wie Menschen mit digitalen Barrieren umgehen, schafft ein bleibendes Bewusstsein. Dazu tragen Diversität in der Verwaltung, aber auch spezielle Begegnungsund Erlebnistage bei. Um die beste-

henden Regeln zur Barrierefreiheit entschiedener umzusetzen, braucht es ein engmaschiges Monitoring über Stichproben hinaus. Automatisierte Prüfungen können hier einen Beitrag leisten. Mithilfe einer zentralen Barrieren-Meldestelle kann auch Crowdsourcing Wirkung entfalten. Zusätzlich können mehr Klagerechte und empfindlichere Strafen den Umsetzungsdruck erhöhen. Zudem braucht es mehr Ressourcen für Barrierefreiheit in der digitalen Verwaltung: Etwa über-

sichtlichere Regelwerke und Orientierungsmaterialien, die auf Zielgruppen und spezielle Aufgaben zugeschnitten sind. Ein allgemein anerkanntes Barrierefreiheits-Zertifikat für Benutzeroberflächen gäbe den IT-Dienstleistern mehr Sicherheit und könnte Engpässe bei den Barrierefreiheits-Gutachter(inne)n verhindern. Barrierefreie Design-Systeme, die Gestaltungsfragen zentral vorgeben, senken den Umsetzungsaufwand und die Anforderungen an individuelle Kompetenzen.

Der Post-Corona-Spagat Innovatives Management diskutiert Erfahrungen und Lehren aus der Pandemie (BS/Guido Gehrt) Der diesjährige Kongress “Innovatives Management”, den die MACH AG auch dieses Mal in den Lübecker Media Docks veranstaltete, stand naturgemäß stark unter dem Eindruck der Pandemie. Quintessenz des Tages: Corona hat zahlreiche Schwachstellen der Digitalisierung aufgedeckt, teilweise mutige Veränderungen bewirkt und moderne Formen des Arbeitens vorangetrieben. Dies sind wichtige Schritte für die Zukunftsfähigkeit des Landes – insbesondere der öffentlichen Verwaltung. und flexibel agieren könne. Karger betonte: “Wir bewegen uns mit deutlichen Schritten in die richtige Richtung. Wir können und müssen aber auch noch viel lernen.” Führungskräfte müssten eigene Handlungsmuster reflektieren und verändern. “Nur so können wir eine handlungsfähige Verwaltung schaffen”, sagte die IT-Beauftragte. Eine Art “Corona-Bilanz” zog auch eine Diskussionsrunde mit Dr. Sven Egyedy, Leiter Auslands-IT und CIO Auswärtiges Amt; Sachsens CIO Thomas Popp, Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung; Christian Pfromm, Chief Digital Officer der Freien und Hansestadt Hamburg; Jan-Hendrik Klamt, Referatsleiter des Zentralen Organisationsmanagements bei der Stadt Wolfsburg; und Sandra Magens, Kanzlerin der Universität zu Lübeck. Die Verwaltung habe auch in der Pandemie weiter funktioniert. Gleichzeitig seien Defizite durch fehlende Digitalisierung offengelegt worden. In einigen Köpfen habe es förmlich “Klick” gemacht, berichtete Jan-Hendrik Klamt, bis hin zu der Erkenntnis, dass die Digitalisierung von wesentlichen Prozessen an einigen Stellen eher notwendig gewesen wäre. Themen wie die E-Akte erhielten daher laut Klamt nun eine ganz neue Bedeutung. San-

schen Aspekten einer der kritischen Erfolgsfaktoren in der Pandemie.

Veränderte Zusammenarbeit

Schleswig-Holsteins CIO Sven Thomsen sprach über seine Erfahrungen mit dem “asynchronen Arbeiten”. Fotos: BS/MACH

dra Magens hob hervor, dass während der Pandemie plötzlich Bereiche wie Personal oder Finanzen in den Fokus rückten. Deren Digitalisierung sei bisher nicht ausreichend priorisiert gewesen und der Bedarf in der Pandemie plötzlich größer als erwartet.

Den Schwung mitnehmen Christian Pfromm vertrat die These: “In den vergangenen 1,5 Jahren wurden durch die Digitalisierung viele Prozesse beschleunigt – diesen Schwung sollten wir mitnehmen!” Dem schloss sich Thomas Popp an und betonte: “An der Digitalisierung führt kein Weg mehr vorbei. Wir müssen diesen Schwung jetzt nutzen!” Auch Dr. Sven Egyedy warb dafür, mu-

Der CIO der sächsischen Landesregierung, Thomas Popp, wurde remote aus seinem Amtszimmer in der Dresdner Staatskanzlei in die Diskussion zugeschaltet.

tig zu bleiben und die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Mit Blick in die Zukunft sagte Jan-Hendrik Klamt: “Wir sind einfach ins Machen gekommen. Jetzt müssen wir das in Regeln gießen.” Ähnlich argumentierte Sandra Magens und mahnte, das positive Momentum der Veränderung nicht zu vernachlässigen, indem das Alte zu schnell wieder normal werde. Einigkeit herrschte bei den Diskutant(inn)en auch über die Bedeutung von Mitarbeiter(inn) en und Führungskräften für die Digitalisierung. Sie hätten agil zusammengearbeitet, sich auf pragmatische Lösungen eingelassen und so viele Fragen in der Pandemie gelöst – für Christian Pfromm neben den technologi-

Wie groß die Corona-bedingten Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung sind, verdeutlichte Sven Thomsen, CIO und Leiter der Abteilung Digitalisierung und Zentrales IT-Management im Digitalisierungsministerium des Landes Schleswig-Holstein. Mit einem einfachen Schaubild zeigte er die Menge der Einwahlen per VPN in die IT des Landes – vor und während der unterschiedlichen Wellen der Pandemie. Selbst in relativ entspannten CoronaPhasen habe die Zahl der remote Arbeitenden deutlich über dem Vorkrisenniveau gelegen. Auch die Art der Zusammenarbeit habe sich gravierend verändert. Sven Thomsen berichtete: “Früher habe ich meine Mitarbeiter über ein Treffen kurz in einem Gespräch informiert.” Jetzt müsse er die Mitarbeitenden einzeln über digitale Kanäle erreichen. “Dieses asynchrone Arbeiten muss gelernt und geschult werden”, so Thomsen.

Provisorisches und ­Bewährtes vereinen Wie man bestmöglich Provisorisches und Bewährtes vereinen könnte, diskutierten Erwin Heinz, Vizepräsident des Bundesver-

Grafik: BS/ÖFIT, Martha Friedrich

Einen ersten stichprobenartigen Überblick zur Barrierefreiheit digitaler Verwaltungsangebote in Deutschland liefert die neue EUÜberwachungsmethodik Anfang 2022. Die Kurzstudie liefert bereits jetzt Anregungen, wie die Verwaltung zum Vorreiter in Sachen digitaler Barrierefreiheit werden kann. Alle Hürden und Handlungsmöglichkeiten können Sie in der ÖFITKurzstudie nachlesen: https://www. oeffentliche-it.de/publikationen.

waltungsamts; Holger Lehmann, Chef des Leitungsstabes im ITZBund; Ilona Benz, Leiterin der Stabsstelle Digitalisierung im Gemeindetag Baden-Württemberg; sowie Thorsten Rocksien, Projektleiter und Referent bei der Freien und Hansestadt Hamburg. Erwin Heinz sieht in der digitalen Transformation große Vorteile. Er betonte, Digitalisierung müsse viel weiter als bisher gedacht werden. “Selbst wenn der Eingangskanal mittlerweile über elektronische Wege läuft, ist der Prozess dahinter noch längst nicht digitalisiert – das muss aber unser Ziel sein”, so Heinz. Holger Lehmann bestätigte: “Ein Notebook ist für sich eine schöne Sache, funktioniert in der Verwaltung aber erst, wenn es auf digitale Fachverfahren zugreifen kann und mobile Einwahlplattformen laufen.” Ilona Benz wies darauf hin: “Es reicht nicht, den Mitarbeiter(inne)n einen Laptop und ein Smartphone in die Hand zu drücken. Wir müssen unsere Arbeitsprozesse insgesamt neu organisieren.” Dies funktioniere gut, wenn bestehende Prozesse hinterfragt, schrittweise angepasst und die Veränderungen planvoll begleitet würden. Als Zielbild beschrieb BVA-Vizepräsident Heinz: “Unsere Vision ist es, für alle Verfahren eine komplett digitalisierte Bearbeitung zu erreichen: elektronischer Eingang, elektronische Bearbeitung bis hin zum elektronischen Ausgang.” Diese Form der Digitalisierung führe dann auch zu Krisenfestigkeit, so Heinz weiter. Für Holger Lehmann bedeutet das aber auch, gefestigte Strukturen zu schaffen. “Um in Krisen zu bestehen, sind Routinen wichtig”, so der BVA-Vize.


Informationstechnologie / Informationssicherheit

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Zweiter Gaia-X Summit

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elegentlich klang das Ganze ein bisschen wie das Pfeifen im Walde, aber meistens erinnerte die optimistische Stimmung der rund 50 anwesenden GaiaX-Summit-Teilnehmerinnen und Teilnehmer an jenes berühmte gallische Dorf, das den Römern erfolgreich die Stirn bietet. Der Erfolg von Gaia-X sei entscheidend für die künftige internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas. Nicht nur der europäische IT-Sektor profitiere von der Etablierung einer transparenten, vertrauenswürdigen und sicheren Infrastruktur für Datenräume, sondern auch Unternehmen vieler Wirtschaftssektoren sowie auch die öffentliche Hand und nicht zuletzt der Bildungssektor. Transparenz sei entscheidend, aber auch das Durchhaltevermögen der vielen Partner angesichts eines ebenso innovativen wie auch komplexen Vorhabens. “Ohne Imagination gibt es weder Innovation noch Transformation”, wiederholte Gaia-X-CEO Francesco Bonfiglio mehrfach und: “Wir werden liefern!”

Fortschritte beim Aufbau Ansonsten wiesen Bonfiglio und Kolleginnen wie Kollegen auf das Erreichte hin: Mit der belgischen Non-Profit-Gesellschaft Gaia-X AISBL hat sich die Gaia-X-Community eine solide operative Basis geschaffen. Die Mitgliedschaft ist von 22 deutschfranzösischen Gründern auf 318 Mitglieder angewachsen, darunter internationale Hyperscaler wie Amazon, Microsoft und Huawei. Insgesamt 15 nationale Hubs organisieren die Umsetzung in 14 europäischen Staaten und neuerdings auch in Süd-Korea. Die Abstimmung und Veröffentli-

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Europa auf dem Weg zur Cloud-Technologie der nächsten Generation (BS/Dr. Barbara Held/Mailand) Zum zweiten “Gaia-X Summit” hatte das Gaia-X-Management Mitte November nach Mailand eingeladen. Auf dem Programm standen viele Informationen zum Stand der Dinge und etliche Mutmacher. chung von Grundsatz-Dokumenten und technischen Spezifikationen befinde sich im Zeitplan, so Bonfiglio. Nach der Spezifikationsphase im Jahr 2021 werde 2022 das Jahr der praktischen Umsetzung. Ab 2023 sei Gaia-X im Wirkbetrieb und werde innovative Cloud-Projekte aus Europa und der ganzen Welt anziehen. Der aktuelle Austritt des französischen Gaia-X-Gründungsmitglieds Scaleway wurde auf dem Summit daher mit relativer Gelassenheit aufgenommen.

Die Telekom Die von Medienvertretern geäußerte Vermutung, T-Systems befinde sich nach der kürzlichen Entscheidung für ein gemeinsames Cloud-Projekt mit Google ebenfalls auf dem Rückzug aus der Gaia-X-Gemeinde, wies der Vorsitzende des Gaia-X-Vorstands und T-Systems-Vertreter Dr. Maximilian Ahrens entschieden zurück. Man müsse das eine nicht lassen, weil man etwas anderes beginne. Gaia-X schaffe die Rahmenbedingungen für eine Vielzahl von Projekten, auch für die künftige Telekom-Cloud. Kurzfristig brauche Gaia-X aber dringend mehr greifbare Erfolge in Form von “Leuchtturm-Projekten” wie dem Catena-X-Projekt der Autoindustrie. Catena-X-CEO Oliver Ganser (BMW) betonte seinerseits die Bedeutung von Gaia-X für seine

Cloud-Community: “Wir produzieren Code, keine Standards”. Gaia-X liefere den erforderlichen standardisierten Rahmen zur Gewährleistung von Souveränität, Interoperabilität und Sicherheit. Ziel von Catena-X sei unter anderem die Schaffung eines Datenraums für ein zirkuläres Wirtschaftsmodell, das von der Beschaffung von Rohmaterialien über die Autohersteller und schließlich die Schrottverwertung einen nachhaltigen Lifecycle abbilde. In Deutschland gegründet, internationalisiere sich die Catena-X-Assoziation immer mehr und zähle bereits 62 Mitglieder, berichtete Ganser.

Gaia-X bleibt “europäischen Werten” verpflichtet Skeptische Fragen nach einem möglicherweise nicht zu beherrschenden Einfluss der außereuropäischen Hyperscaler beantworten Bonfiglio und Ahrens abwehrend. Die Gaia-X-Satzung lasse im entscheidenden Direktoren-Gremium nur europäische Firmen zu und verpflichte da­ rüber hinaus alle Mitglieder auf die Rahmenbedingungen europäischen Datenschutzes. Zudem stünde jedem Mitglied in den Arbeitsgruppen nur eine Stimme zur Verfügung. Umgekehrt werde ein Schuh daraus, erklärte Bonfiglio: Die Hyperscaler seien derzeit aktiv dabei, ihre Angebote den Gaia-X-Spezifikationen

Anerkennung von der Europäischen Kommission

Francesco Bonfiglio, Chief Executive Officer von Gaia-X AISBL, auf dem zweiten Gaia-X Summit in Mailand Foto: BS/Gaia-X AISBL

anzupassen. Gleichzeitig profitiere die Gaia-X-Community von ihrem technischen Know-how. Dabei werde künftig der innovative Ansatz einer “certification by automation” für die transparente Einstufung aller Akteure sorgen.

Gaia-X-Label klassifizieren die künftigen Dienste Grundlegend hierfür ist die Kennzeichnung aller Gaia-X-Angebote mit sogenannten Labeln, die jeweils einen bestimmten Grad technischer und organisatorischer Souveränität garantieren: Label 1 entspricht dabei dem ENISA-Niveau für Mindestsicherheitsmaßnahmen für Betreiber von kritischen Diensten. Label 2 fügt unter anderem die

BSI als Vorbildfunktion Mehr Digitalisierung heißt auch mehr Gefahr (BS/Paul Schubert) Deutschland stehe nicht am Ende der Digitalisierung, sondern am Anfang, sagte Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), auf dem CyberSicherheitsTag Niedersachsen in Hannover. Das BSI sei auf diesen Wandel vorbereitet, erklärte der Sicherheitsexperte. noch nicht in den Köpfen einiger Entscheidungsträger angekommen zu sein.”

“Insgesamt gibt es mehr digitale Möglichkeiten, auf die Deutschland nicht mehr verzichten kann. Allerdings ergeben sich daraus auch Gefahren, auf die Deutschland vorbereitet sein muss”, erklärte Schönbohm. Er verwies in diesem Sinne auch auf die hohe Alarmstufe, welche das BSI seit einiger Zeit ausgerufen habe, und konstatierte die hohe Zahl von betroffenen Servern beim Cyber-Angriff auf Microsoft Exchange. Das BSI sei jedoch besser als andere Behörden auf die aktuellen Gefahren vorbereitet: “Insgesamt arbeiten etwa 80 Prozent der Mitarbeitenden unseres Bundesamtes von zu Hause. Das ist nur möglich, weil die Angestellten mit spezieller Sicherheitssoftware ausgestattet sind”, erklärte der BSI-Präsident. Weiter erklärte Schönbohm, dass das Thema des digitalen Verbraucherschutzes vom Bundesamt nun stärker in den Blick genommen werde: “Das befindet sich jetzt im Profil des BSI und wird kontinuierlich weiterentwickelt, um die Resilienz für Bund und Länder weiter zu stärken.” Lob gab es dabei für das Land Niedersachsen: “Niedersachsen ist das erste Land, welches aktiv Hilfe vom BSI anfordert. Hier können wir uns gegenseitig helfen”, so der BSI-Präsident.

beide Seiten durch den Austausch technischer Expertise und kurzen Abstimmungswegen profitieren, sagte Schönbohm. Zukünftig solle vor allem durch gegenseitige Hospitationen und feste Austauschformate die Zusammenarbeit intensiviert werden, sagte der BSI-Präsident. Insgesamt sind siebzehn Kooperationsfelder für eine vertiefte Zusammenarbeit in der Vereinbarung herausgestellt worden.

Kooperationsvereinbarung zur Cyber-Sicherheit

Cyber-Sicherheit ist wie Facility Management

Tatsächlich kam dieses Lob vom BSI-Präsidenten nicht von ungefähr: Auf dem CyberSicherheitsTag Niedersachsen fand auch die Unterzeichnung eines Kooperationsvertrags gegen Cyber-Angriffe zwischen dem BSI und dem Land Niedersachsen statt. Bereits jetzt würden

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) bezeichnete die Vereinbarung als “einen Meilenstein für die künftige Cyber-Kooperation”. Des Weiteren betonte er die Notwendigkeit, Cyber-Sicherheit mit wirksamem Datenschutz zu kombinieren: “Datensouve-

Verantwortung kann nicht angeordnet werden

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) zusammen mit Moderator Guido Gehrt (Behörden Spiegel, re.) auf dem CyberSicherheitsTag Niedersachsen in Hannover. Pistorius plädierte dafür, die langfristige Finanzierung von CyberSicherheit in Land und Kommunen sicherzustellen. Foto: BS/Paul Schubert

ränität und Cyber-Sicherheit müssen zusammen gedacht werden.” Vor allem private IT-Geräte und unzureichende IT-Lösungen würden es Straftätern einfach machen, an Daten zu kommen, erklärte Pistorius. Der SPD-Politiker warnte vor allem vor den Gefahren der fehlenden Sichtbarkeit von Cyber-Sicherheit: “In der Wahrnehmung kann man die IT-Sicherheit mit Facility Management vergleichen. Man redet nicht gern darüber und man investiert wenig darin.” So müssten Verantwortliche erst erklären, weshalb gewisse Beträge in die Cyber-Sicherheit investiert werden sollten, wenn doch bisher alles gut gegangen sei, erklärte der niedersächsische Innenminister: “Dass CyberSicherheit die Grundlage für moderne und zukunftsorientierte Gefahrenabwehr ist, scheint

Mio. Euro für spezielle Datenräume bereitgestellt. Aber Le Maire relativiert auch: Google wolle in den nächsten Jahren zehn Milliarden Dollar in Cloud-Technologien investieren, Microsoft rund 20 Milliarden Dollar. Das könne keine Verwaltung leisten.

Das Problem stellt auch Jörg Peine-Paulsen, Fachbereich Wirtschaftsschutz im Niedersächsischen Innenministerium, in seiner täglichen Arbeit fest: “Die meisten Entscheidungsträger bei uns verstehen die Problematik, aber die Mitarbeitenden sehen die Verantwortung für Informationssicherheit oft als herausfordernde Verpflichtung. Sicherheit ist ein Gefühl und kann nicht durch Anordnung verändert werden”, erklärte Paulsen. Der Verwaltungsmitarbeiter forderte daher auch dazu auf, die Lasten der Verantwortung zu teilen, weil es sich dabei um eine sehr herausfordernde Verpflichtung handele: “Wir müssen anfangen, in einem Information- SecurityManagement-System(ISMS)Zeitalter zu leben. Die Implementierung dieses Systems in jeder Abteilung und auch die Awareness dafür können helfen, den Mitarbeitenden viel von der Arbeit abzunehmen.” Bei ISMS sollte darauf geachtet werden, sie plattformgerecht zu verteilen: “Der BSI-Grundschutz ist riesengroß und adressiert wenig die Kommunen, hier kann vor allem auf ISIS12 gesetzt werden”, erklärte Thomas Rehbohm, CISO der Freien Hansestadt Bremen. Die Länder sollten ihre eigenen IT-Sicherheits-Strategien verfolgen, um situationsbedingt eingreifen zu können, so Rehbohm. Die Landesverwaltung in Niedersachsen hingegen nutzt bisher das ISO/ IEC 27001-Zertifikat auf Basis von IT-Grundschutz.

Verpflichtung hinzu, die Daten allein in Europa zu verarbeiten und zu speichern. Level 3 garantiert darüber hinaus, dass die Systeme ausschließlich von europäischen Staatsbürgern betrieben werden und entspricht damit dem höchsten von ENISA definierten Sicherheitsniveau. Ihrem entsprechend können die nationalen Hubs die Label noch durch landesspezifische Kriterien erweitern. Das entsprechende Gaia-X-Grundsatzdokument wurde inzwischen auf der GaiaX-Webseite (https://gaia-x.eu) veröffentlicht.

Deutsch-Französische Unterstützung wird fortgesetzt In aufgezeichneten Videobotschaften drückten die beiden Gaia-X-“Gründungsväter”, der Bundesminister für Wirtschaft und Energie (BMWi) Peter Altmaier und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire, ihre fortdauernde Unterstützung aus. Er sei “glücklich und stolz” auf das von Gaia-X Erreichte, sagte Altmeier. Die deutsche Regierung habe bereits 500 Mio. Euro GaiaX-Fördermittel investiert; weitere 750 Mio. Euro plane das BMWI, im Rahmen eines europäischen “Important Project of Common European Interest (IPCEI)” für Gaia-X-basierte innovative CloudProjekte auszugeben. Le Maire wies darauf hin, dass es ohne digitale Souveränität keine nationale Souveränität geben könne. Frankreich habe bisher rund 240 Mio. Euro Förderung von CloudTechnologien und weitere 150

Deutlicher Zuspruch kam auch von der europäischen Kommission. Roberto Viola, der Direktor der Generaldirektion für Kommunikationsnetze, Inhalt und Technologien – ebenfalls online zugeschaltet –, bezeichnete die Gaia-X-Fortschritte als “beeindruckend”. Die Kommission habe hohe Erwartungen an die künftigen Gaia-X-Standards und Infrastrukturen. Der europäische CoronaAufbauplan allein stelle rund 500 Mio. Euro in die jetzt anlaufenden digitalen Kommissionsprogramme ein, so der Generaldirektor. Künstliche Intelligenz, digitaler Zwilling, Super-Computer und Cloud-Technologien stünden im Fokus. Von eher politischer Bedeutung ist die Patronatserklärung (“Letter of Comfort”), die die Generaldirektion Wettbewerb passend zum Summit zustellte. Die Erklärung würdigt die herausragende Rolle von Gaia-X AISBL bei der Verbreitung von Cloud-Technologien und -Diensten zur Stärkung europäischer Wettbewerbsfähigkeit und bescheinigt der Gesellschaft einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung der Kommissionsprogramme zu Datenstrategie, digitaler Strategie, Industriestrategie und dem Corona-Aufbau-Plan. Das ist eine rare Auszeichnung als förderungswürdiges Projekt.

Etappenziel De-FactoStandard Für CEO Bonfiglio ist der Maßstab für Erfolg, sei, dass es gelingt, Gaia-X innerhalb der nächsten beiden Jahre zum europäischen “De-Facto-Standard für Cloud-Angebote” zu machen. Gleichzeitig laufe schon die Zusammenarbeit mit den offiziellen europäischen Standardisierungsorganisationen CEN und CENELEC, versichert Gaia-XCOO Dr. Dominik Rohrmus. Das Fernziel als öffentlicher Standard stehe am Horizont. Dass die Aufbruchstimmung im Gaia-X-Management nicht unbegründet ist, zeigte sich am Publikumsinteresse: Zu jedem Zeitpunkt des Summits waren über 4.000 – in Spitzenzeiten sogar 5.000 – Teilnehmende dem Event in Mailand online zugeschaltet.

Treffen der “Cyberwomen” IT-Sicherheitsexpertinnen (nicht) ganz unter sich (BS/akh) Es gibt sie, die Expertinnen in der IT-Sicherheit – doch der Anteil an Teilnehmerinnen auf IT-Sicherheitsveranstaltungen ist nach wie vor gering, vor allem unter Vortragenden oder in Diskussionsrunden findet man nur wenige Frauen. Nicht so bei der Konferenz “Cyberwomen”. Das Event wurde 2019 gegründet, um genau dieser Tatsache entgegenzuwirken. Neben fachlichem Austausch gibt es hier Raum zur Vernetzung. Auch der ein oder andere männliche Teilnehmer mischt sich unter die Expertinnen, denn die Veranstaltung ist nicht ausschließlich für Frauen aus der IT-Branche, sie will für alle eine Plattform sein. Neben Profis auf dem Gebiet lauschen auch Studentinnen und andere Interessierte aller Hierarchiestufen aus Unternehmen und Behörden den Vorträgen rund um Themen der IT-Sicherheit und CyberBedrohungen. Die ganze Gesellschaft sei digitalisiert, jeder könne angegriffen werden, das sei nur eine Frage der Zeit, erklärt zum Beispiel Dr. Haya Shulmann, Dept. Head, Fraunhofer Institute for Secure Information Technology, in ihrer

Session auf der diesjährigen, erstmalig online stattfindenden “Cyberwomen”. Rückschlüsse darauf, wer der Angreifer in einem konkreten Fall sei, könne man unter anderem aus technischen Gemeinsamkeiten bei Angriffen, aus der Opferauswahl oder auch aus Zugriffszeiten der Angreifer oder deren Zielen ziehen. Dies sei jedoch sehr fehlerhaft. Mit sogenannten Falsche-Flagge-Operationen lenkten Angreifer teilweise gezielt den Verdacht auf andere Gruppen, indem sie deren Infrastruktur hackten, übernehmen und schließlich eigene Malware dort unterbrächten. So etwas passiert laut Shulmann häufig, man könne also nicht sicher sein, wer hinter einem Angriff stecke. Ihr Fazit lautet daher: Um die Cyber-Sicherheit zu verbessern, müsse man Sicherheitslücken vor den Hackern finden.



Behörden Spiegel / Dezember 2021

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IT-Security Made in Germany

Sonderteil des Behörden Spiegel, Dezember 2021

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ie Komplexität der IT-Systeme- und Infrastrukturen wird immer größer, die Methoden der Angreifer werden ausgefeilter und die Angriffsziele werden mit der fortschreitenden Digitalisierung kontinuierlich lukrativer. Entsprechend steigen die Risiken sehr stark an, was zu hohen Schäden führt. Durch Diebstahl, Spionage und Sabotage entsteht der deutschen Wirtschaft jährlich ein Gesamtschaden von mehr als 220 Milliarden Euro. Deutlich wird also: Die aktuelle IT-Sicherheitslage in Deutschland ist ungenügend und keine gute Basis für unsere digitale Zukunft. Aber auch der Aspekt IT-Sicherheit als Wirtschaftsfaktor spielt eine wichtige Rolle. In verschiedenen Studien wurde evaluiert, dass Unternehmen im Schnitt 0,1 Prozent ihres Gesamtumsatzes in IT-Sicherheitslösungen ohne Dienstleistungen investieren. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von 3,3 Billionen Euro sind das 3,3 Milliarden für 2020 allein in Deutschland. Die Anzahl der IT-Sicherheitsexpert(inn)en in DAX-Unternehmen umfasst im Schnitt 131 Mitarbeiter/-innen, das sind ca. 0,1 Prozent der Mitarbeiter(inn)en insgesamt. Das Wachstum im Bereich ITSicherheit wird in verschiedenen Studien mit durchschnittlich zehn Prozent im Jahr prognostiziert. Damit werden die Ausgaben für IT-Sicherheitslösungen schneller wachsen als IT-Gesamtausgaben, was die Be-

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ie Set-up-Phase (prepare) stellt sicher, dass unsere Kunden auf einen Sicherheitsvorfall richtig vorbereitet sind. Diese Phase umfasst neben der Besprechung des Services vor Ort auch die Definition der Kommunikation sowie die Integration in bestehende Incident-ResponseProzesse. Damit werden die Aufgabengebiete und Abläufe klar definiert. Am Ende des Set-ups steht das fertige und ausgetauschte Betriebshandbuch, das die wesentlichen Informationen für beide Parteien enthält. Wenn etwas passiert, muss schnell reagiert werden. Jeder Kunde erhält eine personalisierte Nummer zur Notfall-Hotline. Für den Ernstfall steht diese 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche bereit. Anders als übliche Hotlines verbindet diese direkt zu einem SEC-DefenceExperten, ganz ohne Callcenter oder Warteschleife. Damit stehen unsere Experten im Ernstfall (Alert) innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung und leiten sofortige Maßnahmen ein. Die Einsatzgruppe, auch RapidResponse Team genannt, führt die Analyse sowie die Maßnahmen zur Reaktion auf Sicherheitsvorfälle durch. Ein kompetentes und eingespieltes Team von Sicherheits-Experten aus den Bereichen Incident Response, Forensik sowie technischer und organisatorischer Informationssicherheit sorgen dabei für einen reibungslosen organisatorischen Ablauf des Einsatzes. Schadensbegrenzung, die schnelle Wiederaufnahme des Normalbetriebs und die Verhinderung eines er-

IT-Sicherheitsexperten in Deutschland Bedarf wird immer größer (BS/Prof. Dr. Norbert Pohlmann) Cyber-Sicherheit spielt für unsere digitale Zukunft, sowohl im Alltag als auch im Berufsleben, eine zentrale Rolle. Wir stellen aber fest, dass - seit Beginn der IT - auch mit der Digitalisierung die IT-Sicherheitsprobleme jedes Jahr größer werden und keineswegs abnehmen. Das bedeutet auch, dass unsere heutige IT nicht sicher genug konzipiert und aufgebaut ist, um den Angriffen intelligenter Hacker erfolgreich entgegenzuwirken. deutung der IT-Sicherheit noch einmal deutlich herausstellt.

Der Bedarf Um den immer größer werdenden IT-Sicherheitsherausforderung und den damit verbundenen Risiken entgegenzuwirken, brauchen wir aber deutlich mehr IT-Sicherheitsexpert(inn) en: Ethical Hacker, die IT-Sicherheitslücken finden, bevor kriminelle Hacker sie für ihre Zwecke ausnutzen können. ITSicherheitsinnovatoren, die ITSicherheitslösungen entwickeln, die gegen zunehmend intelligente Angriffsvektoren wirken und damit das Risiko von Schäden minimieren. Softwareentwickler, die IT-Systeme und IT-Dienste sicher entwickeln können, damit diese weniger Schwachstellen und Angriffsflächen aufweisen. IT-Sicherheitsadministratoren, die z. B. Firewall- und VPN-Systeme, Anti-Spam- und Anti-Malwaresysteme sowie Verschlüsselungs- und Back-upSysteme sicher konfi gurieren und verwalten können. Wirtschaftler, die IT-Sicherheit im Sinne von Return on Security Investment (RoSI) rechnen können,

Professor Dr. Norbert Pohlmann ist Informatikprofessor für Cyber-Sicherheit und Leiter des Instituts für Internet-Sicherheit if(is) an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen sowie Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes IT-Sicherheit – TeleTrusT und im Vorstand des Internetverbandes – eco.

sich in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel getan.

1. Eigenständige IT-Sicherheitsstudiengänge Es gibt zunehmend Bachelor- und MasterStudiengänge mit Foto: BS/Hoffotografen Ausrichtung auf IT-Sicherheit. damit wir IT-SicherheitsinvestBesondere Orte, an denen sehr ment für einen angemessenen viele künftige Expert(inn)en ausSchutz unserer Unternehmen gebildet werden und breite ITtätigen können. Aber auch IT- Sicherheitsforschung stattfindet, Sicherheitsexpert(inn)en aus sind: weiteren Disziplinen wie PR, Das Horst-Görtz-Institut der Sozialwirtschaft, Psychologie, Ruhr-Universität, das Institut Rechtswesen, Strafverfolgungs- für Internet-Sicherheit if(is) behörden, Bundeswehr und der Westfälischen HochschuCISOs sind erforderlich, um die le, die Technische Universität fortschreitende Digitalisierung Darmstadt, die Hochschule sicher und vertrauenswürdig Darmstadt, die Universität des zu gestalten. Saarlandes, die Universität der Bundeswehr München, dieTU Aus- und WeiterbildungsMünchen und das Karlsruher stand der IT-Sicherheit Institut für Technologie (KIT). Siehe auch diese Übersicht Im Bereich der akademischen Ausbildung und Weiterbildung über Lehrangebote und Lehrauf dem Gebiet IT-Sicherheit hat einrichtungen: https://www.

teletrust.de/it-sicherheitslehre/. 2. Integrativer Teil von weiteren Studiengängen Aber auch Studienrichtungen, die nicht den Fokus IT-Sicherheit haben, integrieren das Thema in den eigenen Schwerpunkten wie Netzwerke, Internet-Protokolle, Verteilte Systeme, Betriebssysteme und Datenbanken. 3. Berufsbegleitende IT-Sicherheitsstudiengänge Neben Vollzeitstudiengängen haben sich berufsbegleitende IT-Sicherheitsstudiengänge etabliert, bei denen Mitarbeiter(inn) en in Unternehmen neben ihrer eigentlichen Berufstätigkeit ITSicherheit studieren können, wie zum Beispiel den Master IT-Sicherheit an der RuhrUniversität Bochum oder den Bachelor IT-Sicherheit an der Technischen Hochschule Brandenburg. 4. Weitere Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung Eine andere Möglichkeit sind die Personenzertifikate, die in der Regel von den Unternehmen voll- oder teilfinanziert werden.

Die Antwort auf Cyber-Kriminalität! Individuelle Soforthilfe ohne Wartezeit (BS/Stephan Mikiss*) Soforthilfe im Fall eines Hacker-Angriffs oder Vorbereitung auf den Ernstfall – die Sicherheitsexperten von SEC Consult und Atos Cybersecurity in Deutschland unterstützen im Kampf gegen Cyber-Kriminalität. Behörden, Institutionen sowie Unternehmen sind mit ihren Dienstleistungen in Bezug auf sichere Lösungen heute mehr denn je gefordert. Der massive Anstieg von Attacken zwingt sie zunehmend zur Reaktion, zur Abwehr laufender Angriffe. Das Incident-Response-Know-how von SEC Consult und Atos Cybersecurity steht nicht nur bei der Abwehr und dem Handling von Angriffen zur Verfügung, sondern leistet bereits im Vorfeld sowie in der Nacharbeitung einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung bei Cyber-Attacken.

Beispiele von Personenzertifikaten im Bereich IT-Sicherheit sind: TeleTrusT Information Security Professional vom Bundesverband IT-Sicherheit – TeleTrusT und CISSP – Certified Information Systems Security Professional von (ISC)². T.I.S.P. berücksichtigt besonders die Prinzipien des IT-Grundschutzes sowie die deutsche und europäische Gesetzgebung. Die IT-Sicherheitsverbände nehmen hier eine wichtige Rolle als Motor in der IT-Security-Fortbildung ein: Die Qualifikation der Teilnehmenden wird nicht nur gezielt gesteigert, sondern auch anhand der Zertifikate sichtbar. Dadurch wird der Weiterbildungsgrad der zertifizierten Personen für potenzielle Arbeitgeber transparent und vergleichbar. Das schafft wiederum Anreize, dem eigenen Personal mehr Qualifizierung zu ermöglichen, motiviert die Verbände, weitere Fortbildungsmodelle zu entwickeln und fördert die Eigenmotivation, sich stetig weiterzubilden. In Deutschland wird sehr viel im Bereich IT-Sicherheit ausgebildet und die Forschung ist international besonders aktiv und erfolgreich, dennoch fehlen viele IT-Sicherheitsexpert(inn) en. Daher ist es wichtig, dass wir noch mehr ausbilden und uns in der IT-Sicherheitsforschung noch mehr engagieren, damit wir in Deutschland und über Deutschland hinaus die digitale Zukunft sicher und vertrauenswürdig gestalten.

che Qualifikation und Eignung vorweisen können. Hierbei verfügen SEC Consult und Atos Cybersecurity in Deutschland über ein – global einzigartiges – Alleinstellungsmerkmal an Zertifi katen und Qualifikationen. Gemeinsam sind beide das einzige Unternehmen, das: • qualifizierter APT-ResponseDienstleister des BSI und • CREST Cyber Security Incident Response zertifiziert und • BSI-Prüfstelle für Penetrationstest, IS-Revision und ISBeratung ist.

Mit dem SEC Defence-Team von Atos sind Sie individuell auf alle Cyber-Gefahren vorbereitet. Die Sicherheitsexpert(inn)en stehen Ihnen dabei rund um die Uhr zur Verfügung. Foto: BS/SEC Consult – an atos company

neuten Angriffs stehen hierbei im Vordergrund. Idealerweise ist das SECDefence-Team präventiv tätig und analysiert im Rahmen von Workshops und Notfallübungen

die aktuelle Sicherheitslage. So können mögliche Schwachstellen frühzeitig identifiziert werden, um die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs und den daraus resultierenden Schaden im Eintrittsfall,

zu minimieren. Besonders bei gezielten Angriffen hochprofessioneller Gegner (Advanced Persistent Threat, APT) stellen diese Tätigkeiten spezielle Anforderungen an den jeweiligen

Dienstleister. Daher hat das BSI - Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik eine Liste mit empfohlenen Unternehmen ausgegeben, die auch in diesem Bereich eine nachweisli-

Damit stehen wir gemeinsam unseren Kunden nicht nur im Ernstfall als “Feuerwehr” zur Verfügung, sondern auch beratend zu den Themen Informationssicherheitsmanagement und Cyber-Security zur Seite. Eine weitere Bestätigung, dass SEC Consult und Atos Cyber-Security in Deutschland gemeinsam zu den besten Unternehmen im Bereich Cybersecurity zählen. Denn stetig wachsende Herausforderungen im Bereich der Cyber-Security verlangen nach einer ebenfalls stetig wachsenden Expertise und nachweislichem Know-how. Bereiten auch Sie sich vor und wenden Sie sich an einen unserer Experten, um individuelle Fragen rund um Prävention und Incident Response zu klären. *Stephan Mikkis ist technischer Leiter von SEC Defence, Sicherheitsberater und Incident Responder bei der SEC Consult Group.


IT-Security Made in Germany

Behörden Spiegel / Dezember 2021

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ass all diese Daten für sol­ che legitimen Zugriffszwe­ cke ihrerseits kaum dezentral vorgehalten werden können, liegt auf der Hand. So steht auch außer Frage, dass die Speicherkapazitäten, Siche­ rungsmechanismen, Services und Funktionen des Cloud Computings für eben solche, auch gemeinwohlorientierten Zwecke nutzbar gemacht wer­ den. Streitig ist lediglich, ob und unter welchen Umständen damit eine Datenübermittlung in – aus Sicht der Datenschutzgrund­ verordnung (DSGVO) – unsi­ chere Drittstaaten einhergehen darf. Die USA sind ein solcher Drittstaat, bei dem kein dem europäischen Datenschutzrecht vergleichbares Datenschutz­ niveau herrscht. Weil aber die größten und auch wirtschaft­ lich bedeutsamen Cloud-An­ bieter ihren Geschäftssitz in den USA haben, entsteht das sog. Cloud-Dilemma: Faktisch kommt man – auf staatlicher, wirtschaftlicher und privater Ebene – an etablierten CloudDiensten US-amerikanischer Anbieter nicht vorbei, rechtlich darf man sie nicht in Anspruch nehmen. Dass Letzteres so ge­ sehen werden muss, zeigen ein­ drucksvoll die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, in denen dieser zunächst das Safe-Harbor-Abkommen und dann den EU-US-Privacy Shield für europarechtswidrig und da­

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Ausweg aus dem Cloud-Dilemma... ...Made in Germany (BS/Prof. Dr. Heckmann) Der Koalitionsvertrag, den die designierte Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP am 24.11.2021 präsentierte, verspricht Bewegung in der Digital- und Datenpolitik: So soll, bei aller hervorgehobenen Bedeutung des Datenschutzes, verstärkt auch die Datennutzung ermöglicht werden. Davon könnten nicht nur viele kleine und mittlere Unternehmen mit ihren innovativen Geschäftsmodellen profitieren, insbesondere durch den geplanten Rechtsanspruch auf Bereitstellung offener Verwaltungsdaten durch die Weiterentwicklung des “Open-Data-Gesetzes” hin zu einem Datennutzungsgesetz. Auch die rechtssichere Nutzung von Gesundheitsdaten könnte zum Beispiel die Pandemiebekämpfung verbessern, fehlt es doch insoweit bislang an einer effizienten, umfassenden Zugriffsmöglichkeit auf dringend benötigte Informationen. mit ungültig erklärt hatte: Diese Abkommen, mit denen man den Datentransfer zwischen den Mit­ gliedsstaaten der Europäischen Union und den USA legitimieren wollte, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ge­ setzgebung und die Rechtspra­ xis in den USA (insbesondere eingedenk der Zugriffsrechte der Geheimdienste und Sicher­ heitsbehörden nach dem Cloud Act) keine Garantien zum Schutz der Persönlichkeitsrechte, Pri­ vatsphäre und informationellen Selbstbestimmung europäischer Bürger geben können und wol­ len, um deren personenbezogene Daten es bei der Datenübermitt­ lung geht.

Clash of Culture ist nicht zu verhindern

Das Cloud-Dilemma verstärkt sich dadurch, dass sich in der EU und in den USA unterschied­ liche Rechts- und Datenschutz­ kulturen unversöhnlich gegen­ überstehen: hier die verhältnismä­ ßige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, Prof. Dirk Heckmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Recht dort der Vorrang und Sicherheit der Digitalider Sicherheit vor Freiheit. Dieser sierung an der Technischen Universität München. “Clash of Culture” Foto: BS/Kilian Blees,bidt ist deshalb unver­ söhnlich und un­ vermeidbar, weil das Internet als

mediale Instanz Brücken als technologische Wunderwerke baut, die (Datenschutz-)recht­ lich im Nichts enden. Daran än­ dern auch die aktuellen Bemü­ hungen um eine (Re-)Aktivierung von Standardvertragsklauseln, mit denen eine datenschutz­ konforme Datenübermittlung mehr vorgegaukelt als rechtlich abgesichert wird, nichts. Max Schrems, dessen Verfahren vor dem Europäischen Gerichts­ hof zu den zitierten Entschei­ dungen geführt haben, macht auch keinen Hehl daraus, dass eine Fortsetzung der Übermitt­ lungspraxis über Wege wie die Standardvertragsklauseln zu einer gleichlautenden weiteren Entscheidung des EuGH führen wird (“Schrems III”).

Findet sich ein Ausweg aus dem Cloud-Dilemma? Abgesehen von der Nutzung eines datenschutzkonformen Einwilligungsmanagements (das sich im Einzelfall, aber nicht in der Masse der Fälle eignet) wird häufig auf den Schutz durch Anonymisierungstech­ niken hingewiesen. Auch der Koalitionsvertrag weist diesen Weg: “Wir suchen den intensi­ ven transatlantischen Dialog zu Datensouveränität. (…) Wir fördern Anonymisierungstech­ niken, schaffen Rechtssicherheit durch Standards und führen die Strafbarkeit rechtswidriger De-

Datenschutz und Datennutzung stehen sich oft konträr gegenüber – kann der geplante Rechtsanspruch auf Bereitstellung offener Verwaltungsdaten hier Abhilfe schaffen? Foto: BS/Wilfried Pohnke, pixabay.com

Anonymisierung ein. (… ) Auf Basis einer Multi-Cloud-Strategie und offener Schnittstellen so­ wie strenger Sicherheits- und Transparenzvorgaben bauen wir eine Cloud der öffentlichen Ver­ waltung auf.” Dies nutzt freilich nichts, soweit die Cloud-Nutzung auf Klardaten angewiesen ist. Licht am Horizont erscheint aber, wenn man die Hinweise des Europäischen Datenschutz­ ausschusses genauer betrachtet, die dieser infolge der “Schrems II”-Entscheidung veröffentlicht hat. Dieser konstatiert zunächst, dass “in der Variante des Cloud Computings derzeit kein zulässi­

ger Weg für die Datenübermitt­ lung in die USA” besteht. Der EDSA schließt aber nicht aus, “dass durch künftige technische Entwicklungen Maßnahmen möglich werden könnten, die die beabsichtigten Geschäftszwecke erfüllen, ohne dass Zugang zu den unverschlüsselten Daten benötigt würde”. Und das könnte tatsächlich der Ausweg aus dem Cloud-Dilemma sein: Wenn man eine technische Lösung entwi­ ckeln könnte, bei der Klardaten in der Cloud bearbeitet werden können, ohne dass diese in der Cloud erscheinen, wäre der gordische Knoten durchtrennt.

Aber klingt das nicht nach einem Paradaxon?

Mehrebenensystem macht externe Clouds möglich Das deutsche Unternehmen Rohde & Schwarz Cybersecu­ rity antwortet mit seiner Lösung “R&S®Trusted Gate” auf genau die­ sen Vorschlag des EDSA und zeigt auf, dass es dort eine technische Lösung geben kann, wo das Recht in diesem Cloud-Dilemma versagt. Die Besonderheit dieser Lösung liegt in der sicheren Gestaltung eines Mehrebenensystems: Danach werden die (personenbezogenen) Inhalte der sog. Verschlüsselungs­ ebene von den Cloud-Diensten auf der sog. Geschäftsebene ge­ trennt. Auf diese Weise können die Vorteile der externen CloudDienste genutzt werden, ohne dass personenbezogene Daten in ein “unsicheres Drittland” übermittelt werden. Die Unternehmen und Behörden behalten die Datenherr­ schaft und vermögen die Anforde­ rungen der DSGVO in ihrer eigenen IT-Umgebung zu erfüllen. Dafür tragen sie auch die Verantwortung. Dass diese Trennung auf technisch sichere Weise gelingt, garantiert der Hersteller Rohde & Schwarz Cybersecurity gegenüber seinen Kunden.

Zweifel werden beseitigt Lässt sich die technische Um­ setzung nach Herstellerangaben bewerkstelligen, dann werden auch die aktuell geäußerten Zweifel der Datenschutzauf­ sichtsbehörden im Hinblick auf die Nutzung der inkriminierten Cloud-Dienste beseitigt: Mangels Übermittlung personenbezogener Daten in ein Drittland sind die strengen Vorgaben der Art. 44 ff. DSGVO nicht relevant. Es bedarf keines weiteren Nachweises eines gleichwertigen Datenschutzni­ veaus. Der Ausweg aus dem Di­ lemma ist buchstäblich “Made in Germany”.


IT-Security Made in Germany

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Behörden Spiegel / Dezember 2021

IT-Systemhaus ist gerüstet

Was heißt unabhängig?

“BWI kann alles, wofür sie beauftragt wird”

Koalitionspartner wollen BSI neu aufstellen

(BS/sp) “Gute Digitalisierung kann nicht mit einem Verteilungskampf, (BS/Paul Schubert) Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien wollen die Koalitionäre vor allem auf Open Source und Digitale Souveränität setzen. sondern nur in einem partnerschaftlichen Ökosystem gelingen”, sagte Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) soll unabhängiger aufgestellt werden, das Mittel der aktiven Cyber-Abwehr – HackMartin Kaloudis, CEO der BWI GmbH, auf der Berlin Security Conference back genannt – wird weiter abgelehnt. Reicht das, um den Gefahren aus dem Netz in dieser Legislaturperiode zu begegnen? (BSC). Kaloudis ist mit dem Digitalisierungsprozess bisher nicht zufrieden. Schuld daran seien vor allem die Vorgängerorganisationen gewesen, erklärte Kaloudis: “Der Vergleich mit der Digitalisierungsfähigkeit der US-Army hinkt, die sind da schon wesentlich weiter.” Besonders stolz sei er aber auf die Projektmanagementverantwortung: “Das ist die absolute Kernkompetenz der BWI”, erklärte Kaloudis. Um weiter auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, möchte das Systemhaus weiter mit Partnern wachsen und die Digitalisierungsprojekte vorantreiben: “Einige Entwicklungen haben wir auch Corona zu verdanken, zum Beispiel Mobil Clients für die Bundeswehr. “Vor der Pandemie haben wir die aufwändig beantragen müssen und nur eine gewisse Anzahl genehmigt bekommen. Heute

dienstlichen Endgeräten kommunizieren können”, erklärte Katrin Hahn, CRO der BWI GmbH. Die ortsunabhängige Kommunikation sei kein “Nice-to-have” mehr, sondern nötig, um zukunftsfähig, schnell und flexibel zu sein, so die Geschäftsführerin: “Die IT ist immer im Fluss und mittlerweile kämpft die Bundeswehr vor allem auf einem digitalen Gefechtsfeld.” Rüstungsfirmen würden dabei den Wert der IT trotzdem noch unterschätzen: “Teilweise denken die sich, dass das bisschen IT auch nebenher betrieben werden kann”, sagte Generalleutnant Frank Leidenberger, CDO der BWI GmbH. “Die IT soll lösungsorientierter arbeiten und nicht technische Hardware von A nach B schaffen. Das

In einem sind sich Netz- und Digitalexpert(inn)en beim Thema IT-Sicherheit schon seit einigen Jahren einig: Das Thema muss zur Chefsache gemacht werden. Beim Blick auf das Koalitionspapier, welches im November veröffentlicht wurde, drängt sich die Frage auf, inwiefern die SPD, die Grünen und die FDP diesem Leitspruch auch folgen werden. Insgesamt 177 Seiten umfasst das Papier der Ampelparteien, die IT-Sicherheit nimmt – zusammen mit dem Thema “Digitale Bürgerrechte” – dabei knapp eine halbe Seite ein. Zwar taucht das Schlagwort “IT-Sicherheit” im Dokument noch an der einen oder anderen Stelle auf, dennoch kann die Frage gestellt werden, ob das einer modernen, digital-affinen Welt noch gerecht wird.

In die richtige Richtung

Generalleutnant Frank Leidenberger erklärt auf der BSC die digitale Zukunftsausrichtung des BWI. Foto: BS/Paul Schubert

gibt es dafür keine Beschränkungen mehr”, so Kaloudis. Ein weiteres gelungenes Projekt sei der BW-Messenger: “Etwa 60.000 Soldat(inn)en besitzen nun ein sicheres Chat-Programm, mit dem sie verschlüsselt auf privaten oder

E

rhielten anfangs noch Produkte nach gewissen Kriterien eine Einsatzempfehlung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wurde ab 2012 eine BSI-Zulassung durch die höhere Bedrohungslage zur Vorgabe. Es entstanden Hardware-Lösungen oder Produkte basierend auf Virtualisierung, da Windows als Betriebssystem als unsicher galt. An letzterem Sachverhalt hat sich bis heute nichts verändert.

VPN für VS-NfD: Hardware ist Vergangenheit Seit 2019 kam es aufgrund der schlechten Usability und Skalierbarkeit von Hardware zu einem Umdenken. Die prekäre Situation in der Corona-Pandemie durch Hardware-Lieferschwierigkeiten und den plötzlich erhöhten Homeoffice-Bedarf auch bei Bedarfsträgern, Behörden und der geheimschutzbetreuten Wirtschaft goss noch mehr Öl ins Feuer. Als

ist der völlig falsche Ansatz. Wir müssen das alles standortunabhängig machen”, so Leidenberger. Im Endeffekt sei die BWI zu allem fähig: “Eigentlich kann die BWI alles machen, wofür sie beauftragt wird”, so der General.

Im Grundsatz werden die richtigen Themen angesprochen. Die Parteien versprechen ein Recht auf Verschlüsselung und ein effektives Schwachstellenmanagement. Hiermit ist vor allem die rechtzeitige Schließung von Sicherheitslücken gemeint. Hier zeichnet sich eine Trendwende ab: White-Hat-Hacking soll legal werden: “Das Identifizieren, Melden und Schließen von Sicherheitslücken in einem verantwortlichen Verfahren, z. B. in der IT-Sicherheitsforschung, soll legal durchführbar sein”, heißt es im Papier. Dies würde bedeuten, dass “ethische Hacker/-innen” zukünftig nicht mehr strafrechtlich belangt werden dürften. Ethische Hacker/-innen sind Personen, welche IT-Sicherheitsmängel in IT-Infrastrukturen an die entsprechenden Stellen melden und nicht zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Das prominenteste Bei-

Im neuen Koalitionsvertrag findet sich eine halbe Seite zur IT-Sicherheit. Reichlich wenig, wenngleich die wichtigen Themen wie Open Source, Neuausrichtung des BSI und sichere Kommunikation angesprochen werden. Aber reicht das? Foto: BS/Sozavisimos, pixabay.com

spiel aus der jüngsten Zeit ist die IT-Forscherin Lilith Wittmann, welche eine Sicherheitslücke in der CDU-Connect-App entdeckt hatte und daraufhin von den Christdemokraten angezeigt wurde. Es kann damit gerechnet werden, dass der sogenannte “Hackerparagraf” 202c – welcher die Anzeige erst möglich gemacht hat – im Strafgesetzbuch modifiziert werden wird. Weiterhin lobenswert sind die geforderten Vorgaben von Security-by-Design/Default und die Haftung von Herstellern, die fahrlässig IT-Sicherheitslücken in ihren Produkten verursachen. Des Weiteren möchten die Ampelparteien auch den Weg der digitalen Souveränität weiter beschreiten. Das gilt auch für den Fokus auf offene Standards, die Schaffung europäischer Ökosysteme beim Thema 5G oder Künstliche Intelligenz und die Verpflichtung einer durchgängigen Ende-zuEnde-Verschlüsselung auf allen Kommunikationskanälen. Auch das Dauerdiskussionsthema zur

Nutzung von Open Source ist im Papier präsent: Mehr Nutzung von Open-Source-Software, weniger Fokus auf proprietäre Software, heißt es im Koalitionsvertrag. Fördermöglichkeiten sollen vor allem für DSGVO-konforme Datenverarbeitung und den Einsatz digitaler Technologien für kleine und mittlere Unternehmen möglich gemacht werden.

Mehr Unabhängigkeit für das BSI Interessant ist die zukünftige Rolle des BSI. So soll das Bundesamt zukünftig “unabhängiger aufgestellt und als zentrale Stelle im Bereich IT-Sicherheit ausgebaut werden.” In welcher Form diese Unabhängigkeit hergestellt werden soll, erwähnt das Papier nicht. Des Weiteren stellen die drei Parteien klar, dass das Offenhalten von Sicherheitslücken weiterhin abgelehnt wird und verpflichten die Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes dazu, die Schließung von Sicherheitslücken schnellstmög-

BSI-zugelassene VPN-Software für VS-NfD Der mobile Arbeitsplatz heute und in Zukunft

lich durchzuführen. Auch der Passus, dass “nicht vertrauenswürdige Unternehmen” nicht am Ausbau von Kritischen Infrastruktur (KRITIS) beteiligt werden sollen, ist vage formuliert. Gut möglich, dass damit die Vergabe des 5G-Ausbaus des chinesische Unternehmen Huawei weiter ausgeschlossen werden wird. Nicht überraschend ist die Ablehnung von aktiver Cyber-Abwehr. Bis auf die Christdemokraten lehnen dieses Verfahren alle demokratischen Parteien im Bundestag seit einiger Zeit ab. Ähnliches soll für die Uploadfilter gelten. Hier sehen die Koalitionspartner die Informations- und Meinungsfreiheit gefährdet und lehnen eine verpflichtende gesetzliche Grundlage für diese Art von Software ab. Auch die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZiTis) wird im Koalitionspapier scharf in den Blick genommen. Allerdings verweisen die Koalitionäre hier vor allem auf gesetzliche Grundlagen mit klaren Zuständigkeiten und “garantieren die lückenlose Kontrolle durch Parlamente und Datenschutzaufsichtsbehörden”. Eine ähnliche Wahrung der Grundrechte soll durch die strenge Kontrolle von Online-Durchsuchungen ermöglicht werden: “Solange der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht sichergestellt ist, muss ihr Einsatz unterbleiben”, heißt es im Koalitionsvertrag. Schlussendlich spricht das Papier viele wichtige Punkte im Bereich der IT-Sicherheit an, bleibt bei den genauen Umsetzungsmöglichkeiten aber vage. Aber für die Präzisierung haben die neu gewählten Volksvertreter /-innen nun genug Zeit.

Einsatz des “NCP Friendly Net Detection”-Servers ab Version 4.0.

Was kann VPN-Software für VS-NfD in Zukunft? Die Vision einer leistungsstar-

(BS) Die IT-Welt dreht sich bekanntermaßen besonders schnell. In den letzten zehn Jahren gab es viele verschiedene Entwicklungen im Bereich ken, zentral administrierbaren von Hard- und Software zur sicheren Datenkommunikation der Geheimhaltungsstufe VS-NfD (Verschlusssachen – Nur für den Dienstgebrauch). NCP-Softwarelösung für VS-NfD Zulassungsverfahren im Sinne des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik” und kann daher innovativ und trotzdem schnell auf Marktanforderungen reagieren. Auf Hardware oder Hardware-Abhängigkeit setzt man beim Nürnberger SoftwareSpezialisten aus guten Gründen nicht mehr.

Aktuelle Einsatzmöglichkeiten

Die Version 2.0 des NCP VS GovNet Connectors besitzt seit dem 14.05.2021 eine BSI-Zulassung für die Geheimhaltungsstufen “VS-NfD”, “RESTREINT UE/ EU RESTRICTED” und “NATO RESTRICTED”. Durch ihre Leistungsfähigkeit, Skalierbarkeit und den ausgereiften Funktionsumfang unterscheidet sich Benjamin Isak ist Director Sales Public & Defence bei die Lösung im NCP. Einsatzverbund Foto: BS/privat mit den zentralen NCP-Software-Komponenten deutlich von Produkten andeVorreiter konnte NCP bereits im rer Hersteller auf dem Markt. Juli 2020 mit dem NCP VS GovNet Roll-Out, Inbetriebnahme, SoftConnector die erste Softwarelö- wareupdate und Administration sung mit Freigabeempfehlung des der gesamten “NCP VS GovNet” BSI für Endgeräte mit Standard- Lösung“ erfolgen komfortabel Windows-10 auf den Markt brin- über eine zentrale Managementgen. Zudem ist der Anbieter seit Komponente, das NCP Secure April 2021 “Qualifizierter Herstel- Enterprise Management (SEM). ler für das Qualifizierte VS-NfD- Der für VS-NfD zugelassene

Sichere Datenkommunikation im Digitalen ist schwer zu erreichen. Mit dem “NCP VS GovNet Connectors”-Version 2.0 bietet das Unternehmen Sicherheitslösungen für diverse Geheimhaltungsstufen. Foto: BS/Sergey Nivens, stock.adobe.com

“NCP Secure VPN GovNet”-Server schließt den Kreis der Gesamtlösung. Im Zusammenspiel mit den hoch leistungsfähigen, zentralen Softwarekomponenten können Nutzerzahlen jenseits der 100.000 problemlos abgebildet werden. Die Verwendung von Standard-Hardware in Verbindung mit einem Standard-Windows-10-Betriebssystem eröffnet Anwendern ganz neue Möglichkeiten und erlaubt maximale Flexibilität. Ein Integritätsdienst sorgt in gleichem Maße für erhöhte Sicherheit wie starke Authentisierungsmöglichkeiten und weitere Sicherheitsfunktionen z. B. im Rahmen von Network Access Control und Endpoint Policy Checks. Über sichere und zugleich komfortable Möglichkeiten der Administration wie z.B. das zentrale Rechte- und Konfigura-

tionsmanagement oder “Quality of Service“-Unterstützung freuen sich IT-Verantwortliche. Verschiedene anwender- bzw. bedarfsgerechte Lizenzmodelle, wie z. B. das Pay-per-Use-Lizenzmodell, runden die VS-NfD-Software-Lösung ab.

Sichere Hotspot-Anmeldung & Friendly Net Detection Diese und weitere Vorteile orientieren sich durch jahrelange Erfahrung und Zusammenarbeit ganz eng am tatsächlichen Praxisbedarf. Die Lösung weiterer für die Bedarfsträger relevanter Probleme folgen bei der Zulassung der nächsten Produktversion 2.10 des NCP VS GovNet Connectors bereits im Dezember. Im Fokus stehen hier insbesondere die sichere Nutzung öffentlicher Hotspots und eine Friendly Net

Detection (FND). Die übliche Anmeldung über eine Website des Hotspot-Betreibers mit einer Kommunikation am VPN-Tunnel vorbei ist im Behörden- und Business-Umfeld meist nicht gestattet, weswegen die Nutzung öffentlicher Hotspots quasi unmöglich wird. Wählt ein Anwender der NCP-Lösung einen Hotspot aus, baut der VS GovNet Connector automatisch die Verbindung zum Unternehmensnetz auf. In den meisten Fällen ist ein Internetzugang nicht ohne Anmeldung möglich, sodass der Client zu diesem Zweck aus Sicherheitsgründen einen funktionsreduzierten Webbrowser startet. So können Anwender auf sichere Weise einen öffentlichen Hotspot nutzen, ohne an den Sicherheitseinstellungen etwas ändern zu müssen. Das Feature “Friendly Net Detection (FND)” erkennt zertifikatsbasiert, ob sich der Anwender in einem sicheren oder unsicheren Netz befindet und aktiviert die entsprechenden Firewall-Regeln. Im sicheren Netzwerk kann der VPN-Verbindungsaufbau somit unterbunden werden, damit beispielsweise administrative Zugriffe auf das Endgerät gestattet sind, während dies im unsicheren Netz nicht erlaubt ist. Im Gegensatz zu herkömmlichen Firewalls ist die des NCP VS GovNet Connectors bereits beim Systemstart aktiv. Voraussetzung für die Verwendung des FND-Features ist der

wird in den kommenden Monaten auch Punkte wie REST-API, eine Single-Sign-on-Lösung, ClientSoftware für weitere Betriebssystem-Plattformen und zusätzliche Komfortfunktionen bei der Installation und Konfiguration großer Nutzerzahlen beinhalten. Ziel ist es, Kunden hochskalierbar, hochsicher und gleichzeitig maximal flexibel auch für die Datenkommunikation nach “VS-NfD” auszustatten. Auch VS-Arbeitsplätze müssen remote für Homeoffice und mobiles Arbeiten bei großen Nutzerzahlen gut administrierbar sein. Managed-Service-Betreiber und Landesrechenzentren können einzelne Mandanten über eine zentrale Plattform sicher und voneinander getrennt betreuen, auch wenn Kunden einen Mischbetrieb aus VS-NfD und normalen Nutzern fahren. Denn besonders mit Blick in die Zukunft ist es essenziell, dass Anwender in den sensiblen Bereichen – im Geheimschutz sowie in der Verteidigung – mit adäquaten und innovativsten Lösungen ausgerüstet sind. Dies ist die Grundlage, um die wichtigen hoheitlichen Aufgaben zu jeder Zeit und unterbrechungsfrei durchführen zu können.

Informieren Sie sich über die Einsatzmöglichkeiten und Funktionen unter www. ncp-e.com.


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ndreas Reisen, Referatsleiter “Cybersicherheit für Wirtschaft und Gesellschaft” beim BMI, fordert vor allem den kompetenzübergreifenden Austausch von Informationen von KRITISEinrichtungen. Reisen nannte als Komponenten dafür die Analyse verschiedener Merkmale, die Bündelung von Informationen sowie eine Ablaufsoptimierung durch Automatisierung. Des Weiteren forderte er eine veränderte Ausrichtung der Kommunikation von KRITIS: “Die Kommunikationskanäle sollten auf einer Plattform gebündelt werden. Des Weiteren sollte die Förderung bi- und multidirektioneller, vertraulicher und anonymer Kommunikation angestrebt werden. Datenaustausch muss nicht vollautomatisiert geschehen, aber zumindest unterstützend wirken.” Reisen zeigte sich überzeugt, dass von den geänderten Verordnungen durch das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (IT-SiG 2.0) auch KRITIS profitieren würden: “Die elementaren Komponenten von KRITIS werden durch das IT-SiG 2.0 erst mal einer Regulierung unterworfen. Somit kann eine gewisse Vertrauenswürdigkeit der Hersteller garantiert werden, weil diese auch eine Garantieerklärung abgeben müssen”, so der Referatsleiter des BMI.

Fehlende Regulierung in Medien und Kultur Eine Schwäche der KRITIS-Strategie des BMI sah Nils Wehkamp, Forscher an der European School of Management and Technology, allerdings bei der fehlenden Regulierung des Sektors Medien und Kultur. Obwohl 2009 in der KRITIS-Strategie festgelegt worden sei, dass der Bereich zu den KRITIS gehören, fehle bis heute eine Regulierung. Der Grund sei, dass die Gesetzgebungskompetenz dieses Sektors bei den Ländern liege, erklärte Wehkamp. Auch mit dem Schwellenwert zum Erreichen des KRITIS-Status war der Forscher nicht zufrieden: “Anlagen und Betreiber, welche die Schwellenwerte der KRITISVerordnung nicht überschreiten, sind nicht durch den Bund reguliert und sind damit anfälliger für Angriffe oder Ausfälle. Hier muss auch der informelle Austausch zwischen den KRITIS-Betreibern und Institutionen, welche unterhalb des Schwellenwerts liegen, gesteigert werden. Von der fehlenden Automatisierung bei diesen Einrichtungen brauche ich gar nicht erst anzufangen”, erklärte Wehkamp.

Meldung möglichst sofort Die fehlende Automatisierung der Prozesse bemängelte auch Martin Wundram, Vorstand ITSecurity beim Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastrukturen e. V. (BSKI). Er rief KRITIS dazu auf, mehr Zeit und Geld in diesen Prozess zu investieren. Des Weiteren forderte er eine stärkere Zusammenarbeit – konzentrierte sich in seinen Aussagen aber vor allem auf die externe Verantwortung: “Wir brauchen eine harmonische Zusammenarbeit der privaten Dienstleister. Nur so haben wir die Möglichkeit, effizient zu einem Ergebnis zu kommen.” Wundram betonte weiterhin, dass bei Cyber-Angriffen auf KRITIS der Faktor Zeit eine eklatante Rolle spiele: “Vor allem bei Ransomware-Angriffen müssen die Behörden unverzüglich eingebunden werden. Jede verstrichene Minute ist eine zu viel und kann zu einem längeren Systemausfall führen”, so das Vorstandsmitglied des BSKI.

Blackout “so nah wie nie” Das Stichwort Systemausfall sprach auch Herbert Saurugg, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), auf der Protekt 2021 in Leipzig an. Vor allem einen

KRITIS unter Beschuss Blackout-Gefahr noch nie so nah wie jetzt (BS/Paul Schubert) 400.000 neue Schadprogramme pro Tag, Alarmstufe Rot beim BSI-Lagebericht und Ausfälle der Notrufnummern in mehreren Bundesländern: Die IT-Sicherheit in der deutschen Verwaltung will einfach nicht zur Ruhe kommen. Besonders schützenswert sind dabei die Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS). Allein auf das Gesundheitswesen entfielen 30 Prozent der Cyber-Angriffe im KRITISBereich im vergangenen Jahr. Das Bundesministerium des Innern (BMI) fordert als Reaktion aus diesen Entwicklungen eine massive Stärkung der Resilienz. Blackout hält der ehemalige Berufsoffizier für “so nah wie noch nie”. Bei einem Blackout handelt es sich um eine kurzzeitige Unterbrechung der Stromzufuhr. Saurugg hält vor allem die überhastete Energiewende für einen der begünstigenden Faktoren. Vor allem den Ausstieg aus der Atom- und Kohleenergie bewertet er als schwierig, da die Ersatzenergiequellen “noch nicht perfekt eingespielt sind”, so der Präsident der GfKV. Problematisch seien bei einem Blackout nicht der kurzfristige Ausfall der

Stromversorgung, sondern die Folgeerscheinungen, sagte der Krisenexperte. Saurugg erklärte, dass selbst bei einem kurzen Ausfall die Telekommunikation erst nach mehreren Tagen wieder verfügbar sei. Die Logistiksychronisation wäre weitaus länger gestört: “Hier muss man mit Wochen und Monaten rechnen”, schätzte der Experte für Krisenvorsorge. Vor allem die “Aufschaukeleffekte” bei einem Blackout hätten schlimme Folgen, besonders bei den Lebensmittellieferketten: “Schweine

können aufgrund eines Lieferkettenausfalls nicht geschlachtet werden und dann staut sich der gesamte Prozess auf. Bis wir da wieder in den Normalzustand zurückkehren, können Monate vergehen”, erklärte Saurugg. Er appelliere daher dafür, Alarmierungsketten und Offline-Abläufe zu definieren: “Egal ob ein Blackout durch einen Cyber-Angriff oder durch eine Fehlkonfiguration im Netzwerk ausgelöst wird, wichtig ist es, für diesen Zwischenfall vorbereitet zu sein”, forderte der Krisenexperte.

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Blackouts können einerseits durch unvorhergesehene Naturereig­nisse, Fehlkonfigurationen oder auch ­Cyber-Angriffe ausgelöst werden, erklärte Herbert Saurugg, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge, auf der Protekt in Leipzig. Im schlimmsten Fall drohe dann ein Lieferkettenzusammenbruch, erklärte der Experte. Foto: BS/Paul Schubert


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Vorsicht beim Outsourcen

Der VS-NfD-Arbeitsplatz

IT-Sicherheit als Vertrauensfrage

Sicher mobil arbeiten

(BS/sp) In der militärischen IT-Sicherheit hat die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der Dienstleister noch einen wesentlichen höheren Stellenwert als bei zivilen Einrichtungen, sagte Dr. Peter Lenk, Chief Information Officer (CIO) von der NATO Communications and Information Agency (NCI). Ferner forderte er das Verteidigungsbündnis dazu auf, die Nachhaltigkeit von IT-Produkten in den Fokus zu nehmen.

(BS/Daniel Heck*) Mit seinem VS-NfD-Arbeitsplatz mit Zero-Trust-Technologie macht IT-Sicherheitsexperte Rohde & Schwarz Cybersecurity das sichere mobile und verschlüsselte Arbeiten bei hohen Sicherheitsanforderungen für Behörden und Organisationen noch einfacher. Der VS-NfDArbeitsplatz besteht aus mehreren Komponenten für unterschiedlichste Endgeräteplattformen.

Auf der Berlin Security Conference (BSC) stellte Lenk vor allem den Neuerwerb von ITProdukten in Frage: “Aktuell werden die Produkte nach etwa drei Jahren komplett ausgetauscht. In der Zukunft möchten wir als Bündnis anstreben, die IT-Komponenten etwas später, also sagen wir nach fünf Jahren zu ersetzen, so Lenk. Im Blick hat er dabei vor allem die Upgrade-Funktion der Produkte: “Ziel muss es sein, dass nicht das komplette Produkt neugeordert werden muss, sondern nur Teile davon. Oder noch besser: eine Update-Funktion, die ein Austausch nicht nötig macht und stattdessen sich selbst an neue technische Standards anpassen kann”, erklärte der CIO der NCI. Lenk formulierte das Ziel, den CO²-Fußabdruck durch diese und weitere Maßnahmen bei der NATO in den nächsten Jahren erheblich zu reduzieren.

nach der Vertrauenswürdigkeit immer vorangestellt werden”, erklärte der CIO der Kommunikations- und Informationsagentur der NATO. Man möchte, dass die IT-Sicherheit sich weiterentwickle, aber man sollte auch genau schauen, wenn man trauen könne, resümierte Lenk.

Weg von der Hardware, hin zur Software

R&S®Trusted VPN Client ist ein vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zugelassener VPN Client (Geheimhaltungsstufe VS-NfD) und schützt mit einem “Zero Trust to Windows”-Ansatz die Netzwerkkommunikation einer Client-Plattform (Windows-Laptop, Tablet) mit einem Behörden- oder Organisationsnetzwerk über ein nicht vertrauenswürdiges Netzwerk wie das Internet. R&S®Trusted VPN Client benötigt keine zusätzliche Hardware. Der “Always on”-Modus bietet zusätzliche Sicherheit – Benutzer sind in einem nicht vertrauenswürdigen Netzwerk nie ungeschützt.

Des Weiteren sollten militärische Entscheidungsträger sicherstellen, an wen sie die wichtige Aufgabe der IT-Sicherheit verteilen: “Wir müssen wirklich sorgfältig sein, wenn wir solche sensible Aufgaben an andere Länder oder Institutionen abgeben wollen. Das gleiche gilt auch für Zivilisten, die für uns arbeiten. Da sollte die Frage

Auch Ian West, CISO der NCI warnte vor Zivilisten in militärischen Einrichtungen: “Der menschliche Faktor ist immer der verwunderbarste Punkt”, folgerte der Cyber-Sicherheitsexperte der NATO. Darüber hinaus forderte er von der Verteidigungsorganisation einen Wandel im Mindset bei der technischen Ausrüstung: “Wir brauchen eine Softwareization. Wir müssen den Fokus darauf legen, mit Software aus der ferne Probleme zu beheben, ohne jedes Mal Hardware vor Ort aufbauen zu müssen. Auch das Basic Input Output System – also die Software auf dem Mainboard der militärischen Computer - muss in diesem Prozess in den Blick genommen werden”, sagte West. Mit der Softwareization sollte dann ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden: “Der Fokus muss immer auf den sensiblen Daten liegen. Sie zu schützen ist eine der schwersten Aufgaben der NATO”, schlussfolgerte der CISO der NCI.

C

IT-Sicherheit und Datenschutz im Einklang

Vorsicht bei zivilen Kräften im IT-Einsatz

yber-Kriminelle haben immer häufiger Daten im Visier und die Erklärung dafür ist simpel: sie sind pures Gold. Oftmals verschaffen sich Angreifer Zugang zu sensiblen Unternehmens- und Kundendaten, um hohe Lösegelder zu fordern oder die Daten gar über das Darknet an Dritte zu verkaufen. Dabei könnten viele dieser Angriffe mit den richtigen Vorkehrungen vermieden werden. Unternehmen sollten unbedingt auf dem Schirm haben, dass die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz eng miteinander verwoben sind und die Nichteinhaltung von Sicherheitsstandards schwerwiegende bis existenzielle Folgen haben kann. Datenleaks kommen Unternehmen nicht nur teuer zu stehen, auch die Reputation kann erhebliche Schäden davontragen. Unternehmen sind also gut darin beraten, diese Themen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und sich rechtzeitig zu wappnen.

Individueller Schutz Da die Sicherheitsanforderungen von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ausfallen, gibt es keine Musterlösung für ausreichenden Schutz. Um also herauszufinden, welche individuellen Sicherheitsvorkehrungen erforderlich sind, gilt es die jeweilige Netzwerkumgebung genauestens zu untersuchen, Schwachstellen zu identifizieren und vor allem die richtigen Fragen zu stellen. Darunter: • In welcher Umgebung kommunizieren die Mitarbeiter? Innerhalb der Unternehmensstruktur? Außerhalb der Unternehmensstruktur? Oder möglicherweise beides? • Welche Rolle spielt RemoteWork und welche Risiken können dadurch entstehen? • Mit welchen potenziellen Problemen im Bereich Kommunikation ist zu rechnen? • Wo werden interne und externe Daten gespeichert und

R&S®Trusted VPN Client: Sicherer Fernzugriff R&S®Trusted VPN Client sichert zuverlässig den Zugriff der Mitarbeitenden auf das Firmennetzwerk – egal ob vom Homeoffice, Hotel oder Flughafen aus. Die komplett softwarebasierte Lösung ist vielseitig einsetzbar und lässt sich leicht in bestehende Systeme integrieren. Mit geschützter Netzwerkkommunikation vom Tablet oder Laptop aus sorgt der benutzerfreundliche R&S®Trusted VPN Client dafür, dass Mitarbeitende auch unterwegs sicher und ohne Einschränkungen arbeiten können.

R&S®Trusted Disk: Schutz aller gespeicherten Daten Die bewährte VS-NfD-zugelassene Festplattenverschlüsselung R&S®Trusted Disk schützt sensible Daten mit sicherer und transparenter Verschlüsselung in Echtzeit

Sicheres mobiles Arbeiten mit dem VS-NfD-Arbeitsplatz.

Foto: BS/Rohde & Schwarz Cybersecurity

vor unbefugtem Zugriff, ohne die Produktivität selbst bei Verlust oder Diebstahl einzuschränken – auch auf USB-Datenträgern. Dank Festplattenverschlüsselung werden nicht nur die Benutzerdaten, sondern auch das gesamte Betriebssystem einschließlich aller temporärer Daten verschlüsselt. R&S ®Trusted Disk setzt ein transparentes Echtzeit-Verschlüsselungsverfahren ein, das die Produktivität der Arbeitsstationen in keiner Weise einschränkt. Noch mehr Schutz bietet die PreBoot-Authentifizierung durch eine PIN oder einen Hardware-Token.

Disk sorgt die virtuelle Umgebung für sicheres Surfen im Web, R&S®Browser in the Box, für eine zusätzliche Sicherheitsebene. Das Grundprinzip des virtuellen Browsers ist, dass Betriebssystem und Browser komplett voneinander getrennt werden. Schadsoftware wird vom PC bzw. dem Benutzernetzwerk ferngehalten. Für Nutzer gibt es keine Einschränkung bei der Internetnutzung, sie arbeiten wie gewohnt mit ihrem Internetbrowser. Hiermit wird eine wirkungsvolle Prävention auch gegen neuere Ransomware-Attacken wie Hive gewährleistet.

R&S®Browser in the Box: Sicher surfen

Noch mehr Schutz mit ZeroTrust-Technologie

In Kombination mit R&S®Trusted VPN Client und R&S®Trusted

Noch mehr Schutz bietet der VS-NfD-Arbeitsplatz mit der not-

Umdenken erforderlich (BS/Martin Zingsheim*) Die digitale Transformation birgt Chancen und Risiken zugleich. Denn auf der einen Seite können Unternehmen ihre Arbeitsprozesse effizienter gestalten und auf der anderen Seite besteht die Gefahr neuer Sicherheitslücken. Dabei geraten insbesondere Daten immer wieder ins Fadenkreuz von Kriminellen. Um nicht den Überblick zu verlieren, braucht es klare Strukturen und Abläufe. Was müssen Unternehmen im Hinblick auf die Netzwerksicherheit und den Datenschutz nun beachten?

Martin Zingsheim ist Sales Director Germany – Government & Education – bei Alcatel-Lucent Enterprise.

Alle Datenströme jederzeit im Blick

verwaltet? •W ie können Mitarbeiter, Prozesse und Daten von Endpunkt zu Endpunkt geschützt werden? Je mehr Daten über das Unternehmen und die Arbeitsweise der Mitarbeiter/-innen vorliegen, umso einfacher ist es, die Sicherheitslücken zu identifizieren und die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Leider herrscht in vielen Unternehmen noch die Sichtweise, dass für IT-Sicherheit und Datenschutz keine Zeit oder kein Budget vorhanden ist. An dieser Stelle ist Umdenken erforderlich. Denn die Frage ist nicht, ob ein Unternehmen angegriffen wird, sondern wann – und das Spiel auf Zeit kann weitreichende Folgen haben.

Datenschutz mit Privacy by Design Das Thema Datenschutz geht jeden etwas an, der sich im digi-

Foto: BS/ Getty Images

talen Raum bewegt und die Kontrolle über seine Daten behalten will. Alcatel-Lucent Enterprise bietet mit „Privacy by Design” einen vierstufigen Ansatz, der den Aufbau und die Pflege einer effizienten und rechtssicheren digitalen Infrastruktur ermöglicht. „Privacy by Design“ bedeutet so viel wie „Datenschutz durch Technikgestaltung“. Das Konzept greift den Grundgedanken auf, dass Datenschutz am besten gewährleistet werden kann, wenn der Schutz von personenbezogenen Daten im Sinne der DSGVO durch das frühzeitige Ergreifen technischer und organisatorischer Maßnahmen schon im Entwicklungsstadium ergriffen wird. Das Konzept setzt sich wie folgt zusammen: 1. V ertrauenswürdige Infrastruktur: Beim Aufbau der kollaborativen Infrastruktur ist ein stabiles Fundament ebenso wichtig wie die Un-

Foto: BS/Alcatel-Lucent Enterprise

terstützung durch einen technischen Partner, der die Implementierung und die nachfolgenden Schritte begleitet, damit die Sicherheit durchgehend gewährleistet ist. 2. Organisierte Datenstruktur: Unternehmen müssen darauf vorbereitet sein, dass Datenberichte angefordert werden und sich entsprechend vorsorglich um eine gepflegte Datenstruktur kümmern. 3. D igitale Vertrauensstandards: Um das Vertrauen von Mitarbeitern und Kunden nicht zu gefährden, müssen Vorschriften und Richtlinien stets eingehalten werden. Beispielsweise kann mit dem Zero-TrustAnsatz verhindert werden, dass ungesicherte Geräte ins Unternehmenssystem gelangen. 4. Analyse & Archivierung: Die Festlegung von Regeln, effiziente Analyseprozesse und Archivierung runden das Privacy by Design-Modell ab. Mit diesen Schlüsselfakto-

ren gelingt nicht nur der Aufbau, sondern auch die langfristige Aufrechterhaltung einer sicheren Infrastruktur.

Für eine robuste Infrastruktur ist es zudem wichtig, mögliche Fallstricke zu umgehen, die beispielweise durch BYOD (Bring Your Own Device), das Internet der Dinge (IoT) und Cloud-Lösungen auftreten können. Denn gerade in diesen Bereichen entdecken wir besonders häufig Sicherheitslücken, die Cyberkriminellen Tür und Tor ins Unternehmensnetzwerk öffnen. Um dies zu vermeiden sind vor allem gut gesicherte LAN- und WLAN-Netzwerke essenziell, die Zugriffs- und Authentifizierungskontrollen sowie Störungserkennung ermöglichen.

Sicher mit Alcatel-Lucent Enterprise Die Rainbow-Lösungen von Alcatel-Lucent Enterprise dienen der Kommunikation im geschäftlichen Kontext. Sie stehen für sichere Zusammenarbeit, effizientes Zeitmanagement und umfassenden Datenschutz. Lokale Teams, die bestens mit den DSGVO-Bestimmungen vertraut sind, übernehmen die Verwaltung der Lösungen und sorgen dafür, dass die Richtlinien stets eingehalten werden. Damit sind personenbezogene Daten vor un-

wendigen Unabhängigkeit von der Sicherheitsarchitektur des Betriebssystems: Potenzielle Angriffe aus dem Windows-Betriebssystem auf die Basis-Firmware gehen ins Leere und Anwender müssen nicht auf potenziell unsichere Komponenten wie ein Betriebssystem vertrauen. “Wir glauben, dass Sicherheit nur unabhängig vom Betriebssystem sein kann”, betont Dr. Falk Herrmann, CEO von Rohde & Schwarz Cybersecurity. “Mit unserer Zero Trust to Windows-Technologie sorgen wir für Sicherheit und geben den Nutzern gleichzeitig digitale Souveränität”, erklärt der Sicherheitsexperte. *Daniel Heck ist VP Marketing bei Rohde & Schwarz Cybersecurity

berechtigtem Zugriff, unautorisierter Nutzung oder Weitergabe weitgehend geschützt. Darüber hinaus bieten die Rainbow-Lösungen weitere Vorteile, etwa • den integrierten Schutz vor Denial-of-Service-Angriffen (DoS), • die Verfügbarkeit vor Ort und in der Cloud, • sie sind redundant und ausfallsicher und • bieten die Nutzung privater Netzwerke mit geschützten Zugängen. Darüber hinaus folgen die Rainbow-Lösung von AlcatelLucent Enterprise strengen Regeln für die Zugriffsverwaltung und bieten dadurch besonders effektiven Schutz. Die CloudKommunikationsplattform wurde vollständig in Europa entwickelt mit Rechenzentren in Deutschland und auf der ganzen Welt. Kommunikation muss unkompliziert und nahtlos stattfinden, damit Arbeitsprozesse möglichst produktiv umgesetzt werden können. Dabei sollten die großen Datenmengen, die auf Kommunikationsplattformen ausgetauscht werden, jederzeit geschützt und manipulationssicher sein – nicht zuletzt um auch rechtliche Folgen zu vermeiden. Eine hundertprozentige Sicherheit für IT-Infrastrukturen gibt zwar nicht, jedoch können Risiken und damit potenzielle wirtschaftliche Schäden mit den richtigen Vorkehrungen und dem Einsatz sicherer IT-Lösungen deutlich minimiert werden. Dabei ist das Zusammenspiel von Hardware, Software und Konfiguration von großer Bedeutung. Mit dem passenden Partner an der Seite, der sowohl über das benötigte Know-how als auch die richtigen Tools verfügt, steht dem effizienten Schutz der IT und der Daten nichts im Wege.


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ehörden Spiegel: Herr Kammerloher, welche Aufgaben beanspruchen die Zeit von ITSecurity-Verantwortlichen im VSNfD-Umfeld derzeit besonders?

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Schutz der Daten hat Priorität “Das Ziel ist eine schlüsselfertige, hochperformante IT-Security-Infrastruktur”

Themengebiete inhaltlich beherrschen. Nur so lässt sich letztendlich eine schlüsselfertige, bedarfsgerechte Lösung entwickeln.

Behörden Spiegel: Inwiefern Dominik Kammerloher: An (BS) Wie können Behörden und Organisationen im Geheimschutz praktikable und zugleich hochsichere Remote-Arbeitsprozesse zum Austausch erster Stelle sehe ich die sehr von VS-NfD eingestuften Informationen aufbauen? Lösungswege, die den gesetzlichen Vorgaben gerecht werden, nennt Dominik Kammerloher, unterstützt genua Organisationen aus dem VS-NfD-Bereich großen, noch nicht erfüllten Be- Head of Public Sales beim IT-Sicherheitsunternehmen genua. beim Aufbau sicherer und stadarfe in den Organisationen, die Kammerloher: So ist es. Al- dieser Situation umgehen? biler Arbeitsprozesse? hinsichtlich Homeoffice und Telearbeit bestehen. Vor der Covidlerdings sind diese als OrientieKammerloher: Wir sorgen 19-Pandemie war das Arbeiten rungsrahmen zu verstehen, um Kammerloher: “Slice the elevon unterwegs oder daheim bei aktiv zu werden. Sie enthalten phant” – die Komplexität in klei- ganzheitlich für eine sichere In“Der Einsatz von Behörden und im GeheimschutzBlueprint für das ideale ne Teilprobleme zu zerlegen und frastruktur. Das bedeutet, dass Detection-Systemen keinen bereich eher eine Ausnahme als mobile VS-NfD-System, des- somit Schritt für Schritt auf- wir eben nicht nur IT Securityist schon längere eine Regel. Insofern besteht nach sen Gestaltung ja auch vom zulösen, ist unserer Erfahrung Tools liefern, sondern unsere technologischen und prozes- nach fast immer die richtige Kunden dabei unterstützen, wie vor ein enormer AufholbeZeit vom BSI empdarf, für mehrere hundert oder sualen Reifegrad der Organi- Vorgehensweise. Also z. B. je ein sicheres Telearbeits-Serfohlen worden.” gar tausend Mitarbeiter diese sation abhängt. Erschwerend Prozess, System, Verantwortlich- vice-System nach ihrer indivikommt hinzu, dass die gesetz- keit herunterbrechen: Was ist die duellen Anforderungslage zu Remote-Kapazitäten zu schaffen, um handlungsfähig zu bleiben. lichen Vorgaben nicht immer ganz konkrete Konsequenz der konzipieren und zu realisieren. Dabei dürfen natürlich nicht die deckungsgleich sind. Zum Bei- Verordnung oder des Gesetzes Unser Anspruch ist hierbei, eine vielen IT-Aufgaben in der Orgaspiel unterscheiden sich die in der praktischen Umsetzung? schlüsselfertige, hochperforDominik Kammerloher ist Head of Public Sales bei der genua nisation selbst liegen bleiben. Vorgaben des Bundes für seine Etwa eben beim Einsatz der mante Infrastruktur zu überGmbH. An dieser Stelle wird häufig die gegeben. Die hohe Leistungsfäeigenen Behörden von denen, Dienstlaptops im Homeoffice. Foto: BS/genua GmbH die ein Land seinen Behörden zweite große Herausforderung Das hilft, um als Grundlage higkeit hat für uns sowohl beim zum VS-Schutz macht. Im Falle ein eigenes Bild zu skizzieren, Schutz der Daten als auch bei spürbar, der Ressourcenengpass in den Teams. Kammerloher: Ein gutes Bei- on technisch, sodass es den geheimschutzbetreuter Unter- in welchen Handlungsfeldern der Anwendungsfreundlichkeit Aber es gibt einen dritten, eben- spiel ist die Verwendung des geschützten Zugriff einer drei- nehmen können Wirtschafts- man mit welcher Priorität aktiv der Security Tools oberste Prioso wichtigen Punkt, der häufig dienstlichen Laptops, der bis- oder vierstelligen Zahl neuer ministerien mit zusätzlichen, werden sollte. Hier wird man rität. Dabei bringen wir neben zu spät berücksichtigt wird: lang für den Einsatz in unter- Geräte abbilden kann? Ent- eigenen Vorgaben eine weitere recht schnell feststellen, dass technologischer Expertise unsees, wie gesagt, nicht nur um re Erfahrungen aus vielen VSNämlich über die IT-Perspektive schiedlichen Standorten, aber spricht die VPN-Verbindung Rolle spielen. hinaus die vielfältigen Anforde- nicht für das Home Office vorge- im Homeoffice der Mitarbeiter Als adäquate IT-Security-Tech- IT-Lösungen geht, sondern NfD-Projekten bei staatlichen rungen auf organisatorischer, sehen war. Jeglicher Austausch den rechtlichen Vorgaben der nologie hat das BSI übrigens zusätzliche Expertise zu Com- Institutionen und Unternehtechnologischer und rechtlicher mit der Dienststelle von dort, Behörde? schon vor längerer Zeit den Ein- pliance-, Risk-, Prozess- und men im Geheimschutzbereich Ebene im Blick zu haben, die sei es über Videokonferenzen, Und hierbei haben wir noch gar satz von Detection-Systemen weiteren sicherheitsrelevanten mit ein, wie Compliance-Anfor“Remote Work” mit sich bringt, E-Mail oder interne Arbeits- nicht über die Mitarbeiter selbst empfohlen. Aber einerseits sind Themen notwendig ist. Dazu derungen rechtssicher erfüllt und ihre Zuprogramme, gesprochen, deren Arbeitsab- diese Systeme rein technisch braucht man Partner, die diese werden. sammenhänge m u s s n u n läufe sich schließlich erheblich sehr komplex strukturiert und “Die vielen IT-Aufgaben die VS-NfD- verändern. Dies wirft weitere daher schwierig zu implementiezu verstehen. dürfen nicht in der OrSicherheits- sicherheitsrelevante Fragen auf: ren. Und andererseits ist nicht Zwar können Technologien ganisation selbst liegen k r i t e r i e n Was geschieht mit dem Lap- klar, wie die Behörde bzw. die e r f ü l l e n . top nach Dienstschluss? Wie IT-Verantwortlichen konkret zum Beispiel bleiben.” Bereits hier funktionieren User-Support und vorgehen müssten: Neben dem bei der Überwachung der stellen sich Softwareupdates per Fernzugriff IT-Grundschutz gibt es schließ(BS) Nach IT-Grundschutz DER.1.A9 und DER.1.A16 ist der Einsatz von Infrastrukturen für Entlastung eine Menge neuer, wichtiger der IT-Abteilung? Für die IT und lich noch eine ZulassungsanforDetektionssystemen an ausgewählten neuralgischen Stellen im Netzwerk vorgeschrieben. Diese Systeme sollten nicht nur die wichtigen Übergänge sorgen. Das darf aber nicht losge- Fragen: Sollte man die Geräte IT-Security verschärft sich das derung und Anschlusspflichten innerhalb der Organisation kontrollieren. Auch das VPN-Gateway wird löst von anderen Sicherheitsas- nachrüsten? Oder besser gleich genannte Kapazitätsproblem für die Regierungsnetze. zum zentralen Knotenpunkt, sodass es mit einem Detektionssystem zur pekten vorangetrieben werden. neue Hardware einkaufen, da damit natürlich zusätzlich. Netzwerküberwachung gekoppelt werden muss. Genua schafft mit spezinun ohnehin viele Mitarbeiter Behörden Spiegel: Die Menge ell dafür zugelassenen VPN-Lösungen die notwendigen technologischen Behörden Spiegel: Zumal der Vorgaben kann die EntwickBehörden Spiegel: Inwiefern für die Arbeit im HomeofficeVoraussetzungen, etwa mit genuscreen als VPN-Gateway, dem Security verändert dieser Perspektiven- Einsatz neu ausgerüstet werden auch rechtliche Vorgaben wie lung einer IT-SicherheitsstrateLaptop vs-top oder genucard als VPN-Client. wechsel den Zuständigkeitsbe- müssen? Wie erweitert man der IT-Grundschutz und VS-NfD- gie für Remote Work also auch das Netzwerk der Organisati- Richtlinien zu beachten sind. erschweren. Wie sollte man mit reich der IT-Sicherheit?

IT-Grundschutz-konforme ­Sicherheitstechnologien


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as ist nur ein sehr aktuelles Beispiel eines CyberAngriffs auf öffentliche Institutionen. Kriminelle nehmen immer häufiger Behörden und Kritische Infrastrukturen (KRITIS) ins Visier, weil sie sich aufgrund der hohen Menge an sensiblen Daten bessere Chancen auf Lösegeld erhoffen. Der Schaden für die Verwaltung und Bürger/-innen kann weitreichende Folgen haben. Unbequem ist es natürlich, wenn Ämter z. B. keine Führerscheine mehr ausstellen können. Aber was, wenn sensible Daten im Darknet erscheinen oder Angriffe auf Krankenhäuser oder die Stromversorgung nicht abgewehrt werden können? Das Bewusstsein für die Auswirkungen von Cyber-Attacken ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Organisationen investieren mehr in ihren Schutz und sowohl Angestellte als auch Bürger/-innen beschäftigen sich verstärkt mit der Sicherheit ihrer Daten. Es ist jedoch nach wie vor Aufklärungsarbeit nötig, um eine solide Cyber-Security-Kompetenz zu schaffen. Organisationen dürfen in der IT-Sicherheit den Faktor Mensch nicht außer Acht lassen, denn die bereitgestellten Dienste werden von Angestellten genutzt.

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Der beste Cyber-Schutz ist Prävention Faktor Mensch nicht außer Acht lassen (BS/Anton Kreuzer*) Ein grauer Fleck klafft auf der Corona-Deutschlandkarte des Robert Koch-Instituts (RKI): So zeigt sich eine Folge des Ransomware-Angriffs auf den IT-Dienstleister des Landkreises Ludwigslust-Parchim und der angrenzenden Landeshauptstadt Schwerin im Oktober. Um den Angriff zu stoppen, haben die Behörden alle Systeme abgeschaltet. Erst nach genauer Prüfung gehen sie nach und nach wieder live. Bis dahin fehlten dem RKI Daten aus dem Landkreis und so lange blieb der graue Fleck.

Cyber-Abwehr: ­Angriffsmethoden und Schutz

Die Art und Zahl der Cyber-Angriffe steigt. DriveLock bietet mit verschiedenen Services einen umfassenden Schutz gegen die Gefahren im Netz an.

In der heutigen Zeit können sich Verantwortliche nicht allein auf Firewalls und Antiviren-Programme verlassen. Um Cyber-Risiken zu minimieren, ist es wichtig, die Anwender/innen über gängige Methoden der Hacker/-innen und angemessene Verhaltensweisen aufzuklären. So machen Organisationen ihre Angestellten zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Security-Strategie und schaffen eine Kultur der Cyber-

Sicherheit. Wenn Anwender/innen beispielsweise entsprechend sensibilisiert sind, dass Phishing-E-Mails mit schadhaftem Link das gesamte System infizieren können, behandeln sie ihre Nachrichten mit entsprechender Vorsicht. Eine SecurityAwareness-Schulung kann auch vor der Schwachstelle durch Bad-USB (Speicher-Sticks mit Virus) schützen. Wenn niemand mehr Datenträger unbekannter Herkunft an Geräte ansteckt,

können diese auch keinen Schaden anrichten.

Zero-Trust-Security-Modell für KRITIS Grundsätzlich steigen die Art und Zahl der Bedrohungen. Cyber-Kriminelle gehen immer strategischer vor. Wenn es z. B. schwierig ist, eine Organisation oder Behörde direkt mit Schadsoftware zu infiltrieren, gehen sie den Weg über IT-Dienstleister. Geeignete Sicherheitslösungen

müssen diese Herausforderungen meistern können. Vor dem Hintergrund wachsender Cyber-Kriminalität ist der

Foto: BS/DriveLock

zuverlässige Schutz von Daten, Geräten und Systemen essenziell. Das Unternehmen DriveLock bietet mit seiner Zero-Trust-

Plattform nicht nur präventive Schutzmaßnahmen, sondern ermöglicht auch die frühzeitige Erkennung von Anomalien und entsprechende Reaktionsmöglichkeiten. DriveLock setzt dabei auf neueste Technologien, erfahrene Security-Expert(inn) en und Lösungen nach dem Zero-Trust-Modell. Mit seinen Lösungen Device und Application Control erfüllt das Unternehmen auch die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) anerkannte internationale “Common Criteria EAL3+”-Zertifizierung. DriveLock stellt seine Lösungen on premise wie auch aus der Cloud (basierend auf Microsoft Azure) zur Verfügung. So ist die Security-Lösung aus der Cloud sofort einsetzbar, kosteneffizient und bietet mehrschichtige Sicherheit. Dabei können nach Bedarf Lösungen wie Application Control oder Device Control eingesetzt werden, die dafür sorgen, dass ausschließlich zuvor zugelassene Geräte verwendet und Anwendungen ausgeführt werden dürfen. Das sind wichtige Präventionsmaßnahmen, die unbekannte Schadprogramme und menschliches Fehlverhalten verhindern. So schützen Lösungen, die auf dem Zero-Trust-Modell und einer umfassenden CyberSicherheits-Kultur basieren, moderne IT-Strukturen effektiv vor ebenso fortschrittlichen CyberBedrohungen. *Anton Kreuzer ist CEO bei ­DriveLock SE.

MELDUNG

BSI: Erhöhte Ransomware-Bedrohung (BS/lma) Für die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage besteht aus Sicht des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und des Bundeskriminalamtes (BKA) ein erhöhtes Risiko für Cyber-Angriffe auf Unternehmen und Organisationen. Ursächlich hierfür sei der erneute Versand von Emotet-Spam sowie das aktive öffentliche Werben von Ransomware-Gruppierungen um kriminelle Mitstreiter, heißt es in einer Mitteilung des BSI. Zusätzlich werde das Risiko durch die

weiterhin bestehende Verwundbarkeit vieler Microsoft-ExchangeServer in Deutschland erhöht. Das BSI ruft deswegen Unternehmen und Organisationen erneut eindringlich dazu auf, angemessene IT-Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen. Der Präsident des BSI, Arne Schönbohm, betont, dass man deutliche Anzeichen für ein erhöhtes Angriffs-Risiko sehe. “Insbesondere Feiertage, Urlaubszeiten und auch Wochenenden wurden in der Vergangenheit wiederholt für solche Angriffe

genutzt, da viele Unternehmen und Organisationen dann weniger reaktionsfähig sind.” BSI und BKA raten angesichts der geschilderten Bedrohungslage dazu, neben präventiven Maßnahmen auch die Detektions- und Reaktionsfähigkeiten zu stärken. So sollten insbesondere funktionsfähige Back-ups vorgehalten werden und Notfallkonzepte vorbereitet und eingeübt sein. Auch sollten verfügbare Patches immer schnellstmöglich installiert werden.

Europol warnt vor steigender Cyber-Kriminalität Starke Zunahme von Schadsoftware-Services (BS/sp) Im neusten Bericht der europäischen Polizeibehörde Europol warnt die Agentur vor zunehmender Cyber-Kriminalität, welche durch die Corona-Krise weiter begünstigt werde. Die fortschreitende Digitalisierung der Bevölkerung sei von Cyber-Kriminellen ausgenutzt worden, so das Urteil des neusten Berichts “Trends der Internet-Kriminalität” der Polizeibehörde. Besonders problematisch seien dabei organisierte Attacken mit Schadsoftware. Des Weiteren ginge der Trend von Massenhin zu gezielten Angriffen auf Netzwerke großer Unternehmen und öffentlicher Einrichtungen, konstatiert der Bericht. Auch die Heimarbeit begünstige die Angriffsmechanismen der Kriminellen. So seien DDoS-Angriffe zur Routine geworden, also Angriffe, die die Systemfähigkeit der Organisationen außer Kraft setzen könnten. Zur Zahlung würden die Kriminellen vor allem Kryptowährungen wie Bitcoin oder Monero nutzen, so die Polizeibehörde. Außerdem habe der sexuelle Missbrauch von Kindern durch die Digitalisierung weiter zugenommen. Betrüger statteten sich zunehmend mit Fake-Identitäten aus und nähmen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen auf. In diesem Zuge würden die jungen Menschen dann dazu gedrängt, persönliche Daten oder Bilder von sich freizugeben. Die Kriminellen würden dann diese Informationen aufgreifen und im Netz verbreiten oder verkaufen, teilte Europol mit.

Eine ebenfalls problematische Entwicklung zeigt sich mit dem Phänomen “Crime-as-aService”. Damit wird ein Modell beschrieben, mit denen Kriminelle von anderen Betrügern Services oder Schadsoftware kaufen, die sie dann gegenüber Bürger(inne)n, Organisationen oder Behörden anwenden kön-

nen. Besonders beliebt sei dabei Ransomware-as-a-Service, stellt die europäische Polizeibehörde klar: “In den letzten zwölf Monaten konnten die europäischen Strafvollzugsbehörden eine starke Zunahme von den Schadsoftware-Services im Dark Web beobachten”, heißt es im Bericht.

Auch Bösewichte gehen gerne shoppen: Laut Europol wird das Phänomen “Crimeas-a-Service” bei Cyber-Kriminellen immer beliebter. Foto: BS/Preis_King, pixabay.com


Behörden Spiegel / Dezember 2021

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Alarmstufe Grau

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ie Recherche dieses Beitrags begann holprig. Die Mails und Anrufe an die Pressestellen der von den Cyber-Angriffen betroffen Kommunen blieben zunächst unbeantwortet. Nach kurzer Recherche fiel auf, dass die betroffenen Kreisverwaltungen zwar auf ihrer Internetpräsenz auf die Auswirkungen der CyberAttacken hinweisen konnten, jedoch nicht in der Lage waren, die Telefonnummern und/oder E-Mail-Adressen einzelner Abteilungen abzuändern. So waren einige der Kontaktadressen der betroffenen Ämter abgeschaltet. Erst nach Rücksprache wurden die Ersatzadressen zugänglich gemacht, die die Kommunikation mit den jeweiligen Bürgerämtern erst möglich gemacht haben. Eine Kreisverwaltung musste dafür sogar einen werbefinanzierten EMail-Dienst nutzen: Gmail. Was vor den Cyber-Angriffen für nicht möglich gehalten wurde, ist jetzt Realität: Kommunen müssen improvisieren. Auch wenn dazu Kompromisse beim Datenschutz gemacht werden mussten.

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Keine neuen Autos und keine Inzidenz (BS/Paul Schubert) Die Cyber-Attacken auf die Kreisverwaltungen in Witten, Ludwigslust-Parchim und Anhalt-Bitterfeld beschäftigen nicht nur die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten. Auch die gesamtdeutsche Bevölkerung und die italienische Polizei hat auf die Fälle aufmerksam geworden. Über die Auswirkung von Cyber-Angriffen auf Kommunen, die nun – auch dank Corona – bundesweite Aufmerksamkeit erreicht hat.

Bundesweite Aufmerksamkeit Dass die Cyber-Attacken auf die betroffenen Kommunen mittlerweile auch vielen politik-­ interessierten Bürger/-innen bekannt sind, hat auch mit der Pandemie zu tun. Auf der bekannten “Sieben-Tage-Inzidenz Karte” des Robert Koch-Instituts (RKI) fand sich im Norden der Republik für lange Zeit ein grauer Fleck auf der Karte. Während der Rest der Landkreise munter die Farben von Gelb, zu Rot und Lila wechselte, zeigte sich ein Landkreis aus Mecklenburg-Vorpommern kämpferisch: graue Einfärbung mit einer Inzidenz von null. Dass sich der Landkreis LudwigslustParchim augenscheinlich derart resistent gegen die Pandemie stemmte, war leider schlichtweg ein technischer Fehler: Der

Das Präventionsparadoxon beschreibt Situationen, die aufgrund von Vorbeugemaßnahmen nicht eingetreten sind. Dabei kann nicht nachgewiesen werden, wie einzelne Maßnahmen bestimmte Situationen verhindert haben. Klassische Beispiele sind die Einschränkungen während der Corona-Pandemie, aber auch die Verhinderung von Cyber-Angriffen durch IT-Sicherheitsmaßnahmen. Bild: BS/PublicCo, pixabay.com

Landkreis konnte aufgrund des Cyber-Angriffs keine Daten von den Gesundheitsämtern empfangen und an das RKI weiterleiten. Die Viren aus dem Internet obsiegten.

Autos beschlagnahmt Der Cyber-Angriff auf die Kreisverwaltung in Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt hatte noch weitreichendere Auswirkungen. So konnten beispielsweise die Überweisungen von Sozialleis-

tungen nicht durchgeführt werden: “Der Landkreis musste sich mit Barauszahlungen behelfen, der digitale Geldtransfer konnte nicht genutzt werden”, erklärte Thomas Popp, Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung im Freistaat Sachsen auf der Protekt in Leipzig. Ein weiteres Problem sei die KfzZulassungsstelle gewesen, welche für einige Wochen komplett handlungsunfähig gewesen sei: “Es konnte kein einziges Auto in

dieser Zeit zugelassen werden, der Nachbarkreis konnte das auch nicht für die Bürger/-innen erledigen, das war juristisch schlicht nicht möglich”, erklärte Popp. Die Situation entwickelte sich sogar so weit, dass der Datenbestand zu den Fahrzeugen zwischenzeitlich komplett aus den Systemen verschwunden war: “Die italienische Polizei hat Autos beschlagnahmt, weil diese keinen Versicherungsschutz nachweisen konnten. Obwohl die Autos vollumfänglich versichert waren, konnte durch den Cyber-Angriff auf diese Daten nicht mehr zugegriffen werden”, sagte der sächsische Staatssekretär.

Hilfe von der Bundeswehr Die Cyber-Attacke auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld stellte wohlmöglich den größten Angriff auf eine kommunale Infrastruktur bis zum jetzigen Zeitpunkt dar. Im Juli dieses Jahres musste die Kreisverwaltung den Katastrophenfall ausrufen – erstmalig aufgrund eines Cyber-Angriffs. Dafür wurde sogar die Bundeswehr angefordert, welche auch dringend benötigt wurde: “Die Zusammenarbeit war ausgezeichnet”, bestätigte Udo Pawelczyk von der Kreisverwaltung Anhalt-Bitterfeld. Insgesamt hätten die IT-Kräfte der Bundeswehr alle 1.050 Rechner der Verwaltung gesäubert und neu aufgespielt: “Die Soldat(inn)en haben uns zudem tatkräftig und kompetent in Sicherheitsfragen be-

raten.” Das neue System solle nun nach BSI-Sicherheitsstandards wieder aufgebaut werden, erklärte Pawelczyk.

Kein Lösegeld und keine ­Hinweise auf Datenabfluss Insgesamt sind die Auswirkungen bei allen drei betroffenen Kreisverwaltungen in SachsenAnhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen trotz der unterschiedlichen Datenausfälle ähnlich. Vor allem die digitalen Angebote sind – beziehungsweise waren – temporär außer Kraft gesetzt: “Das betrifft auch die diversen Programme, die wir in der Kommunalverwaltung nutzen sowie die Telefonanlagen”, bestätigte Jörg Schäfer von der Stadt Witten. Lösegeldforderungen seien in allen Städten nicht eingegangen, den Abfluss von Daten konnten die Verantwortlichen der jeweiligen Kreisverwaltungen weder bestätigen noch dementieren: “Dazu können wir im Augenblick einfach nichts sagen”, erklärte Schäfer. Beim Thema Lösegeld sind sich in der Vorgehensweise nicht nur die Kommunen einig. Auch die Polizei und der Deutsche Landkreistag (DLT) lehnen eine Zahlung strikt ab. Christian Stuffrein, Referent für die IT-Sicherheit beim DLT, empfiehlt, sich grundsätzlich nicht auf Lösegeldzahlungen einzulassen: “Das ist Organisierte Kriminalität. Diese dürfen wir

nicht weiter befördern. Auch die Zahlungen bieten überhaupt keine Gewähr, dass Daten wieder entschlüsselt werden”, so Stuffrein. Der DLT sei darüber hinaus auch aktiv auf die betroffenen Landkreise zugegangen: “Wir haben unsere Hilfe auch mit Kontakten zu den Bundesbehörden angeboten”, so Stuffrein. Nach dem Cyber-Angriff auf die Kommune in Anhalt-Bitterfeld habe der kommunale Spitzenverband sogar eine Informationsveranstaltung mit über 500 Teilnehmer(inne)n durchgeführt: “Unter Beteiligung des betroffenen Landkreises, des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und des zuständigen CERTs wurde dabei über den Vorfall berichtet und über Vorgehensweisen und Präventionsmaßnahmen informiert”, erklärte der IT-Sicherheitsreferent. Grundsätzlich gäbe es keine einheitlichen Richtlinien, wie sich Kommunen im Bereich der ITSicherheit verhalten sollten. So hat der DLT zusammen mit dem BSI das “IT-Grundschutzprofil Basisabsicherung Kommunalverwaltung” erarbeitet: “Dieses beschreibt Mindestsicherheitsmaßnahmen, die erforderlich sind, um die schwerwiegendsten Schwachstellen aufzudecken und zu beseitigen”, erläuterte Stuffrein.

Es brauchte einen Präzedenzfall In den Leitlinien des DLT sind auch die klassischen Tipps wie der Einsatz von starken Passwörter und Ansprechpartner(inne)n bei Fällen von Cyber-Kriminalität dargelegt. Leitlinien, die in der Form beim Cyber-Angriff auf die Stadt Neustadt am Rübenberge im Jahr 2019 nicht beachtet wurden. “Es gab damals wohl ein und dasselbe Passwort für mehrere Ebenen. Wir hatten einen 14-tägigen Totalausfall mit Kosten von gut einer dreiviertel Millionen Euro”, erklärte Maic Schillack, erster Stadtrat und Kämmerer der Stadt. “Heute sind wir gewappnet. Wir wissen um das Vorgehen der forensischen Datensicherung, dokumentieren unsere Arbeitsschritte und haben Prioritäten bei einem Softwareausfall festgelegt”, sagte der Fachbereichsleiter Zentrale Verwaltung, Finanzen und Recht auf dem CyberSicherheitsTag vom Land Niedersachsen und des Behörden Spiegel. Mittlerweile sind die Ohren beim Thema CyberAngriffe mehr als gespitzt: “Man muss einmal auf die Nase fallen und daraus lernen. Ich hoffe, dass andere aus unserem IT-Ausfall ihre Konsequenzen ziehen konnten”, erzählt Schillack. Witten, Anhalt-Bitterfeld und Ludwigslust-Parchim hat der Vorfall wohl nicht geholfen. Allerdings kann die Frage gestellt werden, wie hoch der Schaden wohl gewesen wäre, wären die Kommunen vollends aus heiterem Himmel erwischt worden. Das klassische Paradox der Prävention.


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Die Behörden-Cloud

MELDUNG

Hilfe durch Digitale Ersthelfer (BS/sp) Für kleinere IT-Störungen in Betrieben und Verwaltungen muss nicht gleich der große IT-Dienstleister kontaktiert werden. Für eine erste Diagnose können Digitale Ersthelfer herangezogen werden und dann auch bei der Weiterleitung des Problems helfen. Wichtig ist nur: in den einzelnen Abteilungen muss klar sein, wer über eine solche Qualifikation verfügt. Besonders wichtig sind diese Experten für Kritische Infrastrukturen (KRITIS). Martin Wundram, Vorstand ITSecurity beim Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastrukturen e.V. (BSKI) hält diese Ersthelfer für unentbehrlich: “Sie können dann die Erstmaßnahmen einleiten, wie z. B. das Netzwerkkabel bei einem möglicherweise infizierten Endgerät entfernen”, so Wundram. Diese dezentrale Ansprechpartner sind bei der Behandlung von Cyber-Sicherheitsvorfällen enorm wichtig, sagte der IT-Experte auf der protekt 2021 in Leipzig. Des Weiteren solle darauf geachtet werden, dass in den einzelnen

Abteilungen dargestellt sei, wer bei solchen IT-Sicherheitsvorfällen über die entsprechende Expertise verfügt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bietet einen kostenfreien Basiskurs zur Qualifikation als Digitaler Ersthelfer an. Vorteile der Arbeit des Digitalen Ersthelfers ist unter anderem, dass die Arbeit weitestgehend standortunabhängig ist. Das BSI weist darauf hin, dass “die Ersthilfe vorwiegend per Telefon oder in Einzelfällen auch per E-Mail o. ä. digitalen Kommunikationswegen” durchgeführt werden kann. Auch kritisiert Wundram die unzureichende Automatisierung der Bearbeitung von IT-Schadensvorfällen bei KRITIS: “Die Behörden müssen z.B. bei Ransomware-Angriffen sofort eingebunden werden. Auch fehlt mir hier noch die harmonische Zusammenarbeit externer Dienstleister. Ich bin der Ansicht, dass wir nur mit gemeinsamer Expertise und Vertrauen den Cyber-Sicherheitsgefahren der heutigen Zeit gerecht werden können.”

Verwaltung: digital, souverän, resilient Netzwerksicherheit made in Germany (BS/Dirk Hetterich*) Noch nie war die Digitalisierung von Verwaltung und Behördenleistungen so offensichtlich notwendig wie zurzeit. OZG und pandemiebedingte Home-Office-Pflicht erhöhen den Handlungsdruck. Gleichzeitig nehmen sowohl Cyberangriffe als auch geopolitische Spannungen zu und setzen staatliche Infrastrukturen unter Stress. Vertrauenswürdige, BSI-zertifizierte Lösungen „made in Germany“ helfen Bund, Ländern und Kommunen, ihre IT digital souverän und resilient aufzustellen und effektiv gegen Angriffe zu schützen. Integrität, Verfügbarkeit und Authentizität sind die zentralen Gradmesser, wenn es um die Digitalisierung in der Verwaltung geht. Um diese Faktoren sicherzustellen, reicht technische IT-Sicherheit allein jedoch nicht aus. Eine Kernfrage lautet zum Beispiel, wie anfällig ein Technologielieferant für drittstaatliche Einflussnahme ist, welche den eigenen nationalen Sicherheitsinteressen und der digitalen Souveränität entgegensteht. Vertrauenenssiegel „IT-Security made in Germany“ Ein guter Indikator für die Integrität eines Technologieanbieters sind Kennzeichen, wie das Vertrauenssiegel „IT Security Made in Germany” (ITSmiG). Hersteller, die es tragen, haben ihren Hauptsitz in Deutschland und sind damit frei von drittstaatlicher Einflussnahme. Außerdem verpflichten sie sich der Vertrauenswürdigkeit und Datenschutz-Konformität ihrer Lösungen. Sie nutzen hochsichere Verschlüsselung und garantieren, dass es keine Backdoors in ihren Produkten gibt. Damit vereinen sie alle Voraussetzungen, die für den zuverlässigen Schutz vor Datenabfluss, Manipulation oder Sabotage unabdingbar sind. LANCOM Systems ist der einzige Netzwerk-Vollsortimenter, der das ITSmiG-Siegel tragen darf. Mit seinem Ende-zu-Ende Portfolio für LAN, WAN, WLAN, Security & Remote Work vernetzt das deutsche Unternehmen seit vielen Jahren Verwaltungseinrichtungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. BSI-zertifizierte Sicherheit Ein ausgezeichneter Beleg für die technische Sicherheit eines Produkts sind unabhängige Testate, wie sie das BSI vergibt. So verlangt die neue «Beschleunigte Sicherheitszertifizierung» (BSZ) unter anderem umfangreiche Penetrationstest und verpflichtet Hersteller, bei Sicherheitslücken zeitnah Patches zu liefern. Die

erste BSZ wurde im Juni 2021 an LANCOM vergeben. Datenschutz & Compliance Ein weiteres Kernkriterium für öffentliche Auftraggeber ist der Datenschutz. Besonders CloudLösungen, die inzwischen oft auch bei der Verwaltung von Netzwerken und Netzwerksicherheit zum Einsatz kommen, bringen völlig neue ComplianceAnforderungen mit sich: Personenbezogene Daten verlassen das lokale Netz und damit potenziell auch den dort gültigen Rechtsraum. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verarbeitung in einem Rechenzentrum in Europa stattfindet. Entscheidend ist, welcher Rechtsprechung der Cloud-Anbieter durch seine Herkunft unterliegt. Europäische Netzwerkmanagementlösungen wie die von LANCOM unterliegen den strengen Vorgaben der DSGVO. Sie bieten öffentlichen Einrichtungen Rechtssicherheit und helfen, Compliance-Risiken von Vornherein zu vermeiden. Datenschutzkonforme Nutzung von Microsoft Produkten Darüber hinaus unterstützt LANCOM Verwaltungen, Schulen und Universitäten bei der rechtssicheren Nutzung von Microsoft 365 und Teams. Die Lösung „R&S Trusted Gate“ des Schwesterunternehmens Rohde & Schwarz Cybersecurity bietet effektiven technischen Schutz vor ungewolltem Zugriff aus Drittstaaten und erfüllt die Anforderungen aus dem EuGHUrteil zur Aufhebung des transatlantischen Datenschutzabkommens „Privacy Shield“ vom Juli 2020. Zusammengefasst: Verwaltungen und öffentliche Einrichtungen, die ihre digitale Souveränität stärken und ihre digitalen Systeme resilient, Datenschutzkonform und rechtssicher ausgestalten möchten, finden in LANCOM Systems einen idealen Partner. *Dirk Hetterich ist Director Public bei LANCOM Systems.

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Attraktive digitale Dienste für Bürger/-innen (BS/Prof. Claudia Eckert/Prof. Marian Margraf) Die Digitalisierung verspricht, Prozesse und Abläufe bei Behörden effizienter und attraktiver für Bürger/-innen zu machen. Dafür wird eine durchgängige Vernetzung der Ämter und ein modernes Information Security Management System (ISMS) benötigt. Das kann durch eine harmonisierte “Behörden-Cloud” gelingen. nischer Identifizierungsmittel”) formuliert. Aktuell werden SDI jedoch noch kaum genutzt. Das liegt u. a. an dem in der Regel nicht medienbruchfreien RegistrierungsproProf. Dr. Marian Margraf zess, ungelösten ist Professor für InformatiFragen bzgl. des onssicherheit an der Freien Datenschutzes Universität Berlin und Abteiund fehlenden lungsleiter “Secure Systems Anwendungen. Engineering” am Berliner Diesen HerausStandort des Fraunhoferforderungen stellt Instituts. sich z. B. das Entwicklungsprojekt ONCE, das Bürger/-innen ermöglicht, sich sie weiterhin frei wählen, erwer- mithilfe von SDI sicher und nutben aber nun von ihm nur noch zerfreundlich mit dem SmartphoProdukte mit gültigem IT-Sicher- ne auszuweisen. Dabei werden heits- und Usability-Zertifikat. Sicherheitsmaßnahmen entwiDie Cloud stellt zudem klare ckelt, die Daten und Privatsphäre Anforderungen an Schnittstellen der Nutzenden schützen. Dazu bereit, damit die Softwarelösun- gehören nicht nur zukunftsgen miteinander interagieren sichere Sicherheits- und Verkönnen. Das ermöglicht eine schlüsselungskonzepte, sondern vollständige Digitalisierung der auch der Vertrauensaufbau für Behörden, sowohl nach innen digitale Identitäten. Basis dafür als auch nach außen, und ist sind Studien unter Nutzenden, eine wichtige Voraussetzung um deren Bedarfe und Bedenken dafür, dass Ämter attraktive, bezüglich digitaler Identitäten zu bedarfsorientierte Dienstleistun- verstehen und entsprechend zu gen anbieten können. Weitere berücksichtigen. Vorteile der Behörden-Cloud sind niedrigere Kosten – z. B. Zivilgesellschaft miteinbinden durch die Harmonisierung von Ausschreibungen – und eine Das Einbeziehen der Nutzer/ verbesserte Verfügbarkeit der -innen ist entscheidend für die Dienste – z. B. durch einheitliche Akzeptanz von neuen DigitalisieQualitätsstandards. rungsprojekten. Das gilt auch für Maßnahmen an den Behörden Wichtige Impulse aus der IT- im Zuge des OnlinezugangsgeSicherheitsforschung setzes. Ist das nicht der Fall, ist Die IT-Sicherheitsforschung es möglich, dass große Teile der kann für die Gestaltung der Be- Bevölkerung diesen Projekten hörden-Cloud wichtige Impulse skeptisch gegenüberstehen. Zur liefern. Sie kann nicht nur beim Stärkung der gesellschaftlichen Festlegen der Standards und Akzeptanz, insbesondere in HinRichtlinien mitwirken, sondern blick auf Sicherheits- und Datenkonkrete Technologien entwi- schutzfragen, sollte deshalb der ckeln, die für eine erfolgreiche gesamte Entwicklungsprozess Verlagerung von Behörden- von Digitalisierungsprojekten, prozessen in die digitale Welt wie z. B. die Weiterentwicklung erforderlich sind. Ein Beispiel der Online-Ausweisfunktion auf sind sichere, digitale Identitäten dem Smartphone, transparent (SDI), die einfach, verständlich gestaltet und die Zivilgesellschaft und nachvollziehbar angewendet miteingebunden werden. Hier verwenden können. Die Anforde- kann die IT-Sicherheitsforrungen an die sichere Umsetzung schung ein wichtiger, neutraler elektronischer Identitäten sind Mittler sein. Beispielsweise kann in der Durchführungsverord- sie ihre Expertise beim Thema nung 2015/1502 (“Mindest- Open Source einbringen, um anforderungen an technische der Community die Mitwirkung Spezifikationen und Verfahren an der Softwareentwicklung zu für Sicherheitsniveaus elektro- ermöglichen. Prof. Dr. Claudia Eckert ist Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC in Garching bei München und Professorin an der Technischen Universität München.

Beim Bereich Digital Public Services belegt Deutschland aktuell einen der hinteren Plätze. Zukünftig soll sich durch das OZG und die Behörden-Cloud daran einiges ändern. Foto: BS/Photo Mix, pixabay.com

2019 befand sich Deutschland auf Platz 21 der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Bereich Digital Public Services. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) soll dies ändern und verpflichtet Bundes-, Länder- und Kommunalbehörden bis Ende 2022 ca. 600 Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. Es herrscht jedoch Unsicherheit darüber, wie die digitalen Dienste sicher, einfach benutzbar und attraktiv für Bürger/-innen bereitgestellt werden können. Die aktuell verfügbaren digitalen Dienstleistungen und Lösungen sind so heterogen wie die föderal geprägte Behördenlandschaft. Beispiel Bürgerämter: Von den kleinen kommunalen Verwaltungseinheiten existieren alleine etwa 5.500 in Deutschland. Viele der Ämter haben keine eigenen Ressourcen für die Themen IT-Sicherheit, einfache Nutzbarkeit sowie Kunden-Services und lagern diese Aufgaben an Dienstleister aus. Diese individuelle Auftragsvergabe richtet sich oft nicht nach einheitlichen Standards und Richtlinien. Es besteht die Gefahr, dass Insellösungen für einzelne Fachverfahren entstehen, wie z. B. bei der Beantragung von Pässen und Personalausweisen, die nur unzureichend miteinander vernetzt sind. Das erschwert es den Ämtern, attraktive digitale Dienstleistungen bereitzustellen.

Vorbild Privatwirtschaft Vorbild bei Komfort, Transparenz und Schnelligkeit ist die Privatwirtschaft, z. B. das OnlineShopping über große Plattformen. Passende Produkte lassen sich zügig finden, der Lieferstatus kann bequem abgefragt werden und die Ware wird schnell zugestellt. Möglich

machen diesen, an den Kundenbedarfen orientierten Ansatz optimierte Prozesse und Abläufe auf Basis einer durchgängigen Vernetzung von Online-shop, Auftragseingang, Lagerhalterung sowie Lieferung. Bürger/-innen wünschen sich diesen ServiceStandard auch von Behörden. Zum Beispiel möchten sie nach der Einreichung eines Bauantrags schnell und unkompliziert wissen, in welchem Status sich die Antragsstellung befindet, welche Informationen noch benötigt werden und wie lange der Genehmigungsprozess in Anspruch nimmt. Dafür braucht es die digitale Vernetzung der zuständigen Bearbeitenden von Tür zu Tür und zwischen den involvierten Ämtern.

Software-Lösungen können miteinander interagieren Diese Herausforderungen zu meistern und die Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes zu erfüllen, kann mit einer harmonisierten Plattform gelingen, über die Behörden digitale Dienstleistungen buchen (z. B. als Softwareas-a-Service bzw. Platform-as-aService): der “Behörden-Cloud”. Die Cloud stellt als externer Dienstleister der Verwaltungseinheiten sicher, dass die Angebote einheitlichen Standards und Richtlinien für IT-Sicherheit und Nutzungsfreundlichkeit entsprechen. Moderne Sicherheitstechnologien erlauben zudem eine strikt isolierte Speicherung der Daten von einzelnen Verfahren oder Nutzenden, sollte dies, z. B. aus Gründen der Föderalisierung, notwendig sein. Behörden können flexibel unterschiedliche Fachverfahren buchen und in der Cloud betreiben. Den Dienstleister können

BSI und Bundeskartellamt legen Bericht vor Messenger- und Video-Dienste im Fokus (BS/sp) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das Bundeskartellamt (BKartA) haben ein gemeinsames Papier zum Thema “Moderne Messenger – heute verschlüsselt, morgen interoperabel” veröffentlicht. Der Bericht behandelt die Frage, wie Messenger- und Video-Dienste grundsätzlich funktionieren. Des Weiteren werden auch technische Grundlagen neben der Sektoruntersuchung zu den einzelnen Diensten erläutert. Bereits im Januar haben beide Behörden den Grundstein für eine Kooperation zur Förderung und Stärkung des digitalen Verbraucherschutzes geschlossen. Der Zwischenbericht ist dabei das erste Resultat der beginnenden Zusammenarbeit. Arne Schönbohm, Präsident des BSI sagte, “dass private Kommunikation niemanden – außer die Kommunikationspartner/-innen – etwas angeht”. Der technische Bericht befasst sich vor allem mit der grundlegenden Funktionsweise der Kommunikationsdienste, deren Sicherheitseigenschaften sowie anfallenden Metadaten. Als interessanter Ansatz ist dabei auch der Versuch zu sehen, die

Im neuen Zwischenbericht des BSI und des Bundeskartellamts werden vor allem die technischen Aspekte der modernen Kommunikationsplattformen beleuchtet. Dazu zählen neben Messengern auch Videospiel-Chats und -Plattformen. Foto: BS/Tianay1223, pixabay

Messenger untereinander kombinierbar, also interoperabel zu gestalten. Die Herausforderung dabei sei es, die hohen Sicher-

heitsstandards nicht aus den Augen zu lassen, betont Schönbohm. Das Papier beschäftigt sich dabei vor allem mit den

populärsten Kommunikationsmitteln: “Wir schauen uns als Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes vor allem die IT-Produkte an, die die Menschen intensiv nutzen. Mit diesem Paper tragen wir dazu bei, die technischen Grundlagen sicherer MessengerKommunikation sichtbar zu machen”, erklärte der BSI-Präsident. Im Abschlussbericht der beiden Bundesbehörden werden dann auch Informationen präsentiert, die sich mit der IT-Sicherheit der einzelnen Messenger-Dienste befassen. Zielgruppe dieser Thematik sind vor allem Verbraucher/ -innen, die sich bisher wenig mit technischen Details rund um das Thema Messenger-Dienste befasst haben.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Dezember 2021

Polizei wird oftmals alleingelassen Strukturelle Probleme bei Glücksspielkontrollen

Ohne Zulassung Abhilfe schaffen könnte die Zertifizierung und Akkreditierung von Spielhallen, ist der Sprecher des Vorstandes der Deutschen Automatenwirtschaft, Georg Stecker, überzeugt. Denn insbesondere kleine Kommunen stießen bislang schnell an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Zudem meint er: “Durch verfehlte Regulierung werden die Menschen geradezu in illegale Angebote gedrängt.” Zumal in einigen Großstädten kaum noch legale Anbieter vor-

Bei der Kontrolle von Geldspielgeräten ist noch viel Verbesserungsbedarf. Dies gilt insbesondere im Kampf gegen illegale Angebote. Hier braucht es künftig mehr Verbundeinsätze aller beteiligten Behörde. Fotos: BS/©abr68, stock.adobe.com; ©Belish, stock.adobe.com

handen seien. Dieses Abdriften in die Illegalität, zu dem auch die erhebliche Zunahme von “Fungames” gehört, erschwert aber nicht nur den Ordnungsämtern die Arbeit, sondern auch der Polizei. Denn illegale Geldspielgeräte aus dem Bereich der “Fungames” sind immer strafrechtlich relevant. So

haben allein die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des zuständigen Kommissariats beim Landeskriminalamt (LKA) Berlin in diesem Jahr schon fast 200 derartige Geräte sichergestellt. Von dort heißt es, dass die “Fungames” derzeit das Hauptbetätigungsfeld des illegalen Glücksspiels

seien. Denn die Geräte, die weder über eine Zulassung noch eine Auszahlungsfunktion verfügen, sind für die entsprechende Klientel äußerst lukrativ. Schließlich gibt es hier keine stündlichen Gewinn- und Verlustlimits und keine zeitlichen Spielbeschränkungen, wie sie bei regulären

Kommentar

Wiesbaden beschreitet nicht den richtigen Weg (BS) In Hessen soll die Präsidentin oder der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) künftig politischer Beamter sein. Das sieht eine entsprechende beamtenrechtliche Novelle vor. Dieser deutschlandweit bislang einmalige Ansatz ist falsch. Eine zentrale Steuerungsfunktion genügt nicht für eine Stellenbesetzung mit einem politischen Beamten, auch wenn der Schritt offiziell so begründet wird und die Änderung erst für den kommenden und nicht für den aktuellen LKA-Chef gilt. Der Alleingang der Wiesbadener Landesregierung ist weder fachlich zu begründen noch nachvollziehbar. Denn die Inhaberin beziehungsweise der Inhaber dieses Postens muss sein

Handeln ausschließlich an der fachlichen Fortentwicklung der Kriminalitätsbekämpfung orientieren. Politische Treue zur Landesführung darf auf dieser Ebene keine Rolle spielen. Polizeipräsidentinnen und -präsidenten, zu denen im Grunde auch der LKA-Chef zählt, müssen in erster Linie dem Gesetz, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sein. Hier reicht ei-

ne Stellenbesetzung mit Laufbahnbeamten völlig aus. Hinzu kommt, dass politische Beamte, die jederzeit und ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe eine Ausnahme darstellen sollen. Sie sollen demnach nur Ämter besetzen, bei denen es auf ein besonderes Vertrauen der Staatsführung

in den Amtsinhaber ankommt. Das ist bei LKA-Präsidenten und -Direktoren – anders etwa als bei Landespolizeipräsidenten – nicht der Fall. Mit Ausnahme Hessens, wo sogar alle Polizeipräsidenten politische Beamte sind, haben das alle Landesregierungen erkannt. Die Reform des hessischen Dienstrechtsänderungsgesetzes muss dringend zurückgenommen werden. Marco Feldmann

@fire klassifiziert

Geldspielgeräten Standard sind. Das ist möglich, da die illegalen Geräte über eine gehackte Original-Software betrieben werden. Gewinne können in bar erhalten werden, weil die Automaten über einen Schlüsselschalter verfügen. Hierüber kann das Aufsichtspersonal Gewinne auszahlen und den Punktestand anschließend wieder auf null stellen. Dies erschwert den Behörden die Nachvollziehbarkeit erheblich. Hinzu kommt, dass aus Sicht legaler Spielanbieter die zur Verfügung stehenden Strafrahmen nicht genügend ausgereizt werden und es viele verschiedene Zuständigkeiten von Polizei, Zoll, Steuerfahndung und Ordnungsämtern gibt.

(BS/bk) Die Vereinten Nationen (UN) klassifizierten die deutsche Hilfsorganisation @fire als weltweit erstes internationales Such- und Rettungsteam – Urban Search and Rescue (USAR) – der Kategorie “Light”. Dazu durchlief das aus 20 Personen bestehende Rettungsteam die mehrtätige Übung “NSIEME 21” der International Search and Rescue Advisory Group (INSARAG) der UN in der Schweiz. Dabei wurde ein Rettungseinsatz nach einem Erdbeben simuliert. Über 30 Prüferinnen und Prüfer aus 23 Ländern bewerteten bei der Übung das Team nach den Richtlinien der International Search and Rescue Advisory Group. Ein USAR-Light-Team, bestehend aus mindestens 17 Einsatzkräften, muss über die Fähigkeit verfügen, einen Such- und Rettungseinsatz über fünf Tage mit je zwölf Stunden durchzuführen.

Zoll nur noch punktuell beteiligt

NATO 2030

Das wird von den illegalen Anbietern noch zu oft ausgenutzt. In einigen Großstädten gibt es Verbundeinsätze. Dies gilt unter anderem für Berlin, wo solche Aktionen bereits seit 2008 stattfinden. Hier führen dann Vertreter von Polizei, Steuerbehörden, Ordnungsämtern und Zoll gemeinsame Aktionen durch. Ähnliches gibt es in Bonn sowie im Rhein-Sieg-Kreis. In der Bundeshauptstadt nehme der Zoll jedoch inzwischen nur noch punktuell an derartigen Verbundeinsätzen teil, ist zu hören. Außerdem ändern solche Razzien nichts daran, dass die Polizeien bei der strafrechtlichen Verfolgung von illegalem Glücksspiel kaum noch hinterherkommen. Denn sie sind immer dann originär zuständig, sofern Hinweise auf unerlaubtes Glücksspiel vorliegen. An einem führt daher kein Weg mehr vorbei: Es braucht mehr Kompetenz und geschultes Personal aufseiten der kommunalen Ordnungsämter.

(BS/df) Von 2010 stammt das letzte strategische Konzept der NATO, damals noch unter der Prämisse, dass sich der euro-atlantische Raum im Frieden ausrichte. “Aber heute können wir unseren Frieden und unsere Sicherheit nicht mehr als selbstverständlich betrachten”, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. “Das russische Regime ist im Ausland aggressiv und im Inland repressiv. Seine militärische Aufrüstung an den Grenzen der Ukraine gibt Anlass zur Sorge. Unterdessen nutzt die Kommunistische Partei Chinas ihre wirtschaftliche und militärische Macht, um andere Länder unter Druck zu setzen und ihre eigene Bevölkerung zu kontrollieren. Sie weitet ihre globale Präsenz von Afrika bis zur Arktis, im Weltraum und im Cyber Space aus.” Um diesen und weiteren Herausforderungen, vom Klimawandel bis zum Terrorismus, zu begegnen, erarbeite die NATO aktuell ein neues strategisches Konzept, das auf dem NATO-Gipfel im Juni 2022 verabschiedet werden soll.

(BS/Marco Feldmann) Während staatlich konzessionierte, legale Spielhallen aufgrund rigiderer Gesetzgebung schließen müssen, sprießen illegale Angebote wie Pilze aus dem Boden. Und das bei Weitem nicht nur in Großstädten. Insbesondere sogenannte “Fungames” nehmen exorbitant zu. Außerdem verlagern sie sich immer öfter in Hinterzimmer und PseudoCafés. Dies erschwert die Verfolgung und Ahndung erheblich. Zumal die kommunalen Ordnungsämter oftmals nicht über das Personal und das notwendige Fachwissen verfügen. Dabei sind auch die Kommunen gehalten, illegales Glücksspiel zu unterbinden. Dies gelinge aufgrund der erwähnten Mängel jedoch nur in eindeutigen Fällen, berichtet der Leiter des Ordnungsamtes der nordrheinwestfälischen Stadt Langenfeld, Christian Benzrath. Ebenfalls strukturelle Probleme bei der Kontrolle von Glücksspielen durch Ordnungsämter sieht Jürgen Trümper, Geschäftsführer des Arbeitskreises gegen Spielsucht.

KNAPP

25. Europäischer Polizeikongress Jubiläumskongress 11.—12. Mai 2022 Neuer Veranstaltungsort 2022:

Foto (links): © Sliver, stock.adobe.com

hub27 Berlin

www.europaeischer-polizeikongress.de

Eine Veranstaltung des


Innere Sicherheit

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Mehr Befugnisse verlangt

S

o plädiert Jäger für die Aufnahme der Möglichkeit zur QuellenTelekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), zur automatisierten Kennzeichenerfassung sowie zur Online-Durchsuchung. Zudem verlangt er einen wirksamen präventiven Schutz des Schutzgutes Leben und eine bessere Normenklarheit der rechtlichen Bestimmungen. Kritisch sieht er allgemein die fehlende Harmonisierung der unterschiedlichen Polizeigesetze der Bundesländer in Deutschland. Auch Landesinnenministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU) bedauert, dass nicht alle in den ersten Referenten- und Gesetzentwürfen geplanten neuen Befugnisse für die Polizei tatsächlich Wirksamkeit erlangten. Das gelte etwa für den Einsatz von Bodycams, der in geschlossenen Räumen weiterhin nicht statthaft ist. Erlaubt ist die Verwendung der Körperkameras in Schleswig-Holstein weiterhin nur bei Einsätzen unter freiem Himmel. Das stelle sie nicht völlig zufrieden, so die Christdemokratin. Denn Polizistinnen und Polizisten seien das “Rückgrat der demokratischen Ordnung” sowie “ein wesentliches Fundament des Rechtsstaates”. Aus diesem Grunde verurteilte sie Angriffe auf die Beamten als “verachtenswert”. Möglicherweise hilft hier ein geplantes Pilotprojekt zur Erprobung von Distanzelek­ troimpulsgeräten (DEIGs). Definitiv die Arbeit erleichtern können dienstliche Smart­phones. Sie werden von der Landespolizei in Schleswig-Holstein laut Sütterlin-Waack seit 2019 sukzessive ausgegeben. Mehr als 1.000 der Geräte seien bereits im Einsatz. Sie

Torsten Jäger, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in SchleswigHolstein, wünscht sich noch mehr Rechte für seine Kolleginnen und Kollegen.

B

ehörden Spiegel: Frau Ministerin, wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus? Dr. Sabine Sütterlin-Waack: Wir haben schon eine ganze Menge an Inhalten aus dem Koalitionsvertrag erfüllt. So konnten wir die Zahl der Stellen bei der schleswig-holsteinischen Landespolizei seit 2015 um mehr als 700 und damit deutlich erhöhen. Das ist ein ordentlicher Zuwachs. Außerdem wurden die Einstiegsgehälter bei der Polizei sowie die Erschwerniszulage erhöht und das Polizeirecht angepasst. Behörden Spiegel: Was haben Sie noch erreicht?

Sütterlin-Waack: Des Weiteren haben wir die Schutzausrüstung der Beamtinnen und Beamten verbessert. Das war mir sehr wichtig. Außerdem haben wir das Kriminaltechnische Institut und ein Zentrum für digitale Spuren gegründet. Und pro Jahr werden im Rahmen eines dualen Studiums fünf hochqualifizierte IT-Nachwuchskräfte für die polizeiliche Einsatz- und Ermittlungsunterstützung ausgebildet. Nachholbedarf besteht noch, auch wenn wir hier schon einiges erreicht haben, mit Blick auf einige von der Polizei genutzte Gebäude und deren Zustand. Behörden Spiegel: Was steht bis zu den Landtagswahlen im

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Polizeirecht in Schleswig-Holstein sollte nochmals angepasst werden (BS/Marco Feldmann) Im hohen Norden wurde das Polizeirecht in Form einer Novelle des Landesverwaltungsgesetzes erst kürzlich reformiert. Allerdings konnten aufgrund von Widerständen in einzelnen Regierungsparteien der Jamaika-Koalition nicht alle ursprünglich vorgesehenen neuen Rechte für die Beamtinnen und Beamten im verabschiedeten Gesetz untergebracht werden. Das kritisiert auch der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Torsten Jäger. Und er stellt Forderungen an die Politik. seien sehr hilfreich für den polizeilichen Alltag, so die CDU-Politikerin. Denn sie ermöglichten das mobile Arbeiten am Einsatzort. Zudem würden mithilfe der Smartphones Fehl- und Doppelerfassungen vermieden. Für die Zukunft kündigte die Ressortchefin auf dem Kieler Polizeitag des Behörden Spiegel den Einsatz von 3D-Brillen in der polizeilichen Aus- und Fortbildung an. Ebenfalls geplant seien die Nutzung von Drohnen zur Lageerkundung und -feststellung sowie der vermehrte Rückgriff auf Möglichkeiten des Arbeitens im HomeOffice, unterstrich Sütterlin-Waack.

Wirtschaft kann Behörden unterstützen

Diskutierten über das Landesverwaltungsgesetz in Schleswig-Holstein und eventuellen Reformbedarf in der Rechtsvorschrift (v.l.n.r.): Burkhard Peters, Tim Brockmann, Uwe Proll (Moderator), Thomas Rother, Torsten Jäger und Jan Marcus Rossa. Fotos: BS/Feldmann

Nachbesserungen ­wünschenswert Ebenfalls Kritik am angepassten Landesverwaltungsgesetz übte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende, Sven Neumann. Er hätte sich Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung sowie zur maximal möglichen Dauer eines Polizeigewahrsams gewünscht. Zudem seien die Schleierfahndung unzureichend geregelt und der Datenaustausch mit Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Bund und Ländern erschwert. Darüber hinaus sollten aus seiner Sicht die Regelungen zur Fesselung von Personen im Landesverwaltungsgesetz geschärft werden, um für mehr Rechtssicherheit der Beamten zu sorgen. Für verbesserungsbedürftig hält Neumann außerdem die Bestimmungen zur Datenübermittlung zwischen Landespolizei und anderen nichtstaatlichen Organisationen, wie zum Beispiel Frauenhäusern. Als begrüßenswert erachtet der Gewerkschafter, dass das neue Landesverwaltungsgesetz nunmehr den finalen Rettungsschuss sowie den Einsatz von Bodycams und DEIGs regelt. Gleiches gelte unter anderem für die Untersuchung von Personen, den Einsatz verdeckter Ermittler, die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die erleichterte Anlage von Kriminalakten und die Sicherstellung

von Sachen zur Eigensicherung.

Landespolitik uneins Im politischen Raum gehen die Meinungen über die Notwendigkeit einer erneuten Reform des Landesverwaltungsgesetzes derweil auseinander. Während der Sprecher für Innen, Recht, Migration, Medien, Wohnungsbau und Religion der FDP-Fraktion im Kieler Landtag, Jan Marcus Rossa, mit der aktuellen Rechtslage zufrieden ist und den Nichteinsatz von Bodycams in Wohnräumen verteidigt, verschließen sich Vertreter der CDU und der SPD Veränderungen nicht. Denn die jüngste Novelle sei ein Kompromiss gewesen, gesteht der Innenpolitische Sprecher der christdemokratischen Fraktion, Tim Brockmann, ein. Aus der Sicht des Innenpolitischen Sprechers der Sozialdemokraten im schleswig-holsteinischen Landtag, Thomas Rother, wäre es sinnvoll, das Polizeirecht in Zukunft aus dem Landesverwaltungsgesetz herauszulösen. Er räumt jedoch ein, dass dies schwierig werden dürfte. Burkhard Peters, Innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, wiederum erwartet von Polizisten Flexibilität bei länderübergreifenden Einsätzen sowie ein schnelles

Einarbeiten in die jeweils geltenden rechtlichen Grundlagen. Zudem warnt er vor einer Privatisierung der Kriminalitätsverfolgung und -bekämpfung, die größtenteils mithilfe des Strafgesetzbuches (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) erfolge. Im Landesverwaltungsgesetz hingegen werde eher die Gefahrenabwehr geregelt. Deshalb brauche es dort auch gewisse Anforderungen für den Datenaustausch und -abgleich, gibt Rossa zu bedenken. Er meint zwar auch, dass Kriminalitätsverfolgung nicht gänzlich in private Hände gegeben werden dürfe. In einer Übergangsphase werde es aber aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mischmodell brauchen, so der Freidemokrat.

Harmonisierung der ­Rechtsgrundlagen sinnvoll Eine Harmonisierung des polizeilichen Eingriffsrechts zwischen den unterschiedlichen Bundesländern hält der Leiter des Polizeireviers Plön, Michael Martins, für entscheidend. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die Bestimmungen zum Schusswaffengebrauch durch Vollzugskräfte und für das Versammlungsrecht. Der Polizeibeamte, der auch Hochschuldozent ist, meint: “Uneinheitlich gestaltete Befug-

nisnormen haben unmittelbare Auswirkungen auf die taktischen Rahmenbedingungen der Polizei.” Außerdem führten sie “zu unterschiedlichen Sicherheitsstandards und überflüssigen Belastungen für Grundrechtsträger und Einsatzkräfte”. Deshalb fordert Martins: “Wir benötigen zumindest weitgehend bundeseinheitliche Rechtsnormen, die im Lichte des verfassten Übermaßverbots differenziert und unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten angewendet werden können.” Dass es dazu kommt, ist inzwischen jedoch unwahrscheinlich. Denn: Das Projekt eines Musterpolizeigesetzes wird in der Innenministerkonferenz (IMK) nicht weiterverfolgt. Dies kritisiert auch der GdP-Landesvorsitzende Jäger.

Studiengänge nicht e­ inheitlich Auch in Bezug auf das Polizeistudium ist die Lage in Deutschland sehr divers. Laut Michael Kock, stellvertretender Präsident der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in SchleswigHolstein, gibt es in diesem Bereich derzeit bei Bund und Ländern 19 unterschiedliche Träger mit 37 Standorten und 28 Studiengängen. Dabei würden mehrere verschie-

Schon viel für die Polizei erreicht Schleswig-Holsteins Innenministerin zieht Bilanz (BS) Sie war lange die einzige Innenministerin in Deutschland: Dr. Sabine Sütterlin-Waack ist Ressortchefin im hohen Norden. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel blickt die schleswig-holsteinische Innenministerin auf die im Mai kommenden Jahres ablaufende Legislaturperiode zurück. Aus Sicht der CDU-Politikerin wurden zahlreiche Punkte des Koalitionsvertrages realisiert, auch wenn sie sich teilweise weiter gehende Regelungen gewünscht hätte. Das Gespräch führte Marco Feldmann. Mai kommenden Jahres noch auf Ihrer Agenda?

“Der gesellschaftliche Umgang mit Polizistinnen und Polizisten und ­Rettungskräften muss sich dringend verbessern.”

Sütterlin-Waack: Die von uns angestoßenen und gerade erwähnten Reformen und Veränderungen müssen bis dahin noch besser in der Fläche, bei den Beamtinnen und Beamten, ankommen.

Behörden Spiegel: Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf die Landespolizei?

Sütterlin-Waack: Schleswig-Holstein ist stark vom Tourismus geprägt. Während der Corona-Pandemie war unsere Landespolizei deshalb stark dabei gefordert, die entsprechenden Vorschriften zur Eindämmung des Virus durchzusetzen. Das galt vor allem für die touristischen Hotspots an den Küsten. In diesem Zusammenhang ist die Landespolizei von den lokalen Ordnungsämtern regelmäßig um Amtshilfe gebeten worden.

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU) ist seit dem vergangenen Jahr schleswig-holsteinische Ministerin für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung. Zuvor war sie in dem Bundesland Justizministerin. In der Vergangenheit war Sütterlin-Waack auch Mitglied des Deutschen Bundestages. Foto: BS/Feldmann

Behörden Spiegel: Hätte man bei einer anderen Farbkonstellation der Koalition noch mehr erreichen können? Sütterlin-Waack: Ja, das ist durchaus möglich. Vielleicht wäre dann auch der Einsatz von Bodycams in Wohnräumen oder die Möglichkeit zur Online-Durchsuchung durchsetzbar gewesen. Allerdings glaube ich, dass wir insgesamt als Landesregierung gerade im Polizeibereich sehr viel erreicht und die Arbeitsbedingungen spürbar verbessert haben. Wir arbeiten mit unseren Koalitionspartnern äußerst vertrauensvoll zusammen. Dabei sind die Verhandlungen immer sachorientiert und nicht ideolo-

dene Ansätze verfolgt, so Kock. Dies zeige sich unter anderem darin, dass es neben den BachelorStudiengängen auch immer noch drei Diplomabschlüsse gebe. Trotz unterschiedlicher Organisation, Struktur und Anbindung existiere aber eine hohe fachinhaltliche Kongruenz für die momentan etwa 18.000 Anwärterinnen und Anwärter im polizeilichen Vorbereitungsdienst.

giegetrieben. Behörden Spiegel: Sie waren längere Zeit die einzige Innenministerin Deutschlands. Jüngst ist nun auch in Sachsen-Anhalt eine Ressortchefin ernannt worden. Ist Innenpolitik dennoch weiterhin eine Männerdomäne? Sütterlin-Waack: Innere und Äußere Sicherheit waren bis jetzt in der Tat meist Männerthemen. Weshalb das so ist, kann ich

aber auch nicht genau erklären. Ich glaube aber schon, dass Frauen besser als Männer dazu in der Lage sind, Themen miteinander zu verknüpfen. Das gilt etwa für die Verbindung der Themen Innere Sicherheit, Integration, Gleichstellung und Gewaltschutz. Die Zusammenarbeit mit meinen Ressortkollegen aus den anderen Bundesländern habe ich aber immer als sehr sachorientiert und freundlich empfunden.

Behörden Spiegel: Sie haben die Anerkennung von Corona-Infektionen als Dienstunfall bei der Landespolizei erleichtert. Können Sie das bitte erläutern.

Die Corona-Pandemie habe allerdings auch auf das polizeiliche Studium erhebliche Auswirkungen gehabt. So seien vielerorts bewährte und bekannte Kommunikationsund Erlebnisstrukturen zusammengebrochen. Außerdem habe es eine eingeschränkte Autonomie und Steuerungsmöglichkeit sowie Besorgnis und ein mehrdimensionales Angstempfinden gegeben, berichtete Kock. Während der Pandemie sei es insbesondere darum gegangen, den Studien- und Prüfungsbetrieb mit einer Bindung an feste Zeitabläufe aufrechtzuerhalten. Und das bei fehlender Kompatibilität der Einflussgrößen. Zudem hätten neue Lehr- und Lernkonzepte mit einer passenden Hard- und Softwareumgebung installiert werden müssen. Denn Technologien werden für die Polizeiarbeit immer wichtiger. Das unterstrich auch der Geschäftsführer von Magnet Forensics, Peter Warnke. Er erläuterte Auswertemöglichkeiten digitaler Spuren für Ermittlerinnen und Ermittler. Der Massendatenanalyse verschiedener digitaler Datenquellen widmete sich Jochem van der Zee, Sales Manager Prime Accounts EMEA bei der Cellebrite GmbH. Der Geschäftsführer von itWatch, Ramon Mörl, ging auf die Annahme, Aufbereitung und Standardisierung von Daten aus unsicheren Quellen ein. Die Arbeitserleichterung für die Beamten durch die SINA Workstation S (VS-NfD) beschrieb Uwe-Andreas Demsky, Senior Key Account Manager bei der secunet Security Networks AG. Dem analogen Schutz der Polizisten widmeten sich Thomas Poandl, Regional Sales Manager Protection, Marketing und PR bei der Ulbrichts GmbH, sowie Adrian Jochum von der KRD Sicherheitstechnik GmbH.

Sütterlin-Waack: Wir haben sehr schnell nach Ausbruch der Pandemie einen Fürsorgeleitfaden für die Landespolizei entwickelt. Darin haben wir ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass wir niemanden mit einer eventuellen Infektion alleine lassen. Deshalb schauen wir uns jeden Fall sehr genau an, in dem ein Beamter meint, sich im Dienst mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Das bedeutet zwar keine Beweislastumkehr. Allerdings ist unsere Anerkennungsquote als Dienstunfall sehr hoch. Wir lehnen die Anerkennung wirklich nur ab, wenn etwas ganz eklatant dagegenspricht, dass eine Infektion im Dienst erfolgte. Wir gehen hier sehr verantwortungsbewusst vor. Behörden Spiegel: Braucht es aus Ihrer Sicht weitere Strafverschärfungen bei Angriffen auf Polizisten? Sütterlin-Waack: Der gesellschaftliche Umgang mit Polizistinnen und Polizisten und Rettungskräften muss sich dringend verbessern. Ich glaube aber nicht, dass Gesetzes- und Strafverschärfungen hier noch etwas bringen. Denn die letzte Strafverschärfung liegt erst einige Jahre zurück. Das ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier muss sich das allgemeine Klima verändern.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Dezember 2021

B

ehörden Spiegel: Frau Dr. Zieschang, die Übernahme des Postens der Innenministerin Sachsen-Anhalts ist eine Rückkehr für Sie. Schließlich waren Sie hier bereits einmal Staatssekretärin. Was empfinden Sie und hilft Ihnen diese “Hauskenntnis” im neuen Amt weiter? Dr. Tamara Zieschang: Die “Hauskenntnis” erleichtert den Einstieg natürlich enorm. Ich bin auch ganz bewusst und sehr gerne wieder ins sachsenanhaltische Innenministerium zurückgekommen. Denn die dreieinhalb Jahre, in denen ich hier Staatssekretärin war, hatte ich in sehr guter Erinnerung. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn ja schon einige Ministerien auf Bundesund Landesebene kennenlernen dürfen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Magdeburger Innenministeriums haben sich dabei immer durch eine hohe fachliche Expertise, hohe Einsatzbereitschaft und großen Teamgeist ausgezeichnet. Behörden Spiegel: Welche Punkte und Vorhaben stehen auf Ihrer Agenda als neue sachsenanhaltische Innenministerin ganz oben?

Zieschang: Wir wollen die Landespolizei präsent, modern und leistungsstark gestalten. Dazu müssen wir die in der vergangenen Legislaturperiode begonnene Polizeistrukturreform vollenden. Bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode soll die Landespolizei Sachsen-Anhalt dann mindestens 7.000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte haben. Ende dieses Jahres werden wir etwa 6.200 Polizeivollzugsbeamte im Land haben. Behörden Spiegel: Wie gestaltet sich denn die Bewerberlage bei der sachsen-anhaltischen Polizei? Zieschang: Die Bewerberlage ist wirklich stabil und gut. Hier zeigt sich, dass der Polizeiberuf

Landespolizei weiterentwickeln Sachsen-Anhalts Innenministerin Dr. Tamara Zieschang über ihre Ziele (BS) Sie kennt das Haus, dessen Leitung sie nunmehr übernommen hat, bereits aus anderer Verwendung. Denn Dr. Tamara Zieschang (CDU) war in der Vergangenheit bereits einmal Staatssekretärin im Magdeburger Innenministerium. Nun steht sie an der Spitze des Ressorts. Was sie sich vorgenommen hat, erläutert die Christdemokratin im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Das Interview führten Marco Feldmann und Uwe Proll.

“Bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode soll die Landespolizei Sachsen-Anhalt dann mindestens 7.000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte haben.” Dr. Tamara Zieschang (CDU) ist seit Mitte September Ministerin für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt. Zuvor war sie in diesem Hause auch schon Staatssekretärin. Zuletzt war Zieschang als beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur tätig. Foto: BS/Laurence Chaperon

weiterhin sehr attraktiv ist. Um die erwähnte Zielmarke von mindestens 7.000 Polizeivollzugsbeamten bis zum Ende der Legislaturperiode zu erreichen, streben wir nun die jährliche Einstellung von mindestens 400 Anwärterinnen und Anwärtern an. Wir haben so viele Bewerbungen, dass wir weiterhin eine Auswahl treffen können. Behörden Spiegel: Kam für Sie also nie eine Absenkung der Eingangsvoraussetzungen infrage? Zieschang: Seit dem Beginn unserer Einstellungsoffensive im Jahr 2016 haben wir nie an den Qualitätsanforderungen gerüttelt. Das werden wir auch in Zukunft nicht tun. Vielmehr ergänzen wir die Bedingungen um einen weiteren Punkt. Bis Ende dieses Jahres wollen wir die Regelabfrage beim Verfassungsschutz für alle Polizeianwärterinnen und -anwärter

vor der endgültigen Einstellung einführen. Denn Qualität geht vor Quantität. Behörden Spiegel: Wie steht es um die Diversität Ihrer Landespolizei? Zieschang: Ob ein Polizeianwärter oder eine Polizeianwärterin einen Migrationshintergrund hat oder nicht, wird nur durch eine freiwillige Befragung erfasst. Deshalb gibt es hier keine repräsentativen Zahlen. Solche existieren aber mit Blick auf das Geschlechterverhältnis. So gibt es in der Polizei Sachsen-Anhalt rund 4.500 männliche und etwa 1.700 weibliche Vollzugsbeamte. Das entspricht 28 Prozent Frauenanteil. Zum Vergleich: 2010 lagen wir noch bei einem Anteil von 16 Prozent. Hier gab es einen deutlichen Anstieg. Das freut mich sehr. Behörden Spiegel: Und wie sieht es bei Frauen in Führungspositionen aus?

Von der virtuellen Realität in die Einsatzrealität Neue Technologien für die Polizei (BS/bk) Vom Multifunktionstool Smartphone über Drohnen bis hin zu Virtual Reality (VR)-Brillen in der Ausbildung: Die Liste von unterstützenden Technologien in der Polizeiarbeit ist lang. Doch nicht immer kommt der neueste Stand der Technik beim Anwender an. Die Immersion soll in Zukunft perfekt werden. Von einem auf den anderen Moment muss die Polizistin beziehungsweise der Polizist eine Geisel aus den Händen von Terroristen befreien. Sie müssen schnell reagieren und das Gelernte in einer virtuellen Realität anwenden. Die Rede ist von VR bei der Ausbildung und dem Training von Polizeibeamtinnen und -beamten. Dabei soll die Simulation mittels Datenbrille so realitätsnah wie möglich durchgeführt werden, sodass ein Trainingseffekt erzielt wird, der sich durch einfache Planspiele oder Übungen am Schießstand nicht realisieren lässt. Jonas Zinnäcker vom Innovation Hub 110 der Polizei Hessen hat große Hoffnungen in die Technologie. Das Konzept der Simulation und der Wiederholung von Handlungsabläufen ist schon lange bekannt und auch nicht neu, dennoch lassen sich mittels VR bei der Ausbildung viel mehr Informationen generieren, wie Verhalten oder Stress. Es passiere momentan viel in diesem Bereich. Anderes sei momentan noch im Aufbau, so Zinnäcker. Neben dem Training gebe es viele Einsatzmöglichkeiten von VR, wie Nachwuchsgewinnung, Auswahlverfahren, Tatortbegehung oder Einsatzvorbereitung. Zinnäcker animiert andere Landespolizeien, sich bei dieser Entwicklung miteinzubringen. Dies ist natürlich nur ein besonderes Beispiel von

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neuen Technologien für die Polizei. Die Digitalisierung der Einsatzmittel und der Arbeitsabläufe der polizeilichen Gefahrenabwehr umfasst Drohnen, Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI), Infotainmentsysteme in Fahrzeugen und Smartphones mit polizeispezifischen Anwendungen. Doch es muss über die reinen Anwendungen hinausgedacht werden, fordert Sven Müller vom Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei Baden-Württemberg). Denn in Deutschland seien zum Beispiel beim Mobile Policing weniger Anwendungen das Problem, sondern eher die Infrastruktur. “Wir müssen die Silos verlassen und in einem Ökosystem denken”, sagt Müller. Da jede Landespolizei ihre eigene Dateninfrastruktur mit eigenen Standards aufbaue, sei die Landschaft dabei sehr heterogen. Diese Infrastrukturen müssen standardisiert werden, um besser zusammenarbeiten zu können, fordert Müller. Polizeiarbeit muss zudem neugedacht werden. Dies bedeutet, dass man sich von alten Abläufen lösen und neue Wege beschreiten muss. Als Beispiel nennt Müller die Aufnahme von Zeugenaussagen bei Verkehrsunfällen. Bisher müssten diese immer in schriftlicher Form vorliegen, dabei sei eine digitale Form für Beamten und Zeugen praktikabler. Grundlage der Digitalisierung seien digitale Ge-

schäftsprozesse und nicht nur Technik. Da sich das digitale Umfeld und die IT schneller als der Rechtsrahmen verändern, müssen aber in Zukunft wichtige Entscheidungen getroffen werden. So müsse bei digitalen Lösungen immer zwischen Sicherheit und Nutzerumfang abgewogen werden. Man könne nicht beides in perfektem Umfang haben. Dabei müsse man sich von Sicherheitsaspekten lösen, ohne diese aufzugeben, meint Müller. Doch bei dieser der Verwaltung fremden Auffassung, keine zu 100 Prozent sichere Lösung zu haben, geht er noch einen Schritt weiter. Bei der Herkulesaufgabe der Digitalisierung sei eine gesunde Fehlerkultur in Behörden eine Kernkompetenz. “Wir müssen auch scheitern dürfen”, insistiert Müller. Wie wichtig eine agile Digitalisierung für die Polizeiarbeit ist, macht Norbert Rademacher, Inspekteur der Bayerischen Polizei, klar. Die rapide ansteigende Datenmenge lasse sich händisch nicht mehr bewältigen. Die Anpassung des Staates hinke momentan den allgemeinen Entwicklungen immer noch hinterher. “Sicherheitsarbeit ist niemals statisch. Die Polizei ist deshalb auf verlässliche Partner aus der Wirtschaft angewiesen, um Schritt halten zu können”, betont Rademacher.

Zieschang: In meinem Ministerium sind von vier Abteilungsleiterstellen drei von Frauen besetzt – und das hatten wir schon, bevor ich Ministerin wurde. Auch innerhalb der Landespolizei nehmen immer mehr Frauen Führungspositionen wahr – und zwar auch im Vollzugsbereich. In der Polizeiverwaltung sind sie bereits deutlich stärker vertreten. Von 46 besetzten gehobenen Führungspositionen im Polizeivollzug werden bislang sechs von Frauen besetzt. In der Polizeiverwaltung sind 13 von 21 Führungskräften Frauen. Aus meiner Sicht sind wir hier auf einem guten Weg zu gemischten Teams. Behörden Spiegel: Es ging jetzt vor allem um Personal. Was planen Sie noch? Zieschang: Zu einer modernen und leistungsstarken Polizei zählt nicht nur die Verjüngung und der personelle Aufwuchs, sondern auch die technische Ausstattung. Hier haben wir uns für diese Legislaturperiode eine Digitalisierungsoffensive vorgenommen. Dazu gehört unter anderem, dass bis Ende 2023 alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamten mit einem dienstlichen Smartphone ausgestattet sein sollen. Außerdem soll ein neues Vorgangsbearbeitungssystem eingeführt werden, das dann auch auf den Smartphones genutzt werden kann. Hier werden wir auf die Anwendung @rtus setzen. Auf den Geräten soll auch ein Messengerdienst nutzbar sein.

Behörden Spiegel: Im Bereich der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) gibt es eine Art “Ostverbund”. Wollen Sie diesen intensivieren oder gar für andere polizeiliche Phänomene ausbauen und ausweiten? Zieschang: Eine Ausweitung auf weitere Phänomenbereiche steht derzeit nicht zur Diskussion. Hier muss ein Schritt nach dem anderen gegangen werden. Der Probewirkbetrieb des Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums mit den Aufgaben, die wir uns als Gründungsintention vorgenommen haben, ist für das erste Halbjahr 2023 vorgesehen. Behörden Spiegel: Derzeit ist die Anerkennung von CoronaInfektionen als Dienstunfall ein großes Thema bei den Polizeien. Wie ist hier der Sachstand in Sachsen-Anhalt? Zieschang: Derzeit haben wir rund 50 Anträge zur Anerkennung von Corona-Infektionen als Dienstunfall bei der Landespolizei. Dabei wird jeweils eine Einzelfallprüfung vorgenommen, ob sich das allgemeine Infektionsrisiko realisiert hat – oder ob es sich um eine Infektion im Rahmen des Dienstes handelt. Für diese Fragen und das Beamtenrecht ist bei uns das Finanzministerium zuständig. Behörden Spiegel: Welche Schwerpunkte wollen Sie in der Innenministerkonferenz (IMK) setzen? Zieschang: Uns sind insbesondere die Zugangssituation im Bereich Asyl, vor allem an der Grenze zwischen Polen und Belarus, wichtig sowie die gemeinsame Lageeinschätzung von Bundesinnenministerium (BMI) und Auswärtigem Amt für Afghanistan und die Situation in den unmittelbaren Nachbarländern, in denen es Flüchtlingscamps für geflohene Afghanen gibt. Hier brauchen Länder und Kommunen dringend eine bessere Planungsgrundlage als die, die es momentan gibt. Behörden Spiegel: Auch das Programm “Polizei 2020” wird wieder Thema auf der IMK sein.

Sehen Sie hier noch genügend gemeinsamen Willen, um voranzukommen? Zieschang: Ich fand immer herausragend, dass die Innenminister, die immer auf eine hohe Eigenständigkeit pochen, gesagt haben: Wir begeben uns gemeinsam in dieses Programm “Polizei 2020”. In diesem Zusammenhang war auch nie die Rede davon, dass alle zwangsweise die gleichen Systeme nutzen. Behörden Spiegel: Worum geht es Ihrer Meinung nach denn vor allem bei “Polizei 2020”? Zieschang: Aus meiner Sicht geht es am Ende darum, dass die finanzstarken Bundesländer den finanzschwächeren in Polizeiangelegenheiten nicht völlig enteilen. Ein wesentliches Kernziel des Programms im Sinne der Saarbrücker Agenda ist die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch gemeinsame Entwicklungen von Anwendungen, die bisher zwanzig Mal hohe Kosten verursachten – für alle 16 Länder und mehrere Bundesbehörden. Dazu kommt, dass die Auflösung von landesspezifischen “Datensilos” und eine gemeinsame Plattform aller Teilnehmer die polizeiliche Zusammenarbeit verbessern. Das hilft bei grenzüberschreitenden Unterstützungseinsätzen und verhindert eine weitere Spreizung zwischen finanzstarken und finanzschwächeren Bundesländern. Behörden Spiegel: Sollten die Zuständigkeiten für IT- und Cyber-Sicherheit aus Ihrer Sicht beim Bund zentralisiert werden? Zieschang: IT-Sicherheit hat viel mit der Wachsamkeit jedes Einzelnen zu tun, damit Systeme nicht infiltriert werden. Das muss notwendig dezentral sein: durch breite Maßnahmen vor Ort und in die Fläche hinein sowie durch Schulungen. Bei uns in Sachsen-Anhalt ist, wenn es um das Landesdatennetz geht, übrigens nicht mein Haus, sondern das Ministerium für Infrastruktur und Digitales federführend für die Cyber-Sicherheit zuständig. Das gilt auch für die Cyber-Sicherheitsstrategie des Landes. Geplant ist allerdings, in jedem Ministerium einen Chief Digital Officer (CDO) einzurichten. Für die Bekämpfung von Cyber-Kriminalität ist eine starke Zusammenarbeit mit dem Bund, hier insbesondere mit dem Bundeskriminalamt (BKA), nur folgerichtig.


Innere Sicherheit

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udem sollen die Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage bei der Bundespolizei wieder eingeführt, Fachkarrieren gefördert und eine diversitätsorientierte Stellenbesetzungsoffensive gestartet werden. Darüber hinaus ist eine Ausweitung von Sicherheitsüberprüfungen bei Bewerberinnen und Bewerbern für Posten bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) vorgesehen. Gleiches gilt für Supervisionsangebote. Außerdem ist zwischen den Parteien vereinbart, dass die Aus- und Fortbildung bei der Bundespolizei weiterentwickelt wird. Hier soll ein noch stärkerer Fokus auf die Vermittlung von Grund- und Menschenrechten gelegt werden, um dem Zielbild einer bürgernahen sowie gut ausgestatteten und ausgebildeten Polizei entsprechen zu können.

Datenbanken erfahren Revision Ebenfalls weiterentwickelt werden soll das Programm “Polizei 20/20”. Die verschiedenen Datenbanken würden einer grundlegenden Revision unterzogen. Zudem verständigte man sich auf präzisere Datenverarbeitungsregelungen sowie auf eine Stärkung des Rechtsschutzes und der Datenaufsicht durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Auch soll die Bundespolizei stärker für unabhängige Forschung geöffnet werden. Geplant ist des Weiteren eine Intensivierung der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit. Das europäische Polizeiamt Europol in Den Haag soll zu einem europäischen Kriminalamt mit eigenen operativen Befugnissen weiterentwickelt werden. Mit Blick auf die europäische Staatsanwaltschaft ist ein finanzieller und personeller Ausbau geplant. Darüber hinaus wird der Periodische Sicherheitsbericht, dessen dritte Ausgabe kürzlich erschienen ist, gesetzlich verankert. Zudem wollen die Regierungsparteien die Aussagekraft der Daten der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) verbessern. In Zusammenarbeit mit den Ländern soll der “Pakt für den Rechtsstaat” verstetigt und um einen Digitalpakt für die Justiz erweitert werden. Anpassungen gemäß den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) erfährt derweil das externe ministerielle Einzelfallweisungs-

Zahlreiche Reformen vorgesehen Koalitionäre wollen einiges in der Inneren Sicherheit enger fassen (BS/Marco Feldmann) Die neuen Regierungspartner von Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen das Amt eines unabhängigen Polizeibeauftragten einrichten. Er oder sie soll wie der oder die Wehrbeauftragte ein Hilfsorgan des Deutschen Bundestages darstellen. Die Amtsinhaberin oder der Amtsinhaber soll über Akteneinsichts- und Zugangsrechte verfügen. Das sieht der Koalitionsvertrag vor. Dort ist auch die Einführung einer pseudonymen Kennzeichnung von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten vereinbart. recht gegenüber den Staatsanwaltschaften. Für den Vollzug eines europäischen Haftbefehls soll es künftig einer richterlichen Entscheidung bedürfen. Intensiviert werden soll nach dem Willen der wahrscheinlichen Koalitionäre der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK). Hier sollen mehr und bessere Strukturermittlungen, vermehrte Vermögensabschöpfungen sowie optimierte Strukturen bei der Geldwäschebekämpfung helfen. Zudem will man stärker gegen Menschenhandel vorgehen. Mit Blick auf die Clan-Kriminalität ist zunächst eine definitorische Klärung vorgesehen. Auf europäischer Ebene sollen die Definitionen des Begriffs Gefährder vereinheitlicht werden. Ebenfalls im Koalitionsvertrag verankert sind eine bessere Erfassung politisch motivierter Kriminalität sowie effektivere Möglichkeiten für Auskunftssperren im Melderegister. Dies soll vor allem bedrohten Personen zugutekommen. Im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Kinderpornografie soll das Bundeskriminalamt (BKA) personell gestärkt werden. Zudem ist eine Entlastung der Auswerterinnen und Auswerter mithilfe technischer Lösungen vorgesehen. Für private Sicherheitsdienste soll es unterdessen ein eigenständiges Gesetz geben.

Überwachungsgesamtrechnung bis spätestens 2023 Insgesamt verschreiben sich SPD, Grüne und Freidemokraten einer vorausschauenden, evidenzbasierten und grundrechtsorientierten Sicherheits- und Kriminalpolitik. Diese soll durch die Arbeit einer unabhängigen interdisziplinären Bundesakademie begleitet werden. Vorgesehen ist außerdem die Erstellung einer Überwachungsgesamtrechnung. Im Zuge dessen soll es eine unabhängige und wissenschaftliche Evaluation aller Sicherheitsgesetze bis spätestens 2023 geben. Hier wird die Handschrift von Grünen und FDP deutlich. Gleiches gilt für die vereinbar-

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist da. Er enthält unter anderem die Ankündigung der Schaffung eines unabhängigen Polizeibeauftragten. Foto: BS/Petra Bork, pixelio.de

te Schaffung eines unabhängigen Expertengremiums, dessen Mitglieder die Bundesregierung bei zukünftigen Sicherheitsgesetzgebungsvorhaben beraten soll. Des Weiteren sollen in der sogenannten Freiheitskommission Freiheitseinschränkungen evaluiert werden. Zum Thema Videoüberwachung heißt es im Koalitionsvertrag, dass sie Polizeipräsenz nicht ersetzen, aber ergänzen könne. Abgelehnt wird in dem Dokument die flächendeckende Nutzung derartiger Software sowie die biometrische Erfassung zum Zwecke der Überwachung. Bei der Vorratsdatenspeicherung soll künftig nur anlassbezogen und nach richterlichem Beschluss gespeichert werden. Darüber hinaus ist eine Novellierung des Bundespolizeigesetzes geplant. Sie war in der vergangenen Legislaturperiode am Widerstand des Bundesrates gescheitert. Allerdings soll das reformierte Gesetz keine Befugnisse zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder zur OnlineDurchsuchung enthalten. BOS sollen zur Täteridentifizierung künftig zwar die sogenannte Log­ in-Falle anwenden, nicht aber IT-Schwachstellen ausnutzen

dürfen. Die Arbeit der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) sowie das Handeln innerhalb des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) soll auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Einen Ausbau erfährt demnach die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. So wird das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages gestärkt. Außerdem werden Kontrolllücken geschlossen. Der Einsatz von Vertrauensleuten durch die Nachrichtendienste soll per Gesetz geregelt werden. Für Streitigkeiten bezüglich der Einstufung von Verschlusssachen wird eine unabhängige Kontroll­ instanz geschaffen. Im Bereich der Migration ist eine Entlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgesehen. Zügig vorgelegt werden soll ein Gesetzentwurf mit dem Ziel von schnelleren Asylentscheidungen und einheitlicherer Rechtsprechung. Die Widerrufsprüfung durch das BAMF soll in Zukunft wieder anlassbezogen stattfinden. Das Konzept der sogenannten AnkER-Zentren will die künftige Bundesregierung nicht weiterverfolgen.

Die Geldwäscheaufsicht von besonders finanzmarktnahen Verpflichteten soll derweil auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen übertragen werden. Genauere definitorische Details dazu enthält der Koalitionsvertrag jedoch nicht. Verdachtsmeldungen aus dem Nicht-Finanzsektor, etwa von Juwelieren und Gebrauchtwagenhändlern, sollen erleichtert werden. Außerdem ist hier eine Intensivierung des Vollzugs vorgesehen. Die bei der Generalzolldirektion (GZD) – der Zoll wird nur am Rande erwähnt (er soll moderner und digitaler werden) – angesiedelte “Financial Intelligence Unit (FIU) soll wieder Zugang zu mehr Datenbanken erhalten. Des Weiteren ist der Einsatz von Verbindungsbeamten aus den Landeskriminalämtern (LKÄen) vereinbart. Insgesamt soll der risikobasierte Ansatz der FIU verbessert werden. Und Verpflichtete sollen verstärkt Rückmeldungen zu von ihnen erstatteten Verdachtsmeldungen erhalten.

Gemischte Reaktionen Das gewerkschaftliche Echo auf den Koalitionsvertrag fällt unterdessen unterschiedlich aus. Andreas Roßkopf, Vorsitzender des Bezirks Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP), meint: “Die Ampel-Koalition hat viel auf den Weg gebracht. Wir begrüßen insbesondere die Einigung auf die Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage.” Gleiches gelte im Grundsatz für die geplante Novelle des Bundespolizeigesetzes. Hier gibt es für Roßkopf aber zwei Wehrmutstropfen: den Vorabverzicht auf die Möglichkeiten zur Quellen-TKÜ und OnlineDurchsuchung. Skeptisch zeigt er sich in Bezug auf die vorgesehene Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Außerdem dürfe der geplante Polizeibeauftragte kein Kontrollorgan werden. Vielmehr müsse er als Bindeglied zum Parlament fungieren, fordert Roßkopf. Deutlich heftiger fällt die Kritik der DPolG Bundespolizeigewerkschaft aus. Ihr Bundesvorsit-

Ampel setzt BOS-Digitalfunk auf Rot

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ie Lizenzen in diesem Bereich stehen in diesem Jahrzehnt zur Neuverteilung an. Neben den BOS hat auch die Bundeswehr hier für ihre künftige BreitbandInfrastruktur Bedarf angemeldet. Der Präsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS), Andreas Gegenfurtner, hat erst kürzlich auf der PMRExpo das Entwicklungskonzept von Bund und Ländern für die einsatzkritische BOS-Kommunikation der Zukunft vorgestellt und ausdrücklich betont, dass diese Planung ohne Zuteilung entsprechender Frequenzen nicht realisierbar sei. Die freigewordenen Bänder im 450 MHz-Bereich seien an die Energie-Versorger vergeben worden. Die Nutzung der den BOS zugeteilten 700 MHz-Frequenzen sei wirtschaftlich nicht darstellbar. Daher hält Gegenfurtner die Umwidmung der freiwerdenden Frequenzen von 470 bis 694 MHz für zwingend. Auf der anderen Seite stehen einschlägige LobbyOrganisationen wie “Allianz für Rundfunk und Kulturfrequenzen” und “SOS-save our spectrum” aus dem Broadcasting und elektronischen Produktionsbereich, die publikumswirksam ihr Recht

Behörden Spiegel / Dezember 2021

UHF-Band soll dauerhaft für “Kulturszene” gesichert werden

zender Heikko Teggatz sprach gegenüber dem Behörden Spiegel von einem “schwarzen Tag für die Innere Sicherheit”. Positiver betrachtet der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Dirk Peglow, den Vertrag. Für begrüßenswert hält er den Ausbau von Europol sowie der europäischen Staatsanwaltschaft. Gleiches gilt für den Übergang von einer reaktiven zu einer evidenzbasierten Kriminalitätspolitik, die Einführung des Polizeibeauftragten sowie die Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage. Skeptisch ist der BDK-Chef mit Blick auf die Freigabe von Cannabis. Hier hätte er sich zunächst Modellprojekte gewünscht. Und auch bei der Förderung von Fachkarrieren ist Peglow nicht völlig überzeugt. Prinzipiell sei das zwar ein guter Ansatz. Aber: Etwa bei der Bundespolizei seien Fachkarrieren bislang noch kaum ausgeprägt. Zudem merkt Peglow an: “Kritisch bewertet der BDK die nach wie vor ungelöste Problematik der Überwachung von MessengerKommunikation im konkreten Verdachtsfall und beispielsweise die vermutlich nahezu wirkungslose Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung über ein QuickFreeze-Verfahren, wie wir den Koalitionsvertrag interpretieren.” Schon heute seien Telekommunikationsüberwachungen nur noch eingeschränkt hilfreich, weil die entscheidende Kommunikation nicht mehr über diesen Kanal stattfinde. “Dabei sind wirksame verdeckte Maßnahmen für die Aufklärung von Strukturen der Organisierten Kriminalität oder des Terrorismus unverzichtbare Instrumente”, betont der BDKVorsitzende. In Bezug auf den Zoll fällt das Urteil besser aus. So meint der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft BDZ, Thomas Liebel, dass der Koalitionsvertrag eine gute Basis darstelle. Zumal der Zoll deutlich häufiger erwähnt werde als im vorherigen Koalitionsvertrag. Der Vorsitzende der GdP Zoll, Frank Buckenhofer, sagt: “Wichtig ist, dass den klaren Worten, die bis jetzt gesprochen und geschrieben wurden, auch die entschlossenen Taten folgen. Viel zu oft haben die Kolleginnen und Kollegen im Zoll erlebt, dass in der Vergangenheit außer wohlfeilen Worten nichts von dem umgesetzt wurde, was in unzähligen Papieren, Erklärungen, Beschlüssen, Sonntags- und auch sonstigen Schaufensterreden angekündigt wurde.”

die Umsetzung seien Frequenzen der Schlüsselfaktor, so Gegenfurtner.

(BS/bah/mfe) Die neue Bundesregierung könnte eine fatale Entscheidung für den BOS-Digitalfunk fällen. Nämlich dann, wenn sie das UHF-Band Zuerst Netzmodernisierung tatsächlich auf Dauer für Kultur und Rundfunk sichern. Denn auf dieses Spektrum zwischen 470 und 694 MHz erheben auch die BOS Anspruch. Zunächst steht aber eine umauf die “Kulturfrequenzen” gegenüber einer angeblich militärisch dominierten Nutzung im Sicherheitsbereich behaupten. Dass es bei BOS-Funk und Bundeswehr gegebenenfalls um lebensrettende Kommunikation in Katastrophenlagen geht, scheint nicht zu interessieren.

Frequenzen als Schlüssel Dabei brauche es für eine moderne einsatzkritische Kommunikation eine dedizierte Infrastruktur für breitbandige Datenanwendungen, unterstreicht Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU). Entsprechende Konzepte würden bereits zwischen Bund und Ländern und der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) ausgearbeitet. “Aber”, so Reul, “das ist nur erfolgversprechend, wenn wir dafür eigene Frequenzen erhalten.” Dafür müsse die Branche kämpfen. Reul fordert

zudem, die Notfallkommunikation für den eventuellen Ausfall des BOS-Digitalfunknetzes neu zu regeln. Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zwinge zum Überdenken von Alarmierungsketten und kritischer Kommunikation, erklärt Bernhard Klinger, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Professioneller Mobilfunk e. V. (PMeV). Sie habe auch Schwächen des BOS-Digitalfunks offengelegt. Für künftige Katastropheneinsätze seien Breitbandanwendungen unabdingbar. Auch BDBOS-Präsident Gegenfurtner räumt auf der PMRExpo ein, dass durch die zerstörerische Flut etliche Digitalfunk-Basisstationen vom Netz getrennt worden seien und benennt gleich eine Ursache: ihre Anbindung beruhe auf kommerziellen Angeboten, die flächendeckend vom Netz gegangen seien. Im BOS-Kernnetz und seinen Vermittlungsstellen, deren Verbindungen besonders strengen Sicherheitsanforderun-

gen folgten, habe es hingegen keine Beeinträchtigungen gegeben. “Wir verlegen halt keine Leitungen über Brücken”, so der BDBOSPräsident. Außerdem hätten die Einsatzkräfte im Fallback-Modus und mit dem Direct Mode (DMO) grundsätzlich weiter kommunizieren können.

Vier-Phasen-Modell wird verfolgt Gegenfurtner erläuterte auch gleich das von Bund und Ländern vereinbarte Vier-Phasen-Modell (null bis drei) für den Aufbau eines künftigen BOS-Breitbandangebots, das für die finale Phase drei eine dedizierte BOS-BreitbandInfrastruktur und das allmähliche Auslaufen des einsatzkritischen TETRA-Sprachfunks vorsehe. In den Phasen null und eins werden die BOS danach allerdings noch vollkommen auf die Breitbandangebote kommerzieller Anbieter angewiesen sein, die derzeit nicht den Anforderungen einsatzkritischer Kommunikation entspre-

chen. Spätestens in Phase eins wollen die BOS daher ein eigenes Kernnetz aufbauen, das ihnen unter anderem Roaming, Priorisierung und Preemption in Eigenregie ermöglicht, wenn auch über kommerzielle Infrastrukturen. Bis dahin soll ein Basisangebot von BOS-spezifischen Applikationen entwickelt werden. Intensive Gespräche mit den kommerziellen Betreibern haben stattgefunden. Einzelheiten sind noch in der Abstimmung mit Bund und Ländern. Ein Vergabeverfahren wird folgen. In Phase zwei soll darüber hinaus ein dizidiertes breitbandiges Zugangsnetz mit eigenen Basisstationen aufgebaut werden. Mit dem zunehmenden Aufbau BOS-eigener Infrastrukturen soll dann die Nutzung kommerzieller Betreiber nach und nach reduziert werden. In der abschließenden Phase drei werden die TETRA-Sprachdienste in das BOS-Breitbandnetz überführt. Das TETRA-Netz könnte abgeschaltet werden. Ein genaues Datum steht noch nicht fest. Für

greifende Netzerneuerung des bestehenden Tetra-Digitalfunks an, da die Abkündigung der veralteten E1-Leitungen die Migration auf Full IP nötig macht. Bei 62 Vermittlungsstellen-Standorten und rund 5.000 Basisstationen ist das eine Aufgabe, die generalstabsmäßige Planung und Abstimmung zwischen Bund und Ländern erfordert. Vor allem, weil sie mit einer komplett neuen Netzarchitektur und der Reduzierung auf 21 Standorte verbunden ist. Der Rollout der IP-basierten Tetra-Infrastruktur werde 2022 starten und in verschiedenen Stufen durchgeführt, berichtete Dr. Matthias Reinhardt von der BDBOS. Spätestens wenn 2023/24 die E1Leitungen abgeschaltet werden, muss das Netz IP-tauglich sein. Die gute Nachricht: damit wird nicht nur die Anbindung hochmoderner IP-basierter Leitstellen möglich, sondern sowohl Funkzellen wie auch Gesamtnetz erfahren erhebliche Kapazitätssteigerungen. Von bis zu vier Millionen Teilnehmern ist die Rede.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Dezember 2021

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ehörden Spiegel: Frau Germer, was steht auf Ihrer Agenda als neue Abteilungsleiterin für Polizeiangelegenheiten im Brandenburger Innenministerium ganz oben? Anja Germer: Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Denn am Ende geht es natürlich immer um das große Ganze. Mein Ziel ist es, dass wir die Brandenburger Polizei zukunftsorientiert aufstellen. Das funktioniert nur gemeinsam. Besonders wichtig sind mir unter anderem eine moderne Ausrüstung und Ausstattung sowie eine gute Ausbildung der Beamtinnen und Beamten sowie der Tarifbeschäftigten. Denn nur so kann die Polizei mit den Kriminellen, die immer neue Ansätze verfolgen und immer neue Medien nutzen, Schritt halten.

Polizei muss mit der Zeit gehen Moderne Ausrüstung und Ausbildung für Beamtinnen und Beamte erforderlich (BS) Kriminelle entwickeln immer neue Modi Operandi. Darauf müssen die Polizeibehörden zeitnah und angemessen reagieren können. Dafür braucht es kontinuierliche Weiterentwicklungen. Das gelte unter anderem für die Ausstattung und Ausbildung, meint Anja Germer. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert sie ihre Ziele als neue Polizeiabteilungsleiterin im Potsdamer Innenministerium. Und ihr Vorgänger Dr. Herbert Trimbach schaut auf seine Dienstzeit zurück. Die Fragen stellte Marco Feldmann.

Behörden Spiegel: Wie kann es denn gelingen, genügend und ausreichend qualifizierte IT-Spezialisten für die Polizei zu gewinnen? Hier ist die Konkurrenz zur Privatwirtschaft ja sehr stark. Germer: Wir haben bei der Polizei Brandenburg durchaus auch die Möglichkeit, IT-Spezialisten zu verbeamten. Das ist ein Werbefaktor für uns gegenüber der Privatwirtschaft und wird von den Interessierten auch stark nachgefragt. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Denn zum Beispiel die Bekämpfung von Cyber Crime ist für die jungen Leute sehr spannend. Und auch der Beamtenstatus und die damit verbundene Sicherheit sind attraktiv. Geld ist für die jüngeren Leute meines Erachtens heutzutage nicht mehr alles. Behörden Spiegel: Wie wird es in Brandenburg mit der automatisierten Kennzeichenerfassung KESY weitergehen? Germer: Der Innenminister hat gebeten, nochmals zu prüfen, ob und inwieweit wir KESY ermögli-

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chen können. Diese Prüfung läuft derzeit noch. Behörden Spiegel: Welche Akzente wollen Sie im Arbeitskreis zwei der Innenministerkonferenz (IMK) setzen? Germer: In der IMK und im Arbeitskreis zwei gibt es derzeit zahlreiche wichtige Themen. Dazu gehören unter anderem das Nationale Waffenregister, die Umsetzung der “Istanbul-Konvention” gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie das Programm “Polizei 2020”. Denn dieses hat Auswirkungen auf zahlreiche Bereiche. Denn Digitalisierung wird auch für die Polizei und ihre tägliche Arbeit immer relevanter. Das hat die Corona-Pandemie sehr deutlich gemacht. Dabei geht es zum Beispiel um den Zugriff auf

“Mein Ziel ist es, dass wir die Brandenburger Polizei zukunftsorientiert aufstellen. Das funktioniert nur gemeinsam.”

“Den Kontakt mit den Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen vermisse ich schon etwas.”

Anja Germer ist seit 1. September neue Leiterin der Abteilung für Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Polizei und Ordnungsrecht und Kriminalprävention im Potsdamer Innenministerium. Zuvor stand sie an der Spitze des Zentraldienstes der märkischen Polizei. Foto: BS/Innenministerium Brandenburg

Dr. Herbert Trimbach war bis Ende August Leiter der Polizeiabteilung im Hause von Ressortchef Michael Stübgen (CDU), bevor er in Pension ging. Foto: BS/Ronny Wunderlich

Vorgangsbearbeitungssysteme über mobile Endgeräte sowie um die Vermeidung von Doppelerfassungen. Behörden Spiegel: Wie würden Sie denn Ihren Führungsstil beschreiben? Germer: Ich pflege einen kooperativen Führungsstil und bin sehr kommunikativ. Ich möchte mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern regelmäßig sprechen. Denn dann erfahre ich mehr von ihnen, lerne sie in einem persönlicheren Kontext kennen und kann mich noch besser auf die jeweils individuellen Bedürfnisse und Situationen der Beschäftigten einstellen. Behörden Spiegel: Spielt hier der Umstand irgendeine Rolle,

dass Sie die erste Polizeiabteilungsleiterin in der Geschichte des Landes Brandenburg sind? Germer: Nein, für meinen Führungsstil, mich persönlich und auch für die Mitarbeiter spielt es keine Rolle, dass ich die erste Polizeiabteilungsleiterin in der Geschichte des Landes Brandenburg bin. Für mich war vielmehr entscheidend, dass die Leitung der Polizeiabteilung eine spannende Aufgabe ist. Behörden Spiegel: Herr Dr. Trimbach, wie blicken Sie auf Ihre Zeit als Polizeiabteilungsleiter im Innenministerium zurück? Dr. Herbert Trimbach: Den Kontakt mit den Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen vermisse ich schon etwas. Denn

da haben sich über die Jahre Verbindungen ergeben, die teilweise über das rein Dienstliche hinausgehen. Bestimmte Zwänge eines Ministeriums sowie das Erfordernis der ständigen Erreichbarkeit hingegen vermisse ich nicht. Ich genieße die Eigenständigkeit im Ruhestand. Zumal ich weiterhin an verschiedenen Stellen ehrenamtlich tätig bin. Behörden Spiegel: Gab es das eine Thema, das Sie während Ihrer gesamten Dienstzeit begleitete? Trimbach: Themen, die mich fast meine komplette Dienstzeit als Leiter der Polizeiabteilung seit Fe­bruar 2012 massiv begleitet haben, waren der sogenannte “Nationalsozialistische Untergrund” (NSU) und die Digitalisierung der Polizei, nicht zuletzt im Zuge von

“Polizei 2020”. Diese beiden Themenkomplexe hatten massive Auswirkungen auf meine Arbeit und die der Polizei Brandenburg, insbesondere auch auf die Hochschule der Polizei. Auf deren Entwicklung bin ich besonders stolz. Außerdem erinnere ich mich auch noch an das Elbhochwasser 2013 – damals war ich als Abteilungsleiter auch für den Katastrophenschutz im Innenministerium zuständig. Die damaligen Erfahrungen prägten auch meine Arbeit als langjähriger Vorsitzender des AK V der IMK. Behörden Spiegel: Wie lief die Transitionsphase zwischen Ihnen beiden ab? Germer: Vorteilhaft war, dass ich zuvor ja Leiterin des Zentraldienstes der Polizei Brandenburg war. Da es sich dabei um eine Einrichtung aus dem nachgeordneten Bereich des Innenministeriums handelt, gab es regelmäßige Dienstberatungen bei Herrn Dr. Trimbach. Dadurch waren mir die wichtigsten Themen bereits bekannt. Außerdem habe ich in mehreren Gesprächen Tipps und Hilfestellungen von Herrn Dr. Trimbach erhalten, insbesondere mit Blick auf die Gremienarbeit. Denn mit der hatte ich als Leiterin des Zentraldienstes zuvor nicht so viele Berührungspunkte. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Behörden Spiegel: Gibt es Punkte und Themen, bei denen Sie Frau Germer unterstützen oder beraten wollen? Trimbach: Ich gebe Frau Germer ungefragt keine Ratschläge. Das macht man nicht, auch wenn das nach der täglichen Zeitungslektüre durchaus möglich wäre. Aber das verbietet sich von selbst und würde sicher auch nicht auf Wohlwollen bei Frau Germer treffen, was ich absolut verstehen kann. Ich hätte das vor rund zehn Jahren, als ich als Abteilungsleiter im Innenministerium anfing, auch nicht gewollt.

Koalitionsvertrag besiegelt

Schlechtes Prüfungsergebnis für Deutschland?

Keine verdachtsunabhängigen Kontrollen mehr in Berlin

FATF-Kontrolle könnte für Bundesrepublik kritisch ausfallen

(BS/mfe) Bislang darf die Polizei Berlin an kriminalitätsbelasteten Orten Personen ohne konkreten Verdacht (BS/mfe) Die “Financial Action Task Force on Money Laundering” (FATF) widmet sich dem Kampf gegen Geldüberprüfen. Das könnte bald der Vergangenheit angehören. Zumindest, wenn diesbezüglich der Koalitions- wäsche. Dazu prüft sie regelmäßig Staaten. So derzeit auch Deutschland. Das Ergebnis der Kontrolle steht vertrag der neuen rot-grün-roten Regierung umgesetzt wird. zwar noch aus. Einige befürchten jedoch Schlimmes. Denn dort ist festgeschrieben, dass auch Kontrollen an diesen Orten immer an das Verhalten der oder des Betroffenen angeknüpft werden müssen. Zudem soll der oder die Kontrollierte auf Verlangen eine Quittung über den Vorgang erhalten. Videobeobachtung soll zudem nur an einigen dieser Orte zulässig sein. Und auch das nur unter engen Voraussetzungen sowie unter der Bedingung, dass alle sechs Monate evaluiert wird, ob die Technik noch erforderlich ist, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Hierfür soll das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) bis Ende kommenden Jahres entsprechend überarbeitet werden. Flächendeckende Videobeobachtung im öffentlichen Raum wollen die Koalitionäre nicht. Im novellierten ASOG soll darüber hinaus ein explizites Verbot von “Racial Profiling” verankert werden.

Mehr Kontaktbereichsbeamte Des Weiteren ist beabsichtigt, das Personal bei Polizei und Strafverfolgungsbehörden aufzustocken und Kinderbetreuungsmöglichkeiten für Beschäftigte im Schichtdienst zu schaffen. Die Kontaktbereichsbeamten und die Fahrradstreifen sollen auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden. Außerdem ist eine Verdreifachung der

Fahrradstreifen vorgesehen. Darüber hinaus sind die Einrichtung weiterer Polizeiwachen und Verbesserungen für den Zentralen Objektschutz (ZOS) fixiert. Auch wollen die Koalitionäre die Planungen für ein Kriminaltechnisches Institut (KTI) vorantreiben. Fortgesetzt und finanziell abgesichert wird demnach der kürzlich begonnene Testbetrieb von Bodycams bei Polizei und Feuerwehr.

Geldwäschebekämpfung intensivieren Um noch besser gegen möglichen Extremismus und Rassismus in den eigenen Reihen vorgehen zu können, ist eine entsprechende Stärkung der Aus- und Fortbildung sowie der Supervision geplant. Zudem soll die Stelle des Bürger- und Polizeibeauftragten schnellstmöglich besetzt werden. Gegen Organisierte Kriminalität (OK) wollen die Verantwortlichen in Zukunft stärker evidenzbasiert vorgehen. Dies soll unter anderem auch durch eine gezieltere Geldwäschebekämpfung und eine stärkere Vermögensabschöpfung erfolgen. Auch im Nicht-Finanzsektor wird die Aufsicht ausgebaut. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, Stephan Kelm, kritisiert besonders die geplanten Kontrollquittungen an kriminalitätsbelasteten Orten

und das explizite Verbot von “Racial Profiling” im ASOG. Dies sei unnötig, da “racial profiling” bereits jetzt verboten sei. Der Innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Karsten Woldeit, kritisiert die geplante Verankerung eines Verbots von “Racial Profiling” im ASOG ebenfalls massiv. Dieser Schritt sei rein ideologisch motiviert. Die geplante, ausschließlich temporäre Videobeobachtung an kriminalitätsbelasteten Orten führt seines Erachtens nur zu Verdrängungseffekten. Woldeit fordert eine Stärkung der Kapazitäten zur Vermögensabschöpfung im Landeskriminalamt (LKA) sowie eine andere Ausgestaltung des Polizeibeauftragten. Dieser solle als Hilfsorgan des Parlaments fungieren. Der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen CDU, Kai Wegner, meint: “Der Senat ist anscheinend dem Irrglauben aufgesessen, die Bürger vor der Polizei schützen zu müssen statt vor Verbrechen und Kriminalität.” Berlin brauche den Videoschutz an allen kriminalitätsbelasteten Orten, denn das erhöhe das Sicherheitsgefühl und trage dazu bei, Verbrechen aufzuklären und Täter zu überführen. Und er betont: “Personen aufgrund äußerer Merkmale zu kontrollieren, ist bereits vollkommen zu Recht unzulässig, insofern bedarf es hier keiner gesetzlichen Klarstellung.”

So gehen mehrere Insider zwar davon aus, dass die Bundesrepublik nicht auf einer der sogenannten grauen oder gar schwarzen Listen der Organisation, die ihren Sitz bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris hat, landen werde. Denn das würde zu massiven politischen Implikationen führen und dem internationalen Ansehens Deutschland erheblich schaden. Denn dann könnte der internationale Zahlungsverkehr eingeschränkt werden. Auch werde es aller Voraussicht nach ein besseres Resultat für die Geldwäscheaufsicht im Nicht-Finanzsektor geben, da sich dort seit der letzten FATF-Prüfung hierzulande viel getan habe. In diesen Bereich fallen unter anderem Juweliere, Mineralölhändler sowie andere Gütehändler.

Immer noch kein Masterplan vorhanden Problematisch sei jedoch, dass es in Deutschland immer noch keinen Masterplan gegen Geldwäsche gebe. Dies dürften die Kontrolleure wohl kritisieren, heißt es von einem Experten. Wie hart die Kritik ausfällt, bleibt abzuwarten. Denn von mehreren Akteuren ist zu hören, dass die Ursprungsfassungen solcher Prüfberichte oftmals deutlich schärfer formuliert seien als jene Dokumente, die schlussendlich veröffentlicht würden. Hier finde im Vorfeld nicht nur ein Review-, sondern

Geldwäsche verursacht hierzulande jährlich riesige finanzielle Schäden. Deshalb ist es wichtig, effektiv gegen das Phänomen vorzugehen. Wie es darum in Deutschland steht, untersuchen derzeit Fachleute der “Financial Action Task Force on Money Laundering” (FATF).

Foto: BS/uschi dreiucker, pixelio.de

sogar eine Art Glättungsprozess statt. Die derzeit laufende Prüfungsrunde ist tiefgehender als die vorherigen. Denn nun wird auch kontrolliert, ob Rechtsvorschriften tatsächlich effektiv umgesetzt wurden. Dies erfolgt anhand von elf Kategorien. In den vorangegangenen Kontrollzyklen wurde von den FATF-Experten, die aus unterschiedlichen Staaten kommen, hingegen nur geprüft, ob Standards in Gesetze übertragen wurden. Nun wird beides kontrolliert.

Derzeitige Prüfung deutlich anspruchsvoller Die derzeit stattfindende Prüfung, deren Gesamtdauer sich auf etwa 14 Monate belaufen dürfte, ist damit deutlich anspruchsvoller – zumal in Corona-Zeiten. Denn für die aktuelle Kontrolle – insgesamt läuft be-

reits die vierte Prüfungsrunde der 1989 gegründeten Organisation, die aus 206 zu prüfenden Jurisdiktionen besteht und inzwischen 40 Standards zur Geldwäschebekämpfung verabschiedet hat– müssen die FATF-Expertinnen und -Experten extra in die Bundesrepublik reisen und hier zwischen zwei und fünf Wochen bleiben, um die erforderlichen Befragungen durchzuführen.

Nur empfehlenden Charakter Dabei prüfen sie unter anderem Statistiken sowie Dokumente und befragen Personen, die mit der Geldwäscheaufsicht betraut sind. Anschließend vergeben sie für zwei Dimensionen (Übertragung von FATF-Standards in Gesetze einerseits sowie effektive Umsetzung der Gesetze andererseits) Noten. Diese fließen dann gewichtet in den Abschlussbericht, der auch Verbesserungsvorschläge enthält, ein. Diese Ratschläge haben allerdings – wie alle FATF-Standards – keine unmittelbare Wirkung und stellen auch kein direkt bindendes Recht dar. Spannend zu beobachten sein dürfte schon jetzt, wie die übernächste FATFPrüfung für die Bundesrepublik ausfällt. Denn dann wird sich zeigen, inwiefern im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigte Maßnahmen gegen Geldwäsche umgesetzt wurden und tatsächlich Wirkung erzielten.


Katastrophenschutz

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m einige dieser Fragen zu beantworten, führte Prof. Dr. Henning Goersch, Professor für Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz an der FOM Hochschule, schon wenige Wochen nach den Ereignissen eine Early-LessonsLearned-Befragung der Einsatzkräfte, die bei der Flutkatastrophe im Einsatz waren, durch. (Eine Zusammenfassung der Befragung wurde in der vergangenen OktoberAusgabe des Behörden Spiegel auf Seite 56 veröffentlicht.) “Ich wollte unverfälschte Ergebnisse und vielleicht auch Eindrücke aus dem laufenden Einsatz bekommen”, erklärt Goersch, warum er diese Umfrage so nah an der Katastrophe durchgeführt hat. Im Ergebnis bewerteten die Studienteilnehmerinnen und Teilnehmer den Einsatz im überwiegenden Teil als erfolgreich. Auch schätzten die über 2.400 Teilnehmer die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung als positiv ein und erfuhren auch Dankbarkeit von den Bürgerinnen und Bürgern. Dennoch zeigten sich die Befragten sehr unzufrieden mit dem Gesamtmanagement des Einsatzes. Zum einen seien die Führungseinrichtungen und Krisenstäbe zu langsam eingerichtet worden und die Kommunikation mit den übergeordneten Stellen habe nicht optimal funktioniert, so die Bewertungen.

Grundlegende Überzeugungen überdenken Als Lehren müsse man zwei Dinge grundsätzlich in Angriff nehmen. Erstens müsse das Positive gestärkt und das Negative bearbeitet werden, so Goersch. Zweitens müssten grundlegende Überzeu-

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Sich von alten Denkmustern lösen Lehren aus der Flutkatastrophe (BS/Bennet Klawon) 180 Tote und Schäden in Milliardenhöhe, dazu nicht zu beziffernde psychische Folgen und zahlreiche persönliche Schicksale. Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stellt eine Zäsur in der jüngeren Geschichte des deutschen Katastrophenschut­ zes dar. Doch wo gibt es Stellschrauben, um das Hilfeleistungssystem zu verbessern? Welche neuen Wege müssen beschritten werden?

Was wurde aus der Flutkatastrophe im Juli gelernt? Dazu diskutierten (im Uhrzeigersinn): Prof. Dr. Henning Goersch, Uwe Proll (Moderation), Jochen Stein, Sabine Lackner und Hermann-Josef Borjans. Foto: BS/Klawon

gungen und Konzepte überdacht und infrage gestellt werden. Konkret fordert Goersch, dass informelle Zusammenarbeit und Kommunikation jenseits des BOSFunks zugelassen werden sollte. Damit zusammenhängend müsse darüber nachgedacht werden, ob bei Flächenlagen weniger zentrale Führung besser sei. Dies bedeutet, dass man mehr auf kleine Searchand-Rescue-Teams in zugewiesenen Sektoren setzen könnte, die wesentlich autonomer und schneller handeln können, ohne auf einen Einsatzbefehl zu warten. Dem kann Jochen Stein, Leiter der Berufsfeuerwehr Bonn, nur zustimmen. Man brauche sich nicht der Illusion hingeben, dass man solche Katastrophen zentral

von einem Stab steuern könne, so Stein. Aber auch Übungen müssten in Zukunft mehr als wissenschaftliche Untersuchung angelegt werden, um auch einen Blick von außen auf den Übungseffekt zu haben. Zudem müssten bei der Krisen-Kommunikation vielmehr die eigenen Einsatzkräfte in den Blick genommen werden. Besonders in den Bereitstellungsräumen sei das Informationsbedürfnis enorm hoch, meint Goersch. Wie wichtig die Kommunikation und der Informationsaustausch auch innerhalb des Einsatzkörpers mit den eigenen Kräften sind, zeigt die Vizepräsidentin des Technischen Hilfswerks (THW), Sabine Lackner, auf. Sie berichtet von den Sorgen der eingesetzten

THW-Kräfte über die Meldungen, die die Kräfte über Social Media oder Messenger-Dienste zur Steinbach-Talsperre bekommen hätten, wonach die Sperre angeblich im Begriff gewesen sei, zu brechen bzw. bereits gebrochen sei. Dies habe Unruhe in den eigenen Reihen ausgelöst. Dieses Beispiel mache deutlich, dass nicht nur die Kommunikation bei diesen Schadenslagen mit der Bevölkerung von größter Bedeutung ist, sondern auch die Einsatzkräfte mit Informationen zum allgemeinen Einsatzgeschehen versorgt werden müssten.

Neue Helfergruppe im Blick Vieles wurde durch die Katastrophe auf den Prüfstand gestellt. Gerade beim THW kam in der vierten, fünften Woche das volle Sortiment der Fähigkeiten wie der Aufbau der Strom-, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zum Einsatz. Ebenso wurde der Brückenbau seit Langem wieder gefordert. Dabei sei im Vorfeld der Katastrophe diskutiert worden, ob die Fähigkeit noch gebraucht werde, so Lackner. Mittlerweile wurden 18 Brücken

im betroffenen Gebiet errichtet. “Totgesagtes lebt länger”, sagt die THW-Vizepräsidentin. Auch dies müsse in die Lessons Learned einfließen. Aber wie in keiner anderen Krise zuvor rückte eine Helfergruppe in den Vordergrund: die der Spontanhelfer. “Das war in der Hochwasserkatastrophe eine großartige Geschichte, was dort alles spontan abgelaufen ist”, sagt Stein. “Ich glaube, ein wesentliches Prinzip beim Thema Spontanhelfer ist, dass wir es eben vielleicht nicht immer an uns ziehen sollten und eben auch nicht immer wissen müssen”, zeigt sich Stein überzeugt. Dadurch könnten sich die Gefahrenabwehrbehörden auf die Bereiche konzentrieren, bei denen besondere Kenntnisse und Einsatzmittel gefordert seien. In Einzelfällen könne es helfen, diese Hilfe zu kanalisieren. Eine Ausnahme macht der Bonner Feuerwehrmann aber: Gefahrenbereiche seien für die unprofessionellen Kräfte tabu. Auch Lackner hält die Spontanhelfer bei dieser Lage für besonders wichtig. Aber die Kanalisierung

und Lenkung dieser Helfern sei ebenso von Bedeutung. Teilweise hätten diese Helfer bei ihrer Anreise in das betroffene Gebiet die Zufahrtswege mit ihren Pkws verstopft. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Einsatzfahrzeuge nicht mehr hätten anrücken können. Deshalb seien etwa eingerichtete Shuttleservices hier nötig und extrem sinnvoll gewesen. Aber in ihrer Wahrnehmung haben im Großen und Ganzen die Spontanhelfer und die Einsatzkräfte gut zusammengearbeitet und sich die Aufgaben gut aufgeteilt. Das THW wolle in Zukunft diese Helfergruppe stärker einbeziehen und seine Kräfte schulen, wie diese die Spontanhelfer einbinden könnten und wie man am besten mit diesen umgehhe. Sorgen macht sich Hermann-Josef Borjans, ehrenamtlicher Notfallseelsorger, um den Nachgang der Katastrophe und die Nachsorge der Betroffenen. Zwar habe man während der Katastrophe für Notfallseelsorge und psychologische Betreuung gesorgt, doch dies müsse auch verstetigt werden. “Was passiert jetzt mit den Menschen? Einige werden immer noch traumatisiert sein und die brauchen eine langfristige Betreuung”, sagt Borjans. Hier müsse unbedingt nachgebessert werden, so der Notfallseelsorger. Die vollständige Diskussionsrunde findet sich in der Mediathek von NeueStadt.org unter: www.neue stadt.org/mediathek/

Stäbe im Bevölkerungsschutz Vorbereitung für das Maximale

(BS/Dr. Dominic Gißler) Stäbe werden in Gefahrenabwehr und Krisenmanagement im öffentlichen Bereich und in der Wirtschaft zur Führung anspruchsvoller Einsätze eingesetzt. Aus Sicht der verantwortlichen In­ stanz wird durch einen Stab Kompetenz gebündelt und die Leistungsfähigkeit gegenüber einer Einzelperson als integrale Führungsstelle vergrößert. Stäbe handeln im Auftrag, wobei die Letztverantwortung stets bei der beauftragenden Stelle verbleibt. Der delegierte Handlungsspielraum kann sich je nach Organisationskul­ Die Zentralstelle kommt tur und Branche stark unterscheiden. Die Entscheidungsfindung und Beratungsarbeit durch den Stab sind für (BS/bk) Die neue Bundesregierung bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP will mehr “Verant­ den Ereignisfortgang im Wortsinn entscheidend. wortung” für den Bevölkerungsschutz übernehmen. Während das Sondierungspapier der drei Parteien sich zu dem Thema ausschwieg, scheinen die Verantwortlichen die Reformen vorantreiben zu wollen. Diese Tätigkeiten beanspruchen, Rahmen ihrer Zuständigkeiten Stä-

Mehr Bund soll es richten

Konkret möchten die drei Koalitionspartner die Neuausrichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) weiterführen und zu einer Zentralstelle ausbauen. Dazu soll das BBK personell und materiell aufgewertet werden. Ebenso sollen alle verfügbaren Kräfte und Ressourcen von Bund und Ländern in einem kontinuierlichen Lagebild dargestellt werden. Außerdem versprechen die Parteien, die Warninfrastruktur zu verbessern und den Warn-Mix auszubauen. Der Ausbau des Bundesamtes soll unter der Berücksichtigung der föderalen Kompetenzverteilung geschehen. Zwar verpflichten sich die Parteien zum Föderalismus als “Grundsäule der Bundesrepublik”. Dennoch brauche es Klarheit bei den Aufgaben und der Finanzierung. Deshalb wird eine engere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen angestrebt. Dazu wollen die Koalitionspartner mit den beiden Ebenen aus Ländern und Kommunen einen sogenannten “Föderalismusdialog” führen. Das Thema Katastrophenund Bevölkerungsschutz ist dabei neben Bildung, Innerer Sicherheit und Digitalisierung besonders im Fokus. Auch das Thema Ehrenamt findet Eingang in den Koalitionsvertrag. Dieses soll durch weitere Maßnahmen gestärkt werden. Es ist dazu die Erstellung eines Ehrenamtskonzepts geplant. Ebenso sollen in Abstimmung mit Ländern und Kommunen bundesweit einheitliche Freistellungs- und Versicherungsschutzregeln für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer vereinbart werden. Des Weiteren soll das Technische Hilfswerk (THW) eine Kompetenzerweiterung im Bereich der Cyber-Hilfe erfahren. Für den physischen Schutz von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) ist ein KRITIS-Dachgesetz geplant.

Schlussendlich soll die Konzeption “Zivile Verteidigung” neu ausgerichtet werden. Dazu sollen neben der nationalen und europäischen Resilienz-Strategie Grundlagen für die zukünftige Bevorratung, Notfallreserven oder den Einsatz von ehrenamtlichen Kräften geschaffen werden. Konkret wird hierzu das Projekt “Labor Betreuung 5.000” zu einer nationalen Reserve ausgebaut. Auf europäischer Ebene wollen die Koalitionspartner sich mehr in den Mechanismus “resc­ EU” der Europäischen Kommission einbringen. Für eine Zentralstelle beim BBK und mehr Bundeskompetenzen im Katastrophenschutz hatten sich im Wahlkampf besonders die FDP und die Grünen starkgemacht. Dennoch lagen alle drei Partner bei diesem Thema nicht sehr weit auseinander. Wie die Verteilung von Kompetenzen im Katastrophenschutz konkret funktionieren kann und soll, kann noch nicht abschließend geklärt werden. Denn die Hürden sind groß. Zum einen ist diese Trennung immer noch im Grundgesetz festgelegt. Um dieses zu ändern, bräuchte es jeweils Zweidrittelmehrheiten im Deutschen Bundestag und im Bundesrat. Des Weiteren wird der Widerstand aus den Ländern immens sein. Geradezu allergisch reagieren diese, obwohl sie vielleicht in der Sache zustimmen, auf Veränderungen, die zu ihren Ungunsten ausfallen. Besonders Vertreter aus Bayern oder Niedersachsen wehrten sich in der Vergangenheit gegen eine Kompetenzverschiebung. Derzeit ist das Problem, dass die Länder weder ausreichend Personal noch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt habe. Da scheiterte schon die Entsendung von Kontaktbeamten der Ländern zum BBK. Zwar wurde auf der vergangenen Innenministerkonferenz (IMK) ein Verwaltungsvereinbarung für ein

neues Bund-Länder-Kompetenzzentrum für Krisenmanagement und Krisenprävention verabschiedet, über den Inhalt ist jedoch nichts bekannt. Das geplante Zentrum soll schon im kommenden Jahr seine Arbeit aufnehmen. Die ersten Reaktionen aus der Bevölkerungsschutz-Community sind grundsätzlich positiv. Vonseiten der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) heißt es: “Die Johanniter unterstützen das Vorhaben, dass der Bund mehr Verantwortung für den Bevölkerungsschutz übernehmen will.” Besonders die Stärkung des Ehrenamtes durch einheitliche Regelungen sei zu begrüßen. Ähnlich äußert sich Knut Fleckenstein, Bundesvorsitzender des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB): “Die Zentralstellenfunktion des BBK macht Sinn, muss aber rechtlich gesichert werden.” Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Karl-Heinz Banse, begrüßt die Transformation des BBK zu einer Zentralstelle. Er fordert dazu: “Eine wirksame und subsidiär-föderale Aufgabenteilung muss sich gerade im Bereich des Bevölkerungsschutzes künftig noch deutlicher an einheitlichen Zielen und Planungsmethoden gemäß dem Prinzip “Think nationally, act locally” ausrichten.” Die Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) bezeichnet den Vertrag als “Schritt in die richtige Richtung”. Positiv sei die “angesprochene gerechte Bezahlung” für den Öffentlichen Dienst. Zugleich mahnen die Gewerkschafter an: “Da auch für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr Planung und vorausschauende Genehmigungen notwendig sind, ist auch das fixierte Ziel, personelle und technische Kapazitäten zu erhöhen, um eine Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zu erreichen, ein sehr begrüßenswertes.” Nur so könne Deutschland für zukünftige Krise handlungsfähig gemacht werden.

außer bei seltenen reinen Beratungsaufgaben, zeitlich gesehen allerdings nur den kleineren Teil der Arbeitszeit. Koordinierende Umsetzungstätigkeiten nehmen mehr Kapazität in Anspruch. Ein Stab als Führungsorgan verkörpert eine besondere Aufbauorganisation. Dieser Modus hat im Vergleich zur alltäglichen, allgemeinen Aufbauorganisation u. a. Vorteile hinsichtlich der Entscheidungsund Umsetzungsgeschwindigkeit, bei der Koordination von Akteuren sowie bei der Ressourcenverwaltung. Im Bevölkerungsschutz ist die Mitarbeit in Stäben zuallermeist eine nebenberufliche oder ehrenamtliche Aufgabe. Stabsarbeit bezeichnet eng gefasst das Arbeiten in einem Stab, das Arbeiten eines Stabes oder das Führen mit einem Stab. Das Aktivieren eines Stabes impliziert, dass es um einen Einsatz, um Notfall-/ Krisenmanagement oder allgemein um die Bewältigung einer außergewöhnlichen Situation geht. Diese Außergewöhnlichkeit steht als Begründung und zentrales Merkmal für Einsätze unter der Führung von Stäben zugleich. Aus theoretischer Sicht ist die Installation eines Stabes ein Mittel, um eine außergewöhnliche Situation bzw. einen Einsatz führbar zu machen.

Für alles gewappnet sein An Stäbe werden höchste Ansprüche gestellt. Sie sind die letzte Instanz, die die Bewältigung einer außergewöhnlichen Situation steuern kann. Als Universalinstrument umfasst ihr Portfolio quasi alles Mögliche. Aus Sicht der Daseinsfürsorge sind Stäbe für Ereignisse maximaler Ausprägung vorgesehen, bei denen beispielsweise Bürgerschaft, Siedlungsfläche, Infrastruktur, Versorgung und Verwaltung in höchstem Maße betroffen sind. Risiken haben heutzutage auch systemischen Charakter. So sind Ursachen und Wirkungen nicht immer klar zu

Dr. Dominic Gißler ist Vertretungsprofessor für nationalen und internationalen Bevölkerungsschutz an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin. Er ist Sprecher der Arbeitsgruppe Stabsarbeit in der Expertenkommission der vfdb zur Untersuchung der Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021. Foto: BS/privat

erkennen. Physische und mediale Realitäten sind Komponenten und Gesamtheit zugleich und die Bewältigung kann aufgrund grenzund bereichsüberschreitender Folgen nicht in den Silos des Alltags erfolgen. Vermeintlichen Neuartigkeiten kann mit generischen Führungsvorgängen begegnet werden, mit denen sich Führungspersonen jedes Ereignis zur Bewältigung erschließen können. Die Kenntnis dieser Ereigniseigenschaften ist die zentrale Voraussetzung, um Führungspersonen ausbilden zu können. Einsätze für Stäbe sind im öffentlichen Bereich vergleichsweise eher selten, wobei z. B. Polizeien in Ballungsgebieten herausstechen. Zwar haben sich im Bevölkerungsschutz durch die Covid19-Pandemie sicherlich Routinen etabliert. Auf die Fläche gesehen herrscht im operativ-taktischen Bereich (Feuerwehr, Katastrophenschutz) wie auch im administrativorganisatorischen Bereich (Verwaltung) allerdings eine gewisse Übungserfahrung vor. Es obliegt den Kommunen und Ländern, im

be für außergewöhnliche Ereignisse, Krisen- oder Verwaltungsstäbe einzurichten und zu unterhalten. Die Ausbildung der Stabsmitglieder ist in den Ländern unterschiedlich geregelt. Trainings mit Planspielen oder Fallbesprechungen sind ein wirksames Mittel, um Führungspersonen mit der Außergewöhnlichkeit von Einsätzen vertraut zu machen. Solche Methoden sind in Einsatzorganisationen oder in der Wirtschaft ein übliches Mittel. Im Verwaltungsbereich sind sie kaum verbreitet. Ob ein Führungssystem so funktioniert wie vorgesehen, kann man im Wortsinn nur erfahren, wenn es eingesetzt und damit realen Bedingungen ausgesetzt wird. Durch Übungen oder Audits kann der Funktionsgrad zumindest teilweise überprüft werden. Wie häufig dies zu erfolgen hat, ist im öffentlichen Bereich nicht verbindlich vorgegeben. Weit gefasst geht es bei Stäben im Bevölkerungsschutz eigentlich darum, Führungssysteme für außergewöhnliche Situationen vorzuhalten, bei denen die alltäglichen Strukturen nicht ausreichen oder selbst beeinträchtigt sind. Zusammengefasst sind Stäbe aufgrund ihrer universalen Eignung das zentrale Mittel des Bevölkerungsschutzes. Damit haben Sie für die öffentliche Daseinsfürsorge eine herausragende Bedeutung. Die Konstitution der Führungssysteme muss sich am Horizont der zu erwartenden Ereignisse in ihrer maximalen Ausprägung bemessen. Erfahrungsgemäß wird den Stäben im öffentlichen Bereich im Alltag eher weniger Aufmerksamkeit gewidmet – was der Bedeutung dieser besonderen Organe der Daseinsfürsorge eigentlich nicht gerecht wird. Die Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021 hat gezeigt, wie mehrere Führungssysteme durch ein Maximalereignis im Elementarbereich an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gerieten.


Katastrophenschutz

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ie FRB verfügte im Jahr 2020 bereits über mehr als 800 Schülerakten aus Feuerwehrund Rettungsdienstschule und bot bis dahin rund 60 Lehrgänge an. Die Dokumente wurden überwiegend in Papierform vorgehalten. Bei der Stadtverwaltung Bocholt arbeitet seit 2019 hausintern das “Projektteam DigitaleTransformation”, bestehend aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bereiche Organisation und IT, an der Einführung einer digitalen Vorgangsbearbeitung und Aktenführung. Das hierzu genutzte, führende Dokumentenmanagementsystem (DMS) bei der Stadtverwaltung Bocholt ist d.3ecm. Das Team Digitale Transformation der Stadt Bocholt erhielt von der FRB am 07.01.2020 den Auftrag zur Einführung einer E-Akte und der elektronischen Vorgangsbearbeitung. Bereits Ende Januar 2020 wurden in einem Auftakttermin das grundsätzliche Vorgehen vorgestellt sowie die Zusammensetzung des Projektteams aus Mitarbeitern des Teams Digitale Transformation sowie aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der FRB festgelegt. In dieser vielfältigen Projektzusammensetzung können technische, organisatorische und fachliche Inhalte bei der Erarbeitung der digitalen Aktenstruktur und der Umstellung auf die digitale Aktenführung gleichermaßen berücksichtigt werden. Als Bindeglied zwischen der Facheinheit FRB und dem Team Digitale Transformation benannte die FRB eine Key-Userin, die die Interessen der Facheinheit vertritt, die Einführung der digitalen Schüler- und Lehrgangsverwaltung intensiv begleitet und beidseitig als Ansprechpartnerin fungiert. Zu Beginn der Projektdurchführung verschaffte sich das Projektteam gemeinsam einen Überblick über aktuelle Arbeitsweisen, über die Gesamtheit aller anfallenden Schriftstücke im Bereich der Schüler- und Lehrgangsverwaltung und über Strukturen der gegenwärtigen Dokumentablage. Schnell stellte sich heraus, dass sowohl eine digitale Schülerakte zur zentralen Vorhaltung der

Grundlegender Baustein der Transformation Die digitale Schüler- und Lehrgangsverwaltung der FRB (BS/Jenny Siemen*) Die Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie Bocholt (FRB) wurde 2013 gegründet und ist eine staatlich anerkannte Berufsfachschule für den Rettungsdienst. Das Team – bestehend aus feuerwehrtechnischem, medizinischem und pädagogischem Fachpersonal – garantiert eine hoch qualifizierte Ausbildung im Brandschutz und im Rettungsdienst. Die seit dem Jahr 2020 digital geführte Schüler- und Lehrgangsverwaltung ist ein grundlegender Baustein der digitalen Transformation der FRB und steht für einen in allen Bereichen modernen Berufsfachschulstandort.

Die Digitalisierung ist nicht nur im Einsatz wichtig, sondern auch in der Ausbildung. Die Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie Bocholt (FRB) zeigt einen Weg, wie es gehen kann. Foto: BS/Feuerwehr Bocholt

Schülerstammdaten sowie eine digitale Lehrgangsakte zur übersichtlichen Verwaltung der verschiedenartigen Lehrgangsdokumente benötigt wird. Da Schülerinnen und Schüler der FRB in der Regel mehrere Lehrgänge und Kurse besuchen, war es notwendig, dass eine Schülerin bzw. ein Schüler mehreren Kursen zugeordnet werden kann. Die Lehrgangsanmeldung wurde als verknüpfendes Dokument zwischen den zwei E-Akten im DMS festgelegt. Um im Ar-

beitsalltag den Ablageaufwand für die Mitarbeiter zu minimieren, wurden die Lehrgangsanmeldungen, die von den anmeldenden Dienststellen bzw. den Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgefüllt wurden, nach Zusage im Rahmen eines Workflows durch die FRB direkt in der dafür vorgesehenen Dokumentart abgelegt. Aus den im d.3ecm gespeicherten Lehrgangsanmeldungen können ein Großteil der Schülerstammdaten sowie die notwendigen Informa-

Strategie des Bundes erforderlich Mehr Resilienz von Behörden und Unternehmen gefordert (BS/tr) Die Quantität und Qualität von Krisen wird aller Voraussicht nach in Zukunft weiter deutlich zunehmen. Deshalb kommt der Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und einem besseren Schadensmanagement entscheidende Bedeutung zu. Hier sind alle Akteure gefordert, auch der Bund. Von ihm wird unter anderem eine Resilienzstrategie erwartet. Sie verlangt Christian Kromberg, Beigeordneter der Stadt Essen für den Geschäftsbereich für Allgemeine Verwaltung, Recht und öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ihm zufolge muss die Bevölkerung für Krisensituationen sensibilisiert werden. Außerdem komme es darauf an, die Kooperation zwischen Kommunen, Ländern und Bund zu verstärken und die Kompetenzen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu erweitern. Ebenfalls wichtig ist die CyberResilienz von Behörden und Unternehmen. Katharina Geutebrück, Managing Director der Geutebrück GmbH, ärgert sich hauptsächlich über die fehlende Souveränität und die Abhängigkeit von ausländischen Anbietern in Bezug auf Sicherheitstechnik. Ihrer Meinung nach kann die Resilienz eines Unternehmens oder einer Behörde durch visionäres Vordenken und Vorsorge gesteigert werden. Ihr stimmt auch Prof. Dr. Frank Gillert von der Technischen Hochschule Wildau zu. “Es ist schlimm und es wird schlimmer”, so Gillert. Das Konzept der Sicherheit sei ein “Dino”, der ausgestorben sei.

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tionen zum Lehrgang ausgelesen und so Teilnehmerlisten erstellt werden. Der Echtbetrieb der digitalen Schüler- und Lehrgangsakten konnte nach einer

zweimonatigen Testphase im Juli 2020 aufgenommen werden, sodass das Ausbildungsjahr 2020/2021 in den E-Akten im DMS vorbereitet werden konnte. Im Jahr 2021 wurden bereits rund 1.000 Lehrgangsanmeldungen automatisiert im d.3ecm abgelegt. Nach dem Golive konnten die von der FRB gewünschten Änderungen wie die standardisierte Ablage einer Haftungsausschlusserklärung und einer Datenschutzerklärung ebenfalls 2021 umgesetzt werden und so die Nutzungsmöglichkeiten der E-Akten verbessern. Die bereits abgeschlossenen Lehrgangsakten aus den Jahren 2014 bis 2019 konnten von der Scannerabteilung der Stadt Bocholt als Bestandsdokumente dem DMS zugeführt werden, sodass der vollständige Dokumentenbestand zur Schüler- und Lehrgangsverwaltung digital im d.3ecmzur Verfügung steht. Neben der Schüler- und Lehrgangsakte bedurfte es der Erstellung einer Abrechnungsakte für die Dozenten (intern/extern), der Lehrgangs- und Krankenhausabrechnungen (Praxiseinsätze) und der sogenannten Schülerabrechnungsakte. Diese vervollständigt die Schüler- und Lehrgangsverwaltung um die zentrale Abrechnung. Ergänzend zu den digitalen Schüler- und Lehrgangsakten ist im weiteren Verlauf der digitalen Transformation der FRB im Jahr

2021 eine umfangreiche und dennoch einfach zu bedienende Software zur Unterrichtsplanung durch die Zusammenarbeit mit der Firma M3 Software Solutions entstanden. Der Schulplaner Corbos unterstützt die Mitarbeiter bei der Unterrichtsplanung, kann hierzu unter anderem Schüler und Dozent verwalten und Kurse nach individuellen Modellen vollkommen automatisch generieren. Dozent und Räume werden so nicht mehr doppelt verplant und Kursstunden ohne Dozenten sofort ersichtlich. Corbos erzeugt auch Dokumente wie beispielsweise die Lehrgangsanmeldung, die über ein ergänzendes Modul an die Dokumentenverwaltung d.3ecm zur revisionssicheren Aufbewahrung übergeben wird. Durch die enge Zusammenarbeit des Projektteams und der Firma M3 Software Solutions entstand ein automatisierter Austausch der entsprechenden Stammdaten, Stammdatenänderungen und Lehrgangsanmeldungen zwischen Corbos und den digitalen Schüler- und Lehrgangsakten. Dies bringt den Mitarbeitern der FRB eine enorme Zeitersparnis und Sicherheit bei der Kursplanung. Corbos läuft als Web-Applikation im Browser und wird durch die Stadt Bocholt gehostet, sodass personenbezogene Daten in den Händen der Feuerwehrund Rettungsdienstakademie Bocholt verbleiben. Die FRB arbeitet im Bereich der Schüler- und Lehrgangsverwaltung bereits digital. Weitere Digitalisierungsvorhaben wie aktuell das digitale Berichtsheft für die Prüfungszulassung werden aufgrund der hohen Transformationsbereitschaft der FRB zeitnah angegangen und umgesetzt. *Jenny Siemen ist Projektmitarbeiterin im Projektteam DMS/ Digitale Transformation.

Digitaler Katastrophenschutzkongress 2022 Pandemie, Hochwasser, Energie: Die Krise als Dauerzustand?!

Christian Kromberg (Mitte) fordert eine einheitliche Resilienzstrategie und mehr Kompetenzen für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Foto: BS/Adrian Bedoy

“Es ist keine Frage ob, sondern wann etwas passieren wird”, so Gillert weiter. Es sei wichtig, dass im Krisenfall kein Aktionismus aufkomme, sondern kontinuierlich an Lösungen gearbeitet werde, vor allem durch visionäres Vordenken. Auch zum Thema Pandemie ist Ähnliches zu hören. “SARS-CoV-2 wird nicht die letzte Pandemie bleiben. Also müssen wir uns fragen, wie wir uns richtig schützen. Da die Art der nächsten Pandemie nicht bekannt ist, brauchen

wir Wege, uns allgemein darauf vorzubereiten”, so Prof. Dr. Mirko Trilling vom Universitätsklinikum Essen. Gerade Kritische Infrastrukturen (KRITIS) ließen sich durch eine gute Vorbereitung schützen, etwa durch eine gute Vorratshaltung, Katastrophenübungen und Kooperationen der wesentlichen Stellen. Ebenso forderte Trilling ein besseres, also smartes, Meldewesen, um der Dynamik von Infektionskrankheiten professionell zu begegnen.

8. und 9. Februar 2022 Referenten Armin Schuster Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Bildkraftwerk/ Jürgen Schulzki

www.katastrophenschutzkongress.de

Gerd Friedsam Präsident des Technischen Hilfswerks (THW) Bildkraftwerk/Kurc


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Berliner Sicherheitskonferenz E

in Höhepunkt der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) war zudem das High Level Military Forum der Inspekteure und stellvertretenden Inspekteure der militärischen Organisationsbereiche der Bundeswehr. Durch die Moderation von MdB Wolfgang Hellmich kamen Erkenntnisse zu Tage, dass es zum Beispiel bei sechs unterschiedlichen militärischen Organisationsbereichen auch sechs teilweise grundverschiedene Verständnisse von den Systemhäusern gibt, welche im Eckpunktepapier zur Bundeswehrreform eine so prominente Rolle einnehmen.

Die Berliner Sicherheitkonferenz 2021 Internationales Treffen mit deutschen Schwerpunkten

Nationale und internationale Pläne (BS/Dorothee Frank) Die Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) brachte im November viele hochrangige Gäste nach Berlin. Neben der traditionellen

Fokussierung auf Europa standen diesmal besonders die deutschen Fähigkeiten im Fokus. So richteten alle militärischen Organisationsbereiche Hier kommen allerdings neben eigene Capability Lounges aus, während deren anspruchsvollem Vortragsprogramm sich die Besucher über die Neuentwicklungen und Planungen den unterschiedlichen Grundinformieren konnten. bedingungen auch die verschie-

Die Ausgestaltung der Systemhäuser Für den Sanitätsdienst der Bundeswehr besteht der Systemhaus-Gedanke vor allem aus der Verbindung von Wissenschaft, Beschaffung und Nutzern. Die Marine macht sich Gedanken darüber, wie die Industrie so früh wie möglich in die Entwicklung von Systemen mit eingebunden werden kann. Ähnlich sieht es die Streitkräftebasis (SKB), welche die Einbindung aller Akteure von der Design- bis zur Nutzungsphase unter dem Systemhaus versteht. Das Ziel der Luftwaffe ist vor allem die operational Readiness aktueller und künftiger Luftfahrzeuge, weshalb in dem Systemhaus die nationalen und internationalen Flugsicherheitsbehörden Beachtung finden müssen. Das Heer sieht wiederum im Systemhaus den Überbau über alle Services, das Zusammenfassen und die Konzentration aller Aufgaben und Fähigkeiten, damit die Soldaten ihre Aufgaben erfolgreich durchführen können. Der Inspekteur des Cyber- und

Was im Bereich der Landstreitkräfte fehle sein eine konzeptionelle Interoperabilität mit den Partnern.

Das High Level Forum auf der Berliner Sicherheitskonferenz brachte den Chef des Stabes Kommando Sanitätsdienst, Generalstabsarzt Dr. Norbert Weller, den Inspekteur Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, Inspekteur Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, MdB Wolfgang Hellmich, Stv. Inspekteur Luftwaffe, Generalleutnant Ansgar Rieks, Inspekteur Heer, Generalleutnant Alfons Mais und Inspekteur CIR, Vizeadmiral Dr. Thomas Daum, in eine Diskussionsrunde. Foto: BS/Boris Trenkel

Informationsraum (CIR), Vizeadmiral Dr. Thomas Daum, bezeichnete das Systemhaus als noch undefinierten Begriff, der seiner Ansicht nach allerdings den Versuch darstellt, den InService-Support vom ursprünglichen Beschaffungsprozess zu trennen. Ein Vorgehen, das er durchaus kritisch sieht, da die Konzentration auf die 25-Millionen-Vorlagen im Beschaffungsbereich das Problem sei-

en, nicht das BAAINBw an sich. Verträge mit kleineren Summen verzögerten sich hierdurch, was besonders den ITK-Bereich schwäche.

Anforderungen an die Bereiche In der Diskussion wurde zudem deutlich, welche unterschiedlichen Anforderungen und Grundbedingungen herrschen. Das CIR sieht sich bereits durchgehend im Einsatz. “Im

Cyberraum befinden wir uns unter durchgehendem Beschuss”, sagte Vizeadmiral Daum. Ähnliches kann die SKB berichten. In der seit fast zwei Jahren durchgehend notwendigen Amtshilfe – plus dem Hochwassereinsatz in diesem Sommer – mussten die Männer und Frauen der Streitkräftebasis Herausragendes leisten. Alle an sie gestellten Aufgaben konnte die SKB dabei immer erfolg-

reich erfüllen. Währenddessen befindet sich das Heer in der Vorbereitung auf die VJTF (L) 2023, mit besonderen Herausforderungen. “Andere Bereiche haben ein single set of forces, wodurch zum Beispiel ein Flugzeug in einer Minute von einer NATO- zu einer EU-Operation wechseln kann”, beschrieb der Inspekteur Heer, Generalleutnant Alfons Mais. “Dies trifft auf die Landstreitkräfte nicht zu.”

denen strategischen Kompasse, besonders die von NATO und EU, negativ zum Tragen, da sich die Doppelungen nicht abbilden lassen. “Wir brauchen nationale Pläne, die mit den entsprechenden NATO-Strategien abgestimmt sind”, sagte Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur SKB. “In der Anfangszeit der NATO waren wir zu 99 Prozent interoperabel. Und dann drifteten wir auseinander”, beschrieb der Inspekteur Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, und betonte: “Die USA sind nicht nur ein strategischer Alliierter für uns. Sie sind unser einziger entscheidender Partner. Wenn wir uns von den USA ablösen, dann sind wir wirklich verloren.” Eine Einschätzung, die auch der stellvertretende Inspekteur Luftwaffe, Generalleutnant Dr.Ansgar Rieks, teilte: “Wenn wir von einer tatsächlichen Verteidigungssituation sprechen, dann können wir nicht unseren wichtigsten Partner in der NATO ignorieren. Es ist für unsere Sicherheit überlebenswichtig, dass wir gemeinsam am scharfen Ende eines Konfliktes handeln können.”

Die nächste BSC wird am 30. November und 1. Dezember 2022 in Berlin stattfinden.

Verleihung des “CiDAN/ESDA-Award”

Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit

Preisvergabe auf der Berliner Sicherheitskonferenz

Was bedeutet der Green Deal für Europas Verteidigung?

(BS/mj) Auf der Berliner Sicherheitskonferenz 2021 (BSC) des Behörden Spiegel wurden drei Organisationen (BS/Malin Jacobson) Botschafter Jiřý Šedivý, Generaldirektor der europäischen Verteidigungsagentur, und und zwei Persönlichkeiten durch CIDAN/EDSA (Association Civisme Défense Armée Nation/European Defence Dr. Hans C. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidiand Security Association) ausgezeichnet. gungsindustrie (BDSV), sind sich einige, dass Verteidigungsinnovation und Nachhaltigkeit grundlegend für Europas Verteidigung sind.

Die gemeinnützige tschechische Organisation Post Bellum erhielt die europäische Auszeichnung für “Citizenship, Security and Defence” für ihren umfassenden Beitrag in ihrer zwanzigjährigen Arbeit für die europäische Gesellschaft. Die deutsche Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) Lachen Helfen e.V. erhielt für deren Einsatz für Kinder in Konfliktund Krisengebieten die besondere Auszeichnung “Peace and Security in Europe”. Und die besondere Auszeichnung “Remembrance and Reconciliation” wurde der Wohltätigkeitsorganisation Western Front Way verliehen. Zudem erhielten Brigadegeneral a.D. Reimar Scherz, der

Die Preisträgerinnen und Preisträger bei der Verleihung der CIDAN/EDSAAwards auf der Berliner Sicherheitskonferenz. Foto: BS/ Boris Trenkel

dem Programm- und Herausgeberbeirat des Behörden Spiegel angehört und sich seit vielen

Jahren für die BSC engagiert, und Laurent Borzillo jeweils einen Sonderpreis.

“Gute Verteidigung braucht nicht nur die Fähigkeit zu handeln, sondern auch die Fähigkeit zu innovieren”, betonte Šedivý auf der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC). Dies zeige sich auch im Wettbewerb zwischen China und den Vereinigten Staaten von Amerika, von denen Europa sich nicht abhängen lassen dürfe. Um das europäische Innovationspotential voll auszuschöpfen, müsse man das Budget in den Fokus nehmen. Dieses liege in der EU allerdings bei lediglich zwei Prozent des Verteidigungshaushalts – zum Vergleich: Israel investiere fünf Prozent. “Wir müssen Synergien schaffen und bisherige Innovationen

weiterentwickelt”, erklärte der Generaldirektor in Bezug auf die aktuellen Handlungsfelder. Zudem sei es wichtig die Zusammenarbeit mit der Nato zu stärken, damit alle Beteiligten profitieren. Des Weiteren müsse der Kohlenstoff-Fußabdruck des Militärs verringert werden, weswegen auch neue Energien ein wichtiges Innovationsfeld für die Verteidigung seien. Die Dynamik für nachhaltige Innovationen und Entwicklungen sei da. “Diese Bemühungen sind richtig und wichtig”, ist sich Atzpodien sicher. Denn nur durch ein Zusammenwirken verschiedenster Branchen, wie Wirtschaft und Verteidigung lasse sich Nachhaltigkeit umsetzen

und damit eine Zukunft für künftige Generationen sichern. Er betonte: “Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit.” Und Šedivý ergänzte: “Innovation verändert nicht nur die Parameter der Kriegsführung, sondern ist auch wichtig für das Machtgleichgewicht in der Welt – ohne Innovation wird die EU ihren Platz in der Welt und ihre Partner verlieren.” Diese Aspekte seien den Deutschen sehr wichtig, meint der BDSVHauptgeschäftsführer, und die Bundeswehr habe momentan einen sehr guten Ruf. Daher sind sich beide einig, jetzt die Chance zu ergreifen, ein neues und verbessertes europäisches Militär zu schaffen.


Berliner Sicherheitskonferenz

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n der Logistik gilt der Grundsatz: “Mehr Effektivität durch mehr Effizienz. Dafür ist ein 360-Grad-Betrachtungsansatz entscheidend. Dieser muss sowohl die kommerziellen Aufgaben wie Kooperationen und Rahmenvereinbarungen umfassen, als auch die multinationalen Aufgaben wie die konkrete Zusammenarbeit in NATO und EU und den verschiedenen Programmen, erläuterte Generalmajor Gerald Funke, Kommandeur Logistik der Streitkräftebasis (SKB). Und der multinationale Ansatz ist erfolgreich. So arbeitet die Bundeswehr etwa mit Ungarn in einem Logistik-Hub zusammen. Dabei handelt es sich um ein übergreifendes Dachprojekt mit entsprechenden Teilelementen, die mit logistischen Funktionsbereichen verknüpft sind. Und bei denen logistische Fähigkeiten in Form von militärischen Einheiten auf taktischer Ebene bereitgestellt werden: einsatzorientiert, interoperabel, verlegbar, modular und bi- oder multinational ausgestattet. Dieser multinationale Ansatz sei sehr erfolgreich, bilanzierte Funke. Strukturen und Fähigkeiten würden konsequent anhand der Aufgaben zur nationalen Verteidigung als

“Dieser Fehler muss behoben werden!” Koordinierte Beschaffung bei der Berliner Sicherheitskonferenz (BS/jf) Seit über zehn Jahren wird in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik über das Bündeln und Teilen von Aufgaben und Kapazitäten gesprochen. Ansätze gibt es mittlerweile reichlich, etwa in der Logistik. In einem anderen Bereich gibt es hingegen noch sehr viel zu tun: In der öffentlichen Beschaffung.

Internationale Kooperation müsse in konkreten Beschaffungsprogrammen und -vorhaben gelebt werden, darin waren sich die Teilnehmer des High Level Forums auf der BSC einig. Foto: BS/Boris Trenkel

auch zur kollektiven Verteidigungsplanung abgestimmt. Das Ziel sei, flexibel zu bleiben,

ohne einen Endzustand festzulegen und gleichzeitig den multinationalen Partnern zahlrei-

che Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten. “Wir reden nicht, wir ermöglichen Multinationalität

Trauer, Hilfslosigkeit und Wut Erkenntnisse des Afghanistan-Forums der BSC (BS/por) “European Security and Defence – Lessons Identified from 20 years of Afghanistan Engagement”, so lautete das Thema des Special Forums, mit dem der fachliche Teil der zweitägigen Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) begann. Afghanistan war das Thema, das aus verschiedenen Blickrichtungen betrachtet wurde. Auf die Frage von Moderator Dr. Hans-Gert Pöttering, dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, nach den Auswirkungen des Falls von Kabul im August, sagte Botschafterin Claude-France Arnould, Senior Advisor des Pariser Institut français des relations internationales (ifri), dass die dramatische Machtergreifung der Taliban den Westen nach zwanzigjährigem Engagement geradezu traumatisiert habe.

Verschleppung der Entscheidung Wolfgang Hellmich, MdB und diesjähriger Kongresspräsident der BSC, verwies darauf, dass bereits im April im Verteidigungsausschuss aufgrund des eigenen Lagebildes Einvernehmen darüber hergestellt worden sei, dass die afghanischen Ortskräfte das Land am Hindukusch möglichst schnell verlassen sollten. Für diese vorausschauende Aufforderung habe der Ausschuss damals viel Kritik geerntet. Dr. Pöttering gratulierte dem SPD-Politiker Hellmich für seine Wiederwahl in den Bundestag. Bei ihm sei die Verteidigungspolitik in guten Händen,

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Akteure – darunter selbst der letzte frei gewählte und dann geflohene afghanische Staatspräsident Ashraf Ghani – hätten den Unterschied zwischen der Stabilisierungsmission ISAF und der Ausbildungsmission Resolute Support nicht verstanden. Auch das Missionsziel – militärischer Anti-Terror-Kampf oder entwicklungspolitisches “Nation Building” – sei nie eindeutig bestimmt worden, so der ehemalige Bundeswehr-General. Prof. Ioan Mircea Pascu, Botschafterin Claude-France Arnould, Dr. Hans-Gert Pöttering, MdB Wolfgang Hellmich und Generalleutnant a. D. Carsten Jacobson bei der Berliner Sicherheitskonferenz (v.l.n.r.). Foto: BS/Boris Trenkel

so der ring.

CDU-Politiker

Pötte-

Das Islamische Emirat ­Afghanistan Der ehemalige rumänische Verteidigungsminister Prof. Ioan Mircea Paşcu kritisierte die unilateral aufgenommenen und geführten Verhandlungen der republikanischen TrumpAdministration mit dem “Islamischen Emirat Afghanistan” der Taliban, die zum Doha-Friedensabkommen vom Februar des vergangenen Jahres geführt hatten. Deshalb hätten die Eu-

ropäer zunächst große Hoffnungen auf die demokratische Biden-Administration gesetzt, seien dann jedoch durch die chaotische Evakuierungsmission im August in Kabul enttäuscht worden. Generalleutnant a. D. Carsten Jacobson, der insgesamt rund zwei Jahre in führender Funktion am Hindukusch gedient hatte, berichtete, dass Trauer, Hilfslosigkeit und Wut seine Reaktionen auf die Aufgabe Afghanistans durch die internationale Staatengemeinschaft vor einem Vierteljahr gewesen seien. Viele

Die europäische Säule Auch die anschließende Diskussion mit dem Plenum lief unter hochkarätiger Beteiligung. So äußerten sich unter anderem Robert Walter, ehemaliger britischer Unterhausabgeordneter (der Brexit – ein Desaster), sowie die ehemaligen BundeswehrGenerale Generalleutnant a. D. Dr. Klaus Olshausen und Brigadegeneral a. D. Dr. Klaus Wittmann. Dr. Pöttering schloss mit dem eindringlichen Appell: “Wir müssen die europäische Säule der NATO stärken!” Außerdem hoffe er, dass auch die künftige Bundesregierung diese Aufforderung zu mehr deutschen Verteidigungsanstrengungen beherzigen werde.

mit unseren Partnern”, so der Generalmajor. Anders sieht es hingegen bei der Beschaffung aus. “Es gibt aktuell nur einen Weg, um direkt zusammenzuarbeiten und vom europäischen Vergaberecht abweichen zu können”, sagte Vizeadmiral Carsten Stawitzki, nationaler Rüstungsdirektor im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), nämlich im Rahmen von Entwicklungsprogrammen. Schon so gebe es fundamentale Konflikte in jedem Beschaffungsvorhaben: Zeit, Einhaltung des Budgets und das Erfüllen der gestellten Anforderungen an das Produkt. Diese Konflikte müsse man bei der Betrachtung der Beschaffungssituation unbedingt berücksichtigen. Dazu müsse man einige Punkte genaustens betrachten. Zuerst müsse klar sein, dass militärische Stärke nicht zu 100 Prozent am zivilen Markt gekauft werden könne. Zweitens müsse man bei einer gemeinsamen Beschaffung die Frage stellen, was das Ziel sei: mehr Interoperabilität oder die Beschaffung gleicher technischer Ausrüstung, etwa bei Großgeräten wie Panzern und Flugzeugen?

Interoperabel oder technisch gleich? Vizeadmiral Arie Jan de Waard, nationaler Rüstungsdirektor und Direktor für die Verteidigungs- und Logistikorganisation der Niederlande, pflichtet seinem deutschen Amtskollegen bei: Trotz der einheitlichen EU-Vergaberichtlinien gebe es immer noch zahlreiche Unterschiede in den einzelnen Beschaffungsgesetzen der

Mitgliedstaaten. Das erschwere die Zusammenarbeit zweier Staaten. Für ihn stünde die Interoperabilität jedoch nicht infrage. Die Kommandeure der Streitkräfte benötigten die gleichen Spezifikationen bei technischen Anforderungen, egal ob es sich nun um Großgerät oder um die persönliche Ausrüstung der Soldaten handle. “Es muss exakt das gleiche gekauft werden. Das ist der richtige Weg.” Für Vizeadmiral Santiago González Gómez, nationaler Rüstungsdirektor im spanischen Verteidigungsministerium, ist es jedoch mit der gemeinsamen Beschaffung oder der multinationalen Beteiligung in Initiativen wie Pesco nicht getan. Einerseits müsse eine europäische Rüstungsindustrie geschaffen werden. Dazu seien auch Öffentlich Private Partnerschaften ein probates Mittel. Andererseits müssten die Verteidigungsressorts interministeriell viel mehr kooperieren. Damit eine multinationale Beschaffung funktioniere, sei es dringend geboten, die Prozesse zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Das gelinge nur durch die Digitalisierung unterstrich Gómez und stimmte damit Dr. Gemar Schäfer zu.

Notwendige Schritte Der geschäftsführende Direktor und Partner bei PwC Strategy GmbH sah mehrere Faktoren, weshalb das Beschaffungswesen dringend zu modernisieren sei. So seien die derzeitigen Regelungen zu unflexibel und viel zu divers, wodurch die Einsatzfähigkeit im schlimmsten Fall nicht gewährleistet sei. Jährlich würden zwischen 25 und 100 Millionen Euro in den Wind geschleudert, weil die Staaten doppelt beschaffen. Zugleich mahnt der Berater, dass durch die Corona-Pandemie einer Studie seines Unternehmens zufolge in den nächsten drei Jahren die Investitionen von 20 Prozent (2021) auf rund sieben Prozent (2024) zurückgehen werden. Schon aus diesem Grund müssten doppelte Beschaffungen vermieden werden. Des Weiteren müsse es den einzelnen Staaten ein Anliegen sein, für sichere Lieferketten zu sorgen. Entscheidend sei es, einen Rahmen für den Beschaffungsprozess zu setzen, der den Streitkräften die Flexibilität zur Erreichung ihrer Ziele sichere, unterstrich Stawitzki. Das bisherige Regelwerk unterstütze eine gemeinsame Beschaffungsstrategie nicht. “Dieser Fehler muss behoben werden.” Der Vizeadmiral sprach damit aus, was viele dachten. Dennoch ist Brigadegeneral Gael Diaz de Tuesta, Direktor für Westeuropa und Nordamerika, Frankreich, zuversichtlich: “Ich sehe keine Schwierigkeiten, die wir nicht lösen können.”


Berliner Sicherheitskonferenz

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I

n dem ersten von insgesamt sieben Fachforen trafen sich Experten aus Politik, Militär und Industrie, um in kleineren Gesprächsrunden über die verschiedenen Herausforderungen für die Landstreitkräfte der NATO zu beraten. Es wurde über mehrere Aspekte von verbesserten Kommunikationssystemen bis hin zur multinationalen Zusammenarbeit der einzelnen Partnerländer diskutiert.

Kommunikation ist der Schlüssel Vertreter des deutschen Bundestags, der Industrie und des Militärs sprachen über Möglichkeiten, die Streitkräfte schneller, präziser und smarter zu machen und einfach mit Informationen zu versorgen. Es herrschte große Übereinstimmung, dass noch viel getan werden müsse, um die Landstreitkräfte in puncto Digitalisierung auf ein modernes Level zu bringen. Laut Dr. Tobias Linder, Mitglied des deutschen Bundestags, sei es in den letzten Jahren leider verpasst worden, zum Beispiel neue und moderne Radiosysteme anzuschaffen. Häufig seien lieber neue Waffensysteme angeschafft worden und Informationstechnologien seien ins Hintertreffen geraten. Eine schnelle Umstellung auf ein modernes System sei nun nicht

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Europäische Landstreitkräfte müssen moderner werden Multinationalität und Kommunikation sind der Schlüssel (BS/Tim Rotthaus) Die NATO-Verbündeten benutzen zum Teil veraltete oder inkompatible Kommunikationssysteme. Auf der Berlin Security Con­ ference vom 24. bis 25. November dieses Jahres trafen sich Vertreter der Politik, des Militärs und der Industrie, um über eine Modernisierung und Digitalisierung der europäischen Landstreitkräfte zu diskutieren. mehr einfach zu gestalten, da diese die Art und Operationsweise des Heeres verändere. “Moderne Informationstechnologien sind jedoch die Zukunft des modernen Gefechtsfeldes”, so Brigadegeneral Frank Pieper, Chief Digital Officer des deutschen Heeres. Mit digitalisierten Streitkräften werde das Gefechtsfeld transparenter, Entscheidungen könnten schneller und präziser gefällt werden. Ein besonders positiver Aspekt sei, dass Kollateralschäden so minimiert werden könnten. Ein weiterer Punkt, welcher für die Modernisierung der Landstreitkräfte von großer Bedeutung sei, sei der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und anderen hochentwickelten Informationssystemen. Die Weiterentwicklung dieser Systeme würde erheblich dazu beitragen, dass Missionen mit großer Präzision, geringen Kollateralschäden und einem angemessenen Aufwand durchgeführt würden. “Es muss das Ziel der Politik, Industrie und des Militärs sein,

Multinationale Zusammenarbeit und eine gute Kommunikation sind der Schlüssel zu einer stabilen Verteidigung Europas: Dr. Dennis Bürjes, FFG-Flensburger Fahrzeugbau GmbH, Generalleutnant John S. Kolasheski, Generalleutnant Martin Wijnen, Generalleutnant Alfons Mais, Brigadegeneral Kay Brinkmann (v.l.n.r.). Foto:BS/Boris Trenkel

die Landstreitkräfte mit modernen und agilen Informationssystemen auszustatten, damit die Soldaten am Boden zuverlässige Entscheidungen treffen können”, so Pieper. Abgesehen von einer technischen Innovation der Streitkräfte sehen die Experten in der

multinationalen Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ländern einen wichtigen Baustein in der Modernisierung der NATO-Kräfte in Europa.

Multinationale Zusammen­ arbeit stärken “Multinationale

Zusammen-

arbeit ist schon seit Ende des zweiten Weltkrieges ein integraler Teil des deutschen Heeres”, so Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des deutschen Heeres. “Durch diese Zusammenarbeit konnte Deutschland wieder einen Platz am internationalen Tisch erlangen”.

So sehen es auch seine internationalen Kollegen. So betonte Generalleutnant Martin Wijnen, Commander der Royal Netherlands Army, dass es vom großen Vorteil sei, wenn die Partnerländer Informationen untereinander austauschen, zusammen Übungsmanöver absolvieren und Waffen- und Kommunikationssysteme angleichen. Laut Wijnen sei jedoch auch zu beachten, dass multinationale Zusammenarbeit ihre Grenzen habe. “Bi- oder trilaterale Zusammenarbeit funktioniert am besten. Zu viele Flaggen machen eine effektive Zusammenarbeit sehr schwer”, so Wijnen weiter. Vor allem Sprachbarrieren würden hier eine besonders große Hürde darstellen. In einem Punkt sind sich die Experten jedoch einig – wer Teil der Allianz sei, müsse auf jeden Fall seinen Beitrag leisten. Multinationale Zusammenarbeit funktioniere nur, wenn jeder Partner den gleichen Einsatz bringe. Als Fazit zogen die Experten, dass multinationale Zusammenarbeit zwar wichtig, jedoch nicht für jede Situation geeignet sei. So sei ein hohes Level an multinationaler Kooperation bei Kampfeinheiten eher hinderlich, medizinische Einheiten zum Beispiel könnten hingegen sehr davon profitieren.

Internationale Kooperationen

Mittlere Kräfte

Unterzeichnungen bei der BSC

Das Rückgrat der deutschen Landstreitkräfte

(BS/df) Die Berliner Sicherheitskonferenz bot mit ihren hochrangigen Rednern und Teilnehmern auch das Forum für zwei Unterzeichnungszeremonien für weitere internationale Kooperationen. Dabei handelt es sich zum einen um einen deutsch-niederländischen Letter of Intent zu Luftlandeplattformen und zum anderen um eine deutsch-israelische Grundsatzvereinbarung zur bodengebundenen Luftverteidigung.

(BS/Tim Rotthaus) Auf der diesjährigen Berlin Security Conference wurden die “Mittleren Kräfte” als ein neues Standbein der deutschen Landstreitkräfte vorgestellt. Zusammen mit einer internationalen Experten­ runde diskutierte Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des deutschen Heeres, über die Vorteile der neuen Einsatzgruppe, aber auch über die neuen Bedrohungen für Landstreitkräfte.

Der Letter of Intent zur gemeinsamen Beschaffung von Luftlandefahrzeugen wurde für Deutschland durch Vizeadmiral Carsten Stawitzki, Nationaler Rüstungsdirektor, und Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, sowie für die Niederlande durch Generalleutnant Martin Wijnen, Commander der Royal Netherlands Army, und Vizeadmiral Arie Jan de Waard, Nationaler Rüstungsdirektor, unterzeichnet.

Deutsch-niederländische Luftlandeplattformen Durch diesen Letter of Intent wird das bereits bestehende Abkommen “Defence Material Cooperation” um ein zusätzliches Programm erweitert. Deutschland plant mit dem Projekt Luftlandeplattformen die Neubeschaffung aller luftlandefähigen Plattformen. Es sollen die verschiedenen Einsatzsysteme – sowohl Ketten- als auch Radfahrzeuge – umfasst sein. Der unterzeichnete Letter of Intent bietet die Grundlage einer gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung von identischen Fahrzeugen in unterschied-

lichen Varianten im Projekt “Einsatzsystem Luftlandeplattform”. Durch diese Kooperation soll die Interoperabilität, die Logistik sowie die Wartung und Instandsetzung vereinheitlicht werden. Damit werden Synergien zwischen den beiden Streitkräften erzielt. Zu diesem Zweck wurden die gemeinsamen Fähigkeitsforderungen an die zukünftigen Fahrzeuge durch beide Landstreitkräfte abgestimmt. Diese Anforderungen bilden die Grundlage für die nun folgende gemeinsame Projektumsetzung. Die Unterzeichnung des Letter of Intent durch den deutschen und niederländischen Rüstungsdirektor und die beiden Heeresinspekteure bildet den Grundstein für die zukünftige Zusammenarbeit zur Sicherstellung der Modernität der Luftlandekräfte beider Nationen.

Bodengebundene Luftverteidigung Bei der zweiten Unterzeichnung während der BSC haben hochrangige Vertreter von Israel Aerospace Industries (IAI) und MBDA Deutschland eine

Grundsatzvereinbarung unterschrieben, welche die künftige Zusammenarbeit beider Unternehmen im Segment bodengebundener Luftverteidigungssysteme begründet. IAI und MBDA planen nämlich, gemeinsame Lösungskonzepte für dieses sicherheitskritische Segment zu entwickeln. Thomas Gottschild, Managing Director der MBDA Deutschland GmbH, sagte bei der Vertragsunterzeichnung: “Ich freue mich, dass wir mit IAI einen international renommierten und kompetenten Partner gefunden haben. Ich bin überzeugt, dass unsere Unternehmen in den nächsten Jahren richtungsweisende Produkte und Systeme konzipieren und zur Einsatzreife bringen werden, die für die Sicherheit Deutschlands und Israels unerlässlich sind.” Guy Bar Lev, Executive Vice President and General Manager of the Systems, Missiles and Space bei IAI, ergänzte: “Ich bin davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit MBDA Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Bundeswehr leisten wird.”

“Deutschland muss ein starker Partner für kleinere europäische Länder sein”, sagte Generalleutnant Mais. Dazu gehöre auch, dass die “Mittleren Kräfte” schnell und präzise ausgebaut, ausgebildet und ausgestattet würden. Durch die Implementierung dieser neuen Doktrin werde eine operationale Lücke zwischen den leichten und schweren Einsatzkräften des Heeres erreicht. Vor allem Fahrzeuge wie Boxer und ARC Fuchs sollten ein verlässliches Standbein der “Mittleren Kräfte” werden, da sie eine mobile und sichere Einsatzbasis für die Streitkräfte böten. Ein besonderer Fokus wird jedoch auch auf moderne und mit neuster Technik ausgerüstete Fahrzeuge wie den RCH 155 gesetzt. Die mobile Artilleriegeschütz bietet laut den Experten einige Vorteile auf dem modernen Gefechtsfeld. So sei das Geschütz mit einer minimalen Besatzung von gerade mal zwei Crewmitgliedern einsatzbereit, besitze die Fähigkeit, während der Fahrt akkurat zu feuern und könne in Zukunft auch komplett unbemannt operieren. “Bei dem

RCH 155 handelt es sich um ein hochflexibles, mobiles und komplett digitalisiertes HaubitzenSystem, welches auf den Schutz des Boxer-Radpanzer zurückgreifen kann”, so Generalleutnant Mais. Eine der potenziell größten Bedrohungen für die “Mittleren Kräfte” sind laut Generalleutnant Mais Einschätzung vor allem “Unmanned Aircraft Systems” (UAS). “Die Bedrohung durch Drohnen und andere unbemannte Flugzeuge müssen in Zukunft besser beobachtet und gekontert werden. Dies bedeutet, dass wir die Innovation und Weiterentwicklung von Verteidigungssystemen gegen UAS weiter fördern müssen. Wir sind dazu bereit, Personal und Aufgaben neu zu verteilen, damit der Innovationszyklus aufrechtgehalten wird”, erklärte Generalleutnant Mais weiter. Um sich gegen unbemannte Flugzeuge und Drohnen effektiv verteidigen zu können, setzt das deutsche Heer auf eine “Zwiebeltaktik”. So sollen “Air Defence Systems”, welche eine große Fläche abdecken können, den Luftraum schützen. Die nächste

Verteidigungslinie sind die sogenannten “All-Arms Air Defence”, also Waffensysteme sämtlicher Art, die gegen unbemannte Flugobjekte eingesetzt werden können. Das deutsche Heer will versuchen, in absehbarer Zukunft sämtliche ihrer Fahrzeuge und Waffenplattformen mit der Fähigkeit auszustatten, sich gegen Bedrohungen aus der Luft zu verteidigen. Zur Vertiefung der Thematik veranstaltet der Behörden Spiegel am 14. Dezember einen Defence Day “Mittlere Kräfte des Heeres”. Bei dieser OnlineVeranstaltung wird unter anderem Oberstleutnant i.G. Konrad Fuchs vom Amt für Heeresentwicklung über Planungsmeilensteine und erste Ansätze für die Fähigkeitsentwicklung Mittlere Kräfte berichten. Weitere Referenten sind unter anderem die Verbindungsoffiziere Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Eine Anmeldung ist kostenlos auf der Medienplattform Digitaler Staat möglich. Hier ist im Nachgang auch die Aufzeichnung des Defence Days in der Mediathek abrufbar. www.digitaler-staat.online


Berliner Sicherheitskonferenz

Behörden Spiegel / Dezember 2021

B

ehörden Spiegel: Das Motto der Berliner Sicherheitskonferenz ist “Europe – Capabilities for a Credible Defence”. Vor welchen Herausforderungen stehen Europa und Deutschland? Daum: Vor der Verschiebung von geopolitischen Kräfteverhältnissen, Klimawandel, Globalisierung und Pandemien. Hinzu kommt der rasante technologische Fortschritt, allen voran die Digitalisierung als dominierendes kulturelles und gesellschaftliches Merkmal unserer Zeit. Sie bietet enorme Chancen für Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Streitkräfte, schafft aber auch neue Abhängigkeiten und Schwachstellen. Ein Beispiel ist der Trend zum immer digitaleren Arbeiten und, nicht nur seit der Pandemie, der Trend zum Arbeiten im Homeoffice. Dieser bietet Cyber-Kriminalität mehr Angriffsflächen und zergliedert die öffentlichen gemeinsamen Kommunikationsräume unserer Gesellschaft weiter in immer kleinere, zum Teil abgeschottete Inseln. Angriffe aus dem Cyber-Raum gegen Behörden und Unternehmen nehmen zu und werden immer ausgeklügelter. Das ITSystem der Bundeswehr etwa wird täglich tausendfach angegriffen. Mittlerweile hat sich die Szene der Cyber-Kriminalität zunehmend professionalisiert. Zudem treten staatlich geförderte oder mit staatlichen Akteuren wie Geheimdiensten oder Streitkräften kooperierende Hackergruppen in Erscheinung. Wir sehen zunehmend hybride Bedrohungen, die Cyber-Angriffe mit klassischen militärischen Drohungen, wirtschaftlichem Druck, Propaganda oder Desinformation kombinieren. Konflikte werden also zunehmend über alle Dimensionen geführt und entschieden – zu Land, zu Wasser, in der Luft, im Weltraum und eben auch im Cyber- und Informationsraum. Behörden Spiegel: Welche Anforderungen ergeben sich daraus für die deutschen Streitkräfte?

Daum: Die Bundeswehr muss in der Lage sein, schnell, bruchfrei und sowohl zu Land, Luft und See, aber eben auch im Cyber- und Informationsraum sowie im Weltraum übergreifend handeln und bestehen zu können. In der Fähigkeitsentwicklung von Streitkräften nimmt die Dimension “Cyber- und Informationsraum” dabei einen immer größeren Stellenwert ein. Dabei werden die Faktoren Zeit und Geschwindigkeit immer wichtiger, gerade auch vor dem Hintergrund des technologischen Fortschritts. Behörden Spiegel: Wie kommen Innovationen in der Truppe an, bevor die Technik bereits wieder überholt ist?

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Die Faktoren Zeit und Geschwindigkeit Dimensionsübergreifend handeln und bestehen können (BS) Über der diesjährigen Berlin Security Conference stand die Frage nach den notwendigen Fähigkeiten für eine zukunftsfähige Landes- und Bündnisverteidigung. Der Domäne “Cyber und Information” kommt dabei eine immer größere Bedeutung zu, wissen Vizeadmiral Dr. Thomas Daum, Inspekteur Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, und Martin Kaloudis, Chief Executive Officer der BWI GmbH. Im Interview sprachen sie über Chancen, Risiken und die gemeinsame Arbeit an der digitalen Transformation der deutschen Streitkräfte. Das Interview führte der Chefredakteur des Behörden Spiegel, R. Uwe Proll. Kaloudis: Bei Innovationen geht es darum, schneller vom Denken ins Handeln zu kommen. IT muss einsatzfähig sein, bevor sie schon wieder veraltet ist. Ein Rezept sind agile Projekte statt Wasserfall- und Goldrandlösungen. Diesen Ansatz haben wir in der BWI mit unseren drei Innovationseinheiten strukturell verankert: “BWI innoX” analysiert den Markt, identifiziert die vielversprechendsten Trends und Technologien, leitet Lösungsansätze ab, ermittelt Anwendungsfelder der Bundeswehr und erprobt diese gemeinsam in agilen Experimenten. Mit der “BWI Schmiede”, unserer Coding Force, entwickeln wir schnell individuelle SoftwareLösungen. Und schließlich ist seit letztem Jahr der “Cyber Innovation Hub der Bundeswehr” Teil der BWI. Der Hub schlägt die Brücke zur Startup-Szene, entwickelt mit hoher Geschwindigkeit Digitallösungen und hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Gründerkultur in der Bundeswehr zu fördern. Um neue digitale Lösungen in Experimenten – ob nun Blockchain, Virtual Reality oder KI – zu erproben, müssen wir nicht erst ein aufwendiges Gesamtkonzept mit Finanzierungsbewilligungen aufsetzen. Einige Ideen werden nicht weiterverfolgt, andere gewinnen den entscheidenden zeitlichen Vorsprung und es werden Projekte daraus, bevor die Technik Schnee von gestern ist. Behörden Spiegel: Was sind die wichtigsten Handlungslinien, die sich im Bereich der Digitalisierung für die Bundeswehr ableiten? Daum: Zuerst ist hier das Thema Führungsfähigkeit zu nennen. Hier geht es um die resiliente, interoperable Vernetzung unserer eigenen Kräfte, aber auch im Verbund mit unseren Partnern auf nationaler wie auch auf Bündnisebene. Informationen müssen zwischen Gefechtsständen, Einheiten und Verbündeten bruchfrei ausgetauscht und verwendet werden können. Damit kommt es in der Operationsführung zunehmend auf dezentrale Systeme an, die ausreichend Rechenleistung besitzen, um autark betrieben werden zu können, ohne dauerhaft mit einem Zentralrechner verbunden zu sein.

fen, auch bei eingeschränkter Konnektivität Informationen zu verteilen. Wir sprechen zwar gerade über den Einsatz, aber auch im Grundbetrieb geht es darum, eigene Daten und Informationen zu beherrschen.

Kaloudis: Vor knapp 15 Jahren hat die Bundeswehr zusammen mit Industriepartnern die BWI als zentralen IT-Dienstleister gegründet. In den ersten Jahren, noch als Public Private Partnership, hat die BWI die nichtmilitärische Informations- und Kommunikationstechnik von Streitkräften und zivilen Organisationsbereichen modernisiert und standardisiert. Seitdem betreiben wir das System. Mit der fortschreitenden Digitalisierung sind die Anforderungen der Streitkräfte und damit die Aufgaben für die BWI gewachsen. Heute treiben wir gemeinsam mit der Bundeswehr Digitalprojekte in nahezu allen Bereichen und über die gesamte Wertschöpfungskette voran: von der Frühphasenberatung und dem Innovationsmanagement bis zur Verstetigung von Lösungen und dem User Support. Dazu gehören auch immer mehr Anteile der einsatznahen IT.

Behörden Spiegel: Digitale Anforderungen werden mehr und komplexer. Wie ist die Bundeswehr dafür aufgestellt?

Behörden Spiegel: Widerspricht das nicht dem Anspruch der Bundeswehr, digital souverän zu sein?

Daum: Die digitale Transformation ist für die Bundeswehr ja längst kein Zukunftsthema mehr. Digitalisierung findet in sämtlichen Organisationsbereichen statt, von der Gesundheitsversorgung über das Personalmanagement und die Beschaffung bis zur Operationsführung. Sie eröffnet in nahezu allen Bereichen neue Möglichkeiten, erhöht Effizienz und Effektivität. Digitale Technologien ermöglichen uns die Automation von Prozessen, bessere Möglichkeiten der Kommunikation und Kollaboration und eine schnellere Verarbeitung und Verteilung von Daten. Mit dem Ziel, die Chancen der Digitalisierung besser zu nutzen und auf Bedrohungen aus dem Cyber-Raum besser vorbereitet zu sein, wurde ja der Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum aufgestellt. Mit dem hier gebündelten Know-how und den Verantwortlichkeiten verstehen wir uns als Treiber der Digitalisierung in der Bundeswehr. Die Weiterentwicklung des Zentrums Softwareentwicklung zum Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr stärkt dieses Verständnis zusätzlich.

Kaloudis: Im Gegenteil. Wir dürfen digitale Souveränität nicht mit Autarkie gleichsetzen. Digitalisierung ist kein Alleingang. Es geht vielmehr darum, weltweit verfügbare Kompetenzen selbstbestimmt und informiert nutzen zu können. Man bewertet ein Gesamtsystem, das aus verschiedenen Softund Hardware-Komponenten besteht, und entscheidet dann, welche Dienste man mit eigenen Mitteln erbringt und für welche man externe Komponenten hinzukaufen möchte. Um das beurteilen zu können, braucht man die nötigen Skills und das nötige Know-how. Digitale Souveränität ist also vor allem Wahlund Handlungsfreiheit. Ich bin überzeugt, dass uns Ko-Kreation und Kooperation in einem Ökosystem mit Industrie- und Forschungspartnern helfen werden, an der Spitze des Fortschritts zu bleiben und schneller zu werden. Auch innerhalb der Bundeswehr arbeiten wir ja von Beginn an in einem Wirkverbund: Die Abteilung Cyberund Informationstechnik im Bundesministerium der Verteidigung, das Kommando CIR, das BAAINBw, das Kommando Informationstechnik und die BWI sind ebenfalls ein Ökosystem, das voneinander abhängig ist, aufeinander aufbaut.

Martin Kaloudis, Chief Executive Officer der BWI GmbH, Uwe Proll, Chefredakteur Behörden Spiegel, und Vizeadmiral Dr. Thomas Daum, Inspekteur Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, im Gespräch während der Berliner Sicherheitskonferenz 2021 (v.l.n.r.). Fotos: BS/Boris Trenkel

Zweitens wird es auf dem Gefechtsfeld mehr denn je darauf ankommen, relevante Daten auszuwerten und so verfügbar zu machen, dass eingesetztes militärisches Führungspersonal Rückschlüsse daraus ziehen kann, um präzise, angemessen und schneller als der Gegner handeln zu können. Hierbei können auch Methoden der BigData-Analyse sowie der Einsatz sogenannter Künstlicher Intelligenz unterstützen. Als drittes Handlungsfeld sehe ich das Thema moderne Arbeitswelt. Hierunter fällt nicht nur mobiles Arbeiten, sondern auch agiles Arbeiten und die Digitalisierung von gegebenenfalls zuvor anzupassenden Prozessen. Die Einführung von SharePoint und weiteren Produkten zur Kollaboration sind hier ein wichtiger Schritt für mehr Tempo und Effizienz. Behörden Spiegel: Auf welche Technologien wird es ankommen, um Vernetzung und Informationsüberlegenheit zu erreichen? Kaloudis: Mit Technologien wie Edge- und Cloud Computing, Mesh-Netzwerken und natürlich Künstlicher Intelligenz. Sie entscheiden bei militärischen Operationen mehr und mehr über die Informations-, Führungs- und Wirkungsüberlegenheit eingesetzter Kräfte. Algorithmen etwa unterstützen dabei, eine große Anzahl an Wirkmitteln im Verbund einzusetzen. Durch schnellere Analysen großer Datenmengen aus verschiedenen Quellen ermöglichen KI-basierte Informationssysteme präzisere und schnellere Entscheidungen. Cloud- und Edge Computing und Übertragungstechnologien wie 5G hel-

Behörden Spiegel: Wie gestalten Sie die Zusammenarbeit mit der Industrie?

Behörden Spiegel: Digitalisierung ist keine Frage mehr, sondern die Antwort. Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit in der Krise bewährt? Daum: Sehr gut, durch schnelles Handeln und kurze Wege. Und anders wäre es auch nicht gegangen. Die Bundeswehr ist seit Ausbruch der Pandemie doppelt gefordert. Wir unterstützen Bund und Länder bei Amtshilfeersuchen und müssen unser eigenes Personal schützen. Auch die Bundeswehr musste ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Soldatinnen und Soldaten ins Homeoffice schicken. Für eine Flächenorganisation wie uns keine leichte Aufgabe. Vor allem, weil mobiles Arbeiten bis dato nicht flächendeckend möglich war. Also mussten wir unter Zeitdruck mehr mobile Zugänge zu unserem IT-System und Arbeitsplätze schaffen, inklusive der Infrastruktur im Hintergrund, und dies ohne Sicherheitseinbußen. Das haben wir geschafft, zusammen mit dem Kommando Informationstechnik und dem BAAINBw. Zu Beginn der Pandemie konnten nur rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten im Homeoffice mit unmittelbarer Anbindung an das IT-System arbeiten. Heute sind es über 80.000. Und wir konnten gemeinsam unsere Innovationsfähigkeit beweisen. Neben dem BwMessenger mit seinen heute über 65.000 Nutzerinnen und Nutzern haben wir zusammen mit dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin und dem Cyber Innovation Hub beispielsweise eine Online-Videosprechstunde und Pflege-App entwickelt und mit der BWI auch bereits verstetigt. So tragen wir dazu bei, die sanitätsdienstliche Versorgung mobiler zu machen, damit zu verbessern und unser Personal zu entlasten. Kaloudis: Im letzten Digitalbericht des Bundesverteidigungsministeriums lautet das Fazit zur Corona-Krise: “Resilienz durch Digitalisierung”. Das fasst es gut zusammen. Nicht erst seit der Pandemie, auch durch die Globalisierung und die zunehmende Innovationsdynamik ist unsere Welt in ständiger Bewegung. Wir leben in einem ständigen Krisenzustand, in einer persistent competition. Organisationen müssen damit umgehen können. Sie müssen in der Lage sein, sich schnell an neue Bedingungen anpassen zu können. Resilienz und Agilität sind dabei gefordert. IT-Systeme müssen nicht nur widerstandsfähig sein und nach einer Krise in den Ursprungszustand zurückversetzt werden können. Sie müssen gestärkt daraus hervorgehen.


Berliner Sicherheitskonferenz

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as betonte der ehemalige SACEUR, General a.D. Philip M. Breedlove. Ebenso wichtig für eine effektive Abschreckung sei eine ausreichende Reaktionsfähigkeit und -schnelligkeit des Militärs. Zudem komme es auf eine wirksame Interoperabilität, robuste und resiliente Lieferketten sowie eine Austauschbarkeit von Ressourcen zwischen Verbündeten (Interchangeability) an. Wichtig sei darüber hinaus ein gemeinsames Command and Control, sagte Breedlove. Für eine Stärkung der Resilienz und Interoperabilität plädiert auch General Claudio Graziano, Chairman of the European Military Committee. Außerdem spricht er sich für mehr gemeinsame Fähigkeiten auf europäischer Ebene aus. Dies würde Abhängigkeiten abbauen sowie der technologischen Souveränität und Autonomie Europas dienen. In Zukunft brauche es bei der EU in Verteidigungsangelegenheiten noch mehr Flexibilität und Innovationskraft, sagte Graziano. Nur so könne das Krisenmanagement auf europäischer Ebene verbessert werden, zeigte er sich überzeugt.

Resilienz stärken Denn die Herausforderungen im Bereich von Sicherheit und Verteidigung werden immer komplexer, immer hybrider. Zudem gestalten sie sich zunehmend grenzüberschreitend. Das erfordert multilaterale Antworten.

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as sich verändernde Umfeld in Europa sowie die vielen grenzüberschreitenden medizinischen Aufgaben stellen laut Generalarzt Dr. Stefan Kowitz, Leiter des Multinational Medical Coordination Centre (MMCC) / European Medical Command (EMC), eine zunehmende Herausforderung für den medizinischen Dienst dar. Die militärischen Sanitätsdienste seien mit den gleichen Problematiken konfrontiert, wie die zivilen: Es fehle an Personal und Ausstattung. Auch die Bevorratung von medizinischer Ausrüstung müsse besser geplant werden – Ort, Menge, Kosten, Verwaltung... – es sei ein Mehrzweck-EpidemieLagerbestand nötig. Oberstabsarzt Dr. Ralf Wieking, Flottenarzt und Abteilungsleiter für Sanitätsdienstplanung, Konzeption und Weiterentwicklung in der Hauptverwaltung Sanitätsdienst der Bundeswehr, führt hierzu das Szenario Gesundheitsversorgung 2031 aus, das eine Lösung für die genannten Probleme bieten soll. Es befasse sich mit der mehrschichtigen Versorgung und dem Transport von Patienten in verschiedene Krankenhäuser sowie mit der Wiedereingliederung in die Truppe oder das zivile Leben. Auch die Herausforderung, dass Patienten im Auslandseinsatz nicht immer ausgeflogen werden

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Es braucht wirksame Abschreckung Dafür müssen zahlreiche Voraussetzungen erfüllt sein (BS/Marco Feldmann) Auch in Zukunft muss die NATO Gegner effektiv abschrecken können. Dies gelte unter anderem für die Volksrepublik China und Russland. Sie müssten überzeugt werden, dass die Kosten eines Angriffs zu hoch seien. Dafür brauche es passende Fähigkeiten und Ressourcen sowie den politischen Willen zur wirksamen Abschreckung. zeigte er sich überzeugt. Dennoch brauche es in Zukunft noch mehr Koordination zwischen nationalen Ressourcen einerseits und Kapazitäten der Bündnisse andererseits.

Mehr Fähigkeiten für die NATO

General Claudio Graziano, Chairman of the European Military Committee, plädiert für mehr Resilienz und Interoperabilität. Foto: BS/Boris Trenkel

Nun kommt es auf ein starkes und resilientes Europa an. Gleiches gelte für die NATO, meinte der Parlamentarische Staatsse-

kretär im Bundesverteidigungsministerium (BMVg), Thomas Silberhorn. Der unter deutscher Ratspräsidentschaft entwickel-

te strategische Kompass werde sowohl die EU als auch das Nordatlantikbündnis zukunftsfester und resilienter machen,

Bis 2030 werde die NATO weiter gestärkt werden, kündigte der Deputy Assistant Secretary General Defence Policy and Planning Division des Bündnisses, Generalmajor Jörg See, an. Dies gelte insbesondere mit Blick auf den Ausbau der Fähigkeiten im Cyber-Raum sowie hinsichtlich der Resilienz. Ziel sei es weiterhin, die NATO-Mitgliedsstaaten zu stärken und die Abschreckung aufrechtzuerhalten, auch die im nuklearen Bereich, so See. Hierfür verfolge das Bündnis inzwischen einen 360 Grad-Ansatz und verfüge über einen eigenen Innovationsfonds. Für die Zukunft kündigte er eine noch engere Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU an. Denn wichtig sei: “Wir brauchen zeitgemäße Fähigkeiten, aber keine neuen Strukturen.”

Vergangenheit, Corona, Zukunft Möglichkeiten und Herausforderungen für den medizinischen Dienst (BS/Malin Jacobson) “Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass unsere Rolle für die Welt und für die deutsche Gesellschaft wichtig ist – das wirft auch Fragen nach der Zukunft des Sanitätsdienstes auf”, erklärte Generalstabsarzt Dr. Norbert Weller, Chef des Stabes Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, im Rahmen der Vortragsrunde zu “Möglichkeiten für den medizinischen Dienst” auf der Berliner Sicherheitskonferenz. Dabei sei auch die Zusammenarbeit zwischen ziviler und militärischer Gesundheitsversorgung wichtig, weswegen die Bundeswehr bereits viel mit verschiedenen Gesundheitsorganisationen auf der ganzen Welt zusammenarbeite und dadurch auch Zugang zu umfangreichen Ressourcen erhalte. könnten, sodass medizinisches Personal den Truppen folgen müsse, sei Teil dieses Szenarios, ebenso wie Überlegungen Patienten über Umwege aus der Gefahrenzone zu bringen, wenn der direkte Weg zu gefährlich ist. “Zuallererst müssen wir unsere Soldaten in die Lage versetzen, ihren Kameraden zu helfen”, erklärt Oberstapotheker Hans Guttenthaler, Referatsleiter für Sanitätsdienstplanung, Konzeption und Weiterentwicklung in der Hauptverwaltung Sanitätsdienst der Bundeswehr. “Das können wir mit Training und Simulationen erreichen.” Um auch in Komplexen Situationen die medizinische Versorgung garantieren zu können, fordert er Zugriff auf das Gefechtsführungssystem, KIWerkzeuge, und katastrophensichere Lieferketten in Kombination mit einem leistungsfähigen Verteilersystem. Und: “Das Risiko muss laufend ermittelt, ausgewertet und interpretiert werden. Wie viel Risiko muss man

für den einzelnen Patienten eingehen?”, ergänzt der Oberstapotheker. Wieking beschrieb in diesem Zusammenhang folgende Überlegung: “Mehr Leute nach Hause zu bringen, bedeutet eine weniger gute Versorgung für die Leichtverletzten. Das könnte mehr Tote bedeuten, als wenn man stark Verwundete an der Front ließe und alle Anstrengungen, auf die sich bereits in Sicherheit befindenden fokussiere.” Eine weitere Herausforderung für die künftige Resilienz, ist laut Kowitz die Frage: “Welche Daten werden benötigt und wie können sie verfügbar gemacht werden.” Die Lösung könnte der WHO HUB in Berlin sein, welcher laut Dr. Christophe Bayer, Leiter der Abteilung für Gesundheitssicherheit und internationales Krisenmanagement im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), “helfen soll Daten schneller zu generieren und zu analysieren”.

Zukunftsfähig machen “Bis 1989 war die Welt einfach”, meint Guttenthaler, “mit dem Kalten Krieg als einziger Bedrohung. Dann kamen immer mehr Probleme hinzu und heute haben wir eine unklare Situation der Bedrohungen.” Daraus ergebe sich auch das Problem, so Wieking, dass es beispielsweise einen Landesverteidigungsplan gebe, “dieser ist aber so veraltet, dass wir ihn nicht verwenden können”. Während des Kalten Krieges habe es ein breites Verständnis von Medizin gegeben, in dem jeder Arzt alles wusste und es viele Reservekrankenhäuser gab, fährt er fort. “Heute haben wir viel weniger Krankenhäuser, spezialisierte Ärzte und viel weniger Betten.” In einem Szenario, in dem jeden Tag 1.000 Soldaten verletzt zurückkommen würden, gäbe es demnach keinen Platz. Dabei spiele auch die Problematik, dass es so gut wie keine zivile Katastrophenvorbereitung gebe, eine Rolle. “Deshalb denken wir es wäre jetzt – besonders im Hin-

blick auf die Pandemie – besser, mehr Betten zu haben, die, wenn sie nicht gebraucht werden, als Intensivstationen genutzt werden können.”

NATO und Covid19 Neben den Herausforderungen für den Sanitätsdienst der Bundeswehr, wurde im Rahmen der Vortragsrunde auch über die Reaktion zur aktuellen pandemischen Lage gesprochen. Brigadegeneral Dr. Laszlo Fazekas, medizinischer Berater der Allied Command Operations (ACO), berichtete hierzu über die Reaktion der NATO auf Covid-19. Also eines Militärbündnisses auf eine nichtmilitärische Bedrohung, die medizinische Einrichtungen erfordere. “Wir haben die Pandemie wie einen Krieg behandelt - was für die nichtmedizinischen Kollegen seltsam war”, sagte Fazekas. Seine Mitarbeitenden und er seien sehr schnell sehr routiniert im Verfassen von medizinischen Anordnungen geworden, da sich die Situation

Vielmehr müssten NATO und EU in Zukunft noch stärker miteinander kooperieren. Die beiden Bündnisse und Staatengemeinschaften müssten nicht nur zusammen gedacht, sondern auch noch stärker zusammengebracht werden. Denn sie hätten beide das gleiche Ziel, sagte MdB Wolfgang Hellmich.

Es braucht Einigkeit Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages verlangte von der EU zugleich, künftig noch mehr für die eigene Verteidigung zu leisten. Es seien stärkere, gemeinsame Antworten auf unterschiedliche Herausforderungen notwendig, so der Kongresspräsident der diesjährigen Berliner Sicherheitskonferenz des Behörden Spiegel. Dies gelte etwa mit Blick auf das Agieren des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko oder die Konflikte im Südchinesischen Meer. Eines sei dabei jedenfalls klar, meint Hellmich: Die Bundesrepublik Deutschland stehe eng an der Seite ihrer Bündnispartner in EU und NATO. Dies sei auch erforderlich. Schließlich sei die Sicherheitspolitik eng mit der Verteidigungs- sowie der Militärpolitik verknüpft. Sie würden einander geradezu bedingen, unterstrich der Herausgeber und Chefredakteur des Behörden Spiegel, R. Uwe Proll.

so oft und so schnell geändert habe. “Wir haben immer wieder Veranstaltungen und taktische Einsätze absagen müssen, die seit mehr als zwei Jahren geplant waren”, beschrieb Fazekas. Mittlerweile habe sich das System so eingespielt, dass sie keine spezifischen Empfehlungen für jeden Posten verfassen, da jede Situation zu unterschiedlich sei. Stattdessen verfassten sie nun allgemeinen Empfehlungen, die von den jeweiligen Kommandeuren zitiert und angewendet werden. Diese Maßnahmen hätten der NATO, im Vergleich zu Belgien, bereits dreimal weniger Infektionen, sechsmal weniger Krankenhausaufenthalte und neunmal weniger Todesfälle eingebracht. Fazekas berichtete, man habe sich anfangs überlegen müssen, welche Daten bereits vorhanden waren und welche Daten man sammeln wolle. “Wir wollten nicht die genauen Zahlen, sondern die Trends.” Aus den Bemühungen habe man bereits einiges lernen können, beispielsweise über Umfang des medizinischen Personals, medizinische Versorgungslogistik sowie die Ermittlung und Bewältigung medizinischer Risiken bei Bedrohungen. Fazekas schloss: “Ich bin vielleicht der erste Kommandeur, der der NATO medizinische Ratschläge erteilt. Aber nicht der letzte.”


Berliner Sicherheitskonferenz

Behörden Spiegel / Dezember 2021

Die Marine muss nicht nur irgendwie überleben. Sie muss angreifen können, um als Abschreckung zu funktionieren”, sagte Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach auf der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC). Der Inspekteur der Marine betonte außerdem, dass für diese Einsatzfähigkeit alle drei Einsatzbereiche, die sogenannte nördliche Flanke, der Mittelmeerraum und der Indopazifik mitgedacht werden müssten, auch wenn dort jeweils sehr unterschiedliche Einsatzbedingungen zu berücksichtigen seien.

Potenziale voll ausschöpfen Einen Weg, die Effektivität der deutschen und europäischen Marine zu steigern, sieht Prof. Dr. Wolfgang Koch vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) in Innovationen, die nicht sichtbar sind. Maßgeblich für den Erfolg von Einsätzen und Missionen seien zukünftig Infrastrukturen, die den Entscheidern erlauben, möglichst in Echtzeit alle verfügbaren Informationen mit einzubeziehen. “Die Digitalisierung wird scheitern, wenn der menschliche Entscheidungsträger nicht im Zentrum steht”, so Koch. Man müsse die richtige Mischung aus Menschen und Technik finden. Zu diesem Zweck müsste das volle Potenzial der Daten aus-

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as Zusammenspiel zwischen Publikum, Vortragenden und Ausstellern schafften hierbei neue Erkenntnisse. So brachten die Ausführungen einer Angehörigen der amerikanischen Luftwaffe, welche aktuell in der U.S. Botschaft in Berlin tätig ist, die Außensicht auf die deutschen Leistungen. Und die waren durchgehend positiv. Hier in Deutschland entstand oft der Eindruck, die paar Soldaten und Flugzeuge, welche die Bundeswehr nach Kabul schickte, seien in dem großen amerikanischen Kontingent kaum aufgefallen und hätten keinen Ausschlag gegeben. Diesem Eindruck widersprach die amerikanische Soldatin vehement. Als das erste deutsche Kontingent am Flughafen in Kabul ankam, sei eine Erleichterung durch die U.S.-Streitkräfte gegangen, weil sie nun wussten: Sie müssen nicht alleine da durch. Sie haben verlässliche Partner mit sehr willkommenen und qualitativ hochwertigen Fähigkeiten. Deutschland hat augenscheinlich als qualifizierter und verlässlicher Partner einen sehr guten Ruf in den USA. Dies habe sich auch bei jedem Antrag zur Nutzung der Ramstein-Airbase sowie zur Unterstützung in Deutschland – etwa durch medizinische Hilfeleistungen

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“Die Marine muss nicht nur irgendwie überleben” Notwendiger Ausbau des Fähigkeitsprofils (BS/Tanja Klement) Für die Fähigkeiten einer Teilstreitkraft sind verschiedene Faktoren entscheidend. Geografische Gegebenheiten, technologische Fähigkeiten und operationale Anforderungen gestalten in ihrem Zusammenspiel die Entwicklung des Fähigkeitsprofils. Die Tendenzen und neuen Entwicklungen auf dem Feld der Technologie können hierbei die Bewertung der geografischen Gegebenheiten maßgeblich verändern. Etwa durch eine höhere Reichweite für einzelne Waffensysteme. Es ist deshalb ständig notwendig, das Fähigkeitsprofil weiter auszubauen, anzupassen und zu überdenken. Gelegenheit dazu bot die Capability Lounge der Marine auf der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) im November. geschöpft werden. Hierbei gebe es allerdings zwei Risiken zu bedenken, so Koch. Einerseits müsse sichergestellt werden, dass die verwendeten Daten valide seien, andererseits stießen man angesichts der immensen Datenmengen mittlerweile an die Grenzen der technischen Möglichkeiten.

Ein Geben und Nehmen Die Forschung halte das aber nicht davon ab, beispielsweise Ideen und Algorithmen zu entwickeln, die ohne einen Quantencomputer nicht anwendbar sind. Denn irgendwann, so Koch, sei der Quantencomputer da. Und dann sei man bereit. In der Entwicklung neuer Technologien brauche es ein Geben und Nehmen zwischen Militär, Forschung und Industrie. In alle Richtungen. Ein Bedarf wird durch die Zusammenarbeit von Industrie und Forschung gedeckt. Forschung wird durch Anwendung und zu lösende Probleme begünstigt. Ein Beispiel für dieses Zusammenwirken sind groß an-

schreibung stünden, nicht mehr gegeben sei. Auch wenn das bedeute, dass diese Ideen erst in 20 Jahren ihre Umsetzung fänden.

Auf und unter Wasser

V.l.n.r: Inspekteur der Marine Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, Flottillenadmiral Ullrich Reineke, Oliver Dörre (CEO Thales), Prof. Dr. Wolfgang Koch (Fraunhofer FKIE), Marc Paskowski (Airbus). Foto: BS/Boris Trenkel

gelegte Rüstungsprojekte wie das Future Combat Air System (FCAS). Dort würde die technische Unterstützung durch etwa Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) Piloten helfen, wichtige Entscheidungskapazitäten freizuhalten, die sonst in der Steuerung des Flugzeugs gebunden wären. Entscheidungen könnten dann auf einer niedrigeren Hierarchiestufe getroffen werden, sagte Marc Paskowski, Programmmanager FCAS Combat Cloud bei Airbus. Die so gewonnene Geschwindigkeit sei

essenziell für das Gefechtsfeld der Zukunft.

In die Zukunft denken Noch sei eine funktionale Combat Cloud mit KI praktisch nicht umsetzbar. Doch in der Entwicklung eines militärischen Fähigkeitsprofils dürfe man nicht nur an die bereits geplanten und konzipierten Ansätze denken, betonte Flottillenadmiral Ulrich Reineke. Die Zukunft der Streitkräfte liege unter anderem in der Planungsfreiheit, die in Projekten, die kurz vor der Aus-

Die Marine muss für ihr Fähigkeitsprofil zwei sehr unterschiedliche Umgebungen mitdenken. Zusätzlich zum Einsatz auf dem Wasser sind für die meisten Einsatzbereiche auch das Zusammenspiel zwischen Marine und Luftwaffe sowie die Unterstützung durch U-Boote von entscheidender Bedeutung. Während U-Boote immer größer und auch teurer würden, ersetzten unbemannte Systeme konventionelle Einheiten. Problematisch sei, dass die üblichen Methoden der Detektion nicht mehr ausreichen, so Fregattenkapitän Timo Cordes, Kommandeur des 1. U-Boot-Geschwaders der deutschen Marine. Es werde zunehmend wichtiger, eine Aktion dem betreffenden Akteur zuzuordnen, auch für den Schutz der eigenen Infrastruktur. Es werde zudem schwieriger mit dem techni-

Kooperation und Zusammenarbeit Praktischer Blick auf die Entwicklungen der Luftwaffen (BS/Dorothee Frank) Die Luftwaffe bestritt bei der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) eine eigene Capability Lounge, in der sich die Fachbesucher nicht nur während des eigens organisierten Vortragsprogramm zu den aktuellen Themen informieren konnten. Ein Fokus lag auf der Evakuierungsmission aus Afghanistan, der größten Luftoperation der Bundeswehr. – gezeigt. Dass diese Ausführungen “am Rande” gemacht wurden und nicht Teil des offiziellen Vortragsprogramms waren, machte die Erkenntnisse umso wertvoller.

Deutscher Anteil Evakuierung Oberst Timo Heimbach, Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31 “Boelcke”, beschrieb den deutschen Anteil an der Evakuierungsmission: Nach dem Alert am Freitag folgte der Operationsplanungsprozess am Samstag und die Division Schnelle Kräfte meldete ihre Einsatzbereitschaft am Sonntag. Diese schnelle Unterstützung der amerikanischen Partner habe der Bundeswehr seiner Einschätzung nach einen gewissen “Bonus” eingebracht. “Die USA haben rund 90 Prozent unserer Anfragen an Start- und Landeslots entsprochen”, sagte Heimbach. “Sie sagten uns: Ihr leistet euren Beitrag und deshalb gewähren wir euch eure Anträge.” Die militärische Seite hatte sich übrigens für Georgien

als Drehkreuz ausgesprochen, das Auswärtige Amt dann allerdings die Entscheidung für Usbekistan getroffen. Dies habe durchaus zu zusätzlichen Härten für die Soldaten geführt, da in Usbekistan deutlich restriktivere Corona-Schutzmaßnahmen herrschten. “Aufgrund der strengen Corona-Regeln durften die Evakuierten und die Spezialkräfte nicht das Terminal verlassen”, berichtete Oberst Heimbach. Dringend notwendiger Schlaf und Erholung seien bei diesem körperlich und seelisch sehr fordernden Einsatz dadurch kaum möglich gewesen.

Koordination und ­Zuständigkeiten Insgesamt hätte Oberst Heimbach sich etwas mehr Zusammenarbeit gewünscht. Vor Ort sei diese dank der Koordinierung durch die USA sehr gut gewesen, nur müssten die Planungen im Vorfeld besser abgestimmt werden. “Wir hatten einige Synergieeffekte, aber wenn wir die Ein-

sätze auf der politischen Seite koordinieren würden, wären wir viel effizienter”, sagte Oberst Heimbach. “Es fängt damit an, dass jede Nation ihr eigenes Drehkreuz hatte. Einige flogen von Pakistan aus, wir von Taschkent. Wir waren nicht einmal in der Lage, gemeinsam ein Drehkreuz zu installieren.”

Zusammenführen der Eurofighter Eine bessere Koordination forderte auch Oberst i.G. Holger Leukert aus dem Kommando Luftwaffe. Ein gutes Beispiel hierfür sei der Eurofighter, der das Rückgrat sowohl mehrerer europäischer Luftstreitkräfte als auch des Air Policing im Baltikum sei. Leider seien die einzelnen nationalen Tranchen des Eurofighters nicht mehr austauschbar, so dass weder die Flugzeuge noch die Logistik vor Ort verbleiben könnten. Jedes Kontingent müsse alles selbst mitbringen. “Am Anfang der Entwicklung hatten wir beim Eurofighter plug and fight”, sagte Oberst

Leukert. “Heute haben wir vier verschiedene Eurofighter-Flotten.” Dieser Mangel an Interoperabilität reduziere die Bereitschaft von allen Luftwaffen, welche die Eurofighter nutzen. Mit Großbritannien gebe es nun erste Ansätze, um diesem Trend entgegen zu wirken. Ziel sei die Schaffung von austauschbaren Systemen, sodass die gemeinsame Ausbildung, Schulung, Übungen sowie Maintenance und Logistik wieder möglich werden.

Wilder Westen im Weltraum Wie schwierig das Zusammenführen unterschiedlicher Interessen sein kann, zeigte sich allerdings beim Thema Weltraum. Oberst i.G. Marc Worch, militärischer Leiter des Weltraumlagezentrums der Bundeswehr, hob in seinem Vortrag neben der Bedeutung des Weltraums auch dessen Gefährdung hervor. Selbst ohne jedes militärische Eingreifen verursachten Zusammenstöße zwischen Satelliten oder Kleinteilen weiteren Weltraumschrott. Je mehr

schen Fortschritt und dessen militärischen Anwendungsbereichen unter Wasser umzugehen. Eine mögliche Lösung sieht Cordes hier in der Kombination von staatlichen und nicht-staatlichen Ressourcen auf nationaler und internationaler Ebene. Es handle sich hierbei um einen aufklärungsgetriebenen Prozess, in dem Fortschritt durch sein Kosten-Nutzen-Verhältnis definiert sei.

Modular und wandelbar Um bestmöglich auf neue Entwicklungen vorbereitet zu sein, muss die Marine auch auf modulare Systeme setzen, die sich an die jeweilige Situation anpassen lassen. Neue Systeme brauchen mehr als einen möglichen Einsatzbereich. Ein Beispiel für ein solchen Mehrzwecksystem ist das Vorhaben “Fregattenklasse 126” (F126). Die neue Fregattenklasse soll in der Lage sein, einerseits überall auf der Welt und für lange Zeit große Seeräume zu patrouillieren, Embargos zu überwachen und notfalls deutsche Staatsbürger aus Krisensituationen zu evakuieren, andererseits, sich notfalls aber auch im Nordatlantik oder Mittelmeer im Seegefecht gegen andere Kriegsschiffe seiner Art und U-Boote durchsetzen zu können. Ein einzelner Schiffstyp, so die Bundeswehr, konnte so ein breites Aufgabenspektrum bisher nicht erfüllen.

Satelliten, desto mehr potentielle Kaskadeneffekte, die irgendwann zu nicht mehr nutzbaren Bereichen im Orbit führen. Daneben beschrieb Dr. Dirk Zimper vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ein Projekt zur Erstellung so genannter Mikro-Launcher, mit denen Kleinsatelliten – von der Größe einer Waschmaschine – innerhalb von Tagen operationell ins All geschossen werden könnten. Sowohl für den Katastrophenschutz als auch im militärischen Spannungsfall seien solche Kleinsatelliten dann in der Lage, schnell die notwendige Bandbreite und Infrastruktur für die Kommunikation zur Verfügung zu stellen. Beide Redner waren sich einig, dass dringend ein Space Traffic Management und die Aufstellung von Regeln und Gesetzen im Weltraum notwendig seien, um diese Ressource auch in Zukunft nutzen zu können. Beispielsweise würde ein Gesetz zum verpflichtenden Einbau einer De-Orbit-Funktion bereits deutliche Entspannung bringen. Und so zog sich die Notwendigkeit zur Koordination und Zusammenarbeit durch beide Tage der Luftwaffen-Lounge auf der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC). Denn keine Nation kann alleine bestehen, auch die USA nicht.


Verteidigung/Wehrtechnik

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Die Ausrichtung der Ampel

Behörden Spiegel / Dezember 2021

MELDUNGEN

Neue Abteilung “Planung und Digitalisierung” im CIR

Verteidigung im Koalitionsvertrag

(BS/df) Passend zum Nikolaus präsentierte Olaf Scholz seine Ministerriege. Mit der Benennung von Christine Lambrecht zur Verteidigungsministerin ist zumindest eine Überraschung gelungen. Aufgrund der herausragenden Leistungen der Soldatinnen und Soldaten auch im Inland müsse (BS/df) Die geplante Umstruk- des Kommandos Informatidafür gesorgt werden, dass sich “der Dank nicht nur in Worten ausdrückt, sondern auch in Taten”, sagte Lambrecht bei ihrer Ernennung. “Dazu turierung des militärischen onstechnik der Bundeswehr, gehört Beschaffung. Wir müssen dafür sorgen, dass sie entsprechend ausgestattet sind.” Organisationsbereiches Cy- Generalmajor Dr. Michael FärDas Verteidigungsministerium befindet sich allerdings nicht im luftleeren Raum, sondern ist eingebettet in eine Koalition. In jeder Regierung kam dem Koalitionsausschuss eine große Bedeutung zu, weil hier in kleinem Kreis und gewissermaßen hinter den Kulissen die politische Richtung anhand des Koalitionsvertrages im konkreten Alltag der Ministerien nachverhandelt wird. Dementsprechend zeigt der Koalitionsvertrag die zukünftige, bindende Richtung auf. “Wir haben unterschiedliche Traditionen und Perspektiven, doch uns einen die Bereitschaft, gemeinsam Verantwortung für die Zukunft Deutschlands zu übernehmen, das Ziel, die notwendige Modernisierung voranzutreiben, das Bewusstsein, dass dieser Fortschritt auch mit einem Sicherheitsversprechen einhergehen muss und die Zuversicht, dass dies gemeinsam gelingen kann”, ist etwa in der Präambel des Koalitionsvertrages zu lesen. “Sicherheit und Freiheit bedingen einander.”

Nukleare Teilhabe Die nukleare Teilhabe ist weitaus mehr als nur ein paar veraltete Tornados in Büchel, sie ist ein Bekenntnis zum Bündnis mit

Mit der SPD-Politikerin Christine Lambrecht zieht eine erfahrene Politikerin ins Verteidigungsministerium. Foto: Susie Knoll

den USA. Allerdings ist dieses Bekenntnis mit den besagten veralteten Tornados nur schwer aufrechtzuerhalten – und neue Flugzeuge sind teuer. Dass diese teuren Flugzeuge dann auch noch dem reinen Transport von Atomwaffen dienen, sorgte dafür, dass die Bewilligung der Haushaltsmittel den Parlamentariern bisher nicht einfach fiel.

Bewaffnete Drohnen “Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare

Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten”, ist in dem Koalitionsvertrag zu lesen, dem auch die Mehrheit der Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen bei ihrer Urabstimmung zum Koalitionsvertrag zugestimmt haben. Ein weiteres Thema, das die scheidende Regierung aufgrund seiner Brisanz nicht aufnahm, sind bewaffnete Drohnen. “Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen”, ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP zu lesen. “Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Bei ihrem Einsatz gelten die Regeln des Völkerrechts, extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab.” Diese Einschränkungen dürften für die Einsätze der Bundeswehr kein Problem darstellen, da die Bundeswehr insgesamt laut deutschem Recht nur nach den Regeln des Völkerrechts eingesetzt werden darf. Mit diesen Festlegungen greift

der Koalitionsvertrag gleich alle Brandthemen auf, welche durchaus das Potenzial zur Zerreißprobe hatten. Mit der Urabstimmung sicherte sich die Spitze der Grünen zudem den Rückhalt der Basis, es wurde schließlich nach demokratischen Regeln zugestimmt. So ist auch bezeichnend, dass diese beiden Punkte sehr konkret, vieles andere hingegen eher vage ausformuliert ist. Ein weiterer Schwerpunkt wird in einer erneuten Reform des Beschaffungswesens liegen. Im Koalitionsvertrag steht zur Ausrüstung der Bundeswehr: “Wir richten die Schwerpunkte bei der Beschaffung der Bundeswehr strategisch aus und modernisieren das Beschaffungswesen und seine Strukturen. Dies betrifft auch Materialverantwortung und Nutzung. Besondere Bedeutung kommen bei der Beschaffung der Digitalisierung, der Führungsfähigkeit und der Interoperabilität zu.” Diesen Punkt hatte auch Christine Lambrecht bei ihrer ersten Rede aufgegriffen. “Wir müssen das Beschaffungswesen modernisieren”, sagte Lambrecht am 6. Dezember. Wie dies – nach ungezählten Reformen des BWB und BAAINBw – der neuen Leitung gelingen will, bleibt abzuwarten.

Innovationsakteur für die Bundeswehr Ideenkultur an der Universität der Bundeswehr München (BS/df) Start-ups und die Bundeswehr, das passt auf den ersten Blick nicht gleich zusammen. Aber gerade wenn es um neue Technologien und praktische Innovation geht, sind Start-up-Unternehmen eine große Chance. Der Behörden Spiegel brachte in München beim Defence Innovation Pitch Day alle vier Akteure – Wissenschaft, Wirtschaft, Bundeswehr und Start-ups – zusammen, um Möglichkeiten und neue Trends auszuloten. Die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München, Partnerin des Defence Innovation Pitch Days, Prof. Dr. Merith Niehuss, hob in ihrer Eröffnungsrede die Bedeutung der High-Tech Forschung und vor allem auch deren Ausgründung in Start-ups hervor. Die Universität München biete durch die enge Verzahnung mit der Bundeswehr ein besonderes Profil. “Man glaubt gar nicht, wie viele Ideen so eine Universität in sich birgt”, sagte Dr. Niehuss zur Innovationsfähigkeit ihrer Studierenden. Die natürliche Nähe der Universität der Bundeswehr zum Verteidigungsbereich zeige sich etwa darin, dass das Thema Sicherheit in vielen Forschungsprojekten ganz im Vordergrund stünde. “Wir haben uns in diesem Bereich profiliert, auch als Forschungszentrum”, betonte

Dr. Niehuss. “Ein anderes großes Profilierungsfeld von uns ist Space.” Hier zeichneten sich zwei Entwicklungen ab: Zum einen die stetig steigende Rolle des Weltraums im Bereich der Sicherheit – sowohl für die Bundeswehr als auch für die Politik – und zum anderen der “unerklärte Krieg”, der um die Ressource Weltraum und besonders dessen Nutzung des Weltraums für den Informationsraum begonnen habe. China und Russland gehörten hier zu den treibenden Akteuren. All dies erfordere eine innovative, sicherheitsorientierte Forschung, welche sowohl die wissenschaftliche Grundlagenbildung als auch die praktische Umsetzung vereine. Die Universität der Bundeswehr München habe mit der Einrichtung von extra Stellen wie Entrepreneurship oder der Zusammenarbeit mit

dem Behörden Spiegel im Rahmen des Defence Innovation Pitch Days vielfältige Möglichkeiten geschaffen, um Gründer/-innen und Innovator/-innen bei ihren Ideen zu unterstützen. “Wir sind zunehmend ein Innovationsakteur für die Bundeswehr”, betonte auch Prof. Dr. Rafaela Kraus, Vizepräsidentin für Entrepreneurship und den Hochschulbereich für Angewandte Wissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Sie könne aufgrund ihres besonderen Fokus den Studierenden und dem Staat viel bieten. “Wir sind die einzige Universität – neben der HSU in Hamburg – die vom Bund getragen wird”, sagte Dr. Kraus. Die Studierenden seien allerdings nicht alles Soldatinnen oder Soldaten, sondern eine wachsende Zahl käme aus dem zivilen Bereich.

“Bei uns gibt es durchaus Betreuungsrelationen von unter zwanzig Studierenden auf eine Professur”, beschrieb Dr. Kraus die besonderen Pluspunkte. “Wir haben aktuell 3.500 Studierende, Tendenz steigend, auch im Bereich der zivilen Studierenden.” Die Universität der Bundeswehr München lege einen besonderen Fokus darauf, neben der Grundlagenforschung vermehrt die praktische Ausrichtung bzw. die Ausgründung von auf dem Universitätsgelände geborenen Ideen in Start-ups zu fördern. “Wir können den Start Ups den Kontakt in die Verwaltung bieten”, sagte Dr. Kraus. Ihr Bereich Entrepreneurship sei allein zu diesem Zweck etabliert worden. “Und wir hoffen, dass viele wissenschaftliche Mitarbeitenden ihre Ideen in die Tat umsetzen und auf die Straße bringen.”

Behördenarbeitsplatz der Zukunft Flexibel, sicher und produktiv (BS/Thomas Köster*) Als Brandbeschleuniger der Digitalisierung wird Covid mittlerweile oft bezeichnet. Jenen, die sich dem Neuen erst zögerlich öffneten und auf bewährte Prozesse und Verfahren setzten, zeigten Homeoffice und mobiles Arbeiten neue Wege und Chancen auf. Ein Wandel, den auch die Bundeswehr mittragen und mitgestalten muss. Der Wandel der Arbeitswelt hat durch die Corona-Pandemie eine ungeahnte Beschleunigung erfahren. Der Gesundheitsschutz macht es notwendig. Arbeitserfüllung und der physische Arbeitsplatz gehören nicht mehr untrennbar zusammen.

Abwägen der Sicherheit Arbeit wird ortsunabhängiger geleistet werden müssen. Ergonomische Mindeststandards oder die Barrierefreiheit sind Anforderungen, die dabei unabhängig von arbeitsrechtlichen Differenzierungen bei Tele-Arbeit und mobilem Arbeiten mitbedacht werden müssen.

Die Zeiten, in denen IT-Sicherheit gegen andere Anforderungen, bspw. Produktivität oder Verfügbarkeit, abgewogen wurde, müssen allerdings endgültig passé sein. Damit Cyber-Sicherheit einen befähigenden Charakter erhält, muss die Infrastruktur an allen erdenklichen Schnittstellen geschützt sein. Zum Beispiel durch die Trennung von Darstellung und Betrieb: Das Benutzerkonto wird nicht mehr auf dem Endgerät betrieben, sondern läuft in einer dafür gestarteten virtuellen Maschine im Rechenzentrum. Gleichzeitig schafft diese Virtualisierung Flexibilität und Freiräu-

me zur kurzfristigen Bedarfsanpassung. Aber auch sogenannte Sandboxen und Firewalls für ein- und ausgehende Informationen sowie sichere Verfahren zur Authentifizierung (mindestens Zwei-Wege), der Schutz der Endgeräte, insbesondere der mobilen, vor unautorisiertem Zugriff und möglichst automatisierte Prozesse zur Fernabschaltung sind etablierte Standards.

Ausrichtung am Mitarbeiter Büroanwendungen und Fachverfahren können dann, unabhängig davon, ob es sich um Standardsoftware oder OpenSource-Lösungen handelt, kolla-

borativ und eng mit den internen Prozessen abgestimmt werden. Schnittstellen für Neuentwicklungen bei Verfahren, Prozessen oder technischen Veränderungen werden mit angelegt. So kann der Behördenarbeitsplatz der Zukunft Arbeitsfreude und -eifer entfalten, denn das Herzstück einer Behörde bleiben ihre Mitarbeiter. *Thomas Köster ist Vertriebsbeauftragter in der Geschäftsstelle für den Öffentlichen Dienst bei der SVA System Vertrieb Alexander GmbH und widmet sich dort zugleich der politischen Kommunikation.

ber- und Informationsraum (wir berichteten) nimmt konkrete Formen an. Ab Januar 2022 wird der aktuelle Kommandeur

ber, die neue Abteilung “Planung und Digitalisierung” im Kommando CIR aufbauen und führen.

Reichsbürger beim BND (BS/df) Wie das Bundesverwaltungsgericht am 2. Dezember mitteilte, wurde ein Beamter, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnet, im Disziplinarwege aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Prekär ist allerdings, dass dieser Reichsbürger für den Bundesnachrichtendienst (BND) arbeitete. Aufgefallen war die Gesinnung des Ex-Beamten bereits vor sechs Jahren. Der BND brauchte seinerzeit allerdings zwei weitere Jahre, um zu reagieren. “Der Beklagte ist Regierungsobersekretär (Besoldungsgruppe A 7) im Bundesdienst und wird beim Bundesnachrichtendienst verwendet. Im Jahr 2017 hat der Bundesnachrichtendienst Kenntnis davon erlangt, dass

der Beklagte im Juli 2015 beim Landratsamt Starnberg einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt und dabei u. a. als Geburts- und Wohnsitzstaat jeweils “Königreich Bayern” angegeben und sich auf das “RuStaG Stand 1913” (= Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1913) bezogen hat”, berichtet das Bundesverwaltungsgericht. “Als Beamter weiß er um die Bedeutung eines so formulierten Antrags.” Da eine Leugnung der Bundesrepublik Deutschland nicht mit der von Beamten geforderten Verfassungstreue in Einklang zu bringen ist, konnte der BNDler aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden.

Hubschrauberdrohnen für die Marine (BS/bk) Das BAAINBw beschafft Hubschrauberdrohnen für die Korvetten der Marine. Dazu hat das Bundesamt mit der Elektroniksystem und Logistik GmbH (ESG) einen Vertrag über die Lieferung von drei Systemen des unbemannten Drehflüglers “Sea Falcon” geschlossen. Die Drohnensysteme, deren Hauptkomponenten aus je zwei UAV (Unmanned Aerial Vehicle) vom Typ Skeldar V-200 und einer Bodenkontrollstation bestehen, werden in die Korvetten der Klasse K130 integriert. Der geschlossene Vertrag umfasst auch die Bereitstellung von Ersatzteilpaketen, die Erstausbildung des technischen und fliegerischen Personals sowie die Einrichtung eines Ausbildungsstandorts für das System

an Land innerhalb der nächsten vier Jahre. Mit diesem Einsatzgerät soll eine Aufklärung und Identifizierung von Seezielen außerhalb der Reichweite der bordeigenen optischen Sensoren ermöglicht werden. Die Drehflügler können bis zu fünf Stunden im Einsatz sein. Aus dem BAAINBw heißt es: “Die der Serienbeschaffung vorgeschaltete Pilotphase gibt uns die Möglichkeit, die an die Aufklärung und Identifizierung im maritimen Einsatzgebiet gestellten hohen Anforderungen in einem integrierten Prozess qualitätsgesichert nachzuweisen. Damit stellen wir sicher, dass über den gesamten Projektverlauf eine hohe Planungssicherheit gewährleistet ist.”

Digitalisierung der Streitkräfte (BS/bt/lma) Gemeinsam mit der Firma Bechtle hat die AFCEA Bonn Anfang November das zweite und letzte Mittagsforum für dieses Jahr veranstaltet. Das zentrale Thema der Veranstaltung war, wie Streitkräfte die Digitalisierung effizient nutzen können, um zukunftsstark auf dem digitalen Gefechtsfeld aufgestellt zu sein. Man versuche seit 2015, die IT der Bundeswehr nachhaltig aufzustellen, im Ministerium habe man sich bereits eine Reihe von Konstruktionen ausgedacht, wie so etwas gehen könnte, erklärte Generalmajor Dr. Michael Färber, Kommandeur des Kommandos Informationstechnik der Bundeswehr (KdoITBw). “Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ist recht komplex und leicht heterogen” so Generalmajor Dr. Färber weiter. Knapp 3.500 Projekte führe die Bundeswehr durch, daraus habe man in der Abteilung Cyber- und Informationstechnik (CIT) im BMVg etwa 550 Projekte extrahiert, die sich mit Informationstechnik befassten. Der Einblick in diese 550 Projekte sei zwar für die Arbeit von Vorteil, allerdings werde sie dadurch nicht einfacher. Der beste Weg wäre, diese Projekte zu systematisieren, so Generalmajor Dr. Färber. Mithilfe der Cluster-Logik, einer sogenannten Digitalisierungsplattform, sei dies möglich. “Aus den 550 wollen wir in den nächsten Jahren neun solche Cluster bauen, die wir dann allerdings auch in der Systematik so zerlegen müssen, dass sie da reinpassen”, beschrieb Generalmajor Dr. Färber. Damit soll

eine bessere Serviceorientierung angestrebt werden. Aktuell werden sogenannte “Cluster-Programme” geschrieben. Das sind Dokumente, die die neun Cluster mit Inhalten hinterlegen. Es gibt einen Pilot-Cluster, Infrastruktur, die Cloudbase und das User-Equipment, also die zentrale der Infrastrukturplattform. Geplant ist das Verfahren für den Planungszyklus 2024. Grund für den weiten Zeitraum sei das Planungsverfahren der Bundeswehr, bei dem es vorbereitende Maßnahmen gebe, die für die Haushaltsdurchführung im Jahr 2024 schon 2022 beginnen müssten, damit man die richtigen Vorrausetzungen schaffe. Generalmajor Dr. Färber ist zuversichtlich: “Wenn das funktioniert, werden wir eine ganz andere Qualität bei der Bereitstellung der IT-Services in der Gesamtorganisation bekommen.” Damit die Digitalisierung bei der Bundeswehr, aber auch in der gesamten staatlichen Verwaltung gelingen kann, ist der Staat auch auf eine gewisse Innovationsfähigkeit angewiesen. Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr soll als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland für Verwaltungen Innovationen fördern. Sven Weizenegger, Leiter des Cyber Innovation Hubs, erklärt die vier Schwerpunkte, mit denen der Hub agiert. Man suche innerhalb der Bundeswehr selbst nach Menschen mit Innovationsideen, welche der Hub dann bei der Umsetzung unterstützen könne.


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Behörden Spiegel / Dezember 2021

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ls solcher ist Fleischhauer, der verheiratet ist und ein Enkelkind hat, inzwischen für die Regionen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin zuständig. Unter seinem Kommando stehen ein Hilfstruppführer sowie ein Arbeiter. Zuvor war er für drei Jahre als Truppführer in Oranienburg eingesetzt, das immer noch massiv durch Kampfmittel belastet ist, da während des Zweiten Weltkrieges dort viel Rüstungsindustrie angesiedelt war. Aus diesem Grunde war die Stadt Ziel zahlreicher Luftangriffe. Inzwischen arbeitet Fleischhauer in Neuruppin. Hier ist er unter anderem für Kampfmittelfunde in den Städten Perleberg, Wittstock, Wittenberge sowie in Neuruppin selbst zuständig. Dazu sagt der passionierte Motorradfahrer: “Mindestens einmal in der Woche bin ich selbst noch für Sprengungen draußen.” Denn Kampfmittel sprengen darf aus rechtlichen Gründen nur er. Seine Mitarbeiter sowie Beschäftigte von Fremdfirmen sind für die Suche sowie die Erkundung zuständig.

Auf die Transportfähigkeit kommt es an Dabei gilt laut Fleischhauer, der im Auftrag der Vereinten Nationen sowie von deren Hohem Flüchtlingskommissar (UNHCR) bereits in verschiedenen Staaten tätig war: “Kampfmittel werden grundsätzlich nur geborgen, wenn sie transportfähig sind.” Ansonsten erfolge die Sprengung unmittelbar vor Ort. Und Granaten würden immer sofort an Ort und Stelle gesprengt. Er erläutert: “Für die Einschätzung, ob ein Kampfmittel transportfähig ist oder nicht, brauche ich viel Erfahrung und gute Lichtverhältnisse.” Entscheidet Fleischhauer, der in der Vergangenheit in Guatemala, Laos, Angola und Vietnam für die Ausbildung lokaler Kampfmittelräumer sowie die Qualitätssicherung vor Ort verantwortlich war, dass gesprengt werden muss, geschieht dies teilweise auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten sowie am Wochenende. Hinzu kommt, dass er alle zwei bis drei Monate Bereitschaftsdienst für den Raum Brandenburg Nord hat. Dieser dauert von Freitagnachmittag bis zum Freitagmorgen der Folgewoche. In dieser Zeit kann jederzeit das Diensthandy klingeln. “Dann kann es sein, dass ich für eine Sprengung aus Neuruppin bis an die Oder fahre”, erzählt Fleischhauer, der sich in seiner Freizeit gerne um sein Enkelkind kümmert und sich dem Modellbau widmet.

Keine Sonderordnungsbehörde in der Mark Im Falle von Sprengungen darf der Tarifbeschäftigte nur in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Ordnungsamt vor Ort Anordnungen treffen. Zur Begründung führt er aus: “Der Kampfmittelbeseitigungsdienst ist in Brandenburg – abgesehen von einem derzeit laufenden Pi-

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Sprengmeister mit ganz viel Erfahrung Gerd Fleischhauer ist Truppführer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst Brandenburg (BS/Marco Feldmann) Er hatte schon zu DDR-Zeiten mit Kampfmitteln zu tun. Damals allerdings nur mit sowjetischen. Denn Gerd Fleischhauer war zwölf Jahre lang Soldat bei der Nationalen Volksarmee (NVA). Auch nach der politischen Wende 1989/1990 führte er weiterhin Bergungen und Sprengungen durch. Er war damals für eine private Räumfirma tätig, auch im Ausland. Seit über 20 Jahren ist der 61-jährige Truppführer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg.

Gerd Fleischhauer ist Truppführer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg. Er ist für Sprengungen und den Transport von Kampfmitteln in den Landkreisen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin zuständig. Fotos: BS/Feldmann

Bei Bomben muss Fleischhauer entscheiden, ob sie transportfähig sind oder nicht (Foto). Ist dies nicht der Fall, werden auch diese Kampfmittel sofort vor Ort gesprengt. Mit Granaten wird immer so verfahren. Sie werden nicht vom Fundort abtransportiert.

lotprojekt in Oranienburg – keine Sonderordnungsbehörde.” Dies sei in anderen Bundesländern, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, anders. Hier könnten die Kolleginnen und Kollegen unmittelbar Anordnungen aussprechen. Fleischhauer hat in seinem Zuständigkeitsbereich rund 120 Einsätze pro Jahr, die ausschließlich der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienen. “Das können Alarmierungen aufgrund von Funden durch Spaziergänger sein”, berichtet er. Hinzu kämen die Einsätze an Räumstellen, nachdem dort systematische Erkundungen stattgefunden hätten. “Hier sind im gesamten Land Brandenburg insgesamt zwölf Rahmenvertragsfirmen für uns tätig.” Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernähmen die Suche nach Kampfmitteln, das Angraben sowie die Bergung. “Die Kampfmittel transportieren und vernichten dürfen jedoch nur wir”, erklärt Fleischhauer. Zudem obliege seinen Kollegen und ihm in diesem Bereich die

Bei der systematischen Untersuchung von potenziell kampfmittelbelasteten Flächen können durchaus viele Funde mit unterschiedlichen Sprengkörpern gemacht werden.

Aufsicht sowie die Qualitätskontrolle. Auch Bohrlochsondierungen nähmen ausschließlich die Kräfte des Kampfmittelbeseitigungsdienstes vor, welcher sogar spezialisierte Taucher vorhalte. Im Übrigen erfolge die Suche nach Bomben und Granaten auf verschiedenen Wegen. “Es werden unter anderem Luftbilder ausgewertet, die das Land Brandenburg erworben hat.” Darüber hinaus erfolge die Suche mithilfe von Handdetektoren und künftig möglicherweise auch durch Drohnen. Denn mit den unbemannten Systemen sei es möglich, größere Flächen als bislang auf einmal abzusuchen. “Von diesen könnten Teilstücke dann händisch untersucht werden”, erklärt Fleischhauer. Die entsprechenden Überlegungen stünden allerdings noch relativ am Anfang.

Nicht immer werden Rechnungen gestellt Klar geregelt ist hingegen die Kosten- und Gebühren-

frage. “Wird auf kommunalen Flächen oder auf Landesflächen eine Kampfmittelbelastung festgestellt, schreiben wir den Verantwortlichen keine Rechnung für unsere Arbeit”, so der Truppführer. Anders sehe es bei Bundesflächen aus. Gebe es dort Funde oder würden Maßnahmen durchgeführt, müssten diese vom Bund bezahlt werden. Private Eigentümer wiederum müssten für die Kampfmittelsuche durch die Behörde zwar Gebühren entrichten. Gebe es dann Funde, sei deren Bergung wiederum kostenfrei. “Es sei denn, der private Grundstückseigentümer hat eine private Räumfirma mit der Erkundung beauftragt. Dann erheben wir für die Bergung und Sprengung Gebühren”, schränkt der frühere Soldat ein.

Ein Restrisiko bleibt Fleischhauer kann zwar nicht mehr zählen, “wie viele Kampfmittel ich in meinem Berufsleben bereits entschärft habe”. Aber er unterstreicht: “Man sollte immer Respekt vor den Kampfmitteln haben, da jedes Kampfmittel anders ist.” Routine könne und dürfe es – unter anderem wegen der unterschiedlichen Zustände der Kampfmittel – niemals geben. Denn: “Auch kleine Kampfmittel wie Granaten sind tödlich.” Bei Sprengungen gehe ihm teilweise immer noch der Puls hoch. “Das gilt vor allem, wenn das Kampfmittel über einen Langzeitzünder verfügt oder besonders verrottet ist.” Denn Langzeitzünder seien besonders gefährlich. “Ihr Zustand ist nicht immer leicht festzustellen”, erklärt Fleischhauer. Man könne nicht immer erkennen, ob das Aceton aus dem Langzeitzünder bereits ausgelaufen sei. Hinzu komme, dass Luftbi-

Mithilfe von Drohnen (Foto) könnten größere Flächen schneller nach Kampfmitteln abgesucht werden. Spezielle Teilflächen, auf denen Funde vermutet werden, könnten dann per Handdetektor nachkontrolliert werden. Noch steckt die Drohnentechnik bei der Kampfmittelbeseitigung jedoch in den Kinderschuhen.

lder zwar helfen würden. Aber: “Sie sind nicht das Nonplusultra, weil es hier teilweise zeitliche Verzögerungen gibt.” Außerdem lägen ausschließlich Informationen zu alliierten Kampfmitteln vor. Hier seien nicht nur Luftbilder analysiert worden – der Kampfmittelbeseitigungsdienst Brandenburgs verfügt über drei entsprechend geschulte Auswerter –, sondern man habe etwa auch Beladungslisten alliierter Kampfbomber geprüft. Anhand dieser Dokumente habe man in etwa einschätzen können, wie viele Kampfmittel etwa abgeworfen worden seien. Aus den Archiven der Roten Armee habe man solche Dokumente leider nicht erhalten. Hier gebe es auch nur wenige verfügbare Luftbilder, berichtet Fleischhauer.

Elf Langzeitzünder ohne Sachschäden gesprengt Mit großer Freude und Stolz berichtet der Truppführer von seinem persönlichen Berufs-Highlight: “An einer Fundstelle haben wir elf Langzeitzünder in kurzen Abständen hintereinander gesprengt. Und das ohne Sachschäden. Das war schon eine klasse Leistung.” In

seinem Arbeitsalltag geht es aber nicht immer so spannend und aufregend zu. Er muss sich auch um viele organisatorische Angelegenheiten kümmern. Dies betrifft unter anderem die Organisation von Kampfmitteltransporten zum Sprengplatz oder die Kontrolle der Lagerhaltung. Deshalb meint er: “Die Hälfte meiner Arbeitszeit sitze ich am Schreibtisch.”

Weiterbildung muss ständig sein Neben dem Organisatorischen ist auch die ständige fachliche Weiterbildung wichtig. Aus diesem Grunde gebe es unter anderem einmal im Monat eine interne Schulung aller Truppführer des Brandenburger Kampfmittelräumdienstes. “Zudem tauschen wir Truppführer uns untereinander eng aus. Gleiches gilt mit Blick auf die Kollegen beim Landeskriminalamt.” Sie sind laut Fleischhauer für die Entschärfung von Unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen (USBVs) sowie für Fundmunition verantwortlich. Zu Letzterer gehören unter anderem Waffenfunde. Der Truppführer bildet sich aber nicht nur intern, sondern auch extern weiter. “Ich besuche jede Menge Schulungen und Lehrgänge, zum Beispiel an der Sprengschule in Dresden”, betont Fleischhauer. Denn Fort- und Weiterbildungen seien in seinem Beruf von entscheidender Bedeutung. Schließlich gebe es ständig neue Erkenntnisse über Kampfmittel und ihre technische Beschaffenheit.

Teil des Zentraldienstes der Polizei (BS/mfe) In Brandenburg gehört der Kampfmittelbeseitigungsdienst zum Zentraldienst der Polizei (ZDPol BB). Er hat seinen Hauptsitz in Wünsdorf bei Zossen. Der Kampfmittelbeseitigungsdienst hat verschiedene Aufgaben. Dazu gehören unter anderem die Ermittlung des Kampfmittelverdachts sowie die Nachweisführung über geräumte Flächen. Zudem sind seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Ent- Der Kampfmittelbeseitigungsdienst gegennahme, den Transport, Brandenburg hat vielfältige Aufgaben. die Lagerung und Vernich- Sprengungen von Bomben und Granatung von Kampfmitteln zu- ten dürfen nur seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vornehmen. ständig. Der märkische Kampfmittelbeseitigungsdienst zählt rund 80 Beschäftigte. Er untergliedert sich in die Teilbereiche administrative und technische Aufgaben. Zu den administrativen Aufgaben zählen zum Beispiel die Kampfmittelräumplanung, die Luftbildauswertung sowie der Bürgerservice. Außerdem wird im Team Kataster/GIS die Kampfmittelverdachtsflächenkarte des Landes Brandenburg erstellt und aktualisiert. Darin werden alle vorliegenden Daten über historische Erkenntnisse und Zeitzeugenaussagen, Einzelfundstellen, Erkenntnisse der Truppenführer im Rahmen der Durchführung eigener Sondierungen, Räumstellenprotokolle über geräumte Flächen sowie Ergebnisse der Luftbildauswertungen erfasst und dokumentiert. Der technische Bereich des Kampfmittelbeseitigungsdienstes besteht zum einen aus den vier Außenbereichen (West, Ost, Nord, Oranienburg) und zum anderen aus dem Munitionszerlegbetrieb (MZB). Die Beschäftigten der Außenbereiche beaufsichtigen und koordinieren Kampfmittelbeseitigungsmaßnahmen der beauftragten privaten Fachfirmen. Darüber hinaus veranlassen sie die Beseitigung von durch Kampfmittel entstehende Gefahren zum Schutze der Bevölkerung, beseitigen Zufallsfunde und entschärfen beziehungsweise vernichten nicht handhabungsfähige Kampfmittel vor Ort. Zudem transportieren und lagern sie anfallende Kampfmittel in ihren Munitionszwischenlagern und koordinieren deren Abtransport zum Munitionszerlegbetrieb in Kumersdorf zur endgültigen Vernichtung. Neben dem Kampfmittelbeseitigungsdienst obliegt dem ZDPol BB unter anderem die Beschaffung von Fahrzeugen, Booten, Waffen und Geräten. Außerdem sind seine Beschäftigten für die Telekommunikations-, Funk- und Datenverarbeitungstechnik verantwortlich. Darüber hinaus unterstehen dem ZDPol auch die Zentrale Bußgeldstelle und der Polizeiärztliche Dienst. Direktor des ZDPol ist seit Kurzem Matthias Pawlitzky. Der 49-Jährige trat die Nachfolge Anja Germers an, die inzwischen Leiterin der Abteilung für Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Polizei- und Ordnungsrecht und Kriminalprävention im Potsdamer Innenministerium ist. Pawlitzky gehörte seit dem Jahr 2003 dem Ministerium des Innern und für Kommunales an. Er leitete zuletzt das Haushaltsreferat und hatte die Funktion des Beauftragten des Haushaltes inne. Zuvor hatte er für die Dauer von zwei Jahren die kommissarische Leitung der Abteilung eins (Zentrale Querschnittsaufgaben, Landesaufgaben für Organisation, Vermessungsangelegenheiten, Aus- und Fortbildung in der Landesverwaltung) übernommen.



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