Behörden Spiegel August 2019

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VIII / 35. Jg / 32. Woche

G 1805

Berlin und Bonn / August 2019

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Adé reine Kassenwirtschaft

Effektive Cyber-Verteidigung

Der unbekannte Hinterbänkler

Dr. Patrick Opdenhövel legt Wert auf die kaufmännische Rechnung ............................. Seite 7

Axel Voss über das entscheidende europäische Miteinander ................................................. Seite 35

Die geisterhafte Erscheinung des Jakob Maria Mierscheids.............................. Seite 48

Mehr Verdachts­ meldungen

(BS/mfe) Bei der “Financial In­ telligence Unit” (FIU) der Ge­ neralzolldirektion (GZD) sind im vergangenen Jahr mehr als 77.200 Meldungen wegen Geld­ wäscheverdacht eingegangen. Im Vergleich zu 2017 ist das eine Steigerung um 29 Prozent. Seit dem Jahr 2008 hat sich das jährliche Meldeaufkommen so­ gar verelffacht. Begründet wird der Anstieg unter anderem mit der Absenkung der Hemmschwel­ le für die Abgabe einer solchen Meldung. Das Bundeskabinett hat kürzlich einen Gesetzentwurf beschlossen, der einerseits einen effektiveren Datenbankzugriff vor­ sieht. Zum anderen sollen mehr Berufsgruppen zur Abgabe von Verdachtsmeldungen verpflichtet werden, darunter etwa Immobili­ enmakler und Edelmetallhändler.

Regelungen reform­bedürftig

(BS/mfe) Die letzte Länderüber­ greifende Krisenmanagement­ übung (LÜKEX 18) hat Optimie­ rungsbedarf aufgezeigt. Beübt worden war eine Gasmangellage. Gezeigt hat sich dabei, dass die Kriterien zur Feststellung der Notfallstufe im “Notfallplan Gas” überprüft werden sollten. Wichtig sei hier das Herbeiführen eines einheitlicheren Verständnisses. Auch das Energiewirtschafts­ gesetz ist reformbedürftig. Dort sollten die Haftungsregelungen überarbeitet werden. Schwerpunkt der nächsten LÜ­ KEX ist laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Ka­ tastrophenhilfe (BBK) die Auf­ rechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen nach ei­ nem Cyber-Angriff auf das Re­ gierungsnetz mit einhergehenden Stromausfällen.

300.000 Euro Klimawandelförderung

(BS/ab) Für Kommunen, Unter­ nehmen sowie gesellschaftliche Akteure stehen bis zu 300.000 Eu­ ro mit dem Programm “Maßnah­ men zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels” zur Verfügung. Leuchtturmprojekte zur Klimaan­ passung, dazu entwickelte Bil­ dungsmodule, sowie der Aufbau von regionaler Zusammenarbeit werden vom Bundesumweltmi­ nisterium (BMU) unterstützt. Die Projektskizzen können bis 31. Oktober 2019 bei der ZukunftUmwelt-Gesellschaft (ZUG) als zuständigem Projektträger ein­ gereicht werden. Im Anschluss an die Skizzenbewertung fordert das BMU Interessenten mit aus­ sichtsreichen Projektskizzen dazu auf, einen formalen Förderantrag zu stellen. Die Folgen des Klimawandels und welche Handlungsoptionen exis­ tieren sind ein zentrales Thema auf dem Europäischen Katas­ trophenschutzkongress des Be­ hörden Spiegel am 27. und 28. August 2019.

Aktiv anpacken Schutz der Beschäftigten bei der Verwaltungsdigitalisierung ist Frage der Mitbestimmung (BS/Jörn Fieseler) Die neue Regierung in Bremen will das Verwaltungshandeln zügig digitalisieren. Bis 2023 sollen sämtliche Services der Verwaltung online abgerufen werden können (siehe Seite 6). Mehr noch: Innerhalb der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) will sich der Stadtstaat für die Initiierung eines arbeitgeberseitigen Prozesses für einen “Digitalisierungs- und Zukunfts-Tarifvertrag” einsetzen. Der Grundgedanke ist richtig, die konkrete Umsetzung nicht. “Wir haben im Öffentlichen Dienst keine Plattform für die politische Diskussion mit den Sozialpartnern zum Thema Arbeit 4.0”, sagt Henning Lühr, Staatsrat im Bremer Finanzressort. “Aber wir brauchen ein gesellschaft­ liches fundiertes Dokument, u. a. mit einem Recht auf Qualifizie­ rung.” Gebe es diesen Tarifvertrag nicht, müssten allein auf kom­ munaler Ebene mit rund 11.000 Personalräten entsprechende Re­ gelungen ausgehandelt werden. Damit rennt der Staatsrat bei Frank Bsirske offene Türen ein. Für den Verdi-Chef ist ein Di­ gitalisierungs-Tarifvertrag ein “wesentliches Element einer erfolgreichen Digitalisierung in den öffentlichen Verwaltungen”. Das Ansinnen ist richtig und wichtig. “Ein Tarifvertrag ist ein wichtiges Gestaltungselement. Er stellt Leitplanken auf und bietet den Beschäftigten damit Schutz und Sicherheit”, unterstreicht Volker Geyer, stellvertretender Bundesvorsitzender und Fach­ vorstand Tarifpolitik beim DBB Beamtenbund und Tarifunion. Deshalb müsse sich die Arbeit­ geberseite nicht nur des Themas annehmen, sondern auch klare Regelungen schaffen. Zumal Verdi mit einem Betrei­ ber von Hafenterminals schon einen Zukunfts-Tarifvertrag ab­ geschlossen hat. Darin wird nicht von Digitalisierung, sondern von Automatisierung gesprochen.

Aus Sicht der Beschäftigten, aber auch der öffentlichen Arbeitgeber müssen im Rahmen der Digitalisierung verbindliche Regelungen angegangen werden, um dieses Handlungsfeld zu gestalten und gleichzeitig die Beschäftigten zu schützen. Foto: BS/okalinichenko, stock.adobe.com

Zentral sind drei Aspekte: Ers­ tens die Definition des Begriffes Automatisierung. Zweitens die Einführung einer mit Arbeitge­ ber- und Arbeitnehmervertretern paritätisch besetzten Automati­ sierungskommission, die über jede Maßnahme beschließt, von der mindestens zehn Prozent der Beschäftigten betroffen sind. Und drittens das Recht auf Qualifi­ zierung für jeden Beschäftigten, dessen Arbeitsplatz von einer

Automatisierungsmaßnahme be­ troffen ist. “Bei den diesjährigen Tarifverhandlungen der TdL mit den Gewerkschaften stand nicht die Befürchtung im Fokus, dass der Öffentliche Dienst zu viele Beschäftigte hat, sondern dass Anstrengungen erforderlich sind, um die nötige Zahl der Beschäf­ tigten anzuwerben und auszubil­ den”, sagt der TdL-Vorsitzende, Berlins Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz. Dazu seien in den

Ländern bislang eine Vielzahl von Maßnahmen auf Dienststel­ len- und Betriebsebene verein­ bart worden, die den konkreten Bedürfnissen vor Ort gerecht würden. Inhaltliche Forderun­ gen nach einem DigitalisierungsTarifvertrag seien jedoch bislang nicht erhoben worden. “Bei den kommunalen Ar­ beitgebern wird das Thema natürlich diskutiert”, berich­ tet VKA-Hauptgeschäftsführer

Klaus-Dieter Klapproth. “Aber wir haben nicht die Absicht, einen Digitalisierungstarifvertrag zu vereinbaren.” Sinnvoller sei es, die entsprechenden Regelungen im TVöD anzupassen oder ein­ zuführen. Deutlich skeptischer steht er der Einrichtung einer Kommission gegenüber. Das sei ein typischer Ansatz von Verdi. Mehr noch: Damit würde die “Unternehmensleitung in Ge­ werkschaftshände übergehen”. “Deutschland hat ein durchgrei­ fendes Mitbestimmungsrecht”, so Klapproth. Dem schließt sich Geyer an: “Wir sollten vorsichtig sein mit der Schaffung immer neuer Kommissionen. Mitbestim­ mungsfragen gehören generell in Betriebs- und Personalräte.” Das stimmt. Doch müssten dazu auch ressort- oder körperschafts­ übergreifende Personalvertretun­ gen existieren. Außer in Hamburg und Bremen ist das nicht der Fall. “Wir brauchen Vorschläge zu Arbeit 4.0, die verwaltungsebe­ nenübergreifend funktionieren. Hier sind Initiativen der Sozial­ partner und des Gesetzgebers notwendig”, fordert Lühr. Doch bevor die Mitbestimmung in ei­ nem Tarifvertrag geregelt wird, sollte besser das Personalver­ tretungsrecht novelliert werden. Ein solch elementares Thema braucht eine gesetzliche Grund­ lage. Dazu müssen die Normen auf Bundes- und Landesebene zeitnah reformiert werden.

Kommentar

Wider den Kannibalismus! (BS) Was in der Wirtschaft seit jeher gang und gäbe ist, galt im Öffentlichen Dienst bisher als sakrosankt – das gezielte Abwerben von Fachkräften aus anderen Behörden. Einzelne Wechsel verbunden mit Aufstiegskarrieren gab es wohl, doch mittlerweile hat sich Kannibalismus breitgemacht. Bis 2030 droht dem Öffentlichen Dienst ein Personalbedarf von 730.000 Personen, vor allem wegen des altersbedingten Aus­ scheidens, aber auch wegen der Schaffung neuer Planstellen. Allein die Bundesministerien erhielten in jüngster Vergan­ genheit fast 2.000 neue Stellen, die Bundespolizei wird es auf über 20.000 bringen, ebenso die Bundeswehr und die Deutsche Bahn. Länder und Kommunen ziehen nach. Sie alle konkur­ rieren zudem um den gleichen Bewerberpool. Doch die Konkurrenz um Ein­ steiger ist das eine, die Abwer­ bung bereits Erfahrener aus anderen Behörden das andere. Die Bundesländer klagen hier übereinander, besonders über den Bund. Doch sie waren selbst

Verursacher, als sie vor zehn Jah­ ren die bundesweite Einheitlich­ keit des Beamtenrechts infolge der Föderalismusreform kippten. Reiche Bundesländer mit besse­ rer Besoldung werben per Stel­ lenanzeige in anderen Ländern. Dort, wo es Bundes- und Landes­ behörden dicht beieinander gibt, treten kannibalische Phänomene auf. Etwa bei IT-Spezialisten: A 12er aus Ländern werden auf A 15er-Stellen des Bundes gehievt. Findige fanden gar Ausgleichs­ zahlungen bis zur Erreichung der versprochenen Besoldungsstufe. Dieser Kreativität will der Bund nun mit einem Besoldungsstruk­ turenmodernisierungsgesetz (BesStMG) Gestalt geben (siehe Seite 3). Ist da ein Wechsel von IT-Spezialisten aus Kommunen, vor allem aber Ländern bepreist?

Wie wollen zudem die Behör­ denleiter ihren langjährigen ITFachkräften erklären, dass die Neuen auf einmal einen fetten Aufschlag bekommen? Das ist in der Sache zu kurz gesprungen, stiftet Ungerechtigkeitsgefühl und löst das Problem am Ende für den Öffentlichen Dienst nicht. Die über 100 Fachhochschul­ einrichtungen des Bundes und der Länder sollten für Informa­ tionstechnologie fitter und at­ traktiver gemacht werden. Klar ist, die Behörden brauchen jetzt Polizisten und IT-Spezialisten und nicht erst nach drei Jahren Ausbildung. Vielleicht löst der Wirtschafts­ aufschwung das Problem ra­ scher, als manchen lieb sein wird. R. Uwe Proll

Evaluierungs-Erwartungen


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / August 2019

“Geld regiert die Welt” – und wie wir es verwenden, liegt in unseren Händen. Bürger zahlen Steuern, der Staat verfügt anschließend darüber. Verschiedene Themen benötigen eine staatliche Bepreisung, Investitionen müssen getätigt und Modernisierung muss betrieben werden. Der zunehmende Personalmangel im Öffentlichen Dienst erfordert neue Anreize und gesetzliche Vergütungsänderungen müssen näher betrachtet werden. Foto: BS / Syda Productions, stock.adobe.com

Finanzen Attraktivitätsoffensive mit Nebeneffekten

Trotz Allgemeininteresse ungeeignet

Weiterhin hoher Investitionsstau

Bund bringt BesStMG auf den Weg ............................. Seite 3

BMVi prüft Folgen für HOAI .......................................... Seite 9

Kommunale Spitzenverbände veröffentlichen aktuelle Finanzdaten ...................................................Seite 19

Eine Frage des Geldes?

Wer zahlt?

Verwaltungsmodernisierung in Bremen........................ Seite 6

Regelungen zu Straßenausbaubeiträgen in NRW ........Seite 15

Taser-Einführung in NRW ausgesetzt Distanzelektroimpulsgeräte kommen vorerst nicht ............................................................................ Seite 38 Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Neues Heft erschienen Weitere “Moderne Polizei”-Ausgabe veröffentlicht (BS / stb / mfe) Schon längst verlagern sich Teile der Kriminalität einerseits, aber auch der polizeilichen Arbeit andererseits in den digitalen Raum. Technisches Know-how wird daher eine immer größere Rolle im Kompetenzprofil der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) spielen. Ein geschätzter jährlicher Schaden von über 50 Milliarden Euro allein in der deutschen Wirtschaft macht es deutlich: Datendiebstahl gehört zu den größten Gefahren für die Sicherheit. Die Strafverfolgungsbehörden sind also gefordert.Es sind auch neue Tools und Analyseinstrumente gefragt. Welche das sind, beleuchtet das neueste Heft der Behörden Spiegel-Schriftenreihe "Moderne Polizei". Auf die Polizeibehörden und die einzelnen Beamten und Beamtinnen kommen vielfältige neue Herausforderungen zu. Die "Moderne Polizei" muss über zahlreiche Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten sowie Straftaten effizient zu verfolgen. Das Darknet ist dabei eine besonders große Herausforderung. Im Internet finden sich auch herkömmliche Kriminalitätsphänomene wieder: Einbruch und Diebstahl, Betrug, Erpressung, Identitätsdiebstahl bis zur Kinderpornografie. Als Gastautoren für die Ausgabe mit dem Titel “Die Cyber-Polizei: Innovationen – Sharing – Tools” konnten unter anderem der Innenminister Hessens, Peter Beuth (CDU), der Leiter des EC3 bei Europol, Steven Wilson, sowie mehrere Vertreter von Landeskriminalämtern, zum Beispiel aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, gewonnen werden. Auch Wissenschaftler von der Hochschule Mittweida (Prof. Dr. Dirk Labudde), der Fachhochschule der Polizei des

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS / Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen Foto 2: BS / privat Foto 3: BS / Friedhelm Wollner Beilagenhinweis Einer Teilauflage des Behörden Spiegel liegt eine Broschüre der Rednet AG bei.

Magazinreihe

Moderne

POLIZEI

3/2019

► Die Cyber-Polizei: Innovationen – Sharing – Tools

ISSN 2626-3823

Behörden Spiegel-Gruppe

Kürzlich ist die neueste Ausgabe der Behörden Spiegel-Schriftenreihe “Moderne Polizei” erschienen. Grafik: BS

Landes Brandenburg (ThomasGabriel Rüdiger), des Karlsruher Instituts für Technologie (Thilo Gottschalk) sowie der Deutschen Hochschule der Polizei (Franziska Ludewig) kommen zu Wort. Gleiches gilt für die Staatsanwältin Dr. Julia Bussweiler von der “Hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität”, Alexander Seger vom Europarat. Weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten – auch für andere Hefte der Schriftenreihe “Moderne Polizei” – unter: www. behoerden-spiegel.de/sonderpu blikationen

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Adrian Bednarski, Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), Dr. Eva-Charlotte Proll, Uwe Proll (Politik, Parlament), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 30/2019, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Berlin und Bonn / August 2019

Attraktivitätsoffensive mit Nebeneffekten

KNAPP Höhere Anlagesumme

Bund bringt Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz auf den Weg (BS / Angelina Haack / Jörn Fieseler) Nachwuchsgewinnung, Fachkräftebindung und gleichzeitig die Vereinfachung der dienstrechtlichen Strukturen – diese drei Dinge sollen mit dem Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz (BesStMG) erreicht werden. Der Maßnahmenkanon reicht von A wie Auslandsbesoldung bis Z wie Zulage für Dienstunfähigkeit. Das Setzen finanzieller Anreize ist jedoch nicht ohne Einschränkungen und auch nicht kritiklos. Und: Es führt andernorts zu einem Drehtüreffekt bei der Personalgewinnung.

“Mi

t der Reform machen wir den Bund als Dienstherrn noch attraktiver: Mehr Geld für Anwärter, moderne Personalgewinnung und attraktive Zulagen sind nur einige Stichworte aus dem Maßnahmenpaket”, erläutert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Damit werde das Besoldungsrecht bereinigt, strukturell modernisiert und unter Beibehaltung der Grundstrukturen durch eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen deutlich verbessert, zieht Friedhelm Schäfer, Zweiter Bundesvorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik im DBB Beamtenbund und Tarif­union, eine positive Bilanz. Ganz so euphorisch fällt das Fazit des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) nicht aus. Das Gesetz beinhalte zwar vielversprechende Ausführungen, für eine Stärkung der Attraktivität des Öffentlichen Dienstes müssten jedoch weitere Rahmenbedingungen verbessert werden. Allen voran müsste die Wochenarbeitszeit von 41 Stunden pro Woche reduziert, Stellenzulagen auch ruhegehaltsfähig und Erschwerniszulagen dynamisiert werden, schreibt der DGB in seiner Stellungnahme.

Mehr und länger Rund 410 Mio. Euro Mehrausgaben in den nächsten drei Jahren sind mit dem BesStMG verbunden. Anschließend geht das federführende Bundesinnenministerium (BMI) von jährlich rund 150 Mio. Euro an Zusatzkosten aus. Der größte Faktor sind die strukturellen Verbesserungen und Erhöhungen von Stellenzulagen. Allein 119 Mio. Euro werden hierfür pro Jahr veranschlagt. Damit sollen rund 40 Stellenzulagen und 13 weitere Amtszulagen in der Besoldungsordnung A aufgewertet werden, insbesondere die, die über

Der Bund strukturiert sein Besoldungsrecht vor allem im Zulagen- und Prämienbereich und legt gleichzeitig noch etwas drauf. In Ländern und Kommunen könnten damit gewonnene Nachwuchskräfte durch dieselbe Türe verschwinden, durch die sie gekommen sind. Foto: BS / Robert Kneschke, stock.adobe.com

einen längeren Zeitraum nicht erhöht worden sind. Unter anderem wird der Personalgewinnungszuschlag in eine Prämie umgewandelt. Dieser Gehaltszuschuss zum Beispiel für ITFachkräfte ist für einen Zeitraum von bis zu 48 Monaten möglich und kann bis zu 30 Prozent des monatlichen Grundgehaltes der Besoldungsordnung A ausmachen. Je nach Besoldungsstufe wäre dies ein Zuwachs von 44.000 (A10) bis 80.000 (A15) Euro. Der Betrag soll entweder in einem Stück oder aber in Teilbereichen für mindestens sechs Monate ausgezahlt werden. Im Gegenzug verpflichten sich die Beamten und Berufssoldaten, während dieser Zeit den Arbeitgeber nicht zu wechseln. Außerdem wird eine Personalbindungsprämie eingeführt, um wechselwillige Beamte im Bundesdienst zu behalten. Diese soll 50 Prozent der Differenz zwischen dem Grundgehalt zum Zeitpunkt

der Prämiengewinnung und dem Gehalt des Einstellungsangebots ausmachen, maximal 75 Prozent des Grundgehalts. Des Weiteren sieht das BesStMG für Beamte im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), in der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis) und im Informationstechnikzentrum Bund eine monatliche Zulage von bis zu 300 Euro vor. Ebenfalls berechtigt für die Zulage sind Bundeswehrangehörige mit “Hauptaufgaben im Tätigkeitsfeld Computernetzwerkooperation im Rahmen von Maßnahmen der Cyberverteidigung”. Auch für die Beschäftigten bei der Bundespolizei im Bundeskriminalamt und beim Zoll sind Zulagenerhöhungen vorgesehen. Überhaupt sieht das Gesetz deutliche Verbesserung für Soldaten der Bundeswehr und für andere Beamte im Ausland vor, etwa beim

Auslandszuschlag, Auslandsverwendungszuschlag oder bei einer Auslandsverpflichtungsprämie.

Begrenzte Finanzmittel Doch trotz der Mehrausgaben für eine verstärkte Nachwuchsgewinnung, die den Staat im Wettbewerb um die besten Köpfe voranbringen soll, musste schon im Gesetz selbst für entlastende Maßnahmen gesorgt werden. So sollen jährlich 113,5 Mio. Euro durch eine “attraktive Fortentwicklung des Umzugskostenrechts” eingespart werden. Statt der früheren Unterscheidung nach Besoldungsgruppen, sollen künftig Pauschalbeträge ausgezahlt werden. 15 Prozent für jeden Berechtigten und je zehn Prozent für jede weitere Person der häuslichen Gemeinschaft des maßgeblichen Endgehalts der Besoldungsstufe A 13. Dies wären nach der ab März 2020 geltenden Besoldungstabelle rund 860 Euro bzw. rund

573 Euro. Zudem ist die Reformierung des Familienzuschlags zurückgenommen worden. Ursprünglich sollten die Gelder zugunsten von Kindern umverteilt werden. Nicht zuletzt, weil in den unteren Besoldungsgruppen bei steigenden Wohnkosten die ­ nteralimentation Gefahr einer U drohe. Deshalb sollten gerade das erste und zweite Kind finanziell bessergestellt werden. Dazu war ursprünglich beabsichtigt, den Verheiratetenzuschlag zu halbieren, um damit aus der Konkurrenzprüfung herauszukommen. Dabei hätte es aber nicht nur Gewinner gegeben. “Wir hielten die vorgesehenen Vereinfachungen des Familienzuschlags für einen richtigen und wichtigen Schritt, sofern noch dauerhaft wirkende Besitzstandsregelungen geschaffen worden wären”, bedauert Schäfer den Wegfall. Damit sein ein “deutlicher und richtiger Schritt in Richtung Vereinfachung, Transparenz und attraktiver Modernität mit Vorbildwirkung über den Rechtskreis des Bundes hinaus” nicht gegangen worden.

Länder müssen handeln Im Ergebnis geht der Bund mit dem BesStMG bei der Modernisierung seines Zulagenwesens voran. Dabei gehört er im Besoldungs­ vergleichen zu denjenigen, die mehr zahlen. Auch wenn noch nicht absehbar ist, wie die Elemente künftig genutzt werden (siehe dazu Seite 5), sind die Länder nun ebenfalls gefordert, für eine Attraktivitätssteigerung des Landesdienstes ihre Strukturen unter die Lupe zu nehmen und aufzuwerten. Ansonsten kann es zu einem Drehtüreffekt bei jungen Nachwuchskräften kommen. Nachdem sie für kurze Zeit im Landesdienst gewonnen werden konnten, wandern sie zum Bund ab.

(BS/stb) Zum Stichtag 31. Dezember 2018 betrug das Geldanlagevolumen der bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger 72,1 Milliarden Euro. Gegenüber 2017 ist es damit um 4,3 Milliarden Euro (entspricht 6,3 Prozent) gestiegen, wie das Bundesversicherungsamt (BVA) mitteilt. Grund seien steigende Beitragseinnahmen im Berichtszeitraum. Am höchsten fiel der Mittelzuwachs mit 2,8 Mrd Euro bei den beiden Rentenversicherungsträgern DRV Bund und DRV Knappschaft-Bahn-See aus. Diese verfügen über knapp 39 Prozent oder 28,1 Mrd. Euro der Geldanlagen. Rund 43 Prozent (31,1 Mrd. Euro) entfallen auf die bundesunmittelbaren Krankenkassen. Die restlichen 12,9 Mrd. verteilen sich auf die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. Das Anlagevolumen liegt überwiegend in Form von Einlagen (77 Prozent) vor. Außerdem haben die Sozialversicherungsträger des Bundes Geld in Wertpapiere (12 Prozent) und Investmentvermögen (zehn Prozent) angelegt.

Schuldenbremse als Blockade

(BS/ah) Für einen funktionierenden Staat seien die Innere Sicherheit und eine zukunftsweisende Bildungspolitik unerlässlich, erwidert Ewald Linn, saarländischer Landesvorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, auf den Streit der großen Koalition für einen ­N achtragshaushalt für mehr ­Polizisten und Lehrer im Saarland. Der DBB fordert die Regierung auf, den Stellenabbau zu beenden, um die Funktionsfähigkeit der Landesverwaltung über 2020 hinaus garantieren zu können. Außerdem plädiert Linn für eine Lockerung der Schuldenbremse aufgrund bisheriger Sparanstrengungen beim Stabilitätsrat.

Zukunft Personalentwicklung Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes

4. – 5. September 2019, Bonn KEY-NOTES:

Die strategische Personalentwicklung spielt im Öffentlichen Dienst eine immer wichtigere Rolle. Wie kann die Personalseite diese Entwicklung nicht nur begleiten, sondern aktiv mitgestalten? Die Antwort: durch den Übergang von einer verwaltenden Personalwirtschaft zu einem strategischen und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigenden Personalmanagement. Der Behörden Spiegel widmet dieser Entwicklung die Tagung „Zukunft Personalentwicklung“, die aktuelle Trends und Herausforderungen vorstellt und zu Diskussionen mit namhaften Referentinnen und Referenten aus dem Personalbereich einlädt.

ZUKUNFTSWEISENDE THEMEN, u. a.: ► Wissenstransfer als eine zentrale Aufgabe für Personalverantwortliche und Führungskräfte Doreen Molnár, Referentin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales ► Führungsinstrument Personalmanagement Prof. Dr. Gottfried Richenhagen, Institut für Public Management der FOM Hochschule ► Personalplanung, Personalgewinnung und Wissensmanagement auf Behördenebene Dirk Lönnecke, Kreisdirektor Landkreis Soest ► Behördliches Gesundheitsmanagement als Teil einer Gesamtstrategie Kerstin Spreen, Stabsstelle Arbeitssicherheit, Arbeitsschutz und Gesundheit, Stadt Bochum ► Chancen und Herausforderungen für Employer Branding in der öffentlichen Verwaltung Andreas Steffen, Nationales E-Government Kompetenzzentrum

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

Silvia Bechthold, Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsamts

Jürgen Mathies, Staatssekretär im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westphalen Eva Irrgang, Landrätin des Landkreises Soest

Eine Veranstaltungsreihe des


Aktuelles Öffentlicher Dienst / Gesundheit

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Behörden Spiegel / August 2019

Zukunft Führung

Erste Einigung

Neue Kräfte in den Behörden entfalten

Autobahn GmbH: Übernahmeregelungen nehmen Formen an

(BS / Dr. Gerd Portugall) Eine besondere Herausforderung für Führungskräfte stelle der Umstand dar, dass sie (BS / jf) Der Manteltarifvertrag für die künftigen Beschäftigten der Autobahngesellschaft des Bundes (Autonach einer neueren Studie durchschnittlich nur 20 Minuten pro Woche mit je einem Mitarbeiter kommunizier- bahn GmbH) steht. Auch für den Wechsel der Beamten gibt es erste Anwendungsrichtlinien. Beiden Werken ten, so Ilona Vogel bei einer Tagung des Behörden Spiegel Anfang Juli in Königswinter. ist eins gemein: Der Bund lockt mit allen Möglichkeiten. Die Gewerkschaften sprechen trotzdem noch keine Empfehlung für den Wechsel aus.

Wolf Steinbrecher ist diplomierter Volkswirt und war 18 Jahre lang in einem Landratsamt tätig, ehe er sich als Berater selbstständig gemacht hat. Foto: BS / Portugall

Gerade Kommunikationsfähigkeit sei die “wichtigste Führungskompetenz”, so die Trainerin für den Öffentlichen Dienst, die selbst professionelle Coachin und Führungskraft in der Verwaltung ist. Mittels Austausches müsse zu jedem Untergebenen eine direkte Beziehung geschaffen werden, so Vogel. Je besser diese Kommunikation funktioniere, desto eher könne Arbeit bzw. Verantwortung delegiert werden – sei es individuell, sei es gegenüber einem Team. Diese Form der Zusammenarbeit sei Ausdruck sogenannter “agiler” Führung. Agilität kommt eigentlich aus der Software-Entwicklung und bedeutet im hier interessierenden Zusammenhang eigenini­ tiatives, vorausschauendes und flexibles Verwaltungshandeln.

Registraturordnung als Produkt der Stein-Hardenberg’schen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts. Dieses Prinzip verlängere den Genehmigungsgang unnötigerweise. Alternativ dazu könnten sich alle Verwaltungsvertreter, über alle Abteilungsgrenzen hinweg, und zivilen Antragssteller bzw. Leistungskunden – d. h. die Betroffenen – “agil” gleichzeitig zusammensetzen, sich austauschen und sogenannte “cross-funktionale Teams” bilden. Die Treffen sollten in relativ kurzen Abständen stattfinden, um große Problemlagen in Einzelprobleme zu zerlegen und diese dann separat abzuarbeiten. So würden regelmäßig Teilergebnisse produziert, die in der Summe die vorgegebenen Aufgaben erfüllten.

Agile Verwaltung

Praktische Beispiele

Die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 habe gezeigt, dass die staatliche Verwaltung bei komplexen Lagen schnell an ihre Leistungsgrenzen stoße, so Wolf Steinbrecher, Berater und Gründungsmitglied des “Forums Agile Verwaltung”. Jenes wurde 2016 von sechs “vernetzten Praktikern” in Karlsruhe mit dem Ziel gegründet, den Öffentlichen Dienst für die “Kultur der Agilität” zu öffnen. Je komplexer die Aufgabenstellung, desto überzeugender würden sich agile Methoden entfalten. Als fiktives Beispiel nannte Steinbrecher das Genehmigungsverfahren einer Windparkanlage. Das dabei zum Tragen kommende Einzelzuständigkeitsprinzip gehe zurück auf die preußische

Die Freiwillige Feuerwehr, ergänzte Thomas Michl – ebenfalls Berater und Gründungsmitglied des “Forums Agile Verwaltung” –, sei mit ihrem gewählten Kommandanten ein Musterbeispiel für eine schlanke, agile und basis­ demokratische Organisation. Ziel von Agilität sei letztlich, “nicht gemachte Arbeit zu maximieren”. Das bedeute, dass auf unnötige Arbeitsschritte von vorneherein verzichtet werden könne. Auch eine staatliche Großorganisation verfüge bereits über reichhaltige Erfahrungswerte mit Agilität: die Bundeswehr, so Steinbrecher. Mittels Auftragstaktik gebe der Kommandeur das Ziel für Untergebene vor, begründe dieses aber auch, was Einsicht

in das vorgegebene Ziel bewirke. Die konkrete Umsetzung bzw. Erreichung dieses Zieles obliege dann jedoch eigenverantwortlich der Ausführungsebene. Im Weißbuch der Bundesregierung von 2016 beschäftigt sich ein ganzes Unterkapitel mit Agilität, die ausdrücklich gesteigert werden solle: “Die Bundeswehr muss als agile Organisation in der Lage sein, flexibel und adaptionsfähig auf neue oder veränderte Anforderungen zu reagieren.” Steinbrecher nannte ergänzend noch ein transatlantisches Militärbeispiel: Dr. Jeff Sutherland habe die agile Projektmanagementmethode “Scrum” unter anderem aus seinen Erfahrungen als Kampf­pilot der US-Luftwaffe im Vietnamkrieg entwickelt. Damals erfolgte notgedrungen der teilweise Übergang von der Befehls- zur Auftragstaktik. Oberstes Ziel einer jeden agilen Organisation sei es, “Ergebnisverantwortung zu begünstigen und Entscheidungsgeschwindigkeit zu erhöhen”, so Marcel “Otto” Yon, CEO des “Cyber Innovation Hubs” (CIH) der Bundeswehr, und Anja Theurer, “Chief Financial ­Officer” (CFO) dieses Hubs, in einem Artikel auf Seite 25 in der Juli-Aus­ gabe des Behörden Spiegel.

Messverfahren Ein Messverfahren für personale Fähigkeiten mittels Fragebogen stellte Bettina Wiener, Coachin und Supervisorin, vor. Über Jahrzehn­te hin wurde der KODE-Fragebogen wissenschaftlich entwickelt, der in nur 20 Minuten ausgefüllt ist. KODE steht dabei für “Kompetenzdiagnostik und -entwicklung”. Er wird insbesondere im Rahmen der Personal- und Teamentwicklung eingesetzt. Gemessen werden dabei vier Grundkompetenzen: personale, aktivitätsbezogene, sozial-kommunikative und fachlich-methodische Kompetenzen. Unter “Kompetenz” werde in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zur Selbstorganisation und zur Kreativität in völlig neuen Situati­ onen verstanden, so Wiener. Kompetenzen im Zusammenspiel mit Persönlichkeitseigenschaften, wie zum Beispiel vorhandenen Talenten, ergäben das Potenzial von Mitarbeitern im Allgemeinen und von Führungskräften im Besonderen.

“Der Manteltarifvertrag bringt für die von den Ländern zur Autobahngesellschaft wechselnden Beschäftigten eine Reihe deutlicher Verbesserungen”, sagte Wolfgang Pieper nach der Einigung. Der ­Leiter der Fachbereiche “Bund und Länder” sowie “Gemeinden” im Verdi-Bundesvorstand hat dabei nicht nur die Einführung eines vollen dreizehnten Monatsentgeltes für alle im Blick, sondern auch Überstundenzuschläge bei der Überschreitung der wöchent­lichen Arbeitszeit. Zudem gebe es verbesserte Regelungen bei Höhergruppierungen, Rufbereitschaft und für Dienstreisezeiten sowie einen Unternehmensbonus von zehn Prozent auf Basis der Entgeltgruppe 10, Stufe 3 – rund 800 Euro. Außerdem stehen schon jetzt die nächsten Tariferhöhungen fest, obwohl die Tarifrunde mit Bund und Kommunen erst im Herbst 2020 ansteht. Bis zur Entgeltgruppe 9c würden die Gehälter ab März 2020 um 3,5 Prozent erhöht, ab der Entgeltgruppe 10 gebe es zwei Prozent, erläutert Volker Geyer, stellvertretender Bundesvorsitzender im Deutschen Beamtenbund und Tarifunion (DBB) und Fachvorstand Tarifpolitik. Sollte der Tarifabschluss im Herbst zu höheren Steigerungen führen, würde die Differenz zusätzlich gezahlt, bei einem niedrigeren Abschluss würden die hier genannten Gehaltszuwächse bestehen bleiben. “Ein großer Fortschritt” ist laut Pieper die erstmalige Tarifierung von ausbildungs- und praxisintegrierten Studiengängen. Die Studierenden erhalten ein monatliches Studienentgelt in Höhe von 1.300 Euro.

Geringere Arbeitszeiten bei Autobahn GmbH Auch bei den Beamten will der Bund nicht nur mit finanziellen Anreizen locken. Laut den Anwendungsrichtlinien für beamtenrechtliche Regelungen in Zusammenhang mit dem Übergang von Beamten von den Bundesländern zum Fernstraßen-Bundesamt (FBA) und zur Autobahn GmbH sollen für weggefallene Stellenzulagen im Landesdienst Ausgleichszahlungen geleistet

werden. Darüber hinaus gilt bei der Autobahn GmbH für alle im Wechselschicht- und Schichtdienst beschäftigten Beamten eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche, für alle übrigen von 39 Stunden. Nur die Beamten im FBA müssen wie die übrigen Bundesbeamten 41 Stunden pro Woche arbeiten. Auch sollen bestehende Teilzeitmodelle und Arbeitszeitguthaben der Landesbeamten nicht unter dem Wechsel leiden und überführt werden können. Zudem erfolgt der Wechsel zum FBA nur auf freiwilliger Basis. “Sofern die Beamten nicht Landesbeamte bleiben und vom jeweiligen Land zur Autobahn

GmbH zugewiesen oder beurlaubt werden, werden sie durch die Versetzung zum FBA Bundesbeamte”, heißt es in der Präambel des Entwurfs einer Zuweisungsund Beurlaubungsvereinbarung. Trotz allem sprechen die Gewerkschaften noch keine Empfehlung aus. “Die Überleitung und damit der Bestandsschutz der Beschäftigten ist noch nicht geregelt, erst wenn dies unter Dach und Fach ist, besteht die Grundlage für eine Entscheidung der Beschäftigten”, sagt Geyer. “Es wäre wünschenswert, wenn die Verhandlungen spätestens Ende 2019 abgeschlossen sind”, so der Fachvorstand Tarifpolitik.

qanuun-aktuell Multi-Jobber von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune In Deutschland stößt man überall auf Stellenangebote: in Schaufenstern, auf Fahrzeugen oder Plakaten am Straßenrand. Die bereits vor mehr als 40 Jahren prognostizierte demografische Entwicklung zeigt ihre Folgen. Sie ist nicht nur die Ursache für eine etwas zügigere, wenn auch noch keineswegs vollkommene Gleichberechtigung der Geschlechter im Arbeitsleben, sondern auch für eine in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptierte oder gar geforderte Zuwanderung. Sie bedeutet zugleich bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter länger zu arbeiten sowie die Vielzahl an Aufgaben auf weniger Köpfe zu verteilen. Qualifizierte Beschäftigte werden seltener und der Kampf um sie größer. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich diese Entwicklung auf entgeltliche Nebentätigkeiten im Öffentli­ chen Dienst auswirken wird. Schon länger stehen sie im Fokus derjenigen, die ein Höchstmaß an Objektivität und Neutralität der Amtsträger fordern und die gut dotierte Nebentätigkeiten mit großer Skepsis betrachten. Sie vermuten, dass diejenigen, für die die Nebentätigkeit ausgeübt wird,

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS / www.qanuun.org

irgendeinen Einfluss auf die Dienstausübung des Amtsträgers nehmen. Einerseits wäre zu erwarten, dass – trotz Digitalisierung – der Mangel an Nachwuchs dazu führen wird, dass genehmigungspflichtige Nebentätigkeiten sich automatisch reduzieren, da die Freizeit angesichts der erforderlichen Überstunden schwinden wird. Andererseits könnten Nebentätigkeiten im Öffentlichen Dienst, die in der Regel unentgeltlich sind, für einige wenige Beschäftigte zunehmen, da der Staat auf deren “Multifunktionalität” angewiesen ist. Am Ende könnte sich das Thema der (entgeltlichen) Nebentätigkeiten unter diesem Aspekt relativieren.


Bund

Behörden Spiegel / August 2019

B

ehörden Spiegel: Ihre Abteilung hat einen Instrumentenkasten Fachkräftegewinnung aufgebaut. Um was handelt es sich dabei? Hollah: Meine Abteilung bekommt sehr häufig Fragen zur Gewinnung von konkreten Fachkräften, oftmals verknüpft mit dem Vorwurf, dass unser Dienstrecht oder die Tarifverträge der Einstellung genau dieses Spezialisten entgegenstehen. Natürlich kümmern wir uns gerne um diese Einzelfragen und prüfen, ob wir die Problemkonstellation auffangen und beantworten können. Mit dem Instrumentenkasten Fachkräftegewinnung wollen wir aus dieser Individualbetreuung herauskommen, die vorhandenen Möglichkeiten komprimiert darstellen und sie den Praktikern an die Hand geben. Behörden Spiegel: Und wie läuft dieses “an die Hand geben” ab? Hollah: Wir haben ein Gesprächsformat entwickelt, an dem drei bis vier Behörden aus dem Geschäftsbereich des BMI teilnehmen können und eine weitere aus einem anderen Ressort. Jede Behörde ist durch ihren Präsidenten und einen Mitarbeiter der Personalabteilung vertreten. Aktuell läuft die zweite Staffel. Eine Staffel besteht üblicherweise aus drei Folgen. In der ersten berichten die Präsidenten, auf welche Schwierigkeiten sie in der Praxis stoßen und welche Wünsche sie an unser Regelwerk haben. Diese nehmen wir auf und zwingen uns gegenseitig, die Dinge aus der allgemeinen Adressierung konkret zu machen und genau darzustellen, an welcher Stelle die Schwierigkeiten für die Personalverantwortlichen bestehen. Anschließend analysieren wir in meiner Abteilung die Problem­darstellungen und zeigen Lösungswege auf. Dazu tauschen wir uns mit den jeweiligen Behörden aus und tragen dies zusammen. Dann gibt es als zweite Folge weitere Gespräche

I

n der Schweiz gibt es schon seit 2008 eine CO2-Steuer. Dort in Form einer nationalen Lenkungsabgabe auf fossile Brennstoffe wie Heizöl, Erdgas und Kohle. Derzeit beträgt der Preis dafür 96 Schweizer Franken pro Tonne CO2 – umgerechnet circa 87 Euro. Laut dem Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) ist seitdem insgesamt ein leichter Rückgang der Emissionen zu verzeichnen, obwohl im vergangenen Jahr der CO2-Ausstoß im Verkehrssektor wieder leicht gestiegen ist. Daher scheint es fraglich, ob trotz Abgabe, das Reduktionsziel im Jahr 2020 erreicht wird. In Deutschland ist der Klimaschutz bisher vor allem Thema für die Kommunen. 12.500 Projekte in mehr als 3.000 Kommunen wurden von 2008 bis Ende 2018 vom Bund unterstützt. Dies zeigt, dass die Bundesregierung nicht untätig ist, aber momentan eher noch einzelne Projekte und Einzelmaßnahmen fördert, als eine Gesamtstrategie zu entwickeln.

Ringen um das beste Konzept Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, gibt zu bedenken, dass die Klimaschutzbemühungen in den Städten an ihre Grenzen stoßen, wenn Bund und Länder nicht ihren Beitrag leisten. “Wir verstehen, dass noch intensiv erörtert werden muss, wie das passende Modell für einen CO 2-Preis aussehen kann. Aber für die Städte ist klar: Ein Preis auf Kohlendioxid ist ein notwendiger Ansatz, um diesen Schadstoff zu reduzieren und so die Klimaziele schneller zu erreichen. Deshalb muss der Bund im September sein angekündigtes Klimaschutzgesetz vorstellen.”

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Es liegt nicht am Dienstrecht BMI entwickelt Instrumentenkasten zur Fachkräftegewinnung

Ende gibt es nicht viele Dinge, die fehlen. Allerdings gibt es eine Sache, bei der wir besser werden müssen, die aber nichts mit dem Dienstrecht zu tun hat.

(BS) Fachkräfte mit Spezialistenwissen einzustellen, sei im Öffentlichen Dienst nicht möglich, das Dienstrecht oder die Tarifverträge würden dem Behörden Spiegel: Und welche entgegenstehen – so der allgemeine Vorwurf. Im Interview mit dem Behörden Spiegel erläutert Ansgar Hollah, Leiter der Abteilung D (Öffentlicher ist das? Dienst) im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), den Instrumentenkasten Fachkräftegewinnung und zeigt auf, um was es sich dabei handelt und welche Erfahrungen damit bislang gesammelt wurden. Zugleich zeigt sich, dass an anderer Stelle Handlungsbedarf besteht. Hollah: Das ist die Frage, ob wir Die Fragen stellte Jörn Fieseler. uns gegenseitig kannibalisieren gelernt, bestimmte Dinge etwas weitherziger zu regeln und die Anforderungen anders zu fassen, um das Instrument insgesamt flexibler und damit praxistauglicher zu machen. Letztlich sollten sich alle mehr auf die bereits vorhandenen Möglichkeiten fokussieren.

auf Mitarbeiterebene. Das Erarbeitete wird gemeinsam besprochen, die Beteiligten vernetzen sich und lernen voneinander. In der dritten Folge besprechen die Präsidenten und ich dann die übriggebliebenen Probleme und Wünsche, für die noch Lösungen entwickelt werden sollten.

Behörden Spiegel: Sie sprachen von Instrumenten, die in der Praxis weitestgehend unbekannt seien. Können Sie dazu ein Beispiel geben?

Behörden Spiegel: Über welchen Zeitraum erstrecken sich die drei Folgen? Hollah: Die erste Staffel lief von August 2018 bis Januar 2019, da wir die Problemschilderungen intensiv aufgearbeitet haben. Angefangen hatten wir mit den IT-lastigen Behörden, aktuell stehen die Sicherheitsbehörden im Fokus. Ich habe aber auch schon Vormerkungen für eine dritte Staffel. Behörden Spiegel: Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

“Einige der vorhandenen Möglichkeiten zur Fachkräftegewinnung sind vor Ort tatsächlich unbekannt”, sagt Ansgar Hollah, Leiter der Abteilung D (Öffentlicher Dienst). Foto: BS/privat

en Kollegen davon Gebrauch zu machen, wenn ältere Kollegen diese Zulage nicht bekommen. An der Stelle kann ich dann nicht mehr weiterhelfen. Das ist eine Entscheidung vor Ort, aber nicht mehr ein Problem des

“Bisher konnten viele der genannten Probleme und Wünsche aus der ersten Staffel auf Grundlage des geltenden Rechts gelöst werden.” Hollah: Einige der vorhandenen Möglichkeiten zur Fachkräftegewinnung sind vor Ort tatsächlich unbekannt. Andere sind zwar bekannt, werden aber nicht genutzt, um den Betriebsfrieden nicht zu stören. Mein Lieblingsbeispiel ist die tarifliche IT-Fachkräftegewinnungszulage von bis zu 1.000 Euro pro Monat zusätzlich. Den Praktikern fällt es schwer bei neu-

Dienst- oder Tarifrechts. Wir als Abteilung D erhalten mit diesem Format wichtige Hinweise aus der Praxis. Nach der ersten Staffel haben wir für unsere drei für die Einstellung von Tarifbeschäftigten wesentlichen Rundschreiben – also zur IT-Fachkräftezulage, zur Stufenzuordnung und zur Eingruppierung – selbst intensiven Ertrag gezogen. Wir haben

Hollah: Ich glaube, der 2012 eingeführte Personalgewinnungszuschlag im Bundesbesoldungsgesetz ist so ein Beispiel. Er ist bundesweit in mehr als sechs Jahren nur 63 Mal angewendet worden. Das lässt drei Rückschlüsse zu: Erstens, er ist nicht bekannt. Oder aber, er ist bekannt, wird aber nicht benötigt. Oder drittens, die Konstruktion ist so übervorsichtig, dass der Zuschlag nicht zur Anwendung kommen kann. Außerdem ist nicht überall bekannt, dass im Beamtenrecht Fachkräfte in einer höheren Stufe oder gleich in einem Beförderungsamt eingestellt werden können oder dass es Anwärtersonderzuschläge gibt. Und im Tarifbereich gibt es beispielsweise die Stufenvorweggewährung für IT-Fachkräfte. Behörden Spiegel: Wie betrachten die teilnehmenden Behörden den Instrumentenkasten? Hollah: Die davon gehört haben, sind interessiert. Die schon teilnehmen konnten, waren an-

– und damit verbunden das Bewerbermanagement. Wenn sich auf eine ausgeschriebene Stelle 50 Personen bewerben, kann nur einer eingestellt werden, aber was passiert mit den anderen 49? Wenn wir hier die Vernetzung der Behörden verbessern, können geeignete Kandidaten vielleicht auf anderen vakanten Stellen eingestellt “Wir haben gelernt, bestimmte Dinge werden. Ich glaube, wir etwas weitherziger zu regeln.” müssen den Bewerbern, wir auch positive Resonanz zum die sich für den Bund interesAustausch der Behörden unter- sieren, mehrere Möglichkeiten aneinander. Dieser nimmt einen bieten. Die Auswahlentscheidung muss jedoch bei der einzelnen Großteil der Zeit ein. Hinsichtlich der Instrumente Behörde bleiben. gibt es Behörden, die diese nach der Teilnahme ausprobieren und Behörden Spiegel: Letzte Fradamit Erfahrungen sammeln ge: Sie sagten, das Format wird wollen. Andere warten ab, wie hauptsächlich im Geschäftsbesich die Rechtsprechung zu den reich des BMI angewendet. Wie einzelnen Möglichkeiten entwi- ist die Einbindung der anderen ckelt. Diese unterschiedlichen Ressorts geplant? Betrachtungsweisen haben dazu Hollah: Ich möchte das Forgeführt, dass in meiner Abteilung der Blick für die jeweilige Haus- mat mit all unseren Geschäftsbereichsbehörden einmal durchkultur geschärft wurde. führen und dabei gerne auch Behörden Spiegel: Wie lange jeweils eine Behörde aus einem wird es dauern, bis der Instru- anderen Ressort dazunehmen mentenkasten vollständig be- – vielleicht auch mal zwei. Das stückt ist? hängt auch davon ab, wer wann für die Termine Zeit hat oder bei Hollah: Das lässt sich schwer wem das Thema überhaupt auf beantworten. Bisher konnten vie- der Agenda steht. Der Instrumenle der genannten Probleme und tenkasten spricht sich langsam Wünsche aus der ersten Staffel rum. Wer sich meldet, wird gerne auf Grundlage des geltenden berücksichtigt. Wie gesagt, ich Rechts gelöst werden. Ich würde habe schon Vormerkungen für die sagen, der Instrumentenkasten dritte Staffel. Ich bekomme aber ist schon recht gut bestückt, so- auch Rückmeldungen von Behörwohl im Beamten- als auch im den, die mit unserem Dienst- und Tarifbeschäftigtenbereich. Am Tarifrecht gut zurechtkommen. getan. Positive Rückmeldungen bekommen wir einerseits über den Austausch mit uns als Dienstrechtsabteilung, die das tägliche Geschäft macht – wir sind kein anonymer Kasten, der nur Rundschreiben und Gesetze produziert. Andererseits erhalten

Werden Sprit und Heizöl teurer? Wie Preispolitik den Klimaschutz voranbringen soll und welcher Sektor relevanter ist (BS/Katarina Heidrich/Jörn Fieseler) In der Debatte um eine CO2-Bepreisung überbieten sich zurzeit Parteien und Beratergremien mit verschiedenen Konzepten. Ziel ist bei allen, dass der Ausstoß von CO2 teurer wird und dadurch eine Lenkungswirkung in Richtung klimafreundlicher Alternativen erfolgt. Allerdings herrscht Uneinigkeit bei der genauen Ausgestaltung. Auch Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom am PotsdamInstitut für Klimafolgenforschung (PIK), fordert von der Bundesregierung rasche Entscheidungen im Klimaschutz. Er empfiehlt die Einführung eines CO2-Preises für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Eine CO2-Steuer müsse 2020 mit einem Preis von “50 Euro je Tonne CO2” beginnen, um dann kontinuierlich erhöht zu werden. An dieser Stelle lässt sich einwerfen, dass es bereits eine Bepreisung auf den Ausstoß von Kohlendioxid gibt: Sie nennt sich EU-Emissionshandel. Allerdings umfasst dieser bislang lediglich die Industrie und Energieunternehmen, seit 2012 auch den innereuropäischen Luftverkehr. Diese Branchen haben aber die Möglichkeit, die entstandenen Mehrkosten in Form von Preiserhöhungen an die Verbraucher weiterzugeben. Dies führt bei Letzteren nicht zu mehr Akzeptanz klimaschützender Maßnahmen. Die Grünen-Bundestagsfraktion schlägt nun zudem eine schrittweise Einführung der Kerosinsteuer für Inlandsflüge vor, wodurch diese “bis 2035 weitestgehend obsolet gemacht werden” sollen, wie es in einem Positionspapier heißt. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Frank Sitta, nennt den Vorschlag einer höheren Besteue-

rung bloße Symbolpolitik: “Einen Beitrag zu Einsparung von CO2 leistet sie nämlich mitnichten. Für jede Flugverbindung, die sich in Deutschland nicht mehr rechnet, können die freiwerdenden Emissionszertifikate an anderer Stelle innerhalb der EU verwendet werden, zum Beispiel für das Verbrennen von Braunkohle in Polen.”

Zauberwort Sozialverträglichkeit Auch seitens der Wirtschaft wird der Klima-Preis diskutiert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) etwa fordert von der Bundesregierung, Förderinstrumente, öffentliche Investitionen und kluge Regulierung mit einer flankierenden CO2-Bepreisung zu kombinieren. Dazu gehörten unter anderem eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung (siehe hierzu auch Seite 14) sowie im Verkehrsbereich die Förderung alternativer Antriebe. Gleichzeitig bedürfe es einer signifikanten Senkung des Strompreises für alle Verbrauchergruppen. “Die CO2-Bepreisung ist nur dann ein wirksames Instrument, wenn verschiedene CO2-arme Technologien marktreif vorliegen und nicht wesentlich unwirtschaftlicher sind als CO2-intensivere”, betont BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch.

eine Pro-Kopf-Prämie. Das hat den Vorteil, dass jeder profitiert – unabhängig vom Alter und Einkommen.

Monofokussierung auf CO2 Ein ähnliches Modell wie das Schweizer Vorbild stellt sich auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) vor. Zunächst soll ein Preis in Höhe von 35 Euro pro Tonne CO2 auf Benzin, Diesel und Heizöl eingeführt und sukzessive angehoben werden. 2023 soll er bei 80 Euro Durch einen CO2-Preis wird Sprit teurer pro Tonne liegen, im Jahr 2030 – eine Belastung für Autofahrer. Aber bei 180 Euro pro Tonne CO2. auch andere sind betroffen. Durch den Einstiegspreis wird Foto: BS/Arnut, stock.adobe.com Diesel um elf Cent pro Liter teurer, Benzin um zehn Cent. Der Ein Blick zurück in die Schweiz Preis für den Liter Heizöl erhöht zeigt, wie das funktionieren sich durch die Abgabe um elf könnte. Seit 2010 fließen ein Cent. Zudem fordert Schulze eine Drittel der Einnahmen aus der jährliche Klimaprämie in Höhe CO2-Abgabe in das Gebäudepro- von 80 Euro als Kopfpauschale. gramm. Mit einem Technologie- Damit will sie die Mehrausgaben fonds fördert der Bund Innova- für eine Bepreisung des CO2tionen, die Treibhausgase oder Ausstoßes ausgleichen. den Ressourcenverbrauch reduDie CDU hingegen lehnt dies zieren oder den Einsatz Erneu- ab. “Dann würde jeder gleich erbarer Energien begünstigen viel bekommen – ob er nun in und die Energieeffizienz erhöhen. Berlin lebt, arbeitet und guUnd das Wichtigste, vor allem in ten ÖPNV hat oder ob er auf puncto gesellschaftlicher Akzep- dem Land beim Weg zur Arbeit tanz: Die CO2-Abgabe wird an- heute auf das Auto angewiesen teilsmäßig an Bevölkerung und ist”, betont der stellvertretende Wirtschaft zurückverteilt. Die Fraktionsvorsitzende, Andreas Abwicklung der Rückerstattung Jung (CDU). Die Union sei zwar erfolgt über die Krankenkassen, auch für einen CO2-Preis und jeder Bürger erhält monatlich einen Ausgleich dafür. Allerdings

nicht in Form einer Kopfpauschale. Stattdessen sollten Verbraucher bei den Stromkosten entlastet werden. Jung schlägt beispielweise die Abschaffung der EEG-Umlage vor. Zudem solle eine “Mobilitätspauschale“ als “bessere Pendlerpauschale” Menschen im ländlichen Raum unterstützen. Allerdings, was oft vergessen wird: Es werden nicht nur im Inland Emissionen verursacht, sondern durch den Import von Gütern noch höhere im Ausland. Auch hierfür braucht es in Zukunft Regulierungen, wenn Deutschland wirklich daran gelegen ist, eine Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Beschluss im Klimakabinett Zudem ist die reine Fokussierung auf den CO2-Ausstoß in der Debatte nicht ausreichend. Stickoxide, etwa aus dem Flugverkehr oder der Landwirtschaft, tragen zum Ozonabbau in der Stratosphäre bei, sind aber aus der aktuellen Diskussion verschwunden. Ebenso der Feinstaub. Außerdem greift die Diskussion zu kurz. Beim Klimawandel sind nicht zehn Jahre zu betrachten, sondern 100 Jahre. Hier zeigt sich, dass ein anderer Sektor relevanter ist: die Landwirtschaft. Das dort produzierte Lachgas hat eine Treibhauswirksamkeit, die auf einem Zeithorizont von 100 Jahren 298-mal so groß wie die von CO2 ist. Das Klimakabinett der Bundesregierung will am 20. September ein Klimaschutzgesetz beschließen. Ein CO2-Preis wird voraussichtlich Teil davon sein. Doch auch der Agrarsektor sollte in den Blick genommen werden.


Bund / Länder

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MELDUNG

KOMMENTAR

Live-Demo für Feuerwehr und Einsatzkräfte in Mainz (BS/gg) Die Digitalisierung bietet auch für den Bereich der Feuerwehr und des Rettungswesens insgesamt großes Potenzial. Digitale Lösungen sind hier heute bereits vielfach im Einsatz, zahlreiche Innovationen derzeit in der Erprobung. Eine kleine Leistungsschau dessen, was derzeit schon an digitalen Instrumenten bei Feuerwehr und Einsatzkräften in Rheinland-Pfalz genutzt wird, bietet eine Live-Demo im Rahmen des Kongresses “Digitale Verwaltung RLP”, der am 29. August erstmalig in Mainz stattfinden wird. Im Außenbereich des Veranstaltungsortes wird dabei

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unter anderem der Einsatz von Multikopter/Drohnen bei den Landesfacheinheiten Rettungshunde/Ortungstechnik demonstriert. Hierzu wird es u. a. eine gemeinsame Präsentation einer Drohne durch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und einer der Facheinheiten geben. Bei der mobilen Einsatzdatenerfassung im Rettungsdienst erfolgt, wie ebenfalls gezeigt wird, bereits eine vollständig elektronische Protokollierung und Dokumentation durch besonders robuste Tablet-PCs, die zudem mit anderen elektronischen Geräten (EKG/Beatmungsgerät) verbunden sind.

Wie die Vernetzung von ortsfesten und mobilen Führungseinrichtungen über die Einsatzleitsysteme der Integrierten Leitstellen funktioniert, präsentiert vor Ort ein Einsatzleitwagen der Berufsfeuerwehr Koblenz. Telemetrie kommt auch im Rettungsdienst immer häufiger zum Einsatz. Eine Demonstration der Zusammenarbeit des Rettungsdienstes vor Ort mit kardiologischen Schwerpunktkrankenhäusern über eine solche Lösung wird ebenfalls Teil der Live-Demo in Mainz sein. Weitere Informationen zum Kongress “Digitale Verwaltung RLP” unter www.dv-rlp.de

Zu viel geflogen? Halbwahrheiten fürs Sommerloch (BS) Erst waren es die Reisekosten, die vom Bund der Steuerzahler (BdSt) – einem ausgewiesen scharfen Kritiker jeglichen Behördentuens – als Argument gegen die Arbeitsteilung der Ministerien zwischen Berlin und Bonn angebracht wurden. Ein Betrag von rund acht Mio. Euro regt bei den heute zur Debatte stehenden Haushaltsgrößen aber keinen mehr auf. Mit dem Klima lässt sich da mehr machen. Ob Sondersitzung zur Vereidigung der Bundesverteidigungsministerin oder “Beamtenflüge” – überhaupt Flüge, sie gelten in einer Zeit apokalyptischer Klimabetrachtung per se als Teufelszeug. Insgesamt wurde letztes Jahr 230.000 Mal dienstlich geflogen, allerdings inklusive 700 Bundestagsabgeordneten. Das macht 628 Dienstflüge pro Tag, davon 52 Prozent laut Bundesinnenministerium (BMI) auf der Strecke Berlin/Köln-Bonn. Darin enthalten sind auch die Flüge von Ministerialbeamten zu nachgeordneten Behörden und umgekehrt, auch zu nichtministeriellen Treffen usw. Der tatsächliche Anteil der Flüge von

Ministerialen zu dem jeweiligen anderen Ministeriumsstandort dürfte daher deutlich geringer als vermutet sein, also der Teil der Flüge, der zur internen Ministeriumskommunikation notwendig schien. Wer die Praxis kennt, weiß, dass die Masse der Kommunikation und realer Treffen nicht zwischen einzelnen Abteilungen eines Ministeriums, sondern den nachgeordneten Fachbehörden stattfindet – diese sitzen bundesweit, viele in der Tat im nördlichen Rheinland-Pfalz und im Raum Köln/Bonn. Die Zahl ihrer Flüge würde sogar zunehmen, wenn ihre vorgesetzten Ministerien alle vollständig in Berlin angesiedelt wären. Also verhält es sich genau umgekehrt wie behauptet und damit wird das Argument – ein vollständiger Umzug der Ministerien nach Berlin wäre klimafreundlich – als Umwelt-Vehikel entlarvt. Zudem besteht nun die Chance, endlich zu beweisen, wie modern Ministerialverwaltung arbeiten kann – Digitalisierung. Das papierlose Büro ist mancherorts in weiter Ferne und die vorhandenen Videokonferenzeinrich-

tungen werden nur von einigen Bundesministerien genutzt. Sie sollten zu Arbeitsbesprechungen aber häufiger angewandt werden. Dazu müssen auch die Leitungsebenen der Ministerien mit Vorbild vorangehen. Natürlich muss auch ein Großteil der veralteten Videotechnikeinrichtungen erneuert werden. Es waren übrigens Bundestagsabgeordnete und der juristische Dienst des Parlamentes, die es vor 25 Jahren bereits aus Sicherheitsgründen “ablehnten”, Mitarbeiter der Bonner Ministerien oder des nachgeordneten Bereichs in Ausschusssitzungen per Videokonferenz zu befragen, sie ließen sie lieber anreisen. Dass ausgerechnet der GrünenVorsitzende Robert Habeck im Zusammenhang mit der Inlandsflug-Thematik darauf hinweist, dass der Anteil ministerieller Dienstreisen zu vernachlässigen sei, spricht Bände. Derzeit existiert keine schnelle direkte ICE-Verbindung von Bonn nach Berlin, auch eine verpasste Alternative zum Fliegen.

R. Uwe Proll

Eine Frage des Geldes? Wie Rot-Rot-Grün in Bremen die öffentliche Verwaltung modernisieren will (BS/Thomas Petersdorff) Nachdem sich die Basis der Linken Mitte Juli für den ausgehandelten Koalitionsvertrag ausgesprochen hatte, steht ein rot-rot-grünes Bündnis in Bremen mehr oder minder fest. Es wäre das erste seiner Art in einem westdeutschen Bundesland. Zwar ist die Koalition noch keinen Tag im Amt, de facto nicht einmal offiziell gewählt, jedoch melden sich schon Bedenken. Die geplanten Vorhaben seien nicht nur hochgesteckt, sondern durchweg unrealistisch, da nicht finanzierbar. Schon gar nicht im notorisch klammen Bremen. Ziel solcher Anfechtungen: Klima- und Sozialpolitik. Weniger bekannt dürften demgegenüber die Vorhaben der Koalition im Bereich der öffentlichen Verwaltung sein. nen. Das bringt allerlei Dabei zeigt sich das angeBefürchtungen mit sich. hende Bündnis hier nicht minder ambitioniert und Jedoch bedeute die Digitalisierung keineswegs auch setzt auf eine grundlegeneinen Stellenabbau, wie es de Modernisierung ebenso im Koalitionsvertrag heißt. wie auf Stellenausbau. So Im Gegenteil, etwaige Ressoll etwa das Personalsourcengewinne, die durch entwicklungsprogramm Umstrukturierungen oder (PEP), das im Jahr 1993 zur Steuerung des PersoDigitalisierungen entstenalhaushalts eingeführt hen, sollen in den Ämtern wurde, letztlich aber für verbleiben, um eine bessere einen massiven Rückgang Dienstleistungsqualität zu des Beschäftigungsvolugewährleisten. Ergänzend mens in der Verwaltung ist eine Qualifizierungsofverantwortlich zeichnete, fensive vorgesehen, in deeingestampft werden. An Die rot-rot-grüne Koalition in Bremen plant deutliche ren Rahmen die Verwaltung seiner statt plant das Ko- Mehrausgaben. Im Öffentlichen Dienst sollen wieder bestmöglich auf die sich alitionsbündnis mit der neue Stellen geschaffen werden. wandelnden Anforderungen Einrichtung einer Fach- Foto: BS/Harald Wanetschka, pixelio.de der digitalen Welt vorbereistelle im Finanzressort, tet werden soll. Ein wesentdie auf Grundlage kooperativer die künftige Personalplanung licher Baustein dürfte dabei die Untersuchungen Prognosen über abgeben soll. In Ko-Produktion Einrichtung eines Kompetenzder jeweils betroffenen Ressorts zentrums für Datenschutz sein. Die Digitalisierung mag auf dem und der Senatskanzlei sollen die Gutachten dann wiederum alle Vormarsch sein, ganz abkömmFolgeentscheidungen des Senats lich ist analog darum aber noch anleiten. nicht. So sieht es zumindest RotRot-Grün und plant mit neuAufstockung des en Beschäftigungen, zumal in Ausbildungsangebots bürgernahen Bereichen, wo der Dringenden Handlungsbedarf Kontakt vor Ort oder am Telefon sieht Rot-Rot-Grün überdies bei unersetzlich sei. Laut Koalitionsder Nachwuchsförderung und papier beweise dies der Umgang -akquise. Um in Zeiten des de- mit Senioren, vor allem aber auch mografischen Wandels und der mit Migranten, für die man zum zunehmenden Technologisierung Zweck persönlicher Beratung aller Lebenswelten Probleme wie Dolmetscherstellen schaffen will. Überalterung und Fachkräftemangel in den Griff zu bekom- Steigender Etat men, sieht der Koalitionsvertrag Zur Realisierung ihrer Vorhaben darum auch den konsequenten plant die Koalition mit einer AnAusbau des Ausbildungsan- hebung der bisher veranschlaggebots vor. Profitieren dürften ten Finanzmittel um 40 Millionen hiervon zumal die Finanzämter Euro im Jahr 2020, im Folgejahr Bremens, deren Personalstärke sogar um 50 Millionen. In summa angesichts kommender Heraus- bedeutet das einen Zuwachs von forderungen wie der Grundsteu- 90 Millionen Euro verteilt über erreform gesteigert werden soll. zwei Jahre. Letztlich gerinnt die Zusätzliche Sonderprogramme Frage der Realisierbarkeit damit auch im Bereich der Verwaltung sind bereits angekündigt. Wäre da noch die Digitalisie- zu einer Frage der Finanzierbarrung: Mit der Implementierung keit. Ein Glück, dass Bremen neuer Technologien soll die bereits seit 2014 zur Begleichung Handhabung von Verwaltungs- von Versorgungsausgaben aus angelegenheiten deutlich effizi- dem Kapitalstock des Sonderenter ausfallen. Bis 2023 soll die vermögens Versorgungsrücklage Entwicklung des E-Governments (SVR) schöpfen darf. Laut Perso weit gediehen sein, dass alle sonalbericht des Jahres 2018 Services der Verwaltung auch betrug dieser im Jahr 2016 rund online abgerufen werden kön- 84 Millionen Euro.


Länder / Finanzen

Behörden Spiegel / August 2019

D

en Anlass für die europäische Initiative zur Harmonisierung der Rechnungslegungsstandards in den Mitgliedsstaaten bot die Finanzmarktkrise im Jahr 2009. Die Erkenntnis: Wenn Finanzdaten der Mitgliedsstaaten eines Staatenverbundes nicht transparent, vollständig, verlässlich und vergleichbar sind, dann hemmt dies die Vorhersehbarkeit bzw. Vermeidbarkeit von finanziellen Krisen. Oder zugespitzt formuliert: Finanzielle und damit letztlich politische Staatskrisen werden durch unzulängliche oder unzulänglich abgestimmte Rechnungswesensysteme zunächst verschleiert und damit gefördert. Krisenvermeidende oder zumindest abmindernde Maßnahmen werden nicht rechtzeitig ergriffen, wenn den politischen Entscheidern die finanziellen Rahmenbedingungen der von ihnen vertretenen Staaten nicht hinreichend deutlich sind. Wenn Staaten in wirtschaftliche Schieflagen geraten, fordert dies die finanzielle Solidarität der Gemeinschaft, strapaziert jedoch zugleich den Zusammenhalt derselben. Aus dem Fordern wird dann recht schnell ein vom Wähler so empfundenes Überfordern. Die politischen und soziologischen Folgen sollten deshalb nicht unterschätzt werden. Mit einer auf den ersten Blick scheinbar rein für Buchhaltungsspezialisten und Zahlenmenschen interessanten Frage bezüglich der Wahl des “richtigen” Rechnungswesens ist so gesehen sehr viel mehr verbunden, nämlich die Frage nach der dauerhaften, partnerschaftlichen Koexistenz von Staaten.

Zwei Seiten einer Medaille Jacob Soll hat eine vergleichbare Frage in seinem sehr lesenswerten Buch “The Reckoning: Financial Accountability an the Making and Breaking of Nations” wie folgt herausgearbeitet: Wenn man finanzielle und politische Verlässlichkeit als zwei Seiten einer Medaille betrachtet, warum wurde die Lektion sukzessive vergessen, dass beides für eine kontinuierlich verlaufende wirtschaftliche Entwicklung notwendig ist und was sind die Gründe dafür? Jacob Soll kommt in seinem Buch zu der Erkenntnis, dass Transparenz und eine verlässliche Rechnungslegung eine gute Regierungsführung fordern. Dort, wo dies funktioniert – und dies belegt Soll anhand spannender historischer Beispiele – kann ein Staat relativ langfristig erfolgreich sein. Seine Erkenntnis ist jedoch auch, dass solche Erfolgsgeschichten von Staaten oft ein Ende fanden, weil die eingangs geschilderte Lektion in Vergessenheit geriet. Wir sind daher gut beraten, uns mit der Frage nach der Einführung der Doppik gerade im europäischen Kontext intensiver auseinanderzusetzen. Der Erfolg der Europäischen Union muss einem überzeugten Europäer zwangsläufig am Herzen liegen. Ich halte es für richtig, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen – immerhin das bevölkerungsreichste Bundesland der Bundesrepublik Deutschland im Herzen der EU und für sich genommen die 14. größte Volkswirtschaft der EU – in diese Diskussion einbringt.

EPSAS – ein Mehrwert für alle Beteiligten Die EU hat einen umfangreichen Prozess zur Implementierung kaufmännischer europäischer Rechnungslegungsstandards unter dem Kürzel EPSAS ins Leben gerufen. EPSAS steht für die Definition und Implementierung sogenannter European Public Sector Accounting Standards. Zu diesem Einführungsprozess hat sich mein Kollege im Bundesfinanzministerium, Staatssekretär Werner Gatzer, im Sommer 2018 im Rahmen eines Interviews

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Wenn nicht über die Doppik Wie wollen wir ansonsten zu einer intergenerativ gerechten Finanzbetrachtung gelangen? (BS/Dr. Patrick Opdenhövel) Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union legt Rechnung nach doppischen Grundsätzen. Die Bundesrepublik Deutschland ist einer der wenigen Mitgliedsstaaten, in denen dies nicht flächendeckend der Fall ist. Aktuell wird diskutiert, ob die EU einheitliche doppische Rechnungsstandards in allen Mitgliedsstaaten implementieren wird. Ich erwarte, dass diese Diskussion erst nach der Arbeitsaufnahme der nächsten Europäischen Kommission entschieden wird. Das Ergebnis dieser Diskussion ist meines Erachtens offen. wie folgt geäußert: “Ich glaube, dass EPSAS für alle Beteiligten einen Mehrwert haben kann. Es führt zu mehr Transparenz und damit auch zu zusätzlichen Informationen und frühzeitigeren Möglichkeiten, bei bestimmten Entwicklungen gegenzusteuern. Unterm Strich denke ich, dass die Vorteile überwiegen. Aber es ist mir noch nicht gelungen, alle davon zu überzeugen.” Ich würde mich freuen, wenn dies nach wie vor die Auffassung des Kollegen sein könnte. An dieses Zitat meines Kollegen anknüpfend möchte ich aus dem Blickwinkel des Landes NRW darstellen, warum die Landesverwaltung des bevölkerungsreichsten Bundeslandes die doppelte Buchführung einführt. Dass dieser Prozess sehr viel an Überzeugungskraft erfordert, kann ich dabei aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen nur bestätigen. Meiner festen Überzeugung nach sollte eine generationengerechte Finanzpolitik dem Leitgedanken folgen, die Bedürfnisse der aktuellen Generation so zu befriedigen, dass die Lebens- und Konsummöglichkeiten der kommenden Generation nicht gefährdet werden. Leitfrage für die Entwicklung meines Standpunktes ist vor diesem Hintergrund: Bietet das kamerale Rechnungswesen bereits eine ausreichende Grundlage für eine gute, generationengerechte Finanzpolitik? Letztlich bin ich zu der Auffassung gelangt, dass dies nicht der Fall ist. Das kamerale Rechnungswesen liefert zugespitzt formuliert nur Informationen über einen Kassenbestand und damit als Liquiditätsindikator lediglich eine von vielen Informationen, die mir eine kaufmännische Rechnungslegung ansonsten bietet. Im kameral geführten Haushaltswesen werden systematisch zwar zusätzlich noch die externen Verbindlichkeiten betrachtet. Es fehlen jedoch die impliziten Verbindlichkeiten wie z. B. die Rückstellungen für Beamte. Ein Blick auf die jüngst veröffentlichte Vermögensrechnung des Landes Baden-Württemberg macht deutlich, dass die externen Verbindlichkeiten gerade einmal einen Anteil von gut 20 Prozent an den Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg einnehmen. Das liegt auch am niedrigen Verschuldungsgrad von Baden-Württemberg. 80 Prozent der Passiva sind Rückstellungen. Ein gewichtiger Umstand, der in einem rein kameralen Rechnungswesen unbeachtet bleibt. An diesen Zahlen zeigt sich jedoch, dass bis hin zur heutigen Generation von Staatsdienern ganz erhebliche Versorgungsansprüche angesammelt wurden, die von einem verlässlichen Dienstherrn erfüllt werden müssen und damit überwiegend von künftigen Generationen getragen. Daher ist finanzielle Vorsorge so wichtig, um damit sowohl die Interessen der aktiven als auch der künftigen Generationen in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Die Aufstellung und Veröffentlichung einer Vermögensrechnung – also mithin einer Bilanz – schafft einen wichtigen Impuls für eine politische Diskussion über die Prioritätensetzung im Rahmen einer verantwortungsvollen Finanzpolitik. Diesen Gedanken weiterdenkend stellt man fest, dass er in verschiedene Politikfelder ausstrahlt. Ein Beispiel dafür, dass das kaufmännische Rechnungswesen Impulse für fachpolitische

Kassenwirtschaft hinter sich lassen sollten. Unbeschadet der Frage, wie sich die EU in dieser Sache positionieren wird, hat das Land NRW, und mit ihm seine Kommunen hier bereits Stellung bezogen. Gerade im Lichte sich abzeichnender Herausforderungen für die Europäische Union halte ich die Frage nach dem richtigen Rechnungswesen nicht für trivial. Um es in einem Bild zusammenzufassen: Wenn man sich die EU als einen menschlichen Körper vorstellt, dann sind die öffentlichen Gelder als Blutkreislauf dieses Menschen zu betrachten. Damit dieser Blutkreislauf gut funktioniert, braucht unser menschlicher Körper ein funktionierendes Nervensystem. Letzteres ist – um in unserem Bild zu bleiben – das Rechnungswesen. Ein intaktes Nervensystem sollte in der Lage sein, alle Ressourcen zu steuern. Es ist daher Zeit für die Doppik, um über die gesamten Ressourcen der öffentlichen Haushalte ein aussagekräftiges Bild zu erhalten.

also einer Bilanz und einer Ge- IWF sei es um das Verhältnis winn- und Verlustrechnung – den von öffentlichem Vermögen und vielen Bürgerinnen und Bürgern Verbindlichkeiten in der Bunschon aufgrund ihrer beruflichen desrepublik Deutschland relativ Erfahrungen vertraut sein dürfte. schlecht bestellt. Für diesen Fall Ich bin mir nicht müsste man sich die Frage gefaldarüber im Kla- len lassen, ob es jemals gescharen, welche Be- det hat, sich mit unangenehmen weggründe für Botschaften auseinanderzusetzen die (Kritiker und und z. B. Investitionsbedarfen Dr. Patrick Opdenhövel ist i h r e ) k r i t i s c h e in die öffentliche Infrastruktur seit Ende Juni 2017 Staatssekretär im Ministerium bis ablehnende im Rahmen der politischen Disder Finanzen des Landes Haltung gegen- kussion höhere Aufmerksamkeit Nordrhein-Westfalen. über der Doppik zuzuwenden. Foto: BS/Ministerium der Finanzen als Rechnungsdes Landes Nordrhein-Wetfalen legungsstandard Zeit für die Doppik für die öffentliIch bin daher der Auffassung, chen Haushalte dass auch die öffentlichen Hausausschlaggebend halte kaufmännisch Rechnung legen und die Zeiten der reinen dem Jahr 2013 anführen: “Das sind. Vielleicht ist es die Unsicherheit, Haushaltswesen wird durch die Reform zwar komplexer, aber das von einem bekannten Terrain, neue Rechnungswesen bietet viele der Kassenwirtschaft, auf ein Vorteile. Beispielsweise sorgt es neues, nicht vertrautes Terrain dafür, dass neben dem Geld in zu wechseln, nämlich dem von der Kasse künftig das vorhandene Bilanz und Gewinn- und Ver(BS) Vor dem Hintergrund der geplanten Einführung von europäiVermögen (u. a. Grundstücke, lustrechnung. Ich bin mir sicher, schen Rechnungslegungsvorschriften wird in Deutschland die Frage nach dem richtigen öffentlichen Rechnungswesen wieder verstärkt Gebäude und Unternehmens- dass man diese Herausforderung diskutiert. Dabei verfügt mittlerweile die Mehrzahl der Gebietskörbeteiligungen) und Zukunftsver- bei gutem Willen über geeignete perschaften – insbesondere Großstädte und Landkreise – über ein pflichtungen (z. B. Pensionen) Maßnahmen zum Wissensaufbau doppisches Rechnungswesen. stärker in den Blick rücken. Ma- meistern kann. Der Status des doppischen Rechnungswesens in Deutschland soll Vielleicht sind es aber auch die rode Straßen bzw. Schulgebäude daher im Rahmen einer Fachtagung am Mittwoch, dem 11. Septemwerden dadurch allein zwar nicht Sorgen vor hohen Kosten; nicht ber 2019, in Berlin erörtert werden, die von den Finanzressorts der verhindert, aber durch die Ab- zuletzt aufgrund der erforderFreien und Hansestadt Hamburg und des Landes Nordrhein-Westfaschreibung wird deutlich, dass lichen IT-Systeme. Ich bin mir len veranstaltet wird. regelmäßige Instandsetzungen sicher, dass sich der Staat sich Den Einführungsvortrag in die Thematik wird Prof. Dr. Dennis Hilgers erforderlich sind, um den Status dramatisch veränderndern und von der Universität Linz halten. Aus der Perspektive der Länder und quo zu erhalten.” Dass sich ein beschleunigendern technologiKommunen referieren im Anschluss: Unterlassen von Instandsetzun- schen Trends stellen muss. Er ist • Dr. Andreas Dressel, Senator und Präses der Finanzbehörde gen der öffentlichen Infrastruktur gut beraten, sich nicht von den Hamburg, in einem Transit- und Logistik- Unternehmen und den Bürgerin• Dr. Patrick Opdenhövel, Staatssekretär im Ministerium der land mit europäischer Bedeutung nen und Bürgern technologisch Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, wie Nordrhein-Westfalen sträflich abhängen zu lassen. • Harald Riedel, Kämmerer der Stadt Nürnberg und Vorsitzender Vielleicht treibt den einen oder bemerkbar machen kann, erlebt des Finanzausschusses des Deutschen Städtetags sowie man schnell am eigenen Leib, anderen jedoch auch die Sorge • Dr. Martin Worms, Staatssekretär im Hessischen Ministerium wenn man im Pkw zur Rush-Hour um, dass sich die finanzielle Sider Finanzen. unterwegs ist. Zugleich erleben tuation seines Landes in einer Zum Abschluss diskutieren die zuständigen Abteilungsleiter der wir, dass die Reparaturen für streng doppischen Betrachtung Länder Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, die sich die Unterlassungen der Vergan- nicht mehr so positiv darstellen bereits für einen doppischen Ansatz entschieden haben, mit Rainer genheit erheblichen finanziellen wird, wie dies aktuell kameral Christian Beutel (KGSt) über die Harmonisierung des staatlichen und Aufwand bedeuten und zugleich der Fall ist. Eine vor nicht allzu kommunalen Rechnungswesens. volkswirtschaftliche Auswirkun- langer Zeit veröffentlichte Studie gen haben. Ich stelle mir daher die des Internationalen WährungsWeitere Infos: www.finanzverwaltung.nrw.de/de/fachtagung-berlin Frage, ob man diesen Umständen fonds stützt jedenfalls diese Thebereits früher entgegengewirkt se. Nach den Feststellungen des hätte, wenn es bereits in der Vergangenheit eine doppische Rechnungslegung gegeben hätte, die über Abschreibungen die Abnutzung von Anlagegütern systematisch erfasst hätte? Gemeinsames Positionspapier von Baden-Württemberg und Bayern

Prioritätensetzungen liefern kann, ist die Betrachtung der öffentlichen Infrastruktur. Hier möchte ich ein Zitat des hamburgischen Rechnungshofs aus

Fachtagung in Berlin

Zukunft des Föderalismus

Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen

(BS/gg) “Wir brauchen wieder einen lebendigen Föderalismus in Deutschland. Seit Jahren sehen wir den Zentralismus auf dem Vormarsch.” So heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier der Landesregierungen Eine Rechnungslegung verfolgt Baden-Württembergs und Bayerns, welches diese im Rahmen einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Meersausschließlich den Zweck, über burg Ende Juli veröffentlichten. Starke Länder seien die Garanten für ein starkes Deutschland, heißt es dort. die finanzielle Lage zu informie- Vor diesem Hintergrund stellt das Papier verschiedene Eckpunkte für einen “Föderalismus der Zukunft” auf.

ren und den Rechnungslegenden damit zur Rechenschaft über die Verwendung von finanziellen Mitteln zu verpflichten. Das Wort Rechenschaft ist in diesem Zusammenhang wohl gewählt; wird es doch synonym für Begriffe wie “Verantwortung”, “Aufklärung” oder auch “Rechtfertigung” verwendet. Im Rechnungswesen erfolgt dies – und so einfach muss man es formulieren – durch Zahlen. Wenn es im Volksmund treffend heißt, dass Äpfel nicht Birnen verglichen werden dürfen, muss die Frage erlaubt sein, wa­ rum innerhalb der EU die Zahlen, die als Rechtfertigung für den Einsatz der von den Bürgerinnen und Bürgern entrichteten Steuern dienen, auf unterschiedlichem Wege erhoben werden. Zwar mag man einwenden, dass diese Zahlen durch komplexe Überleitungsrechnungen bereits heute einem Harmonisierungsprozess unterzogen werden. Aber wäre es nicht sinnvoller, bereits an der Quelle, also der Rechnungslegung des einzelnen Mitgliedsstaates anzusetzen und dort die Zahlen nach gleichen Regeln zu erheben? Zumal die Doppik mit ihren Rechnungsergebnissen –

So wird u. a. eine Stärkung der Länderkompetenzen und damit auch der Länderparlamente gefordert. Die schleichende Abwanderung von Länderzuständigkeiten an den Bund müsse aufhören. Daher bräuchten die Länder und Länderparlamente wieder mehr eigenen Gestaltungsfreiraum. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis nach Art. 70 Abs. 1 GG, wonach die Länder das Recht der Gesetzgebung haben – soweit das GG dem Bund keine Gesetzgebungsbefugnisse verleiht –, müsse wieder Verfassungswirklichkeit werden. Des Weiteren wird in dem Papier eine Revision der Bundeskompetenzen unter dem Aspekt der Subsidiarität gefordert, damit das, was sich vorwiegend örtlich oder in engem Umkreis auswirke, wieder in Landeskompetenz gegeben werde. Bei konkurrierender Zuständigkeit solle zukünftig für ein Tätigwerden des Bundes der Nachweis erbracht werden, dass und inwieweit der Bund die Aufgabe besser wahrnehmen könne als die einzelnen Länder. “Abschließende” Regelungen durch den Bund kämen in ih-

rer Wirkung ausschließlicher Bundeskompetenz gleich und müssten daher künftig so weit als möglich unterbleiben und an strenge Kriterien gebunden sein. Auch im bereits bestehenden Bundesrecht solle es wieder mehr Öffnungsklauseln zugunsten der Länder geben. Mit Blick auf die aufgabengerechte Finanzierung der Länder fordert man eine faire Verteilung von Umsatzsteuerpunkten ohne Zweckbindung durch den Bund. Wenn neue Aufgaben entstünden, deren Bewältigung in der Kompetenz der Länder liege, müssten Gemeinschaftssteuern entsprechend ausgerichtet werden. Hier wenden sich die beiden Landesregierungen ausdrücklich gegen das nach ihrer Ansicht vom Bund gegenüber den Ländern zunehmend forcierte Prinzip “Bundesgeld im Austausch gegen Kompetenzabgabe”. Gleichsam lehnt man eine Steuerung und Zweckbindung der Länder durch Transferleistungen des Bundes oder Mischfinanzierungen ab und fordert verlässliche eigene Steuermittel und keine zeitlich befristeten Pro-

grammmittel. Dies schließe mehr Gestaltungsrechte für Länder und Kommunen bei den Einnahmen mit ein. So solle für sie die Möglichkeit eröffnet werden, in begrenztem Umfang Hebesätze etwa auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer einführen zu können. Wenn Landesbehörden unmittelbar aus dem Bundeshaushalt Mittel erhielten und vom Bund kontrolliert würden, schwäche das die originären Rechte der Landesparlamente. Ausufernde Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes sowie Berichtspflichten selbst in originären Kompetenzbereichen der Länder wollen die beiden Südländer künftig nicht mehr akzeptieren. Die Länder hätten eigene Verfassungsräume, in die vom Bund nicht eingegriffen werden dürfe. Das Papier fordert zudem die Stärkung schlagkräftiger dezentraler Verwaltungsstrukturen. Hier sei zu prüfen, welche Bundesverwaltungen flächendeckend oder im Wege einer Optionsmöglichkeit in einzelnen Ländern wieder in die Landesverwaltung überführt werden könnten.


Beschaffung / Vergaberecht

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Abrechnungsfehler vermeiden

Behörden Spiegel / August 2019

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Anwendertreffen Öffentliches Preisrecht 2019 (BS/Prof. Dr. Andreas Hoffjan*) Die aktive Beteiligung am öffentlichen Auftragswesen bietet nicht nur zusätzliche Absatzchancen, sondern leider auch zahlreiche – im Vorfeld oft nur schwer absehbare – preisrechtliche Risiken. Diese Erfahrung machten inzwischen nicht nur viele wehrtechnische Unternehmen, sondern z. B. auch diverse Anbieter aus dem IT-Sektor, der Forschung und Entwicklung oder der kommunalen Ver- und Entsorgung. Zuweilen werden Jahre nach der Leistungserbringung von der Preisprüfbehörde Abrechnungsfehler festgestellt und der Auftraggeber fordert auf Basis des Prüfberichts eine Rückzahlung des Mehrerlöses. Gut, wenn man sich vor diesem Hintergrund proaktiv über die neuesten Kniffe und Fallstricke zu den Themen Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR Nr. 30/53) und die Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten (LSP) auf dem Laufenden hält. Mittlerweile zum sechsten Mal fand hierzu in Berlin das jährli­ che Anwendertreffen Öffentliches Preisrecht statt. Zahlreiche fach­ kundige Referenten aus verschie­ densten Branchen diskutierten über praktische Probleme rund um die VO PR Nr. 30/53 und die LSP und tauschten unter­ einander hilfreiche Tipps für das Tagesgeschäft aus. Dabei adres­ sierten die Vorträge die wichtigs­ ten vom öffentlichen Preisrecht betroffenen Auftragnehmer: die Verteidigungswirtschaft, die För­ derempfänger, die IT-Branche und die Kommunalwirtschaft.

Dreifache Betrachtung Die Tücken der kaufmännischen Abwicklung des BundeswehrGeschäfts wurden in diesem Jahr sowohl von Auftraggeberals auch von Auftragnehmer­ seite beleuchtet. So stellte Willi Peter von Rheinmetall Electronics aus Bremen seine langjährige Erfahrung aus Preisprüfungen vor und gab den Anwesenden viele nützliche Hinweise dazu, wie man Projekte von vornhe­ rein prüfungsfest aufsetzt, in­ tern dokumentiert und gegenüber dem Preisprüfer darstellt. Jürgen Heins aus dem Luft- und Raum­ fahrtkonzern OHB konkretisierte den nur schwer messbaren As­ pekt der Wirtschaftlichkeit bei der Leistungserstellung. Dabei empfahl er, entgegen der gängi­ gen Controlling-Logik eher we­ niger Kostenstellen zu bilden. Dies helfe bei der Berechnung von Mitarbeiter-Stundensätzen, da kleine Einheiten mit ihren Verrechnungssätzen sehr anfällig für Schwankungen im Zeitablauf seien. Die Sicht des Preisprüfers brachte Maik Kaufmann vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nut­ zung der Bundeswehr (BAAIN­ Bw) ein. Er erläuterte in seiner

Rolle als technischer Kosten­ prüfer seine Erwartungen an den Auftragnehmer. Vor allem auf einen nachvollziehbaren Sachzusammenhang zwischen Beleg und Vertragsleistung, eine klare zeitliche Zuordnung der dokumentierten Ressourcenver­ bräuche und ein Hinterfragen der generellen Effizienz bei der Auftragsausführung komme es aus Sicht der Kostenprüfung an. Im Bereich Förderwesen stell­ te Stefan Düsterhöft aus dem Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt aus Sicht des Zuwendungsgebers vor, wie ver­ tiefte Prüfungen vor Ort durch­ geführt werden. Das konkrete Vorgehen der Projektträger und die damit einhergehenden Prü­ fungsschwerpunkte helfen dem Förderempfänger, sich besser auf die vertiefte Prüfung vorzu­ bereiten.

Marktpreisprüfungen rücken in den Fokus Den in der öffentlichen Verwal­ tung immer wichtiger werdenden IT-Sektor behandelte Rechtsan­ walt Mark Münch von der Sozie­ tät Heussen in seinem Vortrag zum Thema Marktpreise. Aus seiner Sicht werden der Ablauf des Vergabeverfahrens und die Marktabgrenzung gemäß kartell­ rechtlichem Bedarfsmarktkon­ zept künftig mehr in den Fokus der preisrechtlichen Marktprei­ sprüfung rücken. Marktpreise bei IT-Leistungen werden seiner Auffassung nach noch zu häufig a priori ausgeschlossen, da u. a. die Leistungsbündel komplexer dargestellt würden, als sie de fac­ to seien, was mit dem Normzweck der VO PR, dem Marktpreisvor­ rang, in Teilen kollidieren dürfte.

Verordnungsreform Abschließend informierte HansPeter Müller aus dem Bundeswirt­ schaftsministerium verwaltungs­

Welcher Preis ist angemessen und welcher nicht? Beim Anwendertreffen Preisrecht wurden diese und andere Fragen intensiv diskutiert. Foto: BS/Rainer Sturm, pixelio.de

juristisch sehr fundiert über die Rechtsqualität des Preisprüfbe­ richts und den Rechtsschutz bei Maßnahmen der Prüfbehörden. Noch mehr Gehör fand seine op­ timistische Einschätzung, dass eventuell noch im laufenden Kalenderjahr mit Ergebnissen aus der offiziellen Arbeitsgruppe beim BMWi zur Reformierung des Preisrechts gerechnet werden könne. Hier hätten sich zuletzt merkliche Fortschritte und Kon­ senspunkte abgezeichnet. Wün­ schenswert seien aus seiner Sicht z. B. einheitlichere Aufbereitun­ gen der Preisprüfberichte über die verschiedenen Prüfbehörden der Länder hinweg. *Prof. Dr. Andreas Hofjann hat den Lehrstuhl Unternehmensrechnung und Controlling an der TU Dortmund inne und ist zugleich fachlicher Leiter des Anwendertreffens “Öffentliches Preisrecht”.

► JVA

Gesamtvergabe rechtens Sicherheit vor Mittelstandsschutz Zwei Kilometer Kabelgraben, 155 elektronische Schließsys­ teme, Video- und Zaunschutz­ anlagen und 50 Kilometer Glas­ faserkabel – das alles braucht einen große JVA, wenn es darum geht, ihre Außenhaut so zu sichern, dass sie kein Häftling überwindet. All diese Komponenten müssen so zu­ verlässig funktionieren, dass die Ausfallzeiten aller Bestandteile im Jahr zusammengenommen nicht mehr als eine Stunde be­ tragen. Ein Auftragsinteressent stört sich aber daran, dass all diese Leistungen zusammen vergeben werden sollten. Er könne Videoüberwachung und Zaunschutz anbieten, nicht aber Beleuchtung und Kabeltiefbau. Letzteres sei ohnehin einfache Elektrotechnik. So könne die Sicherheitstechnik und die Elek­ trotechnik doch in zwei Fachlose getrennt werden. Getrennt werden kann das vielleicht, muss es aber nicht, meint dazu das OLG München. Die Einschätzung des Auftrag­ gebers sei nicht zu beanstan­ den. Schließlich müsse auch die Beleuchtung des Sicherheits­ streifens gemeinsam mit dem Zaunschutz gesteuert werden. Derartige Überschneidungen gebe es vielfältig. Zudem hat ein Sachverständiger darauf hinge­ wiesen, dass für die Ausstattung besondere Switches benötigt würden, damit alle Komponen­ ten korrekt zusammenarbeiten. Zuletzt kann man auch nicht mehrere Unternehmen dazu ver­ pflichten, gemeinsam eine Maxi­ malausfallzeit über die Grenzen ihrer jeweiligen Gewerke hinweg zu garantieren. Der Auftraggeber habe all diese Sicherheitsaspek­ te ausweislich der Vergabeakte mit dem Gebot der Losaufteilung abgewogen. Ein Ermessensau­ fall liegt demnach nicht vor. Der Interessent bleibt mit seinem Ansinnen erfolglos. OLG München (Beschl. v. 25.03.2019, Az.: Verg 10/18)

► KALKULATIONSFREIHEIT

Eine Plattform für alle Land Baden-Württemberg entscheidet sich für die E-Vergabe mit cosinex (BS/Dr. Antanina Kuljanin*) Im Auftrag des Landes wurde durch die Landesoberbehörde IT Baden-Württemberg (BITBW) eine E-Vergabe-Lösung EU-weit ausgeschrieben. Durchgesetzt hat sich die Lösung der cosinex. Baden-Württemberg ist bereits das fünfte Bundesland, das sich für die Einführung einer landesweiten Vergabeplattform sowie eines Vergabemanagementsystems auf Basis der cosinex-Technologie entschieden hat. Nur zwei Monate nach Zuschlag ging die neue Landesplattform pünktlich zum 1. Juli bei dem zentralen Dienstleistungsanbie­ ter in Baden-Württemberg an den Start. Sie ist unter https:// ausschreibungen.landbw.de er­ reichbar. Kurz darauf wurden die ersten Vergabestellen im Portal des Landes eigerichtet. Die Einführung des Vergabe­ managementsystems erfolgt pa­ rallel. Ein wichtiger Vorteil der Vergabeplattform ergibt sich aus dem Anschluss der unmittelba­ ren Landesverwaltung (d. h. der Landesministerien und ihnen nachgeordneter Behörden), denn erklärtes Ziel ist eine landesweit einheitliche Vergabeplattform und damit auch zentrale An­ laufstelle für Ausschreibungen in Baden-Württemberg.

Modern und anwenderfreundlich Neben den Bundesländern Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rhein­ land-Pfalz ist das drittgrößte Bundesland nunmehr das fünfte, das für eine behördenübergrei­

fende Lösung auf die Technologie der cosinex setzt. “Wir freuen uns sehr über die Entscheidung des Landes”, erklärt Carsten Klipstein, Geschäftsführer der cosinex, dem Partner der öffent­ lichen Institutionen bei der Di­ gitalisierung und Optimierung von Verwaltungsprozessen so­ wie E-Government-Projekten. “Die Einführung landesweiter bzw. verwaltungsübergreifender Lösungen insbesondere in den Flächenbundesländern stellt eine besondere Herausforderung dar, der wir uns mit unserer Erfah­ rung gerne stellen”, so der Ge­ schäftsführer des spezialisierten Dienstleisters zur Entwicklung zukunftsfähiger, investitionssi­ cherer Lösungen weiter. “Die BITBW erweitert ihr Service­ portfolio um ein Vergabemanage­ mentsystem für die Landesver­ waltung Baden-Württembergs”, freut sich Doris Oestreich, Teamleiterin der Vergabestelle BITBW. “Wir stellen mit dieser Technologie den Vergabestellen des Landes ein modernes und anwenderfreundliches Portal für eine landeseinheitliche elektro­

nische Abwicklung der Verga­ beverfahren zur Verfügung”, unterstreicht die Mitarbeiterin der Landesoberbehörde, die mit ihren 350 Mitarbeitern sämtli­ che IT-Dienstleistungen für die unmittelbare Landesverwaltung anbietet.

Überall im Einsatz Die Lösungen der cosinex kom­ men in allen Bundesländern und auf allen Verwaltungsebenen bei öffentlichen Auftraggebern zum Einsatz. Neben Vergabestellen von Bund, Ländern und Kommu­ nen setzen auch zahlreiche Sozi­ alversicherungsträger, Kranken­ kassen und alle anderen Arten öffentlicher Auftraggeber sowie auf das Vergaberecht speziali­ sierte Kanzleien und Beratungs­ unternehmen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens auf die Anwendungen der cosinex. Weitere Informationen: http://www.cosinex.de *Dr. Antanina Kuljanin arbeitet als Referentin der Geschäftsführung bei der cosinex GmbH.

Teure Container Ausschluss wegen zu hohen Preises Wenn ein Angebot zu teuer ist, muss in der Regel über dessen Ausschluss nicht nachgedacht werden – es ist ja allein auf­ grund des Preises nicht an füh­ render Position. Aber es gibt sel­ tene Einzelfälle, in denen auch dieser Ausschlussgrund zum Tragen kommt, wie hier: Der Auftraggeber hatte kältetech­ nische Anlagen ausgeschrie­ ben. Als Nebenleistung war es erforderlich, für die Dauer der Baustelle Magazincontainer be­ reitzustellen. Bei der Vergabe­ stelle gingen zwei Angebote ein. Ein günstiges, welches sich im Rahmen der Kostenschätzung bewegt hat, und ein wesentlich teureres. Aufgrund einer Ver­ zögerung im Bauablauf wurde eine Bindefristverlängerung nötig. Der günstige Anbieter verlängert nicht und zog sich zurück. Darauf hob die Ver­ gabestelle das Verfahren auf: Das teure Angebot überschritt die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel um 60 Prozent. Der einzig verbliebene Bieter wollte das nicht hinnehmen und kämpfte vor der Vergabekam­ mer um die Fortführung des

Verfahrens, um doch noch den Zuschlag zu erringen. Aber er hatte keinen Erfolg. Die Verga­ bekammer konnte nicht verste­ hen, warum ein Magazincontai­ ner 90.000 Euro kosten sollte (was zehn Prozent der gesamten Auftragssumme ausmachte), wenn der Konkurrent für die gleiche Position nur 600 Euro verlangt. Selbst wenn also dem Bieter der Plan gelungen wäre, die Aufhebung durch Erschüt­ terung der Kostenschätzung zu kippen, so hätte ihm dies nichts genutzt: Die Vergabekammer meint, ein 150-fach überhöh­ ter Preis könne keineswegs der wirklich geforderte Preis sein – was zum Ausschluss des Bieters führt und dann die Auf­ hebung mangels verbliebener Angebote zur Folge hätte. VK Bund (Beschl. v. 13.02.2019, Az.: VK 1-3/19)

► POSTDIENSTE

Zu viele Stempel und zu langsame Zustellung Beides wollte der Auftraggeber vermeiden. Er forderte in seiner Ausschreibung für die deutsch­ landweite Briefzustellung, dass 95 Prozent aller Briefe innerhalb eines Tages (E+1) den Empfän­ ger erreichen müssten. Zudem setzte er voraus, dass auf jedem Brief nur ein einziger Stempel angebracht werden dürfe. Mit diesen beiden Kriterien waren 70 Prozent aller Wertungspunk­ te zu erzielen. Beides hielt ein privater Postdienst für nicht umsetzbar. Regionale Anbieter seien darauf angewiesen, für die überregionale Zustellung Subunternehmer einzusetzen, die für ihre Sortiermaschine weitere Codierungen aufbrin­ gen müssten. Eine E+1-Quote von 95 Prozent könne zudem aktuell ausschließlich von der Post eingehalten werden. Das OLG Celle bestätigt diese Einwände. 95 Prozent innerhalb eines Tages sei sogar noch mehr, als die Post-Universaldienstleis­ tungsverordnung als Mindest­ quote vorsehe. Eine solch hohe Quote zu fordern, sei sachlich nicht gerechtfertigt und führe praktisch zur Chancenlosig­ keit aller privaten Bewerber. Gleiches gilt für die Stempel. Hier hatte der Auftraggeber die Post ausdrücklich von dieser Beschränkung ausgenommen, die ja selbst schon mehrere Auf­ drucke anbringt (Codierzeile, Frankierung und Einlieferungs­ stempel). Ein solches, mindes­ tens in sich widersprüchliches Kriterium sei nicht mehr will­ kürfrei auszuwerten, befand der Vergabesenat. OLG Celle (Beschl. v. 11.09.2018, Az.: 13 Verg 4/18)

► ENTSORGUNG

Rohstoff oder Abfall? Verdacht auf Mischkalkulation Beim Gebäudeabbruch ent­ steht zu entsorgender Beton­ bruch unterschiedlicher Belas­ tungsklassen. Während Klasse Z.1.2. deponiert werden muss, gibt es für Klasse Z.1.1. in man­ chen Gegenden Deutschlands eine Nachfrage als Baustoff. Das hängt vor allem davon ab, welche alternativen Materialien in der jeweiligen Gegend zur Verfügung stehen. So kommt es in einem Verfahren in Un­ terfranken zum Streit darüber, ob die Kalkulation eines Bie­ ters, der für die Entsorgung von Z.1.1.-Beton einen negativen

Preis bietet, korrekt sein kann. Denn zugleich hat er einen er­ heblich höheren Preis als alle Konkurrenten für Klasse Z.1.2. geboten. Der Auftraggeber ver­ mutet eine Mischkalkulation und schließt den Bieter aus. Das OLG München gibt ihm schließlich Recht. Die Auf­ klärung durch den Bieter sei nicht geeignet gewesen, den Verdacht der Mischkalkulati­ on zu erschüttern. Allein die Berufung auf die angebliche Marktsituation genügt dafür nicht. Hier hätte der Bieter kon­ krete Preise benennen müssen, die er für Klasse Z.1.1. erzielen bzw. für Klasse Z.1.2 zahlen müsse. Andernfalls ergibt sich der Marktüberblick aus den weiteren Angeboten, welche die Markteinschätzung des Bieters gerade nicht stützen. Dass er zuletzt im Laufe der Nachprü­ fung zwei Angebote vorgelegt hat, die zu seiner Kalkulation zu passen scheinen, hilft dem Bieter nicht mehr. Denn sie stammten nicht etwa von seinen benannten Subunternehmern, sondern von anderen Firmen. Mit diesen Preisen hätte er also gar nicht kalkulieren dürfen. OLG München (Beschl. v. 17.04.2019, Az.: Verg 13/18)

► KONZEPT

Alles super Mehrfache Höchstpunktzahl möglich Seit Jahren bekommt immer wieder ein ganz bestimmtes Ingenieurbüro den Zuschlag für Planungsleistungen des gleichen Auftraggebers. Das kommt einem Konkurrenten merkwürdig vor. So glaubt er nun endlich in einem Verfahren den Beweis gefunden zu haben: Dieses Büro wird systematisch bevorzugt. Zu 30 Prozent sollte hier ein Personaleinsatzkonzept in die Wertung eingehen. Doch der Auftraggeber hatte gleich drei Bietern – darunter dem be­ wussten Vorauftragnehmer und seinem argwöhnischen Konkur­ renten – die Höchstpunktzahl gegeben. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, meint der Konkurrent. Sein Konzept müsse besser gewesen sein. Das werde nicht angemessen berück­ sichtigt, wenn einfach alle die Höchstpunktzahl bekommen. Dieser Einwand bleibt erfolglos. Die Vergabekammer erachtet die Konzeptbewertung für nach­ vollziehbar dokumentiert und sachgerecht. Sie entspreche auch den bekannt gemachten Kriteri­ en. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Konzepte erfahrener Bieter vollumfänglich den Anforderun­ gen eines Auftraggebers entsprä­ chen. Daher sei es auch nicht verdächtig, wenn drei Bieter die Höchstpunktzahl erhielten. Das Kriterium sei im Gegensatz zur Befürchtung des Antragstellers auch nicht “leergelaufen”, denn tatsächlich hätten fünf weitere Bieter weniger Punkte erzielt, darunter auch der preisliche Bestbieter, der dadurch weiter hinten in der Wertungsreihen­ folge gelandet sei. So ging der Auftrag also wieder an das glei­ che Büro, weil es preislich ein ganz klein wenig günstiger war. VK Nordbayern (Beschl. v. 01.03.2019, Az.: RMFSG21-3194-4-3)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / August 2019

Trotz Allgemeininteresse ungeeignet BMWi prüft Folgen für HOAI / Preis-Qualitäts-Wettbewerbe oder Steuerberatermodell? (BS/Jörn Fieseler) Obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Argumentation der EU-Kommission im Vertragsverletzungsverfahren zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) in weiten Teilen widersprochen hat, hat er trotzdem die Mindest- und Höchstsätze für rechtswidrig erklärt. Jetzt gilt es, schnelle Lösungen und neue Modelle als Ersatz zu finden. Die naheliegende Lösung – eine Schlussfolgerung aus der Urteilsbegründung – scheidet aus. Die Richter der Vierten Kammer des EuGH unter Kammerpräsident Michail Vilaras folgten der Auffassung der Bundesrepu­blik hinsichtlich der Ziel, die mit der HOAI erreicht werden sollen. Sowohl die Qualität der Arbeit als auch der Verbraucherschutz, der Erhalt der Baukultur und des ökologischen Bauens als Teil der Erhaltung des kulturellen und historischen Erbes sowie der Umweltschutz seien Ziele, die zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellten und damit Mindestpreise rechtfertigen könnten. Zudem könnten Mindestpreise grundsätzlich dazu beitragen, in einem von einer ausgesprochen großen Anzahl von Dienstleistungserbringern gekennzeichneten Markt wie dem deutschen einen Konkurrenzkampf zu vermeiden, der zu Billigangeboten und infolge dessen zu einem Qualitätsverfall der erbrachten Leistungen führen könne, heißt es in dem Urteil weiter. Im schlimmsten Fall könne es durch eine “adverse” Selektion zur Ausschaltung von Qualitätsleistungen kommen. Trotzdem seien die Mindestsätze am Ende nicht geeignet.

Keine Mindestgarantien Denn “der Umstand jedoch, dass in Deutschland Planungsleistungen von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben, lässt im Hinblick auf das mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität von Planungsleistungen zu erhalten, eine Inkohärenz in der deutschen Regelung erken-

nen”. Die Mindestsätze könnten nicht für das Qualitätsziel geeignet sein, wenn für die Vornahme der in Rede stehenden Leistungen nicht selbst Mindestgarantien gelten würden, die die Qualität der Leistung gewährleisten könnten. Auch die Höchstsätze seien nicht verhältnismäßig und damit europarechtswidrig. “Eine solche Mindestgarantie könnte sein, dass Planungsleistungen nur von denen erbracht werden sollen, die ihre Qualifikation umfassend nachgewiesen haben. Das wäre aus Gründen der Qualitätssicherung natürlich zu begrüßen. Es ist aber nicht sicher, wie der EuGH oder auch die EUKommission das werten würden”, sagt dazu Martin Falenski, Hauptgeschäftsführer der Bundesingenieurkammer (BIngK). “Mehr noch, solche Regelungen könnten sogar gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen”, ergänzt Dr. Ralf Averhaus, Rechtsanwalt bei Leinemann und Partner. Alternativ müssten die vergaberechtlichen Möglichkeiten zur Qualifikation des ausführenden Personals in der Eignung oder sogar als Zuschlagskriterium deutlich stärker angewendet werden. “Das könnte helfen, die Qualität bei den Planungsleistungen auf dem heutigen Stand zu halten”, wendet Falenski mit Verweis auf die Planungen der Entrauchungsanlage beim Hauptstadt-Flughafen BER ein. Die Planungsleistungen für die Anlage sind damals von einem Technischen Zeichner und nicht von einem Ingenieur durchgeführt worden. Stattdessen dürfte der Preis künftig stärker bei öffentlichen

Aufträgen gewichtet werden. “Die von vielen Auftraggebern angewandte Gewichtung von zehn Prozent Preis und 90 Prozent Qualität dürfte nun der Vergangenheit angehören”, prognostiziert Dr. Christopher Marx von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Der Rechtsanwalt empfiehlt, die neuen Spielräume für einen Preiswettbewerb zu nutzen, beispielsweise indem man Pauschalpreise verlange und werte. “Hierdurch entfällt für Architekten der Nebeneffekt, dass gestiegene Baukosten – und damit höhere anrechenbare Kosten – nicht gleichzeitig das Architektenhonorar erhöhen. Auftraggeber können auch das Preissystem der HOAI beibehalten und Unterschreitungen der Mindestsätze oder pauschale Abschläge der Bieter zulassen”, so Marx.

Alternativmodell “Wir wollen die HOAI zumindest als abgeprüften Referenzrahmen erhalten”, sagt Barbara Ettinger-Brinkmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK). Schließlich seien die Leistungsphasen und Honorarsätze der HOAI seit Jahrzehnten als Grundlage für das Planen und Bauen in Deutschland etabliert und die Architekten sollten auch weiterhin auf Basis angemessener Honorare arbeiten können, um den ganzheitlichen Leistungsumfang anbieten zu können. Dazu wäre ein Ansatz analog dem der Steuerberater denkbar, schlägt Falenski vor, bei dem statt eines Mindestsatzes von einem Regelsatz auszugehen sei. Die Steuerberatervergütungsverord-

Tagen. Treffen. Testen. 8. Kölner Vergabetag steht im Zeichen der Nachhaltigkeit (BS/Patrick Schwab*) Unter dem Motto “Tagen. Treffen. Testen.” findet bereits zum achten Mal der Kölner Vergabetag statt. Der Veranstalter subreport Verlag Schawe GmbH lädt Ausschreiber, Bewerber und Bieter am 10. September ins Radisson Blu Hotel Köln ein. Auf der Agenda stehen brandaktuelle Themen aus Vergaberecht und Vergabepraxis, geballtes Fachwissen, Impulsvorträge und Praxistipps von ausgewiesenen Spezialisten in ihren Fachgebieten. In diesem Jahr steht die Veranstaltung vor allem im Zeichen des Umweltbewusstseins: Was die Fridays-for-Future Bewegung angestoßen hat, hat auch Auswirkungen auf Unternehmen und die öffentliche Hand, denn nachhaltige Beschaffung wird ein immer wichtigeres Thema im Vergabewesen. Ob bei der Ausschreibung von IT-Hardware unter Berücksichtigung von Konfliktmineralien, der Beschaffung von Produkten ohne ausbeuterische Kinderarbeit oder der Einhaltung von Mindestlöhnen, faire und nachhaltige Beschaffung ist aktueller denn je. Die Keynote zum Thema spricht Andreas Wolter, Bürgermeister der Stadt Köln. Ilse Beneke, Leiterin der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung, stellt die Grundlagen nachhaltiger Beschaffung in Kommunen vor. Die Stadt Ostfildern berücksichtigt schon seit vielen Jahren Nachhaltigkeitskriterien bei ihrem Einkauf – Dietmar Hage erklärt, wie es funktioniert. Es werden also sowohl die theoretischen Aspekte als auch die praktische Umsetzung thematisiert.

ordnung, kurz UVgO, ist nach wie vor ein aktuelles Thema und wird im Vortrag von HansPeter Müller aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) behandelt. Hierbei stehen erste Erfahrungsberichte nach der Einführung und praktische Tipps im Umgang mit den Änderungen im Vordergrund. Den Blick über den Tellerrand des Vergabewesens gibt der OffTopic-Vortrag nach der Mittagspause.

Vergaberecht aktuell

Von Praktikern für Praktiker

Neben dem Blick auf ein umweltbewusstes Vergabewesen wird die Fachanwältin für Vergaberecht Katharina Strauß auf die wichtigsten Änderungen der neuen VOB/A 2019 eingehen und mit den Anwesenden diskutieren. Die Unterschwellenvergabe-

Und: Auch beim achten Kölner Vergabetag stehen Austausch und Diskussion sowie die Fragen der Teilnehmer an die Praktiker und Experten aus Verwaltung und Wirtschaft im Fokus. Denn das zeichnet den Vergabetag seit jeher aus und ist uns besonders

Moderator Jörn Fieseler, Behörden Spiegel (links), wird auch in diesem Jahr intensiv mit den Vergabeexperten diskutieren. Foto: BS/subreport, Vollmer

wichtig: der intensive und offene Dialog zwischen Publikum und Referenten, mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf den Belangen kleiner und mittlerer Kommunen und Unternehmen. Übrigens: Damit keine Frage unbeantwortet bleibt, haben die Teilnehmer bereits im Vorfeld der Veranstaltung die Möglichkeit, ihre Fragen an vergabetag@subreport.de zu übermitteln. Weitere Informationen zum 8. Kölner Vergabetag sowie eine Anmeldemöglichkeit finden Sie unter “Workshops und Schulungen” auf der subreport-Homepage www.subreport.de. Wir freuen uns auf Sie! *Patrick Schwab arbeitet im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der subreport Verlag Schawe GmbH.

nung (StBVV) sieht vor, dass die Regelsätze nur gelten, wenn nichts anderes vereinbart worden sei. Zudem wird darin zwischen Wertgebühren, Rahmengebühren, Zeitgebühren und Pauschalvergütungen unterschieden. “Dieses Modell ist praxiserprobt und damals vom Bundesfinanzministerium mit der EU-Kommission abgesprochen worden”, so Falenski. Derzeit analysiert das Bundeswirtschaftsministerium das europäische Urteil. Man werde sich jedoch mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat eng abstimmen und sich auch mit der BAK und der BIngK austauschen. Erste Gespräche hätten bereits stattgefunden.

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MELDUNG

Vergaberecht in Speyer (BS/jf) Die aktuellen Fragen des Vergaberechts stehen bei den diesjährigen Speyerer Vergaberechtstagen 2019 am 19. und 20. September 2019 in zahlreichen Beiträgen im Mittelpunkt. Erfahrende Praktiker als Referenten analysieren und diskutieren unter anderem die aktuellen vergaberechtlichen Fragen aus der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, Neues von der Konzessionsvergabe sowie die Beschaffung von E-Mobilitäts-Lösungen. Weitere Themen sind unter anderem rechtliche Fragen der

E-Vergabe, Rahmenvereinbarungen sowie die Vergabe von Planungsleistungen und besonders die kooperative Vergabe von Planungs- und Bauleistungen im sogenannten Zwei-PhasenModell. Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an alle mit der praktischen Anwendung des Vergaberechts Befassten. Detailliertes Programm, Auskünfte und Anmeldung unter: www.uni-speyer.de/de/weiterbil dung/weiterbildungsprogramm. php?seminarId=131

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

Mehr zum Thema In zwei Seminaren des Behörden Spiegel diskutieren die Referenten die Auswirkungen des EuGH-Urteils und zeigen Lösungen zeigen Lösungen für die Anwendung der in Rede stehenden Paragrafen auf, bis es zu einer Neufassung der HOAI kommt.” • update öffentliche Bauprojekte”, 5. September 2019 in Hamburg, • “preis- und Qualitätswettbewerb unter Architekten”, 6. September 2019 in Düsseldorf. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungs kraefte-forum.de, Suchwort “Architekten” oder “HOAI”


Diplomaten Spiegel

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D

ie weltberühmte Mutter dieser anarchisch-sympathischen Lauser, Astrid Lindgren, wäre heuer 112 Jahre alt geworden. Regale, die in dem Land gebaut werden, sind keine, sondern Billys. Und weil Märchen mitunter wahr werden, gibt es dort auch eine Königin aus Deutschland, die weiland 1972 als einfaches Mädchen aus Heidelberg das Herz des jungen Monarchen aus dem Konungariket Sverige im Sturm erobert. Eine 16-jährige Stockholmerin tut dies für die Umwelt, mit ihren “Fridays for Future” sogar global. Beim diesjährigen Weltwirtschaftsgipfel in Davos “wünscht” die Klimaschutzaktivistin den dort versammelten Granden: “Ich will, dass ihr in Panik geratet.”

Behörden Spiegel / August 2019

Beziehungen weiter stärken und vertiefen Ein Gespräch mit dem schwedischen Botschafter in Berlin, Per Thöresson (BS/ps) In dem 447.435 Quadratkilometer großen Königreich, wozu auch etwa 221.800 Inseln, darunter Gotland und Öland, zählen, scheint die Sonne mitunter sogar des nächtens, die Männer sind blond, stark und fuhren dereinst als Wikinger gern zur See. Die Frauen blieben zu Hause und haben “die Hosen an”. In seiner Hauptstadt lebt seit 1955 Herr Karlsson, “ein gerade richtig dicker Mann in den besten Jahren”, auf einem Dach und fliegt einfach so durch die Lüfte. Kinder heißen dort schon mal Pippi oder Michel, wohnen in der Villa Kunterbunt, in Lönneberga oder Bullerbü.

Zwei Jahre Stuttgart Zweieinhalb Jahre ist Botschafter Thöresson beruflich wieder in Deutschland und kennt es ziemlich gut: “1986 habe ich meinen ersten Job bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart-Untertürkheim angefangen. Dort habe ich meine Frau kennengelernt und bin deswegen statt der ursprünglich geplanten sechs Monate ganze zwei Jahre geblieben. Sprich: Wenn ich an Deutschland denke, erinnere mich oft an diese wunderschöne Zeit in BadenWürttemberg”.

Seit über zwei Jahren wieder im Land Schreiben wir also über Schweden und seinen Botschafter in Deutschland, Per Thöresson, der 1982 zunächst ein Edelhotel in VIPbühel, vulgo Kitzbühel, managt, nach einem Jahr ins eher weniger mondäne Stockholm zieht, Wirtschaftswissenschaften studiert und dann bei DaimlerBenz in Stuttgart arbeitet. 1990 kommt der heute 56-Jährige in den diplomatischen Dienst. Man sendet ihn nach Wien zur OSZE, die versucht, im Berg-KarabachKonflikt zu vermitteln, und zu den Vereinten Nationen in New York. Nach Stationen im heimischen Außenministerium wird er ab 2006 Botschafter in der Schweiz, der ständigen Vertretung Schwedens bei der UNO und im März 2017 in Deutschland. “Hier ist kurz gesagt mein Auftrag, die bereits hervorragenden bilateralen Beziehungen weiter zu stärken und vertiefen. Das bezieht sich”, so Botschafter Thöresson, “auf ganz unterschiedliche Bereiche wie Politik, Wirtschaft und Kultur – und zwar sowohl auf Bundesebene als auch in den Bundesländern. Und in diesem Jahr stehen die Zeichen besonders gut.” Zum einen war Schweden das Partnerland der diesjährigen Hannover Messe vom 1. bis 5. April. “Die war ein Riesenerfolg! Mit 160 Unternehmen und Organisationen war Schweden der viertgrößte Aussteller. Viele neue Partnerschaften wurden geschlossen, zwischen schwedischen Start-ups und deutschen Unternehmen, zwischen Regionen in beiden Ländern und zwischen Organisationen”, freut sich der schwedische Chefdiplomat.

Das sogenannte kleine Reichswappen ist das offizielle Hinweisschild für Staatsgebäude in Schweden. Es besteht aus den wesentlichen Elementen des großen Staatswappens: die goldene Krone mit blauem Reichsapfel und darunter die drei Kronen auf blauem Grund als Zeichen der Monarchie.

Investitionen in die Zukunft “Zum anderen haben Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und unser Ministerpräsident Kjell Stefan Löfven in Hannover eine erweiterte und vertiefte Innovationspartnerschaft unterschrieben. Sie umfasst die Zusammenarbeit in den Bereichen Mobilität, Digitalisierung und Innovationen bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswe-

wir fast immer verlieren). Immer mehr Schweden entdecken auch Deutschland als Reiseziel. Berlin ist nun beliebter für einen Wochenend-Urlaub als Barcelona”, so Thöresson. Das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Selbst die 1:3-Niederlage, die wir bei der Fußball-WM 1958 gegen die Schweden in der “Schlacht von Göteborg” kassierten, ändert nichts daran und das ist auch gut so.

Stones-Fan und Schlagzeug­ spieler

Vertritt die Interessen seines Landes in Berlin: Seine Exzellenz Per Thöresson, Botschafter des Königreichs Schweden.

sen (E-Health) und “Testbeds”, Plattformen für experimentelle Forschung und neue Produktentwicklung. Neu hinzugekommen sind nun künstliche Intelligenz und Batterien. Alles Zukunftsthemen, bei denen unsere Län-

Unstrittig, von Kiruna am Polarkreis bis Trelleborg im Süden, ist das Folkhemmet (Volksheim), eine wichtige politische Metapher der schwedischen Sozialdemokraten in den 1930er- und 1940er-Jahren, die für den er-

in der schwedischen Regierung geschaffene Behörde für Gleichstellung. Diese ist nicht auf ein Ministerium beschränkt und gilt für den gesamten Staatsapparat und die Regierung, die seit Jahren feministisch ist. “Das ist

Rezept des Botschafters

Fotos: BS/Dombrowsky

lungen: Verträge, die unter Einbeziehung beider Geschlechter geschlossen werden, haben sich als wesentlich stabiler erwiesen.” Doch davon ist diese unsere Republik noch um einiges entfernt – dennoch sehen uns die Schweden gern. “Die Deutschen sind uns sehr sympathisch, außer vielleicht beim Fußball (wo

Letzte Frage – mit wem würde Per Thöresson, nach nunmehr fast drei Jahrzehnten im Dienst seines Vaterlandes, gerne mal für ein paar Tage tauschen? “Mit Charlie Watts, Schlagzeuger bei den Rolling Stones. Das war schon immer mein Traum, wegen ihm habe ich auch angefangen, Schlagzeug zu spielen.” Er mag die Stones am liebsten bis 1972 und ihrem Album “Exile on Main Street”. Und selbstverständlich hat er die Biografie des Sologitarristen und Komponisten aller ihrer Titel, Keith Richards, gelesen. “Die beste Szene darin: Mick Jagger stellt Charlie Watts als “mein Schlagzeuger” vor, daraufhin packt Watts ihn am Kragen und knurrt: “Never call me YOUR drummer again!” Es soll dann “The Last Time” gewesen sein.”

Schwedische Köttbullar

Zutaten: 400 g Hackfleisch vom Rind oder gerne auch gemischtes Hackfleisch mit z. B. Elch, eine halbe gelbe Zwiebel, 1,5 dl Milch oder Sahne, 1 Ei, 5 EL Paniermehl, 1-2 TL Salz, 1-2 Prisen “Piffi Allkrydda”, alternativ Dijonsenf oder andere Gewürze für Hackfleisch, Butter und / oder Speiseöl für die Pfanne Zubereitung: Milch (oder Sahne) mit Paniermehl und den Gewürzen vermengen und für mindestens 10 Minuten ziehen lassen. Butter/Speiseöl in die Pfanne geben. Die Zwiebel schälen und klein hacken und bei niedriger Temperatur in der Pfanne erhitzen, bis sie bräunlich werden. Alle übrigen Zutaten in einer Schüssel vermengen. Die Masse zu kleinen Kugeln rollen – am besten mit befeuchteten Händen, damit's nicht so klebt. Die rohen Köttbullar in der Pfanne scharf anbraten, bis sie braun werden, dann bei geringerer Temperatur garen. Dazu passt alles, was bei unseren Frikadellen, B(o)uletten, Bratklopsen, Fleischpflanzerln oder Fleischküchle auch passt. In jedem Fall: Bier. Skål!

der sich perfekt ergänzen und wo bereits sehr viel passiert”, erläutert Thöresson. Ein tolles Beispiel dafür sei der kürzlich eröffnete "E-Highway” bei Frankfurt. “Dabei geht es zurück in die Zukunft: Die 100 Jahre alte Idee des “O-Busses” soll nun bei LKW eingesetzt werden und diesen Verkehr umweltfreundlicher machen. Durch Oberleitungen sollen spezielle Hybrid-Trucks auf Autobahnen künftig mit Strom fahren.”

Knapp, aber klar Trotz aller Moderne und einer jahrzehntelangen EU-Mitgliedschaft – in die Eurozone wollen die zehn Millionen Schweden nicht. Dabei erfüllen sie schon immer mustergültig alle Kriterien dafür und haben daher wohl nie z. B. die Schuldengrenze erreicht. “Wir hatten 2003 eine Volksabstimmung mit dem ausdrücklichen Ziel der Regierung, der Eurozone beizutreten. Das Ergebnis war aber ein knappes, wenn auch klares Nein. Nach der Eurokrise würden derzeit mit etwa 15 Prozent noch weniger Schweden für einen Beitritt stimmen. Es wird also wohl noch eine Weile dauern, bis wir den Euro einführen”, mutmaßt Thöresson.

strebten Wohlfahrtsstaat steht. “Dem Folkhemmet geht es noch ziemlich gut. Der Wohlfahrtstaat wird von den meisten Schweden als selbstverständlich gesehen. Er wird auch von keiner einzigen Partei im Reichstag infrage gestellt. Unterschiedliche Ansichten gibt es eher in der Ausformung, z. B. inwieweit auch private Akteure Dienstleitungen wie Pflege oder Schule durchführen dürfen sollen”, sagt der Botschafter.

Gleiche Rechte, Repräsenta­ tion und Ressourcen Auch sehr empfehlenswert, nicht nur mit Blick auf den Herrn im Weißen Haus, ist die vor Kurzem

eigentlich ganz einfach: Sämtliche Politikbereiche sollen die Gleichstellung von Mann und Frau berücksichtigen. Wenn ein Ministerium z. B. eine Haushaltsvorlage vom Finanzministerium genehmigt bekommen will, wird geprüft, ob auch die Auswirkungen auf die Gleichstellung analysiert wurden. Wir betreiben auch eine ausdrücklich feministische Außenpolitik, der sich inzwischen auch Länder wie Kanada und Frankreich angeschlossen haben. Dabei geht es um die “drei R's”: Frauen sollen die gleichen Rechte, Repräsentation und Ressourcen haben wie Männer. Nehmen Sie beispielsweise Friedensverhand-

Im Verbund: Dänemark, Schweden, Island, Norwegen und Finnland, teilen sich in Berlin in der Rauchstraße 1 das Botschaftsgebäude.

Personalrochaden beginnen Erste Entscheidungen auf unteren Ebenen (BS/jf) Die Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Kom­ mission bekommt einen neuen Direktor. Davon sind die Kommissions­ vertretungen in Deutschland und Wien betroffen. Die Entscheidung hängt eng zusammen mit der Versetzung des Generalsekretärs der EU-Kommission, Martin Selmayr. Bis die neuen Kommissare feststehen, wird es jedoch noch eine Zeit dauern. Neuer Direktor für die “Repräsentation und Kommunikation in den Mitgliedsstaaten” wird Reinhard Nikolaus Kühnel. Der Österreicher ist seit fünf Jahren Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland. Er folgt auf Sixtine Bouygues. Die gebürtige Französin war seit 2010 im Amt. Kühnel übernimmt zum 1. September 2019 das Direktorat mit seinen vier Abteilungen, die sich mit Strategie, politischer Berichterstattung, Bürgerdialogen und Netzwerken befassen. Außerdem gehören die 28 Vertretungen und neun Regionalvertretungen in den Mitgliedsstaaten zum Direktorat. Vor seiner fünf Jahre dauernden Station in Deutschland arbeitete der in Graz geborene und gelernte Jurist rund sechs Jahre (2008 bis 2014) als Vertreter der EU-Kommission in Wien. Seine diplomatische Karriere begann er 1994. Nach Stationen in Tokio, New York und Wien wechselte Kühnel zur Europäischen Kommission und begann seinen Dienst als Berater im Kabinett von Benita FerreroWaldner, der damaligen Kommissarin für Außenbeziehungen und Europäische Nachbarschaftspolitik. Diesen Posten hatte er bis 2008 inne. Neuer Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland wird Dr. jur. Jörg Wojahn. Seit 2015 ist er in Wien der

Kommissionsvertreter. Zuvor arbeitete er fünf Jahre als Botschaftsrat an der Delegation der Europäischen Union für SaudiArabien, Oman, Kuwait, Katar und Bahrain (Riad) sowie davor von 2004 bis 2009 als Sprecher des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung OLAF. Wohjan kehrt damit in seine Heimat zurück, in der er unter anderem in Passau Jura studierte und in Kiel seine Promotion im Völkerrecht erlangte. Wohjan macht seinen Platz wiederum für Martin Selmayr frei, der zuletzt das Amt des siebten Generalsekretärs unter dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Junker bekleidete. Er wechselt zum 1. November 2019 nach Wien. Vom 1. August bis zum 31. Oktober fungiert der Jurist noch als Sonderberater im Generalsekretariat. Sein Amt wird vertretungsweise die Lettin Ilze Juhansone übernehmen. Demgegenüber haben die Mitgliedsstaaten noch bis Ende August Zeit, Kandidaten für die Ämter der Kommissare zu benennen. Ursula von der Leyen wird aus den Vorschlägen ihre Kommission bilden. Die Kandidaten müssen sich anschließend im EU-Parlament in den jeweiligen Fachausschüssen in einer etwa dreistündigen Anhörung den Fragen der Abgeordneten stellen, bevor sie am 1. November 2019 ihr Amt antreten können.


Personelles

Behörden Spiegel / August 2019

Seite 11

Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Saarland

M/2 Ministerrat, Landtag, Bundesrat, UMK, EU-Angelegenheiten, Zuständige Behörde ELER/EGFL

Minister Reinhold Jost

M/1 Büro des Ministers ROR Timo Albrecht (Büroleitung)

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Saarland Stand: 01.08.2019

RBe Dr. Silke Kruchten

-4774

-4690 Foto: BS/ Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Saarland

RB Oliver Hoen (Persönlicher Referent)

-4717

Pressesprecherin RBe Sabine Schorr

M/3 Kommunikation und Marketing, Soziale Netzwerke

-4710

Frauenbeauftragte RBe Dorothea Manstein

-4702

RBe Friederike Hertel (Vertr.)

-4732

ABTEILUNG A Allgemeine Verwaltung RB Joachim Jacob

RB Damian Müller

Staatssekretär Roland Krämer

ABTEILUNG B Landwirtschaft, Entwicklung ländlicher Raum

ABTEILUNG C Arbeitsschutz, Verbraucherschutz, Tierschutz

-4722

Vertr.: MR Franz-Rudolf Bauer

LMR Dr. Arnold Ludes

-4166

LMR Jörg Klein

Vertr.: RB Alfred Hoffmann

-1887

Vertr.: MRin Maria-Elisabeth Berner -3172

RBe Helga May-Didion

-4800

LMR Heinrich Becker

-4788

Vertr.: MR Thomas Steinmetz

-4271

Vertr.: MR Werner Gaspard

-4106

Referat B/1 Prüfdienst ELER/EGFL RB Helmut Kohl

Referat D/1 Naturschutz, Nachhaltigkeit, Rechtsangelegenheiten der Abteilung

Referat C/1 Wirtschaftlicher Verbraucherschutz, Rechtsangelegenheiten der Abteilung

-4857

-4736

RB Stefan Brill

RD Tim Otto

RB Alfred Hoffmann

ROR Stefan Scheid

-4750

Referat D/2 Arten- und Biotopschutz, Zentrum für Biodokumentation

-1887

-4716 Referat C/2 Lebensmittelüberwachung, Tierschutz, Veterinärwesen

Referat A/3 Personal, Organisation, Rechtsangelegenheiten der Abteilung MR Franz-Rudolf Bauer

Referat B/3 Geoinformation, Landentwicklung, Rechtsangelegenheiten der Abteilung RD Daniel Rupp

Referat E/1 Abfallwirtschaft, Bodenschutz, Altlasten MR Werner Gaspard

-4106

-3081

Referat B/2 Agrarpolitik, Landwirtschaftliche Erzeugung

Referat A/2 Umwelt und Wirtschaft, Zentrale Dienste

ABTEILUNG E Technischer Umweltschutz

-3219

-4504

Referat A/1 Informationstechnologie TechB Horst Deutsch

ABTEILUNG D Naturschutz, Forsten

-4633

MR Dr. Peter Fey

RB Dr. Andreas Bettinger

Referat D/3 Landschaft, Fischerei und Umweltbildung

-4324 MR Dr. Volker Wild

MR Hilmar Naumann

-4776

-3450

-3151

-4504

Referat E/2 Wasser, Abwasser

Referat E/3 Immissionsschutz, Anlagentechnik MR Jörg Luxenburger

-3528

-4747

Referat C/3 Sozialer und medizinischer Arbeitsschutz Referat B/4 Ländlicher Raum, ELER-Verwaltungsbehörde

Referat A/4 Haushalt, Zuwendungen MR Franz-Josef Warken

-4725

Personalrat

Schwerbehindertenvertretung

RB Patrick Ginsbach -4634/-3159 (Vorsitzender) VAR Timo Seegmüller (Stellvertreter)

-4761

Referat D/4 Waldwirtschaft, Jagd

Referat C/4 Technischer Arbeits- und Verbraucherschutz, Medizinprodukte

RB Christoph Bier mdWdGb -4763

RBe Birgit Roth FAR Dirk Holz (Stellvertreter)

-4658

Referat E/4 Rechtsangelegenheiten der Abteilung

MR Dr. Hubertus Lehnhausen -4622

Referat B/5 Ernährung -1880

-3172

RRin Anne Yliniva-Hoffmann -4347 mdWdGb

Referat A/5 Zahlstelle ELER/EGFL MRin Christiane Würtz

MRin Maria-Elisabeth Berner

GOR Friedbert Theis

Hauptpersonalrat GR Christian Quirin (Vorsitzender)

-4303

RBe Birgit Roth

-4658

Referat D/5 Privat- und Kommunalwald, Forstbetriebsaufsicht

-3126

MR Thomas Steinmetz

Hauptschwerbehindertenvertretung

-4271

IT-Sicherheitsbeauftragter TechB Horst Deutsch -4736

RBe Birgit Roth

RDin Verena Voigt

-4866

Referat E/5 Gentechnik, Chemikalien, Strahlenschutz BioD Dr. Andre Johann

-3514

Umweltmanagementvertreter ROR Stefan Scheid

-4716

-4658

-4740 Michael Bressler -8500/-1182 (1. Stellvertreter)

Umweltmanagementbeauftragte RBe Anja Nikolay

Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Saarland Keplerstraße 18, 66117 Saarbrücken Telefon: 0681/501-00, Durchwahl 501-App.Nr. (bei den Namen angegeben) Telefax: 0681/501-4521 (Poststelle) und 501-4522 (Presse) E-Mail: poststelle@umwelt.saarland.de Internet: www.umwelt.saarland.de

-3195

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.


Daten & Fakten

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Behörden Spiegel / August 2019

Wieder mehr Verkehrstote (BS/Jörn Fieseler) Donnerstag, der 22. Februar 2018 war der einzige Tag im vergangenen Jahr, an dem niemand auf Deutschlands Straßen ums Leben gekommen ist. Demgegenüber war Sonntag, der 22. April 2019 der schwärzeste Tag mit 23 Opfern. Insgesamt ist die Zahl der bei Straßenunfällen Getöteten nach zwei Jahren wieder ges�egen. Besonders bei Kra�rädern mit Versicherungskennzeichen und Fahrrädern sind signifikante Steigerungen zu verzeichnen. Auch wenn die meisten Unfälle immer noch auf Landstraßen und damit eher in den Flächenstaaten geschehen, wird sich der bundesweite Trend fortsetzen. Schließlich nimmt der Anteil der E-Scooter und Pedelecs im Verkehrsalltag als Hauptverursacher und bei Opfern gleichermaßen zu.

Grafik: BS/vectorpouch, stock.adobe.com

Bei Straßenverkehrsunfällen Getötete seit 2000 7.503

8.000

6.977 6.842

7.000

Die Zahl der Verkehrstoten in der Bundesrepublik geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Während allerdings das Ziel des letzten Verkehrssicherheitsprogramms – eine Halbierung der Zahl der im Straßenverkehr tödlich Verletzten – erreicht wurde, ist eine erfolgreiche Umsetzung des derzeit noch laufenden Programms unsicher.

6.613 5.842

6.000

5.361

5.091 4.949

5.000

4.477

4.152

Verkehrssicherheitsprogramm 2001–2010 Reduktion der Verkehrstoten um 50 % von 7.503 auf 3.751 (erreicht)

4.000 3.000 2.000

2001

2000

2002

2003 2004

2005

Verkehrssicherheitsprogramm 2011–2020 Reduktion der Verkehrstoten um 40 % von 3.648 auf 2.189 (Programm läuft)

3.648 4.009

2006

2007

2008 2009

2010

2011

3.600

3.339

2012 2013

Getötete nach Bundesländern 2018 BW

277

113

BY

391

35

HE

85

132

NI

52

7.495

37

*

Krafträder mit Versicherungskennzeichen

10

99

259

1.434

60

15.442

216

25

SN 38

SH

29

TH

33

86

80

0

68

59

37.427 42.552

18.594

* **

**

Güterkraftwagen

Fahrräder

619 167

78

2017 23

53

2019 2020

8.858

8.678

Fußgänger

Opfer

1.424

20

121

77

ST

18.988

16.660

Krafträder mit amtlichen Kennzeichnen

583

NW RP

2018

2.189

23

70

24

2017

82

Personenkraftwagen

MV

2015 2016

Ziel 2020

Hauptverursacher

206.413 206.041

6.991

BB

2014

3.275

Verursacher und Opfer nach Fahrzeugen

50

145

3.377 3.459 3.214 3.180

382

174

445

483

458

2018

einschließlich S-Pedelecs und drei- und leichte/schwere vierrädige Kfz einschließlich Pedelecs

23

Fehlverhalten Fahrzeugführer

13

14

100

200

300

400

500

600

700

Alkoholeinfluss

12.873

+ 4,5%

13.447

Nicht angepasste Gewschwindigkeit

45.058

-6,5%

42.146

Abstand

50.267

+1,6%

51.086

Vorfahrt, Vorrang

52.332

+0,7%

52.709

Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Einund Anfahren

56.642

Getötete nach Stadtstaaten und dem Saarland 2018 BE

43

HB

2

6

HH

26

SL

1 2

15

16

0

4

20 innerorts

59.083

+4,3%

40 außerorts

60

Sons�ge

auf Autobahnen

Grafiken: BS/Hoffmann Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.

143.564

+4,5%

2017

150.088

2018

Quelle: BS/Verkehr im Überblick, © Statistisches Bundesamt, (Destatis) 2019


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2019

Unter Dach und Fach

KNAPP Hoher Investitionsstau

Nachhaltige Bodenpolitik durch Ausbau und Aufstockung (BS/Katarina Heidrich) Einer der Engpassfaktoren für bezahlbaren Wohnraum in Deutschland ist fehlendes bezahlbares Bauland. Bundesweit stiegen die Preise hierfür seit 2010 um 50 Prozent. Die Baulandkommission hat Handlungsempfehlungen veröffentlicht, um diesem Problem entgegenzuwirken. Doch selbst günstiges Bauland wird früher oder später knapp: Boden ist ein endliches Gut. Vor diesem Hintergrund wird in verdichteten Städten das Bauen in die Höhe die einzige Option. In Frankfurt am Main steigen nicht nur die Bevölkerungszahlen seit Jahren, sondern ähnlich rasant auch die Preise für Bauland. Laut dem Gutachterausschuss für Immobilienwerte für den Bereich der Stadt Frankfurt stiegen sie in allen Bürolagen im Jahr 2018 um zehn bis 20 Prozent. Diese Entwicklung spiegele sich auch in den Subzentren wider, wo in den Vorjahren ein stagnierendes Preisniveau festzustellen gewesen sei. In Eigenheimgebieten sei die Bodenpreise bei einfacheren Lagen um 15 Prozent, in den mittleren Lagen um 30 Prozent und in den gehobenen und sehr guten Lagen um rund 20 Prozent gestiegen. Gerade aber in den Geschosswohnungsbaugebieten – dort, wo dem Wohnungsmangel am effizientesten beizukommen sei – ließe sich eine Bodenwertsteigerung in allen Lagen um rund 40 Prozent verzeichnen, heißt es vom Gutachterausschuss. Angesichts teurer und knapper Flächen erprobt die Stadt Möglichkeiten der innerstädtischen Nachverdichtung in die Höhe und setzt auf Dachaufstockung. “Wir haben hier ein Potenzial von mehreren 1.000 Wohnungen”, erläutert der Frankfurter Stadtrat und Dezernent für Planen und Wohnen, Mike Josef (SPD). Die Vorteile sieht er vor allem darin, dass keine Flächen zusätzlich versiegelt würden, es relativ günstig sei und keine Bodenpreise anfielen. Das größte derartige Projekt läuft zurzeit in der Platensiedlung unter der Regie der ABG Frankfurt-Holding, mit 50.000 Wohnungen die größte Wohnungsbaugesellschaft in Frankfurt am Main und im Besitz der Stadt. 19 Häuser werden dort mithilfe modular gefertigter Wohnelemente um zwei Stockwerke aufgestockt, insgesamt

Unter den Dächern, wo normalerweise Staub und ungenutzte Gerätschaften verweilen, verbirgt sich ein enormes Potenzial. Foto: BS/lppicture

sollen 380 neue Wohnungen bis 2020 entstehen.

Hohe Hürden Auch in München ist das Problem drängend. Während die Bodenpreise bundesweit seit 1964 durchschnittlich um das 18-Fache gestiegen sind, gab es in der bayerischen Landeshauptstadt seit den 1950er-Jahren eine Steigerung um das 340-Fache. Bayerns Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, Hans Reichhart (CSU), kündigt an, dass im Freistaat durch eine Lockerung der Abstandsregelungen künftig engeres Bauen erlaubt sein soll. Außerdem hätten Dachgeschossaufstockungen großes Potenzial. Deshalb wolle das Land den Dachgeschossausbau genehmigungsfrei machen, so Reichhart. Deutschlandweit

könnten seiner Ansicht nach mit dieser Maßnahme eine Million Wohnungen geschaffen werden. Das größte Problem, welches das Nachverdichten in die Höhe bisher erschwert: inzwischen gibt es insgesamt über 20.000 Baunormen und jedes Land hat seine eigene Bauordnung. In ihren Empfehlungen bekräftigt auch die Baulandkommission den Vorrang der Innen- vor der Außenentwicklung als grundlegendes Prinzip der städtebaulichen Entwicklung. Dies schließe die Aktivierung von Leerständen und von Gebäudepotenzialen wie etwa den Dachgeschossausbau mit ein. Das Entschlacken von Bauvorschriften im Baugesetzbuch (BauGB) solle die Erteilung von Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans erleichtern. So könne ein Abwei-

chen vom Maß der Nutzung, beispielsweise bei der Aufstockung, ermöglicht werden.

Wichtigstes Kriterium: Kosten Da die meisten Wohngebäude sich nicht in öffentlicher Hand befinden, müsste auch ein finanzieller Anreiz für die privaten Eigentümer geschaffen werden, aufzustocken oder auszubauen. Reichhart schlägt deshalb steuerliche Abschreibungen für Dachausbauten vor. “Bauherren, die aufstocken wollen und damit neuen Wohnraum schaffen, sollen die anfallenden Kosten der Aufstockung mit zehn Prozent für zehn Jahre abschreiben können. Hierzu haben wir auch eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht”, so der Minister. Auch der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Im-

mobilienunternehmen e. V. sieht in Dachaufstockungen bestehender Gebäude ein erhebliches Potenzial. Diese könnten einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der Wohnungsnot vor allem im innerstädtischen Bereich leisten. Die vorhandene Infrastruktur und die Verkehrsflächen könnten mitgenutzt werden. Würden die Aufstockungen energetisch optimiert, verbessere das zudem die Energieeffizienz des ganzen Hauses. Um Aufstockungen, Umwandlungen und Verdichtungen in Gebieten mit erhöhtem Wohnraumbedarf zu unterstützen, sei eine gegebenenfalls temporäre, auf die Nachfrage vor Ort angepasste Förderung sinnvoll, heißt es vom Verband. Die konkreten Vorschläge sehen etwa eine Förderung von derartigen Vorhaben privater Investoren über eine der verkürzten Restnutzungsdauer Rechnung tragende erhöhte Abschreibung von vier bis fünf Prozent anstelle der steuerlichen Normalabschreibung von zwei Prozent vor. Sowie eine Förderung von Vorhaben kommunaler und genossenschaftlicher Unternehmen über eine Investitionszulage in Höhe von 15 Prozent der Herstellungskosten. Des Weiteren solle der Mietwohnungsbau auch außerhalb der Regionen mit den Mietenstufen IV bis VI gefördert werden, wenn dieser durch Aufstockung oder Umnutzung von Nichtwohngebäuden erfolgt. Auch in Förderprogrammen müssten die Möglichkeiten von Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden berücksichtigt werden, so der Verband. Um die Kommunen bei solchen Vorhaben zu unterstützen und in der Wohnungsfrage zu entlasten, sind nun Bund und Länder gefragt, die Rahmenbedingungen zu schaffen.

(BS/kh) Trotz abgeschwächter Wachstumsaussichten stehen die kommunalen Haushalte im Durchschnitt derzeit noch gut da, wie aus einer gemeinsamen Prognose der kommunalen Spitzenverbände hervorgeht. Allerdings seien die Kommunalfinanzen noch nicht aus sich heraus tragfähig. Es bestehe weiterhin ein hoher Investitionsstau. “Eine hinreichende Finanzausstattung der Kommunen war in der Vergangenheit die Ausnahme. Jetzt muss es darum gehen, dass sie zur Regel wird. Deshalb müssen Schuldenabbau und Investitionen ab sofort Vorrang haben gegenüber neuen dauerhaften Aufgaben, die Bund und Länder ohne ausreichende Finanzierung den Kommunen aufbürden”, betonen die Hauptgeschäftsführer der Spitzenverbände, Helmut Dedy (Deutscher Städtetag), Prof. Dr. Hans-Günter Henneke (Deutscher Landkreistag) und Dr. Gerd Landsberg (Deutscher Städte- und Gemeindebund). Mehr zum Thema Kommunalfinanzen auf Seite 19.

Gewerbesteuer-Streit (BS/kh) 21 nordrhein-westfälische Kommunen haben gemeinsam die “Zonser Erklärung” unterschrieben. In dieser wird eine Neugestaltung der steuer- und kommunalverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Gewerbesteuer gefordert. Die Unterzeichner wollen damit gegen den Gewerbesteuer-Wettbewerb vorgehen. Nach Monheim und Langenfeld hatte jüngst auch Leverkusen angekündigt, die Gewerbesteuerhebesätze zu senken. Wie in Monheim soll der Hebesatz dann statt derzeit 475 Punkte 250 Punkte betragen. Die Unterzeichner fordern eine Arbeitsgruppe aus Experten, Politik und kommunalen Spitzenverbänden, die einen entsprechenden Gesetzesentwurf erarbeiten soll. Im nächsten Schritt möchten sie bundesweit Kommunen für ihr Anliegen gewinnen.


Kommunalpolitik

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Wie eine zweite Haut

E

nergiesprong – zu Deutsch Energiesprung – ist ein Sanierungskonzept, das auf modularer Bauweise beruht. Die entsprechenden Häuser werden zunächst, nach der Building-Information-Modeling (BIM)-Methode, millimetergenau mittels 3D-Technik vermessen. Dann werden die Fassaden- und Dachelemente in einer Fabrikationsstätte passgenau hergestellt. Vor Ort werden die Bauteile, die Fenster und Anschlüsse für Zu- und Abluft beinhalten, nur noch wie eine Außenhaut auf der ursprünglichen Hülle des Gebäudes angebracht. Ziel ist eine warmmietenneutrale Sanierung mit “NetZero-Standard”. Das Gebäude soll also über das Jahr so viel Energie für Heizung, Warmwasser und Strom erzeugen, wie benötigt wird. In den Niederlanden wurden bisher 4.500 Häuser nach dem Energiesprong-Prinzip saniert, 100.000 weitere Wohneinheiten sind ausgewählt. In Deutschland koordiniert die Deutsche Energie-Agentur (dena) die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unterstützte Initiative. “Wir brauchen innovative Konzepte wie Energiesprong, um die Ziele der

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Energetische Sanierung vom Fließband (BS/Katarina Heidrich) Serienmäßiges Bauen – was im Neubaubereich immer mehr an Bedeutung gewinnt, lässt sich auch auf Modernisierungsmaßnahmen übertragen. Das “Energiesprong”-Konzept, das ursprünglich aus den Niederlanden stammt, wird mittlerweile in fünf weiteren Ländern angewandt. Auch in Deutschland gibt es erste Versuche. Die Hürden hierzulande sind groß, obwohl die Sanierungsquote weiter gering ist. Massenmarkt für neuartige Sanierungen etablieren, damit Gebäude im Bestand in Zukunft so viel Energie erzeugen, wie sie verbrauchen.” Von der Baugenossenschaft Oberricklingen in Hannover werden voraussichtlich ab dem Frühjahr 2020 die ersten Prototypen in Form von vier Mehrfamilienhäusern nach dem niederländischen Vorbild modernisiert.

Projekt nimmt Fahrt auf

Legt sich passgenau über die ursprüngliche Außenhülle: Was bei Körperbemalung gilt, gilt nun auch beim Sanieren. Foto: BS/tverdohlib, stock.adobe.com

Wärmewende zu erreichen”, äußert sich Dr. Alexander Renner, Referatsleiter Energiepolitische Grundsatzfragen im Gebäudesektor im BMWi. Der Vorsitzende

der dena-Geschäftsführung, Andreas Kuhlmann, pflichtet dem bei: “Energiesprong ist enorm wichtig und inspirierend für die dena – wir wollen damit einen

Obwohl sie eine der kleineren Wohnungsbaugenossenschaften Hannovers ist, nimmt sie damit eine Vorreiterrolle ein. “Der erste, der damit anfängt, hat die Kinderkrankheiten, aber wir müssen auch die Zukunft gestalten”, erklärt Ewald Ernst, Vorsitzender der Baugenossenschaft, den Schritt. Die Vorteile hätten ihn überzeugt. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Sanierungs-

zeiten biete das Konzept eine kurze Bauzeit und somit auch eine relativ geringe Belastung der Mieter. Zur Verdeutlichung: Die Sanierung von zwei Mehrfamilienhäusern im selben Quartier vor einigen Jahren habe 14 Monate gedauert, die Sanierung nach dem neuen Prinzip soll in wenigen Wochen abgeschlossen sein. Beim hohen Planungsaufwand werde er gut von der dena unterstützt, so Ernst. Der ökologische Wert dieses Ansatzes stehe im Vordergrund. “Das Haus erzeugt über das ganze Jahr so viel Energie wie verbraucht wird”, erläutert der Bauunternehmer den klimaneutralen Null-Energiestandard. Statt mit Erdgas soll die Energie für Warmwasser, Heizung und Strom künftig mit einer Wärmepumpe und einer Photovoltaikanlage erzeugt werden. Zudem sollen nur nachhaltige Stoffe, etwa Holzfaser, für die Fassade verwendet werden. Die CO2-Einsparung soll pro Jahr 91,2 Tonnen betragen.

Seriell gleich eintönig? Vereinzelt werden seitens der Architektur, des Handwerks oder auch der Bauindustrie Bedenken laut, was die Ästhetik serienmäßiger Bauweisen angeht. Christian Müller, Teamleiter Energieeffiziente Gebäude bei der dena, entkräftet dies aber mit dem Hinweis auf die potenziellen Prototypen. In Deutschland böten sich vor allem rund 500.000 Gebäude aus den 50er-, 60er- und 70erJahren für die serielle Sanierung an. An diesen befänden sich einfache, glatte Fassaden und simple Dachkonstruktionen, sodass die Sanierung auch optisch zu einer deutlichen Aufwertung führe beziehungsweise das sowieso standardisierte Bild bei diesen Häuserzeilen einfach weitertrage. “Es geht nicht um das besondere Haus etwa aus der Gründerzeit”, betont Müller. Natürlich würden auch weiterhin individuelle Häuser gebaut werden, aber beim Energiesprong-Prinzip ginge es eben um ein ganz bestimmtes Marktsegment. Allerdings müsse auch dieser Ansatz eine Lösung sein, die Design mitdenke, so Müller. Blickt man in die Niederlande, wird klar, dass die neuen Hüllen nach den ästhetischen Vorgaben der Architekten gestaltet werden können. Allein das Wohnungsunternehmen Royal BAM Group hat schon über 4.000 verschiedene Fassaden- und Dachelemente verbaut.

Wer soll das zahlen? Die kleine Baugenossenschaft Oberricklingen ist auf Fördergelder angewiesen, um die veranschlagten 2,5 Millionen Euro für das Pilotprojekt stemmen zu können. Da nach der Sanierung ein Effizienzhausstandard von 55

erreicht wird, unterstützt die KfW das Vorhaben. Auf europäischer Ebene gibt es eine Förderung aus dem Interreg-NordwesteuropaProgramm “Mustbe0”. Regional von der Leuchtturmrichtlinie und vor Ort durch Pro Klima Hannover. Ernst ist sich sicher, dass die Kosten langfristig sinken werden. Es müssten sich nur mehr Wohnungsunternehmen für den Ansatz entscheiden und Baufirmen auf die serielle Sanierung setzen. Die dena rechnet vor, dass die Kosten für eine Standardsanierung bei 600 bis 700 Euro pro Quadratmeter liegen. Bei den Prototypen seien das hingegen 1.200 bis 1.350 Euro. Kurzfristig gesehen eine hohe Investition, die sich aber langfristig rechne. “Der serielle Ansatz wird nach unseren Berechnungen wirtschaftlicher sein, da er einen höheren Effizienzstandard und mehr Qualität bietet als eine konventionelle Sanierung”, erklärt Nils Bormann, Projektmitarbeiter für energieeffiziente Gebäude bei der dena. Auch er ist überzeugt, dass, je mehr Hersteller die vorgefertigten Komponenten anböten, desto geringer die Sanierungskosten für das Energiesprong-Prinzip insgesamt würden. In den Niederlanden sind diese von 100.000 Euro auf derzeit 65.000 bis 70.000 Euro gesunken. Dr. Ralph Henger, Senior Economist für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), fordert eine steuerliche Förderung für die Gebäudesanierung insgesamt. Vermieter könnten die Kosten der Maßnahmen umlegen. Aber: “Für selbstnutzende Eigenheimbesitzer, die über ausreichend Eigenkapital zur Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen verfügen, kann eine steuerliche Förderung einen erheblichen Investitionsanreiz bieten. Das Motiv, Steuern zu sparen dürfte für viele Eigentümer attraktiver sein als über aufwändige Anträge Sanierungsmaßnahmen bezuschussen zu lassen”, betont Henger. Bei einem Anstieg von Modernisierungen werde die Beschäftigung im Handwerk und der regionalen Bauwirtschaft gestärkt. Dies führe zu Mehreinnahmen etwa in der Umsatzund der Gewerbesteuer sowie der Einkommenssteuer. Zudem könne ein Innovationsschub in der Weiterentwicklung der Gebäudeeffizienz die Wertschöpfung in den Regionen erhöhen. Deutschland hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2030 sollen rund zwei Drittel der CO2Emissionen im Gebäudebereich eingespart werden, bis 2050 soll der Gebäudebestand sogar komplett klimafrei werden. Bisher liegt die Sanierungsquote allerdings weiterhin unter einem Prozent. Rund 62 Prozent des Wohngebäudebestands in Deutschland – circa 19 Millionen Wohngebäude – stammen laut dena aus der Zeit vor 1978 und sind weitgehend noch nicht saniert. Vor diesem Hintergrund sind Überlegungen zu neuartigen Sanierungskonzepten sowie Finanzierungsarten unausweichlich. Beschleunigte Sanierungen bedeuten eine beschleunigte Wärmewende.

MELDUNG

6,2 Millionen Euro für kommunale Bäder (BS/)Der Freistaat Bayern unterstützt die Kommunen in Niederbayern bei der Sanierung maroder Schwimmbäder in den Jahren 2019 und 2020 mit insgesamt 6,2 Millionen Euro. Ziel ist der Erhalt kommunaler Bäder als Voraussetzung für den Erwerb der Schwimmfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Saunaund Gastronomiebereiche sowie reine Sprung- und Wellenbecken sind daher nicht förderfähig. “Die Kommunen werden dabei unterstützt, die so wichtige Einrich-

tung Schwimmbad zu erhalten. Denn bei einem Schwimmbad geht es nicht nur um Spaß, sondern auch um das Angebot von Schwimmkursen”, betont Niederbayerns Regierungspräsident Rainer Haselbeck. Die Hilfeleistung ist Teil des Sonderprogramms Schwimmbadförderung, für das die Landesregierung den bayerischen Kommunen insgesamt 120 Millionen Euro, verteilt auf sechs Jahre, zur Verfügung stellt. Ein Beitrag zur Stärkung kommunaler Infrastruktur.


Kommunalpolitik

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Bund bietet zahlreiche Unterstützungen an Anpassung an die Folgen des Klimawandels betrifft alle Kommunen

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MELDUNGEN

Kommunen prüfen “Holländische Lösung” (BS/wim) Nachdem im Laufe der

(BS/Andreas Vetter*) Der Klimawandel und dessen offensichtliche Folgen sind nicht mehr zu ignorieren: Acht der neun wärmsten Jahre seit Beginn vergangenen Hitzewelle Berichte der Wetteraufzeichnungen in Deutschland fallen in dieses Jahrhundert. Kein Jahr war wärmer als 2018. Das Monitoring zur Deutschen Anpassungs- über die niederländische Praxis strategie zeigt für die Hitzewelle 2003 7.500 zusätzliche Todesfälle auf. die Runde machten, kommunaDer Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erfasste 2016 für zwei großräumige Starkregenereignisse Schäden an Gebäuden, Gewerbe und Hausrat von rund einer Milliarde Euro. In Nordrhein-Westfalen wird das Schadenspotenzial durch Starkregen an Wohngebäuden auf rund 13 Milliarden Euro geschätzt. Die Vulnerabilitätsanalyse des Bundes von 2015 zeigt weitere Risiken auf, wie den ansteigenden Meeresspiegel oder Änderungen in der Biodiversität. Es gilt, sich damit auseinanderzusetzen.

Eigenvorsorge stärken Zur besseren Vorsorge gegen Starkregen beginnen Kommunen am besten mit planerischen Grundlagen. So zeigen Starkregenrisikokarten auf, welche Schäden im Ereignisfall auftreten können und wo Handlungsbedarf besteht. Sie sind damit zusätzlich ein wichtiges Kommunikationsmedium. Auch die Anpassung an zunehmende Hitzeperioden ist ein noch wenig bearbeitetes Feld in vielen Kommunen. Praktische Hinweise liefern die von Bund und Ländern erarbeiteten Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen. Grün-blaue Infrastrukturen bieten, dem Konzept der “Schwammstadt” folgend, integrierte Lösungswege sowohl für den Umgang mit Überflutungen als auch mit städtischen Hitzeinseln. Kommunen sollten weitere verantwortliche städtische Akteure einbinden und die Eigenvorsorge betroffener Bürgerinnen und

pen Ressourcen als das stärkste Hemmnis, Klimawandelanpassung umzusetzen. Weitere Barrieren sind fehlende Erfahrungen oder unzureichend verfügbare Datengrundlagen. Zudem bremst eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung, in der Lokalpolitik oder in der Verwaltung die Umsetzung von kommunalen Aktivitäten aus.

Klimavorsorgeportal entwickelt Von kommunalen Verantwortlichen wurden mehrere Tätigkeitsfelder der Klimaanpassung genannt. Dabei waren Mehrfachnennungen möglich. Grafik: BS/UBA

Bürger stärken. Wichtig ist dabei, zum einen das Risikobewusstsein der Beteiligten aufzubauen und ihnen zum anderen zu vermitteln, was konkret zur Vorsorge gegen diese Risiken getan werden kann.

“UBA-Tatenbank” enthält zahlreiche Beispiele Immer mehr Kommunen engagieren sich in der Klimawandelanpassung. Viele Beispiele sind in der UBA-Tatenbank enthalten. Sie werden vor allem dann aktiv, wenn sie selbst von extremen Wetterereignissen betroffen waren. Das sind Ergebnisse der Studie “Wirkung der Deutschen Anpassungsstrategie (DAS) für die Kommunen”, für die 250 Kommunen in Deutschland befragt wurden. 40 Prozent der Kommunen haben die Erarbeitung von Anpassungskonzepten politisch beschlossen. 46 Prozent haben eine verwaltungsinterne Bestandsaufnahme zu Klimarisiken durchgeführt oder arbeiten daran. Die Mehrheit der Kom-

munen plant oder setzt bereits Gegenmaßnahmen um. Kommunen nehmen wahr, dass eine freiwillige Umsetzung der Klimawandelanpassung deutlich langsamer vorankommt als eine verpflichtende. 74 Prozent der befragten Kommunen geben an, sie sähen Klärungsbedarf, ob die Klimawandelanpassung zu den kommunalen Pflichtaufgaben gehört und wie eine angemessene Finanzierung der anfallenden Aufgaben zu lösen sei.

Ressourcenknappheit als Hemmnis Auch wenn viele Kommunen bereits aktiv sind: Zumindest für ein Drittel der befragten Kommunen spielt Klimawandelanpassung noch gar keine Rolle. Ein Drittel der befragten Kommunen hat keine Personalkapazitäten für diese Aufgabe zur Verfügung. Nur wenige haben mehr als eine Vollzeitstelle für dieses Thema ausgewiesen. Dementsprechend sehen die Kommunen ihre knap-

Wer zahlt? Regelungen zu Straßenausbaubeiträgen in NRW (BS/kh) In vielen Kommunen wird diskutiert, ob Straßenausbaubeiträge erhoben werden sollten oder nicht. Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich zur Abschaffung entschlossen. In Nordrhein-Westfalen sollen sie nun neu regelt werden. Das hat Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen. Die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW hat beschlossen, die Anliegerkosten beizubehalten. Allerdings sollen sie künftig halbiert werden, um somit Anlieger zu entlasten. So soll die bisherige Beteiligung von 80 Prozent auf maximal 40 Prozent reduziert werden. Da dies Einnahmeausfälle für die Kommunen bedeutet, soll ein neues Förderprogramm aufgelegt werden. Dieses beinhaltet eine jährliche Bereitstellung von 65 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zum Ausgleich. Auch sollen die bisherigen Anliegerbeiträge neu gestaffelt werden. Da dieses Verfahren die kommunale Selbstverwaltung betrifft, steht es den Kommunen frei, sich zu beteiligen. Verfahren sie weiter wie bisher, erhalten sie allerdings keine Landesförderung. Im Vorfeld der Entscheidung gab es seitens des Bundes der Steuerzahler NRW massive Kritik gegen die Beiträge. “Wir for-

NRW will Anlieger bei den Straßenausbaubeiträgen entlasten und selbst zahlen. Foto: BS/zwiebackesser, stock.adobe.com

dern, Grundstückseigentümer in Nordrhein-Westfalen von den Beiträgen für den Straßenausbau zu befreien”, erklärt der Landesvorsitzende des SteuerzahlerBundes, Heinz Wirz. Er kritisiert, dass die Beiträge von Kommune zu Kommune variieren, sie keine Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Grundstückseigentümer nähmen und dass die Kommunen “ihre Straßen häufig erst dann aufwendig erneuern,

Verteilung der Anliegerbeiträge in NRW (BS/kh) Die Anliegerbeiträge richten sich je nach Straßentyp. Es wird zwischen vier Typen unterschieden: ∙ Anliegerstraßen: Anlieger zahlen 40 Prozent, die Kommune 20 Prozent. ∙ Haupterschließungsstraßen: Anlieger zahlen 30 Prozent, die Kommune 40 Prozent. ∙ Hauptverkehrsstraßen: Fahrbahn und Radwege: Anlieger zahlen zehn Prozent, die Kommune 60 Prozent; Maßnahmen für den ruhenden Verkehr: Anlieger zahlen 40 Prozent, die Kommune 20 Prozent. ∙ Hauptgeschäftsstraßen: Fahrbahn und Radwege: Anlieger zahlen 35 Prozent, die Kommune 30 Prozent; Maßnahmen für den ruhenden Verkehr: Anlieger zahlen 40 Prozent, die Kommune 20 Prozent.

wenn die notwendigen Maßnahmen beitragsfähig werden”. Die Landesregierung will dennoch die Straßenausbaubeiträge nicht komplett abschaffen, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Es sei fraglich, ob NRW den Kommunen jährlich 130 Millionen Euro Ausfall ersetzen könne. Zudem gehörten die Beiträge zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen. Deshalb der Kompromiss, der vom Städte- und Gemeindebund NRW begrüßt wird. Allerdings fordert der kommunale Spitzenverband eine gesicherte Finanzierung. “Die Idee, die Beiträge im Höchstsatz zu halbieren, um soziale Härten zu vermeiden, ist nachvollziehbar, aber wirft die Frage auf, wie verlässlich die Kompensation durch Landesmittel erfolgt”, gibt Hauptgeschäftsführer, Bernd Schneider, zu bedenken. Auch sei fraglich, ob die zugesagten 65 Millionen Euro an Kompensation ausreichten, denn “alle Kommunen werden sich verpflichtet sehen, die Förderung in Anspruch zu nehmen”.

Gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) hat das Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung (KomPass) im Umweltbundesamt (UBA) das Klimavorsorgeportal KLIVO.DE als Wegweiser zu Klimainformationsangeboten entwickelt. Hier finden Kommunen qualitätsgeprüftes, unterstützendes Material. Weitere eigene Informationsdienste des UBA wie der Klimalotse und die Tatenbank unterstützen Kommunen bei der Erstellung von Anpassungskonzepten und zeigen Beispiele für erfolgreich umgesetzte Maßnahmen. Das Bundesumweltministerium (BMU) fördert kommunale Leuchtturmvorhaben mit dem Programm “Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels”. Anträge für die nächste Förderperiode können Kommunen noch bis 31. Oktober 2019 beim Projektträger Zukunft-Umwelt-Gesellschaft (ZUG) gGmbH stellen. *Andreas Vetter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Klimafolgen und Anpassung (KomPass) im Umweltbundesamt (UBA).

le Straßen mithilfe von Streusalz gegen übermäßige Hitze zu schützen, wird diese Idee nun auch in deutschen Kommunen diskutiert. Im nordrhein-westfälischen Recklinghausen wird derzeit beispielsweise geprüft, ob die Benetzung der Straßen mit einer Salzwassersole einerseits den gewünschten Kühlungseffekt erzielen kann, andererseits will man aber auch herausfinden, ob das Salz einen möglichen negativen Effekt auf die Umwelt hat. In Mainz geht man diesbezüglich auf Nummer sicher und hat die Idee aus Gründen des Umweltschutzes direkt wieder verworfen. Ein Sprecher des Landesbetriebes Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Straßen. NRW) erklärte gegenüber dem

Behörden Spiegel, dass das Problem in den Niederlanden klar auf die Kommunen begrenzt sei, da die niederländischen Kommunalstraßen einen sehr hohen Betonanteil aufwiesen. Nach Gesprächen mit der niederländischen Infrastrukturbehörde “Rijkswaterstaat”, die für die dortigen Autobahnen zuständig ist, sieht man daher auch auf den hiesigen Schnellverkehrsstraßen keinen Bedarf für Tests mit Salzwasser, obwohl es gerade dort verhältnismäßig häufig zu Hitzeschäden kommt. Die Kommunen hingegen wollen bei der Vorbereitung auf zukünftige Hitzewellen alle Möglichkeiten zumindest in der Theorie geprüft haben. Medienberichte, laut denen in Bonn und Recklinghausen schon Salzwasser verspritzt werde, wurden von den entsprechenden Stellen jedoch als unzutreffend zurückgewiesen.

Nachhaltigkeitspreis sucht Teilnehmer (BS/ah) Jährlich wird der deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen. Für die Umsetzung der Agenda 2030 und die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung können sich ab sofort deutsche Kommunen bewerben, die in diesem Zusammenhang mit Partnerkommunen aus dem globalen Süden zusammenarbeiten. Der deutsche Nachhaltigkeitspreis ist eine jährliche Auszeichnung für herausragende Leistungen im Bereich Nachhaltigkeit in Wirtschaft, Kommunen und Forschung. Die Verleihung findet in Zusammenarbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Service-

stelle Kommunen in der Einen Welt (SKWE) statt. Überreicht wird der Preis am 22. November 2019 in Düsseldorf. “Wir möchten auch in diesem Jahr Akteure motivieren, die Transformation zu nachhaltigerem Leben und Wirtschaften im Sinne der Agenda 2030 zu fördern”, ruft SKEW-Bereichsleiter Dr. Stefan Wilhelmy zur Teilnahme auf. Damit sollen alle Kommunen angesprochen werden, die gemeinsam einen Mehrwert generieren und die Umsetzung der Ziele in beiden Ländern oder Regionen fördern. Einsendeschluss der Bewerbungen per Online-Fragebogen über www.nachhaltigkeitspreis. de ist der 16. August 2019.


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Personelles

Behรถrden Spiegel / August 2019


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Fo to :

Geniestreich bleibt aus

BS/ Stadt Warstein

Verbände reagieren enttäuscht

Vier Fragen – vier Antworten mit Dr. Thomas Schöne, Bürgermeister Stadt Warstein

Der Verkehrswende den Boden bereiten Warstein kooperiert breitflächig für die E-Mobilität (BS) Nach einigen Anfangsschwierigkeiten ist die Verkehrswende inzwischen auch in Deutschland angekommen. Nachdem die meisten Leuchtturmprojekte anfangs in den Großstädten entstanden, holt inzwischen auch der ländliche Raum auf. So auch in der Stadt Warstein, wo der Wandel von allerhöchster Stelle angetrieben wird. Bürgermeister Dr. Thomas Schöne erklärt im Behörden Spiegel-Interview, wie er die Verkehrswende in seiner Stadt vorantreibt. Die Fragen stellte Wim Orth. Behörden Spiegel: Herr Dr. Schöne, die Stadt Warstein engagiert sich aktiv für die Verkehrswende – was sind dabei Ihre größten Projekte? Dr. Schöne: Das größte Projekt in unserer Stadt, das wir in bes­ ter Kooperation mit zahlreichen privaten Partnern aus der heimi­ schen Wirtschaft angehen, ist die Elektromobilität. Hier haben wir uns in der Henne-Ei-Diskussion zwischen Ladepunkte-Ausbau einerseits und E-Flotten-Aus­ bau anderseits bewusst für die Ladeinfrastruktur entschieden. Allein durch private Investitio­ nen ist es uns in diesem Bereich gelungen, deutschlandweit die größte Ladepunktedichte pro Kopf zu erzielen. Das gelingt al­ so mit einem guten Miteinander auch in einer nordrhein-west­ fälischen Mittelstadt von nicht einmal 25.000 Einwohnern (IT. NRW), die sich zudem in der Haushaltssicherung befindet. Behörden Spiegel: Welche Unterschiede spüren Sie bei der Arbeit für die Elektromobilität im ländlichen Raum verglichen mit den sonst meist genannten Großstädten, vor allem auch im Hinblick auf die unterschiedliche Infrastruktur? Dr. Schöne: Im ländlichen Raum haben wir einerseits den Vorteil, dass wir in der Regel

keine nennenswerten Probleme mit der Beschaffung von E-Fahr­ zeug-Parkraum haben, der in Großstädten naturgemäß sehr begrenzt ist; auch haben wir aus­ reichend Raum zum Aufbau von Ladesäulen und zum Ausbau von Erneuerbaren Energien, wie bei­ spielsweise großen Solarfeldern, ohne die die Elektromobilisierung langfristig keinen Sinn macht. Andererseits wird im ländli­ chen Raum, in dem häufig ver­ hältnismäßig große Strecken, beispiels­weise zum Arbeitsplatz, überwunden werden müssen, die Elektromobilität von einem Teil der Bürgerschaft noch sehr nach­ teilig oder zumindest zurück­ haltend gesehen. Behörden Spiegel: Die größten Herausforderungen bei der Transformation des Verkehrs sehen Sie also u. a. auch in den Köpfen der Menschen? Dr. Schöne: Die allgemeine Dis­ kussion zur Elektromobilisierung verläuft meiner Einschätzung nach unglücklich. Einerseits geht es nicht darum, von heute auf morgen den gesamten Verkehr und alle Teilnehmer auf ein neues System umzustellen, denn dies wäre auch technisch von der Netzkapazität her gar nicht mög­ lich. Auch in der Luftreinhalteund Dieseldiskussion werden da meines Erachtens vermeidbare Kommunikationsfehler begangen.

Zum anderen soll auch keinerlei Zwang auf die Bürgerschaft aus­ geübt werden. Stattdessen sollte die Elektromobilität weiterhin ein freiwilliges Angebot im Mobilitäts­ mix sowohl des ländlichen Rau­ mes als auch der Ballungsräume sein und bleiben. Abschließend müssen wir die klare Fakten­ lage zwischen der Verbrennerund der E-Auto-Flotte in einem Gesamtvergleich darstellen und sicherlich hier und da, vor allem bei der Rohstoffgewinnung für die Batterien, besser werden. Dann erreichen wir die Köpfe – und auch die Herzen – der Menschen. Behörden Spiegel: Wie arbeiten Sie im Rahmen von Kooperationen mit anderen Kommunen und Behörden zusammen? Dr. Schöne: Wir kooperieren erfolgreich z. B. mit dem Kreis Soest und allen kreisangehörigen Kommunen. So wurde erst jüngst von der Hochschule Hamm-Lipp­ stadt, beauftragt durch den Kreis Soest, eine Elektromobilitäts­ studie für sämtliche 14 kreis­ angehörigen Kommunen erstellt, die neue Erkenntnisse zur Elek­ tromobilisierung im gesamten Kreisgebiet und zur Findung von passenden Ladepunkt-Standor­ ten mit sich brachte. Das war interkommunale Zusammenar­ beit “at its best”. Die Landkreise sollten sich nun untereinander besser vernetzen.

Männerwelt Chefetagen Kooperationsstudie zeigt: wenige Frauen in kommunalen Managementpositionen (BS / Edmund Mastiaux) Frauen besetzen nur 19,3 Prozent und damit jede siebte Stelle im Top-Management von öffentlichen Unternehmen auf kommunaler Ebene. Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist zwar ein Anstieg von Frauen in Top-Management-Positionen öffentlicher Unternehmen um 1,3 Prozentpunkte festzustellen, ­jedoch mit großen Unterschieden bei den Entwicklungen im deutschlandweiten Städtevergleich. Dies geht aus der Studie “Repräsentation von Frauen im Top-Management öffentlicher Unternehmen: ein deutschlandweiter Städtevergleich” der Zeppelin Universität (ZU) in Kooperation mit der Personalberatung zfm hervor. Die Studie analysiert aktuelle Daten zu leitenden Organen wie Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichts- und Verwaltungsrä­ ten von 69 Städten und 1.463 öffentlichen Unternehmen. Insge­ samt wurden im Jahresvergleich 24 durch Männer besetzte Füh­ rungspositionen durch Frauen neu besetzt. 13 zuvor weiblich besetzte Positionen wurden hin­ gegen neu durch Männer besetzt. Dabei gibt es genügend Kandi­ datinnen auf dem Markt, die die erforderlichen Erfahrungen und Qualifikationen mitbringen. Des­ halb sind allerorts die Aufsichts­ gremien gefragt.

Vier neue Frauen in Berliner Unternehmen Die Studie zeigt, dass einige Städte mit einer bereits ver­ gleichsweisen hohen Repräsen­ tation den Anteil von Frauen in Top-Management-Positionen gezielt weiterentwickeln. In der Spitzengruppe der Städte mit über 35 Prozent an weiblich be­ setzten Positionen führen un­ verändert Offenbach am Main (54,5 Prozent) und Greifswald (40 Prozent) das Feld an. Neu in der Spitzengruppe sind neben Berlin die Städte Brandenburg a. d. Havel (36,8 Prozent) und Rostock

schaftlichen Vor­ bildfunktion und ihren Einfluss­ möglichkeiten als Edmund Mastiaux ist Geschäftsführer und Inhaber Eigentümerin nur der Personalberatung zfm. bedingt nach, so das Fazit des Stu­ Foto: BS / zfm dienleiters Prof. Dr. Ulf Papenfuß, Inhaber des Lehr­ (36,1 Prozent). Dabei verzeichnet stuhls für Public Management Berlin mit vier neuen weiblichen und Public Policy an der ZU. Mitgliedern in Geschäftsführung oder Vorständen einen besonders Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern top hohen Anstieg. Auf Länderebene ist im Bun­ Ludwigshafen: von zehn auf desvergleich der Anteil von null Prozent Frauen in kommunalen TopIm Gegenzug ist bei Städten, Management-Positionen in die bereits im Vorjahr eine ver­ Niedersachsen (11,7 Prozent), gleichsweise geringe Repräsen­ Rheinland-Pfalz (9,3 Prozent) tation vorzuweisen hatten, eine und Schleswig-Holstein (8,1 Stagnation oder teilweise sogar Prozent) deutlich niedriger als eine vergleichsweise rückläufige beispielsweise in Brandenburg Anzahl an weiblichen Top-Füh­ (26,1 Prozent) oder Mecklen­ rungspositionen festzustellen. burg-Vorpommern (25,4 Pro­ Bei den Städten Braunschweig, zent). In der Branchenbetrach­ Essen, Flensburg, Kaiserslau­ tung zeigt sich, dass die Bereiche tern, Ludwigshafen und Neu­ “Stadtwerke” (7,8 Prozent) und münster liegt die Repräsentation “Abfall-/Entsorgungswirtschaft” weiterhin unter fünf Prozent. Den (8,8 Prozent) weiterhin geringe stärksten Rückgang verzeichnet Werte aufweisen. In den Bran­ Ludwigshafen mit vormals zehn chen “Krankenhäuser” (28,3 Prozent) und “Gesundheit und auf aktuell null Prozent. Viele kommunale Unterneh­ Soziales” (31,3 Prozent) sind men kommen somit ihrer gesell­ Frauen häufiger repräsentiert.

(BS / ab / pet) In Deutschland lebt es sich ungleich, das zeigen nicht nur mentale Befindlichkeiten, die sich in Wahlergebnissen ausdrücken, sondern auch ganz alltägliche, greifbare Dinge: eine schlechte Internetversorgung zum Beispiel. Auf politischer Ebene hat die “Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse” in sechs Facharbeitsgruppen zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen Vorschläge erarbeitet, wie das Gefälle abzutragen sei. Darauf aufbauend hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket entwickelt, das nun vorgelegt wurde. Erste Reaktionen aufseiten der Verbände bleiben jedoch verhalten. “Wir wollen den Menschen die Chance geben, in all jenen Regi­ onen zu leben, wo sie auch leben wollen”, betonte Bundesinnenmi­ nister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung der Maßnahmen zur Umsetzung der Ergebnisse der Kommission “Gleichwertige Lebensverhältnisse”. In vielerlei Hinsicht fände ein Paradigmenwechsel statt, der sich, wie Seehofer zugestand, inzwischen auch in der Politik bemerkbar mache: “Heute steht die Politik nicht vor Ihnen und versichert, dass alles gut ist. Wir haben erkannt, dass wir stellen­ weise erhebliche regionale Dis­ paritäten bei den gleichwertigen Lebensverhältnissen haben.” Hinzu komme, dass die Grund­ entscheidung nach Bedarf zu fördern und nicht nach Ost oder West, ebenso eine neue Weiche in der Politik sei. “Das Schaffen gleichwerti­ ger Lebensverhältnisse ist eine Daueraufgabe. Durch die Kom­ missionsarbeit wird es struktu­ riert werden. Es ist ebenso eine Stärkung der Demokratie und des Zusammenhalts in unse­ rem Land”, so Bundeslandwirt­ schaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) betonte vor allem: “Wir gehen mit einer Grundhaltung hinein, wenn die, die Stärker sind, sich zum einen um die Schwächeren kümmern und zum anderen sich eingeste­ hen und akzeptieren: Wenn ich Gleichwertigkeit haben möchte, kann trotzdem nicht jeder glei­ chermaßen dazugeben. Man muss solidarisch mit jenen sein, die weniger haben und ihnen helfen.” Stärkung der Solidarität und des demokratischen Zusammenhalts sind die Leitmotive für die politi­ sche Agenda. Herausgekommen ist ein Zwölf-Punkte-Plan des Bun­ des, der das auf unterschiedlichen Ebenen anzustoßen versucht.

Zwölf-Punkte-Plan 1. Mit einem neuen gesamtdeut­ schen Fördersystem sollen strukturschwache Regionen gezielt gefördert werden: Regional beschränkte För­ derprogramme sind auf alle strukturschwachen Regionen in Ost und West, in Stadt und Land auszuweiten. 2. Arbeitsplätze in struktur­ schwache Regionen bringen: Neue Bundesbehörden oder Ausgründungen sollen in den vom Strukturwandel betrof­ fenen Regionen angesiedelt werden. 3. Breitband und Mobilfunk flächendeckend ausbauen: Der Glasfaserausbau in den Regionen wird gefördert, wenn privatwirtschaftliche Unternehmen dort keine In­ vestitionen tätigen. 4. Mobilität und Verkehrsinfra­ struktur in der Fläche ver­ bessern: Der Bund erhöht seine Investitionen für ein at­ traktives Mobilitätsangebot. Unter anderem wurde hierfür Artikel 125 c des Grundge­ setzes geändert, wodurch die Investitionshilfen bereits ab 2020 bei einer Milliarde Euro liegen anstatt, wie ursprüng­ lich geplant, erst 2025. 5. Dörfer und ländliche Raume stärken: Unter anderem soll die Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserte Agrarstruktur und Küstenschutz” (GAK) verändert werden, damit die­ se Mittel auch für den länd­ lichen Raum genutzt werden können. Etwa um Ortskerne wiederzubeleben.

Präsentierten Maßnahmen für gleichwertige Lebensverhältnisse: Die Ministerinnen Franziska Giffey (l.) (SPD) und Julia Klöckner (CDU) mit Minister Horst Seehofer (CSU). Foto: BS / Bednarski

6. Städtebauförderung und sozi­ alen Wohnungsbau voranbrin­ gen: Der Bund will über das Jahr 2021 hinaus den sozialen Wohnungsbau fördern. 7. Eine faire Lösung für kom­ munale Altschulden: Keine Übernahme der Altschulden von Kommunen. Es wird eine faire Lösung in Kooperation mit den Ländern, die für die aufgabenadäquate Finanz­ ausstattung zuständig sind, und den Kommunen gesucht. 8. Engagement und Ehrenamt stärken: Die Bundesregierung will eine “Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt” gründen. Hintergrund: Die EU-Datenschutzgrundverord­ nung habe nicht dazu beige­ tragen, einen Vereinsvorsitz zu übernehmen. Auch die Finan­ zierung stelle Vereinsspitzen vor Herausforderungen. Hier soll die Stiftung entlasten. 9. Qualität und Teilhabe in der Kindertagesbetreuung sichern: Der Bund möchte sich hier über das Jahr 2022 hinaus engagieren. 10. Barrierefreiheit in der Fläche verwirklichen: Ein Bundes­ programm für mehr Barriere­ freiheit soll aufgesetzt werden. 11. Miteinander der Bürger in den Kommunen fördern: Der Bund möchte durch gute Rahmenbedingungen unterstützen. 12. “Gleichwertige Lebensver­ hältnisse” als Richtschnur setzen: Bei allen Gesetzesvor­ haben soll geprüft werden, welche Auswirkungen sie auf die Förderung und Wahrung der Lebensverhältnisse in Deutschland haben.

Unterschiedliche Wünsche Die Verbände stimmen in der Sache mit der Bundesregierung überein, im Detail scheiden sich aber die Geister. So sieht DLT-Präsident Reinhard Sager

dringenden Nachholbedarf bei der Verteilung der kommuna­ len Umsatzsteuererträge: “Der Königsweg besteht darin, den Kommunen mehr Mittel über die Umsatzsteuer – und zwar nach der Zahl der Einwohner statt wie bisher der Wirtschaftskraft – zukommen zu lassen.” Allein so ließe sich der Teufelskreis durchbrechen, dass ökonomisch ohnehin strukturstarke Regionen größere Zuwendungen erhielten, wohingegen wirtschaftlich schwa­ che, aber bevölkerungsreichere Ballungsräume weiter verarmten.

Hoffnungsschimmer und Praxisnähe Einen “Hoffnungsschimmer” meint Burkhard Jung immerhin beim Thema der kommunalen Altschulden zu erkennen. Die Altschulden seien nicht zuletzt deshalb so erdrückend, da sie den betroffenen Kommunen jed­ weden Handlungsspielraum näh­ men, die Interessen der eigenen Bürger gebührend zu vertreten. “Deshalb ist es gut, wenn sich der Bund prinzipiell bereit erklärt, an einer Lösung dieses Problems finanziell mitzuwirken”, so der DST-Präsident. Demgegenüber setzt der VKU auf ein größtmögliches Maß an Praxisnähe. Hauptgeschäftsfüh­ rerin Katherina Reiche fordert mehr Freiräume zur individuel­ len Erprobung. Vorbild seien die Kommunen selbst: “Dabei gibt es in vielen Städten und Gemeinden bereits pragmatische Ansätze, um das Leben vor Ort spürbar besser zu machen – mit Freiräu­ men, Kooperation, Digitalisierung und viel Engagement.” Bei diesem Stimmenkonzert dürfte es für den Bund wohl äußerst schwer werden, einen Kurs zu steuern, der alle Parteien beschwichtigt. In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Es muss gehandelt werden – und zwar sofort!


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / August 2019

Mitmachen lohnt sich

S

eit 1997 entwickelt das IPSASB Rechnungslegungsstandards für den öffentlichen Sektor, d. h. für Gebietskörperschaften und andere öffentliche (internationale) Organisationen. Aktuell stehen 37 Standards für ein doppisches Rechnungswesen zur Verfügung, die alle wichtigen Bereiche der öffentlichen Rechnungslegung umfassen. Die Standards werden nach einem bestimmten Prozess erarbeitet, der eine breite Beteiligung der Anwender, Adressaten und Experten sicherstellt. Damit soll eine hohe Qualität und Akzeptanz erreicht werden. Derzeit verwenden 37 Länder die IPSAS entweder direkt oder haben nationale Standards, die auf den IPSAS basieren (siehe “2018 Status Report” der IFAC). Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von internationalen Organisationen wie die Europäische Kommission oder die Vereinten Nationen, die die doppischen IPSAS anwenden. Das IPSASB besteht aus 18 Mitgliedern aus 16 Ländern (davon fünf Mitglieder aus EU-Ländern, keins aus Deutschland) und hat die Aufgabe, die Standards zu erarbeiten, als Entwurf zur öffentlichen Diskussion zu stellen und schließlich herauszugeben. Neben dem IPSASB gibt es zwei Arbeitsgruppen, die die Arbeit des Gremiums unterstützen bzw. in gewisser Weise kontrollieren: Das Public Interest Committee (PIC) wurde 2015 geschaffen. Es besteht aus vier Mitgliedern

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Engagement für IPSAS ist Vorbereitung auf EPSAS (BS/Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke) Die EPSAS Working Group hat den Auftrag, zu eruieren, wie Europäische Rechnungslegungsstandards (EPSAS) entwickelt und europaweit eingeführt werden können. Die International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) bilden eine wichtige Grundlage für diese Arbeitsgruppe. Insofern ist es wünschenswert, dass die deutsche Position – aus staatlicher und kommunaler Sicht – in die Entwicklung der IPSAS einfließt. Es ist wahrscheinlich, dass Deutschland damit indirekt auch einen Beitrag zur Entwicklung der EPSAS leistet. Deutschland ist seit diesem Jahr durch vier Mitglieder in der Consultative Advisory Group (CAG) des International Public Sector Accounting Standards Boards (IPSASB) repräsentiert. Leider ist die kommunale Perspektive unterrepräsentiert, obwohl die Themen von größter Relevanz für Kommunen sind und diese mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Doppik einen wichtigen Beitrag leisten könnten. internationaler Organisationen und wacht über die Prozesse des IPSASB, wodurch die Interessen der Adressaten und die Qualität sichergestellt werden sollen.

Rolle der Consultative Advisory Group Die Consultative Advisory Group (CAG) hat die Aufgabe, das IPSASB mit Blick auf die praktische Anwendung zu beraten. Die Mitglieder/-innen der CAG sind Praktiker/-innen, die für die Rechnungslegung öffentlicher Institutionen verantwortlich sind oder durch Tätigkeiten in Beratung, Wissenschaft oder NGOs ein besonderes Interesse an einer adressatengerechten Entwicklung öffentlicher Rechnungslegungsregeln haben. Durch den praktischen Input der CAG-Mitglieder tragen diese wesentlich zur Entwicklung qualitativ hochwertiger Standards bei, die dem Anspruch genügen sollen, dass die auf Basis der IPSAS erstellten Abschlüsse

kommen von Universitäten und ein Mitglied aus einer Kommune. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Deutschland derzeit mit vier Mitgliedern am stärksten vertreten ist. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass einige der Mitglieder der CAG in früheren Positionen für Kommunen oder kommunale Verbände gearbeitet haben, liegt der Schluss nahe, dass Kommunen in der Entwicklung der IPSAS unterrepräsentiert sind.

Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Leiterin der Kämmerei der Stadt Köln, schrieb bereits ihre Promotion über “Konzernrechnungslegung in Gebietskörperschaften unter Berücksichtigung von HGB, IAS/IFRS und IPSAS”. In diesem Jahr wurde sie als Mitglied in die Consultative Advisory Group des IPSAS Boards (www.ipsasb.org/cag) berufen. Foto: BS/privat

ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Schulden-, Finanz- und Ertragslage vermitteln. Aktuell besteht die CAG aus 25 Mitgliedern aus 18 Ländern. Wird lediglich die aktuelle Position der Mitglieder betrachtet, repräsentieren zwölf Mitglieder die staatliche Ebene, sechs kommen von internationalen Organisationen, vier vertreten private Unternehmen oder Unternehmensverbände, zwei

Kommunen können wichtigen Beitrag leisten Die Themen der letzten Sitzung der CAG im Juni 2019 zeigen allerdings, dass Kommunen einen wichtigen Beitrag zur Entwick-

lung der IPSAS leisten können und sollten. Auf der Agenda stand u. a. die Bilanzierung von Kulturgütern. Sollten diese grundsätzlich in der Vermögensrechnung bilanziert werden? Oder würde es genügen, dass nur die Kulturgüter, die eine operationale Verwendung finden, angesetzt und bewertet und alle anderen mit einem Erinnerungswert erfasst werden? Konzeptionell ist es sicherlich zu befürworten, dass alle Vermögensgegenstände und Schulden einer öffentlichen Institution erfasst und zutreffend bewertet werden. Andererseits verursacht die genaue Bewertung von Vermögensgegenständen einen erheblichen Aufwand, der von der Nutzung doppischer Rechnungslegungsstandards immer noch abschreckt. Insofern wurde in dem Treffen auch diskutiert, ob nicht besser eine praktikable Vorschrift mit deutlichen Vereinfachungen, die die Anwendbarkeit der IPSAS in

“Leistungsorientierte Bezahlung ”

Weiterhin hoher Investitionsstau

LOB für alle? von Dr. Ulrich Keilmann

Kommunale Spitzenverbände veröffentlichen aktuelle Finanzdaten (BS/gg) Die kommunalen Spitzenverbände freuten sich anlässlich der Veröffentlichung ihrer neuen Prognosedaten zur kommunalen Finanzlage für die Jahre 2019 bis 2022 über die weiterhin gute wirtschaftliche Lage in Deutschland. Trotz abgeschwächter Wachstumsaussichten stünden die kommunalen Haushalte im Durchschnitt derzeit noch gut da. Die aktuelle Situation und die noch eher positiven Aussichten seien allerdings entscheidend abhängig von einer weiterhin guten wirtschaftlichen Entwicklung. Deshalb dürften die Risiken etwa beim Welthandel oder der künftigen Zinsentwicklung nicht übersehen werden. Gerade angesichts der aktuellen Überschüsse müsse betont werden: Krisenfest und aus sich heraus tragfähig seien die Kommunalfinanzen noch lange nicht. Es bestehe weiterhin ein hoher Investitionsstau. Die Hauptgeschäftsführer der kommunalen Spitzenverbände, Helmut Dedy, Deutscher Städtetag, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Deutscher Landkreistag und Dr. Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund, stellten in einer gemeinsamen Erklärung fest: “Mittlerweile spiegelt sich die gute wirtschaftliche Lage auch in wachsenden kommunalen Investitionen wider. Gerade an den Orten, wo kommunale Infrastruktur endlich wieder instandgesetzt und aufgewertet werden kann, wird für alle sichtbar, wie wichtig eine solide kommunale Finanzausstattung ist. Eine hinreichende Finanzausstattung der Kommunen war in der Vergangenheit die Ausnahme. Jetzt muss es darum gehen, dass sie zur Regel wird. Deshalb müssen Schuldenabbau und Investitionen ab sofort Vorrang haben gegenüber neuen dauerhaften Aufgaben, die Bund und Länder ohne ausreichende Finanzierung den Kommunen aufbürden. Außerdem muss bewusster werden, dass ein scharfer wirtschaftlicher Abschwung jederzeit und ohne lange Vorwarnung eintreten kann.”

Über fünf Milliarden Euro Überschuss im Jahre 2019 Die Prognose basiert – wie auch die Haushaltsplanungen von Bund und Ländern – auf der Annahme einer weiterhin guten und gleichmäßigen wirtschaftlichen Entwicklung. Im Ergebnis rechnet die Prognose der kommunalen Spitzenverbände für das laufende Jahr mit einem Überschuss in Höhe von 5,6 Milliarden Euro. Für die Folgejahre werden deutlich abnehmende Finanzierungsüberschüsse erwartet, zu einem großen Teil stehen dem allerdings steigende Investitionen gegenüber.

“Trotz insgesamt positiver Entwicklung der Kommunalfinanzen sind die Unterschiede von Kommune zu Kommune immer noch sehr groß”, betonten Dedy, Henneke und Landsberg. Mit der Arbeit der Kommission “Gleichwertige Lebensverhältnisse” sei nochmals deutlicher geworden, wie unterschiedlich die Chancen und Voraussetzungen in den einzelnen deutschen Kommunen seien. Dementsprechend unterschieden sich auch die Herausforderungen, vor denen die einzelnen Städte, Kreise und Gemeinden stünden. Man fordere die Bundesregierung mit Nachdruck auf, sich mit allen Beteiligten auf passgenaue Lösungen zu verständigen und auch ihren finanziellen Beitrag bereitzustellen.

Steigende Sozialausgeben Bei den Sozialausgaben erwarten die Kommunen für den gesamten Prognosezeitraum weiterhin deutliche Zuwächse. Der unterdurchschnittliche Anstieg der Sozialausgaben im vergangenen Jahr habe sich als Reaktion auf die Spitzenbelastung im Jahr 2016 durch die Flüchtlingskosten ergeben – im Mehrjahresvergleich sei aber trotz dieses Rückgangs eine deutliche Niveauverschiebung festzustellen. Auch seien die Steigerungsraten der Sozialausgaben über den gesamten Prognosezeitraum hinweg größer als die Wachstumsraten der Einnahmen. Daher stellten die Hauptgeschäftsführer klar: “Die Beteiligung des Bundes an der Flüchtlingsfinanzierung wurde nur befristet fortgeschrieben. Und nach wie vor engagiert sich der Bund nicht bei der Finanzierung der Geduldeten. Die Kommunen benötigen eine planbare und auskömmliche Finanzierung.”

Im Rahmen der Prognose wird von abnehmenden Finanzierungsüberschüssen und ansteigenden kommunalen Investitionen ausgegangen. Der Anstieg der Investitionen sei erfreulich. Die Kommunen könnten dennoch bislang nicht in dem Ausmaß investieren, wie es der Investitionsrückstand fordere und die Finanzlage letztlich zulassen würde. Man hoffe, dass sich die verschiedenen Investitionshemmnisse in den kommenden Jahren etwas auflösten und die Kommunen zumindest die dringendsten Investitionen umsetzen könnten, erklärten Dedy, Henneke und Landsberg.

Kernaussagen der Prognose In der aktuellen Prognose der kommunalen Spitzenverbände zur Finanzlage der Städte, Landkreise und Gemeinden (ohne Stadtstaaten) in den Jahren 2019 bis 2021 finden sich u. a. folgende Aussagen: Die kommunalen Spitzenverbände gehen im Jahr 2019 von kommunalen Einnahmen von 264,9 Milliarden Euro aus – das sind plus 4,3 Prozent. Sie rechnen mit Ausgaben von 259 Milliarden Euro, was einem Anstieg um 5,6 Prozent entspricht. Für 2020 wird eine Steigerung der kommunalen Einnahmen um 3,9 Prozent erwartet. Deutliche Steigerungen ergeben sich bei den Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2020, weil erhöhte Gewerbesteuerumlagen zur Beteiligung der Kommunen an den Kosten der Deutschen Einheit auslaufen.

der Praxis erleichtern würden, gegenüber einer konzeptionell exakten Bewertung Anwendung finden sollte. Ein anderes Thema auf der Agenda der letzten Sitzung, das für Kommunen relevant ist, war die Bilanzierung von Investitionszuschüssen. Es wurde zur Diskussion gestellt, ob die Zuschüsse unmittelbar als Ertrag oder als Verbindlichkeit und über einen bestimmten Zeitraum ergebniswirksam zu erfassen sind. In dem Moment, in dem der Ertrag erfasst wird, trägt er zum Haushaltsausgleich – sofern dieser auf Basis des Ergebnishaushalts zu erreichen ist – bei. Erfolgt die Ertragsrealisierung zu anderen Zeitpunkten als die Abschreibungen der Anlage, entsteht ein Mismatch im Haushaltsausgleich, der dem Adressaten gegenüber schwer zu vermitteln sein wird. Die EPSAS Working Group wird die Arbeit des IPSASB bei der Entwicklung der EPSAS berücksichtigen. Die Ertragsrealisierung, wie beispielsweise von Steuern oder von Investitionszuschüssen, die Bilanzierung von Sozialleistungen oder die Bewertung von Pensionsrückstellungen werden hier ebenfalls zentrale Themen sein. Eine Beteiligung deutscher Mitglieder an der Entwicklung der IPSAS ist insofern eine gute Vorbereitung auf die EPSAS, an deren Einführung kaum noch jemand zweifelt.

Der Finanzierungssaldo der Gesamtheit der Kernhaushalte der Städte, Landkreise und Gemeinden ist im Jahr 2019 positiv und liegt voraussichtlich bei 5,6 Milliarden Euro. Das Vorjahresniveau wird aber keinesfalls erreicht. In den kommenden Jahren ist mit sinkenden Finanzierungssalden zu rechnen. Aufgrund des abnehmenden Wachstums der Einnahmen ist im Jahr 2022 nicht mehr mit Überschüssen zu rechnen. Bei den kommunalen Ausgaben für soziale Leistungen sind – ausgehend von einem sprunghaften Anstieg um mehr als zehn Prozent im Jahr 2016 und leichten Gegenbewegungen in den Jahren 2017 und 2018 – durchgängig Steigerungsraten zu erwarten, die höher sind als das Wachstum der Einnahmen. Die Marke von 60 Milliarden Euro wird in diesem Jahr voraussichtlich überschritten, es werden Ausgaben von 61,7 Milliarden Euro erwartet. 2020 wird mit 64,2 Milliarden Euro gerechnet. Zuweisungen seitens des Bundes und der Länder werden auf der Einnahmenseite berücksichtigt. Ein separater Ausweis dieser Mittel ist nicht vollständig möglich, daher kann auch keine Netto-Belastung der Kommunen mit Sozialausgaben ausgewiesen werden. Bei den Investitionen wird für das laufende Jahr mit einem Rekord-Wachstum von knapp 15 Prozent auf 31,7 Milliarden Euro gerechnet. Im Jahr 2020 wird ein Anstieg auf 34,9 Milliarden Euro erwartet.

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Besondere Leistungen werden besonders belohnt. Das zumindest ist der Grundgedanke von § 18 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Ziel ist, eine Anreizfunktion zu schaffen, um Motivation, Eigenverantwortung und Führungskompetenz zu stärken. Deswegen ist das Leistungsentgelt als variable, leistungsorientierte Bezahlung zusätzlich zum Tabellenentgelt ausgestaltet. Tatsächlich zahlten aber genau die Hälfte der von uns untersuchten Städte die “Leistungsorientierte Bezahlung”(LOB) nach dem “Gießkannenprinzip” aus. Das heißt unabhängig von den tatsächlich erbachten Leistungen erhielten alle Beschäftigte eine leistungsorientierte Zulage. Zwar ist die Anwendung dieses Systems für die Fälle vorgesehen, in denen keine “LOB-Vereinbarung” zwischen Dienststellenleitung und Personalvertretung zu Stande kommt. Aber 17 von 18 Städten hatten eine solche Dienstvereinbarung, dennoch scheuten neun Kommunen die individuelle Entscheidung und schütteten an alle aus. Als Gründe dafür wurden u. a. genannt: •

hoher Verfahrensauswand, um eine Dienstvereinbarung mit Elementen der Zielvereinbarung und systematischer Leistungsbewertung zu erstellen, hohe zeitliche Beanspruchung der Führungskräf-

• •

te, um die ausgehandelte Dienstvereinbarung umzusetzen, Große Rechtsunsicherheit, Sorge vor Unzufriedenheit und Unfrieden bei den Beschäftigten.

Dass es aber doch geht, zeigten uns eindrucksvoll fünf Städte: Über die jeweilige Dienstvereinbarung wurde den Anforderungen des Tarifrechts Rechnung getragen. Eine Prämie wurde nur bei einer überdurchschnittlichen Leistung ausgeschüttet. So wurde der Entstehungsgeschichte des § 18 TVöD Rechnung getragen. Das Tabellenentgelt deckt die “Normalleistung” ab. Sie wird erbracht, wenn bei Vorliegen einer Dienstvereinbarung zur Leistungsorientierten Bezahlung der Beschäftigte den Durchschnittswert der Bewertungsrichtlinie erfüllt. Nur die “über dem Durchschnitt” liegenden Leistungen sollten zu einer zusätzlichen Zahlung führen. Eine Ausschüttung nach dem “Gießkannenprinzip” kann daher nicht befürwortet werden.

Lesen Sie mehr zum Thema “Personalmanagement” im Kommunalbericht 2018, Hessischer Landtag, Drucksache 19/6812 vom 13. Dezember 2018, S. 194 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rech nungshof.hessen.de abrufbar.


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ehörden Spiegel: Was sind Ihrer Ansicht nach die drängendsten Herausforderungen für die öffentliche Wasserwirtschaft in den kommenden Jahren?

Scheuer: Da haben wir verschiedene. Zum Ersten müssen wir uns sowohl im Trink- und Abwasserbereich als auch im Gewässerbereich dem Klimawandel anpassen. Dazu müssen wir insbesondere überlegen, wie wir mit Hochwassern im Sommer umgehen, die seit 15 Jahren verstärkt auftreten. Hierfür müssen Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Zum Zweiten haben wir die Demografie nach innen und nach außen. Nach innen meint den Fachkräftemangel. Wir brauchen weiterhin qualifiziertes Fachpersonal, denn in den meisten Unternehmen ist das Durchschnittalter relativ hoch. Die öffentlichen Unternehmen machen auch im Tarifbereich Angebote, um den Beruf attraktiv zu gestalten. Die Unternehmen, die nach TVöD zahlen, haben jedoch wachsende Probleme, überhaupt qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Die Demografie nach außen meint die Bevölkerungsentwicklungen und -bewegungen. Wir haben lange Zeit mit einer schrumpfenden Bevölkerung geplant. Jetzt haben sich, auch mit den vielen neuen ausländischen Mitbürgern, die Prognosen teilweise geändert. Hinzu kommen Verschiebungen zwischen Stadt und Land. Wir müssen die Geschehnisse genauer beobachten und können nicht mehr langfristiger planen. Drittens haben wir regelmäßig Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der Umsetzung von Maßnahmen. Behörden Spiegel: Was bedeutet das für die Wasserwirtschaft? Scheuer: Vor allem Konsequenzen für die praktische Umsetzung, etwa bei der Wasserrah-

Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

Behörden Spiegel / August 2019

Die gesamte Kette sehen

Wasserversorgern bekommen. In anderen Regionen Deutschlands sind allerdings bekanntermaßen die Belastungen mit Nitrat durch zu hohe Tierzahlen pro Fläche so hoch, dass freiwillige Maß(BS) Ohne Kooperationen wird es nicht gehen, meint Prof. Dr.-Ing. Lothar Scheuer, Präsident der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e. V. nahmen allein längst nicht mehr (AöW). Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erläutert der gleichzeitige Vorstand des Aggerverbands, einem Wasserwirtschaftsverband östlich ausreichen. von Köln und Leverkusen, warum alle Beteiligten beim Thema Wasserqualität und Gewässerschutz ins Boot geholt und die bestehenden Strukturen nicht angetastet werden sollten. Die Fragen stellte Katarina Heidrich. Behörden Spiegel: Zum Schluss: Ihre wichtigste Forderung an die vorbereitet wird. In dem Fall ist es Politik? menrichtlinie. Für den “guten Wen genau sehen Sie da in der eine Membrananlage mit abschlieGewässerzustand” müssen wir Verantwortung und wie? die Gewässer durchgängig maßender Ozonung. Im Anschluss Scheuer: Auf EU-Ebene stelgeht das vorgereinigte Abwasser len wir fest, dass immer wiechen. Sie brauchen mehr Platz, Scheuer: Wir beobachten moin die kommunale Kläranlage. der der Versuch unternommen wir mehr Fläche und Akzeptanz mentan, dass immer versucht Dafür bekommt die Klinik einen wird, den Wasserbereich in die für die Maßnahmen. Hier gibt es wird, alles auf End-of-Pipe-LöRabatt bei den Kanalgebühren, Binnenmarkt-Diskussion hi­ häufig Probleme. Beispielsweise sungen abzustellen, weil das sodass sie praktisch die Vorrei- neinzubringen, also in eine rein beim Flächenerwerb, um etwa ei- am einfachsten ist. Das heißt nigung teilweise gutgeschrieben wirtschaftliche Diskussion der ne Renaturierung durchzuführen. konkret, im Abwasserbereich kriegt. Das ist ein Weg, wie man Marktliberalisierung. Hier ist Oder Widerstände, wenn für den etwa die Forderung nach dem Hochwasserschutz ein Rückhalte- flächendeckenden Einsatz der dahin kommen kann, nicht die mein Appell, den Gedanken des gesamte kommunale Kläranlage Subsidiaritätsprinzips zu bebecken gebaut werden soll. Und vierten Reinigungsstufe (siehe ausbauen zu müssen, sondern herzigen. Dieses gewährt ja den dann ist da natürlich noch die Hinweiskasten). Es gibt aber eine Vorbehandlung an solchen Mitgliedsstaaten, und damit hier Frage der Akzeptanz der jeweiligen nicht das eine Konzept, da es Hotspots vorzunehmen. Auch den Kommunen, die Möglichkeit, Kosten. Es gibt die Maßnahmen unterschiedliche Stoffe gibt, für deren Entfernung unterschiedlimit der Landwirtschaft haben diese Bereiche der Versorgung nicht zum Nulltarif. wir gute Kooperationserfahrungen so zu organisieren, wie sie es che Prozesse benötigt werden. Es gemacht. Wir fördern Talsperren- für sich am besten halten. Bei Behörden Spiegel: Vor dem Hin- kann sogar sein, dass mehrere wasser und konnten seit Beginn uns hat sich das System mit den tergrund der Planungsunsicher- “vierte Stufen” gebaut werden heit: Wie flexibel und anpassungs- müssten, um alle Probleme zu AöW-Präsident Prof. Dr.-Ing. Lothar der Kooperationen 1990 die Ni­ öffentlichen Unternehmen eta­ fähig kann die nötige Infrastruktur lösen. Aus unserer Sicht muss Scheuer spricht sich für das Vorsorge- tratwerte von zwischen zwölf und bliert und bewährt. Ich bin der man aber anders denken und und Verursacherprinzip aus. 14 Milligramm auf heute sieben Meinung, dass eine nachhaltige überhaupt sein? an die Quelle gehen. Nehmen Foto: BS/ Aggerverband bis acht Milligramm senken. Die und kostengünstige Versorgung Landwirte zäunen beispielsweise der Bürgerinnen und Bürger Scheuer: Es gibt bestimmte Be- wir beispielsweise Arzneimittel. reiche, etwa bei der Wasserge- Kann man nicht bei der Zulas- nicht ins Klo, sondern in den die Gewässerläufe ab und bauen am besten durch Einrichtungen winnung oder -aufbereitung, wo sung schon überlegen, ob das Restmüll oder in einer Apotheke Viehtränken, damit die Tiere nicht passiert, die eine demokratische mehr in die Bäche kommen. Dafür Legitimierung haben. Egal, ob das man Anpassungsmaßnahmen Arzneimittel in dieser oder jener abgeben! werden sie unterstützt durch eine jetzt ein Betrieb ist, der direkt bei vornehmen kann. Wir haben im Form hergestellt und angewenAggerverband beispielsweise ein det werden muss? Hier ist auch Behörden Spiegel: Also nur Düngeberatung oder dadurch, der Kommune angesiedelt ist, oder Wasserversorgungssystem, bei die Industrie gefragt, die sich durch Druck “von oben” – oder dass sie für besonders wasser- eine AöR, wie sie viele größere dem man einen Teil der Zwischen- entsprechend an den Kosten gibt es freiwillige Kooperationen schonende Bewirtschaftungsfor- Städte gebildet haben, oder ein behälter außer Betrieb nehmen beteiligen müsste, wenn denn zwischen Wasserwirtschaft und men Ausgleichszahlungen von den Wasserverband. kann. An anderer Stelle, wo wir eine vierte Reinigungsstufe erfor- Verbraucher? Mehrverbrauch haben, bauen wir derlich ist. Jetzt lässt man alles zusätzliche Leitungen. Das Pro- pauschal beim Abwasserentsor- Scheuer: In unserem Aggerverblem ist aber, jede Leitung hat ger und der legt die Kosten dann band gab es ein Forschungseinen bestimmten Durchmesser auf die Bürgerinnen und Bürger projekt mit einer Herzklinik, wo und braucht einen bestimmten im Einzugsgebiet um. Die Politik Vor- und Nachsorgeuntersu(BS) Kläranlagen sind in der Regel dreistufig mit mechanischen bioloMindestdurchfluss, damit die muss den Rahmen dafür fest- chungen stattfinden, bei denen gischen und chemischer Verfahren aufgebaut. Die vierte ReinigungsstuQualität des Wassers gesichert legen, wie eine Beteiligung der viel mit Röntgenkontrastmitteln fe beschreibt einen zusätzlichen Verfahrensschritt, der beispielsweise wird. der Elimination von Mikroschadstoffen dient. Für die Umsetzung gibt es Arzneimittelindustrie aussehen gearbeitet wird. Wir haben eine könnte. Und die Verbraucher sind Vorreinigungsanlage entwickelt, verschiedene verfahrenstechnische Ansätze wie zum Beispiel die OzoBehörden Spiegel: Stichwort Vor- gefragt, was die Entsorgung von in der das mit Kontrastmitteln nierung, das Membrantrennverfahren oder den Einsatz von Aktivkohle. sorge- und Verursacherprinzip. Restmedikamenten angeht. Bitte verunreinigte Abwasser speziell

Aktuelle und künftige Herausforderungen für die öffentliche Wasserwirtschaft

Die vierte Reinigungsstufe


Behörden Spiegel / August 2019

Kommunalwirtschaft Stadtwerke

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Klimaschutz braucht effiziente Stromspeicher

Kandidaten auserkoren

Können Batteriesysteme in Gebäuden mit Photovoltaik-Anlagen die CO2-Emissionen verringern?

Für mehr Nachhaltigkeit in der Praxis

(BS/Johannes Weniger) Immer mehr Photovoltaik-Anlagen werden in Kombination mit Batteriesystemen zur Stromversorgung von Gebäuden errichtet. Ob sich durch das Speichern des Solarstroms die CO2-Emissionen verringern lassen, hängt maßgeblich davon ab, wie effizient die Batteriesysteme sind. Zu diesem Ergebnis kommt die Stromspeicher-Inspektion 2019 – eine neue Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin).

(BS/jf) Die Gewinner im Wettbewerb “Modellhafte Zukunftskommunen für eine nachhaltige Entwicklung” stehen fest. 27 Modellkommunen statt der zuvor vorgesehenen 25 sind auf Empfehlung von Gutachtern durch eine Jury ausgewählt worden.

land aus. Eine So­ larstromanlage mit einer Nennleis­ tung von zehn Ki­ lowatt er­ zeugt in Deutsch­ Mehr Solaranlagen sind unland jähr­ verzichtbar lich etwa Fest steht: Jede Dachfläche, 1 0 . 0 0 0 die zur Solarstromerzeugung ge­ Kilowatt­ Jede Dachfläche muss für Photovoltaikanlagen genutzt wereignet ist, muss zum Erreichen s t u n d e n . den, der gewonnene Tagstrom in eigenen Speichern zwider deutschen Klimaschutzziele Dies ent­ schengespeichert werden. Foto: BS/mitifoto, stock.adobe.com auch dafür genutzt werden. Ge­ s p r i c h t bäudeeigentümer sollten sich dem jährlichen Stromverbrauch nicht zur Mittagszeit in das Netz ihrer Pflicht bewusst sein und von zwei bis drei Einfamilienhäu­ eingespeist, sondern gespeichert die vorhandenen Dachflächen sern. Nach Angaben des Um­ wird und abends Netzstrom er­ zur Produktion von Solarstrom weltbundesamts (UBA) sparte so setzt, kann dadurch höhere CO2entsprechend nutzen. Um in eine Solarstromanlage im Jahr Einsparungen erzielen. Die Bat­ Deutschland auf einem Dach 2017 immerhin rund 6,1 Tonnen teriesysteme profitieren letztlich jährlich einen solaren Stromer­ CO2 ein. davon, dass die CO2-Emissionen trag von 1.000 Kilowattstunden Damit auch nach Sonnenun­ des Strommix tagsüber geringer zu erzielen, ist lediglich eine tergang die Stromproduktion und nachts höher sind. Dachfläche von fünf bis zehn der konventionellen Kraftwerke Quadratmetern erforderlich. Der verringert wird, muss der So­ Positive Effekte der Stromspeicher erzeugte Solarstrom trägt dazu larstrom tagsüber zum Beispiel bei, dass weniger konventioneller in Batterien zwischengespei­ Wie hoch die erzielten CO 2Strom aus fossilen Kraftwerken chert werden. Zur Mittagszeit Einsparungen aufgrund der benötigt wird. Dies wirkt sich an sonnigen Tagen, wenn viele Solarstromspeicherung wäh­ positiv auf die CO2-Emissionen Solarstromanlagen in das Netz rend der Nutzungsdauer der der Stromversorgung in Deutsch­ einspeisen, sind die CO2-Emissio­ Batteriesysteme sind, wird von nen des Strommix zahlreichen Faktoren beeinflusst. in Deutschland in Ein wesentlicher Hebel ist die der Regel geringer Effizienz der Batteriesysteme, wie als in den Abend­ kürzlich die Hochschule für Tech­ s t u n d e n . D i e s nik und Wirtschaft HTW Berlin Johannes Weniger ist wissenschaftlicher Mitarliegt daran, dass im Rahmen der Stromspeicherbeiter in der Forschungsgrupabends oft mehr Inspektion 2019 aufgezeigt hat. pe Solarspeichersysteme an k o n v e n t i o n e l l e Der Vergleich von 16 Speicher­ der Hochschule für Technik K r a f t w e r k e i m systemen macht deutlich, dass und Wirtschaft HTW Berlin Einsatz sind. Ei­ es erhebliche Unterschiede in der ne Kilowattstun­ Höhe der Umwandlungs- und Foto: BS/HTW Berlin de Solarstrom, die Standby-Verluste zwischen den Die wesentliche Funktion eines Daches war es bislang, das da­ runterliegende Gebäude vor Wind und Wetter zu schützen. In An­ betracht der Herausforderungen der Klimakrise kommt Dächern eine ganz neue Bedeutung zu: Ausgestattet mit Solarmodulen können Sie die CO2-Bilanz der Gebäude verbessern.

am Markt erhältlichen Geräten gibt. Je geringer die Verluste eines Solarbatteriesystems sind, desto mehr Solarstrom lässt sich in das Netz einspeisen. Zudem muss zur Stromversorgung der Gebäude dadurch auch weniger Strom aus dem Netz bezogen werden. Die Höhe der Effizienzeinbußen wirkt sich somit unmittelbar auf die erzielbaren CO2-Einsparungen der Batteriespeicher aus. Weni­ ger effiziente Speichersysteme können im Betrieb unter Um­ ständen sogar überhaupt keine CO2-Einsparungen vorweisen.

Hohe Speichereffizienz wichtig für Klimaschutz Die Höhe der erzielten CO2-Ein­ sparungen wird vielmehr von den Effizienzverlusten und weniger von der Speichergröße bestimmt. Wer somit bei der Auswahl eines Speichersystems auf eine hohe Effizienz achtet, tut demnach auch dem Klima etwas Gutes. Andernfalls verpuffen die positi­ ven CO2-Einsparungseffekte der Stromspeicher. Die Ergebnisse der Stromspei­ cher-Inspektion 2019 haben darüber hinaus gezeigt, dass es erfreulicherweise gleich mehrere hocheffiziente Speichersysteme gibt. Mit der Errichtung von Solarstromanlagen und Batte­ riesystemen können Gebäude­ eigentümer somit bereits heute einen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Stromspeicher-Inspektion 2019 wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert. Die Studie gibt es unter: www. stromspeicher-inspektion.de.

“Alle ausgewählten Kommunen zeichnen sich durch drei Aspekte aus. Sie sind hochmotiviert, be­ reit für Innovationen sowie zum komplexen Denken”, sagt Prof. Dr. Peter Heck, Leitender Direktor des Instituts für angewandtes Stoffstrommanagement (IfaS) der Universität Trier.

Aktiv in einem von drei Handlungsfeldern Das IfaS führt das vom Bun­ desministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Projekt “Roadshow Nachhalti­ ge Entwicklung” durch. Ziel der Roadshow ist es, die bisheri­ gen Ergebnisse aus dem Rah­ menprogramm “Forschung für Nachhaltige Entwicklung” (kurz: FONA-Forschung) auf die Praxis zu übertragen. Dazu konnten sich die ausgewählten Kommu­ nen in drei Handlungsfeldern um die Teilnahme an dem Projekt bewerben: • Integrierte Energiekonzepte für Kommunen, • Optimierung kommunaler Was­ serinfrastruktursysteme sowie • Ressourceneffiziente Landnut­ zung. “Die Auswahl erfolgte auf Grundlage einer überzeugenden Darstellung des Gestaltungswil­ lens sowie der Herausforderun­ gen und Notwendigkeit zukünf­ tiger Initiativen”, berichtet Heck. Die ausgewählten Städte und Gemeinden werden nun in einem einjährigen Choachingprozess gemeinsam mit dem IfaS ihre kommunalen Entwicklungsstra­ tegien prüfen. Zu den auserkorenen Kom­ munen gehört auch die Stadt

Kremmen in Brandenburg mit ihrem Zweckverband. Bürger­ meister und Verbandsvorsteher Sebastian Busse verwies darauf, dass die Abwasserentsorgung und -reinigung zu den größten Energieverbrauchern in der rund 7.500 Einwohner zählen­ den Gemeinde gehört. In den nächsten zwölf Monaten werden Heck und sein Team der Stadt Best-Practice-Beispiele aus der FONA-Forschung vorstellen und prüfen, welche davon auf Krem­ men übertragen werden können.

Ausgewählt wurden... Zu den Gewinnern zählen die Städte Bad Säckingen, Blaustein, Nürtingen und Waiblingen (alle in Baden-Württemberg), Günz­ burg und Landsberg am Lech (Bayern), Kremmen (Branden­ burg), Laubach (Hessen), Bad Bentheim (Niedersachsen), Rhei­ ne (Nordrhein-Westfalen), Pir­ masens (Rheinland-Pfalz), Pirna und Schkeuditz (Sachsen). Der Kreis der ausgewählten Kommu­ nen wird komplettiert durch die Gemeinden Fuchstal und Markt Heroldsberg (Bayern), Cambs, Hohenkirchen, und Rosenow (Mecklenburg-Vorpommern), die Samtgemeinden Barnstorf und Bersenbrück (Niedersachsen), Mettingen und Senden (Nord­ rhein-Westfalen), die Verbands­ gemeinde Wörrstadt (Rheinland Pfalz) sowie Großhartau und Thallwitz (Sachsen). Als beson­ ders Kooperationsprojekt wählte die Jury zudem das Vorhaben von Amt Schradenland mit der Stadt Sonnewald in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Elbe-Elster aus Brandenburg aus.


Infrastruktur

Seite 22

Wenn Wirtschaftlichkeit schadet

N

ach den drei Minuten Anschweigen wollen wir es noch mal versuchen. Werden jedoch vom Lärm des nächsten Zuges übertönt und beschließen, es in den geschlossenen Räumen zu versuchen. Im Arbeitszimmer wird es verständlicher und trotzdem steigt der Puls bei jedem vorbeifahrenden Güterzug merklich an. Die Strecke vom italienischen Genua, durch den schweizerischen Gotthardtunnel über das Mittelrheintal und, vorbei an Großstädten wie Bonn und Köln bis nach Rotterdam, ist eine der am stärksten befahrenen Europas. Ein Blick in das Mittelrheintal offenbart, was individuell spürbar ist: “Die aktuelle Situation ist katastrophal, denn der Güterverkehr steigt stetig”, erläutert Pusch. Täglich fahren circa 400 Güterzüge und 200 Personenzüge auf beiden Seiten des Rheins, so der vom Bahnlärm Betroffene. Bedingt durch die enge Tallage und die Höhen des Rheintals sind viele Steilhänge vorhanden. Dies führe dazu, dass der Lärm abstrahlt wie in einem Parabolspiegel und der Lärm eines Zuges auf beiden Rheinseiten zu hören ist. Prof. Dr. Markus Hecht, Fachgebietsleiter für Schienenfahrzeuge an der Technischen Universität (TU) Berlin, ergänzt: “Heutzutage haben wir im Hinblick auf die Tonnenkilometer die gleiche Verkehrsleistung. Aber die Wagen fahren mittlerweile über weitere Strecken und Korridore und die Belastung hat punktuell wie am Rhein erheblich zugenommen. An anderen Stellen wiederum hat diese abgenommen, weil dort keine Güterzüge mehr fahren.”

Viel Lärm um Nichts? Bahnlärm findet sich in der ganzen Bundesrepublik. Es existieren zwischen 200 bis 300 örtliche Initiativen. Der Grund ist schnell gefunden: “Der Zusammenhang zwischen Lärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einschließlich Herzinfarkt ist durch Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung belegt. Die Frage ist also nicht mehr, ob Lärm krank macht, sondern in welchem Ausmaß”, zu dem Schluss kommt das Umweltbundesamt (UBA). Denn Lärm aktiviere das autonome Nervensystem und wirke auf den Hormonhaushalt. Infolgedessen veränderten sich der Blutdruck, die Herzfrequenz und weitere Kreislauffaktoren. Worauf der Körper vermehrt Stresshormone ausschütte, welche in die Stoffwechselvorgänge des eigenen Körpers eingriffen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt die schwerwiegenden Folgen von Lärm auf. 30 dB(A) im eigenen Schlafzimmer zur Schlafenszeit seien nach der WHO normal. Aber rund 30 Prozent der gesamten Europäer würden nachts mit Geräuschen bis zu 55 dB(A) wachgehalten oder geweckt. 20 Prozent und mehr würden tagsüber mit 65 dB(A) beschallt. Die Auswirkungen auf den Körper seien immens. So hat das UBA mehrere Studien und deren Ergebnisse in einer kritischen Meta-Analyse zusammengefasst: Bereits bei einem niedrigen nächtlichen Dauerschallpegel von 40 dB(A) zeige sich ein Anstieg von psychischen Erkrankungen sowie Herz-Kreislauf-Krankheiten. Das Forschungsprojekt “Epidemiologische Untersuchungen zum Einfluss von Lärmstress auf das Immunsystem und die Entstehung von Arteriosklerose” hat zudem herausgearbeitet, dass Menschen, die nachts vor dem Schlafzimmerfenster einen mittleren Schallpegel von 55 dB(A) oder mehr hatten, ein fast doppelt so hohes Risiko vorweisen, wegen Bluthochdrucks ärztlich behandelt zu werden. Jedenfalls verglichen zu jenen, bei denen der Pegel unterhalb von 50 dB(A)

Behörden Spiegel / August 2019

Bremst Deutschland bewusst beim Lärmschutz? (BS/Adrian Bednarski) Wie schlimm Bahnlärm sein kann, wird deutlich, wenn man ihn spürt, und zwar alltäglich: Auf einem Balkon unweit einer regulär befahrenen Schienenstrecke sitze ich mit Willi Pusch, dem Vorsitzenden der Bürgerinitiative “Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn”, zusammen. Jedoch können wir das Gespräch gar nicht beginnen. Denn dann kommt der erste Zug, der jegliches gesprochene Wort unterdrückt. Ich beginne zu verstehen, wieso einige Gemeinden sich die Stille einklagen möchten.

60

80

85 - 100

120

40

Niedriglärmschutzwände von 55 cm Höhe sowie Schienenstegdämpfer, die die Schwingungen der Schiene aufnehmen. Letzteres sind kleine Metallplatten, die mit Gummistreifen unterlegt sind und links sowie rechts an der Schiene mit Klammern befestigt werden. Zudem sollen in einigen Kurven Schienenschmieranlagen eingebaut werden. Durch das aufgetragene Fett wird der Lärm gemindert, wenn ein Zug darüberfährt. “Denn die Räder haben das Bestreben, immer geradeaus zu fahren. Bei der Fahrt in einer Kurve wird der Radkranz gegen die Schiene gedrückt und sorgt für die an den Nerven zerrenden quietschenden Nebengeräusche”, erörtert Pusch.

LL-Sohle und keine “lauten” Güterzüge mehr 140

20

0

160

Angaben in Dezibel Grafik: BS/ Wedemeyer unter Verwendung von: auspicious, sudowoodo, mallinka1, channarongsds, Vector_Tradition, Agor2012, SS1001, nazar12, executioner4, M.studio, Ihor, Bitter, route55, stocck.adobe.com

160

Gewehrschuss in Mündungsnähe

Gehörschäden bei einmaliger Einwirkung möglich (Spitzenpegel)

140

Knackfrosch, Trillerpfeife Startgeräusch von Flugzeugen, 40 m entfernt

Schmerzschwelle, Gehörschäden schon bei kürzerer Einwirkung möglich

120

Martinshorn, 10 m entfernt, Maximalpegel am Walkman, Rockkonzert, laute Diskothek

85 - 100

Güterzüge in 7,5 m Entfernung gemessen

Gehörschäden bei Dauerbelastung, Herz-KreislaufErkrankung nachts

80

Hauptverkehrsstraße am Straßenrand

Erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko bei dauernder Belastung der Wohnung am Tage

60

Gespräch, Leises Radio, (Zimmerlautstärke)

Belästigungsreaktionen bei dauernder Belastung der Wohnung am Tage; Störung von konzentrierter, geistiger Arbeit (Dauerschallpegel)

40

Ruhiges Zimmer am Tage, Flüstern

Beeinträchtigung von Erholung, Ruhe, Schlaf (Dauerschallpegel)

Die Bundesregierung reagiert. Um die Lärmemissionen zu reduzieren, wurde mit dem Lärmschutzgesetz vorgeschrieben, dass ab dem Fahrplanwechsel 2020/21 keine lauten Güterwagen auf dem Schienennetz fahren dürfen. Daneben investiert die DB sowie das BMVI mehrere Millionen Euro, um die Bremssohlen der Räder auszutauschen. Die älteren Modelle sind die metalleren Grauguss-Bremssohlen. Bei den neuen Modellen, den K-Sohlen, oder den noch neueren Varianten, den LL-Sohlen, wird ein Verbund aus Metallfasern, Kautschuk- und Harz-Verbindungen sowie weiteren Stoffen eingearbeitet. Der Lärm kann durch diesen Umbau zwischen acht bis zehn dB(A) reduziert werden. Dafür verschleißen diese Bremsen schneller. Um die Einhaltung des Gesetzes zu kontrollieren, werden bundesweit 117 Messstationen aufgestellt. Offen ist noch, was mit jenen ausländischen Fahrzeugen ist, die “zu laut” sind und auf das deutsche Schienennetz möchten. Durch lärmabhängige Trassenpreise könnte das BMVI diese Voraussetzung auch kontrollieren, denn viele Güterwaggons gehören nicht der Bahn, sondern sind ausländisch oder privat. Ob es diese ab dem Fahrplanwechsel 2020/21 einführt, ist unklar.

Warum 25 Meter?

Wie die DB dabei die Messungen vornimmt, lässt sich exemplarisch anhand des oberen Mittelrheintals aufzeigen. Messaufbau und Auswertungen 0 Stille Hörschwelle basieren hierbei auf der DIN EN Die Auswirkungen von Lärm sind immens. Einfache Belästigungsmomente über Herz-Kreislauf-Krankheiten bis hin zu Gehörschäden können die Folgen sein. ISO 3095. Mit einem Abstand von 7,5 Metern werden die Mikrofone Quelle: Umweltbundesamt 2005/Eigene Recherche platziert und die Rohdaten erholag. So, wie es an der Rheinstre- riums (BMVI), der DB und vier sanierungsprogramm mit einem bereits stehenden Lärmschutz- ben. Die Wochen-, Monats- und cke eben ist. Die Deutsche Bahn Bürgerinitiativen an. Deshalb Volumen von 73 Mio. Euro für wänden werden Ergänzungs- Jahresansicht werden dann auf (DB) blieb nicht untätig. 1999 habe sich die Initiative stark ge- das Rheintal bei den Entschei- lärmschutzwände gebaut, wenn den 25-Meter-Punkt-bezogenen wurde das Sanierungsprogramm macht und in Zusammenarbeit dungsträgern durchbringen kön- Lücken in den bisherigen Wällen Mittelungspegel im Tages- und an Schienenwegen (Bundeszu- mit dem Beirat ein neues Lärm- nen, so der Vorsitzende. Zu den aufzufinden sind. Dazu kommen Nachtzeitraum berechnet. schüsse) auf den Weg gebracht und es standen erstmals 100 Belastung der Bevölkerung durch Schienenverkehrslärm entlang von Haupteisenbahnstrecken und in Ballungsräumen nach Mio. Deutsche Mark bereit: Umgebungslärmrichtlinie, Tag-Abend-Nacht-Index (L DEN) und Nachtlärmindex (L Night) Schallschutzwände decken das Erdgeschoss ab und LärmschutzL DEN L DEN L DEN L Night L Night L Night Bundesland fenster für den ersten Stock sowie > 55 dB(A) > 65 dB(A) > 70 dB(A) > 50 dB(A) > 55 dB(A) > 60 dB(A) eine Fassaden- und DachdämBrandenburg 86.800 11.200 2.900 62.000 22.200 7.000 mung für Fachwerkhäuser, die Berlin 199.600 37.700 7.600 148.700 66.400 21.200 über keine 24 Zentimeter dicke Wand verfügen. Baden-Württemberg 735.200 110.400 37.300 583.600 218.000 77.800

20

Leises Blätterrascheln, Ruhiges Zimmer in der Nacht

Belästigungsreaktionen bei dauernder Belastung der Wohnung am Tage; Störung von konzentrierter, geistiger Arbeit (Dauerschallpegel)

Spitzenwerte von 104 dB(A)

Bayern

926.000

140.400

43.300

739.700

283.900

“Aber das Sanierungsprogramm ist ausgelaufen und hat nicht viel gebracht. Es wurden rund acht Dezibel weniger als vorher gemessen”, kommentiert Pusch die damaligen Bemühungen. Teilweise finden sich weiterhin Spitzenwerte von bis zu 104 dB(A). “Im Jahre 2013 haben wir den Vorstandsvorsitzenden der DB Dr. Rüdiger Grube bei der Vorführung eines leisen Güterzuges in Bingen drauf angesprochen, einen Projektbeirat einzurichten, dem er spontan zugestimmt hat”, erzählt Pusch weiter. Dem Projektbeirat “Leiseres Mittelrheintal” gehören Landespolitiker aus Hessen, Rheinland-Pfalz, vier Bundestagsabgeordnete, Vertreter des Bundesverkehrsministe-

Bremen

160.100

23.100

6.200

128.500

48.600

15.800

Hessen

676.700

101.600

37.500

568.400

212.900

80.700

Hamburg

166.100

31.200

12.000

120.900

50.300

19.600

26.600

4.100

1.100

18.000

7.100

2.300

691.700

97.400

31.800

580.900

222.100

74.100

Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen* Nordrhein-Westfalen*

98.100

1.823.300

282.200

89.400

1.450.100

560.400

190.800

Rheinland-Pfalz

423.700

79.900

32.400

365.800

164.900

63.600

Schleswig-Holstein

102.800

14.000

4.300

80.400

31.000

9.700

44.900

9.200

4.200

33.700

14.500

7.100 19.100

Saarland Sachsen

190.400

41.400

7.400

142.000

64.300

Sachsen-Anhalt

126.900

15.900

3.800

96.500

33.000

9.800

56.300

7.600

2.600

46.200

17.300

6.100

6.437.100

1.007.300

323.800

5.165.400

2.016.900

702.800

Thüringen Summe Stand: 30.06.2019

Quelle: Umweltbundesamt 2019, Zusammenstellung der Mitteilungen der Bundesländer und des Eisenbahn-Bundesamtes entsprechend § 47c BImSchG

* Gegenwärtig liegen aus diesen Bundesländern noch nicht alle Daten aus der Lärmkartierung 2017 vor. Diese Lücken wurden mit den Daten aus der Lärmkartierung 2012 gefüllt.

Insbesondere der L DEN über 55 dB(A) macht deutlich, dass nicht nur die 50.000 Bürger am Mittelrhein betroffen sind. Sondern es handelt sich um ein deutschlandsweites Problem. Vor allem werden Millionen Bundesbürger in ihrem Schlaf gestört, was kurz- und langfristig ihrer Gesundheit schadet.


Behörden Spiegel / August 2019

Infrastruktur

BONN

BONN

Umgebungslärm Lärmindex Tag-Abend-Nacht (LDEN) > > > > >

Seite 23

Hauptverkehrsstraßen und sonstige Straßen (innerhalb Ballungsräume) (LDEN)

55-60 dB(A) 60-65 dB(A) 65-70 dB(A) 70-75 dB(A) 75 dB(A)

> > > > >

55-60 dB(A) 60-65 dB(A) 65-70 dB(A) 70-75 dB(A) 75 dB(A)

Schienenlärm breitet sich stärker aus (s. linke Grafik), als der Lärm anderer Verkehrsträger (s. rechte Grafik). Zudem hat die höchste Kategorie bei der Lärmkartierung (>75dB(A)) die Bahn. Eine stärkere Differenzierung, die auch Werte über 80 oder 100 dB(A) zeigt, wird nicht angegeben. Karte: BS/Wedemeyer unter Verwendung von: Data CC BY-SA by OpenStreetMap

Die Umrechnung macht sich bemerkbar: Am 27. Juli 2019 war der niedrigste Tageswert in Bad Salzig, von sechs bis 22 Uhr gemessen, 71,2 dB(A). In der Nacht lag er bei 72,8 dB(A). Verglichen zu den Rohdaten lag im Mittelungspegel der Durchschnitt bei 56,1 dB(A) tagsüber und nachts bei 59,7 dB(A) für den gleichen Tag. Die Umrechnungsmethode der DB kritisiert Hecht aber als “Augenwischerei”. Denn die 25 Meter-Werte brauche es nur für die Hochgeschwindigkeitszüge wie den ICE. Hierbei wären Messungen aus 7,5 Metern zu nah. Aber durch diese Umrechnung auf 25 Meter würden bis zu sieben Dezibel “gespart”, erklärt der stellvertretende Leiter des Forschungsverbundes “Leiser Verkehr”. Zudem erörtert er den Nachteil der an den Gleisen positionierten Messstationen: “Wenn zwei Züge parallel fahren, sind beide Messungen unbrauchbar. Denn das Mikrofon wird dabei vom anderen Zug gestört.”

Leise ist nicht gleich leise Daneben offenbart sich in der Praxis ein anderes Bild von den künftig “leisen Güterzügen”: Selbst wenn alle Waggons bis Ende 2020 auf die LL-Sohle umgerüstet und alle technischen Maßnahmen am Gleis zur Reduzierung des Lärms eingebaut seien, so würde der Lärm insgesamt nur um rund 20 Dezibel gesenkt, bringt Pusch ein. “Dann haben wir aber immer noch zwischen 75 bis 80 Dezibel bei vorbeifahrenden Güterzügen. Was immer noch viel zu laut sei.” und die Menschen würden weiterhin gesundheitlich darunter leiden, unterstreicht er die verfahrene Situation. Diese Einschätzung teilt auch Hecht und verweist auf die direkte Lärmquelle: “Die Richtlinie zur Berechnung der Schallemissionen von Schienenwegen (Schall-0-3) haben wir nur sehr schwach revidiert. Es ist richtiger und wichtiger, den Lärm an der Quelle zu mindern als am Ausbreitungsweg”, betont der Wissenschaftler. Deshalb seien Lärmschutzwände der falsche Weg. Die Senkung des Lärms

um bis zu 15 Dezibel werde nur unmittelbar hinter der Wand erreicht. Höher gelegenen Wohnungen helfe dies nicht. Der Fachgutachter für Schienenfahrzeuge bei der Deutschen und der Schweizerischen Akkreditierungsstelle DAKKS und SAS betont, dass der Stand der Technik fortgeschritten sei und leisere Züge sich bauen ließen. Die Schweiz und Japan würden vormachen, was möglich sei, so Hecht. Man müsse zwischen Rollgeräusch, dem Antrieb sowie den Hilfsbetrieben, wozu bspw. die Klimaanlagen gehörten, unterscheiden: Bei diesen Faktoren könnte beispielsweise nachgedämmt werden oder kleinere Räder eingesetzt werden. “Mittlerweile sind kleine Räder zulässig, aber die Industrie verbaut weiterhin die großen. Wenn dann mittels Radschallabsorber gearbeitet würde, verdoppelt dies den Radpreis”, fährt der Fachgebietsleiter fort.

Die Strecken leiser gestalten Die Strecken selbst könnten an sich leiser gestaltet werden: “70 Prozent des Rollgeräusches kommen durch die Schwelle und die Schiene. Dementsprechend müssten stark befahrene Strecken in Wohngebieten anderen Voraussetzungen gerecht werden als weniger stark befahrene oder Strecken durch unbewohnte sowie Industriegebiete”, zeigt der Professor auf. Durch die Bauweise des Gleises könnte es bis zu sieben Dezibel leiser sein. Hierfür bräuchte es eine sehr gute Koordination mit den Gleisbauern, denn diese wissen nicht automatisch, ob dies ein lautes oder leises Gleis ist. Außerdem müssten die Entwicklerkapazitäten für jene, die sich mit Lärmminderungsmaßnahmen beschäftigten, erhöht werden. Aktuell hätte Deutschland zehnmal mehr Entwickler für Lauftechnik als für die Lärmminderung. In der Lauftechnik beschäftigt man sich mit Themen wie Entgleisungssicherheit, Rad und Schienenverschleiß und Schwingkomfort im Fahrzeug. In Japan gibt es mehr Personal in der Lärmminderung als in der Lauftechnik, vergleicht Hecht – eine Frage des Wollens.

Im Endeffekt reicht eine Maßnahme, die acht Dezibel Lärmminderung bringt, nicht aus. Das gesamte Bündel an Maßnahmen müsste umgesetzt werden, um die Züge und Schienen dauerhaft leise zu gestalten. Eine weitere Forderung, die aktuelle Durchschnittsgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometern auf 50 zu reduzieren, sei als Maßnahme abgelehnt worden. “Dies führt zu viel Rückstau auf der Strecke. Deshalb wiederum haben wir ein Rheinland-Tunnelsystem von St. Augustin bei Bonn bis Mainz-Bischofsheim mit mehreren hintereinander folgenden Tunneln vorgeschlagen. Die Züge könnten schneller fahren, die doppelte Menge an Gütern transportieren und hätten 40 km weniger Strecke zu fahren”, erzählt Pusch. Immerhin ist das Projekt in den Bundesverkehrswegeplan als potenzieller Bedarf aufgenommen worden. Die Initiative arbeitet mit den Ländern Rheinland-Pfalz und Hessen daran, dass dieses Projekt in den vordringlichen Bedarf aufsteigt. Es solle eine Machbarkeitsstudie noch in diesem Jahr in Auftrag gegeben werden.

Mehr Güterzüge ja, aber… Die Forderungen der Bundesregierung oder der Allianz pro Schiene, mehr und längeren Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, betrachtet der Professor zwiegespalten. “Der Effekt durch mehr Güterverkehr wird überschätzt. Der Lärm folgt logarithmischen Gesetzen: Eine Lärmquelle plus eine weitere Lärmquelle verursachen eine Erhöhung um drei Dezibel beim Vorbeifahren des Zuges”, erläutert er. Die wesentliche Stellschraube sei, nicht die Zahl der Züge oder die Umverteilung des Lärms, sondern direkt die Lärmminderung an der Quelle anzugehen. Dann könnte auch der steigende Lärm durch das Wachstum der Züge aufgefangen werden. Konkret bedeutet dies: “Wir müssen eine Lärmreduzierung um 15 dB(A) erreichen, da können Einflüsse wie drei dB(A) durch Verkehrsverdopplung locker mitberücksichtigt werden.”

Um einen Handlungsdruck zu erzeugen, müsste jedoch die Richtlinie Technische Spezifikation für Interoperabilität (TSI)-Noise (TSI-NOI), welche die Obergrenzen für Lärmemissionen regelt, verändert werden. In der jetzigen sieht der Wissenschaftler zwei Schwachpunkte: “Zum einen werden nicht alle relevanten Betriebszustände begrenzt. So gibt es beispielsweise keine Kurvenfahrt, sondern nur Geradenfahrt, und die genannten Grenzwerte sind viel zu lasch. Sie orientieren sich an Ländern mit schwachem Verkehr, in denen die Eisenbahn keine große Rolle spielt, wie dem Kosovo”, kritisiert Hecht. Die aktuelle TSI-NOI definiere so hohe Grenzwerte für die Lärmemissionen, dass die Akteure, die mit den Fahrzeugen oder den Herstellern arbeiteten, nicht tätig werden müssten und die Personalien in den Akustikbereichen der Industrie deutlich vermindert würden, spricht er die kritischen Aspekte an. Er sieht darin wirtschaftliche Gründe, denn es sei für die Hersteller vorteilhaft, wenn sie für Deutschland keine extra Züge produzieren müssten. “Dabei könnten leisere Züge ohne deutliche Mehrkosten gebaut werden”, so der Professor. Insgesamt bewertet Hecht die Lärmminderungsmaßnahmen in Deutschland als “frustrierend, weil nichts wirklich vorwärts geht”. Vor allem bei den bereits bestehenden Gleisen seien die Grenzwerte und Maßnahmen nicht zwingend, sondern freiwillig, es gilt der sogenannte Bestandsschutz. Er sieht hierbei auch die Politik in der Pflicht und erläutert die Versäumnisse der Vergangenheit: “Gegen das sogenannte Vierte-Eisenbahn-Paket wurde sich vor sieben bis acht Jahren gewehrt. Die technischen Aspekte sind durchgekommen, aber die politischen Ziele nicht”, erörtert er die Entwicklungen. Dieses hätte die Zulassungen nach neuen Regelungen ermöglicht und klarere Grenzen gesetzt. Die hiesige Situation sei zudem für die Wirtschaft unvorteilhaft: “Züge werden aus mangelnder Lärmarmut nicht in Deutschland beschafft. Aktuell laufen große

Aufträge für leise Fahrzeuge in Japan für Großbritannien und die Chinesen stehen vor dem Markteintritt, wohl auch mit qualitativ sehr hochwertigen, leisen Produkten”, so der Professor. Auch Pusch beharrt auf mehr Aktionismus: “Die Bahn ist das umweltfreundlichste Transportmittel überhaupt, muss aber modernisiert und der Personen- vom Schienengüterverkehr entkoppelt werden. Im Zuge des Klimawandels muss die Politik die Siebenmeilen-Stiefel anziehen und mehr finanzielle Mittel für die Schienen und weniger für Autobahnen aufbringen. Sonst lösen wir weder das Lärmproblem noch den fehlenden Investitionsstau oder gar das Umweltproblem.”

Fast 20 Jahre Stillstand Aber ob das Hoffen auf mehr Aktionismus fruchtet, scheint fragwürdig. Seit 19 Jahren engagiert sich Thomas Bungert, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Sankt Goar-Oberwesel, aktiv als deren politischer Entscheidungsträger gegen den Bahnlärm: “Aber unabhängig von der Instanz, ob Land oder Bund, es hat sich in den letzten 19 Jahren wenig verändert”, resümiert er seine bisherigen Erfahrungen. In der Nacht würden Spitzenwerte von 102 dB(A) die Bürger der 3.000-Einwohnergemeinde um ihren Schlaf bringen. “Nicht nur diese leiden darunter. Unsere Bemühungen, Touristen anzuziehen, durch unsere Wander- oder Radwege und den Welterbestatus, nützen nichts, wenn die Menschen nicht vor Ort übernachten können, weil es zu laut ist”, verweist er auf die vertrackte Situation. Die ganze Entwicklung des Tals sei daran gekoppelt, dass eine Lösung gefunden werde. Dabei steht eine “Verschlimmerung” der Situation an, das Güterzüge-Aufkommen solle in den nächsten Jahren auf der Trasse von Genua bis nach Rotterdam um 25 Prozent gesteigert werden. “Unsere Kernforderung ist deshalb: Der Güterverkehr muss entweder raus aus dem Tal mittels einer Alternativtrasse. Oder die Strecke muss so ausgebaut werden, dass die

neue Bundesemissionsschutzverordnung eingehalten wird.” Wenn dies finanziell nicht machbar sei, dann müsse die Strecke kernsaniert werden, sodass dort Menschen wieder wohnen und übernachten könnten. Auf den Wunsch nach einer alternativen Trasse hat Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) aus dem BMVI reagiert: Das Verkehrsaufkommen des Personenund Güterverkehrs müsste sich auf der Strecke verzehnfachen, über die bis 2030 vorhergesagten Zugzahlen hinaus, damit eine Alternative wirtschaftlich sei.

Alte Gesetze vs. neues ­Gesetz Solche Aussagen stoßen den Bürgern auf: “Meine Einstellung gegenüber der Deutschen Bahn hat sich gewandelt. Ich sehe, dass die 50.000 Einwohner des Mittelrheintals nicht zählen. Vielmehr versteift sich die Bahn auf reine Wirtschaftlichkeit”, so Bungert. Er glaubt, dass die Bahn nur noch auf medialen oder richterlichen Druck reagiere. Deshalb werde eine Klageschrift vorbereitet, um die Lärmminderung durchzusetzen. Die Begründung dahinter: Der Bestandsschutz könne nur für legale Anlagen mit entsprechender Genehmigung erfolgen. Jedoch liege eine solche für die Strecke der DB gar nicht vor, weil die Strecke sehr alt sei und noch unter preußisches Recht falle, so Bungert. Dies habe ihm die Bahn auf mehrfache Anfrage auch bestätig. Dementsprechend bestünde eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Bestandschutz nicht greife und die Strecke nicht mehr betreibbar sei. “Dann müsste die Strecke neu abgenommen werden und hierbei auch die Grenzwerte für den Lärmschutz einhalten”, fasst der Bürgermeister zusammen. Wir stehen wieder zum Abschluss auf dem Balkon. Auf einmal sehen wir einen Zug, wir hören ihn nicht: Es ist ein umgeleiteter ICE. Dessen akustische Schutzmaßnahmen nach innen und außen sind effizienter und er zeigt, dass es möglich ist, den Lärm zu mindern, wenn man will.


Kommunale Ordnung

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Behörden Spiegel / August 2019

Fokus auf Freiwilligkeit

Unsicherheiten noch nicht ausgeräumt

Viele Städte schließen Selbstverpflichtungen mit E-Scooter-Verleihfirmen ab

Zahlreiche Geschwindigkeitsmessgeräte im Saarland derzeit außer Betrieb

(BS/Marco Feldmann) Sie sind in Deutschlands Städten und Gemeinden immer öfter zu sehen, insbesondere in Metropolen. Auch gab es bereits erste Unfälle. Zudem stehen viele von ihnen scheinbar unkontrolliert auf öffentlichem Straßenland herum. Die Rede ist von elektrisch angetriebenen Tretrollern und anderen Elektrokleinstfahrzeugen.

(BS/Marco Feldmann) Im Saarland sind derzeit alle Blitzgeräte vom Typ Traffistar S 350 abgeschaltet. Grund für das vorläufige Aus des Modells des Unternehmens Jenoptik ist ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes in Saarbrücken. Dessen Richter hatten Tempomessungen mit dem Gerät für unverwertbar erklärt. Verantwortliche der produzierenden Firma können die Entscheidung, die für die gesamte Branche der Geschwindigkeitsmessgeräte-Hersteller von Bedeutung ist, da auch andere Fabrikate momentan deaktiviert sind, nicht nachvollziehen.

In zahlreichen Städten wird mit Blick auf die Abstellsituation der Scooter darauf verwiesen, dass die eigenen Steuerungsmöglichkeiten begrenzt seien. Es wird, wenn überhaupt, auf freiwillige Selbstverpflichtungen mit den Leihunternehmen gesetzt. Das ist zum Beispiel in Hamburg der Fall. Dort ist in diesem Vertrag unter anderem geregelt, dass die drei bisher in der Hansestadt aktiven Firmen im Innenstadtbereich jeweils maximal 1.000 E-Tretroller anbieten. Außerhalb dieses Gebietes existieren keine quantitativen Vorgaben. Außerdem ist vorgesehen, dass beim Abstellen der Kleinstfahrzeuge auf Gehwegen diese weiterhin auf einer Breite von mindestens 1,60 Meter nutzbar bleiben müssen. Des Weiteren hat die Verwaltung Flächen, sogenannte No-Parking-Zones, definiert, auf denen die Beendigung eines Leihvorgangs grundsätzlich verboten ist. Dies müssen die Anbieter mithilfe von Geo-Fencing verhindern. Derartige Bereiche existieren unter anderem im Stadtpark, rund ums Hamburger Kongresszentrum sowie an den Landungsbrücken im Hafengebiet.

Behörden dürfen Fahrzeuge entfernen Darüber hinaus sind die Verleihfirmen verpflichtet, E-Tretroller, die so abgestellt sind, dass dies nicht den gesetzlichen sowie den Vorgaben der Vereinbarung entspricht, innerhalb von 24 Stunden zu entfernen und gegebenenfalls zu einem Sammelort zu bringen, wo die Firmen die Fahrzeuge nur gegen Ersatz der angefallenen Kosten auslösen können. Auch heißt es in der freiwilligen Selbstverpflichtung: “In den Fällen, in denen die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt ist, sind die zuständigen Behörden jederzeit dazu berechtigt, E-Tretroller sofort aus dem Straßenraum zu entfernen.” Zahlen, wie oft dies bereits geschehen ist, gibt es jedoch nicht. Zudem sind die Firmen verpflichtet, “mindestens die E-Tretroller, die zur Vermietung zur Verfügung stehen, in Echtzeit zu überwachen”. Dies soll dazu dienen, “beschädigte oder nicht ordnungsgemäß abgestellte Fahrzeuge” schnellstmöglich von Flächen/Orten, an denen vom Anbieter keine Roller abgestellt werden dürfen, zu entfernen.

Maximal drei Fahrzeuge pro Standort Auch in München existiert eine freiwillige Selbstverpflichtungserklärung. Auch in ihr werden

E-Tretroller (Foto) werden von den Bürgern zunehmend genutzt. Das führt oftmals jedoch dazu, dass die Kleinstfahrzeuge überall im Stadtgebiet abgestellt werden. Das Problem dabei: Es existieren zwar Regelungen zu Abstellflächen. Diese sind aber in aller Regel nur in unverbindlichen freiwilligen Selbstverpflichtungen zwischen den einzelnen Städten und den Anbieterfirmen verankert. Foto: BS/Ivan Radic, CC BY 2.0, flickr.com

die Unternehmen in bestimmten Bereichen, unter anderem in Fußgängerzonen, zum Blockieren von Leihvorgängen mittels GeoFencing verpflichtet. Auch gibt es Mengenbeschränkungen in bestimmten Bereichen der bayerischen Landeshauptstadt. Des Weiteren werden die Anbieter verpflichtet, “maximal drei Fahrzeuge an einem Standort im Umkreis von 100 Metern aufzustellen.” Auch hier muss auf Gehwegen eine Mindestbreite von 1,60 Metern übrigbleiben. Zu Haltestellen des Öffentlichen Personennahverkehrs muss ein Mindestabstand von zehn Metern eingehalten werden. Komplett verboten ist das Abstellen von E-Tretrollern in Fußgängerzonen, in städtischen Grünanlagen sowie “vor Rampen von S- und U-Bahnabgängen”. Wie in Hamburg müssen auch in München Fahrzeuge, die nicht ordnungsgemäß abgestellt wurden, innerhalb eines Tages durch den jeweiligen Anbieter entfernt werden. E-Tretroller, die technische Mängel aufweisen, müssen von der Verleihfirma entweder unverzüglich wieder in einen verkehrssicheren Zustand versetzt oder aus dem öffentlichen Raum entfernt. Sofern ein Fahrzeug an einem Abstellort in München nicht genutzt wird oder nicht betriebsbereit ist, wird es “spätestens am vierten Tag der Nichtnutzung versetzt oder aus dem öffentlichen Raum entfernt”. Vorgeschrieben ist außerdem, dass jeder Anbieter gegenüber der Stadtverwaltung einen deutschsprachigen Ansprechpartner benennt und auf schriftliche Anfragen von Behörden binnen 24 Stunden reagiert. Im Falle des

Rückzugs aus dem Münchner Stadtgebiet sind die Anbieter zudem verpflichtet, “alle Fahrzeuge der eigenen Flotte unverzüglich aus dem Stadtgebiet zu entfernen”. Erfolgt die Entfernung trotz einmaliger Aufforderung seitens der Stadt nicht, kann sie die Fahrzeuge auf Kosten des Unternehmens entfernen lassen.

So kritisiert der Jenoptik-Produktmanager Michael Bonk: “Der Verfassungsgerichtshof hat in dem zu verhandelnden Fall eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren und eine wirksame Verteidigung festgestellt. Als eine Möglichkeit, um hier Abhilfe zu schaffen, wurde die Speicherung und Auslesung der Rohmessdaten gesehen.” Diese Daten seien jedoch bereits das Ergebnis des eigentlichen Messvorgangs, der aus zahlreichen Einzelschritten bestehe. Hinzu komme, dass sie allein noch keine Geschwindigkeitsberechnung erlaubten. “Ohne Kenntnis des im Messgerät zur Anwendung kommenden Algorithmus sind nur Plausibilitätseinschätzungen möglich. Die Rohmessdaten dokumentieren nicht die eigentliche Messhandlung, sondern das Messergebnis”, unterstreicht der Jenoptik-Vertreter.

Daten nicht vorhanden

Dr. Heiko Frohn, Technik-Geschäftsführer beim Unternehmen Vitronic, das ebenso wie Jenoptik Mitglied im Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik (BVST) ist, ergänzt: “Alle Unterschiedliche Zonen in analogen und zahlreiche digitale Köln Geschwindigkeitsmessverfahren Im entsprechenden Qualitäts- kennen keine Speicherung von Agreement der Stadt Köln ist Rohmessdaten. Das saarländisogar das Freihalten von Gehweg- sche Gericht fordert Daten, die breiten von mindestens zwei Me- nicht verfügbar sind.” Außerdem tern fixiert. Des Weiteren dürfen ließen die Richter den konkreten E-Scooter nicht in städtebaulich Lösungsweg für den verhandelsensiblen Bereichen abgestellt ten Einzelfall offen, bemängelt werden. Es existieren Zonen er. Sie kamen zu dem Ergebnis, des Stadtgebietes, in denen das dasss die derzeit von dem Gerät Ausbringen des Leihangebotes Traffstar S 350 gespeicherten unterschiedlich stark reglemen- Daten keine zuverlässige nachtiert ist. Dies geht sogar so weit, trägliche Kontrolle des Messerdass in einem Gebiet der Ver- gebnisses erlaubten. Eine solche leih von E-Tretrollern komplett sei ihrer Meinung nach aber bei untersagt ist. Dies gilt unter einer - ohne größeren Aufwand anderem für den Bereich rund technisch möglichen - Speicheum den Dom. Darüber hinaus rung der Rohmessdaten möglich. Frohn betont: “Geschwindigdürfen an einem Standort im Umkreis von 50 Metern maximal keitsmessgeräte werden in fünf Fahrzeuge vorhanden sein. Deutschland bereits sehr engIn Berlin sind nicht mehr als maschig und regelmäßig kontvier auf einer Stelle erlaubt. An- rolliert.” So würden sie einerseits sonsten handelt es sich um eine jedes Jahr von den jeweils zuantragspflichtige Sondernutzung ständigen Eichbehörden überöffentlichen Straßenlands. Kon­ prüft. Hinzu kämen Kon­trollen trolliert werden die Regelungen in im Wege der Marktaufsicht, soder Bundeshauptstadt von den fern es Meldungen zu möglichen bezirklichen Ordnungsämtern. Fehlern der Blitzer gebe oder All diesen Vereinbarungen ist sich die Gegebenheiten an der jedoch ein Problem immanent: Bei ihnen handelt es sich um freiwillige Selbstverpflichtungen. Strafen für Nichtbefolgung sind kaum oder überhaupt nicht vorgesehen.

Der Verfassungsgerichtshof im Saarland hat Geschwindigkeitsmessungen mit Geräten vom Typ Traffistar S 350 (Foto) für im Ordnungswidrigkeitenverfahren unverwertbar erklärt. Mit dieser Auffassung steht das Gericht deutschlandweit jedoch ziemlich allein. Folgen hat das Urteil dennoch: Alle Blitzer dieses Modells – und Geräte mehrerer anderer Hersteller – sind im Saarland derzeit außer Betrieb. Foto: BS/Jenoptik

Messstelle änderten, etwa nach Bauarbeiten. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig führt nicht nur sehr strenge Baumusterprüfungen für Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte durch. Die Hersteller müssen darüber hinaus das Prüfmuster des Geräts dauerhaft gemeinsam mit Unterlagen zum Quellcode der Software sowie zum Algorithmus der Messwertbildung und -zuordnung hinterlegen. “Jeder Verdacht, neue Störeinflüsse, die erst nachträglich nach erteilter Zulassung im Betrieb erstmals auftreten, könnten zu Fehlfunktionen führen, lässt sich durch die PTB anhand des hinterlegten Geräts prüfen”, so der VitronicVertreter. Die PTB sei gesetzlich verpflichtet, derartigen metrologischen Risiken nachzugehen und gegebenenfalls für Abhilfe zu sorgen.

PTB prüft Geräte äußerst genau Der BVST-Vorstandsvorsitzende Benno Schrief sagt: “Die PTB hat, was die Kontrolle und Prüfung von Verkehrssicherheitsanlagen angeht, weltweit die höchsten Standards.” Vor ihrer Zulassung durchliefen sie Zehntausende Tests und fielen bereits bei geringsten Abweichungen im Vergleich zur Referenzanlage durch. “Mehr Sicherheit geht nicht”, zeigt er sich überzeugt. Schrief konstatiert: “Alle

in Deutschland genutzten Geschwindigkeitsmessgeräte sind zugelassen und einwandfrei zu nutzen.” Frohn betont mit Blick auf das Saarbrücker Urteil: “Dabei handelt es sich um eine einzelne, abweichende Rechtsauffassung im Saarland.” Besonders pro­ blematisch sei, dass die Richter zwar einerseits die Messung als solche nicht infrage stellten und bestätigten, dass es sich um ein standardisiertes Messverfahren handele, ergänzt Bonk. Andererseits verlangten sie dennoch eine zuverlässige nachträgliche Kontrolle und zumindest eine grobe Plausibilisierung. “Dieser Widerspruch lässt sich kaum auflösen.” Hinzu komme, dass zahlreiche andere Gerichte – auch in anderen Bundesländern – diese Notwendigkeit nicht sähen. Zumal die PTB im Einzelfall auch eine sogenannte Befundprüfung durchführen könne. Dabei fände ein Abgleich des jeweils genutzten Blitzers mit einem Referenzgerät statt. Gegebenenfalls könne die Bundesanstalt sogar selbst Nachmessungen durchführen, erläutert der Jenoptik-Produktmanager. Aufgrund der derzeit herrschenden rechtlichen Unsicherheit habe sein Unternehmen bei der PTB auch noch kein SoftwareUpdate eingereicht. Zumal mit einer höchstrichterlichen Klärung der Streitfrage beim Bundesverfassungsgericht zu rechnen sei, wie Frohn erzählt.

Direkte Folgen: nein – Verunsicherung: ja Auswirkungen auf andere Bundesländer hat das saarländische Urteil – wie der Verfassungsgerichtshof selbst einräumt – derzeit nicht. In Baden-Württemberg hat das Verkehrsministerium die Mitarbeiter der Bußgeldstellen darüber informiert, dass der Richterspruch keine unmittelbare Geltung für ihre Arbeit entfalte. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte sei vielfach zu einem anderen Ergebnis als der saarländische Verfassungsgerichtshof gekommen. Es bestehe für die Bußgeldbehörden deshalb kein Anlass, von der bisherigen Praxis der Geschwindigkeitsüberwachung abzuweichen.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2019

Mehr Profil in Europa zeigen

KNAPP

Länder wollen bei Verwaltungsdigitalisierung engeren Austausch mit Brüssel (BS /Guido Gehrt) In rund elf Monaten – am 1. Juli 2020 – übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Die inhaltlichen Vorbereitungen laufen bereits an, wobei die Länder monieren, in diese durch den Bund nicht angemessen eingebunden zu sein. Auch bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung fühlen sich die Länder derzeit bei der Interaktion mit der EU noch nicht richtig eingebunden. Dabei ist das Interesse an den Aktivitäten der deutschen Länder in Brüssel durchaus groß, wie verschiedene Gespräche zeigten, die Bremens Finanzstaatsrat Henning Lühr, derzeit Vorsitzender des IT-Planungsrates, im Juli dort führte. So kam Lühr in Brüssel u. a. mit der EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Mariya Gabriel, sowie der Generaldirektorin der DG DIGIT (Generaldirektion Informatik der Europäischen Kommission), Gertrud Ingestad, zusammen. Dabei wurde im Wesentlichen über die Themen Cloud-Strategie, Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und des Single Digital Gateways (SDG) sowie die Qualifizierungsoffensive gesprochen. Die DIGIT ist innerhalb der EUKommission für die Bereitstellung digitaler Dienste zuständig, die andere Kommissionsdienststellen und EU-Institutionen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben unterstützen und die Zusammenarbeit der Behörden in den Mitgliedsstaaten fördern soll. Bei DIGIT läuft derzeit auch das ISA2-Programm, welches die Ent­ wicklung digitaler Lösungen u. a. auch für die öffentliche Verwaltung unterstützen soll. Im Fo­kus stehen dabei insbesondere grenzüberschreitende digitale Services. Bis Ende September soll eine Evaluation des Programms vorliegen und anschließend dem Europäischen Rat sowie dem Parlament zugeleitet werden.

Großes Interesse an föderaler Digitalisierung Der Empfang in Brüssel sei sehr herzlich gewesen, beschreibt Lühr die Atmosphäre des Besuchs gegenüber dem Behörden Spiegel. Zudem habe es ein großes Interesse am direkten Gespräch über die föderalen Herausforderungen der Digitalisierung Deutschlands in der Fläche gegeben, ergänzend zu der bestehenden Wahrnehmung der Vertretung der deutschen Interessen durch den Bund sowie durch die deutschen Vertreterinnen und Vertreter in EU-Ausschüssen und -Arbeitsgruppen

wie etwa dem Ausschuss für In­ ter­operabilitätslösungen für eu­r­ opä­is ­­ che öffentliche Verwaltun­ gen – kurz ISA-Ausschuss. Lühr war, nach eigenem Bekunden, dieser Besuch in Brüssel ein großes Anliegen, “da die Vielfalt und Bedeutung der Entschei­dun­gen in Brüssel auch im Bereich der Digitalisierung in den letzten Jahren stetig zugenommen hat und große Auswirkungen auf un­sere Aktivitäten hat, gleichwohl wir uns im IT-Planungsrat sehr stark auf unsere eigenen Themen konzentrieren”, so der Vorsitzende des Bund-Länder-Gremiums. Ihm gehe es insbesondere auch darum, die Position des IT-Planungsrates im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 zu verdeutlichen. Zwar habe der ITPlanungsrat gegenüber der Europaministerkonferenz (EMK) das Thema “Herausforderungen der Umsetzung der Digitalisierung in einer föderalen Struktur” angemeldet, “insgesamt betrachtet brauchen wir jedoch noch eine intensivere Abstimmung mit dem Bund hinsichtlich der weiteren fachlichen Themen und deren Priorisierung”, so Lühr. Grundsätzlich beteiligt der Bund die Länder an der Vorbereitung und Durchführung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Im März fasste die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hierzu einen Beschluss, der die EMK mit der Koordinierung des Länderbeitrags beauftragte. Diese hat bei allen Fachministerkonferenzen sowie dem IT-Planungsrat die relevanten Themen für die Planung des Präsidentschaftsprogramms abgefragt. Auf dieser Grundlage wurde dann durch den EMK-Vorsitz eine vorläufige Zusammenstellung von elf Themen vorgestellt. Im Ergebnis soll dann eine kompakte Aufstellung

Die Bedeutung der Europäischen Union hat im Bereich der Digitalisierung in den vergangenen Jahren zugenommen. Der IT-Planungsrat will darauf reagieren und seine Arbeit zukünftig stärker mit Brüssel vernetzen und dort sichtbarer in Erscheinung treten. Foto: BS / archmercigod, stock.adobe.com

von zehn bis zwölf Themengebieten stehen, die zunächst der MPK, dann der Bundesregierung und im weiteren Verlauf den EUInstitutionen zugehen soll. Die Themen der vorüber­gehenden Liste umfassen u. a. den Mehrjährigen Finanzplan, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Nachhaltigkeitsziele der UNO, aber auch das Thema Digitalisierung, zu dem sich u. a. Stichworte wie Cyber-Sicherheit oder E-Privacy finden.

Länder fordern mehr ­Beteiligungsmöglichkeiten Insgesamt fühlen sich die Länder aber bei der Planung der inhaltlichen Prioritäten und bei

den organisatorischen Vorbereitungen bislang nicht angemessen durch den Bund beteiligt, wie aus Länderkreisen zu hören ist. Das Auswärtige Amt, so ist zu hören, habe in informellen Austauschtreffen die Länder eher dürftig informiert und auf die weitere Information zu einem späteren Zeitpunkt vertröstet. Das nächste Treffen der Länder mit der Bundesseite werde voraussichtlich erst im Herbst stattfinden. Bei den Ländern bestehe daher die Befürchtung, dass die Planungen bis dahin im Wesentlichen abgeschlossen sein könnten, ohne dass die Anliegen der Länder entsprechend Berücksichtigung gefunden­

hät­ten. Um hier den Druck zu ­rhöhen, sind zu diesem Thee ma ein MPK-Beschluss und ggf. auch ein Bundesratsbeschluss geplant. Der Vorsitzende des IT-Planungsrates hat seinerseits auch schon die Initiative ergriffen. Staatsrat Henning Lühr hat den Mitgliedern des IT-Planungsrates schriftlich den Vorschlag unterbreitet, sich in der Herbstsitzung des Gremiums am 23. Oktober 2019 über die ersten Planungen von Bund und Ländern auszutauschen und diese Diskussion dann in der folgenden Frühjahrssitzung am 24. März 2020 weiter zu vertiefen. “Das Ziel sollte sein, dass Deutschland im Bereich der Digitalisierung mit einer Stimme spricht, die gleichermaßen aus den Tonlagen von Bundes- und Landesinteressen bestehen”, fordert Lühr. Im Herbst, nach der Bildung der neuen EU-Kommission, habe man auch mehr Informationen dazu, welche Schwerpunkte die neue Kommissarin oder der neue Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft in den kommenden Jahren setzen werde.

Sommersitzung des IT-Planungsrates in Brüssel? Um diese europäische Komponente der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung stärker zu betonen, schlägt Lühr vor, die Sommersitzung des IT-Planungsrates im Jahre 2020 in Brüssel abzuhalten. Kurz vor Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft am 1. Juli 2020 sei dies ein guter Zeitpunkt, um die Wahrnehmung des IT-Planungsrats als Vertreter der Länder- und Kommunalinteressen neben dem Bund bei wichtigen Entscheidungsträgern auf EUEbene zu verbessern.

BaWü zeichnet Digitalstrategien aus (BS/wim) Das Land BadenWürttemberg setzt die Förderung seiner Digitalkommunen fort. In der zweiten Runde des Wettbewerbs “Digitale Zukunftskommune” wurden nun neun kommunale Digitalisierungsstrategien im Land ausgezeichnet. Bei den Gewinnern handelt es sich um die Städte Herrenberg, Ravensburg, Winnenden, Stutensee, Schönau im Odenwald sowie den Zollernalbkreis, den Landkreis Tuttlingen, den Regionalverband Nordschwarzwald sowie den landkreisübergreifenden Zusammenschluss RegioENERGIE. Sie erhalten jeweils bis zu 100.000 Euro Fördermittel zur Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien, die sie im ersten Teil des Wettbewerbs bereits mit 45.000 Euro Förderung entwickelt hatten.

Zweite Förderphase für DWNRW-Hubs (BS/pet) Die “Hubs der digitalen Wirtschaft” (DWNRW-Hubs) in NRW sind in ihre zweite Förderphase eingetreten. Von bislang sechs geförderten Plattformen sind mit Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen und Münster fünf auch in der zweiten Phase vertreten und können bis 2022 mit weiteren Landesmitteln in Höhe von rund zehn Millionen Euro rechnen. Einzige Ausnahme bildet der Digital Hub Cologne, der kein neues Konzept eingereicht hatte. Um die Reichweite zu steigern, setzt man künftig auf eine Dreifachstrategie: Erstens soll es Veranstaltungen für ein optimales Matchmaking zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen geben, zweitens sollen verstärkt auch Kooperationen mit Unternehmen angestrengt werden, die zuvor noch nicht mit digital ausgerichteten Start-ups in Berührung gekommen sind. Und drittens soll der Schulterschluss zwischen den Universitäten und den Digital Hubs forciert werden.


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Behörden Spiegel / August 2019

Baden-Württemberg 4.0 F

ür die erfolgreiche Umsetzung des OZGs in Baden-Württemberg sei es, so Krebs, von zentraler Bedeutung, bei der Arbeit an den OZG-Themenfeldern nicht nur aus dem Land heraus zu arbeiten, sondern die Kommunen aktiv einzubeziehen. Diese Themenfelder waren im IT-Planungsrat definiert und anschließend so aufgeteilt worden, dass jedes der insgesamt 14 Felder federführend von einem Tandem aus einem Bundesministerium sowie einem oder mehreren Ländern koordiniert wird. So hat das Land Baden-Württemberg u. a. gemeinsam mit dem Land Hessen und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Federführung bei der Realisierung des Themenfeldes “Mobilität und Reisen” übernommen und steht nun mit seinen Kooperationspartnern vor der Aufgabe, einen digitalen Prototypen, digitale Bausteine für das Förderale Informationsmanagement (FIM) sowie konkrete Umsetzungspläne für die Nachnutzung durch die anderen Länder zu erarbeiten. Um die Digitalisierungsaufgaben des Landes “möglichst effizient und kooperativ umsetzen zu können, haben wir eine E-GovernmentVereinbarung zwischen Land und Kommunen abgeschlossen”, so Krebs. Um die Lösungen zudem möglichst einheitlich zu ge­stalten, habe man einerseits interdisziplinäre Teams aufgebaut, die an Standardisierungsprojekten arbeiten, und andererseits mit dem Portal “Service BW” bewusst schon frühzeitig eine behörden- und ebenenübergreifende Plattform für die gemeinsame Entwicklung aufgebaut: “Service BW ist die zentrale Drehscheibe für alle Akteure der Verwaltungsdigitalisierung bei uns im Land.

Ein Projekt für alle Ebenen CIO Krebs will Baden-Württembergs Kommunen beim OZG mit ins Boot holen (BS / Wim Orth / Dr. Eva-Charlotte Proll) Vor mehr als 400 Zuhörern eröffnete der Landes-CIO / CDO von Baden-Württemberg, Stefan Krebs, den Digitalisierungskongress Baden-Württemberg 4.0 in Stuttgart. Neben einem ersten Fazit zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) gab der Digitalisierungschef des Landes zudem einen Einblick in die Bemühungen des Landes, alle föderalen Ebenen proaktiv in die Arbeit mit einzubinden und gemeinsam für eine nachhaltige Sicherheit aller Systeme zu sorgen.

Landes-CIO/CDO Stefan Krebs will nicht nur endlich eine effiziente und sichere digitale Verwaltung aufbauen, sondern auch Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz frühzeitig angehen. Fotos: BS / Dombrowsky

Hier werden die entwickelten Lö­sungen zudem für alle Behörden in Baden-Württemberg zur Nachnutzung angeboten.” Die Lösun­ gen im Landesportal werden dabei laut dem CIO/CDO kostenfrei sowie auf die jeweilige Größe der Behörde skalierbar für alle Akteure der baden-württembergischen Verwaltungslandschaft angeboten. Zusätzlich fungiert das Portal als Vehikel für die im OZG geforderte portalübergreifende Umsetzung der insgesamt rund 575 zu digitalisierenden Verwaltungsdienstleistungen. Die Umsetzung des OZGs sieht das Land als Aufgabe, neben den

Zusammenspiel der Technik So sehr die Künstliche Intelligenz also als Schlüsseltechnologie der Zukunft genutzt werden soll, so braucht es eben auch die Software, die um die intelligenten Systeme herum programmiert wird, damit diese auch ihren Nutzen für Verwaltung und Gesellschaft entfalten können. An diesem Zusammenspiel der Technik wird nicht nur in Großprojekten von Bundespo-

Bürgerinnen und Bürgern auch die Verwaltungsmitarbeiterinen und -mitarbeiter miteinzubezie­ hen, damit die Nutzerorientie­ rung gewährleistet werde, betont­ e Dr. Katharina Große aus dem Ministerium für Inneres, Digita­lisierung und Migration BadenWürttemberg auf dem Kongress. Auch ITEOS als IT-Dienstleister, der das Land bei der OZG-­ Umsetzung begleitet, will die Umsetzung nachhaltig geOZG-­ stalten. Das bedeute, nach der Erarbeitung von Prototypen auch die technische Implementierung zu sichern und Fachverfahren sowie Register anschließen zu kön-

nen. Für alle von ITEOS betriebenen Fachverfahren sollten zudem Schnittstellen angeboten werden. Auch die Verwaltung müsse in die Lage versetzt werden, die Prozesse intern bearbeiten zu können und den Wandel anzustoßen. Die Priorisierung der Schnittstellen und Fachverfahren wird derzeit geplant.

Schlüsselthemen KI und ITSicherheit Auch die IT-Sicherheit ist im ­Südwesten ein wichtiges Kernthema. Daher habe man die Sicherheit zu einem festen Bestandteil der Landesstrategie “digital@bw”

JETZT VORMERKEN! Der nächste Kongress “Baden-Württemberg 4.0” findet am 2. Juli 2020 in Stuttgart statt. Weitere Informationen zur kommenden Veranstaltung finden Sie in Kürze im Behörden Spiegel und auf der Kongress-Homepage unter www.bw-4-0.de .

Die Sachbearbeiter von morgen

E

in Beispiel hierfür könne “eine Vorauswahl aus Bewerbungsunterlagen sein, die die Software vorab anhand klarer Leitlinien durchgehen kann, sodass der Mensch nur noch die relevanten Bewerber bearbeiten muss”. Aber nicht nur alltägliche Arbeiten könnten Künstliche Intelligenz und Machine Learning übernehmen, sondern auch tiefgreifende Analysen. So seien beispielsweise Deep Learning-Systeme, also optimierte KI-­ Netze mit einer Reihe von Zwischenlagen für komplexere Rechenmechanismen, dafür eingesetzt worden, die sogenann­ten “Panama Papers” auszuwerten, was durch Menschen ausgeführt wohl Monate gedauert hätte und ungleich fehleranfälliger gewe­ sen wäre. Ein weiteres Einsatzfeld sind polizeiliche Maßnahmen wie das sogenannte “Predictive Policing”, also der digital berechneten Wahrscheinlichkeit von Straftaten, oder der Erfassung ungewöhnlichen Verhaltens an Gefahren-Hotspots wie Flughäfen oder Bahnhöfen.

Bei der OZG-Umsetzung müsse man bei der Nutzerorientierung auch die Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung im Blick haben, so Dr. Katharina Große aus dem Digitalisierungsministerium Baden-Württemberg.

gemacht und in deren Rahmen eine Cyber-Sicherheitsstrategie für das Land ausgearbeitet, um mit den Angeboten die Daten von Bürgern und Unternehmen gleichermaßen zu schützen. “Deutschland ist inzwischen ­weltweit das Land, das am dritt­ häufigsten von Cyber-Angriffen betroffen ist. Daher ist eine nachhaltige IT-Sicherheit zum einen zwingende Voraussetzung für die digitale Verwaltung, zum anderen müssen wir aber auch auf die wachsende Bedrohung für KMU und Selbstständige reagieren”, so Krebs. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, binde man Wirtschaft und Wissenschaft in die Entwicklungen ein und habe zudem eine Kooperationsvereinbarung mit dem BSI-Verbindungsbüro in Stuttgart abgeschlossen. Durch eine zentrale Steuerung der Cyber-Sicherheitsaktivitäten aus dem Digitalisierungsministerium heraus soll außerdem gewährleistet werden, dass keine Kapazitäten durch Parallelprozesse oder sonstige Ressourcenverschwen-

Potenziale von KI und Co. zur Entlastung der Verwaltung nutzen (BS / wim) Die Verwaltung ist im Wandel und muss nicht nur aufgrund des fortschreitenden Demographischen Wandels neue Wege gehen, damit sie den immer komplexer werdenden Aufgaben der digitalen Welt weiterhin gerecht werden kann. Seit einiger Zeit rücken daher die Themen Machine Learning und Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend in den Fokus der Entwicklungsstrategen in Bund, Ländern und Kommunen. Jan Etscheid, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am von Prof. Dr. Jörn von Lucke geführten Open Government Institute an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, sieht die neue Technologie als geeignet an, dem Menschen auf fast allen Ebenen der Verwaltungsarbeit simple und repetitive Arbeiten komplett abzunehmen, während sie bei komplexeren Aufgabenstellungen zumindest Vorarbeiten übernehmen könne: “Wir müssen dafür sorgen, dass die KI dem Menschen dient und diesen bei der Arbeit aktiv unterstützt.” lizei und Journalistennetzwerken gearbeitet, sondern immer mehr auch im kleineren Rahmen in Kommunen, Kooperationsverbünden und sonstigen Einrichtungen der Behördenlandschaft.

Steuerchatbot im Einsatz In der Karlsruher Oberfinanzdirektion beispielsweise soll dem steigenden Arbeitspensum bei gleichzeitigschrumpfenderMitarbeiterzahl entgegengewirkt wer­den, indem man einen Chatbot entwickelt, der sich mit allen Themen rund um die Steuer auskennt und die komplizierte Materie für Bürger wie Unternehmen gleichermaßen möglichst kurz und verständlich erklären kann. Raimund Wagner, der Projektleiter für den Steuerchatbot bei der Karlsruher Behörde, unterscheidet dabei drei verschiedene Arten von Fragen: “Am einfachsten sind für den Bot die ganz allgemeinen Fragen. Auch Anfragen für den Status von Steuerangelegenheiten sind möglich, müssen allerdings für das Steuergeheimnis optimiert und mit sicherer Identitätsprüfung ausgestattet sein.

Für Jan Etscheid vom Open Government Institute an der ZU Friedrichshafen sind KI-gestütze Systeme ein wichtiges Instrument, den demographischen Wandel in der Verwaltung so gut wie möglich aufzufangen. Foto: BS / Dombrowsky

Ganz individuelle Anfragen sind hingegen kein Feld für den Chatbot, da es dort fachspezifischen Wissens bedarf, welches so heute für uns nicht digitalisierbar ist.” Um das auf Machine Learning basierende Angebot trotz seiner Limitierungen so gut wie möglich nutzbar zu machen, arbeitet ein festes Redaktionsteam als

Steuerexperten daran, die Inhalte zu strukturieren, das Angebot weiterzuentwickeln und den Bot zu trainieren. Da der Chatbot der Steuerdirektion erst vergangenen November als Pilotprojekt eingeführt wurde, sind diese Prozesse noch recht frisch. Daher arbeite man aktuell zudem einige Leitpunkte heraus,

dung unnötig blockiert werden. Zusätzlich arbeitet das Land in einem Pilotprojekt am Aufbau einer sogenannten “Cyberwehr”, die angegriffenen Unternehmen schnell und unkompliziert Hilfe bei digitalen Sicherheitsvorfällen bieten soll. Aktuell können rund 11.000 KMU in der Technologie­ region Karlsruhe auf dieses Angebot zugreifen, von denen man bislang in rund 60 Fällen helfen musste. Dabei ist das Angebot seit Februar dieses Jahres rund um die Uhr telefonisch unter der Hotline 0800-CYBERWEHR verfügbar. Zum Abschluss seiner Ausführungen forderte Krebs, die Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz (KI) als Chance zu begreifen. “Die Technik birgt natürlich auch Risiken, aber wir werden sie auch nicht ignorieren können. Daher müssen wir sehen, dass wir in eine Vorreiterrolle bei der KI kommen.” Zudem brauche es eine europäische Initiative, um gemeinsam eine starke Rolle im globalen Wettbewerb spielen zu können. ­ Das Land Baden-Württemberg selbst habe zur Erforschung der neuen Technologie ein Positionspapier erstellt, das die Künstliche Intelligenz als Schlüsselfaktor für die Digitalisierung definiert. Aus diesem Grund fördert das Land die Künstliche Intelligenz zusammen mit Fördergeldern aus dem Bund bereits mit insgesamt etwa 120 Millionen Euro.

was für einen langfristigen Erfolg der Lösung zentral ist, wie Wagner erklärt: „Wir haben uns bewusst für einen leisen Markteinstieg entschieden, um das Angebot erstmal Alltagstauglich zu machen. Für die Zukunft geht es nun vor allem darum, dass wir die Inhalte stets aktuell halten, die Doppelpflege von Inhalten vermeiden und stattdessen Verlinkungen nutzen. Diese Links müssen dann natürlich auch regelmäßig überprüft werden, damit keine Karteileichen entstehen.“ Weitere zentrale Punkte seien ein nachhaltiges System für Datenschutz und Informationssicherheit sowie die Erkenn­ tnis, dass nur die Nutzung durch echte Menschen dabei helfen, das System zu optimieren. Als zukünftige Erweiterun­ gen des Karlsruher Steuerchatbots wolle man nun daran gehen, Suchmaschinen- sowie Übersetzungsdienste und eine Sprachsoftware zu implementieren. Auch ein Authentifizierungsverfahren müsse eingerichtet werden, um den Bürgern auch die Möglichkeit zu geben, sensible Inhalte auf digitalem Wege über den Bot zu regeln.

Zukünftig solle man potentielle Anwendungsfälle für Lösungen auf KI- oder Machine LearningBasis in Assessment-Projekten vorab einfach mal durchspielen, statt wie bislang im Nachhinein auf Bedarfe zu reagieren, forderte Oliver Rack aus dem Referat des Heidelberger Oberbürgermeisters: “Die IT-Projekte der öffentlichen Verwaltung müssten eigentlich so gut sein, dass sie für andere Behörden oder sogar die Privatwirtschaft als Rollenmodell dienen könnten.” Das technische Wissensniveau der Privatkonzerne müsse man perspektivisch sowieso erreichen, da ein Staat laut dem Heidelberger mittelfristig nur noch begrenzt als regionales Gebilde und stattdessen mehr und mehr als funktionales Gebilde agieren müsse. Ein Problem bei der aktuellen Lage wäre zudem, dass die meisten beispielhaften Datenschutzmodelle auf staatlicher bzw. vergleichbar großer Ebene aus anderen Rechtsräumen mit ganz anderen Entscheidungskulturkreisen als dem Deutschen kämen. Statt sich bei solchen Lösungen von globalen Akteuren aus West oder Ost leiten und inspirieren zu lassen, solle man eher mit den europäischen Bündnispartnern zusammenarbeiten: “Man muss sehen, ob man möglichst europaweit eine gemeinsame Ebene für juristische Lösungen findet, denn manche rechtlichen Problemstellungen wird man zukünftig wohl oder übel europäisch angehen müssen”, so Rack abschließend.


Baden-Württemberg 4.0

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Einen Schritt nach dem anderen machen

System verteilter Führung

Verwaltung diskutierte neue Denkansätze für die Digitalisierung

Herrenbergs Bauhof setzt auf Selbstorganisation

(BS / wim) Das Geld ist da, die Strukturen werden immer besser, aber die wirklich spürbaren Ergebnisse bleiben weiter Mangelware. Dies ist nicht nur das Gefühl vieler Bürger, wenn sie an das Thema “Digitale Verwaltung” denken, sondern auch von vielen Akteuren im Inneren. Was sich an Strukturen und Denken wandeln muss, um endlich voranzukommen, wurde auf dem Kongress Baden-Württemberg 4.0 diskutiert.

(BS / gg) Die Kommunen in Baden-Württemberg führen derzeit eine Vielzahl von Maßnahmen durch, um die digitale Transformation der Verwaltung vor Ort voranzutreiben. Bei der Stadt Herrenberg etwa setzt man im Amt für Technik, Umwelt und Grün derzeit mit wissenschaftlicher Begleitung der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg im Rahmen der Forschungskooperation “Zukunftsfähige Stadtverwaltung Herrenberg” ein Drei-Phasen-Modell um, dass insbesondere auch die Selbstorganisation stärkt und Hierarchien abbaut.

Eine ganz “neue Art, Verwaltung zu denken”, forderte dabei Marian Schreier, Bürgermeister der Stadt Tengen. Der digitale Wandel müsse heute als eine ganz neue organisatorische Verantwortung begriffen werden: “Anstatt analoge Verfahren einfach eins zu eins ­digital aufzusetzen, müssen wir die Prozesse vom Antrag bis zum Fachverfahren durchdigitalisieren und bei der Erarbeitung dieser Prozesse auch die Privatwirtschaft einbinden.” So müssten die Projekte agil und mit projektorientierten Kooperationsmodellen aufgebaut werden. Zudem müssten Register in einen einheitlichen Datenstandard umgewandelt werden, damit sie jederzeit und auf allen Ebenen miteinander kommunizieren können. Für all diese Ziele brauche es mehr Experimentierfreudigkeit, so Schreier: “Es braucht Klauseln auch jenseits rechtlicher Vorschriften, um auch Lösungen in die Praxis zu bringen, die nur zu 70 oder 80 Prozent fertig sind und dann im laufenden Betrieb weiterentwickelt werden.”

Dezentral denken und arbeiten Auch Simon Blümcke, Erster Bürgermeister der Stadt Ravensburg, forderte einen neuen Ansatz weg von Ankündigungen und hin zu einer Kultur, die Taten sprechen lasse. Dafür solle man damit beginnen, einen klaren Plan auszuarbeiten, was man mit der Digitalisierung erreichen wolle: “Aktuell wird permanent versucht, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Es ist so, als hätte man keinen Plan in der Hand, aber wäre

Diskutierten mitunter kontrovers, aber immer im Sinne der Sache über die Digitalisierung in Deutschland und Baden-Württemberg: Simon Blümcke, Erster Bürgermeister der Stadt Ravensburg, Marian Schreier, Bürgermeister der Stadt Tengen, Stefan Krebs, CIO/CDO der Landesregierung Baden-Württemberg, Sabine Meigel, Leiterin Geschäftsstelle Digitale Agenda, Stadt Ulm, Guido Gehrt, Behörden Spiegel, Ralf Schneider, Vorstand des Software-Dienstleisters ISB, Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung Public Sector, msg systems, sowie Dr. Christine Brockmann, Geschäftsführerin der Metropolregion Rhein-Neckar (v.l.n.r.). Foto:BS / Dombrowsky

im Bad schon dabei, die Fliesen zu verlegen”, so Blümcke. Wichtig sei es auch, dass die digitalen Prozesse möglichst dezentral gedacht würden. Dies sei für die Verwaltungsstrukturen von Vorteil, eine dezentrale Datenverwaltung helfe aber auch bei der rechtskonformen Umsetzung der DatenschutzGrundverordnung (EU-DSGVO). Für eine dezentrale Arbeitsweise im Sinne von tiefgreifenden Kooperationsprojekten sprach sich auch Dr. Christine Brockmann, Geschäftsführerin der Metropolregion Rhein-Neckar, aus. Einzelne kommunale Projekte brächten im Normalfall wenig, um die Verwaltung als Ganzes voranzubringen. Stattdessen brauche es Kompetenzverbünde, die gemeinsam Projekte anstießen: “Hier in Baden-Württemberg haben wir Geld, Strukturen und

Expertise. Aber trotzdem kommen wir nicht bedeutend voran. Das muss sich ändern, und daran muss die Verwaltung ihren Anteil haben”, so Dr. Brockmann. Für Stefan Krebs, den CIO/CDO von Baden-Württemberg, sieht die Lage nicht ganz so ernst aus. Bei der Digitalisierung fördere man vonseiten des Landes aktuell 50 Kommunen für die Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien, die danach als Musterbeispiele in Netzwerken weitergegeben werden sollen, sodass auch andere Behörden davon profitieren könnten. Im Bereich des E-Governments sei es zudem so, dass viele Kommunen sich noch gegen digitale Prozesse wehren würden, so Krebs. Hier müsse man erst mal daran arbeiten, überhaupt für ein innovationsoffenes Klima zu sorgen, ehe man über das weitere Vorgehen nachdenken könne.

Agile Innovationen Geht die Digitalisierung nicht ohne Agilität? (BS / ecp) Kundenorientiert hat die Verwaltung schon immer gearbeitet, aber nicht so, wie agile Innovationen dies heute erfordern. Gerade bei der Digitalisierung soll vieles anders gemacht werden, seien es die Organisation und der Aufbau von Projekten, die Kommunikation in Teams oder das Mindset von Einzelnen sowie ganzen Institutionen. Einen Königsweg gibt es nicht. Dennoch zeichnet sich mit zunehmender Automatisierung, Vernetzung und Komplexität die verstärkte Nutzung agiler Methoden ab. Sie erlauben Anpassungsfähigkeit, kurze Reaktionszeiten und die verstärkte Einbindung des Kunden. Sie erfordern gleichzeitig Veränderungs­ willen, neue Kooperations- und Kommunikationsformen und ständiges Lernen. In der Privatwirtschaft ist vielfach Agilität das oberste Ziel. Wandlungsfähigkeit sichert den Vorsprung. Agile Unternehmen nehmen frühzeitig Veränderungen im Markt wahr, fördern ständige Lernkultur und messen der Zusammenarbeit mit den Kunden eine hohe Bedeutung bei. Durch die Wandlungsbedarfe wie Digitalisierung, Globalisierung und Wertewandel ist auch der Wunsch nach einer flexiblen Verwaltung groß. Für die Anwendung agiler Methoden bedeutet dies, dass sie ein Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung in Zeiten des demografischen Wandels sein können. Sie sollten bei einer Anwendung jedoch in das Selbstverständnis von Organisationen eingebettet werden und erfordern neue Kompetenzen. Limitierende Ressourcen sind derzeit vernetzende Kompetenzen in Behörden.

fen und Rückkopplungsprozesse zu Endnutzern werden kürzer, Änderungen können schneller durchgeführt werden. Der Prozess wird transparent. Zur effizienten Gestaltung von Projekten existieren einige agile Methoden, sei es Scrum (deutsche Übersetzung für “Gedränge” oder “Gedrängtes”) oder Design Thinking, die entgegen klassische Projektorganisationen neue Handlungsfähigkeit auf digitale Herausforderungen versprechen. Dabei kommt der Grundgedanke agiler Innovationen aus der ­Software-Entwicklung der 1980erund 1990er-Jahre, als diese aufgrund komplexer Umgebungen nicht von Anfang bis Ende präzise durchgeplant werden konnte. In kurzen Intervallen oder Itera-

tionen werden die nächsten unmittelbaren Schritte geplant. Insbesondere für Digitalisierungsvorhaben, bei denen das Umfeld komplex und die Strukturen anpassungsfähig sein sollten, eignen sich agile Arbeitsweisen. Vielfach mündet der Wunsch nach neuen flexiblen Arbeitsweisen in der Einrichtung sogenannter Hubs und Labs, die agile Vernetzungs- und Arbeitsräume ermöglichen, in denen Neues ausprobiert und pilotiert werden kann. Beim Ausprobieren mit agilen Methoden herrscht derzeit eine Aufbruchstimmung, bei der es weiterhin gilt, das Ziel und die Umsetzungsorientierung im Fokus zu behalten. Wie alle Methoden oder Vorgehensweise ist auch Agilität ein Weg zum Erfolg.

Flache Hierarchien – mehr Rückkopplung Eine ebenenübergreifende Zusammenarbeit quer zu den klassischen Strukturen ermöglicht Innovationen und kann neue Potenziale entfalten. Agilität hilft, mit flachen Hierarchien umzugehen und Projekte nicht top-down durchzuführen. Ein Mehrwert der Agilität ist es, Ideen aus der Gesellschaft nutzerorientiert mit einzubeziehen. Feedbackschlei-

Für Tobias Freitag, Experte für Agile Transformation beim Unternehmen bridgingIT, steht fest: keine Digitalisierung ohne Agilisierung. Foto: BS / Dombrowsky

Zu den Zielen dieses Vorhabens zählt in erster Linie das “Aufbrechen der Ämterdenke”, wie Prof. Dr. Claudia Schneider erklärte, die gemeinsam mit Prof. Dr. Birgit Schenk die Hochschule Ludwigsburg in diesem Projekt vertritt. Mitarbeiter und Führungskräfte sollen vernetzt, eigeninitiativ und eigenständig arbeiten. Die Chancen der Digitalisierung sollen dabei in allen Prozessen und Bereichen der Zusammenarbeit realisiert werden. Basierend auf einer Organisationsdiagnose, Strategieerarbeitung und Maßnahmenplanung wurden im Jahre 2017 in Phase I E-Services für zehn ausgewählte Geschäftsprozesse entwickelt. Phase II im vergangenen und in diesem Jahr stand dann ganz im Zeichen der Einführung der Selbst­organisation auf dem Bauhof der Stadt unter dem Claim “Digital.NewWorkTDH@Herren berg”. Dabei wurde ein System verteilter Führung etabliert, indem formale Führungsaufgaben auf die Mitarbeitenden im Kontext moderner, selbstorganisationsbasierter Arbeitsstrukturen und -prozesse verlagert wurde. Hierbei sollten die kreativen Potenziale und Ideen in den Köpfen

der Mitarbeiter erschlossen werden, um effektivere und effizientere Prozesse und Abläufe sowie mehr Bürgernähe zu erreichen. Zudem sollten neue Perspektiven der Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme durch Selbst­organisation eröffnet werden, was zu einer Verbesserung des Arbeitsklimas und der Motivation führen sollte. Ziel von Digi tal.NewWorkTDH@Herrenberg ist es zudem, moderne Formen der kollegialen Leistungsbewertung (New Pay) zu etablieren. Hierdurch will man für die Beschäftigten Entgeltperspektiven eröffnen, die im starren System des Öffentlichen Dienstes normalerweise nicht gegeben sind, insbesondere in den niedrigen Entgeltgruppen. Stefan Kraus, Leiter des Amtes für Technik, Umwelt und Grün der Stadt Herrenberg, zog ein positives Zwischenfazit. So sei etwa die Auftragsbearbeitung gegenüber dem Vorjahr deutlich gesteigert worden. Auch das Arbeitsklima habe sich weiter verbessert und das individuelle Bewusstsein für die eigene Verantwortung sei heute deutlich stärker ausgeprägt. Dies komme nicht zuletzt auch daher, dass

Prof. Dr. Birgit Schenk bringt in das Herrenberger Projekt ihre wissenschaftliche Expertise für konkrete Verbesserungen im behördlichen Alltag ein.

Foto: BS / Dombrowsky

man beim Bauhof nun mit einer rollierenden Führung (jeweils vier Wochen) arbeite. In der Phase II soll nun bis 2020 in der Verantwortung der Selbstorganisation ein Redesign der in Phase I entwickelten E-Services erfolgen. Die Geschäftsprozessoptimierung soll vorangetrieben werden und unter der Überschrift “Agile Organisation Herrenberg” die Ausweitung der Selbstorganisation auf weitere Bereiche des Amtes geprüft werden.

Digitale Labore im Wandel Gezieltes Experimentieren in interdisziplinären Teams (BS / wim) Während die Notwendigkeit für behörden- und unternehmensübergreifende Zusammenarbeit und ein damit zusammengehendes Aufbrechen von Silos immer noch nicht überall in der öffentlichen Verwaltung angekommen ist, werden einige Kooperationen bereits auf neue inhaltliche und organisatorische Stufe ge­ hoben. Neue Wege geht beispielsweise das Innovation Lab an der Deutschen Universität für Verwaltungs­ wissenschaften in Speyer. Im dortigen Labor versucht man ganz bewusst, Innovation auf neuen Wegen zu erzeugen, wie Prof. Dr. Hermann Hill, Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht, erklärt: “Für erfolgreiche Projekte braucht es Teams mit kreativen Leuten aus allen Bereichen, die auch andere Perspektiven mitbringen als die der Verwaltung. Dazu gehört unbedingt auch der Bürger, denn der soll die Angebote am Ende ja schließlich nutzen.” Wichtig sei für die Entwicklung kreativer Ideen vor allem auch eine “ergebnisoffene Ergebnisorientierung”. So solle man erst mal Ideen sammeln und so das Gehirn anregen, bis im unbewussten Teil des Gehirns gute Ideen produziert würden, so Hill. Mit dem sogenannten “Priming”, einer Technik aus der Gehirnforschung, können laut dem Professor kreative Prozesse im Hirn durch bewusste Reize aktiv angestoßen werden, die dann mithilfe von Assoziationen aus dem Gedächtnis zu einer neuen Idee führen könnten.

hätten und deren Umsetzung realistisch sei, müssten alle jungen Gründer ein sechswöchiges Projekttraining mit Abschlusspitch mitmachen, bevor sie das Angebot mitmachen können. Auf diese Weise habe man rund 4.200 Gründer in den letzten fünf Jahren unterstützt, von denen die meisten Unternehmen sich schnell selbst finanziell trügen.

Es darf nicht zu perfekt sein Für Ergebnisse, die von allen Seiten angenommen werden, plädiert Prof. Dr. Hermann Hill, Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, dafür, in Laborsituationen möglichst viele gesellschaftliche Perspektiven wie möglich zusammenzubringen. Foto: BS / Dombrowsky

welche Richtung es gehen solle. Stattdessen müsse man den Laboren von Anfang an Leitfragen mit auf den Weg geben, damit die aus der Arbeit entstehenden Ergebnisse die Firma oder Behörde auch voranbringen und Die grobe Richtung vorgeben man sich gleichzeitig von andeIn eine ähnliche Kerbe schlägt ren Häusern inhaltlich absetzen auch Ralf Schneider, Vorstand könne. Das CyberLab in Karlsbeim Software-Anbieter ISB AG ruhe arbeite seit fünf Jahren sowie des CyberForums e.V., das daran, Gründer mit einem Menein CyberLab als Accelerator-­ toring- und Coaching-Programm Programm für IT-Start-ups be- bei der Weiterentwicklung von treibt. So müsse man Kreativität Ideen zu unterstützen. Dafür zulassen, gleichzeitig aber müsse arbeite man aus dem Verband “Innovation bis zu einem gewis- des CyberForums heraus, der sen Grad geplant werden. Man bereits seit 1997 als Netzwerk muss zunächst eine grobe Rich- von IT-Unternehmen in der Techtung vorgeben, ehe man seine nologieregion Karlsruhe bestehe Leute einfach in alle Richtun- und rund 1.200 Mitglieder zähle, gen drauf los experimentieren mit 150 Mentoren aus der Unterund Geld verbrennen lässt.” Der nehmenspraxis sowie 250 sogegrößte Fehler vieler Häuser ist nannten “Business Angels”, also es in seinen Augen, dass häu- Investoren und Mentoren für die fig Labore eingerichtet würden, Start-up-Frühphase, zusammen. denen von den Häusern keine Um zu sehen, ob die Bewerber Richtung vorgegeben werde, in auch wirklich eine sinnvolle Idee

Trotz aller Euphorie für neueste Technik und modern gestaltete Räumlichkeiten müsse man neben einer sinnvollen Ausstattung auch darauf achten, dass die Labore nicht zu perfekt seien, warnt Jasmin Mertikat von dem Kreativlabor Tinkertank aus Ludwigsburg, das als Innova­tionspartner der digitalakademie@bw agiert: “Viele Labore sind so gut ausgestattet und sehen so schick aus, dass die Mitarbeiter sich gar nicht trauen, sie zu nutzen. Daher muss man bei Aufbau und Betrieb dafür sorgen, dass die Menschen keine Angst haben, sondern die Labore stattdessen als Werkzeuge wahrnehmen, die sie auch benutzen wollen.” In den von Tinkertank angebotenen Laboren werden laut Mertikat Themen bearbeitet, die Kommunen bewegen. Dabei werde zu Beginn einer Laborsession ein gemeinsames Brainstorming betrieben, um diese Problemstellungen herauszufinden und mögliche Lösungswege zu definieren. Anschließend werde mit analogen und digitalen Tools experimentiert und im Laufe jedes Labors am Ende ein Prototyp für eine Lösung gebaut, um nicht nur theoretische Ideen mit aus der Arbeit zu nehmen, sondern ein konkretes Ergebnis zu gewinnen, das man anschließend potenziell nutzen oder optimieren könne.


Digitale Verwaltung RLP

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Die Nutzer im Fokus

OZG in der Praxis

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ie Umsetzung des OZG ist bundesweit und damit auch in Rheinland-Pfalz eines der bedeutsamsten und umfangreichsten Vorhaben der Verwaltungsdigitalisierung. Bis 2022 sollen Bund, Länder und Kommunen alle Verwaltungsleistungen mitsamt ihren speziellen Ausprägungen digital über Verwaltungsportale anbieten und ihre Portale zu einem interoperablen Verbund verknüpfen. Hierzu wurden insgesamt rund 4.300 Verwaltungsleistungen identifiziert, die in 575 OZG-Leistungen gebündelt und wiederum 14 Themenfeldern zugeordnet wurden (z. B. Bauen & Wohnen, Familie & Kind oder Umwelt). Es liegt auf der Hand, dass dieses ambitionierte Ziel der Umsetzung bis 2022 nur durch eine Kooperation aller föderalen Ebenen gelingen kann. Aus diesem Grund erfolgt die Analyse, Planung und Umsetzung der Digitalisierung der Leistungen in den Themenfeldern arbeitsteilig, wobei je Themenfeld stets ein Bundesressort und ein oder mehrere Bundesländer die Federführung übernommen haben. Besonders wichtige Leistungen werden dabei parallel zur Planungsphase in sogenannten

Behörden Spiegel / August 2019

Laboranten der Digitalisierung in Rheinland-Pfalz (BS / Randolf Stich*) Die Digitalisierung ist neben der Globalisierung die größte Chance und zugleich Herausforderung der aktuellen Zeit und betrifft alle Lebensbereiche. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Chancen der Digitalisierung aufzugreifen und eine umfassende Digitalisierungsstrategie entwickelt – für ein modernes, vernetztes Rheinland-Pfalz. Dabei stehen für die Landesregierung die Menschen und Unternehmen des Landes im Mittelpunkt. Insbesondere bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) wird deutlich, welche umfassenden Veränderungsprozesse dies insbesondere auch für die Verwaltung bedeutet. Ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen unter Verwendung agiler und interaktiver Methoden realisiert wird, zeigt hierbei das Themenfeld Umwelt, welches derzeit im Rahmen des Digitalisierungsprogramms federführendend durch die Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sowie den Bund bearbeitet wird. Digitalisierungslaboren für die Implementierung vorbereitet. Das Instrument “Digitalisierungslabor” ist ein Format für kooperative Beschreibung und Aufbau eines Verwaltungsprozesses. Ein Hauptaugenmerk liegt hierbei auf einer möglichst nutzerfreundlichen Lösung, weshalb neben der Fachseite, E-Government-Experten und Designern vor allem auch die Vertreter der relevanten Nutzergruppen eingebunden werden.

Digitalisierungslabore im Themenfeld Umwelt Wie man nun in kurzer Zeit einen digitalen Antrag und die zugehörigen Bausteine (Leistungsbeschreibungen, definierte Datenfelder und Prozesse) entwickeln kann, zeigen die Digitalisierungslabore im Themenfeld Umwelt. In diesem Themenfeld befassen sich der Bund (BMU), die feder-

führenden Länder SchleswigHolstein und Rheinland-Pfalz sowie die Länder Bayern und Hessen mit der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen in den Lebens­lagen Abfall & Umweltschutz ­sowie Anlagen & Stoffe. In einem ersten Schritt wurde zunächst der Status quo ermittelt. Als Vorbereitung für die Arbeiten im Themenfeld wurden die dazugehörigen Leistungen betrachtet, Zusammenhänge identifiziert und eine Landkarte der bestehenden Online-Services erstellt. Im zweiten Schritt wurden die Potenziale für die Digitalisierung herausgearbeitet. Beispielsweise welche Antragsverfahren sich harmonisieren oder zusammenfassen lassen, welchen Nutzen die Zielgruppen – im Themenfeld Umwelt vor allem Unternehmen – dabei haben oder bei welchen

Leistungen der Gewinn durch Digitalisierung am größten wäre, weil es beispielsweise viele potenzielle Nutzer gibt und bisher kaum Online-Services zur Verfügung stehen. Auf Basis dieser Beobachtungen erfolgte anschließend eine Priorisierung der Leistungen. Im nächsten Schritt werden nun die prioritären Leistungen sukzessive in Digitalisierungslaboren bearbeitet. Von den insgesamt 54 Leistungsbündeln im Themenfeld Umwelt wurden hierbei zunächst die beiden Leistungen “Anlagenbetrieb und -prüfung” sowie “Inbetriebnahme und Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern” für die Betrachtung im Digitalisierungslabor ausgewählt. Bezüglich der Leistung “Anlagenbetrieb und -prüfung” waren als Vertreter der Nutzergruppen beispielsweise Mitarbeiter

von Messinstituten und Indus­ trievertreter, die für die Sicherheit in den industriellen Anlagen und die Abstimmung mit den Messin­ s­tituten vor Ort zuständig sind, im Digitalisierungslabor vertreten. Hierbei wurden die aktuellen Antrags- bzw. Berichtsverfahren aus Nutzerperspektive analysiert. Zentrale Fragestellungen waren beispielsweise, wie die Nutzer den aktuellen Prozess wahrnehmen, welche Interaktionsmöglichkeiten die Nutzer mit der öffentlichen Verwaltung haben, welche Standards und Verfahren die Verwaltung derzeit anbietet oder an welchen Punkten es aus Nutzer- und Verwaltungssicht noch Verbesserungsbedarf gibt. Diese und mehr Fragen beantwortete der sogenannte Design-Thinking-Workshop. Mit interaktiven Workshop-Methoden wurde dort ein neuer Soll-Prozess entwickelt – zunächst als einfache Skizze auf Papier.

Ausblick

Smart City Kaiserslautern Kommune wird digitale Stadt und 5G-Modellregion (BS / gg) “Die zukünftige 5G-Modellregion und die Förderung der Smart City sind eine Riesenchance für Rheinland-Pfalz, Kaiserslautern und die gesamte Westpfalz. Das Land wird die Stadt und die Region unterstützen, die Projekte umzusetzen, dazu wollen wir die Aktivitäten am Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort mit der Konversion intelligent vernetzen und bündeln”, sagte Staatssekretärin Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes beim Bund und für Europa, Medien und Digitales in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, anlässlich ihres Besuches im #DigitalSummer. Raab begrüßte gegenüber den Vertretern der Stadt Kaiserslautern und der KL.digital GmbH den Projektfortschritt bei der Umsetzung des Digitalpakts Schule und des “Interkommunalen Netzwerks Digitale Stadt”. Die “herzlich digitale Stadt Kaiserslautern” sei Vorreiter in Rheinland-Pfalz, so die Staatssekretärin. “Durch die Zusammenarbeit im Interkommunalen Netzwerk werden andere Städte in Rheinland-Pfalz profitieren. Die Idee ist: Was hier erprobt wird, kann woanders gleich eingesetzt werden”, so ­Raab. Ähnlich sei man auch mit der Modellregion E-Government vor einigen Jahren verfahren. Ziel sei immer der landesweite Rollout. Dazu passe hervorragend, dass auch das Bundesinnenmi-

nisterium die Stadt als SmartCity-Modellstandort fördere.

Von Smart Farming bis Smart Factory Ein Alleinstellungsmerkmal der Region ist die Digitalisierung im Smart Farming und der indus­ triellen Produktion wie der Smart Factory. Bei der Robot Makers GmbH wurde der Digitalstaatssekretärin unter anderem eine autonom fahrende Weinbergsraupe demonstriert. Im #DigitalSummer besuchte Heike Raab unter dem Motto “Digitale Innovationen – gesellschaftlicher Fortschritt” unter anderem das “Center for Informatics Research and Technology” an der Universität Trier und das Unternehmen Mosel-

copter. Zudem sprach sie mit Prof. Dr. Ulrich Reimers vom Ins­titut für Nachrichtentechnik der TU-Braunschweig über 5GBroadcast und informierte sich

Gemeinsam mit Kaiserslauterns Oberbürgermeister Dr. Klaus Weichel (Zweiter von links) informierte sich Staatssekretärin Heike Raab über den Planungsstand der 5G-Modellregion Kaiserslautern. Foto: BS / Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

in Mainz bei ZDF-Digital über digitale Innovationen im Medienbereich. Am 19. August wird die Staatssekretärin zur Rastal GmbH nach Höhr-Grenzhausen reisen, um mehr über das digitale Trinkglas zu erfahren. Außerdem wird im Anschluss in Koblenz ein Besuch im Kompetenzzentrum Digitales Handwerk der Handwerkskammer Koblenz stattfinden. Die Digitalisierung der Kommunen und des ländlichen Raumes ist auch eines der Kernthemen des Kongresses “Digitale Verwaltung RLP”, den der Behörden Spiegel mit zahlreichen Partnern am 29. August in Mainz veranstaltet. Weitere Informationen unter www.dv-rlp.de

Der daraus entwickelte digitale Prototyp (“Klick-Dummy”) wird im Folgenden durch eine kurzfristig umzusetzende Minimalversion ergänzt. Zuletzt durchlaufen die Ergebnisse des Labors noch verschiedene Schritte der Quali­ tätssicherung bei der Bundesre­ daktion, die den Katalog aller Verwaltungsleistungen pflegt, und bei den fachlich Zuständigen im Bundesministerium und bei ­Arbeitsgruppen, die die korrekte Beschreibung von Verwaltungsprozessen beaufsichtigen. Die Ergebnisse des Digitalisierungslabors bereiten dann den Weg für die tatsächliche Digitalisierung der Verwaltungsleistung. Einerseits werden die drei FIMBausteine der digitalen Verwaltungsleistung bereitgestellt, also eine nutzerfreundliche Leistungsbeschreibung, eine rechtssichere und verständliche Liste aller in der Antragsstellung benötigen Daten sowie den aus Nutzersicht beschriebenen Antragsprozess (inkl. Bearbeitungsschritten in der Verwaltung und Datenbankschnittstellen). Andererseits ma-

chen ein digitaler Prototyp des Antrags sowie ein Umsetzungsplan das Vorhaben greifbar und bilden eine solide Basis für die bundesweite Implementierung der neuen Verfahren. Bis es letztendlich zu einem produktiven Online-Antrag kommt, müssen allerdings noch einige kritische Weichen gestellt werden. Das Digitalisierungsprogramm gibt derzeit keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wer für die Implementierung und die Produktivsetzung der entwickelten Ergebnisse verantwortlich ist und wer sie finanziert. Zurzeit schließen sich in der Regel die beteiligten Stellen mit weiteren Interessenten zusammen, um Fragen der Finanzierung, der technischen Implementierung und der Steuerung gemeinsam zu klären. Diese Form der Nachnutzung bedarf dringend der bundesweiten Standardisierung.

Fazit Die Arbeit in den Digitalisierungslaboren bei der OZG-Umsetzung bringt viele entscheidende Vorteile mit sich. Durch die frühe Einbeziehung der Nutzer selbst ist sichergestellt, dass der Antragsprozess grundsätzlich nutzerorientiert gestaltet wird. Die inten­ sive, angeleitete Zusammenarbeit in Laboratmosphäre führt sehr schnell zu ersten Ergebnissen. Innerhalb von nur wenigen Stunden erhält man auf Papier skizziert einen ersten Antragsprozess, aus dem dann innerhalb weniger Tage ein Klick-Dummy entsteht. Im Rahmen der länderübergreifenden Zusammenarbeit werden Differenzen bei den Antragsprozessen und deren rechtlichen Grundlagen schnell identifiziert. Das kann beispielsweise Vorgaben zur Schriftformerfordernis, zu notwendigen Fristen und Anlagen oder zu den antragsstellenden oder berichtenden Personen betreffen. Der Referenzprozess bildet dabei als Soll-Prozess bereits eine harmonisierte Antragsstellung ab. Die Arbeit in den Digitalisierungs­ laboren war aus Sicht des Landes Rheinland-Pfalz erfolgreich. Bei der landesweiten Umsetzung des OZG in der Behördenlandschaft von Rheinland-Pfalz wird dieses Konzept daher auch im kommunalen Bereich aufgegriffen und angewendet. *Staatssekretär Randolf Stich, Ministerium für Inneres und Sport Rheinland-Pfalz, ist IT-­ Beauftragter der Landesregierung und Schirmherr des Kongresses “Digitale Verwaltung RLP”.


Behörden Spiegel / August 2019

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ehörden Spiegel: Die FITKO ist schon sehr lange Thema im IT-Planungsrat. Es hat relativ lange gedauert, bis der Aufbaustab installiert wurde und man ist auch nicht so schnell, was die Gründung der AöR angeht, wie man eigentlich sein wollte. Warum?

Informationstechnologie

Arbeiten am Unterbau

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zu schaffen. Dieses sollte zwar keine Stimm- oder Entscheidungsbefugnis im Zuge der ITPlanungsrats-Aktivitäten haben, aber zumindest ein Forum bieten, um gerade die Anforderungen (BS) Zu Beginn des kommenden Jahres soll die Föderale IT-Kooperation – kurz FITKO – als Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) gegründet werden und aus dem kommunalen Bereich zu ihre Arbeit als operativer Unterbau des IT-Planungsrates aufnehmen und sukzessive ausbauen. Die wichtigen Vorbereitungsarbeiten hierfür leistet adressieren. Umgekehrt sollten derzeit insbesondere der Aufbaustab FITKO, der bereits am Standort Frankfurt / Main etabliert ist. Über dessen Arbeit, aber auch die zukünftige dem IT-Planungsrat und auch der FITKO die Möglichkeit geDr. Schmidt: Der IT-Planungs- FITKO, sprach Behörden Spiegel-Redakteur Guido Gehrt mit der Leiterin des Aufbaustabes, Dr. Annette Schmidt. geben werden, Informationen rat, den es nun seit 2010 gibt, Behörden Spiegel: Wie sollen nalen Bereich nicht bis ins letzte oder wichtige Entscheidungen hat bislang mehrere Geschäfts- Umsetzung über­nehmen soll, die Kommunen in die Arbeit der Glied ankommen und umgekehrt entsprechend in dieses Gremium und Koordinierungsstellen, um entsprechend hoch ist. FITKO eingebunden werden? auch Anforderungen aus dem zu transportieren. die Anwendungen wie z. B. die Behördennummer 115 oder das Wir haben das Thema auf dem kommunalen Bereich nicht entBehörden Spiegel: Welche Aufzentrale Datenportal GovData zu gaben hat der Aufbaustab bis Dr. Schmidt: Wir haben uns sprechend beim IT-Planungsrat Fachkongress des IT-Planungsbetreuen. Diese Stellen agieren zum Übergang in die AöR schwerrates 2018 ersthierzu natürlich im Rahmen weitgehend unabhängig, was ein punktmäßig zu leisten? der konzeptionellen Phase zur “Deswegen war die Idee, zusätzlich mals adressiert. hohes Maß an Koordinierung der Zwischenzeitlich Gründung der FITKO Gedanken noch ein ­Kommunalgremium verschiedenen Einheiten erforDr. Schmidt: Die Kernaufgabe gemacht. Die kommunalen Spithaben wir mit den zu schaffen.” zenverbände sind auf politischer kommunalen Spitdert. Hier ist man relativ schnell des Aufbaustabes ist die GrünEbene im IT-Planungsrat ver­ zenverbänden und zu der Erkenntnis gelangt, diesen dung der AöR, von den VorbeUnterbau des IT-Planungsrates reitungen für die Änderungen treten, allerdings ohne Stimm- oder zukünftig bei der FITKO der VITAKO einen Vorschlag erarbeitet, der dem IT-Planungsrat organisatorisch anders aufzu- des IT-Staatsvertrages bis zur recht. Es wird immer wieder Gehör finden. stellen. Die AöR war bei diesen Begleitung auch des Ratifizie- Dr. Annette Schmidt, Leiterin des Auf- beklagt, dass zum einen die Deswegen war die Idee, zusätz- im Oktober 2019 vorgestellt werÜberlegungen zunächst nur ei- rungsprozesses in den Ländern baustabs FITKO, hat langjährige Erfah- Informationen in den kommu- lich noch ein Kommunalgremium den soll. rungen im Bereich Verwaltungsdigitanes von vielen Modellen. Letztlich und beim Bund. war der Ansatz, eine Anstalt des Zudem arbeiten wir an der zu- lisierung. So war sie u. a. Leiterin der öffentlichen Rechts in der Trä- künftigen Organisationsstruktur, Stabsstelle des damaligen hessischen gerschaft des Bundes und aller um uns so aufzustellen, dass wir CIOs Dr. Thomas Schäfer. Foto: BS / FITKO Länder zu etablieren, aber die ein schlagkräftiges Team bilden. einzige Möglichkeit, alle Akteu- Die FITKO soll rein fachlich arbei- Projektmanagement, aber auch Schleswig-Holstein und Hamburg stellen neue Portale vor re gleichermaßen zu beteiligen. ten, ohne eigenen Verwaltungsbe- mit dem Bereich Kommunikation Die Diskussion um den Grün- reich. Dies bedeutet, dass wir alle und Öffentlichkeitsarbeit. (BS / Wim Orth) In Schleswig-Holstein sowie der Freien und Hansestadt Hamburg gibt es neue Portallösundungsprozess, insbesondere die notwendigen Verwaltungsleistungen für die Arbeit mit offenen Daten. Auf dem “Open Data Portal Schleswig-Holstein” sind ab sofort mehr finanziellen Auswirkungen, hat gen beim Land Hessen einkaufen Behörden Spiegel: Wenn die als 7.000 Datensätze aus dem gesamten Bundesland verfügbar. Bei diesen handelt es sich nicht nur um das dann in der Tat sehr viel Zeit in werden. Hierzu sind mit zahlrei- AöR dann etabliert ist, soll die Open-Data-Kernthema der Geodaten, sondern auch um Informationen über den Landeshaushalt oder die Anspruch genommen. Im Jahre chen Dienststellen der Landesver- Zahl der Stellen dann auf rund Luftqualität im Land. Zudem werden Statistiken zur Verfügung gestellt, die u. a. die Bearbeitungsdauer von Elterngeldanträgen erfassen. In Hamburg baut der Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung (LGV) bei 2016 waren wir schon sehr weit, waltung entsprechende Verein- 40 aufwachsen? seinem Angebot für die Bereitstellung von Daten ganz auf die Bündelung von Synergien. So wurde dort eine doch dann gab es im Zusammen- barungen erforderlich. Natürlich hang mit der Entscheidung für bereiten wir derzeit auch schon Dr. Schmidt: Richtig. Kon- Kooperation mit dem IT-Dienstleister Dataport vereinbart, auf deren Basis die LGV-Datenplattform “Urban Data das Digitalisierungsbudget die die Übernahme der Geschäfts- und kret geht es um insgesamt 44 Platform” mit der Digitalisierungsplattform “Online-Service-Infrastruktur” (OSI) von Dataport verbunden wird. Überlegung, mit der Gründung Koordinierungsstellen vor, die in Stellen, von denen 36 Stellen in einem gestaffelten Prozess aus Ziel der Hamburger Kooperati- Plattformen sollen zukünftig größten Open-Data-Portal unvon FITKO zu “Wir hoffen, dass bis zum 30. Sepwarten, bis man den bisherigen Geschäfts- und on ist es, durch die Verbindung gemeinsam im Rechenzentrum ter allen Bundesländern aktuell Klarheit hat, wie tember alle Ratifizierungsurkunden Koordinierungsstellen kommen beider Open-Data-Plattformen von Dataport betrieben werden. rund ein Viertel aller Daten zur Verfügung stellt. es mit dem Digiwerden. Zum 30. Juni 2020 er- die Daten und Dienstleistunvorliegen, damit die Gründung der folgt gemäß den Festlegungen gen der Verwaltung stärker zu Transparenz und talisierungsbudAöR planmäßig zum 1. Januar 2020 im IT-Änderungsstaatsvertrag bündeln und gleichzeitig Daten Effizienz in SH get weitergeht. Dieser politische die Übernahme der Geschäfts- und Dienste weiterer Partner aus In Schleswig-Holstein sollen erfolgen kann.” Entscheidungsstelle des IT-Planungsrates. Auf- dem Trägerkreis von Dataport sämtliche Daten zukünftig in prozess hat dann noch mal zwei den Jahren 2020 bis Ende 2021 grund der zentralen Bedeutung zu ergänzen. Die Bündelung der einer standardisierten Form des Föderalen Informationsma- Daten, zum Beispiel aus den Be- angeboten werden und für jede Jahre gedauert. Erst anschlie- vollzogen werden sollen. ßend konnte man die Gründung Das Land Hessen hat sich nagements (FIM) für die Umset- reichen Mobilität, Umwelt, Bauen Person kostenfrei nutzbar sein. von FITKO tatsächlich in Angriff zudem bereit erklärt, vor dem zung des Onlinezugangsgesetzes oder Bildung, soll zudem dabei Für Digitalisierungsminister Jan nehmen. Hierzu war eine Än- Hintergrund der zusätzlichen (OZG) erfolgt zudem – gemäß helfen, neue Dienste und An- Philipp Albrecht ein wichtiger derung des IT-Staatsvertrags Aufgaben, die über den Aufbau Beschlusslage des IT-Planungs- wendungen zu schaffen, die für Schritt, denn der “freie Zugang zu erforderlich, die Mitte März vom der Organisation an uns heran- rats – die vorzeitige Übernahme Unternehmen und Bürger von Daten der öffentlichen Hand ist ein Kernmerkmal digitalisierter Bund und den Ländern unter- getragen worden sind, dem Auf- der Geschäftsstelle FIM zum hohem Nutzen sind. Die Urban Data Platform ist eine und transparenter Verwaltung”. zeichnet wurde. Nun muss der baustab weitere zehn Stellen zur 1. Januar 2020. Zusätzlich zu den 36 bestehen- vom LGV entwickelte Datenplatt- Vor allem die Transparenz der Staatsvertrag noch im parlamen- Verfügung zu stellen, sodass wir tarischen Verfahren durch alle aktuell mit insgesamt 14 Leuten den Stellen haben wir noch acht form für Hamburg, auf der Daten Verwaltung hob Albrecht noch 17 Parlamente ratifiziert werden. in der FITKO arbeiten. Stellen für strategische Aufga- unterschiedlicher Behörden und einmal besonders hervor, denn Der Norden setzt auf Open Data. Während Diese zehn Personen, die wir on ben bekommen, damit sich die Fachbereiche gesammelt und in- dies helfe dem Bürger, Entschei- in Schleswig-Holstein ab sofort mehr als Wir hoffen, dass bis zum 30. Sep­tember alle Ratifizierungs- top bekommen haben, befassen FITKO auch um die Themen fö- teroperabel bereitgestellt werden. dungen besser nachvollziehen 7.000 Datensätze aus Landesverwaltung und Kommunen als freie Daten für jeurkunden vorliegen, damit die sich einerseits mit den Themen derale IT-Strategie und föderale Die Online-Service-Infrastruktur und überprüfen zu können. Gründung der AöR planmäßig Föderales Informationsmanage- IT-Architektur kümmern kann. (OSI) von Dataport ist eine DigiDie Daten aus dem neuen Por- dermann einzusehen und zu verwenden zum 1. Januar 2020 erfolgen ment (FIM) sowie, gemeinsam Für das Digitalisierungsbudget, talisierungsplattform, über die tal stammen dabei aus beiden sind, legt der Hamburger Landesbetrieb kann. Ich bin aber zuversicht- mit dem BMI, mit der OZG-Ko­ welches wir für die Jahre 2020 Unternehmen und Bürger auf föderalen Ebenen des Landes. Geoinformation und Vermessung sein Anlich, dass dies gelingen wird, da ordinierung. Darüber hinaus be- bis 2022 auch verwalten wer- Online-Dienste der Verwaltung Über das Portal werden sämtliche gebot mit dem IT-Dienstleister Dataport der Druck vor dem Hintergrund fassen wir uns mit den Themen den, werden wir zusätzlich noch zugreifen können, wie zum Bei- Daten zudem in das Bundespor- zusammen, um Synergien zu bündeln. der Aufgaben, die FITKO bei der föderalen IT-Architektur mit einige bis 2022 befristete Stellen spiel auf den Service “Einfache tal “GovData” eigespeist, wo man Foto: BS / Torsten Behrens, CC BY 2.0, Melderegisterauskunft”. Beide mit dem laut Landesangaben der Kommunikation der OZG- Standards für das Produkt- und ausschreiben können. flickr.com

Aufbaustab FITKO bereitet Gründung der AöR im kommenden Jahr vor

Open-Data-Offensive im Norden


Informationstechnologie

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ehörden Spiegel: Warum braucht München eine eigene kommunale Inhouse-Beratungsgesellschaft? Bönig: Der Stadt München fehlte bereits im Jahr 2015 für dringende und wichtige Aufgaben in der IT und Digitalisierung eine größere Anzahl an IT-Spezialistinnen und -Spezialisten. Diese Aufgaben wurden daher in größerem Umfang durch externe Beraterinnen und -Berater abgedeckt, was auf Dauer strategisch und kostenmäßig unvorteilhaft für die Landeshauptstadt München war bzw. ist. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine eigene Beratungsgesellschaft zu gründen und diese am IT-Referat anzusiedeln. Behörden Spiegel: Wo liegen die größten Vorteile?

Behörden Spiegel / August 2019

Landeshauptstadt München baut eigene IT-Beratungskompetenz auf (BS) Die Landeshauptstadt München hat vor Kurzem eine eigene IT-Beratungsgesellschaft gegründet: die digital@M GmbH. Thomas Bönig, ITReferent und Chief Digital Officer (CDO) der Landeshauptstadt, ist nun gleichzeitig Geschäftsführer des neuen kommunalen Unternehmens. Mit ihm sprach der Behörden Spiegel u. a. über die Motivation für die Gründung von digital@M, die zu erwartenden Vorteile und die Zielsetzungen der neuen Beratungsgesellschaft. Das Interview führte Guido Gehrt. Langwierige Abstimmungsprozesse mit Outsourcing-Partnern entfallen.

werbungen – wir müssen auch weiter wachsen, um die ganze Breite der Beratungsaufgaben abdecken zu können, von A wie Antrag-Online bis Z wie digitaler Zwilling (zur Digitalstrategie der Landeshauptstadt München siehe auch: https://muenchen. digital/digitalisierungsstrategie).

Behörden Spiegel: In welchem Ausmaß möchte man durch digital@M zukünftig den Einsatz externer Beraterinnen und Berater zurückführen? Wird es nicht auch vielfach Projekte geben, in denen digital@M mit diesen zusammenarbeitet? Bönig: Die Landeshauptstadt München wird auch weiterhin auf Unterstützung durch externe Beraterinnen und Berater setzen und angewiesen sein. Es ist jedoch so, dass externe Beratungsunternehmen dazu nei-

Bönig: Zum einen können wir so die Kosten für externe Beratung erheblich senken, zweitens sind die Projekte mit unseren eigenen Beraterinnen und Beratern deutlich effizienter, weil “Zum einen können wir so die Kosstadtspezifisches Knowten für externe Beratung erheblich how aufgebaut senken, zweitens sind die Projekte wird, das Beramit unseren eigenen Beraterinnen tungswissen in der GmbH verund Beratern deutlich effizienter.” bleibt und die Ansprechpersonen nicht so häu- gen, Beraterinnen und Berater fig variieren. Langwierige Einar- regelmäßig auszutauschen. Hier beitungszeiten entfallen und wir kommt die digital@M ins Spiel: sind deutlich agiler, weil der Ein- Insbesondere bei Projekten, satz der neuen Spezialistinnen deren Erfolg an der Verfügbarund Spezialisten, Beraterinnen keit von Expertinnen/Experten und Berater direkt, zum Beispiel hängt, ist es unsere Stärke und anhand der Priorisierung von Verpflichtung, die jeweiligen Themen, gesteuert werden kann. Beraterinnen und Berater stär-

Behörden Spiegel: Wie wollen Sie angesichts des Fachkräftemangels und des starken Wettbewerbs am Standort München zukünftig ausreichend Personal für digital@M gewinnen?

Thomas Bönig, Chief Digital Officer (CDO) der Landeshauptstadt München, ist auch Geschäftsführer der kürzlich gegründeten stadteigenen IT-Beratungsgesellschaft digital@M. Foto: BS/Landeshauptstadt München

ker an die Landeshauptstadt München zu binden. Natürlich ist dabei eine projektbezogene Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt, der digital@M und externen Beratungsunternehmen auch möglich. Es ist jedoch nicht geplant, dass die digital@M selbst externe Beratungen beauftragt, die Beauftragung erfolgt immer über die Landeshauptstadt. Behörden Spiegel: Wie viele Beschäftigte arbeiten derzeit für

digital@M? Welche Personalstärke wird zukünftig angestrebt bzw. erforderlich sein, um die vielfältigen Aufgaben zu erfüllen?

Bönig: Wir suchen nicht nur klassisch wie durch Stellenanzeigen, Messen oder Onlineportale, sondern auch über persönliche Kontakte oder Empfehlungen. Wir haben inzwischen ein großes Kontakt-Netzwerk und einige der ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zum Beispiel über eine persönliche Ansprache

Bönig: Ende “Denkbar ist die Ausweitung unserer Juli 2019 waren es bereits Beratung zukünftig auch auf andere neun Beraterinbayerische Kommunen und eine nen und Beraengere Zusammenarbeit mit dem ter, wir wollen weiter orgaFreistaat Bayern.” nisch wachsen und bekommen über unser gefunden worden oder auch, weil Netzwerk sehr viele gute Be- sie sich initiativ bei uns gemeldet

haben. Für Beraterinnen und Berater mit Lebensschwerpunkt in München sind wir sehr attraktiv. Wir bieten anspruchsvolle Projekte, eine gute Work-LifeBalance und ein verantwortungsvolles sowie hochwertiges Umfeld. Wir sind eine moderne, leistungsfähige Arbeitgeberin mit hoher Sicherheit und der Möglichkeit, sich optimal entwickeln zu können. Behörden Spiegel: Warum hat man sich für das Modell einer GmbH entschieden? Wie läuft die Finanzierung? Bönig: Das GmbH-Modell ermöglicht es, Beraterinnen und Berater für Aufgaben in der Landeshauptstadt München zu gewinnen, die für sich eine höhere Flexibilität und Teilhabe an der Unternehmensentwicklung einfordern. Weiterhin ermöglicht es die GmbH, den Expertinnen und Experten attraktive Bedingungen zu bieten, die dem Markt entsprechen. Behörden Spiegel: Ist es denkbar resp. geplant, dass das Unternehmen seine Beratungsdienstleistungen zukünftig auch anderen Kommunen anbietet? Bönig: Momentan konzen­ trieren wir uns in der Beratung auf die Digitalisierungs-Themen der Landeshauptstadt München. Die kommunalen Themen zur Digitalisierung ähneln sich im hohen Maße – denkbar ist die Ausweitung unserer Beratung zukünftig auch auf andere bayerische Kommunen und eine engere Zusammenarbeit mit dem Freistaat Bayern.

Drei Events unter einem Dach

Neuer Bauabschnitt im Landkreis Börde

Smart Country Convention mit Fachkongress, Messe und Wettbewerb

Weiterer Spatenstich für das Glasfaser-Giganetz in Sachsen-Anhalt

(BS/stb/wim) Die Smart Country Convention des Digitalverbands Bitkom mit der Messe Berlin tritt an, Impulse für die Digitalisierung im öffentlichen Sektor zu geben. Dieses Jahr hat sie zwei weitere Digitalkonferenzen im Schlepptau. Neben der Digital Office Conference werden erstmals die Digital Energy Conference und die Digital Mobility Conference Teil des Programms sein.

(BS/Hans Güldenpenning*) Mit dem gemeinsamen Spatenstich für die acht kommunalen Breitbandprojekte starteten im August 2018 die Städte und Gemeinden Oebisfelde-Weferlingen, Verbandsgemeinde Flechtingen, Verbandsgemeinde Elbe-Heide, Niedere Börde, Barleben, Verbandsgemeinde Westliche Börde, Wanzleben - Börde und Oschersleben (Bode) nach Monaten intensiver Vorbereitung und Planung zusammen mit dem Landkreis Börde, den lokalen Unternehmen und der DNS:NET als Kompetenzpartner für den Betrieb von Glasfaserinfrastruktur den Ausbau des größten zusammenhängenden Glasfasernetzes Sachsen-Anhalts.

Bei der Digital Office Conference am 22. Oktober 2019 liegt der Fokus auf Themen rund um die Cloud. In Vorträgen und CaseStudies wird gezeigt, wie CloudDienste moderne Arbeitsformen unterstützen und wie Verwaltungsprozesse und Services datenschutzkonform digitalisiert werden können. Die Digital Mobility Conference am 24. Oktober 2019 bietet innovativen Mobilitätskonzepten eine Plattform. Neben Beiträgen zum Klimaschutz wird insbesondere die Rolle der Kommunen bei der Gestaltung der Mobilität von morgen thematisiert. Eröffnet wird das Event durch den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer. Der Eintritt für beide Digitalkonferenzen ist im Ticket für die Smart Country Convention enthalten. Diese sind derzeit kostenfrei zu erhalten. Die Smart Country Convention findet vom 22. bis 24. Oktober statt. Sie bringt Vertreter aus Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen sowie aus Politik, Digitalwirtschaft, Verbänden und Wissenschaft zusammen. Das dreitägige Programm aus Kongressen, Workshops und Weiterbildungsveranstaltungen thematisiert die digitale Verwaltung und die Digitalisierung von öffentlichen Dienstleistungen.

Start-ups pitchen um 10.000 Euro Im Rahmen der Veranstaltung im Berliner CityCube wird der Bitkom zudem erneut den “Smart Country Startup Award” verleihen. Der Award soll Start-ups eine Bühne bieten, die digitale Anwendungen, beispielsweise aus den aktuellen Schlüsselbereichen der Künstlichen Intelligenz und

Im vergangenen Jahr konnte Danilo Jovicic (r.), Geschäftsführer & Mitgründer des Verkehrs-Start-ups vialytics, die Jury in der Kategorie “Smart City” von seiner Lösung überzeugen. Foto: BS/Bitkom e.V.- Anne Freitag

der Blockchain, entwickeln und mit diesen Lösungen dabei helfen, Alltagsprozesse für Ämter und Behörden effizienter zu gestalten und dabei Sachbearbeitern und Bürgern gleichermaßen die Zusammenarbeit zu vereinfachen. Bis zum 15. September können sich interessierte Unternehmen bewerben. Die Jury, die auch auf dem Kongress die Gewinner küren wird, wählt vorab aus einem breiten Anforderungskatalog die insgesamt sechs Finalisten aus, welche im Rahmen der Veranstaltung gegeneinander antreten. Am 23. Oktober wird in den beiden Kategorien Smart City und E-Government gepitcht, wo die Teilnehmer mit ihren digitalen Ideen für Staat und Verwaltung überzeugen wollen. Neben dem finanziellen Anreiz von jeweils 5.000 Euro Siegesprämie pro Kategorie sollten die Start-ups vor allem dabei unterstützt werden, ihre Innovationen in die Verwaltung zu bringen, erklärt Jenny Boldt, Leiterin Startups beim Bitkom: “Wenn wir die Digitalisierung des Public Sectors in Deutschland voranbringen wol-

len, dann müssen wir viel stärker als bisher die innovativen Ideen von Start-­ups nutzen. Der Smart Country Startup Award bietet die Möglichkeit, Startups und Vertreter der Verwaltungen und Behörden von Bund, Ländern, Städten und Gemeinden zusammenzubringen”. Neben dem Preisgeld erhalten die Sieger zudem eine kostenlose Mitgliedschaft in der Start-up-Initiative “Get Started” des Bitkom. Voraussetzung zur Teilnahme ist ein maximales Alter der Startups von fünf Jahren sowie eine maximale Betriebsgröße von 50 Mitarbeitern. Alle Finalisten erhalten zudem einen kostenlosen Messestand auf der Smart Country Convention und damit die die Möglichkeit, ein breites Netzwerk an etablierten Unternehmen, Investoren und Kontakten aus dem Public Sector kennenzulernen. Das Bewerbungsformular sowie alle weiteren Informationen zum Wettbewerb finden sich unter www.smart-country-award.de. Der Behörden Spiegel ist Medienpartner der Smart Country Convention.

In mehr als hundert Orten wird das Giganetz realisiert, dabei rollen fast 300 Bauleute, Ingenieure und Spezialisten in allen acht Gemeinden das neue Infrastrukturnetz in den weißen Flecken flächendeckend aus. Alle Haushalte, die einen Erschließungsantrag gestellt haben, die regionale Wirtschaft sowie alle Bildungseinrichtungen und Schulen werden per FTTB angebunden. Nach Oschersleben gingen nun auch die Verbandsgemeinde Flechtingen und weitere Gemeinden an den Start: Nach dem erfolgreichen Auftakt der Verbandsgemeinde Flechtingen in Bülstringen geht es weiter. Ende Juli fand im Luftkurort Flechtingen unter Anwesenheit der Bürgermeister, Baufirmen, Projektsteuerer, DNS:NET sowie zahlreicher interessierter Anwohner ein weiterer Spatenstich für den Glasfaserausbau im Landkreis Börde statt. Flechtingens Bürgermeister Tim Krümmling, der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flechtingen, Mathias Weiß, Holger Haupt, Breitbandbeauftragter der ARGE Breitband, Petra Naumann als Vertreterin des Landrates und der ARGE Breitband, Vertreter der Projektteams und regionalen Baufirmen sowie die Leitung des Bereich Netzausbau der DNS:NET waren vor Ort und beantworteten die Fragen der zahlreich erschienenen Gäste, Firmen und Anwohner aus Flechtingen und Umgebung.

250 Kilometer Glasfaserkabel verlegt Im Cluster 2 der Verbandsgemeinde Flechtingen werden in

den kommenden Monaten 60 Kilometer Tiefbau realisiert und dabei 250 Kilometer Glasfaserkabel verlegt. In Folge erhalten dann mehr 2.000 Haushalte und Unternehmen Glasfaseranschlüsse direkt ins Haus und werden an das kommunale Highspeed-Netz angeschlossen, welches von der DNS:NET betrieben wird.

Attraktivität des Standorts steigt Der Bürgermeister von Flechtingen, Tim Krümmling, freut sich über diesen bedeutenden Schritt vor allem in Hinblick auf die boomende Tourismusbranche, und die Gesundheitswirtschaft und Rehakliniken vor Ort. “Für Einwohner und Kurgäste wird die neue Infrastruktur den Standort Flechtingen als attraktiven Wohnort und beliebtes Tourismusziel weiter aufwerten und die Kommunikationswege qualitativ stark verbessern.”

bandbeauftragter der ARGE Breitband, zeigte sich sichtlich zufrieden: “Wieder ist eine Gemeinde im Landkreis Börde an den Start gegangen. Das bestätigt uns darin, dass Gemeinsamkeit bei kommunalen Großprojekten eine entsprechend positive Eigendynamik hervorbringt. Wer von A nach B will, muss halt zügig und konsequent losfahren, um rechtzeitig ans Ziel zu kommen. Wir freuen uns auf die weiteren Spatenstiche und noch viel mehr auf die Glasfaseranschlüsse aller Gemeinden und Städte der ARGE Breitband im Landkreis Börde. Von Klein Ammersleben bis Oebisfelde, von Oschersleben bis Flechtingen, und auch die kleinsten Siedlungen werden angeschlossen. Wenn die Freigabe erfolgt, können auch bald die Haushalte in Barleben angeschlossen werden, die Fördergelder stehen bereit.”

Intesiver Dialog zahlt sich aus Der Standort Flechtingen Mathias Weiß, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flechtingen, lobte anlässlich des Spatenstichs die enge Zusammenarbeit: “Hier hat sich wieder gezeigt, dass die intensiven Gespräche der Bürgermeister innerhalb der Verbandsgemeinde Flechtingen und den Mitgliedsgemeinden des ARGE Breitbandnetzes insgesamt das gemeinsame Projekt vorangebracht haben. Die Wünsche der Bevölkerung nach der schnellsten und sicheren Infrastruktur in kommunaler Hand haben sich auch in den guten Vorvertragsquoten mit über 60 Prozent in einzelnen Bereichen widergespiegelt.” Auch Holger Haupt, Breit-

Die Breitband-Investitionen für die Mitgliedsgemeinde Flechtingen belaufen sich auf ca. 7,5 Millionen Euro, gefördert ausschließlich durch Bundesmittel. Die Mehrheit der Investition wird von der Gemeinde vollständig über Pachteinnahmen refinanziert.Weitere Informationen hierzu: www.gemeindeflechtingen.de Mehr Details zum Giganetzausbau in Sachsen-Anhalt und zur ARGE Breitband stehen Interessierten unter www.giganetzboerde.de zur Verfügung. *Der Autor, Hans Güldenpenning, ist als freier Journalist tätig.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / August 2019

I

n der öffentlichen Hand finden sich viele “anti-agile” Strukturen, so auch bei der Beschaffung. Oberste Leitlinie ist häufig die Vermeidung rechtlicher Auseinandersetzungen. Andere strategische Vorgaben werden systematisch aufgrund einer dysfunktionalen Organisationsstruktur unterbewertet.

Rechtssicherheit als Hemmschuh Beispiel 1: In der Praxis werden die Zuschlagskriterien in Ausschreibungen gerne auf den Preis ausgerichtet. Andere, vergaberechtlich zulässige Kriterien, wie etwa die Nutzerfreundlichkeit, werden gemieden. Neben einer falsch verstandenen Wirtschaftlichkeit macht es sich die Vergabestelle nicht unnötig schwer: Ein Preis ist mathematischer Natur und somit nicht angreifbar, qualitative Kriterien hingegen schon. Beispiel 2: Nach Vergaberecht ist die Leistung “so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, sodass (…) die Angebote miteinander verglichen werden können”. Soll z. B. eine Softwareentwicklung beauftragt werden, bietet die konkrete Beschreibung einer herzustellenden Werkleistung die größere Rechtssicherheit. Dagegen liefert die Darstellung einer gewünschten Funktion, verbunden mit der erwarteten Qualifikation eines agil arbeitenden Entwicklerteams auf Dienstleistungsbasis, mehr Angriffsfläche und ist somit weniger rechtssicher. Dabei sind agile Softwareentwicklungen oft um das Zehnfache und mehr wirtschaftlicher als das Programmieren nach Leistungsverzeichnissen. In beiden Fällen birgt der rechtlich anspruchsvolle Weg Risiken der auslegungsfreien und somit rechtssicheren Formulierung der Zuschlagskriterien. Auch wenn es rechtskonform ist, so stellt die Rechtsunsicherheit einer möglichen Rüge aus Perspektive der Vergabestelle ein unnötiges Risiko dar. Dass in einer Gesamtbetrachtung hier das Risiko in Wahrheit nur von der Vergabestelle hin zum Operateur verlagert wird, erfährt in der funktional gegliederten Organisation unzureichend Beachtung. Unter Umständen wird dabei sogar gegen geltendes Recht verstoßen, etwa gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot gem.

Agil und verantwortlich agieren Eigentümerkultur als Voraussetzung erfolgreichen Verwaltungshandelns (BS/Marcel “Otto” Yon/Anja Theurer*) Ein maßgeblicher Pfeiler agiler Arbeitskultur ist die Zusammenarbeit in funktional übergreifenden Teams, Serie des Bundeswehr Cyber Innovation Hubs die mit weitreichenden Entscheidungskompetenzen ausgestattet sind. Leitbild ist der verantwortlich agierende Mitarbeiter, der seine Aufgabe in Kooperation mit dem Behörden Spiegel wie ein Eigentümer wahrnimmt, Chancen und Risiken möglicher Handlungsalternativen gegeneinander abwägt und letztlich auf Basis einer Gesamtbetrachtung die bestmögliche Entscheidung trifft. Verwandte Ansätze sind in der Bundeswehr mit den Konzepten der inneren Führung und Einordnung eines Sachverhaltes objektiv nachvollziehbar sind. Auftragstaktik gut bekannt. Agile Kultur hilft, diese Ansätze auch auf Verwaltungsebenen zu implementieren.

Agile Organisation erlaubt es Mitarbeitern, Aufgaben wie Eigentümer wahrzunehmen. Dazu gehört es, bestmögliche Entscheidungen auf Grundlage einer Gesamtbetrachtung zu fällen. Foto: BS/CIH

Bundeshaushaltsordnung (BHO). Dass derartige Ineffizienzen entstehen, ist nicht die Schuld Einzelner. Im Gegenteil: Eigentümerkultur wird gelebt, wenn Kolleginnen und Kollegen aus eigenem Antrieb Risiken im Interesse des großen Ganzen in Kauf nehmen. Diese Kollegen sind Helden, denn sie beweisen jenseits ihrer persönlichen Interessenlage Mut. Fairer wären die richtigen Anreizstrukturen – niemand sollte Held sein müssen, um mit dem Verantwortungsbewusstsein eines Eigentümers zu handeln.

die rund um Talente und deren Ergebnisverantwortung für Ziele aufgestellt werden, nicht um funktionale Expertise und deren Zuständigkeiten. Die für den Auftrag erforderliche fach-

liche Expertise wird im Team ausgebracht, sodass die Abhängigkeit von anderen Abteilungen vermieden wird. Das Team wird mit einer weitreichenden Entscheidungskompetenz entlang

der gesamten Wertschöpfungskette seines Auftrags ermächtigt. Ein agiles Team definiert sich maßgeblich durch den gemeinsamen Auftrag, auf den das Team eingeschworen ist. Das sogenannte “Alignment” des Teams ist Ergebnis täglich gelebter Zusammenarbeit und wird nicht allein durch eine Weisung oder einen Befehl hergestellt. Mit der Aufnahme der funktionalen Expertise aus anderen Abteilungen wird auch die Verantwortung für die Einhaltung der Rahmenbedingungen “in das Team geholt”, wie etwa die Einhaltung des Vergaberechts. Fortan gilt es, sämtliche Risiken und Aufwendungen gegeneinander abzuwägen. Rechtssicherheit darf – im Rahmen des rechtskonformen Handelns – kein verselbstständigtes Dogma sein. Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung des Auftrags dürfen die Grenzkosten der Risikovorsorge nicht die Grenzkosten des Risikoeintritts überschreiten. Nichts anderes trägt uns die BHO auf. Einem Beschaffer dürfen aus der Realisierung eines Risikos keine Nachteile erwachsen, wenn eine umfassende Chancen-Risiko-Abwägung gut durchgeführt wurde und die Gründe für die juristische

Allein der Umstand, dass etwa eine vom Bieter angerufene Vergabekammer zu einer anderen Einschätzung als der Mitarbeiter kommt, muss für die Beurteilung der Qualität der Arbeit unerheblich sein. Eine auf Eigentümerverantwortung basierende agile Kultur bildet sich gerade in großen Organisationen, ob privatwirtschaftlich oder behördlich, nicht von allein heraus. Vielmehr ist es Führungsaufgabe, sie zu implementieren und vorzuleben – mitwirken müssen alle. Die agile Kultur bietet hierzu einen bewährten Rahmen. *Marcel “Otto” Yon ist CEO und Anja Theurer CFO des Bundeswehr Cyber Innovation Hubs, der ersten Digital Innovation Unit eines Bundesministeriums. Mit der Initiative “Staat-up” engagieren sich die Autoren für den Einzug der agilen Kultur in den öffentlichen Sektor, die Befähigung von “Public Intrapreneurs” als Treiber von Veränderung und die Förderung der direkten Zusammenarbeit zwischen Staat und Start-ups. Die Autoren vertreten ihre persönliche Meinung, nicht die des BMVg. Kontakt: CEO@cyberinnovati onhub.de

Expertise zusammenbringen Die Umsetzung einer agilen Kultur erfordert im Kern drei Dinge: die Bildung funktional übergreifender Teams, die Ausrichtung der Interessen auf ein gemeinsames Ziel und ein verantwortungsvolles Risikomanagement. Eine agile Organisation besteht aus einem Netzwerk weitgehend unabhängiger Teams,

Mesokosmos IT

Zwischen Erkenntnis und Umsetzung

Bremen setzt auf “Users First”

18. – 20. September 2019, Berlin

Digitale Wende soll bürgerfreundlich gestaltet werden (BS/pet) Bremen zählt hierzulande zu den Vorreitern der Verwaltungsdigitalisierung. Aktuell gibt das Land in Person von Staatsrat Henning Lühr wichtige Impulse als diesjähriges Vorsitzland des IT-Planungsrates. Im nun gebilligten Koalitionsvertrag der zukünftigen rot-rot-grünen Regierung der Freien Hansestadt findet das entsprechenden Niederschlag. Zunächst zu den Zahlen: Im 140 Seiten starken Koalitionsvertrag findet das Wort “Digitalisierung” insgesamt 48 Mal Erwähnung; im Vergleich zum Regierungspapier der alten Koalition (SPD/Grüne) mit sieben Nennungen bedeutet das einen üppigen Zuwachs. Doch kommt dieser nicht von ungefähr, schon gar nicht für den Öffentlichen Dienst, der bis Ende 2022 seine Verwaltungsleistungen digitalisiert haben soll. So verlangt es das Onlinezugangsgesetz. Dessen ungeachtet soll die Überführung der Verwaltung ins neue Zeitalter möglichst bürgerfreundlich ablaufen. Die Maxime: “Users First”. Zu diesem Zweck soll ein “Verfahrenskodex” erarbeitet werden, in dem die Standards einer transparenten Bearbeitung festgelegt sind. Ganz oben auf der digitalen Agenda steht auch das Thema Datenschutz. Empfindliche Informationen der Bürger sollen daher nicht extern, sondern nur auf behördlichen Servern abge-

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legt werden. In diesem Punkt soll eine enge Zusammenarbeit mit den beiden IT-Dienstleistern Dataport und Governikus erfolgen. Gleiches gilt für den Bezug der Software. Auch hier will man das Heft des digitalen, souveränen Handelns nicht aus der Hand geben und auf die Nutzung von Open-Source-Lösungen setzen. Um den digitalen Wandel auch personell einzuleiten, plant die zukünftige Koalition im Rahmen einer Qualifikationsoffensive mit dem Aufbau eines Kompetenzzentrums. Verschiedene Formate der Aus- und Weiterbildung sind in Planung. Offen bleibt, wie das verschuldete Bremen seine Vorhaben finanzieren will. Der Topf für Digitalisierung enthält 35 Millionen Euro – aufzuteilen mit zwei weiteren Programmen. Andererseits lässt sich ihre Verortung unter den als “prioritär” bewerteten Zielen als Indiz dafür werten, dass es Rot-Rot-Grün mit der Verwaltungsdigitalisierung ernst ist.

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Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / August 2019

Offenbarungseid oder Erfolgsmeldung?

Offen und kooperativ

Das Onlinezugangsgesetz und die Kommunen Ende 2022

BKG will mehr Zusammenarbeit

(BS/Wilfried Kruse*) Das Onlinezugangsgesetz (OZG) sorgt mittlerweile für den nötigen Druck in Sachen Digitalisierung, auch wenn schon zwei (BS) Prof. Dr. Paul Becker ist seit April Präsident des Bundesamtes für Jahre ohne wirklich greifbare Ergebnisse verstrichen sind, in denen sich die Akteure erst einmal “gründlich” organisiert haben. Digitallabore und Kartographie und Geodäsie (BKG) mit Sitz in Frankfurt am Main. Was ihn kommunales Mitengagement bringen aber jetzt offenbar praktische Fortschritte. an der neuen Position reizt und was er dort bewegen möchte, war u.a. Gegenstand eines Interviews, welches er Behörden Spiegel-Redakteur Die viel zu lange thematisierten gezielt zu identifizieren und in Jahre auch in nicht unerhebli- gigen Beiträgen aus der Landes- Guido Gehrt gab. 575 Leistungen (Leistungsbündel) im 260-seitigen OZG-Umsetzungskatalog wachsen nun ziemlich flächendeckend in der Erkenntnis zu den über 5.000 LeiKA-recherchierten und übernommenen Einzelleistungen im Bewusstsein der verantwortlichen Akteure auf. Die gewählte Typologie in Sachen Regelungsund Vollzugkompetenz macht dabei jetzt klar, dass dieses Leistungsbündel ohne absolut tiefgehende Betrachtung seiner über 5.000 Einzelleistungen eigentlich kaum brauchbar ist. Das Ziel des Online-Zugangs für Bürge/-innen und Unternehmen bis Ende 2022 wird ehrlicherweise nicht zu erreichen sein, wenn man sich in Bund, Ländern und Kommunen nicht der Mühe unterzieht, die 5.000 und mehr Details zu untersuchen, aus kommunaler Sicht und Verantwortung dabei die relevanten Dienstleistungen

vorhandenen und noch nötigen digitalen Reifegraden zu clustern. Dass dazu der bisherige Reifegrad 3 (Online-Antragstellung und ggf. schriftlicher Nachgang von notwendigen Anlagen) zugunsten kompletter Online-Lösung inkl. aller Anlagen entfallen ist, ist gemessen an den Grundzielen des OZG folgerichtig, erhöht aber die Hürden für viele Akteure, insbesondere für die Kommunen mit ihrem vielfältigen Leistungsportfolio, nicht unerheblich. Für NRW heißt das konkret, die im Umsetzungskatalog vorgesehene Typologie von Regelung und Vollzug, die Stufen 2 bis 5 mit ihren Untergliederungen bezogen auf den kommunalen Bereich u. a. auch auf das gestufte Aufgabenmodell im kreisangehörigen Bereich zu beziehen. Große und mittlere kreisangehörige Städte erfüllen zusätzlich seit der Funktionalreform der 70er-

chen Teilen qualifizierte Kreisaufgaben, die die Kreise für die kleineren Städte und Gemeinden selbst erfüllen. Ähnliche gestufte Modelle gibt es auch in anderen Bundesländern. Wie bekommt man es angesichts der heterogenen Lage allein in NRW hin, dass der Organisationsstab OZG in NRW, die Akteure in den Landesressorts, der CIO mit seiner Mannschaft, die Plattformpositionen und -betreiber wie d-NRW, die kommunalen Einheiten wie die kommunalen Spitzenverbände, der KDN, die kommunalen IT Dienstleister und natürlich die ca. 400 NRW-Kommunen selbst am Ende des noch gut dreijährigen OZGRealisierungskorridors nicht den Offenbarungseid leisten müssen, sondern mit “stolzer Brust” gemeinsam Erfolg melden können? Antworten u. a. darauf soll es auf e-nrw geben – mit hochran-

sphäre und aus besonders innovativen kommunalen Projekten.

*Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM², ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 07. November 2019 in Neuss veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.e-nrw.info

Hat großes Interesse an der Nutzung offener Daten: Prof. Dr. Paul Becker, Präsident des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG). Foto: BS/BKG

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 7. November 2019 Düsseldorf / Neuss

Behörden Spiegel: Sie sind seit Anfang April Präsident des BKG. Was hat Sie gereizt, sich dieser neuen Aufgabe zu stellen? Becker: Verschiedenes. Zu allererst waren es natürlich die Aufgaben des BKG, die mir aus meinen ehemaligen Funktionen als Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und als Geoprincipal für Deutschland z. T. sehr gut bekannt waren und mich auch interessiert haben. Das BKG war für mich in dieser Zeit immer ein wichtiger und verlässlicher Partner. Großes Interesse habe ich z. B. daran gehabt, Geodaten ressortübergreifend und interdisziplinär darstellen zu können. Das treibt mich immer noch um. Bezüglich der Nutzung von Wetter- und Klimainformationen war und ist dieser Anspruch natürlich besonders ausgeprägt. Ein Beispiel zeigt den Nutzen solcher Verschneidungen. Wenn wir z. B. über die Starkregengefahr in Deutschland sprechen, also hohe Niederschläge auf kleinem Gebiet in kurzer Zeit, dann will man wissen, wo das Wasser hinläuft, um entsprechende Maßnahmen auch präventiv ergreifen zu können. Wenn man hier räumlich hoch aufgelöste Topografien als homogenisierte Karte von ganz Deutschland mit Niederschlagsinformationen zusammenfügt, hat man einen echten Mehrwert für Katastrophenschutzbehörden wie etwa das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) oder die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Natürlich war es aber auch mit Blick auf die eigene Laufbahn konsequent, dass man als Vizepräsident im nächsten Schritt einer Behörde als Präsident vorstehen möchte. Behörden Spiegel: Was wünschen Sie sich generell im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Ländern? Becker: Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist von essenzieller Bedeutung, denn sehr viele unserer Daten werden durch die Länder gewonnen. Der Ausbau der Zusammenarbeit mit den Ländern liegt mir aber nicht nur deshalb am Herzen. Insbesondere im Bereich des Smart Mappings möchte ich die Zusammenarbeit wieder intensivieren und unsere Erfahrungen, die wir mit dem TopPlus-Verfahren gemacht haben, aktiv einbringen. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang offene Daten? Becker: Ich fühle mich der Open-Data-Politik der Bundesregierung verpflichtet. Das BKG hat hieran ein großes Interesse. Aber die Länder, das muss man auch akzeptieren, sind dort z. T. in einer schwierigen Lage. Manche Länder haben Open Data,

andere noch nicht. Ich bin schon der Überzeugung, dass wir über kurz oder lang Open Data in allen Ländern haben werden. Aber in der Zwischenzeit müssen wir Lösungen finden, auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen gemeinsame Produkte anzubieten, die dann natürlich auch nicht immer kostenfrei sein können. In dem Kontext der offenen Daten müssen wir uns auch Gedanken machen, wie wir z. B. mit OpenStreetMap, also von Nichtregierungsorganisationen gewonnenen Daten, umgehen. Ich möchte, dass wir diese Daten, die in großer Zahl vorhanden und schnell verfügbar sind, vermehrt nutzen. Die Menschen, die sich dort engagieren, sind hoch motiviert. Man darf diesen Datenschatz nicht ungenutzt liegenlassen. Eine zentrale Herausforderung bei diesen Daten ist sicherlich die Qualitätskontrolle. Ich könnte mir aber vorstellen, dass wir dort Qualitätskontrollen durchführen und diese Information ggf. auch an die Community zurückgeben. Ich werde in jedem Fall den Kontakt suchen, um diese Daten sinnvoller einzubinden, als dies bislang der Fall ist. Behörden Spiegel: Welche He­ rausforderungen stehen bei Ihnen darüber hinaus in der nächsten Zeit auf der Agenda? Becker: Nur ein paar Beispiele: Eine zentrale Aufgabe ist der Ausbau des Geoportals Deutschland und der Geodateninfrastruktur Deutschland (GDI-DE), um gemeinsam mit den Bundesländern den webbasierten Zugang zu allen Geodaten der Verwaltung zu verbessern. Dies ist bislang sicherlich noch nicht optimal gelöst. Hieran werden wir intensiv arbeiten. Besonders spannend wird auch der neue Satellitengestützte Krisenund Lagedienst (SKD). Damit wollen wir im Fall von Naturkatastrophen oder anderen Krisensituationen alle Einrichtungen des Bundes in jeder Situation mit topografischen Geodaten in Kombination mit Informationen aus Satellitensensoren versorgen. Auch bei der Weiterentwicklung der Positionierungsdienste werden wir stark engagiert sein. Dies ist für zahlreiche Fragestellungen relevant (z. B. Meeresspiegelanstieg, Autonomes Fahren). Dazu wollen wir u. a. das geodätische Observatorium in Wettzell weiter entwickeln. Grundsätzlich ist unsere Arbeit aber auch nicht auf Deutschland begrenzt, denn viele Mehrwerte lassen sich erst im Wege der internationalen Zusammenarbeit schaffen. Eine Vertiefung der Kooperation mit Frankreich, Österreich und der Schweiz, aber auch mit Ländern wie Argentinien etc. liegt mir daher sehr am Herzen und wird zukünftig sicherlich noch weiter an Bedeutung gewinnen. Hier werden wir uns noch weiter öffnen.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2019

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Sicherheitsvorgaben einhalten

Update im IT-Sicherheitsrecht

Bundesregierung fordert europäische Cloud-Lösung

BMI will mehr Unternehmen in die Pflicht nehmen

(BS/ah) Derzeit werden vorwiegend ausländische Anbieter für Cloud-Lösungen herangezogen. Diese stehen jedoch auf Aufforderung hin in der Pflicht, die gespeicherten Daten mit den inländischen Behörden zu teilen. Die Bundesregierung möchte deshalb den Aufbau einer Europa-Cloud vorantreiben. Unternehmen stehen dem Vorhaben sowohl kritisch als auch positiv gegenüber.

(BS/stb) Mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 will das Bundesinnenministerium (BMI) einen weiteren Schritt auf dem Weg der Regulation in der Informationstechnik gehen. Einen Schwerpunkt stellt erneut der sichere ITBetrieb bei Betreibern Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) dar. Pflichten sollen zukünftig mehr Unternehmen auferlegt werden – teils auch unabhängig von gültigen Schwellenwerten.

Ablehnend äußerte sich die Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, Sabine Bendiek. Sie betont, dass eine abgeschottete europäische Cloud nicht im freien Wettbewerb stünde. Dadurch riskiere man technologischen Rückstand, der Sicherheitsdefizite und Leistungsdefizite in der Digitalisierung berge. Dahingegen äußert sich Telekom-Chef Timotheus Höttgens positiv. Er spricht sich für eine “komplett europäische Cloud-Infrastruktur mit Rechenzentren in verschiedenen europäischen Ländern und vor allem die dazugehörende Entwicklung europäischer Software” aus. Beide nehmen Bezug auf Äußerungen von Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), die für eine Europa-Cloud votieren. “Wir können nur mit solchen Anbietern zusammenarbeiten, die unsere Sicherheitsvorgaben einhalten und damit unsere digitale Souveränität gewährleis-

“Das IT-Sicherheitsgesetz von 2015 war ein erster Versuch, ein hochdynamisches Themenfeld regulativ in den Griff zu bekommen”, erklärt Thomas Feil, Fachanwalt für IT-Recht und Dozent der Cyber Akademie. Anforderungen an das Sicherheitsmanagement und die Pflicht zur Meldung von IT-Vorfällen wurden für KRITIS-Betreiber aus verschiedenen Sektoren wie Energieversorgung, Finanzen oder Telekommunikation eingeführt, die über 500.000 Personen versorgen. Näheres regelt die KRITIS-Verordnung. “Die Schwellenwerte sind damals sehr vorsichtig angesetzt worden”, meint Feil. “So sind nur zehn Verbünde von Wasserversorgern betroffen.” Eine Änderung der Schwellenwerte werde nach derzeitigem Kenntnisstand nicht beabsichtigt, allerdings sollen die Pflichten künftig auch für den Sektor Abfallentsorgung gelten, so der Fachanwalt in einem Seminar der Cyber Akademie.

Die Bundesregierung fördert den Aufbau einer Europa-Cloud, um die Einhaltung von Sicherheitsvorgaben zu gewährleisten. Foto:BS/Manuel Neumann, CC BY 2.0, flickr.com

ten”, unterstreicht Seehofer zur Verdeutlichung der Risiken einer Cloud-Nutzung. Grund für die Bedenken seien die vergangenen Ausfälle bei Cloud-Anbietern wie etwa von Amazons CloudTochter “Amazon Web Services” oder des Dienstes “Microsoft 365” von Microsoft. Zudem steht der seit März 2018 gültige “Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act” (kurz: Cloud Act) der

USA im Widerspruch zur EUDatenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Nach Einschätzung des Innenministeriums räume der Cloud Act den US-Behörden auch weitreichende Zugriffe auf Daten ein, die nicht in den USA gespeichert sind. Nach EUDSGVO sei die Herausgabe der Daten an Länder außerhalb der EU nur zulässig, wenn es eine internationale Übereinkunft gebe.

Kein Lösegeld bei Ransomware US-Bürgermeister wollen nicht mit Erpressern verhandeln (BS/stb) Bürgermeister von US-amerikanischen Gemeinden rufen dazu auf, keine Lösegelder bei Angriffen mit Ransomware mehr zu zahlen. So eine Resolution, die im Rahmen der United States Conference of Mayors (USCM) erlassen wurde. Die Konferenz bringt jährlich die Bürgermeister der über 1.400 Gemeinden mit über 30.000 Einwohnern zusammen. Wenn bei Ransomware-Angriffen Lösegelder gezahlt würden, unterstütze man das kriminelle Geschäftsmodell der Hacker, begründen die Bürgermeister ihren Vorstoß. Die Kriminellen platzieren meist über E-Mails mit schadhaften Links oder Anhängen Ransomware in der Organisation. Das Schadprogramm verschlüsselt Daten auf den betroffenen Rechnern. Die Entschlüsselung lassen sich die Kriminellen in Kryptowährung, meist Bitcoin, bezahlen. Seit 2013 seien 170 Städte oder Verwaltungseinrichtungen in den USA von Erpressungstrojanern betroffen gewesen. Im laufenden Jahr habe es schon 22 Vorfälle gegeben. Der Bundesstaat Louisiana hat nach Ransomware-Angriffen auf die Schulverwaltung mehrerer Bezirke jüngst den Notstand ausgerufen. Nun können Experten der Nationalgarde, der Landespolizei und der Homeland Security bei der Untersuchung und den Aufräumarbeiten helfen. Für Aufsehen hatten auch die Gemeinden Lake City und Riviera

Bürgermeister größerer US-Städte und -Gemeinden haben sich darauf verständigt, bei Ransomware-Angriffen keine Lösegelder zahlen zu wollen. Foto: BS/PIRO4D, pixabay.com

Beach im Bundesstaat Florida gesorgt, weil sie Lösegelder in Höhe von mehreren Hunderttausend Dollar gezahlt hatten (siehe Behörden Spiegel Juli 2019, S. 28). Die Stadtverwaltung von Lake City hat inzwischen tatsächlich einen elektronischen Schlüssel für die Freigabe der Daten erhalten. Die Entschlüsselung der Daten und Wiederherstellung der Systeme dauert an.

Baltimore zahlte nicht Die nicht verbindliche Resolution der US-Bürgermeister ist auf Vorschlag des Bürgermeisters von Baltimore, Bernard Young, erlassen worden. Die Ostküsten-

stadt war in den letzten Jahren bereits drei Mal von Ransomware betroffen. Zuletzt führte das im Mai dieses Jahres dazu, dass wegen IT-Ausfällen keine Dokumente für Immobilienverkäufe und keine Wasserrechnungen ausgestellt werden konnten. Auch E-Mail und Telefonie waren zeitweise außer Betrieb, inklusive des Notrufs. Baltimore entschied sich, die Lösegeldsumme in Höhe von 13 Bitcoin (nach derzeitigem Kurs über 130.000 US-Dollar) nicht zu zahlen. Zum einen, um den Kriminellen keinen zusätzlichen Anreiz zu geben. Zum anderen, weil es keine Garantie gebe, dass die Hacker die Daten auch tatsächlich wieder freigeben. Der überschaubaren Lösegeldsumme steht ein geschätzter Gesamtschaden von rund 18 Millionen US-Dollar gegenüber. Davon entfallen nach Angaben der Stadtverwaltung zehn Millionen auf die Bereinigung der Systeme und die Beschaffung neuer Hardware und acht Millionen auf ausgebliebene und verspäte Einnahmen infolge der IT-Ausfälle.

5G – neue Herausforderung für die IT-Security von Jan Lindner, Vice President Northern Continental Europe bei Panda Security

Mit Abschluss der Lizenzversteigerung für Deutschland geht auch hierzulande endlich der Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G voran. Das Netz selbst und damit verbundene Anwendungen sollen schneller, intelligenter und effizienter werden. Möglich wird das durch die Einführung virtualisierter Netzwerkinfrastrukturen. Das Mobilfunknetz besteht dann aus parallel betriebenen, virtuellen Netzen auf Basis einer gemeinsamen physischen Infrastruktur. Das bietet die Möglichkeit, flexibel und effizient auf unterschiedliche industrielle und geschäftliche Anwendungsfälle zu reagieren: beispielsweise mit

Blick auf smarte Fabriken, Augmented-Reality-Szenarien sowie vernetzte autonome Fahrzeuge. 5G bringt also neue funktionale sowie technische Anforderungen mit sich und damit gleichsam vielversprechende Optionen und Chancen, aber eben auch neue Angriffsvektoren und Risiken für Bedrohungen. Es werden neue Akteure und Gerätetypen auf den Markt drängen. Unternehmen sind künftig damit betraut, gleichzeitig geschäftskritische Systeme und Geräte sowie große Mengen vertraulicher Daten zu verwalten. Dieser Umstand führt zu höheren Sicherheitsanforderungen. Es bedarf also zwingend eines

ganzheitlichen, transformativen, insbesondere modernen Sicherheitsansatzes über die Mobilfunknetze hinaus. Endpoints welcher Art auch immer, müssen in das Sicherheitskonzept miteingebunden werden. Unsere Erfahrung zeigt, dass ein umfassender Schutz vor CyberAngriffen nur dann gewährleistet werden kann, wenn alle Endpoints, einbezogen werden. Dank heuristischer Technologien, KI und selbstlernender Systeme in Big-Data-Umgebungen ist das schon heute möglich und mit der richtigen Lösung problemlos auf 5G anwendbar. Ihr Jan Lindner

Neue Befugnisse für das BSI? Intensiv diskutierten die Teilnehmer aus Verwaltung, KRITIS-Betrieben und IT-Anbietern die geplante Einführung neuer Kategorien schutzbedürftiger Strukturen. So sieht das BMI im Referentenentwurf Pflichten für “Infrastrukturen im besonderen öffentlichen Interesse” vor. Darunter sollen Rüstungsunternehmen, Chemieindustrie sowie Betriebe im Bereich Kultur und Medien fallen. Schließlich betrifft das Unternehmen, bei denen Betriebsstörungen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden mit sich bringen könnten.

Damit sind Großunternehmen mit gesamtstaatlicher Bedeutung gemeint, beispielsweise die deutsche Automobilindustrie. Im Fokus stehen Unternehmen, die nach Frankfurter Börsenordnung im höchst regulierten Markt zu-

Mehr zum Thema Das Seminar der Cyber Akademie zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0 wird mit fortlaufend aktualisierten Inhalten an folgenden Terminen stattfinden: • 17. September 2019, Bonn, • 27. November 2019, München, • 12. März 2020, Berlin, • 23. September 2020, Bonn. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.cyberakademie.de Suchwort “ITSicherheitsgesetz”

gelassen sind (Prime Standard). Zusätzlich will das BMI das BSI ermächtigen, die für KRITIS geltenden Pflichten in Einzelfällen Betreibern direkt aufzuerlegen, auch wenn sie nicht unter die Schwellenwerte fallen. Das könn-

te auf kleine Versorger zukommen, wenn IT-Vorfälle aufgrund starker Vernetzung zu einer Beeinträchtigung ihrer Dienstleistung führen würden – im Entwurf ist von “Cyber-Kritikalität” die Rede. Auch Unternehmen, bei denen Ausfälle zu schweren Gefährdungen von Grundinteressen der Gesellschaft führen würden, sollen einzeln vom BSI in die Pflicht genommen werden können.

Was ist “besonderes öffentliches Interesse”? “Das ist eine sehr weitgehende Öffnung und noch ist unklar, auf welche Unternehmen man hier zielt”, sagt Feil. Diskutiert wurde im Seminar die Frage, wie sich die neuen Bestimmungen von der KRITIS-Definition abgrenzen lassen sollen. Auch erste Kommentierungen von Unternehmens- und anderen Interessenverbänden wurden in diesem Zusammenhang erörtert. Viele fürchten hier Unsicherheit für Unternehmen und kritisieren die Einführung des neuen, unbestimmten Begriffs “Infrastruktur im besonderen öffentlichen Interesse”.

MELDUNG

Hacker leaken Geheimdienst-Dokumente (BS/ab) Der IT-Dienstleister Sytech wurde gehackt. Die Täter sollen rund 7,5 Terrabyte Daten entwendet haben, darunter geheime Projektdaten des russischen Geheimdienstes FSB. So etwa zum Programm “Tay-3”

mit dem sich Informationen über staatlich geschützte Personen aus der Steuerdatenbank entfernen lassen, sowie zum Programm “Reward”. Mit diesem seien Angriffe auf Peer-to-Peer-Netzwerke getätigt worden.


IT-Sicherheit

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Behörden Spiegel / August 2019

DSGVO nicht überall umgesetzt

Datenschutz bei der Arbeitnehmervertretung

Umfassende Evaluation 2020 vorgesehen

Personalräte als Verantwortliche im Sinne der DSGVO?

(BS/stb) In ihrem jüngsten Bericht zur Umsetzung und Wirkung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zieht die Europäische Kommission überwiegend positive Bilanz. Allerdings bleiben drei Mitgliedsstaaten – Griechenland, Portugal und Slowenien – die Reformierung ihres nationalen Rechts schuldig und riskieren damit Vertragsverletzungsverfahren. Hausaufgaben hätten aber alle noch zu erledigen, wie Justizkommissarin Vera Jourová klarstellte.

(BS/Dr. Stefan Brink) Die Frage nach der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit der betrieblichen Gremien, insbesondere des Betriebsrats, aber natürlich auch des Personalrats, wird seit dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) umfassend diskutiert. Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung des Betriebsrats ist neben der DSGVO das bundeseinheitlich geltende Betriebsverfassungsgesetz. Im Hinblick auf die föderale Struktur und die Gesetzgebungshoheit der Länder für die Landespersonalvertretungsgesetze und Landesdatenschutzgesetze muss diese Diskussion jedoch mit Blick auf den Personalrat länderspezifisch Probleme sieht die Kommissarin der kleinen und mittleren Unter- den. Seitdem könnten also schon geführt werden – und muss länderspezifische Besonderheiten berücksichtigen.

noch beim Thema Einwilligung in die Datenverarbeitung. Diese müsste bewusst durch die Bürger erfolgen und in Klarheit darüber, was konkret mit den persönlichen Informationen geschieht. Bei der Umsetzung in den Einzelstaaten vermisst Jourová bisher einschlägige Regeln zur Meinungs- und Pressefreiheit. Auch der Deutsche Bundestag hat dazu bisher keine Beschlüsse gefasst. 2017 hatte Jourová noch die Umsetzung von Betroffenenrechten in der Novelle zum Bundesdatenschutzgerecht bemängelt. Bei der Präsentation des aktuellen Berichts wiederholte sie diese Kritik jedoch nicht. Die Zielsetzung, zu einer einheitlichen Anwendung und Durchsetzung der Regeln zu kommen, will die Kommission auch in umgekehrter Richtung streng verfolgen. Es soll auch verhindert werden, dass es in nationalen Rechtsvorschriften zur Überregulierung (sog. “GoldPlating”) kommt.

Kultur der Rechtstreue entwickelt Unternehmen in der Union würden eine “Kultur der Rechtstreue” entwickeln, heißt es im Bericht. Sie passten ihre Datenverarbeitungspraktiken an und erhöhten die Sicherheit ihrer Daten. Demgegenüber stehen Umfragen, nach denen noch rund ein Drittel

nehmen angeben, die Vorgaben der DSGVO noch nicht umgesetzt zu haben. Jourová kündigte Unterstützung für kleinere Betriebe an. Öffentliche Einrichtungen gelten als schneller bei der Umsetzung der DSGVO als Privatunternehmen. Umfassende Erhebungen gibt es dazu aber nicht. Die Datenschutzaufsichtsbehörden in Deutschland sehen die Situation überwiegend positiv. Einzelne Verantwortliche würden jedoch noch hinterherhängen. So sagte der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Thomas Petri nach einem Jahr im neuen Datenschutzregime: “Einige Stellen haben die DSGVO nahezu komplett umgesetzt, einige wenige weisen ein völlig unzureichendes Datenschutzniveau auf und müssen zu erheblichen Anstrengungen angehalten werden.” Die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel sieht nach der Auswertung einer Befragung von 150 niedersächsischen Landkreisen, Städten, Gemeinden und Samtgemeinden noch erheblichen Handlungsbedarf. Nachbessern müssen die Kommunen demnach bei der Durchführung von Datenschutz-Folgenabschätzungen und bei der Meldung von Datenpannen. Die Befragung hatte schon im November 2018 stattgefun-

Fortschritte erzielt worden sein. Mit der Arbeit der Datenschutzaufsichtsbehörden zeigte sich die Kommission zufrieden. Die neuen Befugnisse seien wirksam genutzt worden. Mit dem Europäischen Datenschutzausschuss gebe es eine enge Zusammenarbeit. So seien bis Juni 2019 bereits 516 grenzübergreifende Fälle im Rahmen des Kooperationsmechanismus bearbeitet worden. Die Kommission forderte die Datenschutzbehörden auf, darüber hinaus ihre Anstrengungen zu bündeln, z. B. durch gemeinsame Untersuchungen.

Uneinheitliches Bild bei der Rechtsdurchsetzung Die Aufsichtsbehörden der deutschen Bundesländer hatten bisher jedoch vor allem mit der Abarbeitung stark gestiegener Zahlen an Eingaben und Pannenmeldung zu tun (siehe Behörden Spiegel Mai 2019, S. 32). Bei vielen waren Prüfungstätigkeiten stark eingeschränkt. Der Hamburgische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Johannes Caspar bemängelte, dass es international agierenden Unternehmen immer noch gelinge, sich den erhöhten Sanktionsmöglichkeiten zu entziehen. Die Aufsichtsbehörden seien in vielen Fällen zu schlecht ausgestattet, um das zu verhindern.

Den Überblick behalten Digitales Rechte-Management sorgt für mehr Sicherheit (BS/Sascha Giese*) Behörden müssen stärker denn je darauf achten, Daten sicher und vor allem fehlerfrei anhand neuer Pflichten und Regeln wie KRITIS (Kritische Infrastrukturen) und DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) zu verwalten. Eine wesentliche Grundlage dafür ist es, die aktuelle Situation der Zugriffsrechte digital abzubilden. Teilweise passiert dies nämlich noch analog. Dabei können automatisierte Prozesse und digitale Werkzeuge personell schwach besetzten Ämtern helfen, die Digitalisierung voranzutreiben. Eine überschaubarere Verwaltung von Zugriffsrechten ermöglicht etwa das Data-Owner-Konzept: Der Administrator delegiert die abteilungsspezifische Vergabe von Datennutzungsrechten an die Abteilungsleiter. Denn diese wissen, welche Rechte ein neuer Mitarbeiter haben muss – und welche nicht. Sensible Daten können leichter identifiziert und klassifiziert werden. Zudem sollte das Prinzip der geringsten Rechte angewandt werden, bei dem jeder nur so viele Rechte erhält, wie er

zur Ausführung seiner Tätigkeit benötigt. Im Falle eines Cyber-Angriffs müssen KRITIS-Unternehmen und Behörden innerhalb von 72 Stunden beweisen, dass sie ihr Möglichstes getan haben, um einer Attacke vorzubeugen. Mithilfe eines Rechte-ManagementSystems lassen sich mit wenigen Klicks Protokolle über Zugriffsrechte und Berichte erstellen, um die Unschuld der eigenen Mitarbeiter sowie die unternommenen Maßnahmen nachzuweisen.

Durch kontrollierte Zuweisung von Zugriffsrechten behalten Administratoren den Überblick in ihren Organisationen. Automatisierte Reporte und Alarme helfen, neue Gesetze und Verordnungen einzuhalten sowie eine einheitliche Informations- und Datenbasis zu schaffen. In Zukunft profitieren von den neuen digitalen Möglichkeiten alle – Mitarbeiter wie Bürger. *Sascha Giese ist Head Geek bei SolarWinds.

Nach der bisherigen Rechtslage war die betriebliche Arbeitnehmervertretung datenschutzrechtlich “Teil der verantwortlichen Stelle” Arbeitgeber bzw. des Unternehmens. Dies entsprach der Wertung des Gesetzgebers und galt auch für den Personalrat, der ohne eigene datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit als unselbstständiger Teil der Dienststelle angesehen wurde. Die nunmehr geltende europäische DSGVO definiert den Verantwortlichen in Art. 4 Nr. 7 als “die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet (…)”. Dies lässt mehr Raum für Interpretation, da die Mitbestimmungsgremien nach dieser Definition als “andere Stelle” angesehen werden können, welche selbstständig und unabhängig vom Arbeitgeber oder Dienstherrn über Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten für ihre Gremienarbeit entscheiden.

Voraussetzungen liegen vor Für eine Verantwortlichkeit des Personalrats ließe sich somit anführen, dass er im Rahmen seiner Kontroll- und Mitbestimmungsrechte über die Zwecke der Datenverarbeitungen als Gremium selbst und eigenverantwortlich entscheidet. Dabei verarbeitet er auch umfassend personenbezogene Daten des Personals der Dienststelle. Anders ließe sich seine Kontrollfunktion überhaupt nicht verwirklichen. Auf den ersten Blick entscheidet der Personalrat auch über die Mittel der Verarbeitung (vgl. Art. 4 Nr. 7 DSGVO). Dazu könnte man anführen, dass der Personalrat im Rahmen seiner Arbeit auch über die konkrete IT- und Kommunikationsinfrastruktur als Mittel der Verarbeitung für seine Tätigkeiten entscheiden kann. Damit

tretungsgesetzes beispielsweise geregelt, dass der Personalrat einen eigenen Datenschutzbeauftragten zu bestellen hat. Der baden-württembergische Landesgesetzgeber hat demgegenüber sowohl im Landesdatenschutzgesetz als auch im Landespersonalvertretungsgesetz Dr. Stefan Brink ist der den Personalrat Landesbeauftragte für nicht als verantDatenschutz und Informationsfreiheit in Badenwortliche Stelle Württemberg bestimmt. Auch Foto: BS/LfDI BW/Kristina Schäfer der Bayerische Landesbeauftragte für den Datentretung, eigenständig die Daten schutz hat jüngst mit Blick auf der Beschäftigten zu verarbeiten, das Bayerische Datenschutzgedie tatsächliche Verarbeitungs- setz bekanntgegeben, dass für situation vor Ort und der Grad ihn keine eigene datenschutzder Einordnung des Personalrats rechtliche Verantwortlichkeit in die Dienststelle. Nach einer des Personalrats erkennbar Würdigung des Einzelfalls ist ist. Hier bleibt abzuwarten, wie danach im Regelfall beim Perso- sich andere Landesparlamente nalrat allerdings nicht von einer bei der Novellierung der Dateneigenen Verantwortlichkeit nach schutzgesetze bzw. im Bereich der DSGVO auszugehen. Er ist der Personalvertretung positiovielmehr datenschutzrechtlich nieren werden. Stellt sich der Personalrat somit als Teil der jeweiligen öffentlichen Stelle anzusehen, soweit er an nicht als Verantwortlicher dar, so der Personaldatenverarbeitung in enthebt ihn dies nicht der Pflicht, der Dienststelle mitwirkt, dabei datenschutzkonform zu agieren. technische Mittel der Dienststelle Auch technisch-organisatorisch einsetzt und die personalvertre- muss der Personalrat weiterhin tungsrechtlichen Zweckbegren- seine Betriebsabläufe und Dazungen für Datenverarbeitungen tenverarbeitungen evaluieren beachtet. Zudem sind die gesetz- und entsprechend dem Stand lichen Wertungen der Landesge- der Technik anpassen. Dabei ist insbesondere auf Verschlüssesetzgeber zu beachten. lungstechniken und DatensicheLänder haben gesetzgeberirung zu achten. sche Spielräume Zusammenfassend wird der Wie eingangs bereits ange- Personalrat daher – unter Besprochen, liegt die Gesetzge- achtung der landesgesetzlichen bungszuständigkeit für die Per- Bestimmungen, regelmäßig nicht sonalvertretungsgesetze und als Verantwortlicher im Sinne der Landesdatenschutzgesetze bei DSGVO anzusehen sein. Unabden Deutschen Ländern. Dies hängig von dieser normativen bedeutet, dass den Länderparla- Frage hat er bei seiner Gremienmenten gewisse gesetzgeberische arbeit die Regelungen des DatenSpielräume für die datenschutz- schutzes einzuhalten. Dies gilt rechtliche Verantwortlichkeit umso mehr, da im Rahmen der des Personalrats zukommen. vertraulichen PersonalangelegenSo wurde in der Novellierung heiten sensibelste personenbezodes thüringischen Personalver- gene Daten verarbeitet werden. liegen die Voraussetzungen für eine Einordnung der Personalräte als Verantwortliche im Sinne der DSGVO grundsätzlich vor. Entscheidend werden somit der Wille der konkreten Personalver-

Verschlüsselte Telefonie Mobil über Verschlusssachen sprechen (BS/Regina Hoffmann*) Virtual Solution erweitert seine Container-App SecurePIM Government SDS um SecureVoice zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Sprache. Die neue Funktion ist einfach zu bedienen und bietet die erforderliche Sicherheit. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat für die Lösung eine Freigabeempfehlung bis zum Geheimhaltungsgrad VS-NfD (Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch) für den Einsatz in Behörden erteilt. Die neue SecureVoice-Funktion des Produktes SecurePIM Government SDS ermöglicht verschlüsselte Telefonate von Smartphones. Das BSI erteilte bereits die benötigte Freigabeempfehlung, sodass Mitarbeiter in Behörden SecureVoice für die sichere Kommunikation von Gesprächsinhalten bis zum Geheimhaltungsgrad VS-NfD mit ihren Smartphones nutzen können. Zum Telefonieren darf SecureVoice nur kombiniert mit SecurePIM Government SDS verwendet werden. Die Verwaltung von eingestuften Kontakten erfolgt

weiterhin im Kontaktemodul von SecurePIM Government SDS. Die Verschlüsselung in SecureVoice findet über zwei parallele Algorithmen statt und benutzt keine vorinstallierten Schlüssel. SecureVoice für iOS-Endgeräte soll in den nächsten Wochen verfügbar sein, eine Version für Android-Smartphones von Samsung ist in Planung. Sobald SecureVoice allgemein verfügbar ist, können Behörden die Lösung über das Kaufhaus des Bundes, eine elektronische Einkaufsplattform für Behörden und Einrichtungen des Bundes, beziehen.

“Das einfach zu bedienende mobile Büro für Behörden hat damit einen entscheidenden Schritt nach vorne geschafft”, erklärt Günter Junk, CEO der Virtual Solution AG in München. “Mobil tätige Behördenmitarbeiter erhalten mit SecureVoice eine zuverlässige Lösung für sensible Sprachanrufe vom Smartphone aus. SecureVoice liefert eine überzeugende Sprachqualität und steht komfortabel über die Container-App SecurePIM zur Verfügung.” *Regina Hoffmann ist Director Marketing bei Virtual Solution.

MELDUNG

Angst vor Datenmissbrauch (BS/ah) Eine Studie von YouGov und Panda Security ergab, dass über 50 Prozent der Deutschen sich vor Missbrauch persönlicher Daten mehr fürchten als vor einem Einbruch. Am größten ist

die Furcht vor Hacker-Angriffen (47 Prozent), gefolgt von Identitätsdiebstählen (41 Prozent) und Phishing (37 Prozent). Dennoch wird oftmals auf die Sicherheit bei der Wahl des Passwortes

verzichtet. Rund 44 Prozent der Deutschen habe in der Vergangenheit dasselbe Passwort für mehrere Accounts genutzt. Fast jeder Fünfte nutze leicht zu erratende Passwörter.


Behörden Spiegel / August 2019

Public IT-Security (PITS) 2019

KOMMENTAR

Eine effektive Cyber-Verteidigung kann nur europäisch sein! Unser Alltag ist heute schon größtenteils digitalisiert – und so laufen viele Prozesse, teilweise ohne unser Wissen, – völlig automatisch ab. Während Unternehmen ihre Geschäfte dadurch wesentlich effizienter abwickeln können und immer neue Tätigkeitsfelder erschließen, erfreuen sich die Bürger über eine stetige Vereinfachung von früher oft langwierigen oder komplizierten Prozessen. Eine gravierende Begleiterscheinung ist dabei aber die stark steigende Zahl von Cyber-Attacken. Allein zwischen 2013 und 2017 hat sie sich verfünffacht. Cyber-Attacken richten sich gegen die Kritische Infrastruktur, manipulieren den Finanzmarkt, stehlen massenhaft Geschäftsgeheimnisse und geistiges Eigentum. Schon jetzt wird europaweit ein Schaden von mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vermutet. Die Angriffe richten sich dabei nicht nur gegen die Wirtschaft, auch der einzelne Bürger (z. B. Identitätsdiebstahl) oder staatliche Institutionen (z. B. Wahlmanipulation) sind Ziele. Auffällig ist, dass viele CyberAttacken staatlich gesponsert und organisiert sind, wobei Untersuchungen immer wieder auf Länder wie China, Nordkorea oder auch Russland verweisen. Aufgrund der Häufigkeit, Komplexität und Geschwindigkeit der Angriffe ist kein EU-Mitgliedsstaat in der Lage, allein für einen effek-

tiven Schutz zu sorgen. Wie hat die Europäische Union bisher auf das Problem reagiert? Zu nennen ist hier zunächst der 2018 verabschiedete “Cybersecurity Act”. Er stärkte zum einen das Mandat der EU-Cyber-Sicherheitsagentur (ENISA) und adressierte das Problem von fragmentierten nationalen Regeln, zum anderen wurde ein EU-Rahmen für die Cyber-Sicherheitszertifizierung eingeführt, welche die Sicherheit von Online-Diensten und von Endgeräten stärkt. Darüber hinaus wird die Forschung mit Mitteln des Europäischen Verteidigungsfonds gefördert und die Europäische Kommission stärkte die Zusammenarbeit mit kleinen und mittleren Unternehmen. Ein Blick auf die Nachrichten zeigt aber, dass diese Schritte zwar begrüßenswert, aber nicht ausreichend sind! So sind vier weitere Maßnahmen meiner Meinung nach zwingend erforderlich: Erstens eine vollständige Implementierung der schon beschlossenen

Gesetze in den EU-Mitgliedsstaaten (insb. Cybersecurity Act, NIS, RiLi zu Geschäftsgeheimnissen). “Zweitens: Anfertigung einer Studie über die weiteren rechtlichen Möglichkeiten der EU, staatlich finanzierte und organisierte Cyber-Kriminalität abzuwehren sowie die bessere Nutzung von Technologien, wie “Security by Design”, Cloud-Services, Künstliche Intelligenz, 5G und Verschlüsselung zur Stärkung der eigenen Wehrhaftigkeit. Drittens: die Einführung von speziellen Trainings, um die allgemeine Aufmerksamkeit für die Gefahren zu steigern und die menschliche Einflussgröße zu senken, denn 95 Prozent aller Angriffe werden erst durch eine menschliche Handlung ermöglicht. Viertens: konzentrierte diplomatische und wirtschaftliche Vergeltungsschläge in Kooperation mit der OECD gegen nachweislich nicht-kooperative Staaten, von welchen Cyber-Angriffe ausgehen. In ihrer Kombination würden diese vier Maßnahmen helfen, unsere Wehrhaftigkeit massiv zu steigern und unsere Bürger, Unternehmen und Institutionen noch wirksamer schützen. Axel Voss

Axel Voss (CDU) ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Foto: BS/Privat

Fokusthema 5G auf der PITS Axel Voss wird auf der Public-IT-Security (PITS) 2019 des Behörden Spiegel an einer Diskussionsrunde zum Fokusthema 5G teilnehmen. Am 3. September wird er u. a. mit Dr. Barbara Held, Abteilungsleiterin bei der BDBOS, und Dr. Wilhelm Eschweiler, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, über Sicherheit und Vertraulichkeit in den kommenden Mobilfunknetzen diskutieren. Weitere Informationen zur Veranstaltung und die Möglichkeit zur Anmeldung unter: www.public-it-security.de/

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Ohne Berechtigung gibt es keinen Kaffee! Rollen- und Berechtigungsmanagement erfolgreich einsetzen (BS/Bernd Sommerfeldt*) War es nicht damals schön? Als wir noch selbst entschieden haben, wo unsere Unterlagen gelegen haben, als jeder sich einfach Dokumente nehmen und zurückstellen konnte, wie er es wollte. Kennen Sie noch die Hauspost, als sensible Daten quer durch alle Abteilungen gingen, bis sie schließlich dort landeten, wo sie hingehörten oder eben auch mal verloren gingen und wer weiß wie oft gelesen wurden? Diese Zeiten waren mit einer Vielzahl von neuen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien vorbei. DS-GVO, LDSGs, BSIG, SGBs, MaRisk, DIN EN IEC/ ISO 9001:2015, DIN EN IEC/ ISO 27001:2017, nur um hier einige zu nennen. Ab dann hieß es, “compliant” zu sein, und dies revisionssicher, zum Schutz von personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten. Die Anforderungen, welche insgesamt nach dem aktuellen Stand der Technik zu betrachten sind, überschneiden und ergänzen sich dabei. Keine Berechtigung ohne Grund, Berechtigungen auf das Notwendigste beschränken, Risiken minimieren und revisionssicher jederzeit nachweisen können: Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Berechtigungskonzeptes wie auch eines weiterführenden Rollenkonzeptes mit modularer eindeutiger Namensgebung. Der Gesetzgeber sieht eine regelmäßige Überprüfung bzw. Optimierung der Maßnahmen vor und die Fähigkeit, auf Ereignisse reagieren zu können. Um die Umsetzung eines Berechtigungskonzeptes einfach zu halten, wurde häufig das Ticketsystem und/oder Monitoring-System eingesetzt, zur vollständigen Überwachung und Nachvollziehbarkeit. Beides verstößt in unterschiedlicher Ausprägung gegen den Personaldatenschutz und ist für diesen Zweck ungeeignet. Die IT richtet zwar die Lösung ein, doch wer in welcher Rolle sein soll, wie

Ohne Berechtigung gibt es in modernen Arbeitsumgebungen keinen Zugriff mehr auf Dokumente, Daten und sonstige notwendige Ressourcen. Aber muss auch die Versorgung mit dem “Arbeitsmittel” Kaffee ins Berechtigungs- und Rollenkonzept integriert werden? Foto: BS/rawpixel, CCO, pixabay.com

diese sich ändert sowie deren Überprüfung liegt in der Verantwortung der Vorgesetzten. Nur selten wird dies tatsächlich so in der Praxis umgesetzt, wenn aber, dann sind die Mehrwerte deutlich zu sehen. Wie Aufgaben und Zuständigkeiten in der Praxis mit einem Rollen- und Berechtigungsmanagement erfolgreich gestaltet werden können, wird auf der PITS 2019 am 2. September dieses Jahres im Rahmen der Experten-Runde 1 “Rollen- und Berechtigungsmanagement 4.0” mit Teilnehmern aus Behörden

und Unternehmen diskutiert und dargestellt. Weiterführende Informationen und individuelle Antworten gibt es bei GSNDE – während der PITS an Stand 24. Hier gibt es auch ohne besondere Berechtigung Kaffee. *Bernd Sommerfeldt ist mehrfach akkreditierter/zertifizierter int. Sachverständiger für Datenschutz und Informationssicherheit, Certified Security Hacker (DIN EN IEC/ISO 17024, DEKRA, ITK, IHK, BvD e. V.) und einer der Autoren von “Die Burg IT-Sicherheit” und “IT-Sicherheit ist sexy”.


Der Fachkongress Deutschlands für IT- und Cyber-Sicherheit bei Staat und Verwaltung

PITS 2019 www.public-it-security.de

Public-IT-Security

PITS 2019: 2. - 3. September, Hotel Adlon Berlin

Die agile, hybride Bedrohungslage Herausforderung – Entwicklung – Austausch – Lösungen

08.25 Uhr Begrüßung der Kongress-Teilnehmer R. Uwe Proll, Herausgeber und Chefredakteur des Behörden Spiegel 08.30Uhr Verbraucherschutz in der Digitalisierung Christine Lambrecht*, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz 08.50 Uhr Die Bedeutung des CISO für Wirtschaftsunternehmen Abdou-Naby Diaw, Chief Information Security Officer (CISO), Deutsche Lufthansa 09.10 Uhr Keynote Boris Pistorius, Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport 09.30 Uhr Digitale Souveränität aus Sicht eines deutschen Systemintegrators Gerhard Marz, Bereichsvorstand, Geschäftsbereich Public Sector, Bechtle 09.50 Uhr Kaffeepause

08.30 Uhr IT-Sicherheitsgesetz 2.0 - Stand der Umsetzung Moderation und Impuls: Andreas Könen, AL „Cyber- und Informationssicherheit“, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer Bitkom Friedrich-Wilhelm Menge, Chief Information Officer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Generalmajor Dr. Michael Färber, Kommandeur des Kommandos Informationstechnik der Bundeswehr Ingo Hannemann*, Technischer Geschäftsführer von HAMBURG WASSER

10.35 Uhr Die agile, hybride Bedrohungslage: Herausforderung – Entwicklung – Austausch – Lösungen Moderation und Impuls: Daniel Kleffel, Präsident Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Brigadegeneral Peter Richert, Abteilungsleiter Einsatz, Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr Ralf Michelfelder, Präsident Landeskriminalamt Baden- Württemberg Wilfried Karl, Präsident ZITiS Andree Bergner, Director Presales & Consulting, Panda Security Hannes Steiner, Director Sales Germany, Trend Micro Deutschland Jochen Koehler, Regional VP Sales Europe, Bromium

10.10 Uhr Next Generation Cyber Security – wie Sie innovationstreibende, cloudbasierte Technologien in Ihrem Unternehmen verankern Andree Bergner, Director Presales & Consulting, Panda Security 10.30 Uhr Kooperation für Cyber-Abwehr – Weg und Ziel für zukünftige IT-Sicherheit Moderation und Impuls: Klaus Vitt, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik und Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Ammar Alkassar, Bevollmächtigter für Innovation und Strategie, Staatskanzlei des Saarlandes Peter-Michael Kessow, Geschäftsführer G4C German Competence Centre against Cyber Crime Generalmajor Michael Vetter, Abteilungsleiter Cyber/Informationstechnik (CIT), Bundesministerium der Verteidigung Nils Ullmann, Solution Architect, Zscaler Bernd König, Director Product Line Security EMEA, Akamai Technologies Christopher Waas, CISO BWI 11.20 Uhr „Zero Trust“ – 100% verschlüsselter Datenverkehr und 0% Sichtbarkeit? Stephan Schulz, Senior Specialist Systems Engineer - Security, F5 11.40 Uhr Kaffeepause

09.20 Uhr Isoliert durch den Tag – Telemetriedaten sollen drinnen bleiben, Schadcode draußen! Jochen Koehler, Regional VP Sales Europe, Bromium 09.40 Uhr Kaffeepause

11.30 Uhr Raumwechsel 11.40 Uhr EXPERTEN-RUNDE 1 Rollen- und Berechtigungsmanagement

Internet Security / Endpoint Protection / DDoS-Attacken

IT-Konsolidierung: welche Strategie für ein Plus an mehr Sicherheit

Faktor Mensch – Realisierung mitarbeiterzentrischer Sicherheit

Künstliche Intelligenz

13.10 Uhr Mittagessen / Buffet 14.40 Uhr Wirtschaftsspionage Moderation und Impuls: Bernhard Witthaut, Präsident Niedersächsischer Verfassungsschutz Matthias Wachter, Leiter der BDI-Abteilung Sicherheit und Rohstoffe, Bundesverband der Deutschen Industrie Volker Wagner, Vice President Security BASF Group, Vorstandsvorsitzender ASW-Bundesverband Dr. Maik Pawlowsky, Abteilungsleiter Spionageabwehr und Geheimschutz, Bundesamt für Verfassungsschutz Kurt Knochner, Cyber Security Strategist, Fortinet 15.35 Uhr Die Geheimwaffe: Container-Technologie. Sicher. Einfach. Flexibel. Günter Junk, CEO Virtual Solution 15.55 Uhr Trends in der Hackerwelt 2019 Michael Tullius, Regional Director DACH, radware 16.15 Uhr Raumwechsel

12.00 Uhr EXPERTEN-RUNDE 3 Sichere mobile Kommunikation

Datenschutz als Treiber für die Digitalisierung

Cloud Security

Ernstfall Social Engineering / Security Awareness

FOKUSTHEMA Sicherheit in 5G

13.30 Uhr Mittagessen / Buffet 15.00 Uhr EXPERTEN-RUNDE 4 Das Land ist so sicher wie seine Kommunen

Herausforderung: Strafverfolgung im Internet

Kritische Infrastrukturen

Cyber-Sicherheit – Grundlage einer erfolgreichen Digitalisierung

Cyber Resiliance und Risk Perception

16.30 Uhr Ende der Veranstaltung

16.25 Uhr EXPERTEN-RUNDE 2 SPAM, Phishing und Ransomware

Netzwerksicherheit als Priorität

Sichere Zugriffsrechte

IT-Security made in Germany

Computer Emergency Response Teams (CERTs): Angriffsflächen erkennen und schließen

17.55 Uhr Kaffeepause 18.30 Uhr Cyber Security – The Human Factor Robin Seyler, Director Marketing, Panda Security 18.50 Uhr Terrorismus im Cyber-Raum – Cyber-Terrorismus? Moderation: R. Uwe Proll, Herausgeber und Chefredakteur des Behörden Spiegel Martin Schallbruch, Stellvertretender Direktor des Digital Society Instituts der ESMT Berlin Gerhard Schindler, Präsident des Bundesnachrichtendienstes a. D. Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds des NDR, des WDR und der Süddeutschen Zeitung Michael Tullius, Regional Director DACH, radware Chris Meidinger, Sales Engineering Team Lead – Germany, Austria & Switzerland, Crowdstrike 19.50 Uhr Abendempfang

Moderation der PITS 2019: Frank Moses, Leiter Technischer Datenschutz bei der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Saarlandes Thomas Rehbohm, CISO, Zentrales IT-Management und Digitalisierung öffentlicher Dienste bei der Senatorin für Finanzen in der Freien Hansestadt Bremen


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2019

Flugunfälle bei der Bundeswehr

KNAPP Neues Zentrum

Einsatzfähigkeit des Fluggeräts und Pilotenausbildung im Fokus (BS/Dr. Gerd Portugall) Innerhalb von nur acht Tagen sind in diesem Sommer drei Luftfahrzeuge der Bundeswehr abgestürzt. Dabei sind zwei Piloten ums Leben gekommen und zwei weitere wurden verletzt. Schnell wurden in der medialen und politischen Öffentlichkeit Thesen diskutiert, wonach diese Unglücksfälle eventuell auf fehlendes einsatzfähiges Fluggerät zurückzuführen seien, das seinerseits mangelnde Flugpraxis für die Piloten begründe. Wie äußert sich die Bundeswehr dazu? Auf Anfrage des Behörden Spiegel erklärte ein Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) dazu: “Ganz grundsätzlich gilt, dass die Bundeswehr einsatzfähige Kräfte und Mittel für die ihr zugewiesenen Aufgaben bereitstellt und ihren nationalen wie auch internationalen Verpflichtungen nachkommt.” Dies gelte auch für fliegerische Kräfte, unabhängig vom Organisationsbereich. Schließlich verfügten Heer, Luftwaffe und Marine über jeweils eigene Luftfahrzeuge. Allerdings sei diese vielfältige Pflichterfüllung “vor dem Hintergrund der bekannten angespannten materiellen Ressourcen anspruchsvoll”. Das BMVg habe auf der Grundlage einer umfassenden Analyse zur materiellen Einsatzbereitschaft mit den Trendwenden “Finanzen” und “Material” sowie der “Agenda Nutzung” die erforderlichen Steuerungsmaßnahmen ergriffen, “um zukünftig eine vollumfängliche, auftragsgerechte Ausstattung zu erreichen”. Allerdings: Der technische Klarstand der Luftfahrzeuge im Grundbetrieb, bedingt durch Ausfälle sowie erforderliche Aufund Umrüstungen, “entsprach nicht den ursprünglichen Planungen”, sagte der Ministeriumssprecher einschränkend. Die Lage würde aber absehbar bereinigt: Maßnahmen zu einer langfristigen Verbesserung der Situation seien mit der “Agenda Nutzung” eingeleitet worden und die aktuellen Zuläufe an fabrikneuem fliegendem Gerät würden die Situation weiter entspannen. Als Beispiel nannte der BMVgSprecher den Zulauf von zehn Transportflugzeugen vom Typ Airbus A400M sowie die Zertifizierung dieses Modells als Tankund Sanitätsflugzeug (“Medical Evacuation” – MedEvac) im vergangenen Jahr. Außerdem befin-

det und erfüllten in jedem (!) Fall die Voraussetzungen für diese Einsätze. Auf diese Feststellung legt das Kommando Luftwaffe besonderen Wert.

Fazit

Sind in mediale und politische Turbulenzen geraten: die Eurofighter der Bundeswehr.

det, sich immer ein Teil der hochtechnisch-komplexen Fluggeräte in Reparatur oder Wartung. Da Flugzeuge und Hubschrauber ausgesprochen lange genutzt würden, fänden immer wieder auch Modernisierungsmaßnahmen von einzelnen Komponenten statt. Daraus folge, dass es eine 100-prozentige Einsatzfähigkeit nie geben könne.

Pilotenausbildung Bei der Einsatzbereitschaft insbesondere der bemannten Luftfahrzeuge komme der Ausbildung und dem Kompetenzerhalt des fliegerischen Personals “eine entscheidende Bedeutung” zu, so der Ministeriumssprecher. Allerdings: In den letzten Jahren habe der für die fliegerische Aus- und Weiterbildung sowie für den Lizenzerhalt verfügbare Flugzeugklarstand – in Deutschland außerhalb von Einsätzen und Dauereinsatzaufgaben – “teilweise unter den Erwartungen” gelegen, ließ das BMVg verlauten. Deshalb sei es in der Vergangenheit vereinzelt zu temporären Verlusten der Fluglizenz aufgrund von Nichterreichen der geforderten Mindestanzahl an

Realflugstunden pro Jahr gekommen. Der Verlust der Fluglizenz könnte aber allgemein auch in langfristigen Abwesenheiten (zum Beispiel durch Lehrgänge, Krankheit, Elternzeit, nicht-fliegerische Einsatzverpflichtungen usw.) begründet sein. Nach Abschluss einer sogenannten “Wiedererwerbsschulung” konnten jedoch alle Lizenzen neu erteilt werden. Grundsätzlich gelte, dass in Abhängigkeit des jeweiligen Qualifizierungsgrades die Luftfahrzeugführer die vorgeschriebene Mindestanzahl an Flugstunden erfüllten. Zudem würden nur so viele Luftfahrzeugführer in die Aus- und Weiterbildung eingesteuert, wie die Bedarfsdeckung der Streitkräfte zuließe. Dementsprechend seien hierfür auch die jeweiligen Flugstunden für eine adäquate Qualifikation verfügbar, so der Ministeriumssprecher. Letztlich erfolge im Falle eines Mangels an Flugstunden eine “Priorisierung der taktischen Ausund Weiterbildung”, erläuterte ein Sprecher der Deutschen Luftwaffe gegenüber dieser Zeitung. “Mit höchster Priorität werden die Besatzungen ausgebildet, die für Einsätze oder einsatzgleiche

Foto: BS/Bundeswehr, Stefan Petersen

Verpflichtungen anstehen.” Bei Besatzungen mit geringerer Priorisierung würde nicht das volle Einsatzspektrum des jeweiligen Waffensystems geschult. In jedem Fall sei die sichere Flugdurchführung gewährleistet.

Sonderfall NATOZertifizierung Innerhalb der Atlantischen Allianz existiert eine NATO-Flugstundenforderung von 180 Gesamtflugstunden pro Jahr. Davon können bis zu 40 Flugstunden in Simulatoren erfüllt werden. Damit soll eine “uneingeschränkte Einsatzbereitschaft in allen Rollen” gewährleisten werden, so das Kommando Luftwaffe. Der von der NATO geforderte Flugstundenansatz zielt auf ein “möglichst breites Fähigkeitsspektrum” der Besatzungen ab. Die national für NATO-Missionen ausgewählten Piloten erfüllten diese Anforderungen “vollumfänglich”, so der Luftwaffensprecher. Besatzungen, die für einen Einsatz oder eine einsatzgleiche Verpflichtung – zum Beispiel für das “Air Policing” im Baltikum – vorgesehen sind, würden hierfür gezielt und umfassend ausgebil-

Die Bundeswehr verwahrt sich gegen den Eindruck, dass materielle Einsatzfähigkeit und personelle Ausbildung in einem wie auch immer gearteten kausalen Zusammenhang mit den eingangs genannten Abstürzen stünden. Auch ist die Botschaft angekommen, dass es keine hundertprozentige Einsatzbereitschaft geben könne. Das Problem: In der Vergangenheit gab es durchaus Beispiele, dass bei bestimmten Systemen eine Verfügbarkeit von null Prozent existierte. 2017 ging dieses Phänomen bei den sechs U-Booten der Marine vielbeachtet durch die Presse. Im November des gleichen Jahres berichtete der damalige Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, auf der Berliner Sicherheitskonferenz, dass ihm damals beim A400M eine Einsatzbereitschaft von null gemeldet worden sei. Angesprochen auf den Umstand, dass 2018 neun Piloten ihren Dienst bei der Luftwaffe quittiert hatten, während es in den vier Jahren davor insgesamt nur fünf waren, erklärte der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Marcus Faber, Mitglied im Verteidigungsausschuss, im Frühjahr dieses Jahres, dass die Zahl der Kündigungen zwar klein erscheinen möge, die negative Tendenz aber eindeutig sei. “Piloten gehen zur Luftwaffe, weil sie fliegen wollen. Aber meist stehen die Maschinen am Boden, weil sie nicht einsatzbereit sind”, so der Verteidigungspolitiker. All die hier genannten Aspekte verlangen nach besonderer Aufmerksamkeit.

(BS/mfe) Künftig wird es immer stärker darauf ankommen, dass Städte auch bei Krisen, Großschadenslagen und Katastrophen resilient bleiben. Denn: 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. 1950 waren es noch nur 30 Prozent, 2010 noch rund die Hälfte. Wie informations- und kommunikationstechnische Systeme auch im Notfall funktionsfähig bleiben und weiterbetrieben werden können, wird ab Anfang kommenden Jahres an einem neuen Forschungszentrum in Darmstadt untersucht. Die Einrichtung, die fachlich auch vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK) begleitet wird, soll den Namen “emergenCITY – Die Resiliente Digitale Stadt” tragen. Beteiligt sind unter anderem Professoren von der Technischen Universität Darmstadt sowie der Universitäten Kassel und Marburg sowie weitere Experten.

Reaktionstests der russischen Luftwaffe (BS/por) Seit geraumer Zeit erscheinen Meldungen, wonach russische Militärmaschinen sich nationalen Lufträumen gefährlich nähern oder diese sogar verletzen würden. Jedesmal dementiert das Verteidigungsministerium in Moskau entschieden. Trotzdem: Besonders “beliebt” scheinen in Europa die Hoheitsgebiete der Ukraine, Georgiens, des Baltikums, Schwedens und Großbritanniens zu sein. Davon konnte sich auch schon die deutsche Luftwaffe beim “Air Policing” über dem Baltikum überzeugen. Dieses Phänomen ist aber nicht auf Europa begrenzt. Schlagzeilen machte 2015 der Abschuss eines russischen Bombers durch einen türkischen Abfangjäger im Grenzgebiet zu Syrien. Jüngstes Beispiel ist der Zwischenfall über einem von Südkorea und Japan beanspruchten Seegebiet, an dem russische und interessanterweise auch chinesische Maschinen beteiligt waren.


Innere Sicherheit

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B

ehörden Spiegel: Frau Dr. Bussweiler, vor welchen Pro­blemen stehen Sie als Staatsanwältin bei Ermittlungen im digitalen Raum, insbesondere im Darknet?

Behörden Spiegel / August 2019

Schwierige Ermittlungen im digitalen Raum

Bussweiler: Auch da sieht es in der Regel gut aus, in den letzten Jahren hat sich da sehr viel getan. Internationale Zusammenarbeit ist bei der Strafverfolgung im Internet äußerst wichtig. Da hilft (BS) Neben Polizisten stehen auch Staatsanwälte bei Verfahren im Internet vor großen Herausforderungen. Das gilt ganz besonders für den Bereich uns auch die Kooperation mit Dr. Bussweiler: Bei Ermitt- des Darknets. Hier bräuchte es auch neue Straftatbestände, meint Dr. Julia Bussweiler. Die Fragen an die Staatsanwältin bei der Zentralstelle zur dem Bundeskriminalamt sehr. lungen im digitalen Raum tun Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) im hessischen Gießen stellten Marco Feldmann und Benjamin Stiebel. Sehr gut zusammengearbeitet sich für uns als Staatsanwälte haben wir zuletzt unter anderem gleichen strafpro- sche Norm zur Herausgabe von mit den baltischen Staaten sowie mannigfaltige Probleme auf. Sehr Spuren sichern. Schwieriger problematisch ist zum Beispiel wird es für uns, wenn es solche zessualen Maß- Kunden- und Sendungsdaten mit Bosnien-Herzegowina. Zur Wahrheit gehört aber auch, die Verschlüsselung im Darknet, Schnittstellen nicht gibt. Das ist Dr. Julia Bussweiler ist Staatsnahmen wie alle gegenüber Postdienstleistern, da dass das Ausanwältin bei der hessischen denn dadurch erhalten wir bei zum Beispiel bei Kinderpornograanderen StaatsZentralstelle zur Bekämpfung Ermittlungsverfahren in diesem fie der Fall, weil entsprechende anwaltschaften maß der Zusam“Wir hätten gern eine konkrete der Internetkriminalität (ZIT) Bereich keine realen IP-Adressen. Dateien einfach heruntergeladen auch, nutzen sie gesetzgeberische Norm zur Herausgabe menarbeit oft mit Sitz in Gießen. Diese Da fehlt uns dann oft ein Ermitt- werden können. nur manchmal vom Einzelfall, von Kunden- und Sendungsdaten ist eine Sondereinheit der lungsansatz. Außerdem agieren etwas anders dem jeweiligen Generalstaatsanwaltschaft Täter im Darknet oft sehr konspiBehörden Spiegel: Braucht und ausgiebiger. Land sowie von gegenüber Postdienstleistern.” Frankfurt am Main. rativ und vorsichtig. Wenn jemand es einen neuen, eigenständigen Bei unseren Verden involvierten hingegen im “normalen” Internet Straftatbestand, der das Betreifahren werden dazu divergierende Auffassungen Kolleginnen und Kollegen im Aus Foto: BS/Privat häufig E-Mails innerhalb der höchstrichterlichen land abhängt. Schwieriger wird eine Straftat begeht, können wir ben illegaler Plattformen im DarkIP-Adressen abfragen und dann net sanktioniert? im Vergleich zu landgerichtlichen beschlagnahmt. Allerdings ist Rechtsprechung existieren. Das es, wenn die Verdächtigen weiter ermitteln, zu wem sie gehören. Staatsanwaltschaften viel häu- die Strafprozessordnung schon würde uns bei Ermittlungen sehr entfernt sitzen, zum Beispiel in Behörden Spiegel: Ja, den figer einsetzen. Das gilt unter älter, weshalb sich dort keine helfen. Südostasien. Innerhalb der EuBehörden Spiegel: Welche wei- bräuchten wir. Bisher ist es anderem für Maßnahmen zur Te- ausdrückliche Einzelbestimmung ropäischen Union, etwa mit den Behörden Spiegel: Wie gestal- Niederlanden oder Frankreich, teren Probleme gibt es? so, dass wir nur Betreiber von lekommunikationsüberwachung, für eine derartige Beschlagnahme Kinderpornografie-Plattformen weil vor allem Verkehrsdaten für findet. Wir ziehen dann immer tet sich die Zusammenarbeit der ist die Kooperation in aller Regel Bussweiler: Auf Darknet-Platt- als Täter belangen können, weil Ermittlungen in unseren Fällen den entsprechenden Paragrafen Zentralstelle zur Bekämpfung der sehr gut. Gleiches gilt meiner formen, auf denen kinderporno- es dafür eine explizite Vorschrift äußerst wichtig sind. zur Beschlagnahme von Postsen- Internetkriminalität mit anderen Erfahrung nach für den grenzgrafisches Material angeboten gibt. Bei Plattformen, auf denen überschreitenden Austausch Zudem arbeiten wir weit über- dungen heran. Staatsanwaltschaften? wird, werden oft sogenannte etwa Betäubungsmittel oder wiegend mit dem Bundeskrimipolizeilicher Daten. Es wäre jedoch wünschensWaffen verkauft nalamt zusammen, weil es da wert, wenn in die StrafprozessBussweiler: Die Zusammenar“Bei Ermittlungen im digitalen Raum werden, können zahlreiche spezialisierte Sach- ordnung eine explizite Bestim- beit mit anderen Staatsanwalt- Behörden Spiegel: Hilft die Zuwir gegen die gebiete und ein über Jahre auf- mung zur Beschlagnahme von schaften funktioniert sehr gut. sammenarbeit mit Eurojust bei tun sich für uns als Staatsanwälte Betreiber bisher gebautes Know-how gibt. Das gilt besonders dann, Ermittlungen im digitalen Raum? mannigfaltige Probleme auf.” in der Regel nur Die Kollegen verfügen wenn es im jeweiligen “Es wäre jedoch wünschenswert, wegen Beihilfe zu über viel Erfahrung, soBussweiler: Ja, Eurojust kann Bundesland auch eine “Keuschheitsproben” verlangt. einer Straftat vorgehen. Und da dass wir aus den gewon- wenn in die Strafprozessordnung eine Zentralstelle wie unse- uns erheblich unterstützen. Etwa Dabei müssen Nutzer selbst muss der Strafrahmen zwingend nen Daten dann auch explizite Bestimmung zur Beschlag- re gibt. Dies ist etwa in wenn es darum geht, in mehreren kinderpornografisches Material gemildert werden. Das wird der zahlreiche Erkenntnisse Bayern und Nordrhein- Staaten gleichzeitig stattfindende nahme von E-Mails aufgenommen hochladen, um Mitglied in diesen Sache nicht gerecht. Westfalen der Fall. Und strafprozessuale Maßnahmen zu ableiten können. Da unwerden würde.” geschlossenen Kreisen zu werden. terscheidet sich unsere da unsere Aktenführung koordinieren. Oder bei RechtsBehörden Spiegel: Wie gestaltet Arbeit doch schon relativ Aber weder wir als Staatsanwälte vollständig elektronisch hilfeersuchen. noch Polizeibeamte dürfen das sich in den von Ihnen geführten stark von der in einer landge- E-Mails aufgenommen werden erfolgt, können wir bei Verfahtun, denn ansonsten würden wir Ermittlungsverfahren die Zu- richtlichen Staatsanwaltschaft. würde. Außerdem würden wir rensabgaben an andere StaatsEine gekürzte Fassung dieses uns strafbar machen. sammenarbeit mit der Polizei? Gleiches gilt für unsere Arbeit mit es begrüßen, wenn Ermittlern anwaltschaften die Daten sehr Interviews findet sich auch in der Außerdem sind Ermittlungen im Unterscheidet sich diese von verdeckten Ermittlern im Inter- bei Kinderpornografie-Verfahren schnell übermitteln. Das hilft neuesten Ausgabe der Behörden digitalen Raum technisch oftmals Verfahren im analogen Bereich net. Deren Arbeit unterscheidet “Keuschheitsproben” erlaubt ungemein, wenn zum Beispiel ein Spiegel-Schriftenreihe “Moderne sehr schwierig. Ansatzpunkte für oder durch eine landgerichtliche sich schon erheblich von der ihrer würden. Da könnte man dann Verdächtiger schnell in Untersu- Polizei”. Das aktuelle Heft trägt uns sind in aller Regel Schnitt- Staatsanwaltschaft? Kollegen in der analogen Welt. mit computergenerierten Dateien chungshaft genommen werden den Titel “Die Cyber-Polizei: Instellen zwischen der digitalen und fiktiven Bildern arbeiten. soll und es keinen Zeitverzug novationen – Sharing – Tools. Es kann – ebenso wie die übrigen Bussweiler: Ja, da gibt es schon und der realen Welt, etwa wenn Behörden Spiegel: Welche Wünschenswert wäre es zudem, geben darf. bisher erschienen Ausgaben im Darknet erworbene Waffen Unterschiede. Wir bei der Zen- strafprozessualen Instrumente wenn die VorratsdatenspeicheBehörden Spiegel: Und wie der Schriftenreihe – unter www. oder Drogen per Post versendet tralstelle zur Bekämpfung der haben Sie bereits und welche rung auch tatsächlich umgesetzt werden würde. Und: wir hätten sieht es mit der grenzüberschrei- behoerden-spiegel.de/sonderpu werden. Da können wir teilweise Internetkriminalität haben Er- wünschen Sie sich noch? Bussweiler: Wir haben die gern eine konkrete gesetzgeberi- tenden Kooperation aus? Sendungen abfangen und dann mittlungsmaßnahmen, die wir blikationen bestellt werden.

Darknet stellt auch Staatsanwälte vor neue Herausforderungen

Taser-Einführung in NRW ausgesetzt Distanzelektroimpulsgeräte kommen vorerst nicht

MELDUNGEN

Gemeinsame Zentren unverzichtbar

(BS/mfe/por/rup) In Nordrhein-Westfalen wird die Landespolizei Distanzelektroimpulsgeräte bis auf Weiteres (BS/mfe) Auch im Sicherheits- gegen nationale Bedrohungen sche er sich für das GTAZ. Klar nicht einsetzen. Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Einführung der Taser auf unbestimmte Zeit verscho- bereich stellt sich immer wieder wie den gewaltbereiten Islamis- ist für ihn: “Wo der Föderalismus ben. Zur Begründung führte er unter anderem knappe Haushaltsmittel an. die Frage nach dem Verhältnis mus oder Rechtsextremismus an seine Grenzen kommt, wie bei Zudem verwies er darauf, dass die Praxistauglichkeit dieses nicht unumstrittenen Gerätes erst noch in einem Pilotprojekt nachgewiesen werden müsse. Solche Tests hatten die Regierungsfraktionen CDU und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2017 verabredet. Kritik an dem Stopp, der wohl auch aufgrund befürchteter hoher finanzieller Kosten für die Ausund Fortbildung der Beamten an den Geräten erfolgte, kam von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren stellvertretender nordrhein-westfälischer Landesvorsitzende Heiko Müller sagte: “Schon die Androhung eines Taser-Einsatzes wirkt auf den Angreifer abschreckend. In Bundesländern, in denen es den Taser bereits gibt, ist die Zahl der Übergriffe auf Polizisten deutlich zurückgegangen.” Aus diesem Grunde habe man kein Verständnis für die Entscheidung des Düsseldorfer Ressortchefs.

Mittel mussten umgeschichtet werden Diese soll nach Informationen des Behörden Spiegel auch gefallen sein, weil bereits neue Smartphones und Bodycams für die Beamten angeschafft wurden. Außerdem sollen zusätzliche Finanzmittel für die Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe von Lügde erforderlich geworden sein. Des Weiteren wird der Einsatz von Strom gegen Bürger in Teilen der nordrhein-westfälischen Polizei weiterhin kritisch gesehen.

zwischen föderalen Strukturen einerseits und zentralistischer Organisation andererseits (siehe Behörden Spiegel, Juli 2019, Seite 1). Dabei spielen Gemeinsame Zentren eine zentrale Rolle. Laut Armin Schuster, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages, sind diese “aus der Bund-Länder-Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden nicht mehr wegzudenken”. Im Kampf

beziehungsweise -terrorismus tauschten Polizeien und Nachrichtendiensten dort Informationen unkompliziert aus. Dies sei etwa im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) der Fall, so der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr). Schuster betont jedoch auch: “Bei länderübergreifenden Terrorfällen braucht es daneben klare Regeln, wer führt, egal ob Bund oder ein Land.” Eine solche Reform wün-

nationalen Terrorlagen, muss es mehr zentrale Befugnisse geben.” Prof. Dr. Hans-Peter Schneider, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung, setzt hingegen im gesamten Sicherheitsbereich auf die Möglichkeit, zentrale Datenabgleiche zu schaffen. Er unterstreicht: “Je mehr Föderalismus wir haben, desto mehr Kooperation und Informationsaustausch benötigen wir.”

Möglicherweise nicht über Pilotierung hinaus

Werden bei der nordrhein-westfälischen Polizei vorerst nicht zum Einsatz kommen: Distanzelektroimpulsgeräte vom Typ Taser. Foto: BS/Feldmann

Nicht zuletzt auch aufgrund von drei Todesfällen innerhalb von nur acht Monaten nach solchen Waffeneinsätzen in Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen. In keinem der Fälle war der Tod des Betroffenen jedoch unmittelbar auf die Taser-Nutzung zurückzuführen. Nach den bisherigen Planungen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums sollte nicht jeder Polizist mit einem Taser ausgestattet werden. Vielmehr sollte das Distanzelektroimpulsgerät als zusätzliches Einsatz­ instrument im Streifenwagen

bereitliegen, damit er bei besonderen Einsatzlagen sofort hinzugezogen werden kann. Nach Informationen der GdP würden dadurch einmalige Anschaffungskosten von rund 25 Millionen Euro entstehen. Hinzu kämen vier Millionen pro Jahr für Trainingskartuschen. “25 Millionen sind viel Geld. Aber wer weiß, dass die Steuereinnahmen in Nordrhein-Westfalen allein im kommenden Jahr um 3,8 Milliarden Euro steigen, und damit um mehr als den gesamten Polizeietat, weiß, dass das Geld dafür da ist”, kritisierte Müller.

(BS/mfe) Bei der baden-württembergischen Polizei könnte es sein, dass das Programm zur Vorhersage von Wohnungseinbrüchen in Zukunft eventuell nicht weiterverwendet wird. Aus dem Stuttgarter Innenministerium hieß es, dass es grundsätzlich tatsächlich so aussehe, als ob die Predictive-Policing-Software “Precobs” zwar zu einer gewissen Ergänzung bereits vorhandener Bekämpfungsansätze beitragen könne. Der maßgebliche Nutzen scheine jedoch nicht in der Pro­ gnoseleistung des vom Institut für musterbasierte Prognosetechnik (IfmPt) entwickelten Programms

zu liegen, sondern vor allem in dessen Möglichkeiten zur strukturierten Analyse sowie zur statistischen Aufbereitung verfügbarer Daten. Die endgültige Bewertung des Pilotprojektes zum Einsatz von Predictive Policing bei der Landespolizei stehe allerdings noch aus. Es hatte zwei Testphasen in den Polizeipräsidien Stuttgart und Karlsruhe gegeben. “Precobs” ist bereits seit Längerem in Bayern im Einsatz. Dort wird das Programm seit 2014 in München und Mittelfranken von der Polizei genutzt. Im Bereich der Polizeidirektion Leipzig ist es seit Ende letzten Jahres im

Rahmen eines Pilotprojektes im Einsatz. In der Schweiz wird “Precobs” unter anderem in Zürich, Aargau, Basel-Land sowie bei der Kantonspolizei Zug verwendet. Michael Schweer, Gesellschafter des IfmPt, wollte vor einer endgültigen Entscheidung in Stuttgart keine Stellungnahme zum Einzelfall abgeben. Er wies jedoch darauf hin, dass das Programm rein technisch bereits in der Lage wäre, weitere Delikte neben dem Wohnungseinbruchsdiebstahl vorauszusagen. Dazu gehörten unter anderem der Diebstahl von und aus Fahrzeugen, Sachbeschädigungen und Straßenraub.

Intensivere Zusammenarbeit (BS/mfe) Künftig vertieft auch das Potsdamer Innenministerium seine Kooperation mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in den Bereichen IT- und Cyber-Sicher-

heit. Dazu wurde kürzlich eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Auch zahlreiche andere Bundesländer arbeiten inzwischen auf der Grundlage solcher Vereinbarungen mit dem BSI

eng zusammen (siehe Behörden Spiegel, November 2018, Seite 38). Zuletzt hatte Baden-Württemberg eine derartige Absichtserklärung mit der Bundesbehörde unterzeichnet.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2019

I

m bevölkerungsreichsten Bundesland ist von dem bewährten Prinzip im Rahmen der Ernennung des neuen Bochumer Polizeipräsidenten Jörg Lukat abgewichen worden. Er ist trotz der exponierten Leitungsfunktion in der Besoldungsstufe B4 – entgegen den bisherigen Gepflogenheiten und trotz Kabinettsbeschluss über seine Berufung – weiterhin Polizeivollzugs- und Laufbahnbeamter des höheren Dienstes. Das bestätigten das Düsseldorfer Innenministerium und weitere Quellen dem Behörden Spiegel. Damit können in NordrheinWestfalen nun offenbar auch Polizeibeamte des höheren Dienstes Polizeipräsident werden. Für den 56-jährigen Lukat gilt damit weiterhin die Altersgrenze von 62 Jahren für den Übergang in den Ruhestand. Zudem hat Lukat als Polizeibeamter fortlaufenden Anspruch auf freie Heilfürsorge. Als politischer Beamter müsste er sich ganz regulär privat versichern und würde Beihilfe durch den Dienstherrn erhalten. Ob dies jedoch zwangsläufig eine Besserstellung mit sich bringt, wird teilweise bezweifelt. Auch ist zu vernehmen, dass mehrere Beamte des höheren Dienstes gerne über die Altersgrenze hinweg arbeiten würden, ihnen dies jedoch schon mehrfach verwehrt wurde. Des Weiteren kann der Polizist nur nach einem Disziplinarverfahren, dem ein Dienstvergehen zugrunde liegen müsste, auf der Grundlage der allgemeinen beamtenrechtlichen Regelungen aus dem Amt entfernt oder umgesetzt werden. Eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ohne Angabe von Gründen ist bei Lu-

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Novum in Nordrhein-Westfalen Amtierender Polizeipräsident weiter im Vollzugsdienst (BS/Marco Feldmann) Bisher schieden Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen, sofern sie zuvor Angehörige des Vollzugsdienstes waren, vor Übernahme des Amtes offiziell aus dem Polizeidienst aus. Denn in der neuen Position sind sie politische Beamte. Als solche ist ihre Ernennung nur mit Zustimmung des Kabinetts möglich. Außerdem können sie jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Doch von diesem Grundsatz ist nun erstmals abgewichen worden. Was in Nordrhein-Westfalen ein Novum darstellt, ist in anderen Bundesländern längst gelebte Praxis. kat, der vor seinem Wechsel nach Bochum Referatsleiter im Ressort von Innenminister Herbert Reul (CDU) war, daher nicht möglich.

Vereinzelt Verärgerung über Präzedenzfall Einen gleich gelagerten Fall gibt es zwischen Rhein und Ruhr laut Innenministerium bisher noch nicht. Einige andere Polizeipräsidenten und hochrangige Beamte im Ministerium, die selbst Juristen sind, sollen über den Präzedenzfall verärgert sein. Zumal es in der nordrhein-westfälischen Polizei eine Besonderheit gibt: In der Vergangenheit wurden mehr oder minder regelmäßig hochrangige Funktionäre der Gewerkschaft der Polizei (GdP), darunter mehrere Landesvorsitzende, aufgrund ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit als für ein Präsidentenamt geeignet erachtet und ernannt. Dies ist etwa seit Mitte der 1970er-Jahre bis in die jüngste Vergangenheit unter anderem in Köln, Hagen und Essen geschehen. Möglich ist das nur, weil es sich bei der Position eines Polizeipräsidenten in NordrheinWestfalen um ein laufbahnunabhängiges Amt handelt. Der derzeitige nordrhein-westfälische GdP-Landesvorsitzende Michael Mertens sagt nun: “Die GdP be-

Bayerns Polizei verzichtet auf politische Beamte Bei der nordrhein-westfälischen Polizei gab es eine Premiere: Ein Polizeipräsident bleibt erstmals Angehöriger des Vollzugsdienstes. Foto: BS/Anne Garti, pixelio.de

grüßt es, dass Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten die Funktion eines Polizeipräsidenten übertragen wird. Dass jetzt erstmalig die Besetzung auch ohne Verlust des Polizeivollzugsbeamtenstatus erfolgt ist, ist ein Schritt in die richtige Richtung.” Die Gewerkschaft fordere seit Langem, dass für alle Funktionen des höheren Dienstes die Bestenauslese durchgängig gelten sollte und auch die Funktion des Polizeipräsidenten beziehungsweise der Polizeipräsidentin im Rahmen des Aufstiegs mit Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten besetzt werden könne.

Zwei- bis dreimal auslegen Systeme müssen redundant sein

In Niedersachsen sind alle Polizeipräsidenten von Hause aus Vollzugsbeamte. Als politische Beamte werden sie in die Besoldungsstufe B4 eingruppiert. Nur der Chef des Hannoveraner Präsidiums gehört der Besoldungsgruppe B5 an, erläutert der Landesvorsitzende der GdP, Dietmar Schilff. Ebenfalls jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können der Leiter der Zentralen Polizeidirektion

Im digitalen Zeitalter noch aktuell? Gemeinhin kennt man die Formel “Risiko = erwarteter Schaden mal Eintrittswahrscheinlichkeit”. Obige Formel gibt aber keinen guten Rat für Ereignisse, mit deren Folgen wir nicht zurechtkommen und die ganz selten sind. Die Rede von Häufigkeiten (30-jähriges, 100-jähriges usw. Ereignis) führt unseren Verstand in die Irre. Man meint ja, dass ein 30-jähriges Ereignis alle 30 Jahre eintritt. Über die zeitliche Verteilung sagt das aber nichts: Das 30-jährige Ereignis kann bereits morgen eintreten, das 100-jährige vielleicht schon heute. Wenn wir als “System” eine

Anlage oder Gruppe von Anlagen bezeichnen, die wesentliche gemeinsame Teile oder Risiken haben, dann hilft das Hochzüchten eines einzigen Systems nicht wirklich. Den Umstand eines Klumpenrisikos bekommt man so nicht weg. Statistisches Denken nach obiger Formel ist nur für häufige Ereignisse sehr hilfreich. Über seltene, schwerwiegende Ereignisse muss man auch deterministisch denken: Was tue ich, wenn morgen der ganz seltene Fall eintritt und das System A ausfällt? Es hilft nur der berühmte “Plan B”: ein unabhängiges “System B”. Wo unverzichtbare Abläufe (Funktionen, Prozesse) von einem technischen System abhängig sind, hilft nur ein zweites, risikounabhängiges System. Für sehr wichtige Abläufe hält man in der Praxis auch ein drittes oder viertes System vor, durchaus auch mit geringerem “Komfort” in der Funktionalität.

Keinesfalls nur auf ein System setzen Dazu eine Rechenübung: Zu einem “System A” sieht man ein unabhängiges, paralleles “System B” vor, zum Beispiel mit einer moderaten Verfügbarkeit von 99 Prozent, also einem Prozent (= 1/100) Ausfallswahrscheinlichkeit (= 3,6 Tage jährlich). Die gemeinsame Ausfallswahrscheinlich zweier statistisch unabhängiger Systeme ergibt sich aus dem Produkt der Ausfallwahrscheinlichkeiten und verbessert sich somit in diesem Beispiel um den Faktor 100. Faktor 100 bedeutet zum Beispiel eine Reduktion von einem Tag Nichtverfügbarkeit pro Jahr auf nur 15 Minuten. Hochverfügbare Kommunikationsprozesse kann man praktisch

nur aus zwei bis drei unabhängigen Parallelsystemen effizient bauen. Wesentliche Pointe: Diese Methode ist die wirtschaftliche, weil sie erstens als einzige das Ziel tatsächlich erreicht und zweitens die Einzelsysteme nicht teuer auf höchste Verfügbarkeit “hochgezüchtet” sein müssen. Das ist in der praktischen Verfügbarkeit und praktischen Projektumsetzung von großer Bedeutung. Die enormen Vorteile einer solchen Architektur im betrieblichen Alltag bei geplanten Nichtverfügbarkeiten (Wartung, Updates, Systemerneuerungen etc.) und für Wartungsbereitschaften sind auch sehr erwähnenswert. Alles entscheidende Abläufe auf ein System zu stützen, darf man wohl als nicht rationales Risikoverhalten einstufen.

Der Benchmark: Lernen von der Feuerwehr Das Feuerwehrwesen ist durchgängig nach dem Prinzip der Zwei- bis Dreifachheit strukturiert. Diese Strukturen haben sich – bei sehr individueller Handhabung im Detail – nicht zuletzt durch die durchgängig innewohnende Redundanz bewährt. Schon von König Salomon liest man in der Heiligen Schrift: “Zwei sind allemal besser dran als einer allein. […] Noch besser sind drei; es heißt ja: “Ein Seil aus drei Schnüren reißt nicht so schnell.” Die Formel “Zwei-bisdrei-Mal” entspricht also einer Jahrtausende bewährten Erfahrung. Dieses Prinzip sollte auch im Bereich der Kommunikationssysteme für BOS durchgängig selbstverständlich werden. *Dr. Hermann Bühler ist Inhaber der Dr. Hermann Bühler GmbH.

und der Landespolizeipräsident. Normale Laufbahnbeamte sind laut Schilff hingegen der Chef des Landeskriminalamtes (LKA) und der Präsident der Polizeiakademie. Auf Bundesebene ist der Präsident des Bundespolizeipräsidiums politischer Beamter. Für die Präsidenten der einzelnen Direktionen gilt das nicht. Der Polizeipräsident in Berlin wiederum ist politischer Beamter der Besoldungsgruppe B7. Ebenfalls

Anders ist die Situation in Bayern. Dort sind selbst die Polizeipräsidenten keine politischen Beamten. Vielmehr handelt es sich bei diesen Situationen um reguläre Beförderungsämter für Polizisten, deren Besetzung nicht bestimmungspflichtig durch den Personalrat ist und per Kabinettsbeschluss erfolgt. Gleiches gilt in Baden-Württemberg. Dort sind die Präsidenten der Polizeidienststellen und Einrichtungen für den Polizeivollzugsdienst Laufbahnbeamte. Ihre Bestellung erfolgt unter Einbindung des Kabinetts.

Wirtschaftsschutz im “Dreieck” Verfassungsschutz, Polizei und Unternehmen sind gemeinsam gefragt (BS/Bernhard Witthaut*) Viele Studien zum Thema Sicherheit in der Wirtschaft zeigen in ihren Ergebnissen eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und Wirtschaftsunternehmen auf. Dass diese Aussagen durchaus zutreffend sind, liegt möglicherweise an der heterogenen, zugleich föderalen Struktur Deutschlands mit den unterschiedlichen sicherheitsbehördlichen Zuständigkeiten. Allerdings ist auch festzustellen, dass vorhandene staatliche Angebote oft nur sehr zurückhaltend von den Firmen genutzt werden.

(BS/Dr. Hermann Bühler*) Niemand möchte erleben, dass unverzichtbare Abläufe plötzlich gar nicht mehr funktionieren. Schon gar nicht bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Besonders, In Niedersachsen sind schon wenn es um Leib und Leben geht. Man erwartet, dass Abläufe und technische Systeme robust sind. frühzeitig Voraussetzungen geUm ununterbrochene Verfügbarkeit zu erreichen, bedient man sich unter anderem des Konzepts der Redundanz (= Überfluss), also des mehrfachen Vorhaltens von Ressourcen, Anlagen und Systemen. Dabei ergeben sich schon die ersten Missverständnisse. Bei Fachleuten der Rechtsund Wirtschaftswissenschaften ist Redundanz ein primär nicht positiv besetzter Begriff. Re­ dundante Textpassagen in einem Dokument sind nicht gut und redaktionell zu bereinigen, redundante Doppelgleisigkeiten in der Organisation sind Verschwendung und abzustellen. In den Ingenieurwissenschaften hat Redundanz jedoch eine positive Bedeutung als eine seit Jahrtausenden bewährte Methode, um Robustheit zu erreichen. Man verseilt Drähte zu einem haltbaren Seil, man vermehrt die zu übertragene Information gezielt, um Übertragungsfehler erkennen und korrigieren zu können, man führt Anlagenteile oder auch ganze Anlagen doppelt oder mehrfach aus.

diese Stellung inne haben die Polizeipräsidenten, die zuvor oftmals Vollzugsbeamte des höheren Dienstes waren, in RheinlandPfalz (inklusive LKA-Präsident). Auch in Hessen können sie – mit Ausnahme des LKA-Chefs – jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Eingruppiert sind sie je nach Dienststellengröße in die Besoldungsstufen B4 oder B5. Ähnlich verhält es sich in Brandenburg. Dort ist der Polizeipräsident politischer Beamter, der LKA-Leiter nicht. Begründet wird dies mit der Tatsache, dass es sich beim LKA in der Mark organisatorisch um eine Fachdirektion des Polizeipräsidiums handele und deren Präsident offiziell den Titel “Direktor beim Polizeipräsidium” trage. Auch in Bremen, Hamburg und Thüringen existiert diese Aufteilung.

schaffen worden, die ein Zusammenwirken in Sicherheitsfragen von Staat, sprich Polizei und Verfassungsschutz, und Wirtschaft auf eine solide Basis setzen. Seit vielen Jahren werden die Themen Wirtschaftsspionage, Knowhow-Verluste und Cyber-Attacken verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Begehrlichkeiten fremder Nachrichtendienste an den “Kronjuwelen” der deutschen Wirtschaft sind evident. Vor diesem Hintergrund wurde bereits im Jahr 2000 beim niedersächsischen Verfassungsschutz der Wirtschaftsschutz als präventiver Arbeitsbereich der Spionageabwehr geschaffen, der sich zum Partner für die Wirtschaft entwickelt hat. Der niedersächsische Verfassungsschutz sieht seinen Beitrag zum Wirtschaftsschutz als wichtigen Faktor bei der Bewältigung der Themen Unternehmenssicherheit und Informationsschutz. Einerseits müssen Wirtschaftsunternehmen fortlaufend über Gefahren aufgeklärt werden, andererseits brauchen die Firmen vertrauenswürdige Ansprechpartner, wenn sie von Sicherheitsvorfällen betroffen sind, die sie allein nicht bewältigen können. Dass in den einschlägigen Deliktsbereichen, zum Beispiel Wirtschafts- und Computer-Kriminalität, eine große Lücke zwischen dem bekannten Hellfeld und den wahrscheinlich tatsächlichen Fallzahlen klafft, liegt vorwiegend an der mangelnden Kooperationsund Mitteilungsbereitschaft der Unternehmen gegenüber den Sicherheitsbehörden. So werden Imageverluste befürchtet, wenn Sicherheitsvorfälle der Öffentlichkeit bekannt würden. Zudem hat so mancher Geschäftsführer erst während oder nach der Beratung durch den niedersächsischen Verfassungsschutz Geschehnisse aus

(N-CERT) und im Bund das Bundesamt für VerfasBernhard Witthaut ist Präsisungsschutz (BfV), dent des niedersächsischen das Bundesamt Verfassungsschutzes. für Sicherheit in der Informations Foto: BS/Verfassungsschutz Niedersachsen technik (BSI), das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesnachrichder Vergangenheit in den Zusam- tendienst (BND) im Rahmen der menhang mit Ausspähungsaktivi- Initiative Wirtschaftsschutz als täten durch unberechtigte Dritte Partner zu nennen. Auf Seiten oder Verfehlungen, wie etwa Spi- der Wirtschaft sind Verbände wie onage, Betrug oder fehlerhaftes die Unternehmerverbände NieHandeln, von Mitarbeiterinnen dersachsen, die Industrie- und oder Mitarbeitern bringen kön- Handelskammern, die Handnen. Demzufolge kann unterstellt werkskammer sowie die Wirtwerden, dass ein großer Teil der schaftsförderungsgesellschaften sogenannten Dunkelziffer aus Fäl- wichtige Elemente eines erfolgreilen besteht, die ein Unternehmen chen Zusammenwirkens. nicht bemerkt hat. Vor dem Hintergrund und der Dem Fachbereich Wirtschafts- Bedeutung von Industrie 4.0, der schutz gelingt es, dieses Dilemma digitalen Transformation und dem zu lösen, weil der niedersäch- damit verbundenen Thema Cybersische Verfassungsschutz dem Sicherheit sind für Unternehmen Opportunitätsprinzip unterliegt. Hilfestellungen und Lösungen Zwischen der Wirtschaft und nötig. Der Verfassungsschutz diesem Arbeitsbereich des Ver- wirkt dabei in der “Fokusgruppe fassungsschutzes bestehen ver- Informations- und Cybersichertrauensvolle Kontakte. Die Polizei heit” von Hannover IT e. V., einem wird einbezogen, wenn das Ein- Netzwerk, das sich unter anderem verständnis des Unternehmens mit Digitalisierung und den damit vorliegt. Den Herausforderungen verbundenen Sicherheitsthemen der Kriminalitätsbekämpfung auf beschäftigt, sowie bei der interpolizeilicher Seite und nachrich- disziplinären Expertengruppe tendienstlichen Interessen auf “Indy4” mit und ist MultiplikaVerfassungsschutzseite gerecht tor in der “Allianz für Cybersizu werden, ist häufig eine Ab- cherheit” des BSI. Eine wirksame wägung, die nur in persönlichen Zusammenarbeit im “Dreieck” Kontakten und Gesprächen erzielt Verfassungsschutz, Polizei und werden kann. Wirtschaftsunternehmen gelingt Es ist letztlich ein komplexes nur, wenn alle Beteiligten bereit Netzwerk, das die erfolgreiche sind, vertrauensvoll miteinander Arbeit für mehr Sicherheit in der problemorientiert Lösungen zu Wirtschaft möglich macht. Neben suchen. der Polizei in Niedersachsen und Bernhard Witthaut nimmt auf der hier vornehmlich der “Zentralen Ansprechstelle Cybercrime” (ZAC) diesjährigen PITS des Behörden des Landeskriminalamts Nieder- Spiegel am 2. und 3. September sachsen sind auf der staatlichen 2019 an einer Diskussionsrunde Seite das Computer Emergen- zum Thema Wirtschaftsspionage cy Response Team der nieder- teil. Weitere Informationen: www. sächsischen Landesverwaltung public-it-security.de


Innere Sicherheit

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eutschland brauchte ungewöhnlich viele Monate, um eine neue Regierung zu bilden. Monate, in denen grundsätzlich keine neuen Genehmigungen erteilt werden konnten. Das führte zu einem regelrechten “Genehmigungsstau”, der wohl inzwischen abgebaut wurde, was vielleicht die “Explosion” der Ausfuhrgenehmigungen verursacht haben könnte. Aber wahrscheinlicher ist, dass Deutschland seine Rüstungsexporte unabhängig davon erhöhen konnte. Experten kalkulieren trotz der diesen Geschäften innewohnenden Schwankungen sogar ein dauerhaftes Niveau von rund sieben Milliarden Euro. Dabei stieg der Anteil der Lieferungen an Staaten, die der EU oder der NATO angehören oder einem solchen Land gleichgestellt sind, in diesem Jahr bisher auf 60 Prozent. Auch das ist ein Rekordwert. Problematisch sind die immerhin 40 Prozent und der Blick auf die Lieferungen von Waffen und Munition zum Beispiel an die fast 80 (EU-, NATO- und Dritt-)Staaten, die gemeinsam seit März 2015 in einer saudisch-geführten Allianz im Jemenkrieg führen. Ihnen allein wurden im ersten Halbjahr 2019 Genehmigungen im Wert von über einer Milliarde Euro erteilt. Kein Wunder also, wenn deutsche Waffen in den Händen emiratischer (oder libyscher) Kämpfer festgestellt wurden. Zu erinnern ist: In diesem unsäglichen Jemenkrieg wurden inzwischen bei fast 20.000 Luftangriffen der Allianz nahezu 8.500 Zivilisten getötet und mehr als 9.500 verletzt. Zudem wurde das Land in eine humanitäre Katastrophe geführt.

Regeln und Beschränkungen können einfach umgangen werden Noch problematischer sind die Lieferungen von Waffen und Munition in Krisengebiete durch ausgelagerte, scheinbar eigenständige Firmen mit Produktionsstätten im Ausland, etwa in den USA oder Südafrika, um ihre Exporte in Krisengebiete zu sichern. Denn dort finden Rüstungsexportbeschränkun-

Reformen zwingend erforderlich Waffenexporte leisten internationalem Terrorismus Vorschub (BS/Uwe Kranz) Man glaubt es kaum: Im ersten Halbjahr 2019 haben die Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte mit einem Wert von circa 5,3 Milliarden Euro einen neuen Rekord und eine Rekordsteigerung erreicht. Im Vorjahreszeitraum waren es laut Rüstungsexportbericht “nur” 2,57 Milliarden Euro. Und im gesamten Jahr 2018 lag der Wert der Ausfuhrgenehmigungen bei 4,8 Milliarden Euro. Ob diese immense Steigerung auch zum Ende dieses Jahres bestätigt bleibt, ist abzuwarten. gen und -kontrollen überhaupt oder quasi gar nicht mehr statt. Damit können die deutschen Regelungen und Restriktionen leicht umgangen werden. Drittländer, Kriegs- und Krisengebiete erhalten so deutsche Waffen und Munition “made in Italy”, “made in the USA” oder “made in South Africa”. Kein Wunder also, wenn die Genehmigungszahlen im Zusammenhang mit Kleinwaffen in Deutschland zurückgehen. Nur Unkundige oder sehr Gläubige

denden Papiers daherkommen, ist absolut unzureichend – und Sanktionen sind erneut nicht vorgesehen. Insgesamt wurde eher die Koalitionsvereinbarung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner erfüllt. Die wenigen Ermittlungen und Gerichtsverfahren der letzten Jahre gegen einzelne Mitarbeiter von Rüstungsunternehmen und Waffenproduzenten stellen nur die Spitze des Eisberges dar. Ihre geringe Zahl belegt eindrücklich, wie im Grunde lächerlich Ausf u h r b e s c h r ä nkungen, Regelungen, Embargos und EndverDer Terrorismusexperte des Behörden Spiegel, Uwe Kranz, bleibskontrollen – plädiert für tiefgreifende Verund letztlich das änderungen im System der gesamte System Rüstungs(export)kontrolle. – sind. Wir brauSie sollte international harmochen aber strinnisiert und verstärkt werden. gent-verbindliche internationale Foto: BS/Dombrowsky Regelungen und Kontrollen. mögen in diesen Zahlen einen Erfolg der restriktiven Rüstungs- Unterstützung wird billigend exportpolitik der Bundesrepublik in Kauf genommen erblicken. Daran ändert auch die Was bleibt, ist die nüchterne im Juni endlich nach 20 Jahren Erkenntnis, dass die Rüstungsund mit monatelangen Verspä- industrie unter (Aus-)Nutzung tungen zu Unrecht gepriesene unterschiedlicher nationaler GeNeufassung der “Politischen setze und Vorschriften weltweit Grundsätze für den Export von Akteure in Krisen- und KriegsKriegswaffen und sonstigen Rüs- länder grenzenlos, sozusagen getungsgütern” nichts. setzeslos und letztlich geradezu hemmungslos, mit Kriegsgerät, Kein Fortschritt Waffen und Munition beliefert. Dass damit auch der internaDanach will man den Technologie-Export strenger prüfen und tionale Terrorismus unterstützt die Verbleibskontrolle intensi- wird, wird billigend in Kauf gevieren. Zudem soll der “Export nommen. Schlimm genug, dass von Kleinwaffen in Drittländer der Daesh spätestens seit 2014 grundsätzlich nicht mehr ge- in Besitz immenser Waffenbenehmigt werden”. Es bleibt wohl stände von irakischer Armee und eher alles beim Alten, wo die Aus- Polizei gelangen konnte. Gleiches nahmen die Regel waren. Dass gilt für den Umstand, dass die diese Regelungen wieder nur in sogenannten “Rebellen” über Form eines rechtlich nicht bin- Jahre durch klandestine Hilfe

Wiederaufnahme der “Section Control” Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte dazu: “Section Control ist ein für Deutschland neuer und sinnvoller Ansatz für mehr Verkehrssicherheit auf unseren Straßen.” Andere Länder, wie etwa Österreich oder die Niederlande, hätten damit bereits gute und langjährige Erfahrungen gemacht. Außerdem führe “diese Art der Geschwindigkeitsmessung dazu, dass Verkehrsteilnehmer dieser Maßnahme eine größere Akzeptanz entgegenbringen und sie als gerechter wahrnehmen, weil eben nicht nur punktuell geblitzt wird”.

Die Komplexität des Problems wird deutlicher, wenn man sich exemplarisch folgende Bereiche ansieht: Vor einiger Zeit tauchten Sturmgewehre und Pistolen aus Bundeswehrbeständen, die Deutschland an PeschmergaKämpfer im Nordirak lieferte, in größerer Zahl und nur für ein paar Tausend Dollar auf lokalen Märkten in der kurdischen Autonomieregion auf. Seit Jahren ist belegt, dass die Taliban in Afghanistan immer weniger mit einem alten russischen Sturmgewehr oder der berühmten Kalaschnikow(-Kopie aus China) triumphieren, sondern zunehmend mit Waffen deutscher Hersteller. Aber auch österreichische Handfeuerwaffen und Sturmgewehre sowie amerikanische Maschinengewehre und israelische UZI-Maschinenpistolen sind im Einsatz. Der afghanische Markt ist international. Auch im Jemen werden deutsche Sturm- und Maschinengewehre von der Al-Qaida-Filiale AQAP eingesetzt. Aber auch die Huthi-Rebellen demonstrierten auf Videos den Besitz deutscher Sturmgewehre. Waffen, die die Bundesrepublik an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) oder an Saudi-Arabien lieferte. Dieser Schritt war verbunden mit dem strikten Verbot der Weitergabe an Dritte. Des Weiteren produzierte Saudi-Arabien deut-

Juristische Prüfung in Großbritannien Das Vereinigte Königreich, anfangs des Jemen-Krieges der Lieferant von Jagdflugzeugen und Bomben im Wert von vermutlich über fünf Milliarden Pfund, hat inzwischen den fürchterlichen Einfluss seiner Waffenlieferungen einsehen müssen: Derzeit prüft dort das höchste Berufungsgericht die Rechtmäßigkeit dieser Lieferungen. Dabei wird

Vorfall mit Kashoggi wurde daher wegen des aktuell herrschenden “geopolitischen Klimas eine unausweichliche Verzögerung” bei den noch ausstehenden Deals bekanntgegeben. Gleichzeitig aber wird öffentlich, dass die britische Rüstungsfirma BAE Systems mit dem saudischen Militär über den Kauf von 48 Kampfflugzeugen verhandelt. Wie passt das zusammen?

Nicht nur “Dämpfungsmaßnahmen” ergreifen Man fragt sich unwillkürlich: Warum werden deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien nicht auch höchstrichterlich geprüft? Warum wurden sie weiter genehmigt, wenn nachweislich das Verbot der Weitergabe an Dritte seit Jahren unterlaufen wurde und wird, noch dazu an Terroristen? Wann stoppt Deutschland seine Waffenexporte endgültig, solange der Jemenkrieg andauert, statt nur “Dämpfungsmaßnahmen” zu ergreifen? Die Auslagerung der Waffenproduktion an Tochterfirmen im Ausland zur Umgehung deutscher Rüstungskontrollen und -beschränkungen ist infam. Die USA haben im April angekündigt, auch den internationalen Waffenhandelsvertrag ATT (Arms Trade Treaty) zu kündigen. Das ist ein Alarm- und Armutszeichen. Das Gegenteil wäre erforderlich: Die Rüstungskontrollen sollten international angeglichen oder harmonisiert und intensiviert werden. Zudem wäre es sinnvoll, sie von einer unabhängigen internationalen Organisation der Vereinten Nationen, überprüfen zu lassen. Als Vorbild könnte hier die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) dienen.

(BS/leh) Das Gutachten über die künftige Nutzung des im 450-MHz-Bereich frei werdenden Minispektrums von 2 x 4,74 MHz muss nachgebessert werden. Eigentlich sollte damit der Gordische Knoten der widerstreitenden Interessen der Bundesanstalt für den Digitalfunk der BOS (BDBOS) und der Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) durchschlagen werden. Aber ein wichtiger Umstand wurde nicht untersucht.

Geschwindigkeitskontrollen können nicht nur mithilfe von stationären Geräten (Foto) stattfinden, sondern auch abschnittsweise. Eine entsprechende Anlage in Niedersachsen soll in Kürze wieder in Betrieb genommen werden. Foto: BS/Rainer Sturm, pixelio.de

Neuer Polizeipräsident für Oberhausen

Alexander Dierselhuis (36) ist neuer Polizeipräsident in Oberhausen. Foto: BS/IM NRW

Auch Waffen deutscher Hersteller zu finden

sche Waffen lizensiert selbst. In den USA versucht der Präsident derzeit, den Kongress zu umgehen und dessen deutliches Veto gegen seinen 8,1-Milliarden-Dollar-Waffendeal mit Saudi-Arabien, den VAE und Jordanien durch eine in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika nur vier Mal verwendete “Notfall-Klausel” zu übergehen. Und das ausgerechnet nach dem Kashoggi-Mord! Der Vertrag beinhaltet den Verkauf hochentwickelter Luftwaffensysteme, wie etwa lasergelenkte Raketen, aufgerüstete F-15 Kampfflugzeuge oder Präzisionslenkwaffen. Hinzu kommen zusätzlich über eine Million sogenannter “Kleinwaffen”. Da­r unter fallen jedoch auch halbautomatische Gewehre. Im Jemen gehen der Allianz vermutlich die Bomben aus, daher der Deal. Die offizielle Lesart: Die Waffenlieferungen seien angeblich dringend notwendig, um der steigenden Aggression Irans gegen Saudi-Arabien und die VAE zu begegnen. Dringend notwendig sind aber allenfalls humanitäre, medizinische und wirtschaftliche Hilfen und das Ende der Hafenblockaden, die das unsägliche Elend dort noch vergrößern.

Serie TERRORZIELE (TEIL 33)

Weitere Verzögerung der Vergabe der 450-MHz-Frequenzen

MELDUNG (BS/mfe) Alexander Dierselhuis ist neuer Oberhausener Polizeipräsident. Der 36-Jährige folgt auf Ingolf Möhring, der in den Ruhestand getreten ist. Dierselhuis ist von Hause aus Staatsanwalt. Zuletzt war er als Geschäftsführer der Regierungskommission “Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen” in die Staatskanzlei abgeordnet. Davor arbeitete der in Neuss Geborene seit Anfang 2015 drei Jahre lang in der Abteilung für Organisierte Kriminalität (OK) der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Rechtswissenschaften studierte Dierselhuis, der Hauptmann der Reserve der

diverser Staaten und Organisationen mit Waffen und Munition versorgt wurden und die Arsenale der Terroristen durch die unüberschaubare Zahl der “Wechselkämpfer” im syrischirakischen Kriegsgebiet Zuwachs bekamen.

vor allem überprüft, ob gegen den “Gemeinsamen Standpunkt der EU” oder gegen internationale Menschenrechte verstoßen wurde. Insbesondere nach dem

Gutachten muss nachgebessert werden

MELDUNG (BS/mfe) Die Anlage zur abschnittsweisen Geschwindigkeitsmessung (sogenannte “Section Control”) bei Hannover soll wieder in Betrieb genommen werden. Hintergrund ist die nunmehr im neuen niedersächsischen Polizeigesetz vorhandene Rechtsgrundlage für diese Art der Tempokontrolle. Zuvor hatte es an ihr gemangelt, weshalb die Anlage abgeschaltet wurde. Außerdem hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg einem entsprechenden Abänderungsantrag der Polizeidirektion Hannover stattgegeben.

Behörden Spiegel / August 2019

Luftwaffe und leidenschaftlicher Skifahrer ist, in Trier. Sein Referendariat absolvierte er in Kleve und Duisburg. Bei der dortigen Staatsanwaltschaft war er ab 2011 in der Allgemeinen Abteilung tätig. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte zu der Personalentscheidung, die das Kabinett auf seinen Vorschlag hin fällte: “Mit Alexander Dierselhuis bekommt die Revierstadt einen Polizeipräsidenten, der zwar noch relativ jung an Jahren ist, aber dafür umso mehr Erfahrung bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität besitzt.”

Bei der Inaugenscheinnahme des ersten Entwurfs des Gutachtens durch den Auftraggeber, das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), stellte sich heraus, dass der Kapazitätsbedarf der Vorhaben der potenziellen Bedarfsträger und damit die Belastung des Frequenzspektrums nicht beleuchtet wurde. Dies ist jedoch für die Beurteilung und Sicherstellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung der Frequenzen von Bedeutung. Die Auftragnehmer wurden daher um eine entsprechende Ergänzung des Gutachtens ersucht. Die Verantwortlichen im BMVI erwarten das Gutachten nunmehr frühestens Mitte August.

Das Gutachten zur zukünftigen Nutzung des im 450-MHz-Bereich frei werdenden Spektrums von 2 x 4,74 MHz wird frühestens Mitte August vorliegen. Bis dahin muss es überarbeitet werden. Foto: BS/Rainer Sturm, pixelio.de

schränkt und keine bewertenden Aussagen enthält, wird es wohl kaum zur Lösung der Probleme beitragen.

Expertise wird wohl kaum zur Problemlösung beitragen Clinch geht wahrscheinlich weiter Im Anschluss an dessen Abnah-

me soll der Entscheidungsprozess angestoßen werden (mehr dazu siehe Behörden Spiegel, Juli 2019, Seite 5). Zuvor sind Gespräche auf Fachebene innerhalb der Ressorts vorgesehen. Da sich das Gutachten nach den derzeitigen Erkenntnissen im Wesentlichen nur auf den objektivierbaren Teil der unterschiedlichen Vorhaben der potenziellen Bedarfsträger be-

Ohne ein Pro und Kontra der Gutachter heißt es für die beteiligten Bundesministerien aber wohl “Gehe zurück auf Start”. Der Ball dürfte damit zunächst wieder voll im Feld des BMVI liegen und der Clinch mit dem Bundesinnenministerium (BMI) und dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg) eine Fortsetzung erfahren. Flankenschutz bietet dem

BMVI inzwischen das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). Die Wirtschaftsministerkonferenz hat sich mit der Zuteilung der freiwerdenden Frequenzen im 450-MHz-Bereich befasst und das BMWi ersucht, darauf hinzuwirken, dass baldmöglichst eine Entscheidung über die zukünftige Nutzung der betroffenen Frequenzen getroffen wird und diese für KRITIS-Betreiber, insbesondere in der Energieversorgungsbranche, zur Verfügung gestellt werden.

Zeitpunkt weiter unklar Wann nun aber die Vergabe der zum 1. Januar 2021 frei werdenden Frequenzen erfolgt, ist nicht absehbar. Seit Frühjahr 2018, als die Bedarfsabfrage der Bundesnetzagentur für die zukünftige Nutzung der Frequenzen im 450-MHz-Bereich stattfand, wird nun schon um das freiwerdende Minispektrum gerungen. Die Zeit für eine Entscheidung ist jetzt überreif. Einige Indizien sprechen allerdings dafür, dass die unmittelbar betroffenen Akteure zu guter Letzt auch noch mit weiteren Studien und Gutachten aufwarten und versuchen werden, den Entscheidungsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen.


Innere Sicherheit/Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / August 2019

Handlungsfähigkeit verbessern

B

ehörden Spiegel: Die Bonner Feuerwehr hat – gemeinsam mit den Feuerwehren Leverkusen und Königswinter – das erste deutsche Modul für das EU-Katastrophenschutzverfahren vorgestellt. Wie kam es dazu, zumal dort Berufsfeuerwehren und Freiwillige Feuerwehren vertreten sind? Stein: Es handelt sich um ein Pilotprojekt, das in Abstimmung mit dem nordrhein-westfälischen Innenministerium gestartet wurde. Es geht darum, die Handlungsfähigkeit im Europäischen Katastrophenschutzverfahren bei zunehmenden Vegetationsbränden auch mit deutschen Feuerwehrkräften zu verbessern. Die Einsatzkräfte der Einheit setzen sich aus Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehren und der Berufsfeuerwehren zusammen. Potenzielle Einsatzgebiete im europäischen Ausland sollten maximal 2.000 Kilometer entfernt sein. Bei der Entwicklung der Vegetationsbrände halte ich Einsätze für durchaus wahrscheinlich. Die Einheit konnte relativ schnell aufgestellt werden. Sie ist bereits in der Einsatzmitteldatenbank CECIS der EU registriert und für die ersten EU-Übungen gemeldet.

Behörden Spiegel: Woraus besteht das Modul genau? Stein: Der Kern des Moduls besteht aus vier Tanklöschfahrzeugen mit jeweils fünf Einsatzkräften, die von allen drei Partnern gestellt werden. Die Feuerwehr Bonn stellt dazu die Logistik sowie eine Führungskomponente. Die vier Tanklöschfahrzeuge haben jeweils mindestens 2.000 Liter Löschwasser und ein mindestens geländefähiges Fahrgestell. Dazu kommen wenige Fahrzeuge für die Führung und Logistik. Außerdem kann ein Löschfahrzeug für den Katastrophenschutz und

Erstes deutsches Modul für EU-Katastrophenschutzverfahren einsatzbereit

kein neues Personal nachalarmiert. Jochen Stein ist Chef der Die Anforderung Feuerwehr Bonn und steht in Deutschland an der Spitze der Arbeitsläuft über das Gegemeinschaft der Leiter der meinsame MeldeBerufsfeuerwehren in der und Lagezentrum Bundesrepublik Deutschland von Bund und (AGBF Bund). Ländern (GMLZ) im Bundesamt Foto: BS/Feuerwehr Bonn für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilein Tankfahrzeug mit sehr großem Löschwasservorrat ergänzt fe (BBK). Sobald der betroffene werden. Mit etwa zehn Fahr- Staat das Angebot angenommen zeugen und 50 Einsatzkräften hat und das Modul aktiviert wurist die Größe übersichtlich. Die de, muss es innerhalb von sechs Feuerwehrbereitschaften, die wir Stunden abrücken. beispielsweise in Nordrhein-Westfalen haben, bestehen aus etwa Behörden Spiegel: Ist diese Frist 35 Fahrzeugen und 150 Einsatz- zu schaffen?

“Bei Wald- und Vegetationsbränden entsteht die Betroffenheit über Tage, teilweise sogar über Wochen hinweg.” kräften. Dabei kommt es vor allem auf Flexibilität, Beweglichkeit und Sicherheit für die Einsatzkräfte an. Schließlich gibt es bei Waldbränden in Südeuropa oft mehr als nur eine Einsatzstelle. Behörden Spiegel: Was ist noch zu beachten? Stein: Die Module, die vom jeweils betroffenen Staat angefordert werden, müssen im Ernstfall komplett autark sein. Sie sind auf eine einwöchige Einsatzdauer vor Ort ausgerichtet. Dabei wird

Stein: In der Praxis ist die Frist unproblematisch, weil es einen ausreichend großen Vorlauf gibt. Bei Wald- und Vegetationsbränden entsteht die Betroffenheit über Tage, teilweise sogar über Wochen hinweg, sodass genug Zeit zur Vorbereitung bleibt. Behörden Spiegel: Wie sieht es hinsichtlich der Anforderungen an die technische Kompatibilität der Einsatzmittel aus? Stein: Die EU-Spezifikation schreibt dazu nur vor, dass die

Professur an der TU inne. Dort leitet sie zudem den Fachbereich “Quality Engineering of Open Distributed Systems” am Institut für Telekommunikationssysteme. Bei FOKUS arbeitet Schieferdecker bereits seit 1993. Dort baute sie auch bereits zwei Kompetenzzentren auf und leitetet diese. Des Weiteren war sie seit 2017 als Gründungsdirektorin am Aufbau des Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft, dem Deutschen Internet-Institut, beteiligt. Dort ist sie seit April dieses Jahres Direktorin. Von Fraunhofer FOKUS wurde bestätigt, dass Schieferdecker voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2019 in verantwortlicher Rolle in das Bundesministerium für Bildung und Forschung wechseln werde. Dort werde sie die The-

Stein: Die Führungskräfte der gemeldeten Module müssen im EU-Katastrophenschutzverfahren ausgebildet und geschult sein. Dies gilt zumindest für den Teamleiter, seinen Stellvertreter sowie den Verbindungsbeamten zur örtlichen Einsatzleitung. Das ist eine Herausforderung bei der Aufstellung der Module. Die Kooperation der Partner bietet sich deshalb in der Form wie bei uns an. Bei der Feuerwehr Bonn hatten wir

Stein: Da geht es vor allem darum, Wissen über verschiedene Zuständigkeiten und das EUKatastrophenschutzverfahren zu vermitteln. Außerdem geht es um die sprachliche Verständigung untereinander, Aufmerksamkeit für verschiedene Strukturen und Kulturen. Auch besondere Sicherheitsaspekte beim Auslandsein­ satz spielen eine Rolle. Einsatz- und Lehrgangssprache ist Englisch. Es geht weniger um die Vermittlung von Einsatztaktik. Die Ausbildung für Vegetationsbrände muss von den Feuerwehren selbst durchgeführt und natürlich geübt werden. Bei unserer Einheit passiert das in den Teileinheiten eigenständig und auch in gemeinsamen Fortbildungen und Übungen. Behörden Spiegel: Wer bezahlt die Einsätze der Module im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens?

“Grundsätzlich muss der anfordernde Staat die Einsatzkosten tragen. Das wurde oftmals aber nicht praktiziert.” schon einige Führungskräfte, die im EU-Verfahren ausgebildet sind. Sonst kann es durchaus einige Jahre dauern, bis die Führungskräfte mehrerer solcher Module entsprechend ausgebildet wurden.

Stein: Grundsätzlich muss der anfordernde Staat die Einsatzkosten tragen. Das wurde oftmals aber nicht praktiziert. Es ist letztlich immer auch eine politische Entscheidung. Außerdem geht es

in Deutschland passieren?

Stein: Der Schutz solcher historischen Gebäude ist nach wie vor eine Herausforderung. Das Problem beim Kulturgüterschutz ist oftmals, dass der Wille dazu im Vorfeld fehlt. Das ist ganz stark vom jeweiligen Eigentümer abhängig. Die Feuerwehren treten dabei immer als Mahner auf. Behörden Spiegel: Was ist das Problem? Stein: Das grundsätzliche Problem für diese Gebäude ist, dass der Schwerpunkt des Baurechts auf dem Personen- und Nachbarschaftsschutz liegt. Bei Kulturgütern wäre es auch schwieriger, die Kriterien in Gesetzen konkret festzulegen. Bei Schutzmaßnahmen hängt vieles von der Bereitschaft des einzelnen Eigentümers ab. Dann gibt es zum Beispiel Vorbehalte gegen den Einbau von Löschanlagen. Was passieren kann, wenn die fehlen, hat man in Paris gesehen. Da gleichzeitig auch andere vorbeugende Maßnahmen wie Brandabschnittstrennungen fehlen, können Feuerwehren den Verlust nicht verhindern. Jochen Stein nimmt als Referent auch am diesjährigen Europäischen Katastrophenschutzkongress des Behörden Spiegel am 27. und 28. August in Berlin teil. Weitere Informationen zur Anmeldung sowie zum Programm unter: www. katastrophenschutzkongress.de.

(BS/leh) Innerhalb Europas beschäftigen sich derzeit nahezu alle Polizei-Organisationen mit Fragen der mobilen polizeilichen Kommunikation. In Österreich soll bis Jahresende jede Polizistin und jeder Polizist mit einem Dienst-Smartphone ausgerüstet und jede Dienststelle mit mindestens einem Tablet ausgestattet sein. Das Beschaffungsprogramm wurde im September 2017 gestartet und wird seitdem ständig ausgebaut.

Wird nach Behörden Spiegel-Informationen neue Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Prof. Dr. Ina Schieferdecker.

Foto: BS/Philipp Plum, Fraunhofer FOKUS

men Forschung und Innovationen weiter umfassend unterstützen und vorantreiben. Eine konkrete Bestätigung für den Wechsel ins Amt der Abteilungsleiterin gab es nicht. Das BMBF bestätigte dem Wechsel ebenfalls.

Für Gefährdungsbeurteilungen bei Feuerwehren (Foto) kann künftig bundesweit ein neues, kostenfreies Programm verwendet werden. Es richtet sich vor allem an Verantwortliche in Freiwilligen Feuerwehren. Foto: BS/Tobias Dietz, pixelio.de

Internetzugang vorhanden sein. Zudem sind eine einmalige Registrierung sowie die Festlegung der Nutzungsberechtigten erforderlich. Zunächst wurden zwei Module in das Programm eingespielt (“Organisation von Sicherheit und Gesundheitsschutz” sowie “Feuerwehrhaus”). Weitere Elemente sollen sukzessive folgen. Noch in diesem Jahr soll das Modul “Vorbereitung von Einsatzübungen” hinzugefügt werden.

Ausbildung kann bereits im Herbst beginnen (BS/mfe) Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) kann schon im Herbst dieses Jahres mit der Ausbildung von Bundesfreiwilligendienstleistenden starten. Möglich macht das eine Übergangslösung für das neue THW-Ausbildungszentrum in Brandenburg an der Havel. Für die Einrichtung wurde ein temporärer Standort gefunden.

Behörden Spiegel: Das hört sich nicht allzu schwierig an. Was muss noch getan werden?

Behörden Spiegel: Worum geht es in diesen Lehrgängen?

Mobile Polizei-Kommunikation in Österreich

Programm zur Gefährdungsbeurteilung entwickelt

Kupplungssysteme der Schlauchleitungen und der Pumpen mit den sogenannten Storz-Kupplungen ausgestattet werden müssen. Das ist für uns in Deutschland kein Problem. Die haben wir ohnehin. In anderen europäischen Staaten sind aber andere Kupplungssysteme im Einsatz. Dort müssen dann unter Umständen Adapterstücke vorgehalten werden, um Kompatibilität herstellen zu können. Das ist aber auch schon alles.

Ein Blick über den Zaun

Neue Abteilungsleiterin im BMBF

(BS/mfe) Für die Gefährdungsbeurteilung bei den Freiwilligen Feuerwehren haben mehrere Feuerwehr-Unfallkassen eine neue Software entwickelt. Das Online-Programm “Riskoo” soll den Bewertungsprozess deutlich vereinfachen. Es steht nun bundesweit zur kostenlosen Nutzung bereit. “riskoo” kann sowohl auf einem stationären PC als auch auf einem Laptop oder einem Tablet genutzt werden. Es muss nur ein

dabei auch um Bekundung von Solidarität. Mit dem gerade überarbeiteten EU-Verfahren haben sich aber auch die Möglichkeiten der Kostenübernahme unmittelbar durch die EU vereinfacht.

(BS) Wald- und Vegetationsbrände nehmen nicht nur hierzulande immer mehr zu. Auch im Ausland müssen Feuerwehren und Katastrophenschutzbehörden vermehrt solcher Einsatzlagen Herr werden. Hier kann Deutschland künftig im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens Unterstützung Behörden Spiegel: Herr Stein, bieten. Wie diese Hilfe exakt aussieht, erklärt Jochen Stein. Das Interview mit dem Chef der Bonner Feuerwehr, der zugleich Vorsitzender der Ar- könnte ein Brand wie der der Pabeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF Bund) ist, führten R. Uwe Proll und Marco Feldmann. riser Kathedrale Notre-Dame auch

MELDUNGEN (BS/mfe) Prof. Dr. Ina Schieferdecker wird neue Leiterin der Abteilung Forschung für Digitalisierung und Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Dies erfuhr der Behörden Spiegel aus gut informierten Kreisen. Sie folgt auf Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, der neuer Staatssekretär im Hause von Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) wird. Schieferdecker wurde 1967 in Berlin geboren und studierte Mathematische Informatik an der Humboldt-Universität Berlin. Ihre Promotion legte sie 1994 an der Technischen Universität (TU) der heutigen Bundeshauptstadt ab. Seit dem 1. Januar 2015 ist sie Institutsleiterin am FraunhoferInstitut FOKUS in Berlin. Parallel dazu hat Schieferdecker eine

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Dieser kann genutzt werden, während die eigentlich vorgesehene Liegenschaft für die langfristige Nutzung als drittes Ausbildungszentrum der Bundesanstalt vorbereitet und instand gesetzt wird. Die Entscheidung, den früheren Bundeswehrstandort als Ort für die Ausbildung von jährlich bis zu 2.000 Bundesfreiwilligendienstleistenden zu nutzen, hatte zu

Jahresbeginn Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) getroffen. Zu der Übergangslösung sagte Martin Zeidler, der im THW die Einführung des erweiterten Bundesfreiwilligendienstes leitet: “Dies ist der entscheidende Schritt, um die einheitliche Ausbildung ab Herbst zu starten.” Dadurch würden Abläufe deutlich vereinfacht.

Beschafft werden aktuelle Smartphones von Apple mit einem Speichervolumen von 32 GB. Zum Schutz des Gehäuses und des Displays sind die Geräte mit einem Rundumseitenrahmen und mit Panzerfolie ausgestattet. Als Tablets kommen iPads mit ebenfalls 32 GB Speichervolumen, verstärkten Schutzhüllen und Panzerfolie zum Einsatz. Spezielle ,für den Polizeidienst entwickelte Apps bieten den Beamten jederzeit und ortsungebunden Zugriff auf die wichtigsten Datenbanken. Auf allen Geräten ist die App “MFKAbfragen” installiert, die an die interne Abfrageplattform (IAP) angebunden ist und beispielsweise Abfragen an die Personen- und Sachfahndung ermöglicht. Über einen dienstlichen Messenger können Dateien und Fotos versandt und ausgetauscht werden. Darüber hinaus kann auch untereinander kommuniziert werden. Die einsatzkritische Sprachkommunikation der österreichischen Polizei wird aber nach wie vor über den auf TETRA-Basis beruhenden “Digitalfunk BOS Austria” abgewickelt. Insoweit führen die Einsatzkräfte derzeit stets zwei Geräte, ein TETRA-Funkgerät und ein iPhone, mit.

Interessante Beschaffungsund Kostenvariante Um mit der technologischen Entwicklung einigermaßen Schritt zu halten, erfolgt die Beschaffung der Smartphones und Tablets im Rahmen einer 36-monatigen Leasingvariante mit inkludierten “Managed Services”. Die Gesamtkosten des Hardwareleasings, di-

cherheit oberste Priorität. Mit einem “Mobile-Device-Management” werden unter anderem Berechtigungen, Benutzerprofile sowie Geräte- und App-Verwaltung zentral gesteuert. Damit wird garantiert, dass dienstliche Daten vor dem Zugriff durch Unbefugte geschützt werden. Die Übertragung erfolgt über moderne Verschlüsselungen wie auch die Trennung zwischen öffentlichen und dienstlichen Apps. Alle mit dienstlichen Apps In Österreich soll bis Ende dieses Jahres erzeugten Daten (Bilder, Notizen jeder Polizist mit einem dienstlichen usw.) werden auf zentralen Servern iPhone (Foto) ausgestattet werden. des österreichischen Bundesmi Foto: BS/Feldmann nisteriums für Inneres abgelegt und stehen den Bediensteten verser Serviceleistungen sowie der auch auf ihrem Bürocomputer Daten- und Sprachtarife für die im zur Verfügung. Beschaffungsprogramm vorgesehenen rund 27.000 Smartphones Vorbehalte gegen die Nutzung der Smartphones und 3.000 Tablets belaufen sich nach Angaben des österreichiVon den österreichischen Geschen Bundesministeriums für werkschaften, der SPÖ-nahen Inneres auf jährlich rund 3,8 Fraktion Sozialdemokratischer Millionen Euro. Der Rollout und Gewerkschafter (FSG) und der die Verwaltung der Geräte erfolgt ÖVP-nahen Fraktion Christlicher durch die “A1 Telekom Austria Gewerkschafter (FCG) ist zu höAG”. Dabei gehen die Smartphones ren, dass ein Teil der Belegschaft, und Tablets direkt vom Anbie- von maximal 20 Prozent ist die ter an den Nutzer, weil nach der Rede, Vorbehalte gegen die NutAuslieferung keine weitere Pro- zung der technischen Neuerungen grammierung nötig ist. Über das hat. Obwohl eine Dienstanweisung kommerzielle Netz der “A1” laufen vorsieht, dass das Smartphone auch die MFK-Abfragen und der mit Dienstbeginn zu aktivieren Messengerdienst der Polizei. Die und im Außendienst mitzufühErrichtung eines eigenen Funknet- ren ist, sollen einige Mitarbeiter zes für die Datenkommunikation diese Weisung nicht befolgen. Sie der Polizei steht derzeit nicht zur befürchten mögliche Überwachungen am Arbeitsplatz durch den Debatte. Dienstherrn und verweigern die Datensicherheit hat oberste Verwendung der Smartphones. Priorität Schließlich ließen sich mit einer Bei dem Projekt “Mobile Polizei- Smartphone-App sogar ausgefeilte kommunikation” hat die Datensi- Bewegungsprofile erstellen.


Katastrophenschutz

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ehörden Spiegel: Herr Prof. Adrian, Sie sind der erste Deutsche im Amt des Präsidenten der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Welche Themen stehen für die kommenden vier Jahre auf Ihrer Agenda?

Behörden Spiegel / August 2019

WMO verschlanken und effizienter machen Weltorganisation für Meteorologie soll reformiert und zukunftsfähiger gemacht werden

(BS) Seine Amtsübernahme ist eine Premiere: Der Präsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Prof. Dr. Gerhard Adrian, ist der erste Deutsche an der Spitze der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) überhaupt. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel spricht er über sein ArbeitsproAdrian: Der Kongress der gramm für die UN-Organisation sowie ihren Beitrag im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Redakteur WMO hat vier Arbeitsfelder de- Marco Feldmann.

finiert. Zum einen geht es um die Umsetzung der sogenannten Governance-Reform. Hier hat der Exekutivrat der WMO bereits neue Entscheidungsstrukturen für die Organisation entwickelt, die der Kongress nun angenommen hat. Jetzt geht es darum, diese zu implementieren. Dabei sollen die Entscheidungsstrukturen deutlich verschlankt werden und die WMO insgesamt eine höhere Reaktionsfähigkeit erhalten. Bisher fielen viele Entscheidungen in acht technischen Kommissionen, die jeweils für einen Sektor zuständig waren. Themen waren unter anderem die Bereiche Klima, Luftfahrt, Landwirtschaft, Hydrologie und Messtechnik. Behörden Spiegel: Was hat sich da getan?

Adrian: Hier gab es eine Zusammenfassung. Jetzt existieren nur noch zwei derartige Kommissionen. Eine kümmert sich um Infrastrukturthemen, die andere um Services. Die eigentliche Arbeit der beiden neuen technischen Kommissionen soll in Untergruppen stattfinden, deren Vorsitzende künftig auch Experten nationaler Wetterdienste sowie aus dem Privatsektor zu den Sitzungen einladen können. Die Arbeit der technischen Kommissionen wird damit deutlich offener. Das ist ein großer Umbruch, der jetzt umgesetzt werden muss. Behörden Spiegel: Welche weiteren Schwerpunkte wird es innerhalb der WMO künftig geben? Adrian: Die WMO wird sich künftig nicht mehr nur auf das System Atmosphäre beschränken. In der Meteorologie und Klimatologie ist heute die Rede vom Erdsystem. Um mittel- oder langfristige Wettervorhersagen oder Klimaprojektionen zu erstellen, muss heutzutage zwingend die Erdoberfläche mitbetrachtet werden. Hier will die WMO in Zukunft einen ganzheitlicheren, interdisziplinäreren Ansatz verfolgen. Es braucht eine über-

Prof. Dr. Gerhard Adrian ist seit Mitte 2010 Präsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Zunächst für die kommenden vier Jahre steht der 62-Jährige zugleich an der Spitze der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). In diesem Amt ist er der erste Deutsche in der Geschichte der UN-Organisation.

Auftrages geraten und die deutsche Haushaltsordnung eine solche Zusammenarbeit nicht gerade vereinfacht. Wir werden aber alles tun, um hier gemeinsam mit der WMO Lösungen zu entwickeln.

BS/Deutscher Wetterdienst

greifende, zusammenfassende Betrachtung des Erdsystems und der Interaktion zwischen Atmosphäre und Erdoberfläche, einschließlich der Ozeane. Dieser Ansatz eines gesamtheitlicheren Bildes wurde kürzlich in das WMO-System aufgenommen. Behörden Spiegel: Was verändert sich noch? Adrian: Die WMO hat eine neue Initiative im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit

Behörden Spiegel: Gibt es weitere Punkte auf Ihrer Präsidentschaftsagenda bei der WMO? Adrian: Ja, wichtig ist auch das Thema “Private Public Engagement”. Da geht es um die Zusammenarbeit zwischen der WMO und ihren Mitgliedsstaaten sowie der Weltbank einerseits und privaten Akteuren bei der Erbringung meteorologischer Dienstleistungen. Außerdem ist hier die Datenpolitik von Bedeutung, also der freie Austausch von Daten zwischen staatlichen

“Die WMO wird sich künftig nicht mehr nur auf das System Atmosphäre beschränken.” gestartet. Dabei soll die Kooperation zwischen der WMO und Entwicklungsbanken wie der Weltbank oder der Afrikanischen Entwicklungsbank intensiviert werden. Letztere haben erkannt, dass sie beim Aufbau meteorologischer und klimatologischer Infrastrukturen und Services mehr Fachberatung benötigen, als sie bisher genutzt haben. Die WMO soll hier künftig stärker als Schnittstelle zu nationalen Experten, etwa von nationalen Wetterdiensten, fungieren. Die Kosten für den Einsatz der Fachleute sollen dann die Entwicklungsbanken übernehmen. Ob sich der Deutsche Wetterdienst an diesem System beteiligen kann, ist aber noch unklar, weil wir damit sehr stark an die Grenzen unseres gesetzlich fixierten

Stellen und Akteuren aus dem Privatsektor. Entscheidend sind dabei die Nutzungsbedingungen für die Weiterverwendung privat erzeugter Beobachtungsdaten. Für die Erbringung effektiver meteorologischer und klimatologischer Dienstleistungen sind wir zwingend auf den freien Austausch aller Daten, also der staatlichen und privaten, angewiesen. Ich prognostiziere: Datenpolitik ist ein Thema, mit dem sich die WMO lange Zeit wird beschäftigen müssen. Behörden Spiegel: Was gehört zu Ihren Aufgaben als WMOPräsident? Adrian: Der WMO-Präsident hat den Vorsitz im Kongress und im Exekutivrat und ist ihnen

Umfrage zum Ehrenamt gestartet Nordrhein-Westfalen will noch stärker für freiwilliges Engagement motivieren (BS/mfe) In Nordrhein-Westfalen ist unter dem Motto “Jetzt Du!” eine Umfrage zum Ehrenamt im Katastrophenschutz begonnen worden. Ziel ist es, herauszufinden, wie Menschen, die sich bereits ehrenamtlich engagieren, weiter bestärkt und unterstützt werden können. Außerdem soll es darum gehen, Möglichkeiten auszuloten, was Bürger motivieren könnte, ein Ehrenamt im Katastrophenschutz zu übernehmen. Des Weiteren soll eruiert werden, was sie bisher daran hinderte, dies zu tun. Die Umfrage, die im Auftrag des Düsseldorfer Innenministeriums von der Katholischen Universität EichstättIngolstadt durchgeführt wird, richtet sich folglich sowohl an Personen, die sich bereits ehrenamtlich bei Feuerwehren und Hilfsorganisationen engagieren, als auch an die Allgemeinbevölkerung. Die Ergebnisse sollen als Basis für künftige Imagestrategien zur Mitgliederbindung und -neugewinnung dienen. Bereits ehrenamtlich Engagierte können sich bis Anfang Oktober an der Befragung beteiligen. Herbert Reul (CDU), Innenminister Nordrhein-Westfalens, sagte zu der Umfrage: “Katastrophenschutz ist ohne Menschen im Ehrenamt nicht denkbar. Sie zu gewinnen, ist essenziell wichtig.” Aus diesem Grunde fördere die Landesregierung ehrenamtliches Engagement und wolle wissen,

Nicht nur Feuerwehrleute (Foto) sind oftmals ehrenamtlich im Katastrophenschutz tätig. Auch in den Hilfsorganisationen engagieren sich – nicht nur in Nordrhein-Westfalen – viele Bürger freiwillig. Wie sie noch besser unterstützt werden können, soll nun im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland durch eine Umfrage herausgefunden werden. Foto: BS/magicpen, pixelio.de

wie den Ehrenamtlichen weiter geholfen werden könne. Reul appellierte an die Bürger: “Katastrophenschutz geht jeden an.

Deshalb rufe ich die Menschen in Nordrhein-Westfalen auf, sich möglichst zahlreich an der Umfrage zu beteiligen.”

gegenüber berichtspflichtig. Außerdem gibt er dem WMOGeneralsekretär Vorgaben und Anweisungen zur Umsetzung von Entscheidungen des Kongresses oder des Exekutivrates. Darüber hinaus ist er ermächtigt, dringende Entscheidungen

ten nun auf, etwa das Halten von Vorlesungen an Universitäten. Des Weiteren ziehe ich persönlich mich aus einigen nationalen Gremien zurück. Behörden Spiegel: Was kann die WMO im Bereich des Katas­

“Es braucht eine übergreifende, zusammenfassende Betrachtung des Erdsystems.” zu treffen, sofern diese besonders eilbedürftig sind und nicht erst im Rahmen der nächsten ordentlichen Exekutivratssitzung oder im schriftlichen Verfahren gefällt werden können. Das kommt jedoch nicht allzu häufig vor. Behörden Spiegel: Wie wirkt sich die WMO-Präsidentschaft auf Ihre Arbeit als DWD-Präsident aus? Adrian: Ganz genau kann ich diese Frage noch nicht beantworten. Dafür liegt die Wahl noch nicht lange genug zurück. Die WMO-Präsidentschaft ist ja an das Amt des Präsidenten eines nationalen Wetterdienstes gekoppelt. Ziel muss sein, dass ich meine zentralen Aufgaben

trophen- beziehungsweise Bevölkerungsschutzes leisten? Adrian: Der Schutz von Leben und Eigentum durch die Bereitstellung von meteorologischen und klimatologischen Informationen ist die ureigenste Aufgabe der WMO. Dieses Ziel ist in der Präambel ihrer Konvention verankert. Die WMO ist von der Generalversammlung der Vereinten Nationen aufgefordert worden, andere UN-Organisationen durch die Bereitstellung meteorologischer und klimatologischer Informationen noch stärker in deren Aktivitäten zu unterstützen. Das gilt unter anderem mit Blick auf den UNHCR, UNESCO, FAO und die WHO. Dazu will die WMO ein globales Informationssystem über Wet-

“Der Schutz von Leben und Eigentum durch die Bereitstellung von meteorologischen und klima­ tologischen Informationen ist die ureigenste Aufgabe der WMO.” als Präsident des Deutschen Wetterdienstes auch weiter vollumfänglich wahrnehmen kann. Gewisse Aufgaben, die nicht unmittelbar in meine Kernzuständigkeit fallen, werde ich an meine Vorstandskollegen delegieren. Zudem gebe ich gewisse Aktivitä-

tergefahren und -warnung zur Unterstützung anderer Organisationen der Vereinten Nationen aufbauen. Hier wurde bereits ein Projekt aufgesetzt. Außerdem will sich die WMO noch stärker beim Aufbau von solchen Informationssystemen

in Entwicklungsländern einbringen. Denn sie existieren dort oft noch nicht einmal ansatzweise. Hier braucht es noch mehr Unterstützung für die betroffenen nationalen Wetterdienste durch die WMO. Anderenfalls können die Wettervorhersagen und Klimaprojektionen dort nicht verbessert werden. Behörden Spiegel: Welche Bemühungen unternimmt der Deutsche Wetterdienst derzeit, um bei der Warnung der Bevölkerung vor Wettergefahren noch besser zu werden? Adrian: Auch der Deutsche Wetterdienst will seine Vorhersagen und Prognosen weiter verbessern. Dabei geht es insbesondere darum, die momentan noch vorhandene Lücke zwischen sogenannten Kürzestfristvorhersagen, die für wenige Stunden Gültigkeit haben, einerseits und der numerischen Wettervorhersage andererseits zu schließen. Letztere prognostiziert das Wetter für einen Zeitraum von ein bis zwei Tagen. Behörden Spiegel: Was tun Sie konkret, um diese Lücke zu schließen? Adrian: Um dieses Ziel zu erreichen, mussten wir unter anderem unsere Rechnerin­ frastruktur deutlich verbessern und ausbauen sowie Lücken im Radarverbund schließen. Hier existiert bei uns bereits ein Projekt, mit dem wir die Vorhersagbarkeit von Gewittern, Orkan- und Sturmböen, Hagelschlag oder Starkregen verbessern wollen. Dafür haben wir das notwendige IT-System und die erforderliche Rechnerleistung bereits bestellt. Schließlich handelt es sich hierbei um ein sehr aufwendiges und anspruchsvolles Vorhersagemodell, für das wir noch mehr Beobachtungsdaten als bisher benötigen. Des Weiteren wollen wir unsere Fähigkeiten ausbauen, zusammen mit Kooperationspartnern oder Schwesterbehörden wie der Bundesanstalt für Gewässerkunde Langfristvorhersagen etwa zu für die Binnenschifffahrt relevanten Wasserständen zu erstellen.

THW bleibt ehrenamtlich Bundesanstalt will Engagement weiterhin kaum bezahlen (BS/mfe) Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) setzt bei ihren Freiwilligen im Einsatzdienst weiterhin auf das Prinzip des nahezu reinen Ehrenamtes. Eine flächendeckende Bezahlung komme nicht infrage. Nur Inhaber herausgehobener Positionen, etwa Landessprecher oder Ortsbeauftragte, erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung. Und selbst die betrage nur 800 Euro pro Jahr für Ortsbeauftragte, erläutert der Abteilungsleiter für Ehrenamt und Ausbildung, Stephan Bröckmann. Grundlage hierfür sei eine interne Richtlinie, die sowohl vom Bundesinnen- als auch vom Bundesfinanzministerium genehmigt worden sei. “Wir setzen inzwischen stärker darauf, Lebensältere länger im THW zu halten. Aus diesem Grunde haben wir auch die Höchstaltersgrenze abgeschafft”, erklärt er. Früher hätten Ortsbeauftragte zwingend mit 65 Jahren ihr Amt aufgeben müssen. Außerdem unterstütze die Bundesanstalt ihre Freiwilligen. “Wir finanzieren den Erwerb eines LkwFührerscheins komplett, sofern das für die jeweilige Helferposition erforderlich ist”, unterstreicht Bröckmann. Im Gegenzug müsse sich der Ehrenamtliche dann aber auch verpflichten, noch mindestens fünf Jahre beim THW zu bleiben. Der Abteilungsleiter sieht für die Zukunft einen erhöhten Bedarf an Spezialisten wie Bauingenieuren oder Elektromeistern. Hier gebe es bereits heute einzelne

Auch in Zukunft sollen nur wenige Freiwillige im Technischen Hilfswerk (THW) eine Aufwandsentschädigung erhalten. Von diesem Grundsatz will die Bundesanstalt nicht abrücken. Gleichzeitig sollen lebensältere Helfer möglichst lange gehalten werden. Foto: BS/THW, Philipp Schinz

Lücken. Grundsätzlich sei der Personalbedarf des THW jedoch noch erfüllbar. Dieser sei allerdings anhand großer Schadenslagen wie Hochwasser, die es in der Vergangenheit gab, berechnet worden. “Solche Szenarien werden in Zukunft aber häufiger eintreten”, warnt Bröckmann. Eines komme für das THW jedoch nicht infrage: die Absenkung der Grundvoraussetzungen, die jeder THW-Helfer erfüllen müsse. Dazu gehörten gewissen handwerkliche

Kenntnisse und Fähigkeiten, ein ausreichender Impfschutz und eine ausreichende körperliche Fitness. Und auch an der Tatsache, dass Bundesfreiwilligendienstleistende nicht per se über eine THW-Einsatzbefähigung verfügten, solle nichts geändert werden. Sie könnten nur dann auch Helfer werden, wenn sie während des Bundesfreiwilligendienstes die Grundausbildung absolvierten, stellt Bröckmann im Gespräch mit dem Behörden Spiegel klar.


Europäischer Katastrophenschutzkongress „Climate Change – Herausforderungen für Europa“

DI / MI

27.- 28. August 2019

BCC Berlin BERLIN CONGRESS CENTER

Klimawandel fordert alle In Deutschland ist kürzlich ein neuer Temperaturrekord verzeichnet worden. Im niedersächsischen Lingen wurden 42,6 Grad Celsius gemessen. Die Feuerwehren müssen bundesweit immer wieder zu Einsätzen gegen Wald- und Vegetationsbrände ausrücken. Und das nicht selten auf munitionsbelasteten Flächen. in diesem Zusammenhang wird auch wiederkehrend über die Anschaffung weiterer Löschhubschrauber oder sogar Löschflugzeuge diskutiert. Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Hartmut Ziebs, hatte wiederholt entsprechende Forderungen erhoben. Bisher muss hier in aller Regel auf Ressourcen der Bundespolizei und Bundeswehr zurückgegriffen werden. All dies zeigt, dass die Folgen des Klimawandels auch die nicht-polizeilichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), vor allem aus den Bereichen Katastrophenund Bevölkerungsschutz, fordern. Gleiches gilt für die europäische Ebene, insbesondere im Zusammenhang mit dem rescEU-System. Und weltweit gilt, was der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Dr. Johannes Richert, sagt: “Durch die Folgen des Klimawandels werden Verteilungskämpfe um die weltweit knapper werdenden Ressourcen zunehmen.” Deshalb befassen sich zahlreiche Referenten des diesjährigen Europäischen Katastrophenschutzkongresses des Behörden Spiegel am 27. und 28. August in Berlin mit der Thematik. Aber auch Starkregenereignisse und damit verbunden Hochwasserlagen nehmen in der Bundesrepublik kontinuierlich zu. Hier sind nicht nur Feuerwehren, Technisches Hilfswerk (THW) und Hilfsorganisationen gefragt. Auch die Polizeien von Bund und Ländern sowie die Bundeswehr müssen gegebenenfalls in Amtshilfe tätig werden. Bundeswehrseitig ist dann insbesondere das Kommando Territoriale Aufgaben gefragt. Dieses wird sich auf der Veranstaltung im Berlin Congress Center (bcc) präsentieren. Weitere zentrale Themenfelder sind die Sicherheit bei Großveranstaltungen sowie Ausbildung und die Zukunft des Ehrenamtes.

27. August 2019

Kongresspartner

Forschungsforum Öffentliche Sicherheit

28. August 2019

7.30 Eröffnung der Ausstellung / Registrierung / Begrüßungskaffee

7.30 Eröffnung der Ausstellung / Registrierung / Begrüßungskaffee

9.00 Begrüßung der Gäste Christoph Flury, Stellvertretender Direktor Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Schweiz, Kongresspräsident 2019 R. Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber Behörden Spiegel

8.55 Lessons Learned: Flutkatastrophe im Iran im März 2019 Prof. Hamidreza Khankeh, Nationaler Koordinator für Notfälle und Katastrophenmedizin, Ministerium für Gesundheit und Medizinische Ausbildung, Islamische Republik Iran

9.15 Eröffnungsrede Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit 9.45 Klimawandel jetzt Raed Arafat, Staatssekretär im Ministerium für Innere Angelegenheiten, Rumänien 10.15 Aktuelles aus der Forschung Volker Rieke, Leiter der Abteilung „Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und nachhaltige Entwicklung“, Bundesministerium für Bildung und Forschung 10.45 Auswirkungen des Klimawandels auf den Bevölkerungsschutz – eine neue Rolle für den Bund? Franz-Josef Hammerl, Abteilungsleiter Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 11.15 KAFFEEPAUSE 11.45 Fachforen – Block 1 • 1A: Auswirkungen des Klimawandels: Dürren & Waldbrände • 1B: Einsatz bei CBRN-Gefährdungen: Ausbildung, Training, Einsatztaktik • 1C: Logistik in der Katastrophenmedizin I • 1D: Baulicher Katastrophenschutz 13.15 MITTAGSPAUSE 14.30 Fachforen – Block 2 • 2A: Übungsgelände und Trainingsmöglichkeiten für die BOS • 2B: Digitalisierung: Herausforderungen und Chancen für den Katastrophenschutz • 2C: Logistik in der Katastrophenmedizin II • 2D: Netzwerke für den Hochwasserschutz – Ergebnisse, Entwicklungen und Diskussion • 2E: Moderne Ausrüstung für den Katastrophenschutz 16.00 KAFFEEPAUSE 16.30 Energiewende: Was bedeutet die Einführung von LNG für die Feuerwehren? Mag. Franz Petter, Referat Strategische Planung und Grundsatzangelegenheiten Feuerwehr, Einsatzabteilung, Freie und Hansestadt Hamburg 16.50 Der Klimawandel – Herausforderung für die Rotkreuz-/Rothalbmondbewegung Dr. Johannes Richert, Leiter des Bereichs Nationale Hilfsgesellschaft, Deutsches Rotes Kreuz 17.10 Ausblick: Wie entwickelt sich das Klima in Europa? Tobias Fuchs, Leiter der Abteilung Klima- und Umweltberatung, Deutscher Wetterdienst 17.30 DEBATTE: Anpassungsfähigkeit des europäischen Katastrophenschutzes an den Klimawandel? Moderation: Marian Wendt, MdB, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und Präsident der THW-Bundesvereinigung Referenten: • Paola Albrito, Chief Regional Office for Europe, United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) • Albrecht Broemme, Präsident Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) • Agostino Miozzo, Generaldirektor Behörde für Katastrophenschutz, Republik Italien 18.30 Hanno-Peter-Preis Verleihung durch Prof. Dr. med. Leo Latasch, Präsident Deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin 18.45 Buffet und Networking

www.katastrophenschutzkongress.de

9.25 Kongresspartner 9.45 DEBATTE: Sicherheit bei Großveranstaltungen Moderation: Bernd Manthey, Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder a. D. Referenten: • Univ.-Prof. Dr.-Ing. Frank Fiedrich, Leitung des Lehrstuhls für Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit, Fakultät Maschinenbau und Sicherheitstechnik, Bergische Universität Wuppertal • Dirk Fleischer, Geschäftsführer Operations, DB Sicherheit GmbH • Jochen Stein, Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren Deutschland, Leiter der Feuerwehr Bonn 10.30 KAFFEEPAUSE 11.00 Fachforen – Block 3 • 3A: Künstliche Intelligenz: ein Instrument für den Katastrophenschutz? • 3B: Anwenderforum: Warnen, Alarmieren, Informieren • 3C: Grundlage für ein Europäisches CBRN Support Center • 3D: Forschung für die zivile Sicherheit 12.30 MITTAGSPAUSE 13.30 Fachforen – Block 4 • 4A: Schutz Kritischer Infrastrukturen • 4B: Wie rette ich das Ehrenamt? • 4C: Hanno-Peter-Preis • 4D: Anwenderforum II: Warnen, Alarmieren, Informieren 15.00 KAFFEEPAUSE 15.15 DEBATTE: Territorial Hub – Architektur für eine gemeinsame Lage Moderation: Jürgen Schreiber, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin e. V. Einleitung: Generalmajor Carsten Breuer, Kommandeur im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr Referenten: • Dr Rod McCall, Environmental Research and Innovation Department (ERIN), Luxembourg Institute of Science and Technology • Christoph Flury, Stellvertretender Direktor Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Schweiz • Daniel Lohmaier, Referatsleiter I.5 – Gemeinsames Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ), Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe 16.15 Ende der Veranstaltung Moderation der Veranstaltung: Rainer Schwierczinski, Vizepräsident a. D. der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk Medienpartner

AND DEFENCE EUROPEAN SECURITY (“The European”) THE MAGAZINE FOR www.euro-defence.eu

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Wehrtechnik

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Behörden Spiegel / August 2019

Neues aus der Wehrtechnik Industriepartner für Schweizer TK A-Programm

"Dragon Fly LDM" für die digitale "Lights-out"-Fertigung

Rohde & Schwarz

Hensoldt

(BS) Das Programm TK A (Telekommunikation der Armee) soll die Schweizer Streitkräfte in den kommenden Jahren in die nächste Generation digitaler Führungsfähigkeit führen. Für "Ersa mob Komm" (Ersatzbeschaffung für die mobile Kommunikation), dem zentralen Teilprojekt von TK A, hat Rohde & Schwarz über die seit 70 Jahren in der Schweiz etablierte Tochtergesellschaft Roschi Rohde & Schwarz Anfang Juli ein Angebot an die Schweizer Beschaffungsbehörde Armasuisse eingereicht. Damit kann die Schweiz davon profitieren, dass Rohde & Schwarz die taktische Kommunikationsarchitektur und deren Realisierung in Deutschland und in vielen Ländern der NATO heute mitgestaltet. So ist das angebotene taktische Netzwerk "Soveron", bestehend aus software-definierten Funkgeräten von Rohde & Schwarz für die Führungsfunkanbindung, den zugehörigen netzwerkfähigen Wellenformen sowie dem taktischen Router von RUAG zur Verbindung heterogener Infrastrukturen bereits die Basis für eine umfassende und innovative Systemlösung in Deutschland. Nach intensiven Feldtests des Deutschen Heeres sind die Funksysteme für das Projekt der NATOSpeerspitze VJTF ("Very High Readiness Joint Task Force") ausgewählt worden. Zudem bietet Rohde & Schwarz gemeinsam mit RUAG der Schweizer Armee laut Unternehmensangaben "Gewähr für europäische Spitzentechnologie und nationale digitale Souveränität." Letztere wird unter anderem sichergestellt durch die Garantie der Datenhoheit ohne Hintertüren, durch die Möglichkeit von nationalen Anpassungen der verwendeten Kryptologie sowie durch einen Schweizer Wertschöpfungsanteil und umfassende lokale Instandhaltungsfähigkeiten für alle missionskritischen Komponenten.

(BS) Die Nano Dimension Ltd., ein Hersteller von Geräten zur additiven Fertigung von Elektronikbauteilen, hat Ende Juli ihre neue LDM-Technologie "Dragon Fly" auf den Markt gebracht. Dabei handelt es sich nach Unternehmensangaben "um die branchenweit einzige umfassende Plattform für die additive Rund-um-die-Uhr-Fertigung von elektronischen Schaltungen." Die Erstinbetriebnahme erfolgte am Standort München des Sensor- und Verteidigungselektronikunternehmens Hensoldt. Bei dem System "Dragon Fly LDM", das für die Industrie 4.0 und die Fertigung im Hinblick auf das Internet der Dinge ausgelegt ist, handelt es sich um eine Erweiterung des Systems "Dragon Fly Pro", mit dem sich Elektronikbauteile wie "Multi-Layer"Leiterplatten, Antennen oder Sensoren drucken lassen. Der Verkauf von "Dragon Fly LDM" über das Vertriebsnetz von Nano Dimension läuft bereits. In Deutschland ist "Dragon Fly LDM" bei Phytec New Dimension erhältlich, dem hiesigen Händler von Nano Dimension. Bei LDM ("Lights-out Digital Manufacturing") handelt es sich um ein Fertigungsverfahren, bei dem die Produktionsanlagen rund um die Uhr und weitgehend oder sogar völlig ohne menschliche Einwirkung laufen. Im Bereich der additiven Fertigung mit "Dragon Fly" lässt sich durch die LDM-Technologie sicherstellen, dass die Nutzer in kurzer Zeit mehr funktionsfähige elektronische Schaltungen herstellen können und gleichzeitig die Möglichkeiten beim "Rapid Prototyping" und bei der Kleinserien- oder Einzelfertigung erweitert werden. "Dragon Fly LDM" erweitert die Fähigkeiten des Systems "Dragon Fly Pro" um eine neue, proprietäre und moderne Technologie. Zu den Verbesserungen zählen die Optimierung der "Overall Equipment

I

n Frühwarnsystemen kann es zu Fehlalarmen kommen, die ganz unterschiedliche Ursachen haben können. In Friedenszeiten sind die Risiken sehr gering, dass die Bewertung einer Alarmmeldung zu einem atomaren Angriff führt, da in solchen Situationen im Zweifelsfall Fehlalarme angenommen werden. Die Situation kann sich drastisch ändern, wenn politische Krisensituationen vorliegen, eventuell mit gegenseitigen Drohungen und wenn in zeitlichem Zusammenhang mit einem Fehlalarm weitere Ereignisse eintreten. Für solche weiteren Ereignisse werden bei einer Bewertung Ursachen gesucht, d. h. es wird versucht, kausale Zusammenhänge zwischen der Alarmmeldung und den zeitnah eingetretenen Ereignissen zu finden. Wenn solche Zusammenhänge gefunden werden und plausibel sind, besteht die große Gefahr, dass diese Zusammenhänge als gültig angenommen werden, auch wenn es um zufälliges zeitliches Zusammentreffen von unabhängigen Ereignissen geht. Damit besteht die große Gefahr, dass auch die Alarmmeldung als gültig angenommen wird.

Beispiel-Situation Wie eine solche kritische Situation entstehen kann, wird an einem Beispiel mit aktuellem Bezug verdeutlicht. Mitte Juni 2019 hat die New York Times berichtet, dass die USA einen Cyber-Angriff auf russische Energieunternehmen ausgeführt haben, um Schadsoftware zu installieren. Dadurch soll es den USA zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein, die Energieversorgung zu stören. Am 23. Juni 2019 gab es Meldungen über einen Cyber-Angriff der USA gegen den Iran, als Vergeltung für den Abschuss einer amerikanischen Drohne. In diesem Zusammenhang haben die USA eigene Unternehmen (auch Energieversorger) vor Gegenangriffen durch den Iran gewarnt.

Das taktische Netzwerk "Soveron" besteht aus softwaredefinierten Funkgeräten, den zugehörigen netzwerk-fähigen Wellenformen sowie dem taktischen Router. Foto: BS / Rohde & Schwarz

Nachdem das Unternehmen auch für die Teilprojekte Ersa IMFS (Ersatzbeschaffung Integriertes Militärisches Fernmeldesystem) und KT-Planung Lösungen anbietet, steht Rohde & Schwarz mit seinen Partnern für die nahtlose Umsetzung von TK A mit entsprechend verringerten Implementierungsrisiken bereit. Zur Realisierung der TK A-Komponenten hat die Armee in den letzten Jahren je ein Projekt gestartet. Ziel ist es, das gesamte Netzwerk stufenweise bis zur zweiten Hälfte der zwanziger Jahre aufzubauen. Das Führungsnetz Schweiz soll gegen Anfang des kommenden Jahrzehnts vollständig in Betrieb sein. Die Rechenzentren werden in Etappen in Funktion gehen, die ersten beiden im 2020. Das Projekt Telekommunikation der Armee soll nach 2028 abgeschlossen werden. Mehr Informationen unter www.rohde-schwarz.com

Hensoldts ALM-Pojektmanager ("Application Lifecycle Management") Andreas Salomon (li.) und Valentin Storz, Vertriebsdirektor EMEA ("Europe, Middle East, Africa") bei Nano Dimension, mit den ersten PCBs ("Printed Circuit Boards). Foto: BS / Hensoldt

Effectiveness" (OEE) sowie verbesserte Prozesse und Produktionsabläufe beim 3D-Druck von Elektronikbauteilen. "Dragon Fly LDM" vereint die neuen, modernen Steuerungsalgorithmen der Druckköpfe mit ihrer automatischen Selbstreinigung nach einigen Betriebsstunden und besitzt ein automatisches System zur echtzeitigen HardwareÜberwachung. So ist eine maximale Betriebszeit bei gleichzeitiger Minimierung der Wartungshäufigkeit und -dauer auf in der Regel nur einen einzigen Wartungseinsatz pro Woche möglich. An der gemeinsamen LDM-Kampagne hat sich Hensoldt mit der Fertigung von Referenzplatinen zur Veranschaulichung der Vorteile des neuen LDM-Systems beteiligt. Mehr Informationen unter www.hensoldt.net

Frühwarnsysteme und Cyber-Angriffe Gefährliche Wechselwirkungen möglich (BS/Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, Prof. Dr. Jörg Siekmann*) Zwischen Frühwarnsystemen, die der Vorhersage und Bewertung von möglichen Angriffen durch Atomraketen dienen, und Cyber-Angriffen kann es zu gefährlichen Wechselwirkungen und im schlimmsten Fall zu einem Atomkrieg aus Versehen kommen. Über mögliche Abläufe von Cyber-Kriegen gibt es bisher wenig Erfahrung. Ein Cyber-Krieg ist vermutlich schwer kontrollierbar. Es wird auch schwer sein, einen Cyber-Krieg auf zwei Staaten zu begrenzen. Der Angriff der USA auf Russland und den Iran könnte auch andere Gruppen motivieren, Angriffe auf die USA zu starten. Diese Gruppen müssen nicht Staaten, sondern könnten auch Hackergruppen, z. B. aus Nordkorea, China oder Russland sein, die von den jeweiligen Staaten nicht kontrolliert und abgehalten werden können. Die Quelle eines Angriffs kann häufig nicht festgestellt werden. Ein Angriff kann zwar Hinweise auf den Urheber liefern, allerdings könnten das auch bewusst falsch gelegte Spuren sein. Angenommen, es kommt als Folge der Cyber-Angriffe durch die USA zu schwerwiegenden Gegenangriffen auf die USA. Dann könnte eine Analyse eines solchen Angriffs das Ergebnis liefern, dass als Urheber nicht nur der Iran, sondern auch andere Stellen, z. B. in Russland, wahrscheinlich sind. Ein solches Ergebnis würde vermutlich Drohungen zur Folge haben. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass ein solcher Cyber-Angriff allein schon zu einer nuklearen Gegenreaktion führt, obwohl die neue US-Doktrin dies nicht ausschließt. Dies kann sich aber ändern, wenn es in zeitlichem Zusammenhang eine Raketenangriffsmeldung in einem Frühwarnsystem gibt (als Fehlalarm). Ein solches Risiko besteht aber nicht nur bei einem Fehlalarm auf Seiten der USA. Angenommen, zeitnah

In Frühwarnsystemen kann es zu Fehlalarmen kommen – hier das frühere Frühwarnsystem für ballistische Raketen im Regionalzentrum für Luftoperationen auf dem britischen Luftwaffenstützpunkt High Wycombe. Foto: BS/David Jones, CC BY 2.0, flickr.com

zu einem Cyber-Angriff auf die USA mit Verdächtigungen nach Russland gibt es in einem russischen Frühwarnsystem einen Fehlalarm, dann besteht die Gefahr, dass eine solche Meldung als gültig bewertet wird, denn ein solcher Angriff wäre eine logische Folge der US-Doktrin. Wenn bei der Bewertung zusätzlich festgestellt wird, dass man es dem Gegner zutraut und die eigene Zweitschlagfähigkeit stark eingeschränkt ist, wäre ein Launch-onwarning die logische Konsequenz (d. h. Start der eigenen Raketen, bevor die gegnerischen einschlagen). Für jede einzelne mögliche Risiko-Situation, auch für die hier beschriebene, ist die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten gering. Allerdings gibt es sehr viele mögliche Situationen, in denen kausale Wirkungsketten von Ereignissen angenommen und somit sehr gefährlich werden können. In allen technischen Bereichen gibt es Unglücke (z. B. Flugzeugabstürze) und es kommen Menschen ums Leben. Das ist für die

Betroffenen sehr schlimm, aber für den Rest der Menschheit geht das Leben weiter. In Zusammenhang mit Atomwaffen kann es wahrscheinlich nur einmal einen solchen Unfall geben. Denn danach gibt es möglicherweise niemanden mehr, der einen eventuell resultierenden nuklearen Winter überleben würde. Auch wenn es bisher noch keinen gravierenden "Unfall" mit atomarem Schlagabtausch gegeben hat, ist diese Gefahr nicht vernachlässigbar.

Cyber-Angriffe auf Frühwarnsysteme Neben der Gefahr eines zufälligen zeitlichen Zusammentreffens von einem Cyber-Angriff mit einer Alarmmeldung in einem Frühwarnsystem sind noch weitere kritische Wechselwirkungen denkbar: • Übermitteln falscher Daten an ein Frühwarnsystem, • Manipulation von Komponenten eines Frühwarnsystems, • gegnerische Führung und

Kontrolle schwächen, • gegnerische Atomraketen unschädlich machen, • Kontrolle über gegnerische Atomraketen erlangen. Cyber-Angriffe könnten gegen Frühwarnsysteme gerichtet sein und dabei Teilkomponenten lahmlegen, die Kommunikation stören, Informationen abgreifen oder bestimmte Signale senden. In Kriegszeiten spielen Propaganda und Falschnachrichten eine große Rolle. Möglicherweise haben in Zukunft auch "fake news" unkalkulierbare Auswirkungen auf Frühwarnsysteme und beeinflussen die Bewertung von Alarmmeldungen. Wenn es Hackern gelingt, sich in eine Konferenz zur Bewertung einer Alarmmeldung einzuschalten und dabei die Verbindung mit einem "falschen" Präsidenten herzustellen, könnten sie diesen sprechen lassen, was sie wollen. Bspw. könnte hierbei das Programm Voco von Adobe eingesetzt werden, das es ermöglicht, mit der Aussprache einer bestimmten Person einen beliebigen Text sprechen zu lassen. Oder die Hacker könnten ein System wie Face2Face einsetzen, um den Präsidenten in einem Video das sagen zu lassen, was sie möchten. Mit diesen technischen Möglichkeiten des "deep fake" kann alles gefälscht werden. Ein Ausnutzen solcher Möglichkeiten durch Hacker kann politisches Handeln in Krisensituationen sehr erschweren. Bereits die Tatsache, dass Bedienungsmannschaften irgendwann wissen, dass alles (z. B. Ton- und Videoaufnahmen) gefälscht sein kann, kann zu Unsicherheiten bei der Bewertung von Krisensituati-

onen führen. Neben gefährlichen Wechselwirkungen zwischen Cyber-Angriffen und Frühwarnsystemen gibt es weitere Aspekte, die die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen erhöhen.

Atomkriegsrisiko wächst Der Klimawandel wird vermutlich dazu führen, dass verschiedene Regionen unbewohnbar werden und damit vermehrt Klimaflüchtlinge verursachen. Dadurch wird es in Zukunft häufiger politische Krisen geben, als Folge werden Raketenangriffsmeldungen deutlich gefährlicher. Um unter dem enormen Zeitdruck, der im Minutenbereich liegen kann, Entscheidungen zu treffen, werden in Zukunft immer mehr computergestützte Verfahren, einschließlich Techniken aus der Künstlichen Intelligenz erforderlich sein. Ein Testen solcher Systeme unter realen Bedingungen ist aber kaum möglich. Dies kann zu unvorhersehbaren Effekten führen, die eventuell von Menschen nicht bewertet und kontrolliert werden können. In www.fwes.info/fwes-19-2. pdf werden mögliche Gefahren eines Atomkriegs aus Versehen detailliert beschrieben. Diese Gefahren bestehen auch, wenn es noch gelingt, den INF-Vertrag ("Intermediate-Range Nuclear Forces") von 1987 zu erhalten. Um die Risiken eines Atomkriegs aus Versehen zu senken, sind neben dem Erhalt von INF vermutlich noch weitere Maßnahmen erforderlich. Aber ohne INF werden die Risiken bei einem neuen Wettrüsten deutlich steigen. *Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, vormals Professor für Informatik an der Hochschule Trier, nimmt jetzt einen Lehrauftrag im Fernstudium wahr. Prof. Dr. Jörg Siekmann ist Professor für Informatik und Künstliche Intelligenz an der Universität des Saarlandes.

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Wehrtechnik

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Kommt der Euro-Panzer?

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ereits im Juni 2012 hatten Regierungsvertreter Deutschlands und Frankreichs ein Abkommen über eine umfassende Rüstungskooperation unterzeichnet, in dem es unter anderem um eine enge Abstimmung untereinander bei der Konzeptionierung der nächsten Kampfpanzer-Generation ging. Daraus entstand das bilaterale Projekt zur Realisierung eines gemeinsamen “MainGround Combat-System”-Projekts (MGCS). Auf deutscher Seite regierte damals eine christ-liberale Koalition. In Frankreich hatte gerade ein Machtwechsel in der Präsidentschaft des Gaullisten Nicolas Sarkozy (UMP) hin zum Sozialisten François Hollande (PS) stattgefunden. Mit vorbereitet worden war dieser Rüstungsvertrag noch von der Pariser Vorgängerregierung. Dieses Beispiel zeigt, dass nicht alle europäischen Großvorhaben auf die in Ansätzen isolationistische US-Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter Präsident Donald Trump zurückzuführen sind. Auch die Industrie bereitet sich schon länger auf das Großvorhaben MGCS vor. Im Frühjahr 2015 fusionierten das Münchener Familienunternehmen KraussMaffei Wegmann (KMW) und das französische Staatsunternehmen Nexter Systems zu KNDS. KNDS steht für “KMW + NEXTER Defence Systems” und ist eine Holding für Rüstungsbetriebe mit Sitz in Amsterdam. Als erklärtes Vorbild gilt die multinationale Airbus Group. Die deutsch-französische Arbeitsteilung bei den beiden “Leuchtturm”-Projekten “Future Combat Air System” (FCAS) und MGCS sieht wie folgt aus: Beim Luftwaffensystem liegt die Führungsrolle beim französischen Staat und industrieseitig bei Dassault Aviation; beim Heeressystem sind Deutschland und KMW führend. Begleitet wird das Panzer-Projekt vom DeutschFranzösischen Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL) mit Sitz im Elsass.

Modellvielfalt bei Kampfpanzern Traditionell entwickelten und produzierten mehrere europäische Staaten Kampfpanzer in nationaler Eigenregie: Neben dem aktuellen deutschen “Leopard 2” und dem französischen “Leclerc” sind hier vor allen Dingen der britische “Challenger 2”und der italienische "Ariete" zu nennen. Aber moderne Waffensysteme werden – nicht zuletzt dank der fortschreitenden Digitalisierung – immer komplexer und damit auch immer teurer. Dies übersteigt mehr und mehr nationale Kapazitäten – selbst bei relativ potenten Mittelmächten wie Deutschland und Frankreich. Als Dienstzeitende für den “Leopard 2” wird momentan etwa der Zeitraum 2030 bis maximal

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Der deutsch-französische “Rüstungsmotor” brummt (BS/Dr. Gerd Portugall) Auf der Welt größten Luft- und Raumfahrtmesse, die unlängst in Le Bourget bei Paris stattfand, haben Deutschland und Frankreich – wieder einmal – einen engen Schulterschluss bei einem europäischen Hochwert-Rüstungsprojekt gezeigt: Die Verteidigungsministerinnen beider Nationen unterzeichneten medienwirksam ein weiteres Meilenstein-Abkommen zur Realisierung eines gemeinsamen KampfflugzeugProgramms (mehr dazu auf Seite 37 der Juli-Ausgabe des Behörden Spiegel). Noch früher war bereits ein gemeinsames Kampfpanzer-Projekt aus der Taufe gehoben worden.

Wird so der künftige Euro-Panzer aussehen? Hier der KNDS-Hybrid mit “Leclerc”-Turm und “Leopard”-Chassis auf der Eurosatory 2018.

2035 avisiert. Da dieses 62-Tonnen-Gerät schon ab 1979 bei der Bundeswehr in Dienst gestellt worden ist, ergibt sich daraus eine Gesamtdienstzeit von dann über einem halben Jahrhundert. Das französische Gegenstück “Leclerc” mit einem Gewicht von 56 Tonnen ist allerdings erst ab 1992 an die “Armée de terre” ausgeliefert worden. Der zeitliche Abstand wird aber als so geringfügig eingeschätzt, dass das Nachfolgemodell trotzdem gleichzeitig entwickelt, produziert und in Dienst gestellt werden soll.

Bewaffnung und Antrieb Sowohl der deutsche als auch der französische Panzer verfügen jeweils über eine 120-mmGlattrohrkanone. Hauptwaffe des “Leopards 2” ist die Glattrohrkanone Rh 120 L/44 von Rheinmetall mit Rauchabsauger und für flügelstabilisierte KE-UnterkaliberWucht- oder Vollkaliber-Mehrzweckgeschosse. Der “Leclerc” verfügt über eine Kanone vom Typ CN 120-26/52, ist voll stabilisiert und wurde ohne Rauchabsauger konzipiert. Entwickelt worden war diese Waffe – wie der ganze Panzer selbst – von der staatlichen Giat Industries, aus der 2006 Nexter hervorgegangen ist. Beim “Leclerc” ist zum ersten Mal bei einem westlichen Panzer auf den Ladeschützen verzichtet

worden, d. h. er verfügt über eine Ladevollautomatik – und damit über ein Besatzungsmitglied weniger als der “Leopard”. Angetrieben wird der deutsche Panzer von einem 12-ZylinderDieselmotor vom Typ MB 873 mit 1.103 kW (1.500 PS). Hergestellt wurde dieser Motor von MTU Friedrichshafen, das heute zum Rolls-Royce-Konzern gehört. Das französische Gegenstück läuft mit einem Acht-Zylinder-Dieselmotor, ebenfalls mit 1.100 kW (1.500 PS). Gebaut wurde er von der finnischen Wärtsilä Corporation mit Hauptsitz in Helsinki.

Hybrid-Sensation Auf der Rüstungsmesse Eurosatory bei Paris stellte KNDS im Juni des vergangenen Jahres erstmals den Technologieträger “Euro Main Battle Tank” (E-MBT) vor. Der Demonstrator mit einem Gewicht von 60 Tonnen bestand aus dem Fahrgestell des aktuellen Kampfpanzers “Leopard 2A7” und dem Turm des “Leclerc”. Deshalb hat dieser “Hybrid” nur eine Besatzung von drei Soldaten. Wenige Tage nach der Rüstungsmesse Eurosatory unterzeichneten die damalige deutsche Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen und ihre französische Amtskollegin Florence Parly Absichtserklärungen zur Rüstungskooperation beim

MGCS und beim FCAS. Bei MGCS handelt es sich damit um das bedeutendste zukünftige Rüstungsprojekt der Landsystemindustrie in Europa. Basierend auf einem starken deutsch-französischen Fundament, ist die Öffnung für weitere Partner beabsichtigt. Vor dem Hintergrund der geplanten gemeinsamen Entwicklung dieses neuen Kampfpanzers stellte Rheinmetall die 130-mm-Waffenanlage L/51 als Konzept für eine zukünftige Hauptbewaffnung vor. Mit ihrer Entwicklung wurde im Jahr 2015 begonnen; mit einer Einsatzfähigkeit wird nach Unternehmensangaben bereits um das Jahr 2025 gerechnet. Sollte diese Glattrohrkanone die Serienreife erreichen, wäre auch ein neuer NATO-Standard zur Normierung und damit Standardisierung der Munition erforderlich, wie dies bereits für die Rh120 mit dem

Foto: BS/Portugall

STANAG (“Standardization Agree­ ment”) 4385 erfolgte. Die großen Panzerschlachten der Vergangenheit dürften weitgehend passé sein. So, wie das FCAS der Lüfte aus bemannten und unbemannten Systemen bestehen wird, vernetzt mit Plattformen anderer Dimensionen – zum Beispiel mit Satelliten und Bodenstationen –, so wird auch das MGCS am Boden entsprechend komplex und multidimensional aufgestellt sein. Unbemannte bewaffnete Kettenfahrzeuge werden mit bemannten Kampfpanzern vorrücken und untereinander digital und mit Dritten vernetzt sein.

Der Faktor Europa Nicht nur national und binational, sondern auch auf europäischer Ebene werden entsprechende Vorhaben vorangetrieben. Im Juni 2017 rief die EU-Kommission

den Europäischen Verteidigungsfonds (engl. EDF) ins Leben, um Rüstungsbeschaffungen effizienter zu gestalten. Bestandteil des EDF ist das Europäische Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungssektor (engl. EDIDP) aus dem vergangenen Jahr. Für dieses Jahr hat die Kommission im Rahmen des EDIDP die wehrtechnische Industrie in Europa aufgerufen, Vorschläge für ein Unbemanntes MehrzweckBodensystem (engl. MUGS) bis Ende August einzureichen. Es geht dabei um eine Universalarchitektur mit Lösungen für Systemintegrationen und für die Kooperation zwischen bemannten und unbemannten Systemen. Im Mai dieses Jahres hat die EU-Kommission eine neue Bekanntmachung zu Leitlinien für kooperative Rüstungsbeschaffung (Richtlinie 2009/81/EG) veröffentlicht. Nach Dr. Robert Glawe, Fachanwalt für Vergaberecht, ist diese Bekanntmachung unter anderem für MGCS und FCAS von Bedeutung (mehr dazu auf Seite 39 der Juli-Ausgabe des Behörden Spiegel). Ein besonders problematisches Thema ist in diesem Zusammenhang die Rüstungsexportpolitik. “Deutschland und Frankreich”, erklärte Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, “haben im Aachener Vertrag dieses Jahr vereinbart, bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz zu entwickeln und ein binationales Organ zu schaffen, das die Regierungen in Grundsatzfragen von Rüstungsexporten berät.” Gerade für die Verwirklichung von Gemeinschaftsprojekten wie MGCS und FCAS sei das entscheidend. “Falls wie bisher beispielsweise im Falle Saudi-Arabiens keine Einigung über eine einheitliche Anwendung der europäischen Exportkriterien gefunden wird, müssen in letzter Konsequenz gemeinsam mit Partnerstaaten wie Frankreich Empfängerlisten noch vor Beginn von weiteren gemeinsamen Rüstungsvorhaben beschlossen werden, die neben EU-, NATO- und gleichgestellten Staaten auch Drittstaaten zulassen, um die ökonomische Sinnhaftigkeit der Projekte zu sichern”, so Oberst a. D. Kiesewetter gegenüber dem Behörden Spiegel.

WTD 61 testet MIKADO Optimierungen in vollem Gange (BS/por) Unbemannte Flugsysteme (engl. UAS) gewinnen angesichts der komplexen Bedrohungslage in Einsatzgebieten der Bundeswehr immer mehr an Bedeutung. Dies gilt auch und immer noch für das UAS MIKADO (“Mikro-Aufklärungsdrohne im Ortsbereich”). Die Wehrtechnische Dienststelle für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät der Bundeswehr (WTD 61) im oberbayerischen Manching wurde vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mit der Bewertung der Systemeigenschaften beauftragt. Schließlich wurde das Gesamtsystem seit seiner Einführung Ende des Jahres 2006 in die Truppe inzwischen durch mehrere Optimierungen und Anpassungsentwicklungen deutlich aufgewertet. Die notwendigen Tests auf dem Erprobungsgelände Feilenmoos führte die WTD 61 im Mai dieses Jahres gemeinsam mit dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (Zentr­ LuRMedLw) aus Köln durch und wurde während des gesamten Prozesses der Planung, Durchführung und Auswertungen auch durch den Technologiestützpunkt Tarnen und Täuschen des Ausbildungszentrums im niedersächsischen Munster sowie durch das Kommando Spezialkräfte (KSK) unterstützt.

In verschiedenen Aufgabenstellungen wurden sowohl das fliegerische Handling des Fluggerätes als auch die Transportierbarkeit über verschiedene Hindernisse und die Inbetriebnahme der kompletten Drohnenausstattung getestet und parallel bewertet. Ein weiterer Schwerpunkt der Erprobung lag in der Bewertung der Aufklärungsfähigkeit des Systems. Hierzu wurde durch einen erfahrenen Steuerer des unbemannten Luftfahrzeugs (ULfzSteuerer) ein speziell ausgearbeiteter “Aufklärungsauftrag” durchgeführt und anschließend bewertet. Die Aufgabe bestand darin, verschiedene Ziele im visuellen und infraroten Spektrum durch MIKADO aufzuklären und zu identifizieren. Die unterschiedlichen Versuche zeigten die Stärken und Schwächen des Systems. Die Ergebnisse bilden nun die Grundlage für weitere Untersuchungen. Das Mikroaufklärungssystem wurde von der im westfälischen Arnsberg ansässigen Firma Air Robot als AR 100-B entwickelt. Knapp 200 dieser Drohnen sind

Die Aufklärungsdrohne MIKADO wird von nur einem Soldaten bedient. Foto: BS/Portugall

von der Bundeswehr beschafft worden. MIKADO wird seit 2011 in Afghanistan (erst ISAF, dann “Resolute Support”) und im Kosovo (KFOR) operationell eingesetzt. Die Flugdauer beträgt rund 25 Minuten. Mindestens zwei dieser unbemannten Quadrocopter sind bisher abgestürzt und und mindestens drei weitere gelten als vermisst.

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Verteidigung

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Wege zur “Future Force”

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eniger beachtet vollziehen sich global fünf größere Veränderungs-Trends: • Wechsel der Wirtschaftskraft von Europa/USA hin zu Asien, • technologische Durchbrüche wie Digitalisierung, • demographischer und damit verbundener sozialer Wandel, • rasche Urbanisierung, • klimawechsel und Ressour­ ce­nknappheit. Dieser “Wind of Change” betrifft alle Staaten – und damit auch die Bundesregierung und das Verteidigungsministerium, das verantwortlich für Planung, Entwicklung und Aufstellung bzw. Ausrüstung der Streitkräfte ist. Bis 2030 wird die Weltbevölkerung um eine Milliarde Menschen wachsen und deutlich älter werden, mit weniger Kindern. In Europa und den USA wird der “Wettbewerb um geeigneten Nachwuchs” erheblichen Einfluss auf Größe und Zusammensetzung unserer Streitkräfte haben. Der kluge Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bzw. autonomer Systeme könnte – nach einer Studie – allein in den USStreitkräften Einsparungen von rund einem Drittel bringen. Dieser Weg wird daher konsequent eingeschlagen, um die Einsatzbereitschaft zu erhalten. Im Jahr 2050 werden China und Indien ihre Wirtschaftskraft voraussichtlich um rund 20 Prozent steigern, die USA und Europa ihre um etwa zehn Prozent verringern. Die fünf größten Wirtschaftsmächte werden dann China, Indien, die USA, Indonesien und Brasilien sein. Das führt bereits heute zu sozialen Spannungen im westlichen Pazifik oder in Osteuropa. Die Kohäsion unserer transatlantischen Allianz wird angesichts dieser Unwuchten und damit einhergehenden nationalistischen Strömungen auf die Probe gestellt.

Herausforderungen Alle Streitkräfte werden dann (völlig) anders aussehen als heute, weil Wirtschaft und Technologie “Basis” für einsatztüchtige Kräfte sind. Dieser “Change” führt einerseits zu mehr autonomen Systemen, mehr Künstlicher Intelligenz, mehr Quantum Computing etc., andererseits zu größeren Unterschieden zwi-

Mit der überraschenden und überraschend schnellen Nachbesetzung auf dem Chefsessel des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) hat die Bundeskanzlerin – wieder einmal – ihre schnelle Entscheidungsfähigkeit demonstriert, wenn es darauf ankommt. Verstärkt worden war die Überraschung noch durch den Umstand, dass Annegret Kramp-Karrenbauer zuvor öffentlich jedes Interesse an diesem Amt bestritten hatte. Es liegt nun an AKK, die “Trendwenden” ihrer Vorgängerin bei Personal, Material und Finanzen fortzusetzen.

Auf Linie der Vorgängerin In ihrer Antrittsrede vor dem Bundestag Ende Juli anlässlich ihrer Vereidigung als neue Verteidigungsministerin sind keine signifikanten Abweichungen zu den Positionen ihrer Vorgängerin erkennbar. So erklärte Kramp-Karrenbauer zum Zwei-Prozent-Ziel als Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP): “An dem Ziel der Bundesregierung, auf das sich alle Verbündeten wiederholt geeinigt haben, nämlich zwei Prozent anzustreben, halte ich fest. Auf dem Weg dorthin müssen wir bis 2024” – der eigentlichen Deadline für die zwei Prozent – “ein Verteidigungsbudget in Höhe von 1,5 Prozent des BIP erreichen.” Kritik kommt da-

Behörden Spiegel / August 2019

Streitkräfte werden künftig völlig anders aussehen (BS/General a. D. Hans-Lothar Domröse) Tägliche Berichte über drängende Klima- und Migrationsfragen, über Flut- oder Hungerkatastrophen sowie nicht enden wollende Kriegsbilder aus dem Nahen Osten und Afrika erschüttern uns zurecht.

Das verbindende Element in modernen Streitkräften ist die Gruppe der “Daten-Spezialisten”.

noch seine Interessen vertreten. Das erfordert flexible Verteidigungsorganisationen mit der Fähigkeit zur agilen und flexiblen Anpassung an schnell wechselnde technologische Entwicklungen; sogenannte “disGeneral a. D. Hans-Lothar Domröse, Dipl.-Kfm. der ruptive InnovatiUniBwH, war zuletzt Beonen”. Hier seifehlshaber des Allied Joint en nur akkurate Force Command der NATO im Langstreckenwafniederländischen Brunssum. fen, effektivere Sensoren, Über Foto: BS/Privat schallwaffen, autonome und stark vernetzte Formen der Kriegführung multinationale Kooperation ver- einschließlich Systemen der 5. tiefen. NATO und EU haben ent- Generation genannt. Das Problem wird sein, tradisprechende Initiativen vorgelegt, der französische Präsident hat tionelle Hauptwaffensysteme in gerade erst am Nationalfeiertag die “Future Force” zu integrieren. die Vertiefung europäischer Ver- Es ist durchaus vorstellbar, dass teidigungsanstrengungen ange- Schiffe, Panzer und Flugzeuge mahnt, will Europa auch morgen zukünftig nicht mehr “Flagg-

schen den “NATO Forces”, was die militärische Kooperation/ Interoperabilität belastet und damit unsere Schlagkraft beeinträchtigt, wenn wir nicht alsbald

schiff-Charakter” haben und schlicht überholt sind. Kleine Zahlen großer Systeme weichen großen Zahlen kleiner, hoch entwickelter Systeme. Und dennoch bestellen wir heute Systeme, die erst in Jahrzehnten in einer ungewissen Zukunft zum Einsatz kommen, wohl wissend, dass militärisches Großgerät immer stärker Software-abhängig ist. Damit wird ihr Einsatz ganz andere Effekte erzielen, aber auch Gefährdungen ausgesetzt sein. Die strategischen Planer in NATO und EU müssen sich abstimmen und an einem Strang ziehen, um diese lang wirkenden Entscheidungen klug zu treffen. Im normalen Alltag hat das kaum Auswirkungen. Kommt es aber zum Konflikt, dann wirken sich Fehlentscheidungen (einschließlich Abwarten) negativ aus. Diejenigen, die proaktiv neue Technologien nutzen und

Foto: BS/Bundeswehr

gemeinsam die “Future Force” gestalten, werden ihre Bevölkerung schützen können. Und darüber hinaus ihre Interessen durchsetzen können.

Fünf Schritte zum Ziel Ich plädiere dafür, die “Future Force” in fünf Schritten anzugehen: 1. Aufbau agiler, anpassungsfähiger Verteidigungsorganisationen. Das betrifft die Bundesregierung, das Parlament, die Universitäten und unsere gesamte Gesellschaft. Insbesondere die verbreitete Risikoscheu aufgrund der Finanzkrise vor gut zehn Jahren hat zu einer gewissen Rüstungsskepsis geführt. Heute sind die Streitkräfte nicht mehr optimal auf zukünftige Konflikte ausgerichtet. Zu wenig neues (!) Material wurde geordert. 2. Anpassung der Beschaffungsorganisationen. Wir brau-

Bundeswehr wird Chefsache CDU-Bundesvorsitzende ist überraschend Verteidigungsministerin geworden

chen gute Entscheidungen viel schneller. Um das zu erreichen, empfiehlt es sich, enger und früher mit der Technologie-Industrie und den Universitäten zusammenzuarbeiten. Wir brauchen eine tiefe, vertrauensvolle strategische Partnerschaft zwischen Defence, Industrie und “Silikon Valley Institutions”. Schließlich müssen wir “Dual-Use”-Kapazitäten stärker in unsere Planungen einbeziehen. Beispielsweise Treibstoffe und Transport, Cyber und IT. 3. Konzentration auf strategisch wichtige Mitarbeiter. Das verbindende Element in modernen Streitkräften ist die Gruppe der “Daten-Spezialisten”. Sie sind genauso wichtig wie Hauptsysteme. Sie zu finden, einzustellen, auszubilden und weltweit einzusetzen ist die (!) Herausforderung auf dem Personalsektor. 4. Moderne militärische Fähigkeiten werden zunehmend international in Konsortien generiert, also länderübergreifend. In der neuen EU-Initiative zur Stärkung der europäischen Verteidigung ist ausdrücklich eine “Drei-Länder-Kooperation” kleiner und mittlerer Unternehmen gefordert. Diesen Weg müssen wir konsequent gehen – unsere Export-Politik sollte kein Hindernis für die “Future Force” sein. 5. Simples “Nachfolge-ErsatzDenken” gehört auf den Prüfstand. Ein überaus sensitives Feld, betrifft es gleichermaßen die Streitkräfte und die Industrie. “Neu gegen Alt” muss gegenüber neuen technologisch machbaren, preiswerten Möglichkeiten kritisch überdacht werden. Schutzkomponenten in großer Zahl werden konkurrieren gegen durchschlagende Wirkmittel in kleinen Mengen. Um diesen Prozess erfolgreich zu gestalten, ist die strategische Partnerschaft zwischen Verteidigung, Industrie und Wissenschaft so zwingend. Klar ist, dass es eine gute “Auftraggeber-AuftragnehmerBeziehung” geben muss. Effektive Verteidigungsorganisationen werden auch zukünftig ihre Bevölkerung, ihr Territorium und ihre Interessen schützen können. Gehen wir voran. Abwarten ist keine Lösung. Die Transformation der Bundeswehr darf nicht ins Stocken geraten – im Gegenteil: Sie muss beschleunigt werden.

lerin) und Kramp-Karrenbauer (Parteivorsitz und Ressortprinzip der Ministerin) klar sein, damit es nicht zu Kompetenzquerelen kommt.

(BS/Dr. Gerd Portugall) Im politischen Berlin wird schon über die “Machtübernahme” durch die Saarländer gewitzelt: Nach Außenminister und Ämtererfahrung Bundeswirtschaftsminister kommt nun auch die neue Verteidigungsministerin von der Saar. Der Generalinspekteur der Bundeswehr ist ebenfalls Die wichtigsten politischen gebürtiger Saarländer. Nach der Wahl zur Chefin der Bundes-CDU gilt Annegret Kramp-Karrenbauer als gesetzte Nachfolgekandidatin für Bundes- Ämter, die Kramp-Karrenbauer kanzlerin Dr. Angela Merkel. Wird AKK das neue Amt nutzen oder schaden? bisher innehatte, waren innenbei allerdings immer wieder vom Koalitionspartner SPD, der sich für ein budgetäres Gesamtpaket inklusive Entwicklungshilfe ausspricht.

Testfall Europa Eine besondere Konstellation wird im zweiten Halbjahr des kommenden Jahres eintreten: Dann übernimmt die Bundesrepublik von Kroatien die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) bis zum Jahresende. Dies bedeutet, dass dann sowohl die EU-Ratspräsidentschaft als auch mit AKK‘s Vorgängerin Dr. Ursula von der Leyen die Kommissionspräsidentschaft bei deutschen Akteuren liegen wird. (Mehr zur EU-Kommissionspräsidentschaft von der Leyens auf Seite 47 dieser Ausgabe.) In ihrer Bundestagsrede sagte Kramp-Karrenbauer dazu: “Wir haben mit der Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr die (!) Gelegenheit, die Europäische Verteidigungsunion weiter auszugestalten – wie wir uns das ja

Zeit, dass sie bereit ist, personalpolitisch in eigener Sache große Risiken einzugehen. Das erste Mal war es die Aufgabe des Amtes der Ministerpräsidentin des Saarlandes im Februar des vergangenen Jahres. Sie wechselte in die Bundespolitik und wurde Generalsekretärin der CDU Deutschlands. Das zweite Mal stellt nun der Eintritt in das Bundeskabinett als 19. Verteidigungsministerin dar. Dass der Chefsessel des BMVg ein “Schleudersitz” ist, ist allgemein bekannt. Die meisten ihrer Vorgänger kamen nicht Hat auf dem “Schleudersitz” im BMVg Platz genommen: die CDU-Bundesvor- unbeschadet aus diesem Amt. Allerdings bietet das Amt auch sitzende Annegret Kramp-Karrenbauer Foto: BS/CDU, Laurence Chaperon Profilierungsmöglichkeiten und im Koalitionsvertrag vorgenom- wie das künftige Kampfflugzeug mehr Gelegenheiten für mediale men haben.” und den Kampfpanzer”, so die Aufmerksamkeit als “nur” das In diesem Zusammenhang be- neue Verteidigungsministerin. Amt der Parteivorsitzenden. Auch kann sie ihr bisheriges tonte sie, dass die finanziellen (Mehr zum europäischen KampfMittel “schneller und reibungs- panzer-Projekt auf Seite 45 dieser Defizit an Erfahrungen auf dem Feld der internationalen Politik loser als bisher in Personal und Ausgabe.) abbauen. Material sichtbar und spürbar Allerdings muss auch die “Kleiinvestiert werden”. Dies gelte un- Risikobereitschaft ter anderem “für die Entwicklung Die Saarländerin zeigt zum zwei- derordnung” zwischen Merkel unserer europäischen Projekte ten Mal innerhalb relativ kurzer (Richtlinienkompetenz der Kanz-

politisch ausgerichtet: als erste Frau bundesweit Landesinnenministerin in ihrem Heimatbundesland (2000–2007), dann Ministerpräsidentin des Saarlandes (2011–2018), Generalsekretärin der Bundes-CDU (2018) und seit vergangenem Dezember Bundesvorsitzende ihrer Partei. Mit dem Ministeramt übernimmt die Saarländerin damit die politische Verantwortung für 181.400 Soldaten und 81.000 Zivilbedienstete, d. h. für zusammen rund 262.400 Beschäftigte. Daneben bleibt sie Vorsitzende von 415.000 CDU-Mitgliedern. Als “Landesmutter” ihrer Heimat unterstanden ihr rund 30.000 Landesbedienstete, unter ihnen rund 16.000 Beamte. Der Unterschied zwischen “Landes”- und “Bundesliga” zeigt sich auch bei den haushalterischen Verantwortlichkeiten: Der Haushalt des Saarlandes beispielsweise für dieses Jahr beläuft sich auf 4,6 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der aktuelle Verteidigungshaushalt beträgt 42,9 Milliarden Euro.

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Verteidigung

Behörden Spiegel / August 2019

Um Vertrauen wiederherzustellen und die Handlungssicherheit der Vorgesetzten in der Truppe zu stärken, verfügte die Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, den Traditionserlass aus dem Jahre 1982 zu überarbeiten. Dieser stammte noch aus der Zeit des Kalten Krieges. Zäsuren in der jüngsten deutschen Geschichte wie beispielsweise die Wiedervereinigung und die Umwandlung der Bundeswehr in eine Einsatzarmee hatte er unverändert überdauert. Bei der Überarbeitung ging das Bundesministerium der Verteidigung neue Wege: Das Nachdenken über das Erbe des deutschen Soldaten im 21. Jahrhundert fand im Rahmen eines öffentlichen Diskurses statt. In mehreren Workshops nahmen rund 800 Vertreter der Zivilgesellschaft teil. Nachrichtensender und Tageszeitungen berichteten intensiv darüber. In den sozialen Medien entbrannten heftige Debatten; und in Blogs beantworteten Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums Fragen von Angehörigen der Bundeswehr. Dieser inklusive Prozess trug mit dazu bei, dass der neue Erlass schnell Zustimmung fand – im Parlament, in der interessierten Öffentlichkeit und auch in den Streitkräften.

Traditionspflege im Dialog “Stolz auf das beste Deutschland, das es je gab” (BS/Oberst i. G. Dr. Uwe Hartmann) 2017 war für die Bundeswehr ein schwieriges Jahr. Die geringe Einsatzbereitschaft ihrer Flugzeuge, U-Boote und Panzer bestimmte die Schlagzeilen der Medien. Hinzu kamen Berichte über rechtsextreme Aktionen und menschenunwürdige Ausbildungspraktiken. Aufgrund der hohen Schlagzahl der negativen Meldungen verbreitete sich schnell der Eindruck, die Bundeswehr sei kaum mehr verteidigungsbereit und könnte sogar eine Gefahr für die Demokratie darstellen. In der Folge nahm das ehemals sehr hohe Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Bundeswehr deutlich ab. veränität und eine dem Recht dienende Macht. Wenn unsere Soldatinnen und Soldaten diese Flagge an ihren Fahrzeugen in den Einsatzgebieten befestigen, symbolisieren sie auf diese Weise, dass sie in ihrem Handeln überall und jederzeit den Werten des Grundgesetzes verpflichtet sind.

Praktische Funktion von Traditionen

Aufbruchstimmung bei der Traditionspflege Innerhalb der Bundeswehr besteht weithin Einvernehmen, dass die Truppe selbst mehr tun muss, um ihr Erbe zu pflegen. Während früher Tradition eher als eine Last angesehen wurde, herrscht heute Aufbruchstimmung. Viele Soldatinnen und Soldaten sehen in der Traditionspflege eine “Herzensangelegenheit”. Sie wollen sich ihr intensiver als in der Vergangenheit widmen. Die Freude über diese positive Entwicklung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass zur Überlieferung und Stiftung soldatischer Traditionen auch Politik und Gesellschaft einen Beitrag leisten sollten. Bisher begnügten sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mit der Rolle eines Linienrichters an der Seitenlinie, der dann eingreift, wenn im weiten Feld der Traditionspflege etwas schiefläuft. Staatsbürgerliche Mitverantwortung bedeutet jedoch, die Traditionen der Bundeswehr als

Ein eindrucksvolles Beispiel für Traditionen als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber Politik und Gesellschaft sind die Gelöbnisse und Vereidigungen. Hier das Feierliche Gelöbnis vor dem Hambacher Schloss anlässlich der Verkündung des Grundgesetzes vor 70 Jahren. Foto: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke

einer der wichtigsten Institutionen unseres Staates mitzugestalten. Dabei geht es nicht nur darum zu wissen, “wie der Landser tickt”. Im Vordergrund sollte vielmehr der Wunsch stehen, einen Dialog mit

radox, wenn Soldaten den Namen ihrer Kaserne ändern wollten, während gleichzeitig Straßen ihres Standortes danach benannt sind? Gereichte es nicht zum Nachteil vertrauensvoller Beziehungen zwischen Politik, Gesellschaft und Bundeswehr, Oberst i. G. Dr. Uwe wenn die Soldaten Hartmann unterrichtet an der U.S. Naval Postgraduasich unverstanden te School in Monterey. Er ist fühlten und aus Co-Autor des Miles-Buches Angst vor Kritik “Einführung in die Tradition die Traditionsstifder Bundeswehr. Das soldatung und -pflege tische Erbe in dem besten vernachlässigten? Deutschland, das es je gab”. Für die Wahrnehmung dieser Foto: BS/Privat staatsbürgerlichen Verantworden Soldaten zu suchen und mit tung ist es hilfreich, sich wesentliihnen gemeinsam zu ermitteln, che Funktionen von soldatischen was in der Traditionspflege geht Traditionen in Erinnerung zu und was nicht. Wäre es nicht pa- rufen. Die Bundeswehr versteht

Bundeswehr Die Bundeswehr kann erst in Aktion treten, wenn alle politischen Rahmenbedingungen feststehen: Auf welcher völkerrechtlichen Grundlage würde die Mission beruhen? Würde dann der Bundestag in einer Sonder-

Tradition als eine Auswahl von vorbildlichen und richtungsweisenden Ereignissen, Personen, Institutionen und Prinzipien aus der deutschen Geschichte. In ihrem Kern sind Traditionen also ein Wertebekenntnis. Unsere Soldaten bringen durch deren Pflege ihre Bindung an die Werte des Grundgesetzes zum Ausdruck. Traditionen sind daher eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber Politik und Gesellschaft. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sind die Gelöbnisse und Vereidigungen, die möglichst öffentlich durchgeführt werden. Im Mittelpunkt der Zeremonien legen Soldaten ihren Eid auf die Bundesdienstflagge ab. Deren schwarz-rot-goldene Nationalfarben mit dem Bundesadler symbolisieren demokratisches Selbstverständnis, nationale Sou-

Neben dem Wertebekenntnis haben Traditionen eine ganz praktische Funktion. Sie sind Lebenshilfe, in gewisser Weise sogar Überlebenshilfe. Unsere Soldatinnen und Soldaten benötigen diese Hilfe, weil das Element der Gefahr zu ihrem Beruf gehört. Sie müssen bereit und fähig sein, mit dem gewaltsamen Handeln anderer umzugehen und ggf. selbst Gewalt einzusetzen. Dabei werden sie mit Ungewissheit und hohen physischen und psychischen Belastungen konfrontiert. Traditionen dienen ihnen hierbei als “Helfer-in-der-Not”. Sie sind ein verlässlicher moralischer Kompass (für richtiges, gutes Handeln) und eine schnell einsetzende ethische Bremse (gegen falsches, unmoralisches Handeln). Überlieferte Werte und Vorbilder sind also “Faustregeln”; sie ermöglichen dem Soldaten ein schnelles Denken und Handeln. Er darf sich zudem darauf verlassen, dass sein daran orientiertes Handeln Anerkennung und Wertschätzung findet – bei Vorgesetzten und Kameraden, aber auch in Politik und Gesellschaft. Traditionen geben dem Soldaten also (Selbst-) Vertrauen. Sie sind eine besondere Form der “geistigen Rüstung”, die stark macht für die gefährliche Seite des Soldatenberufs. Die Bereitschaft unserer Soldatinnen und Soldaten zu einem größeren Engagement in der Traditionspflege wird durch einen deutlich wahrnehmbaren Perspektivenwechsel in der Er-

Mission am Persischen Golf?

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ereits einen Tag vor der deutlichen Positionierung durch den Bundesaußenminister hieß es dazu aus dem Auswärtigen Amt (AA), bei dem die ministerielle Federführung im Falle von Auslandseinsätzen der Bundeswehr liegt, gegenüber dem Behörden Spiegel, dass die Bundesregierung die US-Anfrage zur Kenntnis genommen, aber keinen Beitrag in Aussicht gestellt habe. “Außenminister Maas hat wiederholt betont, dass aus unserer Sicht die Priorität auf einer Deeskalation der Spannungen und diplomatischen Bemühungen liegen muss. Dazu sind wir mit Frankreich und Großbritannien in enger Abstimmung. Eine Beteiligung an der amerikanischen Strategie des maximalen Drucks kommt für uns nicht infrage.” Wichtig sei es im Gegenteil, “mit den Staaten der Region zum Thema “Maritime Sicherheit” alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen”, so der stellvertretende AA-Sprecher Christofer Burger auf der Regierungspressekonferenz vom 29 Juli.

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Deutschland ringt mit sich und Partnern um Militäreinsatz (BS/Dr. Gerd Portugall) Nach der “offiziellen” Anfrage – was letztlich nur “öffentlich” bedeutet – der US-Botschaft in Berlin an die Bundesregierung, “zusammen mit Frankreich und Großbritannien bei der Sicherung der Straße von Hormus mitzuhelfen und die iranische Aggression zu bekämpfen”, ging die politische Diskussion in Deutschland in die nächste Runde: Außenminister Heiko Maas (SPD) hat der US-Anfrage im Namen der Bundesregierung eine deutliche Absage erteilt. Wenn überhaupt, kommt für Deutschland wohl nur eine europäische Militärmission infrage. sitzung zusammentreten oder erst nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause Anfang September? Würde die SPD die Mandatierung mittragen oder käme die Große Koalition an ihr Ende? Erst recht stehen die militärischen Rahmenbedingungen nicht fest: Welche Nation würde die Mission führen? Würde sich der deutsche Anteil auf Beobachtung beschränken oder gäbe es einen robusteren Auftrag? Welche militärischen Kapazitäten stünden zur Verfügung und wie wäre es um deren Durchhaltefähigkeit bestellt? Oberst Tilman von Plüskow, BMVg-Sprecher für Grundsatzangelegenheiten, erklärte dazu auf der gleichen Pressekonferenz Ende Juli, dass “völlig unkonkret ist, was hier gefordert werden könnte”. So lange kann die Bundeswehr nicht mit konkreten Planungen beginnen. Diskutiert werden hierzulande verschiedene Optionen. Genannt wird zum Beispiel die Fernaufklärung per Satellit. Diese absolut risikolose Option würde von den

den relativ engen Seeraum des Persischen Golfes verbunden sein. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die schwere Beschädigung der US-Fregatte “Starck”, die beinahe zur Versenkung geführt hätte, durch ein irakisches Kampfflugzeug im Mai 1987 während des sogenannten “Tankerkrieges” zwischen Iran und Irak.

Fähigkeiten der Marine

Nimmt die Deutsche Marine demnächst im Rahmen einer europäischen Militärmission Kurs auf den Persischen Golf? Hier die Fregatte F213 “Augsburg”. Foto: BS/Bundeswehr, Marcel Kroencke

Partnerstaaten kaum als Ausdruck größerer Verantwortungsübernahme durch Deutschland angesehen. Anders würde es sich wohl bei dem Einsatz von Recce“Tornados” der Luftwaffe oder von Seefernaufklärern der Marine des Typs P-3C “Orion” verhalten. Aufklärungs-“Tornados”

operieren aktuell von Jordanien aus im Rahmen der Operation “Counter Daesh”. Eine “Orion” startet regelmäßig von Dschibuti aus im Rahmen der EUOperation “Atalanta” am Horn von Afrika. Das größte Risiko dürfte mit der Einfahrt eines oder mehrerer Kriegsschiffe in

Im Vorwort zum aktuellen Jahresbericht des Marinekommandos stellt Vizeadmiral Andreas Krause, Inspekteur Marine, fest: “Weiterhin ist unser Wohlstand in beträchtlichem Umfang vom freien und sicheren Handel über die Ozeane abhängig. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, ist unsere Marine Tag für Tag überall auf der Welt im Einsatz.” Im Unterschied zu den Großwaffensystemen der anderen Teilstreitkräfte (TSK) Heer und Luftwaffe sind die großen schwimmenden Einheiten der Marine relativ autark und können entsprechend autonom agieren. Im Bedarfsfall könnte

innerungskultur unseres Landes unterstützt. Anstelle des “schwierigen Vaterlandes” tritt immer stärker der “Stolz auf das beste Deutschland, das es je gab” in den Vordergrund. Diese neue Sichtweise macht den Weg frei, weitaus stärker als in den letzten Jahrzehnten auf das zu schauen, was Deutschland nach 1949 geschaffen hat – ein eigenes Vorbild, das größte Anerkennung auch aus dem Ausland erhält. Teil dieses selbstgeschaffenen Vorbilds sind der Aufbau der Bundeswehr sowie ihre Leistungen im Kalten Krieg, als Armee der Einheit und als Einsatzarmee. Die Blickwendung auf die bundeswehreigene Geschichte wurde schon im 1982-er Traditionserlass gefordert, und diese Forderung wurde mit großer Regelmäßigkeit in mehreren offiziellen Dokumenten wiederholt. Sie blieb leider ohne praktische Folgen. Das könnte und sollte sich nun ändern. Dass wir stolz sein dürfen, hängt auch mit der nunmehr 70-jährigen Erfolgsgeschichte unseres Landes und seines Grundgesetzes zusammen. Deutschland ist es gelungen, aus den Schattenseiten seiner Vergangenheit das Gute abzuleiten und sein politisches, gesellschaftliches und militärisches Handeln daran zu orientieren. Darauf kann auch unser Verständnis von Nation und Patriotismus aufbauen. Tradition wird damit wieder anschlussfähig für diese Begriffe. Sie können eine zentrale Position in der Traditionspflege einnehmen. Was bedeutet die Pflege des soldatischen Erbes für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes? Tradition ist Überlieferung und benötigt dafür einen generationenübergreifenden, zivil-militärischen Dialog. Traditionspflege beinhaltet daher, möglichst viele Gelegenheiten dafür zu schaffen. Hilfreich wäre es, wenn es in den Dienststellen der Bundeswehr sowie in den Kommunen und Landkreisen der Standorte Mitarbeiter gäbe, die sich mit Fragen der Tradition besonders gut auskennten und die Stiftung von Traditionen beherzt anpackten. Das schüfe Vertrauen, und, ganz nebenbei, gäbe es den Soldaten auch ein Gefühl der Wertschätzung. So werden Soldaten stark für die Demokratie.

eine Fregatte oder Korvette nach Eingang des Marschbefehls innerhalb weniger Tage umgerüstet werden für den Auftrag, Sicherungseskorte im Persischen Golf, durch die Straße von Hormus und durch den Golf von Oman zu fahren. Befänden sich schon Schiffe in der Nähe dieses künftigen Einsatzgebietes, so könnte notfalls zusätzlich benötigtes Personal und/oder Material auf dem See- oder Luftweg herangeführt werden.

Stützpunkte in der Region Die Briten unterhalten zwei Militärbasen (mit allen drei TSK) auf Zypern sowie einen kleinen Marinestützpunkt in Bahrain. Die Amerikaner sind schon vor der Verlegung einer ganzen Trägerkampfgruppe in den Persischen Golf in dessen Anrainerstaaten massiv präsent gewesen: In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) stehen 5.000 Mann mit starken Luftwaffenanteilen. In Katar befinden sich 10.000 Mann des U.S. Central Command (CENTCOM), ebenfalls mit fliegenden Einheiten. CENTCOM-Heeres- und Luftwaffenverbände mit 14.000 Mann sind in Kuwait stationiert. Schließlich kommen noch 5.000 US-Soldaten im Irak dazu. Frankreich zeigt militärisch Flagge in Dschibuti (mit Marineund Luftwaffenanteilen) sowie in den VAE (mit allen drei TSK).

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m den Sozialdemokraten und Parteisoldaten Mier­ scheid ranken sich Rätsel. In Berlin gilt er Parlamentariern als personifiziertes Mysterium. Den Politbetrieb des Hohen Hauses begleitet Mierscheid bis zum heutigen Tag in kritischer Distanz. Als Mahner und Warner legt er den Finger in die Wunde, hält der Berufspolitik und vor allem “seiner” SPD den Spiegel vor. Mierscheid ist bekennender “Zwitscherer”. Und er verschießt Giftpfeile via @jakobmierscheid auf alles, was sich bewegt – nicht selten auch auf die eigene Partei, wie vor wenigen Wochen: “Habe heute Nacht von einer SPD ge­ träumt, die von der Gesellschaft gebraucht wird. Erinnere mich leider nicht mehr, wofür.”

Behörden Spiegel / August 2019

Hinterbänkler aus tiefster Überzeugung Sozialdemokrat und Parteisoldat Jakob Maria Mierscheid (BS/Michael Harbeke) Ein Geist geht um im Reichstagsgebäude. Der Geist Jakob Maria Mierscheid. Doch er ist so real, da es ihn wirklich gibt. Warum hätte Bundestagspräsident a. D. Norbert Lammert (CDU) dem Bundestagsabgeordneten der SPD sonst bei einer Plenarsitzung am 1. März 2013 zu seinem runden Geburtstag gratuliert? “Jakob Mierscheid wird 80 Jahre alt. Dem ich ebenfalls im Namen des ganzen Hauses gratulieren möchte – dieser geschätzte, gelegentlich verzweifelt gesuchte Kollege. Er hat sich für die heutige Sitzung aus zwingenden Gründen entschuldigen müssen. Was vermutlich die Spekulationen befeuern wird, es gebe ihn gar nicht. Das ist allerdings durch zahlreiche Fundstellen in der Literatur widerlegt.”

Nachrücker für Carlo Schmid Mierscheid, der dem Betrachter auf Fotografien stets den Rücken zukehrt, ist seit 1979 im Deutschen Bundestag vertreten. Nach dem Ableben des berühmten Sozialdemokraten und Staatsrechtlers Carlo Schmid (1896-1979) rückte der aus dem Hunsrück stammende Schneidermeister, Jahrgang 1933, für ihn nach. Kontaktscheu, aber präsent, irrlichtert der Hinterbänkler mit Profession seitdem durch das Regierungsviertel. An einem diskreten Ort ergab sich kürzlich die einmalige Gelegenheit zu einem seltenen Interview mit Mierscheid. Sein enger parteipolitischer Weggefährte, der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion a. D., Friedhelm Wollner, hatte das Gespräch für mich eingefädelt. Er legte ihm exklusiv meine Fragen zur Lage der Nation vor, die den 86-jährigen Polit-Dino bei einem Glas Rotwein aus der Reserve locken sollten. So jedenfalls in der Theorie, denn Mierscheid ist ein alter Kempe von echtem Schrot und Korn, den eine Aura der Verschlossenheit umgibt. Doch er kann auch deutlich werden. Keinerlei Ambitionen hege er daran, den Parteivorsitz der SPD – selbst nicht in einer Doppelspitze – anzutreten, denn er sei kein amtsversessener Mensch: “Ich habe noch nie meinen Hut in den Ring geworfen. Die Hüte sind mir immer zugeflogen. Einem Doppelspitzenhut – gegen den ich als solchen keine Einwände habe, würde ich ausweichen.”

bekanntlich auch nichts draus geworden.” Bei aller ländlichen Bodenständigkeit, die Mierscheid verkörpert, denkt er nicht engmaschig, besitzt kein Kirchturmdenken. Überhaupt fasst er den Nationalgedanken weit, hat eine offenherzige Weltsicht gegenüber Flüchtlingen, ist Verfechter einer Willkommenskultur: “Weil es manchmal vergessen wird: Preußen und Berlin sind entstanden mithilfe von unter anderem holländischen Handwerken, österreichischen Protestanten und Juden, großen Muslimen (für die “Langen Kerls”). Viele davon waren Flüchtlinge. Sogar Sachsen sollen gekommen sein. Alle wurden integriert, mit der Zeit und mit Geduld.”

Zerstrittenheit regiert die Politik

Jakob Maria Mierscheid: Keine halbe Portion, sondern eine Säule des politischen Berlins und einer von uns.

heitsministerin Ulla Schmidt (SPD) als Unwort des Jahres vorschlug, kochten die Emotionen in seiner Partei hoch; ebenso sein Schmähgedicht “Von Toren”, das 2015 mit dem damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten und heutigen Bundesinnenminister Horst Seehofer hart ins Gericht ging, zirkulierte auf den Korridor-

verabschieden, verblasst vor dessen Bedeutung. Denn das Wahlprognoseverfahren, worauf das Mierscheid-Gesetz fußt, ist seit vielen Jahrzehnten ein erstaunlich genauer Lackmustest für das Wohl und Wehe der Sozialdemokratie in einer zukünftigen Regierung. Das ausgeklügelte System, “wel­ches

Politiker mit Bodenhaftung Mierscheid, der im idyllischen Luftkurort Morbach in Rheinland-Pfalz schon seit seiner Kindheit lebt, hebt einige wenige Grundsäulen als Basis guten politischen Handelns hervor. Von ihnen dürfe man kein Jota abweichen: “Zuerst die Freiheit. Und Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Die gehören nicht auf den Prüfstand. An ihnen ist die Realität zu messen.” Historisches Dokument: Jakob Maria Mierscheid lehnte die Einladung zu eiDer Vollblutpolitiker, der sich nem Kongress des Behörden Spiegel höflich, aber bestimmt ab. nach eigener Aussage “immer Foto: BS/Michael Harbeke offen, optimistisch, mit ein bisschen Skepsis und Vorsicht” gebe, en des Reichstag. Der Vergleich den Stimmenanteil der SPD ist kein unbeschriebenes Blatt; mit Nationaltorwart Manuel Neu­ nach dem Index der deutschen beileibe kein Papiertiger in Taten, er erregte das politische Berlin: Rohstahlproduktion der alten Worten und Werken. In seiner “Horst lebt in München/ Manuel Bundesländer – gemessen in 40-jährigen Zugehörigkeit zum lebt in München/ Horst ist 1,93 Millionen Tonnen – im jeweiliHohen Haus hat er Kanzler wie m groß/ Manuel ist 1,93 m groß/ gen Jahr der Bundestagswahl” die beiden Helmuts kommen und Horst will keinen reinlassen/ Ma- bemisst, war in der Vergangengehen sehen, die Wende erleben nuel will keinen reinlassen/ Ma- heit in seiner Tendenz gar nicht dürfen. Jüngeren Parteigenos- nuel steht im Tor/ Horst ist ein mal so ungenau; doch irgendwie sen, denen das Tor/ Manuel kompliziert für den Bürger – wie Herz mitunter “Auf Bierdeckeln lässt ist ein neuer/ Politik leider so oft. ist von zu weit links sich keine Gerechtigkeit Horst Keine Politik auf Bierdeckeln gestern.” schlägt, rät er: herstellen.” Als seine “Vor dem ReVon Aktionen wie der des größte Leis- CDU-Politikers Friedrich Merz, den nachdenken. Intensiv. Vor allem dann, tung gilt das sogenannte Mier­ der die Reformierung des Steuerwenn vor der Nase ein Mikro ist.” scheid-Gesetz. Es ragt weit systems stammtischtauglich über seinen Vorschlag hinaus, machte, indem er hochtrabende Talent für Schmähgedichte “großen Hunden Wohngeld zu Pläne auf einen Bierdeckel notiDoch auch Mierscheid spricht zahlen, die kleine Kinder be- erte, hält Mierscheid nichts: “Eine sich nicht davon frei, mehrmals treuen”. Auch sein Gedanke, komplexe Lebenswirklichkeit unüberlegt gehandelt zu haben. “um Deutsch als Landessprache erfordert komplexe Regeln und Dazu sei er einfach zu wortpo- festzuschreiben”, müsse man ein Antworten. Auf Bierdeckeln lässt lternd ungestüm. Als er 2005 “Landessprachenverankerungs- sich keine Gerechtigkeit hersteldie damalige Bundesgesund- grundgesetzergänzungsgesetz” len.” Überhaupt ist der erfahrene

Foto: BS/Friedhelm Wollner

Mierscheid ärgert die Unversöhn­ lichkeit und Kraftmeierei, welche den Alltag der Parlamentarier vor und hinter den Kulissen des Regierungsviertels bestimmt. Auch Phrasendreschereien und mantrahafte Verlautbarungen von der Umsetzung politischer Ziele ließen die Kluft zwischen Volksvertretern und Bürgern kontinuierlich wachsen. Ein Mier­scheid-Preis, den er vor drei Jahren vorgeschlagen hatte, sei dem Ansinnen geschuldet, die Zerstrittenheit in der Politik symbolträchtig zu bekämpfen, um Legislative und Volk wieder zusammenzubringen. Resigniert wirft er ein: “In der Politik gibt es so etwas Schönes, Positives und Erhabenes überhaupt nicht. Nur Schimpfe, Häme und Spott. Keine andere Zunft schafft sich selbst so runter. Und wird so runter geschafft. Es ist Zeit für einen positiven Preis auch in der Politik.” Etwas schwermütig und nach­denklich schätzt der Sozialdemokrat seine gegenwärtige Rolle ein, sodass man das Alter seiner Jahre plötzlich deutlicher bemerkt. Er sei sich bewusst, dass er nicht aufhören dürfe. Noch nicht! Vielleicht nie, wenn man es pessimistisch betrachten will: “Man sagt, schön, dass es mich gibt, aber schlimm, dass es mich geben muss.” Jakob Maria Mierscheid ist in gewisser Weise ein tragischer Held, ein Don Quijotte, der gegen Windmühlen kämpft. Oder ein moderner Sisy­ phos, der nicht aufhört, an den großen Brettern zu bohren, um das Gewissen der Demokratie immer wieder zu befragen. Gut, dass wir ihn haben – den Mier­ scheid!

Sozialdemokrat selbstkritisch Freizeit. Zuhause. Im Hunsrück. genug, seine Rolle als Hinter- Memoiren schreib' ich, wenn ich bänkler realistisch einzuschätzen mich alt fühle. Dauert noch.” – frei nach Max Webers Diktum, dass man entweder für oder von Wanderer zwischen den Welten der Politik lebe. Seinen Gegnern ruft er deshalb mutig zu: “Ohne Seit 40 Jahren ist er ein WanHinterbänkler gäbe es keine erste derer zwischen den Welten, der Reihe, es müssen auch welche schlafwandlerisch zwischen arbeiten.” Morbach und Berlin wechselFür dieses Standing hat Mier­ nd, keinen Jetlag kennt. Ein scheid hart gekämpft, seinen Ruf Arbeitstier und Optimist ist er – in den unergründlichen Fahrwas- dieser Mierscheid. Obzwar Kind sern der Politik wie ein Kapitän der Provinz, gelte für ihn das sein Schiff vor dem Untergang Prinzip des Föderalismus als verteidigt; ziemlich schwierig in unanfechtbares Gut. Doch Reeiner Atmosphäre, wo das süf­ gionalismus lehnt er kategorisch fisante Bonmot von “Feind, Tod- ab, wenn er den Beigeschmack feind, Parteivon Separatisfreund” seit mus wittert: “Privat ist privat. ehedem gilt. “Selbst Konrad Bei mir gibt es keine Altgediente Adenauer hatte Homestories.” Parteigenosbekanntersen wie Franz maßen SympaMüntefering loben ihn für seine thien für derartige Dinge, wobei geradlinige Haltung: “Er ist ein die rheinischen Separatisten in stolzer, bescheidener Mann und den 20iger-Jahren sich schon während andere in der Toska- an der Frage separierten, ob sie na sich verlustiert haben, hat einen rheinischen Pufferstaat er in Simmern und in Morbach oder einen Anschluss an die frangefeilt an seiner Möglichkeit, zösische Küche wollten, ist ja die Sozialdemokratie zu unterstützen.” Nein, Mierscheid ist wirklich kein Berliner Salonpolitiker, der seine Urlaubsfotos auf Instagram marktschreierisch zur Schau stellt. Selfies lehnt er (BS) Starke Männer bringt der Hunsrück hervor, manchmal sogar mörderische – wie den berühmt-berüchtigten Räuberhauptmann ab. Erdverwurzelt bepflanzt er Johannes Bückler alias Schinderhannes. Außer der Regionalverbunindes die heimische Scholle mit philosophischen Gedanken, die denheit und seiner Bekanntheit teilt Jakob-Maria-Mierscheid mit dem das Staatsrecht und selbst die historischen Grobian die zweifelhafte Ehre, dass auch ein Wanderweg nach ihm benannt worden ist. Im Gegensatz zu Bückler hat MierOrnithologie betreffen. scheid aber niemals seinen Kopf verloren, was für einen Politiker Ein Mann für das Volk schon etwas heißen will! Egal, ob man sich auf dem SchinderhannesPfad oder dem Jakob-Maria-Mierscheid-Weg befindet – herrliche Der Geringelten Haubentaube, Natur und Attraktionen am Wegesrand gibt es dort zu Genüge. Der der er eine Schrift widmete, gilt Wanderweg wurde im März 2013 zu Ehren seines 80. Geburtstages seine ganze Aufmerksamkeit. feierlich eröffnet. Das romantische Stück Natur ist ein paradiesischer Und auch Gesang liegt ihm am Ort zum Entschleunigen, wo man wieder Kraft tanken kann, vom hekHerzen. Der zweite Bass des Morbacher Männerchores, dekoriert tischen Berlin und auch von anderswo. Dem bekannten Morbacher mit der Silbernen Ehrennadel, ist ist von seinen Mitbürgern die “Traumschleife Jakob-Maria-Mierscheid” gewidmet worden – sozusagen die Adelung für jeden touristischen ein Vereinsmeier wie er im Buche Wanderweg, der ein Prädikat verdient. Auf 14,9 Kilometern von steht – ein Mann für das Volk. “mittlerer Schwierigkeit, aber hohem Erlebnischarakter”, wie es vom Ob bei der Feuerwehr oder beim Deutschen Tourismusverband heißt, wird dem legendären Sohn Kleintierzüchterverein – Mier­ gehuldigt. Der Premiumweg, dekoriert mit dem Deutschen Wanderscheid fühlt sich in der beschau­ lichen Welt des Hunsrücks siegel, ist für routinierte Wanderer in 4:15 h bei einem Aufstieg von wohler als in der extrovertierten 452 Höhenmetern gut zu bewältigen. Der Wanderweg ist von Jakob Bundeshauptstadt. Doch er zeigt Maria Mierscheids ereignisreichem Leben inspiriert, der selbst ein glühender Wanderer ist und auf den Pfaden und geheimen Winkeln Stärke in Berlin, wann immer es des Hunsrücks so manches Mal herumstreifte. An insgesamt vierzehn darauf ankommt. Auf die Frage, humorvollen Stationen kann man mit ihm auf Tuchfühlung gehen: wie er lebe und wie er seine poli“Offene Landschaften im Wechsel mit schattigen Waldpassagen tische Zukunft in seinem doch sowie wunderbaren Panorama- und Fernblicken” machen den Jakobrecht fortgeschrittenen Alter Maria-Mierscheid-Weg zu einem echten Highlight – auch auf kulinarieinschätze, antwortet er ohne sche Art. Mierscheid empfiehlt das Gasthaus Schmitt am Wegesrand, Zögern und mit fester Stimme: weil es dort Delikatessen wie die “Schleckereie vom Hundsbockel” “Privat ist privat. Bei mir gibt es auf den Teller der heißhungrigen Wanderer gibt. keine homestories. Nur eines: Ich hätte gerne mehr Privatheit und

Traumschleife Jakob Maria Mierscheid

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