Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst
ISSN 1437-8337
Nr. VIII / 35. Jg / 32. Woche
G 1805
Berlin und Bonn / August 2019
www.behoerdenspiegel.de
Adé reine Kassenwirtschaft
Effektive Cyber-Verteidigung
Der unbekannte Hinterbänkler
Dr. Patrick Opdenhövel legt Wert auf die kaufmännische Rechnung ............................. Seite 7
Axel Voss über das entscheidende europäische Miteinander ................................................. Seite 35
Die geisterhafte Erscheinung des Jakob Maria Mierscheids.............................. Seite 48
Mehr Verdachts meldungen
(BS/mfe) Bei der “Financial In telligence Unit” (FIU) der Ge neralzolldirektion (GZD) sind im vergangenen Jahr mehr als 77.200 Meldungen wegen Geld wäscheverdacht eingegangen. Im Vergleich zu 2017 ist das eine Steigerung um 29 Prozent. Seit dem Jahr 2008 hat sich das jährliche Meldeaufkommen so gar verelffacht. Begründet wird der Anstieg unter anderem mit der Absenkung der Hemmschwel le für die Abgabe einer solchen Meldung. Das Bundeskabinett hat kürzlich einen Gesetzentwurf beschlossen, der einerseits einen effektiveren Datenbankzugriff vor sieht. Zum anderen sollen mehr Berufsgruppen zur Abgabe von Verdachtsmeldungen verpflichtet werden, darunter etwa Immobili enmakler und Edelmetallhändler.
Regelungen reformbedürftig
(BS/mfe) Die letzte Länderüber greifende Krisenmanagement übung (LÜKEX 18) hat Optimie rungsbedarf aufgezeigt. Beübt worden war eine Gasmangellage. Gezeigt hat sich dabei, dass die Kriterien zur Feststellung der Notfallstufe im “Notfallplan Gas” überprüft werden sollten. Wichtig sei hier das Herbeiführen eines einheitlicheren Verständnisses. Auch das Energiewirtschafts gesetz ist reformbedürftig. Dort sollten die Haftungsregelungen überarbeitet werden. Schwerpunkt der nächsten LÜ KEX ist laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Ka tastrophenhilfe (BBK) die Auf rechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen nach ei nem Cyber-Angriff auf das Re gierungsnetz mit einhergehenden Stromausfällen.
300.000 Euro Klimawandelförderung
(BS/ab) Für Kommunen, Unter nehmen sowie gesellschaftliche Akteure stehen bis zu 300.000 Eu ro mit dem Programm “Maßnah men zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels” zur Verfügung. Leuchtturmprojekte zur Klimaan passung, dazu entwickelte Bil dungsmodule, sowie der Aufbau von regionaler Zusammenarbeit werden vom Bundesumweltmi nisterium (BMU) unterstützt. Die Projektskizzen können bis 31. Oktober 2019 bei der ZukunftUmwelt-Gesellschaft (ZUG) als zuständigem Projektträger ein gereicht werden. Im Anschluss an die Skizzenbewertung fordert das BMU Interessenten mit aus sichtsreichen Projektskizzen dazu auf, einen formalen Förderantrag zu stellen. Die Folgen des Klimawandels und welche Handlungsoptionen exis tieren sind ein zentrales Thema auf dem Europäischen Katas trophenschutzkongress des Be hörden Spiegel am 27. und 28. August 2019.
Aktiv anpacken Schutz der Beschäftigten bei der Verwaltungsdigitalisierung ist Frage der Mitbestimmung (BS/Jörn Fieseler) Die neue Regierung in Bremen will das Verwaltungshandeln zügig digitalisieren. Bis 2023 sollen sämtliche Services der Verwaltung online abgerufen werden können (siehe Seite 6). Mehr noch: Innerhalb der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) will sich der Stadtstaat für die Initiierung eines arbeitgeberseitigen Prozesses für einen “Digitalisierungs- und Zukunfts-Tarifvertrag” einsetzen. Der Grundgedanke ist richtig, die konkrete Umsetzung nicht. “Wir haben im Öffentlichen Dienst keine Plattform für die politische Diskussion mit den Sozialpartnern zum Thema Arbeit 4.0”, sagt Henning Lühr, Staatsrat im Bremer Finanzressort. “Aber wir brauchen ein gesellschaft liches fundiertes Dokument, u. a. mit einem Recht auf Qualifizie rung.” Gebe es diesen Tarifvertrag nicht, müssten allein auf kom munaler Ebene mit rund 11.000 Personalräten entsprechende Re gelungen ausgehandelt werden. Damit rennt der Staatsrat bei Frank Bsirske offene Türen ein. Für den Verdi-Chef ist ein Di gitalisierungs-Tarifvertrag ein “wesentliches Element einer erfolgreichen Digitalisierung in den öffentlichen Verwaltungen”. Das Ansinnen ist richtig und wichtig. “Ein Tarifvertrag ist ein wichtiges Gestaltungselement. Er stellt Leitplanken auf und bietet den Beschäftigten damit Schutz und Sicherheit”, unterstreicht Volker Geyer, stellvertretender Bundesvorsitzender und Fach vorstand Tarifpolitik beim DBB Beamtenbund und Tarifunion. Deshalb müsse sich die Arbeit geberseite nicht nur des Themas annehmen, sondern auch klare Regelungen schaffen. Zumal Verdi mit einem Betrei ber von Hafenterminals schon einen Zukunfts-Tarifvertrag ab geschlossen hat. Darin wird nicht von Digitalisierung, sondern von Automatisierung gesprochen.
Aus Sicht der Beschäftigten, aber auch der öffentlichen Arbeitgeber müssen im Rahmen der Digitalisierung verbindliche Regelungen angegangen werden, um dieses Handlungsfeld zu gestalten und gleichzeitig die Beschäftigten zu schützen. Foto: BS/okalinichenko, stock.adobe.com
Zentral sind drei Aspekte: Ers tens die Definition des Begriffes Automatisierung. Zweitens die Einführung einer mit Arbeitge ber- und Arbeitnehmervertretern paritätisch besetzten Automati sierungskommission, die über jede Maßnahme beschließt, von der mindestens zehn Prozent der Beschäftigten betroffen sind. Und drittens das Recht auf Qualifi zierung für jeden Beschäftigten, dessen Arbeitsplatz von einer
Automatisierungsmaßnahme be troffen ist. “Bei den diesjährigen Tarifverhandlungen der TdL mit den Gewerkschaften stand nicht die Befürchtung im Fokus, dass der Öffentliche Dienst zu viele Beschäftigte hat, sondern dass Anstrengungen erforderlich sind, um die nötige Zahl der Beschäf tigten anzuwerben und auszubil den”, sagt der TdL-Vorsitzende, Berlins Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz. Dazu seien in den
Ländern bislang eine Vielzahl von Maßnahmen auf Dienststel len- und Betriebsebene verein bart worden, die den konkreten Bedürfnissen vor Ort gerecht würden. Inhaltliche Forderun gen nach einem DigitalisierungsTarifvertrag seien jedoch bislang nicht erhoben worden. “Bei den kommunalen Ar beitgebern wird das Thema natürlich diskutiert”, berich tet VKA-Hauptgeschäftsführer
Klaus-Dieter Klapproth. “Aber wir haben nicht die Absicht, einen Digitalisierungstarifvertrag zu vereinbaren.” Sinnvoller sei es, die entsprechenden Regelungen im TVöD anzupassen oder ein zuführen. Deutlich skeptischer steht er der Einrichtung einer Kommission gegenüber. Das sei ein typischer Ansatz von Verdi. Mehr noch: Damit würde die “Unternehmensleitung in Ge werkschaftshände übergehen”. “Deutschland hat ein durchgrei fendes Mitbestimmungsrecht”, so Klapproth. Dem schließt sich Geyer an: “Wir sollten vorsichtig sein mit der Schaffung immer neuer Kommissionen. Mitbestim mungsfragen gehören generell in Betriebs- und Personalräte.” Das stimmt. Doch müssten dazu auch ressort- oder körperschafts übergreifende Personalvertretun gen existieren. Außer in Hamburg und Bremen ist das nicht der Fall. “Wir brauchen Vorschläge zu Arbeit 4.0, die verwaltungsebe nenübergreifend funktionieren. Hier sind Initiativen der Sozial partner und des Gesetzgebers notwendig”, fordert Lühr. Doch bevor die Mitbestimmung in ei nem Tarifvertrag geregelt wird, sollte besser das Personalver tretungsrecht novelliert werden. Ein solch elementares Thema braucht eine gesetzliche Grund lage. Dazu müssen die Normen auf Bundes- und Landesebene zeitnah reformiert werden.
Kommentar
Wider den Kannibalismus! (BS) Was in der Wirtschaft seit jeher gang und gäbe ist, galt im Öffentlichen Dienst bisher als sakrosankt – das gezielte Abwerben von Fachkräften aus anderen Behörden. Einzelne Wechsel verbunden mit Aufstiegskarrieren gab es wohl, doch mittlerweile hat sich Kannibalismus breitgemacht. Bis 2030 droht dem Öffentlichen Dienst ein Personalbedarf von 730.000 Personen, vor allem wegen des altersbedingten Aus scheidens, aber auch wegen der Schaffung neuer Planstellen. Allein die Bundesministerien erhielten in jüngster Vergan genheit fast 2.000 neue Stellen, die Bundespolizei wird es auf über 20.000 bringen, ebenso die Bundeswehr und die Deutsche Bahn. Länder und Kommunen ziehen nach. Sie alle konkur rieren zudem um den gleichen Bewerberpool. Doch die Konkurrenz um Ein steiger ist das eine, die Abwer bung bereits Erfahrener aus anderen Behörden das andere. Die Bundesländer klagen hier übereinander, besonders über den Bund. Doch sie waren selbst
Verursacher, als sie vor zehn Jah ren die bundesweite Einheitlich keit des Beamtenrechts infolge der Föderalismusreform kippten. Reiche Bundesländer mit besse rer Besoldung werben per Stel lenanzeige in anderen Ländern. Dort, wo es Bundes- und Landes behörden dicht beieinander gibt, treten kannibalische Phänomene auf. Etwa bei IT-Spezialisten: A 12er aus Ländern werden auf A 15er-Stellen des Bundes gehievt. Findige fanden gar Ausgleichs zahlungen bis zur Erreichung der versprochenen Besoldungsstufe. Dieser Kreativität will der Bund nun mit einem Besoldungsstruk turenmodernisierungsgesetz (BesStMG) Gestalt geben (siehe Seite 3). Ist da ein Wechsel von IT-Spezialisten aus Kommunen, vor allem aber Ländern bepreist?
Wie wollen zudem die Behör denleiter ihren langjährigen ITFachkräften erklären, dass die Neuen auf einmal einen fetten Aufschlag bekommen? Das ist in der Sache zu kurz gesprungen, stiftet Ungerechtigkeitsgefühl und löst das Problem am Ende für den Öffentlichen Dienst nicht. Die über 100 Fachhochschul einrichtungen des Bundes und der Länder sollten für Informa tionstechnologie fitter und at traktiver gemacht werden. Klar ist, die Behörden brauchen jetzt Polizisten und IT-Spezialisten und nicht erst nach drei Jahren Ausbildung. Vielleicht löst der Wirtschafts aufschwung das Problem ra scher, als manchen lieb sein wird. R. Uwe Proll
Evaluierungs-Erwartungen