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Kernbotschaften
Wirtschaft und Gesellschaft stehen aufgrund von Digitalisierung, Klimakrise, demografischem Wandel und einer Vielzahl weiterer Herausforderungen vor fundamentalen Transformationen. Deutschland verfügt über eine grundsätzlich leistungsfähige öffentliche Verwaltung, die Rechtsstaatlichkeit, Verlässlichkeit und Sachkompetenz vereint. Damit jedoch Unternehmen diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen und zugleich als Chancen nutzen können, muss die öffentliche Verwaltung in Deutschland deutlich kooperativer, nutzerfreundlicher, agiler und digitaler werden. Eine solche öffentliche Verwaltung ist für Unternehmen eine unverzichtbare Voraussetzung für internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit ein entscheidender Standortfaktor.
Dieses Impulspapier entstand aus der engen Zusammenarbeit eines prominent besetzten Rates aus Expertinnen und Experten mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Es soll Mut machen, jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen und die notwendigen Veränderungen anzugehen. Aufgeteilt auf sechs Themenkomplexe werden konkrete Maßnahmen identifiziert, die die nächste Bundesregierung priorisiert anpacken sollte. Alle Vorschläge zielen darauf ab, die bestehenden Stärken und die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu erhalten und ihre Innovations- und Transformationsfähigkeit auszubauen.
01 Strukturen auf Bundesebene koordiniert vernetzen
Die aktuellen Strukturen und Arbeitsweisen der Bundesregierung erschweren die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen, die horizontale Vernetzung und mehr Kooperation erfordern und in der Bewältigung von Querschnittsaufgaben bestehen. Das betrifft insbesondere die Digitalisierung und Transformation der Verwaltung, deren Planung und Umsetzung bislang noch über mehrere Ressorts verteilt ist. Die neue Bundesregierung sollte deshalb ein Bundesministerium für die Digitalisierung von Verwaltung und Recht sowie für digitale Infrastruktur einrichten, um Modernisierungs- und Transformationsbedarfe über Ressortgrenzen hinweg konsolidiert und entschieden vorantreiben zu können. Unterstützt werden sollte dieses zentral koordinierende Ministerium auf operativer Ebene durch eine leistungsstarke und marktwirtschaftlich orientierte Digitalagentur.
02 Zusammenarbeit der föderalen Ebenen verbessern
Neben der horizontalen Vernetzung auf Bundesebene sollte auch die vertikale Zusammenarbeit der föderalen Ebenen verbessert werden, um im Normalbetrieb effizient arbeiten und in Ausnahmesituationen schnell reagieren zu können. Um den Föderalismus als robustes Fundament unserer Demokratie zu stärken, müssen die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen geschärft und Komplexität reduziert werden. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sollte auf allen Ebenen beschleunigt und nach einheitlichen Vorgaben und Standards gestaltet werden. Dazu sollte die Digitalagentur damit beauftragt werden, digitale Angebote zu entwickeln und über einen zentralen digitalen Marktplatz bereitzustellen. Dort können Länder und Kommunen diese Angebote abrufen und zur Erfüllung eigener sowie delegierter Bundesaufgaben nutzen. Dafür müssen einheitliche Standards, Regeln, Schnittstellen und Plattformen festgelegt werden. Darüber hinaus sollte es ein umfassendes Audit von Bundesbehörden geben sowie regelmäßige Krisenübungen entwickelt werden, mit denen auch die Zusammenarbeit der föderalen Ebenen trainiert wird.
In der Vorbereitung von Gesetzen sollte ihre spätere Umsetzung stärker berücksichtigt und die Wirksamkeit anhand klar definierter Erfolgskriterien überprüfbar gemacht werden. Gute Gesetze brauchen eine klare Zielorientierung, eine agile Suche nach den besten Lösungen zur wirksamen Umsetzung und einen aufwandsarmen, pragmatischen Vollzug. Die Bundesregierung sollte daher ein angepasstes Standardvorgehen für die Vorbereitung ihrer Gesetzentwürfe festlegen, das es ermöglicht, über die Inhalte des geplanten Gesetzes zu diskutieren, bevor einzelne Paragrafen ausgearbeitet werden. Ermöglicht wird dies unter anderem durch die Festlegung klarer Ziele und Erfolgskriterien zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses. Außerdem sollte ein „DigitalCheck“ durchlaufen werden, um frühzeitig Hindernisse für einen digitalen Vollzug zu identifizieren.
04 Verfahren und Prozesse serviceorientiert gestalten
Die öffentliche Verwaltung in Deutschland steht grundsätzlich für verlässliche und rechtsstaatliche Prozesse. Aber Verwaltungsverfahren sind derzeit meist langwierig, umständlich und zu wenig nutzerorientiert. Deshalb braucht die öffentliche Verwaltung ein neues Ambitionsniveau, bei dem Prozesse stets digital, von Ende zu Ende und aus Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer entworfen werden. Die neue Bundesregierung sollte zunächst digitale Prozesse als Standard definieren und dieses politische Ziel mit einer Frist untermauern, ab der Daten und Nachweise zwischen Bundesministerien und ihren nachgeordneten Behörden ausschließlich digital ausgetauscht werden dürfen. Zudem sollte die Bundesregierung den Aufbau eines nutzerfreundlichen Ökosystems für digitale Identitäten und ein behördenübergreifendes Nutzerkonto mit Hochdruck vorantreiben, um Behördengänge in Zukunft überflüssig zu machen.
Innovation und Transformation dürfen nicht als einmalige, punktuelle Anpassungen verstanden, sondern müssen Teil des Selbstverständnisses einer sich den aktuellen Anforderungen anpassenden Verwaltung werden. Hierbei gilt es insbesondere Behördenleitungen daran zu messen, ob sie ihr Haus zukunftsfähig aufgestellt haben und sie zur Erfüllung klar definierter Anforderungen für die Weiterentwicklung ihrer Behörde zu verpflichten. Die jährlichen Ziele sollen von den Behördenleitungen in Abstimmung mit der Fachaufsicht festgelegt werden. Zudem braucht es einen wirkmächtigen Treiber, der unabhängig vom politischen Tagesgeschäft für eine anhaltende und tiefgreifende Reformation der öffentlichen Verwaltung eintritt. Die Bundesregierung sollte deshalb auf den wertvollen Erfahrungen des Normenkontrollrates aufbauen und diesen zu einem Rat für Staats- und Verwaltungsmodernisierung weiterentwickeln. Ein erfolgreiches Innovations- und Transformationsmanagement erfordert darüber hinaus eine entsprechende finanzielle Ausstattung aller föderalen Ebenen.
06 Personal gezielt fördern und Fähigkeiten erweitern
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind der entscheidende Faktor, um die öffentliche Verwaltung so zu transformieren, dass sie Wirtschaft und Gesellschaft bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen effektiv unterstützen kann. Die öffentliche Verwaltung sollte befähigt werden, Personal flexibler einzusetzen und stärker projektbasiert zu arbeiten. Es sollte eine Kultur etabliert werden, die Mut zur Entscheidungsfindung fördert und einen konstruktiven Umgang mit Fehlern ermöglicht. Notwendig ist dafür eine umfassende Modernisierung des Dienst- und Tarifrechts. Eine zusätzliche Diversitätsoffensive bei der Rekrutierung kann gleichermaßen zur Attraktivität als Arbeitgeber wie zur Entwicklung einer neuen Transformations- und Projektkultur beitragen. Für einen kontinuierlichen Transfer von Kompetenzen und Verständnis sollte der Wechsel vom öffentlichen Sektor in die Privatwirtschaft und umgekehrt nicht Ausnahme, sondern Regel sein.
„Die Leistungsfähigkeit des deutschen Staates und seiner Verwaltung entspricht nicht mehr dem Niveau, das Unternehmen heute benötigen, um eigenen Herausforderungen aufgrund von Digitalisierung, Klimakrise oder demografischem Wandel angemessen zu begegnen. Die Wirtschaft ist – ebenso wie die Bürgerinnen und Bürger – auf eine öffentliche Verwaltung angewiesen, die kooperativer, nutzerfreundlicher, agiler und digitaler agiert. Deutschland soll auch in Zukunft ein erfolgreicher und attraktiver Wirtschaftsstandort sein. Mit Entschlusskraft muss die Politik in Bund und Land jetzt dafür sorgen, die öffentliche Verwaltung für diesen Modernisierungsprozess zu befähigen.“
Iris Plöger
Mitglied der Hauptgeschäftsführung, BDI e.V.
