7 minute read

04. Verfahren und Prozesse serviceorientiert gestalten

04 Verwaltungsverfahren sind zu langwierig, zu umständlich und zu wenig nutzerorientiert. Mit einem neuen Ambitionsniveau müssen Verfahren und Prozesse serviceorientiert gestalten Prozesse stets digital, von Ende zu Ende und aus Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer entworfen werden.

Hintergrund

Die öffentliche Verwaltung in Deutschland steht für verlässliche und rechtsstaatliche Prozesse. Das Ergebnis ist eine starke und nahezu korruptionsfreie Verwaltung, der Bürgerinnen und Bürger ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen. Dennoch sind Verwaltungsverfahren derzeit oft langwierig, papierlastig und zu stark nach innen gerichtet. Gerade in der CoronaPandemie waren Vorgänge, die papiergebunden waren und ein persönliches Erscheinen voraussetzen, oft hinderlich. Digitale Alternativen wie der elektronische Personalausweis haben nur eine geringe Verbreitung, da sie als wenig nutzerfreundlich wahrgenommen werden. 2013 wurde das E-Government-Gesetz (EGovG) zur Förderung der elektronischen Verwaltungsarbeit in den Bundesbehörden verabschiedet. Ein Kernelement stellt die Einführung der elektronischen Akte (E-Akte) dar. Bis zum 1. Januar 2020 wurden die Behörden des Bundes verpflichtet, ihre Akten elektronisch zu führen. Während bei einigen Bundesbehörden, wie z. B. dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesfinanzhof,3 eine vollständige Umsetzung im Verwaltungsbereich gelang, beginnt bei anderen erst die Pilotierung (z. B. Bundeskanzleramt und Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz) oder ist bisher nur teilweise umgesetzt (z. B. Bundesnetzagentur, Bundesamt für Justiz).4

3 Mit Ausnahme der Personalakten 4 Stand: 14.09.2020

Zielbild

Die öffentliche Verwaltung braucht für ihre Verfahren und Prozesse auf allen Ebenen ein neues Ambitionsniveau, bei dem Prozesse stets digital und aus der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer – also der Unternehmen ebenso wie der Bürgerinnen und Bürger – gedacht und entworfen werden (Rechtsetzung und Gesetzesvorbereitung modernisieren).

Eine moderne Verwaltung kehrt die Beweislast für digitale Prozesse um: Digitale Prozesse auf allen Ebenen sind der Standard für Verwaltungshandeln, während papiergebundene Kommunikation nur in Ausnahmefällen verwendet wird und begründet werden muss. Ein zeitgerechter und produktiver Umgang mit Daten ermöglicht Schnittstellen für Fachverfahren sowie Unternehmen und behält dennoch die Themen Datenschutz und -sicherheit im Blick.

Nötig ist ein neues Selbstverständnis staatlich Agierender im 21. Jahrhundert. Dieses ist geprägt durch Zielorientierung, Nutzerzentrierung sowie prozess- und projektorientiertes Arbeiten. Bei Forderungen, die von Seiten der Politik an Gesellschaft oder Wirtschaft gerichtet werden, sollte die öffentliche Verwaltung stets als Vorbild agieren und als „First Mover“ vorangehen.

Prozesse von Ende zu Ende (E2E) zu denken, sollte als Grundprinzip etabliert werden: Selbst vermeintlich einfache Prozesse wie Rechnungslegung sind über komplexe Organisationsstrukturen verteilt. Durch klare Verantwortlichkeiten, weniger Schnittstellen sowie kontinuierliche Prozessharmonisierung und -optimierung kann eine E2E-Prozessführung deutliche Leistungssteigerungen bewirken und den strategischen Fokus beibehalten oder sogar stärken.

Handlungsempfehlungen

Für die ersten 100 Tage

.Digitale Prozesse sind als Standard für Verwaltungshandeln zu definieren.

– Um papiergebundene Prozesse zu ersetzen, sollte in den ersten 100 Tagen ein Zieldatum und eine damit einhergehende Übergangsfrist festgelegt werden, bis wann Daten und Nachweise zwischen allen Bundesministerien und ihren nachgeordne-

ten Behörden ausschließlich digital ausgetauscht werden, um einen klaren politischen Willen zu verdeutlichen. – Grundvoraussetzung hierfür ist auch eine hochwertige und moderne IT-Ausstattung. Diese zahlt außerdem auf die Attraktivität der öffentlichen

Verwaltung als Arbeitgeber ein (Personal gezielt fördern und Fähigkeiten erweitern). – Die „Kann-Vorschrift“ zum digitalen Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen in § 5 Abs. 2

E-Government-Gesetz (EGovG) muss verbindlich gemacht werden. – Der Rechtsvorbehalt in § 35a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für die Automatisierung von

Verwaltungsleistungen sollte aufgehoben werden.

.Um Behördengänge in Zukunft überflüssig zu machen, sollte die nächste Bundesregierung den Aufbau eines nutzerfreundlichen Ökosystems für digitale Identitäten weiter mit Hochdruck vorantreiben.

Sichere und nutzerfreundliche digitale Identitäten sind eine Schlüsseltechnologie für digitale Verwaltungsverfahren. Bürgerinnen und Bürgern muss es möglich sein, sich allein mit ihrem Smartphone im digitalen Raum gegenüber der Verwaltung aber auch

Unternehmen sicher zu identifizieren. Andere Nachweise von Behörden, wie z. B. der Führerschein oder

Abschlusszeugnisse von Schulen und Hochschulen sowie Verwaltungsbescheide, sollten ebenfalls digital auf einer solchen Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Dazu sollte die nächste Bundesregierung ihre Bemühungen an zentraler Stelle bündeln und gemeinsam mit der Wirtschaft eine schlagkräftigen Umsetzungsstruktur etablieren. Mittelfristig muss diese Struktur auch juristische Personen einbinden und dazu an die relevanten Register angeschlossen werden.

Ein Blick nach Norden

Seit Jahren gehört Dänemark zu den Spitzenreitern im Digital Economy and Society Index der EU. Ein wesentlicher Katalysator für die Digitalisierung der dänischen Verwaltung war 2006 die Gleichsetzung von handschriftlicher und digitaler Unterschrift. Seit 2008 existiert ein digitaler Briefkasten, der nicht nur der öffentlichen Verwaltung für die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung steht, sondern auch eigenständig von Unternehmen genutzt

werden kann. Mit der NemID steht seit 2010 für alle Däninnen und Dänen ab dem Alter von 15 Jahren eine staatliche Lösung für Log-in und Signatur in der digitalen Kommunikation mit der öffentlichen Verwaltung und als Zugang zum Online-Banking zur Verfügung. Auf diesen drei Grundpfeilern aufbauend, erfolgen viele Prozesse der dänischen Verwaltung heute bereits automatisiert oder können von Unternehmen ebenso wie von Bürgerinnen und Bürgern selbstständig am PC oder Smartphone erledigt werden. Für weniger digitalaffine Personen stehen in den Ämtern frei nutzbare Computer zur Verfügung, an denen sie allein oder mit Unterstützung des Personals vor Ort Verwaltungsleistungen nutzen können. Dänemark verharrt jedoch nicht auf seinem – im internationalen Vergleich starken – Status quo, sondern arbeitet mit der MitID bereits aktiv an einem Nachfolger der NemID und einer weiteren Optimierung von Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit und Flexibilität.

Bis zum Ende der Legislaturperiode

.Von der Behördenleitung bis zu den einzelnen Referaten sollte die Entwicklung von Zielen in Form kurzer,

prägnanter und überprüfbarer Zielkataloge verpflich. tend sein. Für die in der 19. Legislaturperiode begonnene Registermodernisierung muss ein ambitionierter Zeitplan mit konkreten Meilensteinen verabschiedet und das „Once-Only-Prinzip“ im Sinne einer verbesserten Nutzerzentrierung als Standard etabliert werden, d. h. Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger sollten ihre Daten und Angaben künftig nur einmal an den Staat . übermitteln müssen. Regelmäßige Audits von Bundesbehörden, insbesondere mit Augenmerk auf Effizienz- und Effektivitätsprüfungen, wären eine wesentliche Stütze, um die Leistungsfähigkeit und den Modernisierungsgrad einer Behörde zu bestimmen. Zudem sollten die Auditergebnisse veröffentlicht werden, um zwischen den Bundesbehörden durch Benchmarking und einen Modernisierungsindex eine Vergleichbarkeit herzu. stellen und Lerneffekte zu erzeugen. „Open Government Data“ sollte zur Wirklichkeit werden. Daten der Bundesverwaltung sollten zukünftig grundsätzlich veröffentlicht werden. Davon darf es nur wenige und gut begründete Ausnahmefälle geben. Diese Daten sollten über offene Schnittstellen standardisiert, maschinenlesbar und im Regelfall frei zum Abruf bereitstehen, um ihre Nutzung zu erleichtern.

Servicementalität gezielt fördern

„Die öffentliche Verwaltung ist kein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, dass Dienstleistungen für Unternehmen ebenso wie für Bürgerinnen und Bürger erbracht werden. Das Geschäftsmodell der Verwaltung ist im Grunde ganz einfach: Es werden Dienstleistungen und Infrastruktur zur Verfügung gestellt, und um das zu ermöglichen, werden im Gegenzug Steuern, Gebühren und Abgaben erhoben. Gesellschaft und Wirtschaft sind daher keine ‚Antragssteller‘, sondern diejenigen, denen ein Service zusteht – in diesem Sinne also Kunden. Das ist die Perspektive und das Selbstverständnis, das wir viel stärker in unserer öffentlichen Verwaltung brauchen und deshalb gezielt fördern sollten.“

Dr. Martin Klein

General Manager Public Services Industries, SAP

Führerscheinprüfung für Flottenmanagement

„Wir haben bei Pepperl+Fuchs eine Flotte von rund 200 Dienstfahrzeugen. Jedes Jahr kommt eigens jemand von der öffentlichen Verwaltung zu uns ins Unternehmen und prüft vor Ort für jede Dienstwagenbesitzerin und jeden Dienstwagenbesitzer, ob diese weiterhin einen gültigen Führerschein hat und für jedes einzelne Fahrzeug, ob es weiterhin versichert ist. Dass diese Informationen noch immer nicht digital und automatisiert ausgetauscht werden, gibt mir sehr zu denken. Zumal dies längst möglich sein sollte, denn die Führerscheine sind von der öffentlichen Verwaltung im Zentralen Fahrerlaubnisregister erfasst und auch die Kommunikation mit unseren Versicherungen funktioniert bereits vollständig digital.“

Dr. Gunther Kegel

Präsident, ZVEI | CEO, Pepperl+Fuchs

Dr. Matthias Heiden

CFO, Software AG

Prozesse von Grund auf neu denken

„Analoge Verwaltungsprozesse sollten nicht einfach nur in ihrer bestehenden und meist überkomplexen Form digitalisiert werden, sondern müssen bei dieser Gelegenheit entlang des Gesamtprozesses neu durchdacht werden. Nur so lassen sich Bürgererlebnis und Effizienz bei Verwaltungsleistungen verbessern.“

Christa Koenen

CIO/CDO, DB Schenker

Gute IT ist Voraussetzung und Treiber der digitalen Transformation

„Eine hochwertige und moderne IT-Ausstattung spielt heute eine wesentlich größere Rolle als noch vor einigen Jahren. Früher wurde sie vor allem als Kostenfaktor wahrgenommen, aber nur mit guter IT kann man Prozesse wirklich automatisieren und vereinfachen. Nur mit ihr kann man Daten und Informationen vorausschauend und in Echtzeit verarbeiten und richtig einsetzen, sodass Kundinnen und Kunden einen echten Mehrwert sehen. IT darf deshalb nicht nur als Kostenpunkt, sondern muss als entscheidender Businessfaktor gesehen werden, als Voraussetzung und zugleich Treiber einer erfolgreichen Digitalisierung und nötigen Transformation.“

This article is from: