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06. Personal gezielt fördern und Fähigkeiten erweitern
Personal gezielt fördern und Fähigkeiten erweitern
Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation der öffentlichen Verwaltung sind motivierte, kompetente und veränderungsbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ohne sie wird die Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen nicht gelingen.
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Hintergrund
Keine der in diesem Papier beschriebenen Veränderungen könnte ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung erfolgreich umgesetzt werden. Mehr noch: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind der entscheidende Faktor, um die Verwaltung so zu transformieren, dass sie Wirtschaft und Gesellschaft bei der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen im erforderlichen Maße unterstützen kann. deshalb fehlt ein konsequenter Austausch von Personal zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor. Projekte wie Work4Germany des DigitalService4Germany zeigen, dass erfahrene Fachkräfte aus der Wirtschaft schon bei einem temporären Einsatz innovative Ideen in die Verwaltung tragen. In der Breite fehlen solche Ansätze, die der Bewältigung des Rekrutierungs- und Transformationsbedarfs dienen könnten.
Zielbild
Die öffentliche Verwaltung hat gute Startvoraussetzungen, diese anstehende Transformation möglich zu machen. Denn was die öffentliche Verwaltung in Deutschland auszeichnet, ist die Fachkompetenz und hohe Verlässlichkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Gleichzeitig steht der öffentliche Dienst vor Herausforderungen, die eine zukunftsgerichtete Transformation der Verwaltung befördern, aber ggf. auch erschweren können:
.Bis 2030 werden über eine Million
Menschen den öffentlichen Dienst aus Altersgründen verlassen. Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland besteht daher das
Risiko von erheblichem Personalmangel. Dieses Risiko macht eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung umso notwendiger, denn nur mit den dadurch erzielbaren
Effizienzgewinnen kann ein Teil des . Personalmangels abgefedert werden. Insbesondere in den Bereichen IT und Transformation sowie im Bereich des Projektmanagements fehlen der öffentlichen Verwaltung Kompetenzen, welche bei der Neuausschreibung von Stellen infolge der Personalfluktuation entsprechend zu . definieren und anschließend zu rekrutieren sind. Die Kultur der öffentlichen Verwaltung ist auf die
Vermeidung von Fehlern ausgerichtet. Diese an sich gute Eigenschaft sollte jedoch – im Sinne einer höheren Veränderungsdynamik – mutigen und vorwärtsgewandten Entscheidungen nicht strukturell . entgegenstehen. Die Karrierepfade und Besoldungsstufen sehen bislang zu wenige Quereinstiege qualifizierter Fachkräfte aus anderen gesellschaftlichen Bereichen vor. Auch
Erfahrungen aus der Wirtschaft zeigen, dass sich Transformationsaufgaben am besten in flexiblen Projektstrukturen bewältigen lassen. Die öffentliche Verwaltung muss daher durch die Politik befähigt werden, Personal flexibler einzusetzen und stärker projektbasiertes Arbeiten zu etablieren. So können alle Agierenden, die für die Lösung der anstehenden Aufgabe relevant sind, unabhängig von deren Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Behörden oder Abteilungen zusammengezogen werden. Dies kann nur innerhalb von Strukturen gelingen, die nicht nur die Projektarbeit Rund40% ermöglichen, sondern auch den vertikalen (Ministerium – nachgeordnete Behörden) und horizontalen (verschiedene Abteilungen, Behörden, Ministerien) Austausch fördern. Insgesamt muss der öffentliche Dienst eine Kultur der Mitarbeiterinnen etablieren, die Mut zur Entscheidungsund Mitarbeiter des findung fördert und einen konstruktiBundesverwaltungsamtes ven Umgang mit Fehlern ermöglicht. gehen bis 2030 in Rente In der Rekrutierung kann sich die oder Pension. öffentliche Verwaltung als hochattraktiver Arbeitgeber positionieren, der mit den führenden Unternehmen der Wirtschaft um die besten Köpfe konkurriert. Die Aufgaben, die im 21. Jahrhundert auf den Staat zukommen, sind strategisch hoch relevant und bieten insbesondere jungem Nachwuchs die Möglichkeit, sinnvolle und gesellschaftlich relevante Themen zu bearbeiten. Eine zusätzliche Diversitätsoffensive bei der Rekrutierung hinsichtlich persönlicher und fachlicher Hintergründe sowie Kompetenzen kann gleichermaßen zur Attraktivität als Arbeitgeber wie zur Entwicklung einer neuen Transformations- und Projektkultur beitragen. Zur Attraktivität für junge Talente gehören auch Veränderungsmöglichkeiten. Der Wechsel vom öffentlichen Sektor in die Privatwirtschaft und umgekehrt sollte die Regel sein. Dadurch wird ein
kontinuierlicher Transfer von Kompetenzen und Verständnis in beide Richtungen etabliert.
Darüber hinaus muss Führungskompetenz innerhalb der Verwaltung stärker incentiviert und gefördert werden, indem durch Weiterbildung und im Zuge zusätzlicher Auswahlkriterien gezielt Kompetenzen im Bereich Digitalisierung, Strategiefähigkeit, Projektsteuerung und Umsetzung tiefgreifender Transformationen aufgebaut werden.
Handlungsempfehlungen
Für die ersten 100 Tage
.An zentraler Stelle wird in der neuen Bundesregierung eine Modernisierung des Dienst- und Tarifrechts mit folgenden Zielen entwickelt:
– Die öffentliche Verwaltung sollte sich stärker als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, der nicht nur
Sicherheit, sondern vor allem spannende und verantwortungsvolle Aufgaben für die Gesellschaft bietet. Erfahrungen aus der Wirtschaft zeigen, dass junge Absolventinnen und Absolventen zunehmend nach einer für sie sinnvollen Aufgabe suchen und flexiblere Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle erfragen. – Offene Stellen müssen verpflichtend intern und extern ausgeschrieben werden, um den Rekrutierungskreis in Anbetracht des Fachkräftemangels groß zu halten. – Des Weiteren sollten die Personalauswahl für die
Verwaltung und das Bewerbungs- und Auswahlverfahren für Kandidatinnen und Kandidaten vereinfacht werden. Anstatt dass jede Einheit ihre Stellen ausschreibt und Kandidatinnen und
Kandidaten sich individuell bewerben, sollte auf
Bundesebene ein Talentpool geschaffen werden.
Nach dem Vorbild des Europäischen Amtes für
Personalauswahl (EPSO) könnten dann für alle
Kandidatinnen und Kandidaten laufbahnspezifische Online-Eignungstests zur Vorauswahl durchgeführt werden. Kandidatinnen und Kandidaten würden nicht auf Fachkenntnis, sondern zunächst auf kommunikative und analytische Fähigkeiten geprüft. Anschließend können sie von allen Behörden der drei Ebenen ohne Ausschreibung angesprochen werden und zu weiteren Gesprächen mit
Personalverantwortlichen und Fachexpertinnen
und Fachexperten eingeladen werden. – Dabei sollte auch größerer Wert darauf gelegt werden, Positionen nicht nur auf Basis formaler
Qualifikationskriterien, sondern mit Blick auf die zu erreichenden Ziele zu besetzen. Gerade im Bereich der Digitalisierung kommt es weniger auf formale Qualifikationen als tatsächliche
Erfahrung an, die sich im bisherigen Dienstrecht schwer erfassen lässt. – Auch die Personalentwicklung sollte neugestaltet werden, unter anderem durch die durchlässigere Gestaltung der Laufbahnen. So müssen
Fähigkeiten und Leistungen eine stärkere Rolle in der Entscheidung über den Aufstieg der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch quer zu festen
Laufbahnwegen spielen können. Außerdem sollten dezidierte Fach-Laufbahnen etabliert werden, die den Aufstieg in höhere Besoldungsgruppen von einer Leitungsfunktion entkoppeln und dadurch attraktivere Karrierepfade für Expertinnen und
Experten zum Beispiel im Bereich IT schaffen. – Überdies sollte eine Rotations- und Projektpflicht eingeführt werden, die Projektarbeit als Standardstation aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter definiert und Stationen in anderen Abteilungen und Behörden zur Aufstiegsvoraussetzung macht.
Fakultative, vorübergehende Versetzungen in
Unternehmen oder Verbände können sinnvolle
Ergänzungen darstellen. – Für den Aufstieg in Führungspositionen sollten
Erfahrungen mit IT- oder Transformationsprojekten Grundvoraussetzung sein.
Bis zum Ende der Legislaturperiode
.Im Rahmen dieser Reform sollte auch die Durchlässigkeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor erhöht werden – und zwar in beide Richtungen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten die Möglichkeit haben für einige Jahre eine Position in der Privatwirtschaft zu übernehmen. Ebenso sollte es zur Regel werden, dass Beschäftigte aus der Privatwirtschaft für eine begrenzte Zeit bzw. für ein bestimmtes Projekt in den öffentlichen Dienst des Bundes wechseln („projektgebundener öffentlicher Dienst“ / „Projekt-Beamte“). Für die öffentlich Beschäftigten sollte sichergestellt werden, dass sie durch die zeitweilige Beschäftigung im privaten Sektor keine Nachteile hinsichtlich ihrer Karriereaussichten und ihrer Altersversorgung in Kauf nehmen müssen. Wenn
das während des Projekteinsatzes gezahlte Gehalt über dem vorherigen liegt, könnte man dies auch auf die Altersversorgung anrechnen. Umgekehrt sollten im Privatsektor Beschäftigte die im Rahmen ihres Einsatzes im öffentlichen Sektor erworbenen Ansprüche auf Altersversorgung . in die Gesetzliche Rentenversicherung übernehmen dürfen. Die fortlaufende Weiterqualifizierung aller Beschäftigten im öffentlichen
Sektor muss sichergestellt werden und als Voraussetzung für den Aufstieg gelten. In diesem Zuge muss vor allem die IT- und Digitalkompe. tenz gestärkt werden. Schließlich sollte die öffentliche Verwaltung weitere Ausbildungskapazitäten für IT-Kräfte schaffen, analog zum Medizinstudium der Bundeswehr: Die Studentinnen und Studenten sollten bereits während des
Studiums in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt sein und sich im
Gegenzug verpflichten, anschließend für einen bestimmten Zeitraum für eine Bundesbehörde zu arbeiten. Ebenso wäre es denkbar, spezielle und gut dotierte Stipendienprogramme für IT-Studiengänge aufzulegen, mit denen ein Studium an internationalen Spitzenuniversitäten vollständig finanziert wird. Begleitet von Praktika im öffentlichen Dienst während des Studiums könnte mit einem Stipendium eine befristete Dienstverpflichtung in der Verwaltung verbunden werden.
„Gutes Transformationsmanagement heißt zunächst einmal mögliche Schwachstellen zu erkennen. Auf dieser Erkenntnis aufbauend müssen Ziele so gesetzt werden, dass sie Veränderungen auslösen. Anschließend müssen Ressourcen mobilisiert werden, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Damit das gelingt, braucht man projektbasierte Strukturen. Die Bereitschaft und Fähigkeit, in solchen Strukturen zu denken und diese wo nötig auch aufzubauen, könnte die öffentliche Verwaltung – insbesondere in Krisenzeiten – erheblich schneller und effizienter machen. In der Personalentwicklung, -ausbildung und -weiterbildung müssen hierfür die entsprechenden Weichen gestellt werden.“

Frank Mattern
Geschäftsführer, Frank Mattern Advisory and Investments

Stefan Schaible
Global Managing Partner, Roland Berger
Erfolgreich mit Komplexität umgehen
„Von hoher Komplexität sind die meisten Organisationen betroffen, nicht nur die öffentliche Verwaltung. Treiber sind z.B. lange Planungsprozesse, ausufernde Abstimmungsschleifen, überzogene Genauigkeit oder ein zu umfassendes Berichtswesen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Komplexität erfolgreich reduziert und beherrscht werden kann. So hat die führende deutsche Förderbank ihre Produkte vereinfacht und transparenter für Kunden und Vertriebspartner gestaltet. Die Prozesse wurden End-to-End neu aufgesetzt und digitale Lösungen in weiten Teilen von Grund auf neu entwickelt. Sonst wäre die COVID-bedingt stark erhöhte Nachfrage nicht zu bewältigen gewesen. Hierfür hat die Leitungsebene die Beteiligten aktiv mobilisiert und für Veränderungsbereitschaft gesorgt. Eines ist klar: Auch die öffentliche Verwaltung wird ihre Komplexität in den kommenden Jahren erheblich reduzieren und radikale Ansätze wählen müssen. Sonst werden die anstehenden Herausforderungen nicht zu bewältigen sein.“

Dr. Jochen Schmitz
CFO, Siemens Healthineers
Das Nicht-Handeln ist die größte Gefahr
„Im ‚Nicht-Handeln‘ sehe ich die größte Gefahr. Handeln birgt immer Chance und Risiko. Führt die Entscheidung zu der beabsichtigten Wirkung, dann ist das natürlich bestens. Im umgekehrten Fall ist das erst mal weniger gut, aber aus Fehlern kann und sollte man lernen. Wer nicht handelt, verzichtet sowohl auf die Chance, Dinge richtig voranzubringen als auch auf die Chance, etwas zu lernen. Leider besteht manchmal der Eindruck, dass in der öffentlichen Verwaltung (und nicht nur da) ‚Nicht-Handeln‘ der sicherere Weg zur Karriere ist. Das muss sich ändern. Wir brauchen im öffentlichen Dienst eine Kultur, die Mut zum Handeln macht und Fehler nicht primär bestraft, sondern dafür sorgt, dass man daraus lernt.“