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02. Zusammenarbeit der föderalen Ebenen verbessern

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Einleitung

Einleitung

Zusammenarbeit der föderalen Ebenen verbessern 02

Problemdefinition

Der historisch gewachsene Föderalismus hat sich in Deutschland bewährt und bildet ein starkes Fundament für unsere Demokratie. Gleichzeitig birgt der Föderalismus in seiner jetzigen Form aber auch Probleme, die immer deutlicher werden. Insbesondere in krisenbedingten Ausnahmesituationen, wie z. B. durch die CoronaPandemie seit 2019 oder dem starken Anstieg der Zahl der Asylbewerberinnen und -bewerber 2015/16, zeigten sich die Schwächen des deutschen Föderalismus: Unklare Kompetenzen, unnötige Doppelarbeit bei gleichzeitigem Personalmangel, fehlende Erhebung und Austausch von Daten durch nicht vorhandene oder inkompatible IT-Systeme sowie unzureichende Zusammenarbeit sowohl zwischen als auch innerhalb der föderalen Ebenen. Verantwortlichkeiten und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu schärfen und damit Komplexität zu reduzieren sowie Zuständigkeitskonflikte zu vermeiden.

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung muss auf allen Ebenen beschleunigt und nach einheitlichen Vorgaben gestaltet werden, um einen reibungslosen, interoperablen und effizienten Datenaustausch zu ermöglichen (Verfahren und Prozesse serviceorientiert gestalten).

Die Resilienz der öffentlichen Verwaltung muss auf allen Ebenen gestärkt werden, um für Ausnahmesituationen gewappnet zu sein – ob durch Naturgeschehen wie die jüngste Flutkatastrophe oder humanitäre Notlagen wie die Flüchtlingskrise.

Handlungsempfehlungen

Besonders deutlich zeigten dies in den letzten Monaten die schwerfälligen Runden der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie langwierige und abstimmungsintensive Prozesse zwischen Bund und Ländern, deren Ergebnisse nicht nur weitgehend unverbindlich, sondern zudem Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen zum Teil nur schwer zu vermitteln waren. Mit den „Dresdner Forderungen für die Verwaltung von morgen“ meldeten sich im März 2021 fünf Städte zu Wort und forderten einen anderen Föderalismus. Essen, Freiburg, Köln, Leipzig und München erklärten, dass sie der kommunalen Selbstverwaltung zum Trotz gern Aufgaben an Bund und Länder abgeben möchten. Dies kann zu Recht als Paradigmenwechsel bezeichnet werden. Die Städte kritisieren, dass die komplexe Verwaltungsdigitalisierung in keinem Verhältnis zu ihren knappen Digitalressourcen stünde. Sie sehen großen Handlungsbedarf bei der Komplexität von Verantwortlichkeiten, der digitalen Daseinsvorsorge, der fehlenden Zentralisierung von IT-Verfahren und Prozessen sowie bei der mangelnden Fokussierung auf Nutzerinnen und Nutzer.

Zielbild

Ziel ist es, den Föderalismus als robustes Fundament unserer Demokratie zu stärken. Hierfür gilt es, die

Für die ersten 100 Tage

.Der Bund sollte die neu zu gründende Digitalagentur (Strukturen auf Bundesebene koordiniert vernetzen) damit beauftragen, „Government as a 2,8% Service“-Angebote zu entwickeln. Ziel sollte dabei sein, einen zentralen Marktplatz für digitale Lösungen zu schaffen, d.h. wenn der Bund neue, durch andere föderale Ebenen umzusetzende Maßnahmen beschließt, können Länalso gerade einmal 16 von der und Kommunen dort einheitliche 575 Leistungen des digitale Lösungen abrufen – mit SchnittOnlinezugangsgesetzes stellen zu anderen Fachverfahren und öffentlichen Einrichtungen. Voraussetsind bisher zung dafür sind einheitliche Standards, flächendeckend verfügbar. Regeln, Schnittstellen und Plattformen, die an zentraler Stelle festgelegt werden müssen. So kann auch ein marktbasierter Wett. bewerb um die besten Lösungen angestoßen werden. Fragen von Datenschutz und Sicherheit bezüglich einzelner Programme und Anbieter für die öffentliche Verwaltung sollten ebenfalls zentral auf Bun. desebene geklärt werden. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund, Länder und Kommunen bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. In den ersten 100 Tagen der 20. Legislaturperiode müssen zum einen Impulse gesetzt werden, die eine zeitliche Einhaltung dieser Frist sicherstellen. Zum anderen muss auch stärker Sorge dafür

getragen werden, dass Verwaltungsleistungen nach gleichen Standards digitalisiert werden, um eine reibungslose und interoperable Zusammenarbeit zwischen den föderalen Ebenen sowie zwischen Verwal. tung und Unternehmen zu garantieren. In den ersten 100 Tagen sollte zudem ein umfassendes Audit angestoßen werden, um die Krisenfestigkeit der Bundesbehörden zu prüfen und regelmäßige Stresstests („Krisenübungen“) zu entwickeln. Die Übungen sollen auch der Identifikation von Schwachstellen bei der Zusammenarbeit der föderalen Ebenen insbesondere in Ausnahmesituationen dienen – dazu zählen Naturkatastrophen, humanitäre Notlagen, aber auch Stoßzeiten mit stark erhöhtem Arbeitsaufkommen.

Cybersicherheitsübung des NATO Cyber Defence Centre of Excellence

Das NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence (CCDCOE) veranstaltet seit 2010 jährlich die mehrtägige Übung „Locked Shields“ in Estlands Hauptstadt Tallinn. Sie ist international eine der größten und komplexesten Live-Fire-Cyber-Abwehrübungen, bei der sich die Teilnehmenden in Echtzeit gegen eine Vielzahl unterschiedlichster Cyber-Angriffe zur Wehr setzen müssen. Simuliert werden dabei möglichst reale Szenarien, die neben der IT von Unternehmen auch kritische Komponenten wie die Strom- und Wasserversorgung sowie das nationale Verteidigungssystem umfassen. Die Herausforderungen orientieren sich am aktuellen Stand der Technik und beziehen u. a. Auswirkungen von Deep Fakes in die Szenarien mit ein. 2021 waren an der Echtzeit-Simulation über 2.000 Expertinnen und Experten aus fast 30 Ländern beteiligt. Im Allgemeinen trainieren die Teams neben den fachlichen Fähigkeiten, Reaktion und Kommunikation in Stresssituationen. Die Führungskräfte üben Koordinierungs- und Entscheidungsprozesse für den Ernstfall. Übungen wie „Locked Shield“ sind interaktive Lernerfahrungen, die die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren erproben und so dafür sorgen, dass im Ernstfall das nötige Wissen um Fähigkeiten, Prozesse, Techniken oder Kommunikationsabläufe vorhanden ist.

Bis zum Ende der Legislaturperiode

.Zwingend notwendig ist eine deutlich größere Offenheit von Bund, Ländern und Kommunen, innerhalb ihrer Kompetenzen gemeinsam bestehende Handlungsspielräume zu nutzen und dabei maximale Flexibilität zu zeigen. Hierfür müssen die wichtigsten

Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse der jeweiligen föderalen Ebenen analysiert, Klarheit geschaffen und die Finanzausstattung entsprechend ausgestaltet werden. Ziel ist es, dass die föderalen Ebenen bis hin zu den Kommunen klare und nachvollziehbare Auf. gaben mit entsprechenden „Preisschildern“ haben. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung darf nicht mit dem OZG aufhören. Auch bereits digitalisierte Verwaltungsleistungen müssen regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden: Gibt es neue technologische Möglichkeiten? Welche Lösungen werden von anderen Staaten verwendet, und wie sind die

Erfahrungen damit? Wie kann das Thema gemeinsam auf europäischer Ebene vorangetrieben werden?

Nur so kann das Schlagwort „E-Government“ langfristig erfolgreich mit Inhalt gefüllt werden.

BRZ PortalAustria

Ein Blick nach Österreich, einem Nachbarstaat mit ähnlichen Strukturen samt Föderalismus, lohnt sich trotz aller Größenunterschiede: Im Digital Economy and Society Index erreicht Österreich im Bereich Digitale Verwaltung Platz 8 und liegt weit vor Deutschland (Platz 21). Mit der bundeseigenen Bundesrechenzentrum GmbH (BRZ), verfügt Österreich seit 1997 über einen Umsetzungsmechanismus für seine Digitalstrategie. Für alle Organe der öffentlichen Verwaltung in Österreich (Gemeinden, Städte, Länder und Bundesorganisationen) stehen über das Portal „BRZ PortalAustria“ rund 450 Verwaltungsleistungen zentral sowie orts- und zeitunabhängig zur Verfügung.

Mit Stresstests auf Ausnahmesituationen vorbereiten

„Gute und ruhige Zeiten sollten wir nutzen und bewusst angespannt sein, um uns auf das vorzubereiten, was kommen könnte. Dann kann man in der Krise ruhig und besonnen bleiben. Für den öffentlichen Dienst bedeutet das: Jede Behörde auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen sollte in Eigenregie alle fünf, noch besser alle drei Jahre einen Stresstest durchführen mit der Fragestellung: Was passiert im Fall einer außergewöhnlichen Belastung? Welche Ressourcen können schnell genutzt werden? Das fordert auch der Normenkontrollrat schon seit einigen Jahren. Der öffentliche Bereich sollte quasi Reservisten bereithalten, damit Behörden sich im Fall der Fälle gegenseitig helfen können.“

Dr. h. c. Frank-Jürgen Weise

Vorsitzender des Vorstands, Gemeinnützige Hertie-Stiftung

Positivbeispiel Bundesbeschaffung GmbH

„Mit der Bundesbeschaffung GmbH (BBG) zeigt Österreich seit 2001, wie Kompetenzen sinnvoll an zentraler Stelle gebündelt werden können. Die BBG ist Einkaufspartnerin der öffentlichen Hand und als solche Dienstleisterin für Bundesministerien, Länder, Kommunen, staatliche Unternehmen und viele mehr. Diese zentrale Beschaffungsstelle kann nicht nur professioneller und effizienter arbeiten, als wenn jede Behörde für sich allein kämpft, sondern durch größere Aufträge auch bessere Preise erzielen. Das Besondere an der BBG ist, dass öffentliche Stellen ihre Angebote auf freiwilliger Basis nutzen können. Sie muss also mit ihren Leistungen überzeugen und tut dies mittlerweile sehr erfolgreich.“

Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid

Professor für Public and Financial Management, Hertie School

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