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Wie Daten die Gesundheitsversorgung verbessern können Real World Data in Versorgung, Forschung und Entwicklung
30. Oktober 2020 Für den medizinischen Fortschritt werden Gesundheitsdaten immer wichtiger. Anonymisierte oder pseudonymisierte Gesundheitsdaten, die in der klinischen Routine bzw. im Alltag erhoben werden oder wurden – sogenannte Real World Data – können wesentlich dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung von Prävention bis Nachsorge zu verbessern. Real World Data sind zentrale Grundlage, um die Chancen der digitalen Transformation in der Medizin für eine bessere Gesundheitsversorgung zu nutzen. Die klinische und die private Forschung können mit Real World Data beispielsweise neue Arzneimittel, Medizintechnologien oder datenbasierte Gesundheitsanwendungen entwickeln, welche die Diagnostik verbessern oder innovative Therapien ermöglichen. Mit der Hilfe von Real World Data können Hersteller zudem Erkenntnisse gewinnen, wie Arzneimittel in der Praxis eingesetzt werden. Dafür braucht es einheitliche Regeln und einen transparenten Zugang zu Real World Data unter der Beachtung der informationellen Selbstbestimmung – auch für die forschende Gesundheitswirtschaft. Gleichzeitig ist es wichtig, ein stärkeres Bewusstsein für den Nutzen von Real World Data in Versorgung, Forschung und Entwicklung zu schaffen. Dies gelingt nur durch Transparenz und Vertrauen in die Verwendung dieser Daten unter Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Für eine zunehmend digitale Gesundheitsversorgung muss auch die private Forschung Real World Data analysieren und das Wissen patientenorientiert nutzen dürfen. Die Nutzung von Gesundheitsdaten ist hierzulande noch stark eingeschränkt – und bewegt sich im Spannungsfeld von gewünschten Innovationen und informationeller Selbstbestimmung der Bürger. Gerade jetzt, kurz vor der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ab 2021, braucht es einen politischen Schub für eine stärkere Anwendung der Daten. Warum Gesundheitsdaten so wichtig sind und welchen Mehrwert Patienten, Kostenträger, Leistungserbringer und Industrie haben, wenn sie Real World Data nutzen dürfen – über diese Fragen soll das Papier Aufschluss geben. Aus den Ergebnissen des Papiers leitet die industrielle Gesundheitswirtschaft eine zentrale Handlungsempfehlung an die Politik ab: Die Bundesregierung muss einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für die Nutzung von Gesundheitsdaten zu wissenschaftlichen Zwecken schaffen – mit Zugang der privaten Forschung zu anonymisierten oder pseudonymisierten Gesundheits- und Behandlungsdaten, um die Potenziale der Digitalisierung für den medizinischen Fortschritt zu nutzen. Entscheidend ist die Entwicklung von Datenbanken und Strukturen für die Nutzung von Real World Data unter der Berücksichtigung von europäischen Standards.
Christoph Mönnigmann | T: +49 30 2028-1570 | c.moennigmann@ifg.bdi.eu Maximilian Bettzuege | T: +49 30 2028-1721 | m.bettzuege@ifg.bdi.eu Initiative Gesundheit digital | www.bdi-gesundheit-digital.de
Wie Daten die Gesundheitsversorgung verbessern können
Inhaltsverzeichnis 1. Gesundheitsdaten als Wegbereiter für eine bessere Gesundheitsversorgung ....................... 3 2. Definition und Datenquellen........................................................................................................... 4 3. Data Journey – Gesundheitsdaten von Prävention bis Nachsorge ........................................... 5 4. Nutzen von Real World Data ........................................................................................................ 11 5. Anwendungsfälle ........................................................................................................................... 12 6. Governance und Datensicherheit ................................................................................................ 18 7. Interoperabilität von Real World Data ......................................................................................... 19 8. Fazit und Handlungsempfehlung ................................................................................................ 21 Impressum ......................................................................................................................................... 22
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Wie Daten die Gesundheitsversorgung verbessern können
1. Gesundheitsdaten als Wegbereiter für eine bessere Gesundheitsversorgung Die Digitalisierung nimmt eine Schlüsselrolle in der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens ein und ist damit ein zentraler Treiber für Innovationen in der Versorgung. Das betrifft alle Akteure: von gesunden Menschen und Patienten, Leistungserbringern, Kostenträgern bis hin zur industriellen Gesundheitswirtschaft. Die Möglichkeiten reichen von Apps direkt beim Patienten, mit denen er beispielsweise Ernährungsgewohnheiten dokumentiert und technologieunterstützt Empfehlungen erhält, bis zur Datennutzung in der Forschung und Entwicklung von Medikamenten sowie Innovationen in der Medizintechnologie. Große Chancen bietet auch eine digital unterstützte Verbesserung von Versorgungsund Behandlungsprozessen. Die aktuelle Corona-Situation zeigt, wie wichtig eine gute Datengrundlage einschließlich Real World Data und das damit verbundene Datenmanagement, Erhebungsinstrumente sowie die Nutzung von Routinedaten sind. Wie bei vielen neuen Entwicklungen, deren ganzes Ausmaß noch nicht absehbar ist, da der Veränderungsprozess weiterhin läuft, wird auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen sehr abstrakt behandelt. Befürworter und Kritiker diskutieren häufig grundsätzlich und eher nicht im Kontext von konkreten Lösungen. In Deutschland wird diese Diskussion vehement im Zusammenhang mit dem Datenschutz geführt, obgleich die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bei allem Optimierungspotenzial einen gleichzeitig konsequenten und in vielen Teilen auch innovationsoffenen Rahmen setzt. Gesundheitsdaten genießen zurecht einen besonderen Schutz, bieten aber auch besondere Chancen, die Gesunderhaltung der Menschen zu unterstützen und zu verbessern – ohne dabei die Kontrolle über die persönlichen Daten verlieren zu müssen. In einem idealtypischen digitalen Gesundheitssystem kann der einzelne Patient und Bürger Arztbesuche auch online vereinbaren und erhält Zugriff auf die Ergebnisse von Untersuchungen in seiner elektronischen Patientenakte (ePA), auf die er als einziger den vollen Zugriff hat. Auf Basis einer solchen ePA könnte er die Daten dann für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellen – anonym oder pseudonym. Letzteres mit dem Vorteil, dass individuelle Auswirkungen von Forschungsergebnissen gespiegelt und Therapien individuell angepasst werden können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bereitstellung von Daten möglichst vieler Patienten, da es sonst nicht zu belastbaren Aussagen kommt. Wenn Informationen fehlen, schadet das am Ende der Bereitstellung und Qualität individualisierter Therapien. Die BDI-Initiative Gesundheit digital hat sich zum Ziel gesetzt, die Handlungsempfehlungen der Studie „Digital Patient Journey Oncology“ 1 weiter zu verfolgen und zu vertiefen, um einem idealtypischen digitalen Gesundheitssystem näherzukommen. Das vorliegende Papier widmet sich der Nutzung von Gesundheitsdaten mit einem Fokus auf den Einsatz von Real World Data in Versorgung, Forschung und Entwicklung.
Anwendung und Nutzen von Real World Data verständlicher machen Real World Data und Real World Evidence sind in der Diskussion rund um die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die Rolle von Gesundheitsdaten vielzitierte Begriffe. Übergeordnetes Ziel des Real World Data-Projektes der Initiative ist daher, für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu sorgen. Dabei orientiert sich das Papier an folgenden Fragen: Was sind Real World Data genau? Wie ist Real World Evidence definiert? Welche Daten werden dabei konkret genutzt? Was heißt das für Bürgerinnen und Bürger, Patienten, Kostenträger, Leistungserbringer, Industrie und Politik? Neben der Beantwortung dieser Fragen soll anhand einer sogenannten Data Journey auf Basis der Digital Patient
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SKC Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) 2019, Digital Patient Journey Oncology, Link: https://bdi.eu/publikation/news/digital-patient-journey-oncology/
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Journey Oncology und detaillierten Fallbeispielen gezeigt werden, welchen Nutzen Real World Data und Real World Evidence genau haben können oder könnten, wenn die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Abgeleitet wird daraus eine zentrale Handlungsempfehlung der industriellen Gesundheitswirtschaft an die Politik.
2. Definition und Datenquellen Klar abgrenzbare Definitionen von Real World Data und Real World Evidence sowie eine Auflistung von Datenquellen existieren nicht. Aus der Vielzahl der vorhandenen Beschreibungen hat die Workshop-Gruppe daher eine möglichst handhabbare Arbeitsdefinition entwickelt. Diese beansprucht keine universelle Gültigkeit, sondern dient vielmehr als Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema. Für das vorliegende Papier wird die nachfolgende Definition verwendet: Real World Data sind Gesundheitsdaten, die in der klinischen Routine bzw. im Alltag erhoben werden oder wurden. Zentrale Aussage dieser Definition ist die deutliche Abgrenzung zu klinischen Studien, beispielsweise den häufig geforderten randomized controlled trials – RCTs. Die Datenquellen sind nicht erschöpfend darstellbar. Folgende Datenquellen werden im Zusammenhang mit Real World Data genannt: ▪ (elektronische) Patientenakten ▪ Institutionelle Krankenakten, Fallakten und regionale bzw. nationale Fachakten ▪ Behandlungs- und Abrechnungsdaten (Patienten, Leistungserbringer, Krankenhäuser) ▪ Registerdaten aus Patienten-, Krankheits- und Produktregistern ▪ Sozialdaten ▪ Kohortenstudien ▪ Patientengenerierte Daten (auch im häuslichen Umfeld), z. B. anwendungsbegleitende Daten von mobilen Geräten/Wearables/Apps ▪ Patienten- und Bevölkerungsbefragungen Für den Einsatz in Forschung und Entwicklung in der industriellen Gesundheitswirtschaft sind Register, elektronische Patientenakten (ePA), Beobachtungsstudien, Wearables, Krankenkassenabrechnungen/Krankenkassenerhebungen und Krankenhausinformationssysteme (KIS) die wichtigsten potenziellen Datenquellen, bei deren Nutzung jeweils Prozesse der Pseudonymisierung oder Anonymisierung beachtet werden müssen. Die Betrachtung des einzelnen potenziellen Verwendungszwecks gilt auch im Hinblick auf die Formulierung von Qualitätskriterien bei der Datenerhebung. Diese können nicht pauschal festgelegt werden.
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Damit Real World Data eine „glaubwürdige Quelle für wissenschaftliche Evidenz“ 2 sind, müssen die Daten „von hoher, für den jeweiligen Zweck geeigneter Qualität“ 3 sein. Entscheidend für Anforderungen an die Datenqualität ist das Ziel, welches man unter Verwendung der Daten erreichen möchte. Durch Analysen werden Real World Data zu Real World Evidence, auf deren Basis Forschung und Entwicklung stattfinden können. Im nachfolgenden Kapitel werden die Rolle und der Nutzen von Real World Data anhand des Weges eines Patienten von Prävention bis Nachsorge als sogenannte „Data Journey“ auf Basis der Digital Patient Journey Oncology beleuchtet.
3. Data Journey – Gesundheitsdaten von Prävention bis Nachsorge Die Methode einer Data Journey kann angewendet werden, um den Weg von Daten von der Erfassung bis zum Einsatz in Forschung oder Entwicklung nachzuvollziehen. Diese Perspektive wird in der nachfolgenden Data Journey auf Basis der Stationen der Digital Patient Journey Oncology um die Perspektive des Patienten als zentralem Akteur ergänzt. Ziel ist, darzustellen, an welchen Stationen der Versorgung welche Real World Data entstehen und wie diese genutzt und weiterverarbeitet werden können. Dabei handelt es sich nicht um ein strikt lineares, sondern vielmehr um ein zirkuläres Modell. So können beispielsweise Daten aus der Therapie später digitale Präventionsanwendungen unterstützen. Die Betrachtung der einzelnen Stationen orientiert sich dabei an drei Leitfragen: ▪ Welche Real World Data entstehen (u. a. durch die Nutzung digitaler Lösungen) an der jeweiligen Station? (Datenoutput) ▪ Welche Real World Data werden von digitalen Lösungen an der jeweiligen Station eingesetzt? (Dateninput) ▪ Welchen Nutzen haben Real World Data an der jeweiligen Station? Wie unterscheidet sich der Nutzen von dem an anderen Stationen? Die nachfolgenden Abschnitte zeigen gemäß der Leitfragen, welche Rolle Real World Data in den Stationen Prävention, Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge haben können und welcher Nutzen sich daraus ergibt.
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Schach, Dr. Susanne 2019: Möglichkeiten der integrativen Nutzung klinischer Studiendaten und Real World Data. Market Access & Health Policy 03/2019, S. 29 3 Ibid.
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Prävention Die Digital Patient Journey stellt den optimalen Zielzustand für den Einsatz digitaler Lösungen in der Prävention wie folgt dar: „Vermeidbare Erkrankungen und die Entstehungsmechanismen sind bekannt und werden in flächendeckenden Programmen adressiert; individuelle Risiken werden einbezogen und individuelle Verhaltensanpassungen werden entsprechend den Patientenpräferenzen digital unterstützt“.4 Dabei spielen auch Real World Data eine zentrale Rolle. In der Prävention genutzte Real World Data werden in der Regel von den Bürgern/Patienten selbst eingebracht bzw. von diesen generiert. Es handelt sich also oft um Daten von gesunden Menschen. Ein Schwerpunkt liegt bei Anwendungen im Homecare-Bereich. Dazu zählen u. a. digitale Tagebücher und andere Gesundheits-Apps (z. B. zum Tracking von Gewicht, Herzfrequenz etc.) oder sogenannte Wearables. Stellt das tragbare Gerät beispielsweise eine starke Abweichung, etwa bei der Herzfrequenz, fest, kann das Gerät den Träger mithilfe von KI und einer entsprechenden Datenbank auf Veränderungen aufmerksam machen, die Krankheiten oder Schäden zur Folge haben können. Ein weiterer Punkt ist die prädikative Mustererkennung, bei der es nicht um eine direkte Verhaltensänderung des Anwenders geht, sondern darum, mithilfe von Real World Data beispielsweise Risikogruppen auszumachen: Eine Person X mit den Faktoren Y aus der Region Z gehört zu einer Hochrisikogruppe – die Prädikation ist also in die Zukunft gerichtet.
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Der Nutzen von Real World Data in der Prävention liegt vor allem in der Gewinnung von Informationen, durch die Menschen schädliche Verhaltensweisen abstellen und/oder Anregungen zu gesundheitsförderlichem Verhalten bekommen, um Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Übergeordnetes Ziel ist die Verhinderung von Krankheiten und ein Gewinn an Lebensqualität. Die Prävention ist im Vergleich zu den anderen Stationen häufig eine Phase, in der unspezifische Daten entstehen. Besonderen Wert haben die im Rahmen von Anwendung zur Prävention gewonnenen Daten in späteren Stationen, insbesondere in der Diagnose und Therapie. So sollten Patienten zu einem späteren Zeitpunkt konkret und individuell angepasst von den von ihnen oder anderen Menschen geteilten Daten (z. B. über Apps) profitieren können – beispielsweise durch eine auf der Datenbasis individuell angepasste Therapie. Möglich wird das, wenn Daten u. a. in Apps zur freiwilligen Bereitstellung von Gesundheitsdaten (z. B. die Corona-Datenspende-App des Robert Koch-Instituts5) fließen und dort genutzt werden. Im Zuge von Präventionsmaßnahmen generierte Daten können dann in Forschung und Entwicklung Anwendung finden und einen hohen Mehrwert entwickeln.
Screening In einer digitalen Gesundheitsversorgung ist die Methode des Screenings „fest etabliert, finanziert und wird zeitnah und regelhaft mit spezifischen und sensitiven digital unterstützten Methoden umgesetzt“.6 Real World Data werden im Zuge von Screening-Maßnahmen durch die Patienten selbst oder bei ärztlich durchgeführten Maßnahmen der Sekundärprävention generiert. Beispiele für Real World Data in diesem Bereich sind Werte zu Blutdruck, Blutzucker und Herzfrequenz, aber auch medizinisch-diagnostische Bilder wie Mammografien, Koloskopien oder Fotos der Haut. Zur Strukturierung und Priorisierung von Screening-Maßnahmen lassen sich durch die Kombination von verschiedenen Gesundheitsdaten Risikoklassen bilden. Ein digitales Screening, etwa im Bereich Hautkrebs, ermöglicht eine Zuordnung zu den Risikoklassen, sodass der Patient im Fall einer Auffälligkeit einen Hinweis erhält, sich an einen Arzt zu wenden. Der Patient selbst bekommt zudem Informationen über potenzielle Krankheiten und kann sich mit anderen Risikoklassen und Patientengruppen vergleichen (z. B. Einschätzung des Risikos, an Brustkrebs zu erkranken). Individuelle Daten ermöglichen dabei auch ein individuelles Feedback. Im Rahmen der Studie Digital Patient Journey Oncology der BDI-Initiative Gesundheit digital wurde beispielsweise die Idee eines digitalen Screeners beschrieben.7 Dabei handelt es sich um ein digitales System (Patienten-App und Computerprogramm für Arztpraxen/Krankenhäuser) zur individuellen Risikobewertung und zur Erstellung eines Risikoprofils auf Grundlage von Patienten-, Lifestyle- und Untersuchungsdaten. Darin enthalten sein könnte auch eine Funktion zur Terminierung von Vorsorgeuntersuchungen. Analog zur Prävention können auch die im Zuge von Screening-Maßnahmen generierten Daten in Forschung und Entwicklung und an anderen Stationen (insbesondere Diagnose und Therapie) zum
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Robert Koch Institut (RKI) 2020, Corona-Datenspende-App: Hände waschen, Abstand halten, Daten spenden - Ihr Beitrag gegen Corona, Link: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Corona-Datenspende-allgemein.html 6 Ibid. 7 SKC Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) 2019, Digital Patient Journey Oncology, Link: https://bdi.eu/publikation/news/digital-patient-journey-oncology/, S. 76
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Einsatz kommen (zum Beispiel zur weiteren Verbesserung von Bewertungsprogrammen für Gesundheitsdaten).
Diagnostik Real World Data aus der Diagnostik lassen sich in Forschung und Entwicklung sowie an anderen Stationen (insbesondere für Therapieentscheidungen) nutzen. Das Idealbild der Digital Patient Journey Oncology beschreibt die „Anwendung einer multimodalen Diagnostik mit Methoden höchster Sensitivität und Spezifität (Bildgebung, Labor und molekulare Verfahren), lernende Systeme, die auf große evidenzbasierte Datenbanken zugreifen“. 8 Real World Data in der Diagnostik werden unmittelbar von den Patienten oder in der medizinischen Versorgung generiert. Dabei handelt es sich beispielsweise um EKG-Daten (auch aus Wearables), Blutwerte oder medizinisch-diagnostische Bilddaten. Die Untersuchungen werden in der Regel auf Basis eines Anfangsverdachts aus Prävention und Screening durchgeführt. Mittels künstlicher Intelligenz (KI), die an eine Datenbank gekoppelt ist, lassen sich im Screening Auffälligkeiten leichter feststellen und auf Veränderungen aufmerksam machen. Die Entwicklung von KI erfordert den Einsatz möglichst vieler Daten, um die dafür nötigen Algorithmen zu trainieren (z. B. für die Identifikation von oder Assoziation zu Mutationen). Ein Zugang der privaten Forschung zum Forschungsdatenzentrum ist wünschenswert, damit auch diese zur Entwicklung von KI-Lösungen beitragen kann. Der Bereich Diagnostik profitiert von allen Stationen ganz besonders von der Anwendung und Nutzung von Real World Data. Systeme zur Bewertung und Einordnung von Real World Data ermöglichen in der Diagnostik eine prädiktive Medizin, die individuelle Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Erkrankungen aufzeigt. Voraussetzung ist, Real World Data aus Prävention, Screening, Diagnostik und Therapie miteinander in Verbindung zu bringen. Des Weiteren sind Prognosen möglich, die zeigen, welche Heilungschancen bei Vorliegen einer Erkrankung unter den individuellen Voraussetzungen/Anlagen bestehen. Diese Informationen unterstützen eine informierte Entscheidung für die richtige Therapie. Ein konkretes Anwendungsgebiet ist die Ermittlung des Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen. So können bereits Daten aus Wearables mögliche EKG-Arrhythmien feststellen, um die daraus entstehenden Folgeschäden, wie zum Beispiel einen Schlaganfall, zu verhindern. In diesem Fall können digitale Lösungen Patienten, Ärzte und Angehörige warnen, um schnell die erforderlichen Schritte einzuleiten. In der Bildgebung können Algorithmen trainiert werden, bestimmte Auffälligkeiten beispielsweise auf Röntgenbildern zu erkennen.9 Um Algorithmen beizubringen, eine gesunde von einer kranken Lunge zu unterscheiden, braucht es Daten aus dem klinischen Alltag. Erst durch die Verarbeitung großer Datenmengen können zuverlässige Einschätzungen durch KI vorgenommen werden, die schon heute oft die Analysen durch Fachkräfte übertreffen.
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Ibid., S. 12 vgl. iRights e. V., Projekt ANNA – Das vernetzte Leben, Link: https://www.annasleben.de/snippet/algorithmen-und-ki-in-dermedizin-beispiele-aus-der-praxis/ 9
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Therapie Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung ermöglicht in der Therapie eine „Entscheidungsfindung mit Integration aller verfügbaren Daten und [einen] Abgleich mit dem Kollektiv und dem aktuellen wissenschaftlichen Standard“10 über die Sektorengrenzen hinweg. Eine entscheidende Rolle spielt an dieser Stelle die Mustererkennung mit Unterstützung von Real World Data, mit der sich beispielsweise Risikogruppen einteilen lassen. Vereinfacht gesagt, stellt sich dem Arzt die Frage, welche „Blume“ aus dem „Blumenstrauß“ der möglichen Therapien/Medikamente gibt er dem Patienten? Die Mustererkennung mithilfe von Real World Data liefert beispielsweise einen Erkenntnisgewinn, dass bei derselben Krankheit Medikament A besonders gut bei Diabetikern wirkt, Medikament B hingegen besonders gut bei Rauchern. Im Vergleich zum Screening und zur Diagnostik stammen die Daten vielfach aus Untersuchungen mit Geräten aus einer höheren Risikoklasse für Medizinprodukte. Für den Patienten verspricht die Auswertung dieser Daten die Möglichkeit einer personalisierten Medizin mit besserer Wirksamkeit, höheren Ansprechraten und besserer Verträglichkeit. Real World Data, die in der Therapie zur Anwendung kommen, sind zum einen alle Real World Data aus der Diagnostik, aber auch die Daten aus der Patientenhistorie, wie z. B. Screening-Daten und Daten aus der Prävention. Real World Data-gestützte digitale Lösungen ermöglichen in der Therapie die Überwachung des Therapieverlaufs und damit zeitnah notwendige Therapieanpassungen sowie eine bessere Therapietreue/Adhärenz. Sie fördern somit eine hohe therapeutische Konsequenz (zum Beispiel bei der Behandlung von Diabetes). Ein laufendes Monitoring minimiert Nebenwirkungen und reduziert Kosten sowie die Einnahme von ungeeigneten Medikamenten. Anwendungsbeispiele für Real World Data-gestützte Lösungen in der Therapie sind digitale Therapiebegleiter, die auf Basis der kontinuierlichen Messung eine Therapiesteuerung bei Diabeteserkrankungen vornehmen (u. a. Insulinpumpe). Die Überwachung von Therapieeffekten und -nebenwirkungen kann gerade in der Onkologie einen entscheidenden Beitrag für die Patienten leisten. So kann durch die Auswertung von Therapie-Daten das Bild aus klinischen Studien ergänzt werden.
Nachsorge In der Nachsorge unterstützen digitale Lösungen ein „optimales individuelles Nachsorgeangebot inklusive wohnortnaher Versorgung mit telemedizinischer Unterstützung“. Darüber hinaus lernen „die Beteiligten und das System [aus den individuellen Verlaufsdaten] über die Erkrankung“. 11 Die Gewinnung von Real World Data in der Nachsorge hängt von der individuellen Notwendigkeit eines Monitorings je nach Krankheit und den dabei eingesetzten digitalen Lösungen ab. Beispiele für deren Nutzung sind die Anwendung in Coaching oder Telemedizin. Ziel ist immer die Unterstützung der Rehabilitation. Das heißt konkret: Aufzeichnung und Monitoring von Langzeitfolgen und Dauerbelastung nach Therapien („ICF12-konforme RWD“), Hilfestellungen zum Umgang mit diesen sowie durch klarere Datenlage eine einfachere Beantragung von Leistungen.
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SKC Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) 2019, Digital Patient Journey Oncology, Link: https://bdi.eu/publikation/news/digital-patient-journey-oncology/, S. 12 11 Ibid. 12 International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), Link: https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icf/
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In Anlehnung an Screening-Maßnahmen kann auch in der Nachsorge eine Stratifizierung auf Basis von Real World Data erfolgen, um zu ermitteln, welche Patienten engmaschig und welche weniger oft kontrolliert werden sollten. Durch das laufende Monitoring können Ärzte ihre Unterstützung bei der Nachsorge individuell ausrichten. Für betroffene Patienten bedeutet das in der Regel mehr und zielgerichtetere Unterstützung durch den Arzt und für das Gesundheitssystem ein effizienter Einsatz der begrenzten Ressourcen. So lassen sich beispielsweise Grenzwerte für eine Intervention festlegen (z. B. Quickwerte oder Blutspiegel von Medikamenten). Auch eine mögliche Nicht-Einhaltung von Verordnungen kann Angehörigen oder Ärzten (natürlich nur nach Einwilligung des Patienten) mitgeteilt werden. Real World Data, die aus Nachsorge-Maßnahmen hervorgehen, sind in Forschung und Entwicklung sowie bei anderen Stationen des Weges eines Patienten (vor allem in der Therapie bei Rückfällen und der Prävention) verwendbar. Nach der Betrachtung der Rolle von Real World Data in den einzelnen Stationen des Patienten von Prävention bis Nachsorge – der sogenannten Patient Journey – wird im nächsten Abschnitt daraus der Nutzen der Daten aus dem Alltag abgeleitet.
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4. Nutzen von Real World Data Welchen Mehrwert haben Bürger/Patienten, Kostenträger, Leistungserbringer und Industrie, wenn sie anonymisierte/pseudonymisierte Gesundheitsdaten aus dem Versorgungsalltag nutzen können? Gesundheitsdaten, die in der klinischen Routine bzw. im Alltag erhoben werden oder wurden – Real World Data – bilden eine zentrale Grundlage, um die Chancen der digitalen Transformation in der Medizin für eine bessere Gesundheitsversorgung zu nutzen. Eine individuell ausgerichtete Gesundheitsversorgung gelingt nur mit einem engen, fortlaufenden Austausch von Daten zwischen Versorgung und Forschung und deren zielgerichteter Auswertung. Real World Data lassen sich – richtig eingesetzt – unter anderem für eine Verbesserung der Diagnostik und der Therapieergebnisse verwenden. Der Nutzen und Mehrwert von Real World Data lassen sich unter folgenden Punkten zusammenfassen: Mündiger Patient: Real World Data fördern die (digitale) Mündigkeit von Patienten, also die Fähigkeit, eigenverantwortlich mit den eigenen Daten umzugehen und davon im täglichen Leben zu profitieren. Sie fordern Patienten dazu auf, ihre (digitale) Mündigkeit im Gesundheitsbereich wahrzunehmen. Dies erhöht die Patientensouveränität und trägt maßgeblich zur Patientensicherheit bei. Daten teilen: Das freiwillige Teilen bzw. das Zurverfügungstellen von Real World Data kann eine lebensrettende und lebensverbessernde Maßnahme sein – mit einem Mehrwert für die breite Bevölkerung und nachfolgende Generationen. Mustererkennung: Real World Data ermöglichen es, Hinweise auf den Krankheitsverlauf zu identifizieren, um Prävention, Früherkennung und Therapieplanung daran auszurichten. Wahrscheinlichkeiten: Für bestimmte Gruppen lassen sich anhand von Real World Data Wahrscheinlichkeiten, etwa für Krankheitsverläufe und zu erwartende Therapieerfolge, leichter beziffern. Dies erhöht außerdem die Effizienz klinischer Forschung mit dem Vorteil einer schnelleren Entwicklung von innovativen Medikamenten. Real World Data helfen zudem, zusätzliche Evidenz zu generieren. Tempo: Real World Data ermöglichen eine schnellere Beantwortung von therapieentscheidenden Fragen. In Kombination mit dem Punkt Mustererkennung würde in epidemiologischen Herausforderungen, wie der aktuellen Corona-Pandemie, der Prozess der Datenkonsolidierung die Grundlagen für eine effiziente Zusammenarbeit in Krisenzeiten schaffen. Bestmöglicher Ansatz für die Behandlung: Durch Real World Data lassen sich aufgrund verbesserter Datengrundlage in der Behandlung individualisierte Ansätze mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit einbeziehen – dazu gehört die Verwendung von Daten gesunder und erkrankter Patienten. Eine erfolgreiche Behandlung mit der ersten Therapie nach der Diagnose (Erstlinientherapie) reduziert zudem den Einsatz von für Patienten unerwünschten und teuren weiteren Therapielinien.
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5. Anwendungsfälle Die Data Journey hat die Rolle von Real World Data von Prävention bis Nachsorge analysiert. Daraus konnte der Nutzen der Daten anhand sechs zentraler Punkte festgemacht werden. Nachfolgend werden diese beiden Perspektiven anhand von konkreten Beispielen zusammengeführt. Beispiel 1: Real World Data in klinischen Studien (Nutzung von Daten aus Therapie/Nachsorge)
I. Kurzbeschreibung In traditionellen klinischen Studien werden – sehr vereinfacht – Patienten in zwei Gruppen eingeteilt: Die einen bekommen das neue, potenziell bessere Medikament, die anderen (der „Kontrollarm“) die Standardtherapie, sofern diese vorhanden ist. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, für die es bislang keine befriedigende Therapie gibt, ist es ethisch fragwürdig, Patienten einer Kontrollgruppe zuzuweisen und ihnen damit die Chance auf eine neue Therapieoption zu versagen. Lässt sich diese Kontrollgruppe durch Real World Data ersetzen, sodass alle Patienten in der Studie von Beginn an das neue Medikament bekommen können, ist das ein deutlicher Vorteil, der zudem die Effizienz der klinischen Forschung erhöht. Diese Daten gibt es beispielsweise in Krankenakten von Patienten, die mit aktuellen Therapien behandelt werden. Um nun sicherzustellen, dass man auch wirklich vergleichbare Patienten vergleicht, wendet man statistische Verfahren an, die die Eigenschaften der Real-World-Data-Patienten mit den Studienpatienten abgleichen. Das geht nur, wenn man die Variablen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen (z. B. Alter, Begleiterkrankungen etc.), für die Real-World-Data-Patienten kennt. Das Verfahren wurde bereits mehrfach (z. B. bei Krebsstudien in den USA) angewendet und wird von verschiedenen Behörden weltweit anerkannt. Damit ein Vergleich gelingt, ist es bei Real-World-Data-Patienten wichtig, trotz unterschiedlicher Bedingungen Rückschlüsse auf einen ähnlichen Krankheitsverlauf ziehen zu können, um den Erfolg der Therapie zu maximieren. Dieses Beispiel zeigt, wie Real World Data zur Entwicklung neuer Therapien und dadurch zur Senkung der Kosten bei Steigerung der Effizienz beitragen.
II. Innovationshindernisse und Empfehlungen an die Politik Um das Potenzial von Real World Data für den medizinischen Fortschritt zu nutzen, sind einheitliche Standards bezüglich Datenqualität sowie die Anwendung adäquater Validierungsmethoden notwendig – und eine Infrastruktur, die die Vernetzung und den Austausch von Daten zu wissenschaftlichen Zwecken überhaupt ermöglicht. Dazu zählt unter anderem die Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechtsrahmens für die Nutzung von Patientendaten zu wissenschaftlichen Zwecken – mit der Möglichkeit des Zugangs zur Datennutzung auch für die private Forschung. Das Antragsrecht der Industrie zu anonymisierten oder pseudonymisierten Gesundheits- und Behandlungsdaten ist ein zentraler Schlüssel, um die Potenziale der Digitalisierung zu nutzen.
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Beispiel 2: Medizintechnik, Strahlentherapie (Nutzung von Daten aus Diagnostik/Therapie)
I. Kurzbeschreibung Bestrahlungspläne in der onkologischen Therapie werden nicht mehr ausschließlich auf der Basis des Know-hows und der Erfahrung des Physikers bzw. der technischen Möglichkeiten der Bestrahlungssoftware erstellt. In der Strahlentherapie fallen eine Vielfalt von multimodalen Bilddaten sowie klinischen, biologischen und physikalischen Daten an, deren Potenzial sich mit traditionellen Methoden nicht den aktuellen Möglichkeiten entsprechend nutzen lässt. Hier bietet die Einbeziehung von KIunterstützten Anwendungen und eine Rückkopplung des klinischen „outcomes“ (z. B. über patient reported outcome measures, PROMS) ein großes Potenzial, den medizinischen Ablauf zu erleichtern, zu verbessern und das therapeutische Vorgehen zu optimieren. Real World Data sind im Rahmen der Anwendungen künstlicher Intelligenz von hoher Bedeutung, da es sich im Bereich der Strahlentherapie häufig um seltenere Erkrankungen handelt, bei denen nur Studien mit kleinen Patientenzahlen mit oft widersprüchlichen Ergebnissen vorliegen. Um valide Erkenntnisse und standardisierte Therapieverfahren zu etablieren, ist es jedoch nötig, eine umfangreiche Kohorte (mittels Real World Data z. B. im Rahmen von Registern) und damit auch große Mengen von Bilddaten in Verbindung mit den klinischonkologischen Daten zu untersuchen. Dazu wäre es von Bedeutung, entweder den onkologischen Basisdatensatz der klinischen Krebsregister (§65c SGB V) um prä- und postoperative Bilddaten sowie detaillierte Informationen des Bestrahlungsplans auszuweiten oder die gesamten Behandlungsdaten in die ePA zu integrieren. Die Erhebung und Zusammenführung von Real World Data (z. B. über Register oder durch die Kombination verschiedener Quellen) bietet zudem die Möglichkeit einer besseren Vergleichbarkeit der Qualität therapeutischer Verfahren zwischen den Kliniken und damit die Chance auf eine Minimierung der oftmals hohen Variabilität in der Strahlentherapie. Ziel ist hierbei ebenfalls die Verbesserung der medizinischen Qualität und eine bestmögliche Behandlung für den Patienten. Auch von der Unterstützung der interdisziplinären Zusammenarbeit der Mediziner und einem guten Datenzugang im Rahmen von Registern profitiert letztlich der Patient. Eine Optimierung des therapeutischen Vorgehens vermindert zudem für den Patienten unnötige und teure Medikationen und Eingriffe.
II. Innovationshindernisse und Empfehlungen an die Politik Ein erster Schritt zur Nutzung von Real World Data mittels eines Registers ist bereits erfolgt, sodass sich Datensätze – wie etwa das Landeskrebsregister – in ein nationales Register überführen lassen. Der Basisdatensatz für die Tumordokumentation bietet eine gute Grundlage für internationale oder europaweite Kooperation.13 Das Ziel des Basisdatensatzes ist wie folgt definiert: „Der einheitliche onkologische Basisdatensatz soll dazu dienen, einen homogenen onkologischen Standard zu etablieren, Mehrfachdokumentationen zu verhindern und in allen Bundesländern und klinischen Strukturen eine vergleichbare Erfassung und Auswertung von Krebsbehandlungen zu ermöglichen.“ 14 Dies umfasst die bundesweite Vorgabe, medizinische Informationen analog diesem
„Um deutschlandweit Meldungen zu der Diagnose, der Therapie, dem Verlauf und der Nachsorge nach dem gleichen Schema für weitergehende Auswertungen zusammenführen und analysieren zu können, ist der zu meldende Datensatz bundeseinheitlich festgelegt.“ Quelle: Hessisches Krebsregister: https://hessisches-krebsregister.de/meldende/tumordokumentation-der-meldungen/basisdatensatz-fuer-die-tumordokumentation/ 14 Ibid. 13
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Basisdatensatz zu erheben.15 „Er gilt für alle Krebsarten und wird fortlaufend um organspezifische Module ergänzt.“16 Die Politik ist an dieser Stelle gefordert, sich zu den Standards (Semantik und Interoperabilität) auf internationaler Ebene oder zumindest in der EU abzustimmen und den dafür erforderlichen gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Darüber hinaus muss der Gesetzgeber die Zugriffs- und Auswertungsrechte zugunsten der Anwender regeln. Zur Zusammenführung der Daten werden außerdem Harmonisierungsvorschriften zur einheitlichen Kodierung und Dokumentation benötigt. Neben der ungeklärten Frage, welche Institution das Register führen könnte, muss auch eine Lösung für eine gemeinschaftliche Finanzierung entwickelt werden. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, auch für die Gesundheitsindustrie eine Möglichkeit zu schaffen, Daten aus dem Versorgungsalltag zu analysieren und das Wissen zu nutzen. Die Politik muss vor allem die Vernetzung von Forschung und Versorgung stärker fördern, die Innovationen, Wertschöpfung und damit den Wohlstand sichert.
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Ibid. Ibid.
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Beispiel 3: Real World Data in epidemiologischen Fragestellungen (Nutzung von Daten aus Prävention) I. Kurzbeschreibung Real World Data werfen in einem digitalen Studiensetting – etwa über Telemonitoring – neben der Frage der technischen Lösung datenschutzrelevante Themenkomplexe auf. Die Corona-Warn-App, welche die Verfolgung von Annäherungen über Smartphones ermöglicht, um Kontakte bei Virusträgern über Expositionsrisiken zu informieren, ist ein Beispiel für die Abwägung zwischen Datenschutz und Zweckbestimmung. Die Zusammenarbeit einer Vielzahl von Experten aus Wissenschaft, Politik und Industrie trug zum Gelingen des Projekts bei. Es zeigte sich, dass durch öffentlichen Diskurs die Akzeptanz der WarnApp erhöht und die Nutzung in relevantem Ausmaß gefördert wird. Die Freiwilligkeit der Nutzung stellte eine maßgebliche Voraussetzung für das Projekt dar. Real World Data können in epidemiologischen Fragestellungen einen entscheidenden Beitrag zu einer schnelleren Risiko-Nutzen-Abschätzung liefern. Die z. B. durch eine App freiwillig und selbstbestimmt übermittelten und gesammelten Daten können für eine erste Bewertung von Hypothesen nützlich sein und erste Hinweise über medizinische Zusammenhänge liefern. Ein standardisierter Aufbau von Registern reduziert Kosten und ermöglicht Synergien in Erhebung, Validierung und Prozessgüte. Ziel ist eine Real-World-Data-Erfassung in enger europäischer Zusammenarbeit, um die sich aus den Umfragen ergebenden Erkenntnisse sowohl länderübergreifend zu analysieren als auch gemeinsam zu nutzen. So soll das Know-how innerhalb der EU effizient und zielgerichtet – z. B. zum Zweck einer verbesserten länderübergreifenden Reaktionsfähigkeit im Krisenfall – gebündelt werden. Es braucht eine interoperabel gestaltete IT-Struktur, die internationale und insbesondere europäische Standards für technische Normen sowie gemeinsame Datenstrukturen und Dokumentationswege anwendet. Unter Berücksichtigung der in der EU geltenden Werte, Normen und Gesetze kann eine europaweite Lösung nach DSGVO erfolgen.
II. Innovationshindernisse und Empfehlungen an die Politik Grenzüberschreitende Datenauswertungen im gemeinsamen europäischen Gesundheitsdatenraum sind eine Voraussetzung für Innovationen durch die Nutzung von Real World Data. Politische Priorität muss jetzt der Aufbau eines European Health Data Space (EHDS) haben. Beantwortet werden muss die Frage nach einer zentralen oder dezentralen Speicherung der Daten. Voraussetzung ist in jedem Fall die Anschlussfähigkeit des deutschen Forschungsdatenzentrums an einen europäischen Datenraum. Notwendig sind darüber hinaus Vorgaben für den Einsatz von KI und die Möglichkeit, Forschungsanstrengungen zu validierten Best Practice-Ansätzen im Zusammenhang mit Real World Data zu intensivieren. Das Beispiel verdeutlicht, wie wichtig eine gesellschaftliche Diskussion zu öffentlichen und privaten Forschungs- und Lösungsansätzen ist. Nur so gelingt es, Vertrauen und Verständnis für die Datennutzung in der Bevölkerung zu stärken, um einen breiten Konsens, der gesellschaftlichen Rückhalt besitzt, zu erreichen. Transparenz darüber, wer welche Daten wofür verwendet, schafft Vertrauen.
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Beispiel 4: Real World Data in der Versorgungsforschung (Nutzung von Daten aus Prävention, Diagnose, Therapie) I. Kurzbeschreibung Im Rahmen der Versorgungsforschung spielen Real World Data eine wichtige Rolle, um Patientenpopulationen, Behandlungspfade und die Wirksamkeit von Pharmazeutika im Versorgungsalltag zu analysieren. Die Datenbasis für Versorgungsforschungsstudien bilden oft die Routinedaten der Krankenkassen, da diese einen ganzheitlichen Einblick in das Versorgungsgeschehen geben. Zudem haben sie einen großen Stichprobenumfang. Beides führt zu einer hohen externen Validität. Außerdem können die Daten im Vergleich zu Primärdatenerhebungen relativ kostengünstig analysiert werden. Allerdings werden die Daten für Abrechnungszwecke erhoben und beinhalten nicht zwangsläufig alle zur Beantwortung einer bestimmten Fragestellung relevanten Informationen. Die Routinedaten enthalten zwar Informationen darüber, ob ein Labortest oder ein bildgebendes Verfahren angeordnet und durchgeführt wurde; die Ergebnisse der Tests sind aber nicht im Datensatz enthalten. Dies stellt die Versorgungsforschung bei vielen Fragestellungen vor Herausforderungen. So hängen die Heilungs- und Überlebenschancen von Brustkrebspatientinnen u. a. von der Form des Brustkrebses, also von der Genmutation oder dem Hormonrezeptorstatus, ab. Dies hat auch einen Einfluss auf Behandlungspfade und Behandlungserfolge. Die Form des Brustkrebses lässt sich aufgrund fehlender Labortestergebnisse nicht aus den Abrechnungsdaten ableiten. Dafür werden zurzeit aufwendige Linkage-Studien17 oder die Einbindung von Proxies 18 benötigt. Ein weiteres Beispiel ist die ambulant erworbene Lungenentzündung (Community Acquired Pneumonia, CAP). Die Versorgungsforschung soll hier zum Beispiel Fragen zu Impfdurchbrüchen und der Effektivität der Impfstoffe im Versorgungsalltag beantworten. Mangels der Ergebnisse von Labortests und Röntgenbildern können Pneumonien in den Routinedaten nicht in „impfpräventabel“ oder „nicht impfpräventabel“ klassifiziert werden. Außerdem enthalten die Routinedaten zwar Informationen zum Impfstatus, der verwendete Impfstoff lässt sich aber nicht identifizieren, was z. B. Aussagen zur Effektivität basierend auf diesen Daten schwierig bis unmöglich macht. Im Bereich der Seltenen Erkrankungen ist der Diagnoseprozess und Leidensweg der Patienten oft lang. Aufgrund von Datenschutzrichtlinien sind die Routinedaten vielfach nur für einen Zeitraum von sechs Jahren verfügbar. Dies schränkt die Analyse der Diagnosepfade und das Erkennen von Mustern in der Patientenanamnese deutlich ein. Außerdem gibt es für viele Seltene Erkrankungen keine klare ICD-10-Kodierung19, was zu Unsicherheit in der Identifizierung von Patienten führt, die nur durch aufwendige Sensitivitätsanalysen verringert werden können. Hier können elektronische Patientendaten die Versorgungsforschung bereichern. Die gewonnenen Erkenntnisse aus diesen Studien können dazu beitragen, den Diagnoseprozess mit Hilfe von KI zu verbessern.
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Im Rahmen von Linkage-Studien können Routinedaten über Methoden der KI mit klinischen und Befragungsdaten verknüpft werden. Dieser Prozess ist sehr aufwendig und weist hohe Anforderungen an den personenbezogenen Datenschutz auf, da individuelle Patientendaten aus primären Erhebungen mit anonymisierten Abrechnungsdaten zusammengeführt werden. 18
Proxies sind Variablen, die stellvertretend für die nicht beobachtbare bzw. nicht zu beobachtende Variable genutzt werden. Beispielsweise ist die Intelligenz eines Menschen nicht messbar, in Untersuchungen werden aber z. B. der Bildungsabschluss oder der IQ als Proxy verwendet. 19 https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/anwendung/
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II. Innovationshindernisse und Empfehlungen an die Politik Routinedatenanalysen bilden eine gute Basis, um Erkenntnisse zum Versorgungsalltag zu gewinnen. Da diese Daten allerdings für andere Zwecke erhoben worden sind, lassen sich viele Fragen nicht ausreichend beantworten. Hier ist ein erweiterter Datenzugang zu anonymisierten Patientendaten, die sowohl Gesundheits- als auch Behandlungsdaten inklusive Ergebnisse von Diagnoseverfahren beinhalten, wichtig. Ein erster Schritt soll mit der geplanten Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) gemacht werden. Diese Daten müssen in aufbereiteter und anonymisierter Form der akademischen und privatwirtschaftlichen Versorgungsforschung zur Verfügung gestellt werden, um die Versorgung realistischer abbilden zu können. Damit kann die Gesundheitsversorgung für alle verbessert werden. Insbesondere können aber auch ganz gezielt die Versorgung und Diagnosemöglichkeiten von besonders gefährdeten Patientengruppen – z. B. durch den Einsatz von KI basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen – verbessert werden.
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6. Governance und Datensicherheit Datenschutz oder Gesundheit? Diese Frage stellte ein Kommentar in einer der führenden deutschen Tageszeitung im März dieses Jahres.20 Real World Data zeigen, dass Datenschutz und Gesundheit zwei Seiten einer Medaille sind, will man Daten zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung nutzen. Damit Patienten, Leistungserbringer, die medizinische Forschung und Kostenträger von diesen Möglichkeiten der Nutzung von Real World Data profitieren, braucht es Strukturen, Regelungen und Prozesse, die eine effiziente, qualitativ hochwertige und vor allem auch sichere Nutzung sowie Speicherung der Daten ermöglichen. Das Zusammenspiel von Strukturen, Regelungen und Prozessen lässt sich unter dem Begriff Governance zusammenfassen. Mit dem Forschungsdatenzentrum gemäß dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) sollen Gesundheitsdaten der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland in Zukunft nun in aggregierter und anonymisierter Form für Forschung und Entwicklung bereitgestellt und aufbereitet werden. Dabei ist eine Zweiteilung zwischen dem eigentlichen Forschungsdatenzentrum, an das die Krankenkassen ihre Daten übermitteln, und einer Vertrauensstelle für die Verwaltung der Pseudonyme vorgesehen. Während das Forschungsdatenzentrum beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt werden soll, fungiert das Robert Koch-Institut (RKI) als Vertrauensstelle.21 Eine weitere wichtige Entwicklung ist die Einführung einer freiwilligen Bereitstellung von Daten für Forschungszwecke über die elektronische Patientenakte mit dem Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG). 22 Auf europäischer Ebene plant die Europäische Kommission die Etablierung eines gemeinsamen europäischen Gesundheitsdatenraumes zur Vernetzung nationaler Systeme zur Speicherung und Nutzung von Gesundheitsdaten.
Forschungsdatenzentrum als Governance-Struktur weiterentwickeln und ergänzen Diese Entwicklungen sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Gleichzeitig schließen die vorgesehenen Strukturen insbesondere im Hinblick auf das Forschungsdatenzentrum die Industrie als wichtige Säule der medizinischen Forschung vom Kreis der Nutzungsberechtigten aus. Der Einsatz von Real World Data scheitert in einer rein staatlichen Lösung zudem an der Abbildung der Diversität der Datenquellen und der beteiligten Akteure. So fließen nach den aktuellen Plänen in das Forschungsdatenzentrum ausschließlich die Versorgungsdaten der Krankenkassen ein, ergänzt durch die freiwillige Bereitstellung von Daten über die ePA. Um Real World Data in den einzelnen Stationen des Weges eines Patienten von Prävention bis Nachsorge sowie in Forschung und Entwicklung zu nutzen und deren Diversität auch organisatorisch abzubilden, sollte das Forschungsdatenzentrum weiterentwickelt und ergänzt werden. Dadurch ließen sich eigene Datenbanken, beispielsweise von Forschungsverbünden, mit möglichst detaillierter Einwilligung der Patienten aufbauen. So könnten auch Daten außerhalb der medizinischen Versorgung in Forschungsprojekte einfließen. Die Vernetzung sollte dabei über eine unabhängige Vertrauensstelle
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Virusdaten, Link: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/coronavirus-daten-datenschutz-oder-gesundheit-16685470.html 21 Siehe Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) vom 9. Dezember 2019 (BGBl 2019 Teil I Nr. 49) und Verordnung zur Neufassung der Datentransparenzverordnung und zur Änderung der Datentransparenz-Gebührenverordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl 2020Teil I Nr. 29) 22 Bundesministerium für Gesundheit, Patientendaten-Schutz-Gesetz, Link: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/patientendaten-schutz-gesetz.html [06.08.2020]
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erfolgen, um eine parallele Struktur einzelner Datensilos zu vermeiden und einheitliche Sicherheitsstandards herzustellen.23 Das Zielbild ist eine Governance-Struktur, die dezentrale Datenbanken und Strukturen berücksichtigt. Maßstab sollten dabei europäische Standards für technische Normen sowie gemeinsame Datenstrukturen und Dokumentationswege auch mit Blick auf die Anschlussfähigkeit an den European Health Data Space (EHDS) sein. Neben den bestehenden rechtlichen Bestimmungen kann ein (europäischer) Code of Conduct für die Nutzung von Gesundheitsdaten Orientierung für die Governance-Struktur geben und gleichzeitig Transparenz gegenüber den Patienten sowie Anwendern bieten. Vor diesem Hintergrund wäre es zentral für den Patienten, den Zugriff auf seine Daten lückenlos nachverfolgen zu können, wie es beispielsweise in Dänemark bereits möglich ist. Dies bietet den Vorteil, dass der Patient, der die Nutzung seiner Daten erlaubt, genau nachvollziehen kann, was mit den Daten wo geschieht und wer genau darauf zugreift („trust by design“). Das daraus gewonnene Vertrauen ist ein wichtiger Faktor für eine höhere Akzeptanz der Datennutzung. Faktenbox 1 auf der nächsten Seite zeigt weitere Beispiele für die Rolle von Real World Data in anderen europäischen Ländern, von denen Deutschland lernen kann.
7. Interoperabilität von Real World Data Damit die Daten aus der medizinischen Versorgung und dem persönlichen Umfeld der Patienten wirklich genutzt werden können, müssen diese spätestens bei der Übermittlung in das Forschungsdatenzentrum in eine einheitliche Semantik und ein definiertes Format gebracht werden. Für die Semantik müssen internationale Terminologien und Wertetabellen definiert und deren Anwendung schon während des Weges der Patienten von Prävention bis Nachsorge von allen Akteuren eingefordert werden. Beispiele sind hierbei Terminologien wie SNOMED CT, LOINC sowie Klassifikationen wie der ICD-10oder der ICPM-Code.24 Um die tatsächliche Nutzung dieser semantisch korrekt annotierten Daten auch technisch zu ermöglichen, müssen diese in ein einheitliches Format gebracht werden. Derzeit etabliert sich hierfür weltweit der HL725-Standard FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources), der über Profilierungen an die nationalen Gegebenheiten angepasst werden kann und dann hochstrukturierte Schnittstellen zur Speicherung und Abfrage der Daten bereitstellt. FHIR wird auch in Deutschland bereits genutzt. So spezifiziert beispielsweise die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) derzeit ihre Medizinische Informationsobjekte (MIO) bereits in FHIR.
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Die BDI-Initiative Gesundheit digital setzt sich bereits seit 2018 für eine Trust Center-Lösung bei der Nutzung von Gesundheitsdaten ein: BDI-Initiative Gesundheit digital 2018, Nutzung von Gesundheitsdaten: Brauchen wir ein Trust Center? Link: https://bdi.eu/media/user_upload/201812_Position_Nutzung_von_Gesundheitsdaten.pdf 24 Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms (SNOMED); Logical Observation Identifiers Names and Codes (LOINC); International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD); International Classification of Procedures in Medicine (ICPM). 25 Health Level Seven International (HL7)
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Faktenbox 1: Welche Rolle spielen Real World Data in anderen europäischen Ländern? Während in Deutschland aktuell ein kompliziertes Opt-in-Verfahren für die Nutzung von Gesundheitsdaten (Teile ich die Daten? Wem gebe ich sie? In welcher Form, wie detailliert? Stelle ich sie auch der Forschung zur Verfügung?) vorherrscht, werden Gesundheitsdaten in anderen europäischen Ländern bereits umfassend und im Einklang mit der DSGVO eingesetzt.
Findata Die finnische Daten-Genehmigungsbehörde Findata erteilt Genehmigungen zur Zweitverwertung von Gesundheits- und Sozialdaten in folgenden Fällen: ▪ Daten verschiedener Institutionen/Datenverwender werden kombiniert. ▪ Die Registerdaten stammen aus öffentlichen und privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge und der Gesundheitsdienstleistungsanbieter. ▪ Die Daten sind in „Kanta services” gespeichert – Kanta bietet digitale Serviceleistungen in der sozialen Fürsorge und im Gesundheitssektor an (von der elektronischen Rezeptausstellung sowie einer Arzneimitteldatenbank bis hin zu einer elektronischen Patientenakte).
Dänisches Nationales Patientenregister Das Dänische Nationale Patientenregister (LPR) enthält Informationen darüber, wie oft eine Person Krankenhausdienstleistungen in Dänemark in Anspruch genommen hat, etwa in Form von Untersuchungen oder Behandlungen. Diese Daten werden im Nationalen Patientenregister erhoben und von der dänischen Gesundheitsbehörde verwaltet. Sie geben Aufschluss darüber, wann und wo ein Patient aufgenommen worden ist und welche Diagnosen, Untersuchungen, Behandlungen, Operationen etc. erfolgt sind. Über den wissenschaftlichen Dienst können Forscher Zugang zu den Daten erhalten – entweder im sicheren Umfeld der „Research Machine“ oder indem Datenauszüge beantragt werden, die direkt an den Forscher geliefert werden. Um sich für einen Datenzugang zu bewerben, müssen folgende Anforderungen erfüllt sein: Eine Projektbeschreibung samt einer ausführlichen Anlage, aus der hervorgeht, für welche Daten, Variablen, Populationen und für welchen Zeitraum die Bewerbung ist. Darüber hinaus muss die dänische Datenschutzbehörde dem Forschungsprojekt zustimmen – diese Zustimmung muss im Antrag zum Datenzugang bereits enthalten sein. Ist im Forschungsprojekt der direkte Kontakt zu Menschen oder menschlichem biologischen Material geplant, muss außerdem das dänische Nationale Komitee für Ethik in der Gesundheitsforschung das Projekt genehmigen.
Die Beispiele aus Finnland und Dänemark zeigen, dass ein DSGVO-konformer Einsatz von Real World Data in Forschung und Entwicklung mit den richtigen Governance-Strukturen möglich ist. Um daraus Handlungsempfehlungen für Deutschland abzuleiten, bedarf es einer weiteren Analyse der Ansätze anderer europäischer Länder.
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8. Fazit und Handlungsempfehlung Real World Data können die Gesundheitsversorgung von Prävention bis Nachsorge verbessern. In der Forschung leisten sie einen Beitrag zur Entwicklung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte. Im Papier skizzierte Anwendungsbeispiele für Real World Data sind ihr Einsatz als Kontrollarm in klinischen Studien, Strahlentherapien und epidemiologischen Fragestellungen. Aufgrund der Diversität der Datenquellen ist auch in vielen weiteren Bereichen ein Nutzen denkbar. Der Nutzen von Real World Data ist vielfältig: Gesundheitsdaten, die in der klinischen Routine bzw. im Alltag erhoben werden oder wurden, unterstützen Bürger und Patienten, Entscheidungen selbstbestimmt und mündig zu treffen. Die freiwillige Bereitstellung von Real World Data kann durch bessere und individuellere Therapien eine lebensrettende und lebensverbessernde Maßnahme sein. Die Daten ermöglichen eine Entscheidung für den bestmöglichen Therapieansatz. Sie sind darüber hinaus Grundlage für Mustererkennungen, die Hinweise auf Krankheitsentstehungsmechanismen und damit Ansätze für Entwicklung neuer Therapieoptionen liefern. Real World Data ermöglichen die Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten für Krankheitsverläufe für bestimmte Gruppen und ein höheres Tempo in der Beantwortung von therapieentscheidenden Fragen. Die einzelnen Anwendungsfelder von Real World Data gilt es in weiteren Papieren – beispielsweise im Vergleich bzw. als Ergänzung zu klinischen Studien – weiter zu untersuchen. Zentrale Aufgabe für die Akteure des Gesundheitswesens und der Politik ist es nun, die entsprechenden Governance-Strukturen – d. h. Institutionen, Regelungen und Prozesse – aufzubauen und weiterzuentwickeln, damit sich der Nutzen von Real World Data tatsächlich realisieren lässt. Bereits geplante Strukturen, wie das Forschungsdatenzentrum nach dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), bieten eine gute Ausgangsbasis, müssen aber angepasst werden. Andere Staaten, wie die oben genannten Beispiele Dänemark oder Finnland, machen vor, wie eine Struktur für eine stärkere Datennutzung auch hierzulande gelingen könnte. Mit der Einrichtung des Forschungsdatenzentrums hat die Bundesregierung ein Zeichen gesetzt, dass Gesundheitsdaten einen wichtigen Beitrag für die Verhinderung und Behandlung von Krankheiten leisten können. Jetzt müssen diese Strukturen auch für ein breites Spektrum an Daten ausgebaut werden. Dafür bedarf es eines bundeseinheitlichen Rechtsrahmens für die Nutzung von Gesundheitsdaten zu wissenschaftlichen Zwecken – auch für die privatwirtschaftliche Forschung, die ein wesentlicher Treiber für Innovationen im Gesundheitswesen ist und diese zur Anwendungsreife bringt. Schließlich ist es auch die Aufgabe der Bundesregierung, die Möglichkeit der Datennutzung für die industrielle Gesundheitswirtschaft – einem maßgeblichen Treiber der digitalen Entwicklung im Gesundheitswesen – unter den genannten Voraussetzungen zu regeln und auf europäischer Ebene die Etablierung eines European Health Data Space weiter voranzutreiben. Zusammenfassend leitet die industrielle Gesundheitswirtschaft auf dem vorangehenden Papier eine zentrale Handlungsempfehlung ab: Die Bundesregierung muss einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für die Nutzung von Gesundheitsdaten zu wissenschaftlichen Zwecken schaffen – mit Zugang der privaten Forschung zu anonymisierten oder pseudonymisierten Gesundheits- und Behandlungsdaten, um die Potenziale der Digitalisierung für den medizinischen Fortschritt zu nutzen. Entscheidend ist die Entwicklung von dezentralen Datenbanken und Strukturen für die Nutzung von Real World Data unter der Berücksichtigung von europäischen Standards.
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Impressum BDI-Initiative Gesundheit digital c/o Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi-gesundheit-digital.de Über die BDI-Initiative Gesundheit digital Die BDI-Initiative Gesundheit digital wurde 2018 als Plattform für Digitalisierungsthemen der Gesundheitsversorgung gegründet. Sie versteht sich als Schaufenster zur Veranschaulichung von Möglichkeiten von digitalen Lösungen und als Raum für den Dialog auf Augenhöhe mit den unterschiedlichen Akteuren des deutschen und europäischen Gesundheitssystems. Redaktion Christoph Mönnigmann Projektreferent Initiative Gesundheit digital T: +49 30 2028-1570 c.moennigmann@ifg.bdi.eu Maximilian Bettzuege Projektreferent Initiative Gesundheit digital T: +49 30 2028-1721 m.bettzuege@ifg.bdi.eu Mit Unterstützung von: Abbott GmbH
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BDI Dokumentennummer: D 1260
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