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3. Data Journey Gesundheitsdaten von Prävention bis Nachsorge

Damit Real World Data eine „glaubwürdige Quelle für wissenschaftliche Evidenz“2 sind, müssen die Daten „von hoher, für den jeweiligen Zweck geeigneter Qualität“3 sein. Entscheidend für Anforderungen an die Datenqualität ist das Ziel, welches man unter Verwendung der Daten erreichen möchte. Durch Analysen werden Real World Data zu Real World Evidence, auf deren Basis Forschung und Entwicklung stattfinden können.

Im nachfolgenden Kapitel werden die Rolle und der Nutzen von Real World Data anhand des Weges eines Patienten von Prävention bis Nachsorge als sogenannte „Data Journey“ auf Basis der Digital Patient Journey Oncology beleuchtet.

3. Data Journey – Gesundheitsdaten von Prävention bis Nachsorge

Die Methode einer Data Journey kann angewendet werden, um den Weg von Daten von der Erfassung bis zum Einsatz in Forschung oder Entwicklung nachzuvollziehen.

Diese Perspektive wird in der nachfolgenden Data Journey auf Basis der Stationen der Digital Patient Journey Oncology um die Perspektive des Patienten als zentralem Akteur ergänzt. Ziel ist, darzustellen, an welchen Stationen der Versorgung welche Real World Data entstehen und wie diese genutzt und weiterverarbeitet werden können. Dabei handelt es sich nicht um ein strikt lineares, sondern vielmehr um ein zirkuläres Modell. So können beispielsweise Daten aus der Therapie später digitale Präventionsanwendungen unterstützen.

Die Betrachtung der einzelnen Stationen orientiert sich dabei an drei Leitfragen:

Welche Real World Data entstehen (u. a. durch die Nutzung digitaler Lösungen) an der jeweiligen Station? (Datenoutput)

Welche Real World Data werden von digitalen Lösungen an der jeweiligen Station eingesetzt? (Dateninput)

Welchen Nutzen haben Real World Data an der jeweiligen Station? Wie unterscheidet sich der Nutzen von dem an anderen Stationen?

Die nachfolgenden Abschnitte zeigen gemäß der Leitfragen, welche Rolle Real World Data in den Stationen Prävention, Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge haben können und welcher Nutzen sich daraus ergibt.

2 Schach, Dr. Susanne 2019: Möglichkeiten der integrativen Nutzung klinischer Studiendaten und Real World Data. Market Access & Health Policy 03/2019, S. 29 3 Ibid.

Prävention

Die Digital Patient Journey stellt den optimalen Zielzustand für den Einsatz digitaler Lösungen in der Prävention wie folgt dar: „Vermeidbare Erkrankungen und die Entstehungsmechanismen sind bekannt und werden in flächendeckenden Programmen adressiert; individuelle Risiken werden einbezogen und individuelle Verhaltensanpassungen werden entsprechend den Patientenpräferenzen digital unterstützt“.4 Dabei spielen auch Real World Data eine zentrale Rolle.

In der Prävention genutzte Real World Data werden in der Regel von den Bürgern/Patienten selbst eingebracht bzw. von diesen generiert. Es handelt sich also oft um Daten von gesunden Menschen. Ein Schwerpunkt liegt bei Anwendungen im Homecare-Bereich. Dazu zählen u. a. digitale Tagebücher und andere Gesundheits-Apps (z. B. zum Tracking von Gewicht, Herzfrequenz etc.) oder sogenannte Wearables. Stellt das tragbare Gerät beispielsweise eine starke Abweichung, etwa bei der Herzfrequenz, fest, kann das Gerät den Träger mithilfe von KI und einer entsprechenden Datenbank auf Veränderungen aufmerksam machen, die Krankheiten oder Schäden zur Folge haben können. Ein weiterer Punkt ist die prädikative Mustererkennung, bei der es nicht um eine direkte Verhaltensänderung des Anwenders geht, sondern darum, mithilfe von Real World Data beispielsweise Risikogruppen auszumachen: Eine Person X mit den Faktoren Y aus der Region Z gehört zu einer Hochrisikogruppe –die Prädikation ist also in die Zukunft gerichtet.

4 SKC Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) 2019, Digital Patient Journey Oncology, Link: https://bdi.eu/publikation/news/digital-patient-journey-oncology/, S. 12

Der Nutzen von Real World Data in der Prävention liegt vor allem in der Gewinnung von Informationen, durch die Menschen schädliche Verhaltensweisen abstellen und/oder Anregungen zu gesundheitsförderlichem Verhalten bekommen, um Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Übergeordnetes Ziel ist die Verhinderung von Krankheiten und ein Gewinn an Lebensqualität.

Die Prävention ist im Vergleich zu den anderen Stationen häufig eine Phase, in der unspezifische Daten entstehen. Besonderen Wert haben die im Rahmen von Anwendung zur Prävention gewonnenen Daten in späteren Stationen, insbesondere in der Diagnose und Therapie. So sollten Patienten zu einem späteren Zeitpunkt konkret und individuell angepasst von den von ihnen oder anderen Menschen geteilten Daten (z. B. über Apps) profitieren können – beispielsweise durch eine auf der Datenbasis individuell angepasste Therapie.

Möglich wird das, wenn Daten u. a. in Apps zur freiwilligen Bereitstellung von Gesundheitsdaten (z. B. die Corona-Datenspende-App des Robert Koch-Instituts5) fließen und dort genutzt werden. Im Zuge von Präventionsmaßnahmen generierte Daten können dann in Forschung und Entwicklung Anwendung finden und einen hohen Mehrwert entwickeln.

Screening

In einer digitalen Gesundheitsversorgung ist die Methode des Screenings „fest etabliert, finanziert und wird zeitnah und regelhaft mit spezifischen und sensitiven digital unterstützten Methoden umgesetzt“. 6

Real World Data werden im Zuge von Screening-Maßnahmen durch die Patienten selbst oder bei ärztlich durchgeführten Maßnahmen der Sekundärprävention generiert. Beispiele für Real World Data in diesem Bereich sind Werte zu Blutdruck, Blutzucker und Herzfrequenz, aber auch medizinisch-diagnostische Bilder wie Mammografien, Koloskopien oder Fotos der Haut.

Zur Strukturierung und Priorisierung von Screening-Maßnahmen lassen sich durch die Kombination von verschiedenen Gesundheitsdaten Risikoklassen bilden. Ein digitales Screening, etwa im Bereich Hautkrebs, ermöglicht eine Zuordnung zu den Risikoklassen, sodass der Patient im Fall einer Auffälligkeit einen Hinweis erhält, sich an einen Arzt zu wenden.

Der Patient selbst bekommt zudem Informationen über potenzielle Krankheiten und kann sich mit anderen Risikoklassen und Patientengruppen vergleichen (z. B. Einschätzung des Risikos, an Brustkrebs zu erkranken). Individuelle Daten ermöglichen dabei auch ein individuelles Feedback.

Im Rahmen der Studie Digital Patient Journey Oncology der BDI-Initiative Gesundheit digital wurde beispielsweise die Idee eines digitalen Screeners beschrieben.7 Dabei handelt es sich um ein digitales System (Patienten-App und Computerprogramm für Arztpraxen/Krankenhäuser) zur individuellen Risikobewertung und zur Erstellung eines Risikoprofils auf Grundlage von Patienten-, Lifestyle- und Untersuchungsdaten. Darin enthalten sein könnte auch eine Funktion zur Terminierung von Vorsorgeuntersuchungen.

Analog zur Prävention können auch die im Zuge von Screening-Maßnahmen generierten Daten in Forschung und Entwicklung und an anderen Stationen (insbesondere Diagnose und Therapie) zum

5 Robert Koch Institut (RKI) 2020, Corona-Datenspende-App: Hände waschen, Abstand halten, Daten spenden - Ihr Beitrag gegen Corona, Link: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Corona-Datenspende-allgemein.html 6 Ibid. 7 SKC Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) 2019, Digital Patient Journey Oncology, Link: https://bdi.eu/publikation/news/digital-patient-journey-oncology/, S. 76

Einsatz kommen (zum Beispiel zur weiteren Verbesserung von Bewertungsprogrammen für Gesundheitsdaten).

Diagnostik

Real World Data aus der Diagnostik lassen sich in Forschung und Entwicklung sowie an anderen Stationen (insbesondere für Therapieentscheidungen) nutzen. Das Idealbild der Digital Patient Journey Oncology beschreibt die „Anwendung einer multimodalen Diagnostik mit Methoden höchster Sensitivität und Spezifität (Bildgebung, Labor und molekulare Verfahren), lernende Systeme, die auf große evidenzbasierte Datenbanken zugreifen“.8

Real World Data in der Diagnostik werden unmittelbar von den Patienten oder in der medizinischen Versorgung generiert. Dabei handelt es sich beispielsweise um EKG-Daten (auch aus Wearables), Blutwerte oder medizinisch-diagnostische Bilddaten. Die Untersuchungen werden in der Regel auf Basis eines Anfangsverdachts aus Prävention und Screening durchgeführt. Mittels künstlicher Intelligenz (KI), die an eine Datenbank gekoppelt ist, lassen sich im Screening Auffälligkeiten leichter feststellen und auf Veränderungen aufmerksam machen. Die Entwicklung von KI erfordert den Einsatz möglichst vieler Daten, um die dafür nötigen Algorithmen zu trainieren (z. B. für die Identifikation von oder Assoziation zu Mutationen). Ein Zugang der privaten Forschung zum Forschungsdatenzentrum ist wünschenswert, damit auch diese zur Entwicklung von KI-Lösungen beitragen kann.

Der Bereich Diagnostik profitiert von allen Stationen ganz besonders von der Anwendung und Nutzung von Real World Data. Systeme zur Bewertung und Einordnung von Real World Data ermöglichen in der Diagnostik eine prädiktive Medizin, die individuelle Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Erkrankungen aufzeigt. Voraussetzung ist, Real World Data aus Prävention, Screening, Diagnostik und Therapie miteinander in Verbindung zu bringen. Des Weiteren sind Prognosen möglich, die zeigen, welche Heilungschancen bei Vorliegen einer Erkrankung unter den individuellen Voraussetzungen/Anlagen bestehen. Diese Informationen unterstützen eine informierte Entscheidung für die richtige Therapie.

Ein konkretes Anwendungsgebiet ist die Ermittlung des Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen. So können bereits Daten aus Wearables mögliche EKG-Arrhythmien feststellen, um die daraus entstehenden Folgeschäden, wie zum Beispiel einen Schlaganfall, zu verhindern. In diesem Fall können digitale Lösungen Patienten, Ärzte und Angehörige warnen, um schnell die erforderlichen Schritte einzuleiten.

In der Bildgebung können Algorithmen trainiert werden, bestimmte Auffälligkeiten beispielsweise auf Röntgenbildern zu erkennen.9 Um Algorithmen beizubringen, eine gesunde von einer kranken Lunge zu unterscheiden, braucht es Daten aus dem klinischen Alltag. Erst durch die Verarbeitung großer Datenmengen können zuverlässige Einschätzungen durch KI vorgenommen werden, die schon heute oft die Analysen durch Fachkräfte übertreffen.

8 Ibid., S. 12 9 vgl. iRights e. V., Projekt ANNA –medizin-beispiele-aus-der-praxis/ Das vernetzte Leben, Link: https://www.annasleben.de/snippet/algorithmen-und-ki-in-der-

Therapie

Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung ermöglicht in der Therapie eine „Entscheidungsfindung mit Integration aller verfügbaren Daten und [einen] Abgleich mit dem Kollektiv und dem aktuellen wissenschaftlichen Standard“10 über die Sektorengrenzen hinweg. Eine entscheidende Rolle spielt an dieser Stelle die Mustererkennung mit Unterstützung von Real World Data, mit der sich beispielsweise Risikogruppen einteilen lassen. Vereinfacht gesagt, stellt sich dem Arzt die Frage, welche „Blume“ aus dem „Blumenstrauß“ der möglichen Therapien/Medikamente gibt er dem Patienten? Die Mustererkennung mithilfe von Real World Data liefert beispielsweise einen Erkenntnisgewinn, dass bei derselben Krankheit Medikament A besonders gut bei Diabetikern wirkt, Medikament B hingegen besonders gut bei Rauchern.

Im Vergleich zum Screening und zur Diagnostik stammen die Daten vielfach aus Untersuchungen mit Geräten aus einer höheren Risikoklasse für Medizinprodukte. Für den Patienten verspricht die Auswertung dieser Daten die Möglichkeit einer personalisierten Medizin mit besserer Wirksamkeit, höheren Ansprechraten und besserer Verträglichkeit.

Real World Data, die in der Therapie zur Anwendung kommen, sind zum einen alle Real World Data aus der Diagnostik, aber auch die Daten aus der Patientenhistorie, wie z. B. Screening-Daten und Daten aus der Prävention. Real World Data-gestützte digitale Lösungen ermöglichen in der Therapie die Überwachung des Therapieverlaufs und damit zeitnah notwendige Therapieanpassungen sowie eine bessere Therapietreue/Adhärenz. Sie fördern somit eine hohe therapeutische Konsequenz (zum Beispiel bei der Behandlung von Diabetes). Ein laufendes Monitoring minimiert Nebenwirkungen und reduziert Kosten sowie die Einnahme von ungeeigneten Medikamenten.

Anwendungsbeispiele für Real World Data-gestützte Lösungen in der Therapie sind digitale Therapiebegleiter, die auf Basis der kontinuierlichen Messung eine Therapiesteuerung bei Diabeteserkrankungen vornehmen (u. a. Insulinpumpe). Die Überwachung von Therapieeffekten und -nebenwirkungen kann gerade in der Onkologie einen entscheidenden Beitrag für die Patienten leisten. So kann durch die Auswertung von Therapie-Daten das Bild aus klinischen Studien ergänzt werden.

Nachsorge

In der Nachsorge unterstützen digitale Lösungen ein „optimales individuelles Nachsorgeangebot inklusive wohnortnaher Versorgung mit telemedizinischer Unterstützung“. Darüber hinaus lernen „die Beteiligten und das System [aus den individuellen Verlaufsdaten] über die Erkrankung“.11

Die Gewinnung von Real World Data in der Nachsorge hängt von der individuellen Notwendigkeit eines Monitorings je nach Krankheit und den dabei eingesetzten digitalen Lösungen ab. Beispiele für deren Nutzung sind die Anwendung in Coaching oder Telemedizin. Ziel ist immer die Unterstützung der Rehabilitation. Das heißt konkret: Aufzeichnung und Monitoring von Langzeitfolgen und Dauerbelastung nach Therapien („ICF12-konforme RWD“), Hilfestellungen zum Umgang mit diesen sowie durch klarere Datenlage eine einfachere Beantragung von Leistungen.

10 SKC Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) 2019, Digital Patient Journey Oncology, Link: https://bdi.eu/publikation/news/digital-patient-journey-oncology/, S. 12 11 Ibid. 12 International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), Link: https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icf/

In Anlehnung an Screening-Maßnahmen kann auch in der Nachsorge eine Stratifizierung auf Basis von Real World Data erfolgen, um zu ermitteln, welche Patienten engmaschig und welche weniger oft kontrolliert werden sollten. Durch das laufende Monitoring können Ärzte ihre Unterstützung bei der Nachsorge individuell ausrichten. Für betroffene Patienten bedeutet das in der Regel mehr und zielgerichtetere Unterstützung durch den Arzt und für das Gesundheitssystem ein effizienter Einsatz der begrenzten Ressourcen.

So lassen sich beispielsweise Grenzwerte für eine Intervention festlegen (z. B. Quickwerte oder Blutspiegel von Medikamenten). Auch eine mögliche Nicht-Einhaltung von Verordnungen kann Angehörigen oder Ärzten (natürlich nur nach Einwilligung des Patienten) mitgeteilt werden.

Real World Data, die aus Nachsorge-Maßnahmen hervorgehen, sind in Forschung und Entwicklung sowie bei anderen Stationen des Weges eines Patienten (vor allem in der Therapie bei Rückfällen und der Prävention) verwendbar.

Nach der Betrachtung der Rolle von Real World Data in den einzelnen Stationen des Patienten von Prävention bis Nachsorge – der sogenannten Patient Journey – wird im nächsten Abschnitt daraus der Nutzen der Daten aus dem Alltag abgeleitet.

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