Mittwoch, 9. November 2011 | az
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175 JAHRE
AZ MEDIEN
ZEHNDER WANNER PRESSE
Geschichte Der Mehrer
Öffentlichkeit Der Mahner
Die Verdienste von Otto Wanner senior. Seiten 10–12
Georg Müller über Demokratie und Medien. Seite 27
Zukunft Die neuen Verkehrsregeln
Macher Die neue Zeitung
Miriam Meckel über Web 2.0 und Journalismus. Seite 54
Patrik Müller über die Geburtsstunde des «Sonntags». Seite 75
Zeitung lesen im 19. und im 21. Jahrhundert: Die erste Printausgabe des «Badener Tagblatts» von 1861 und die neue Ausgabe der az Aargauer Zeitung auf dem iPad.
ALEX SPICHALE
Worauf es ankommt 175 Jahre Die Zeiten sind für die Medienbranche nicht einfacher geworden, aber sie waren auch früher schon schwierig VON PETER WANNER
«Die Zeiten waren noch nie so schwierig wie heute.» Diesen Satz höre ich immer wieder in der Medienbranche. Stimmt er auch? Wenn ich auf die 175-jährige Unternehmensgeschichte zurückschaue und mir meine Verleger-Vorfahren vor Augen führe – alle markante Figuren und starke Persönlichkeiten –, dann bin ich mir gar nicht so sicher. Sie alle hatten hart zu kämpfen und zu beissen – ein Leben lang. Nehmen wir Josef Zehnder, den Zeitungspionier, eine wahre Kämpfernatur. Ihm wurde im Leben nichts geschenkt. Er kam als Schulmeister von Birmenstorf nach Baden, war Verleger, Redaktor und Drucker in Personalunion, Mitglied des Grossen Rates und lange Jahre Badener Stadtammann. Er war befreundet mit Augustin Keller und galt als der «bestge-
hasste liberale Zeitungsschreiber» im Lande, musste viel einstecken, teilte aber auch mit seiner angriffigen Schreibe erbarmungslos aus. Weil seine Zeitungsprojekte viel Geld verschlangen, steckte er in chronischen Geldnöten. Wie der Historiker Andreas Müller, akribischer Verfasser einer eindrücklichen Aargauer Pressegeschichte, treffend bemerkt, wurde er als Witwer von begüterten Frauen dreimal vor dem Konkurs gerettet. Immer wieder kam er auf die Beine, leidenschaftlich kämpfend und streitend für die liberale Sache. Wäre dieser radikale Feuerkopf im Volk nicht geachtet, respektiert, gefürchtet gewesen, wäre er nie zum Badener Stadtammann gewählt worden. Mut und Durchhaltevermögen Mein Grossvater Otto Wanner kam als Enkel von Zehnder früh ins Ge-
schäft. Er zeichnete sich durch unternehmerischen Mut aus, baute er doch Anfang des 20. Jahrhunderts eine grosse Druckerei, die in den 60er-Jahren der Badener Verkehrssanierung weichen musste. Auch ihm wurde nichts geschenkt, war doch der Wettbewerb unter den Zeitungen unerbittlich und die politische Auseinandersetzung mit dem Konkurrenten Josef Jäger heftig und teilweise giftig. Mit sicherer Hand führte er das «Badener Tagblatt» durch die Wirren der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts – Erster Weltkrieg, Generalstreik, Inflation, Weltwirtschaftskrise, Aufkommen des Nationalsozialismus –, ehe er kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs das Unternehmen seinen Söhnen Eugen und Otto übergab. Diese rückten kurz darauf in den Aktivdienst ein. Zeitung und Druckerei wurden notdürftig von Frauen und Pensionierten über Wasser ge-
halten. Berühmt ist die Anweisung des diensttuenden Vaters an meine Mutter, als diese nicht mehr wusste, wie sie die redaktionellen Spalten füllen sollte: «Schreibe einfach etwas aus der ‹NZZ› ab.» Als der Krieg endlich vorbei war, zeichnete sich ab, dass die beiden Brüder sich nicht gut verstanden. Eugen, ein Badener Stadtoriginal, drängte auf Bewahrung, Otto auf Expansion. 1956 kam es zur Trennung, Otto übernahm die Anteile von Eugen. Mein Vater Otto hatte als Verleger und Chefredaktor ein untrügliches Gespür für gute Journalisten. Schon früh gelang es ihm, zwei hochkarätige Journalisten ans Blatt zu binden: Hans Güntert und Werner Geissberger. Mit dem Aufkommen der Hochkonjunktur in den 60er- und 70er-Jahren setzte die Erfolgsstory des «Badener Tagblatts» ein. Das Blatt expandierte, distanzierte die Konkur-
renz, das katholisch-konservative «Aargauer Volksblatt», löste sich von den Fesseln eines freisinnigen Parteiorgans, entwickelte sich immer mehr in Richtung linksliberalen Nonkonformismus. Dies zog junge journalistische Talente an. Klassiker der Regionalzeitungen Es kamen Gotthilf Hunziker, Woldemar Muischneek, Edgar Zimmermann, Christian Müller, Erich Radecke, Matthias Saxer, Rosmarie Mehlin, Peter Hartmeier, Hans Fahrländer, um nur die wichtigsten zu nennen. Das Büro Cortesi (Frank A. Meyer, Peter Rothenbühler) belieferte damals nicht nur die Basler «National-Zeitung», sondern auch das «Badener Tagblatt». Das «BT» entwickelte sich so zum Klassiker unter den Regionalzeitun-
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