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Bezirk Affoltern

Mittwoch, 11. Juni 2014

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Ein Ämtler an der Fussball-WM Lars Steiner sorgt in Brasilien für das Wohl der Schiedsrichter 32 Teams spielen ab morgen Donnerstag bis Mitte Juli um den Fussball-Weltmeister-Pokal. Höchstleistungen werden nicht nur von den Fussballern erwartet, sondern auch von den knapp 100 Schiedsrichtern und -Assistenten, die im Einsatz stehen. Als einer von neun Betreuern kümmert sich Lars Steiner aus Hausen um deren Wohl. ................................................... von thomas stöckli Eine WM-Teilnahme ist ein KarriereHöhepunkt. Das gilt für die Fussballer, aber mindestens ebenso für die Schiedsrichter, denn auch hier ist die Konkurrenz gross und ein Aufgebot üblicherweise die Würdigung einer

langen, erfolgreichen Karriere. Nur die besten, erfahrensten, und souveränsten Spielleiter werden nominiert – dem Kontingent der Kontinentalverbände entsprechend. Bereits elf Tage vor dem Eröffnungsspiel hat das Abenteuer Brasilien für die über 33 Schiedsrichter und ihre Assistenten begonnen (vgl. Kotext). Es ging nicht nur ums Akklimatisieren: Täglich wurde trainiert, wurden mit eigens dafür engagierten Fussball-Teams anspruchsvolle Situationen geübt: Offside oder nicht? Wer behindert wen beim Eckball? Penalty oder «Schwalbe», Handspiel? Was tun bei Beleidigungen und «Rudelbildung»? Gewöhnungsbedürftig ist der neue Spray, mit dem Schiedsrichter bei einem Freistoss den Abstand der Mauer direkt auf dem Rasen markieren. Weiter kommt erstmals eine TorlinienTechnologie zum Einsatz: Sieben Ka-

wm-mail aus rio ................................................... von lars steiner* Ich bin letzten Samstag mit einem Physiotherapiekollegen in Rio de Janeiro angekommen. Sogleich sind wir in ein Hotel 25 km südlich von der berühmten CopaLars Steiner. (zvg.) cabana transferiert worden. Dies wird für uns und die 100 Schieds- und Linienrichter für die kommenden sechs Wochen als Headquarter dienen. Wenn die Fussball-WM startet, werden von hier aus die Spielleiter in die jeweiligen Spielorte gebracht und nach dem Spiel wieder von uns in Rio in Empfang genommen. Nachdem wir unseren Arbeitsplatz für insgesamt acht Therapeuten aus aller Herren Länder eingerichtet haben, ging es gleich zum Opening-Meeting. Spannung und Aufregung liegt in der Luft. Alle wissen, dass nun das Abenteuer WM losgeht. Es ist ein Privileg für jeden Einzelnen, dabei zu sein. Von jedem Einzelnen wird das Beste verlangt. Wir sind in einem dicht gedrängten Tagesprogramm eingegliedert. Täglich Massagen, Behandlungen, Theorie-Meetings und Schiedsrichtertrainings. Die erste Fahrt ins Trainingscenter war ein richtiger Genuss: Wir fuhren kilometerlang entlang des stürmischen Atlantiks. Blau glitzert das Was-

ser zwischen den Palmen und die wuchtigen Wellen lassen das Meer aufkochen. Entlang der Promenade ein nicht aufhörender Strom von sportbegeisterten Brasilianern. Jogger, Walker, Radler, die unentwegt den Asphalt bearbeiten, und im Sand werden alle möglichen Ballsportarten gespielt. Brasilien ist eine Sportnation und der Körperkult ist allgegenwärtig. Das Lebensmotto der Cariocas, wie die Bewohner von Rio genannt werden, lautet: lieber einen schlechten Tag am Strand, als einen guten Tag im Büro ... Das Trainingscenter mit den hervorragenden Infrastrukturbedingungen wurde vom grossen Zico gegründet. Er war der Superstar in den 80ern und hat vor allem in Italien für Furore gesorgt. Er lässt es sich natürlich nicht nehmen, uns einen Besuch abzustatten. Mit brasilianischen Fussballern werden Offsides, Fouls, und Konterattacken trainiert. Für einen internationalen Schiedsrichter gehören Sprints, Krafteinheiten und koordinative Übungen auch in seinen professionellen Alltag. Die Schiedsrichter sind voll bei der Sache und der Schweiss fliesst in Strömen. Das heisst für uns, wir sind nach dem Training wieder das gefragteste Personal im Staff. * der Autor kümmert sich seit 2012 als offizielles Mitglied des Medical Teams der Fifa um das Wohl der Schiedsrichter. Daneben betreibt er in Dübendorf seine eigene Praxis für Massagen und Sporttherapie und praktiziert an seinem Wohnort in Hausen. Dort war Steiner auch Gründungsmitglied des FC Hausen. Infos: www.vital-work.ch.

meras pro Goal kontrollieren, ob der Ball wirklich in vollem Umfang über der Linie war. Falls ja, erhält der Schiedsrichter auf seiner Uhr ein Signal.

Auf die Kulturen eingehen Lars Steiner ist da, wenn die Schiedsrichter nach dem gemeinsamen Frühstück um 8 Uhr zu trainieren beginnen und er begleitet sie zur mittäglichen «Recovery» ins Atlantik-Wasser. Während die Spielleiter am Nachmittag Match-Aufzeichnungen Szene für Szene durchgehen, beginnt für die Betreuer der strengste Teil erst nach dem Abendessen: Für Sportmassagen, Akupunktur-, Ultraschalloder Elektrotherapie-Behandlungen bis 23 Uhr können sich die Schiedsrichter eintragen. Ausgerüstet mit neun Massageliegen wird eine Hotelsuite für In Brasilien: Lars Steiner (vorne rechts) und sein japanischer Kollege Mitsunori Tsumaki mit dem resechs Wochen zur nommiertesten Schiedsrichter-Trio der Welt: Howard Webb (Mitte, zweimaliger «Welt-Schiedsrichter Physiotherapie-Pra- des Jahres») und seine Assistenten Darren Cann (links) und Michael Mullarkey aus England. (Bild zvg.) xis. Daran wirken dann vielleicht nebeneinander ein Ja- «Die würden auch gratis pfeifen» Spielorte reisen, bleiben die Betreuer paner, ein Schweizer und ein Sudaneum Lars Steiner in Rio de Janeiro. Und se. In diesem internationalen Ambien- Seit zwei Jahren begleitet der Haus- dort bietet sich ihnen sicher die eine te ist Steiner bemüht, auf die Kultur emer die Schiedsrichter. Er war mit ih- oder andere Gelegenheit, ein Spiel seiner Klienten einzugehen und sie in nen unter anderem am Confed-Cup – schauen zu gehen – standesgemäss im ihrer Muttersprache zu begrüssen. der WM-Hauptprobe – in Brasilien, an massgeschneiderten Fifa-Anzug. Dass Der Schiedsrichter als überkorrek- der U17-WM in den Vereinigten Arabi- die Schiedsrichter bei der WM mit der ter Polizist und rechthaberischer Leh- schen Emiraten sowie in Trainingsla- nötigen Ernsthaftigkeit ans Werk gerer – stimmt das Klischee? «Überhaupt gern auf Gran Canaria und in Zürich. hen, dafür würde Steiner übrigens seinicht», betont der Hausemer, «das sind Ähnlich wie beim Coiffeur wird auch ne Hand ins Feuer legen: «Die sind mit alles offene und flotte Leute, die ei- bei der Massage oft über Privates ge- so viel Leidenschaft dabei, die würden nem Spass nicht abgeneigt sind.» Als sprochen. Entsprechend gut kennt auch gratis pfeifen», betont er. «besonders spannenden Typ» hebt er man sich mittlerweile. Und so domiEs braucht Rückgrat und mentale etwa einen Schiedsrichter hervor, der niert bei aller Aufregung vor dem Me- Stärke, um in einem vollen Stadion eiin seiner Freizeit mit der Harpune fi- ga-Event Fussball-WM die Vorfreude nen unpopulären Entscheid zu treffen. schen geht: «Der taucht 25 Meter tief auf das Wiedersehen. Und nicht zuletzt ist auch jedem beund bleibt drei Minuten unter WasWährend die Schiedsrichter in der wusst: ein falscher Pfiff kann die interser.» Gruppenphase an die verschiedenen nationale Karriere beenden.

«WM-Stadien» im Knonauer Amt sind bereit für den Anpfiff Stimmung fast wie im Stadion – auch im Säuliamt lassen sich die Spiele der Fussball-Weltmeisterschaft mit Fan-Atmosphäre geniessen. Im Bezirkshauptort etwa im «Break» oder in der «Spyre», weiter in der «Stampfi», Knonau, oder im «Schluck», Bonstetten. Brasilien nach Affoltern bringen – nicht weniger als das hat sich die Crew der «Spyre» vorgenommen: «Wir betreiben einen grossen Aufwand», verrät Geschäftsführer Serge Gabathuler. Herzstück sind die brasilianischen Favelas, die eigens für den Grossanlass errichtet werden. Und natürlich werden auch die Spiele gezeigt – auf Grossleinwand und zehn Bildschirmen. Als die Ämtler WM-Arena hat sich das Break einen Namen gemacht. «Wir übertragen jedes Spiel», verspricht Inhaber René Neuschwander auch vor der WM in Brasilien. Seit 14

«Hopp Schwiiz!» – beste Stimmung an der letzten WM in der «Break»-Eventhalle. (Bild zvg.)

Jahren zeigt er die grossen Fussballturniere – erst in der Bar selber, seit 2006 in der grossen Eventhalle. Und diese dürfte sich auch dieses Jahr wieder füllen, zumindest wenn die Schweiz oder grosse Fussball-Nationen wie Italien, Deutschland oder England spielen. Zwei Grossleinwände – die grössere vier Meter breit – und fünf Bildschirme garantieren, dass man keine Szene verpasst. Und bei schönem Wetter lassen sich die Spiele sogar auf einer weiteren Leinwand im Freien verfolgen. «Wir sind bereit», verspricht auch Patrik Märchy von der Apérobar Schluck in Bonstetten. Die WerktagsSpiele und auserlesene WochenendMatches lassen sich hier auf Grossleinwand und drei Bildschirmen verfolgen. In der «Stampfi», Knonau, richten sich derweil die lokalen Jungschützen ein. Auf Grossleinwand sind hier die Spiele der Schweizer zu bestaunen (Festwirtschaft ab 17 Uhr) sowie die beiden Halbfinals und das Finale. (tst.)


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