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Rote Liste gebietet

Einer der federführenden Verbände beim künftigen Volksbegehren ist der Naturschutzbund NABU, mit rund 110.000 Mitgliedern größte Umweltorganisation in Niedersachsen. Der Landesvorsitzende Holger Buschmann (47) zu den Chancen und Konflikten.

Herr Buschmann, warum gerade jetzt ein Volksbegehren?

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Weil die Zeit drängt. Noch bedrohlicher als die zugegeben ernste aktuelle Pandemie sind zwei weitere aktuelle Krisen, die zuletzt ja nicht in der Sache, sondern nur in der öffentlichen Wahrnehmung etwas verdrängt wurden. Der Verlust der Artenvielfalt muss jetzt gestoppt und das Erreichen der Klimaziele jetzt angegangen werden. Wenn wir noch lange warten, dann ist Schicht im Schacht. Die Ökosysteme kollabieren gerade. Als Biologe schaue ich mir das Dilemma seit 30, 40 Jahren an. Wir gelangen an die Kipppunkte der Systeme. Was in den letzten zehn Jahren bei den Insekten passiert ist, ist derart dramatisch, dass wir uns, wenn wir nochmal zehn Jahre warten, keine Gedanken mehr um unsere Zukunft machen müssen.

Kann man denn auf Landesebene in der Hinsicht überhaupt sinnvoll etwas bewirken?

Niedersachsen hat als großes Agrarland Nummer eins sogar eine ganz besondere Stellung. Eine Vorbildfunktion. Wir können zeigen, wie Wohlstand und funktionierende, nachhaltige Landwirtschaft zusammengehen können. Zudem hat Deutschland und damit auch Niedersachsen die längsten roten Listen der Welt. Das verpflichtet.

Die längsten roten Listen der Welt?

Ja, gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien. Die Menschen schauen immer gern Richtung Amazonas oder sonstwie weit weg, wenn es ums Artensterben geht. Und ja, da ist es auch dramatisch. Aber wir haben hier vor der Haustür die meisten bedrohten Arten auf der Liste. Die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten in Niedersachsen sind bedroht. Wenn wir uns hinstellen und dem brasilianischen Präsidenten vorwerfen, dass er die Urwälder abbrennen lässt, dann sagt er uns: Und was habt ihr? Und da hat er recht. Jede Menge Monokultur und kein bisschen Urwald.

Gibt es Erfahrungswerte oder Hinweise, wie Politik auf ein erfolgreiches Volksbegehren dann reagieren könnte?

In Bayern, wo es ein ähnliches Volksbegehren schon gab, hat die dortige Landesregierung das Gesetz akzeptiert und somit übernommen. Dort wollte man sich nicht die Blöße geben, im Zweifel in einem Volksentscheid zu verlieren. Wie unsere Landesregierung damit umgehen wird, wird spannend werden. Sie hat natürlich auch schon jetzt jederzeit die Chance, unseren Gesetzentwurf zu übernehmen. Tut sie aber bisher nicht.

Ist der Landesregierung die Faktenlage nicht bekannt?

Die Fakten sind natürlich bekannt. Aber nach wie vor sind in den Regierungsfraktionen offenbar andere Interessen als Arten- und Klimaschutz wichtiger. Vorneweg die Agrar- und Forstlobby, die in ihrer bisherigen, für die Natur kritischen, intensiven Wirtschaftsweise weitermachen wollen.

Sie wollen den Bauern ja letztlich auch das freie Wirtschaften erschweren.

Weil es nötig ist. Der Gesetzentwurf ist aber nicht die reine Lehre, kein Wunschkatalog der Umweltverbände, sondern da stehen vernünftig gemachte Kompromisse drin. Wir haben im Vorfeld mit vielen Agrarverbänden und Landwirten gesprochen und Hinweise auch eingearbeitet. So haben wir zum Beispiel zugesehen, dass es für die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe für alle nötigen wirtschaftlichen Einschränkungen einen entsprechenden Erschwernisausgleich geben muss.

Gleichwohl gibt es genau von der Seite teilweise massiv Kritik.

Der Dissens bezieht sich aus meiner Sicht hauptsächlich auf das Gesetz an sich. Die Landwirte fordern, dass es überhaupt keine weiteren ordnungsrechtlichen Vorgaben geben dürfe, wohl aber freiwillige Verabredungen. Das ist aber angesichts der Dramatik des Artensterbens und damit des bevorstehenden Zusammenbruchs unserer Ökosysteme nicht hinreichend zielführend. Zudem ist mir die Sicht einiger Bauernverbände unverständlich, weil gerade ein Gesetz das Land zu den von den Bauern oft gewünschten Ausgleichzahlungen verpflichten wird, genau diese Sicherheit hat man bei freiwilligen Maßnahmen nicht.

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