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Ankerplatz in der Fremde

Die Deutsche Seemannsmission unterstützt Seeleute aus aller Welt, unter anderem in Bremerhaven, dem zweitgrößten deutschen Hafen. Asphalt hat die haupt- und ehrenamtlichen Helfer begleitet.

Nicht jeder darf in den Hafen von Bremerhaven. Rüdiger Zimnik schon. Er hat eine besondere Chipkarte, mit der sich die Schranken öffnen. Seit dem 11. September 2001, dem Anschlag auf das World Trade Center, ist vieles anders in den Häfen dieser Welt, es gilt der »Internationale Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen«. Zimnik kennt das Regelwerk und hält sich daran. Er passiert die Schranke und befestigt ein rotes Blinklicht auf dem Dach seines Wagens. Der 68-Jährige war 35 Jahre Berufssoldat bei der Marine, seit 2011 macht er ehrenamtlich Bordbesuche. Begleitet wird er von

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Neele Hilbrand, 18, sie leistet ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Seemannsmission. Die beiden haben Telefonkarten dabei, ein »Schlüssel« zu den Seeleuten. 90 Prozent aller Handelsgüter gelangen per Schiff aus Übersee zum deutschen Kunden. Die Seemannsmission kümmert sich um faire Transportund gute Arbeitsbedingungen. Das ist in den letzten Jahrzehnten nicht leichter geworden. Neben dem Anschlag von New York hat vor allem die Einführung des Containers die Arbeit der Seemannsmission entscheidend verändert. Ende der 1960er Jahre legten die ersten Containerschiffe in deutschen Häfen an, und schon bald danach gehörten die Zeiten, in denen man Kisten und Säcke noch am Haken aus dem Bauch eines Frachters hieven musste, der Vergangenheit an. Heute ist der Container das Maß aller Dinge. Mit der Folge, dass die Liegezeiten der Schiffe immer kürzer werden und Seeleute kaum noch von Bord kommen. Also besuchen die Mitarbeiter der Seemannsmission sie auf ihren Schiffen.

Mit Tempo 30 zuckelt Zimnik hinter einem langbeinigen Vancarrier (Hubwagen) her. Er parkt beim Containerterminal 4, schnappt sich seinen Helm und eine leuchtend orange Jacke und geht die wippende Gangway der »Magnus F« hinauf, an deren Ende eine Wache die Personalausweise sehen möchte. Der Erste Offizier winkt uns wortlos durch. In der Crew-Messe sitzt José, 51, »die Stimme der Mannschaft«. Er bietet dem Überraschungsbesuch einen Kaffee an. Die beiden Männer kommen ins Plaudern, Zimnik erkundigt sich nach der Besatzung, drei Filipinos, zwei Inder und neun Ukrainer. José erzählt von seinen beiden Kindern, vom Schulgeld, das er bezahlen muss. Als Bootsmann verdient er rund 1.500 US-Dollar, »drei Mal soviel wie einer mit einem Landjob«, schätzt Zimnik. »Die Seeleute sind die Ernährer ihrer Familien.« Am Ende lässt Zimnik noch ein paar Zeitungskopien zurück, in den Sprachen der Besatzungsmitglieder, denn kaum etwas interessiert den Seemann so sehr wie Nachrichten aus der Heimat.

Drei Bordbesuche schaffen Zimnik und Hilbrand an diesem Vormittag. Vor allem der auf der »APL Norway« lohnt, denn das Schiff ist zum ersten Mal in Bremerhaven. Und die 22 Besatzungsmitglieder haben noch nie vom »Welcome« gehört, dem Club der Seemannsmission. Auf einem Flyer notiert Hilbrand eine Handynummer. Wenn die Seeleute anrufen, holt ein Shuttle-Bus sie ab.

Der Club mitten im Hafen

Deutschlands zweitgrößter Seemannsclub – nur der »Duckdalben« in Hamburg ist größer – liegt an der Nordschleuse, zwischen Lloyd-Werft und Container-Terminal. Sein Name ist Programm. An 365 Tagen im Jahr ist »Welcome« Anlaufpunkt für Seeleute aus aller Welt. Mehr als 500.000 sind seit Eröffnung 2003 zu Gast gewesen.

Im vergangenen Jahr wurde der Club modernisiert. Gleich hinter dem Eingang ist nun ein Rondell mit sieben bequemen Sitzgelegenheiten. Hier können Seeleute ihre Beine hochlegen und die Handys aufladen. Dahinter ein Raum mit Billardtisch,

Sinnbild für festen Boden unter den Füßen und unverzichtbar in Häusern der Seemannsmission. Zur Linken ein Verkaufstresen, ein Karaoke-Raum, schallisoliert, und ein »Raum der Stille«, interkonfessionell. Und draußen ein Sportplatz, »ganz wichtig für Leute, die lange in immer wiederkehrende Ar»Die Seeleute kommen beitsabläufe eingebunden sind wegen der Atmosphäre, und nach Feierabend nicht mal der Geborgenheit.« eben raus können«, sagt Thomas Reinold, der Clubleiter. Annette Moritz, Mitarbeiterin im portside. Vor allem Basketball ist beliebt, »die sind richtig hungrig«. Einmal ist ein russischer Seemann auch einfach nur barfuß über den Rasen gegangen. Andere sind fasziniert von einem Apfelbaum – Naturerfahrungen, auf die sie oft monatelang verzichten müssen. Wenn Thomas Reinold etwas auf die Palme bringt, dann ist es das Klischee vom Akkordeon spielenden Matrosen. »Die flicken auch keine Netze.« Nein, die Lebens- und Arbeitsbedingungen

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IBAN: DE23370205000008090100 · BIC: BFSWDE33XXX Verwendungszweck: 1475 sind andere, härtere, und wer wirklich mehr erfahren will, der schaut einfach mal abends rein. Meist sind ein paar Dutzend Gäste da, so wie die fünf Filipinos, die an einem Tisch hocken, vor sich Bier und »Speck Krusten«, eine Chips-Variante. Und natürlich das Handy. »Das ist das erste, was sie wollen: nach Hause telefonieren«, sagt Annette Moritz, eine Mitarbeiterin. »Früher waren wir total wichtig, weil wir Telefone zum Ausleihen hatten. Heute kommen die Seeleute wegen der Atmosphäre, der Geborgenheit.«

Gegen 22 Uhr kehren die Filipinos zurück zur »Brasilia Highway«, einem Autotransporter ganz in der Nähe. Das Schiff kommt von Emden, liegt zwei Tage in Bremerhaven und fährt weiter nach Südafrika. An Bord 2000 Pkws. Die Filipinos sind seit sieben Monaten unterwegs und haben einen Vertrag für neun Monate. Danach sind sie rund drei Monate zuhause, je nach Position an Bord. Und dann geht alles wieder von vorne los.

Herberge nicht nur für Seeleute

1896 wurde die Seemannsmission in Bremerhaven gegründet. Seit 1900 unterhält sie ein Haus mitten in der Stadt. Im Seemannshotel »portside« in der Schifferstraße übernachten Seeleute, wenn ein Crew-Wechsel ansteht. Wenn noch Zimmer frei sind, was fast immer der Fall ist, können hier auch Touristen nächtigen. Das »portside« liegt nur gut fünf Fußminuten vom Auswandererhaus und dem Klimahaus entfernt, die Lage könnte kaum besser sein. »Und dann ist eine Übernachtung im Seemannshotel für viele so ein i-Tüpfelchen«, sagt Dirk Obermann, Diakon und Leiter des Hauses.

Es geht entspannt zu. Ein paar Gäste lümmeln sich in den Sesseln neben dem Tresen, drei Crew-Mitglieder der MS »Artania« vertreiben sich die Zeit mit einer Partie Billard. Das Kreuzfahrtschiff liegt in der Werft und wird überholt, bevor es mit 1.200 Passagieren an Bord wieder auf Weltreise geht, fast fünf Monate sind sie dann am Stück unterwegs.

Macht ein Kreuzfahrtschiff nur kurz an der Columbuskaje fest, dann wird es unruhig im Haus. Dann beginnt der Run auf SIM-Karten, Instant-Suppen und – ganz wichtig – Schokolade, erzählt Lea Schlüter, 24, die eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement macht. Um die 11.000 Tafeln gehen pro Jahr weg. Manchmal kommen Filipinos mit einem Koffer und »packen ihn randvoll«. Oder prä-

Das Seemannsheim der Seemannsmission: Für viele Seeleute ein Ankerplatz in der Fremde.

sentieren ihren Lieben daheim das Süßwarenangebot per Skype oder WhatsApp, die ganze Familie darf dann ein Wörtchen mitreden.

Kurze Zeit später sind die Hausgäste dann wieder unter sich. Wer möchte, findet Gesprächspartner, abends am Tresen oder morgens im Frühstücksraum. Einer der Gäste ist Hartmut Maat. Der 76-Jährige lebt in Südamerika und hat früher als Matrose für die »Hansa-Reederei« gearbeitet, die 1980 pleiteging. Einmal im Jahr treffen sich die ehemaligen Mitarbeiter, bis heute. Maat übernachtet dann immer bei der Seemannsmission. »Der maritime Stil ist eine feine Sache. Es ist einfach, aber funktional. Und die Leute sind sehr freundlich.« Text und Fotos: Wolfgang Stelljes

Anm. d. Redaktion: Unser Ortstermin mit der Seemannsmission fand vor der Ankunft des Coronavirus in Deutschland statt. Derzeit sind Bordbesuche leider nur bis zur Gangway möglich, der Club »Welcome« ist geschlossen und das Seemannshotel bleibt ausschließlich für Seeleute geöffnet. Wann die Betreuung wieder in vollem Umfang aufgenommen werden kann, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Eine Demonstrantin sorgt sich um die Menschenwürde in Kliniken und Altenheimen.

DEAL DER GENERATIONEN

Sie ist eine Instanz: Ex-Bischöfin und Asphalt-Herausgeberin Margot Käßmann. Vierteljährlich besprechen wir mit ihr die Themen der Zeit. Diesmal: Corona, Würde, Kinderleben und was man erwarten kann.

Liebe Margot, die Corona-Krise dominiert alles. Doch die Einigkeit schwindet. Wir erleben gerade ein sozialdarwinistisches Aufbegehren der Ungefährdeten. Sind wir auf lange Sicht gemeinsam untauglich als solidarische Gesellschaft?

Nein, ich finde schon, dass in den vergangenen Monaten viel Solidarität da war, mehr als ich mir hätte vorstellen können. Aber dass Belastungsgrenzen erreicht sind, ist offensichtlich. Sei es in den Pflegeheimen mit ihrer strikten Isolationsvorgabe oder im Kita- und Schulbereich. Und natürlich sind Menschen am Existenzrand. Jeder vierte hat Angst, bald seine Miete nicht mehr zahlen zu können. Deshalb ist es in einer Demokratie Teil der Solidarität, Fragen zu stellen, ob die Maßnahmen angemessen sind.

Wenn man sich die Plakate auf den so genannten Hygiene-Demos ansieht, dann sind da vor allem Leute, die Antworten haben und nicht Fragen stellen. Teils ganz eigentümliche Antworten.

Natürlich sehe ich auch diese kruden Verschwörungstheorien. Ob wir denn nicht begriffen hätten, dass eine neue Weltordnung droht, dass Bill Gates uns was implantieren wolle, dass

Angela Merkel von Adolf Hitler abstamme, dieses alles gemischt mit Antisemitismus. Natürlich gilt das Demonstrationsrecht in Deutschland. Aber jeder, der dahingeht, muss gucken, mit wem er da marschiert.

Wie trennen wir das?

Gute Frage. Manche schimpfen, sie seien keine Antisemiten, sie stünden da für ihre Freiheitsrechte. Da müssen wir antworten: Guck dich um, neben wem du stehst und was auf der Bühne geäußert wird. Wenn neben mir jemand skandiert, dass Weltjudentum sei an allem schuld, dann muss ich den ansprechen und in die argumentative Auseinandersetzung gehen. Vor Ort. Das erwarte ich.

Und wie sollte die Öffentlichkeit mit Menschen umgehen, die behaupten, Deutschland sei aufgrund seiner Corona-Maßnahmen ein NS-Staat?

Wir sollten die nicht einfach als Spinner abtun und stehen lassen. Irgendwann sind das dann zu viele Spinner. Das wäre beängstigend für die Demokratie. Wir müssen argumentieren, was anderes geht nicht. Wer sich nicht impfen lassen will, das müssen wir sagen, muss sich nicht impfen lassen, wenn er nicht will. Doch noch gibt es den Impfstoff nicht. Wer also seine Freiheit überdehnen will und damit andere gefährdet, muss argumentativ gestellt werden.

Eine Telefonseelsorgerin erzählte mir jüngst, den Menschen fehle vielleicht einfach die Krisenerfahrung.

Gut möglich. Schon ich habe Krieg, Hunger und Vertreibung nicht mehr erlebt, kenne es aber zumindest noch von hautnahen Schilderungen meiner Eltern. Jüngere Leute haben ihr Leben bisher als relativ sicher erlebt. Sie meinten, ihr Leben im Griff zu haben, es ginge immer höher, schneller, weiter, der Urlaub ist geplant. Und auf einmal werden sie eingeschränkt, der Arbeitsplatz ist nicht mehr sicher, der Lebensstil aus Clubs, Bundesliga, Fitness-Studio infrage gestellt. Ich denke, dass das eine echte Erschütterung sein kann, die auch ein Ohnmachtsgefühl auslöst. Plötzlich empfinden sie sich nicht mehr als Herr ihres eigenen Lebens.

Was fehlt, damit man dieses sehr temporäre Andere als so bedrohlich empfindet? Dankbarkeit? Demut?

Ja, gewiss. Demut bedeutet: Ich bin nicht die Macherin meines Lebens, nicht diejenige, die alles im Griff hat. Wenn es jetzt so viel Sehnsucht nach Normalität gibt, dann ist das vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass wir den Alltag früher gar nicht wertgeschätzt haben. Jeden Tag zumindest optional alles einkaufen zu können, jeden Tag frei bewegen, wohin du willst, das alles in einer der reichsten Nationen der Welt. Das wurde für selbstverständlich genommen, ist es aber nicht. Zuerst haben die Bilder der Sterbenden aus Bergamo und die Kühllaster in New York einen Schock ausgelöst. Doch mit der Zeit wurden die Bilder weniger und die Belastungen größer. Menschen brauchen immer eine Perspektive, Hoffnungsziele. Daher kippt das jetzt.

Ist das das Fundament, auf dem Bundestagspräsident Schäuble steht, wenn er sagt, es gebe keinen Vorrang des Artikels 2, Satz 2 als den Staat bindendes Recht vor anderen Grundgesetz-Artikeln? Also, was ist mein Recht auf möglichst umfassende körperliche Unversehrtheit wert?

Der erste Artikel besagt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir dürfen und müssen fragen, was passiert, wenn der Staat teils restriktiv Isolation hinter verschlossenen Türen bestimmt. Wenn die Fälle von gemeldeten Schütteltraumata bei Kleinkindern steigen, dann wird die Würde der Kinder verletzt hinter diesen Türen. Und die Würde wird auch verletzt, wenn ich nicht zu meiner sterbenden Mutter ins Altenheim darf. Da hat Wolfgang Schäuble recht, der Würdeschutz darf nicht zugunsten eines Lebensschutzes geopfert Foto: V. Macke werden. In diesem Jahr werden laut Robert-Koch-Institut statistisch 520.000 Menschen eine Krebsdiagnose bekommen. Davor kann uns der Staat auch nicht schützen, niemand würde das erwarten. Doch jetzt wurde wegen Covid-19 eine solche Isolation verhängt. Einsamkeit, die so brutal ist, Plötzlich empfinden dass zeitweise gar kein Konsich die Leute nicht takt möglich ist, die führt zu mehr als Herr ihres schweren Depressionen. Das eigenen Lebens. greift die Würde massiv an.

Können wir uns auf mehr Suizide einstellen, wenn es im Herbst und Winter zu einer zweiten Infektionswelle kommen wird?

Kann gut sein, dass die Zahl der Suizide steigen wird. Aber insgesamt werden die Folgen der Isolation und der Angst erst mit der Zeit offenbar werden. Ich fürchte, sie werden gravierender sein, als bisher angenommen. Eine Mitarbeiterin eines Frauenhauses hat mir erzählt, sie bereiten sich auf eine ganze Welle neuer Fälle vor.

Foto: Picture-Alliance/Geisler-Fotopress

Sich wissend wähnende Kritiker der Krisenpolitik versammeln sich wöchentlich auch in Hannover.

Nur weil man den Männern bisher und normalerweise gestattet hat raus zu gehen, überleben ihre Frauen und Kinder?

Die Krise zeigt uns aktuell einfach, wo die Schwächsten der Gesellschaft sind. Die Krise ist ein Brennglas. Es erschreckt mich, wie viele Kinder geschlagen und misshandelt werden, wie viele Frauen pro Jahr von ihren Partnern getötet werden. Niemand in der Politik hat die sozialen und psychischen Folgen von Anfang an bedacht, weil niemand bisher eine solche Krise erlebt hat. Aber tatsächlich zeigt sie uns viele Schwachstellen, ja auch die ganze Fragilität der Gesellschaft. Und dann vergessen wir hier in Deutschland in der ganzen Öffnungsdiskussion auch noch die Allerschwächtsen, die kleinen Kinder.

In Dänemark werden die Kitas viel früher wieder aufgemacht.

Und hier in Hannover-Land heißt es, dass vielleicht nach den Sommerferien wieder aufgemacht wird. Das muss man sich mal vorstellen. Gerade die Kita- und Grundschulkinder sind doch die, die am meisten auf den Kontakt mit ihresgleichen und den Freiraum, das Vertrauen in Kita und Schule angewiesen sind. Die älteren Kinder, die Jugendlichen, die kennen sich notfalls aus mit elektronischen Kommunikationsmitteln, die Kitakinder aber werden übersehen. Also bitte, verkürzt die Sommerferien nach diesen acht Wochen Shutdown jetzt auf drei Wochen, seid kreativ in den Ministerien und Schulen und sorgt dafür, dass die Kinder endlich wieder ihr Kinderleben haben.

Ist die Unbeschwertheit der Jüngeren wichtiger als das Leben der Alten?

Wenn ich wüsste, dass die Kleinen und Jüngeren wieder rauskönnen, wenn wir, die über Sechzigjährigen, die Risikogruppen, zuhause blieben, wenn das der Deal wäre, dann würde ich mich darauf einlassen. Das kann meines Erachtens von uns erwartet werden.

Der einstige Obergrüne Christian Ströbele hat bereits angekündigt, er würde sofort klagen, wenn er eingesperrt würde, damit die Jüngeren früher ihr bisheriges Leben zurückbekämen.

Das finde ich ziemlich unsolidarisch von ihm. So ein alter Kerl, der viel gelebt hat, sich viel bewegt hat in einem langen Leben, der kann jetzt durchaus mal ein bisschen zurückstecken, damit jetzt die Kinder raus können. Wir Alten haben ein gutes Leben gelebt. Solidarität ist doch gerade zu sagen: Ich verzichte zugunsten von anderen. Gerade wir Älteren sind doch – mehrheitlich – die Luxusgeneration, die es so gut hatte, wie keine Generation vorher und keine danach. Und wir sind jetzt von den wirtschaftlichen Folgen der Krise zudem am wenigsten betroffen. Wir bekommen unsere Rente, unsere Pension weiter, müssen keine Kurzarbeit oder den Arbeitsplatzverlust fürchten, müssen keine Kinder versorgen und auch keine Alten, weil wir selber die Ältesten sind. Müssen aber von allen anderen geschützt werden. Das hat etwas Ungerechtes.

Vielen Dank für das Gespräch.

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