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Aus dem Leben

»RISIKOMENSCH«

Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Klaus (61).

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Hallo Klaus, die letzten Wochen waren turbulent. Das Thema »Corona« bestimmt unser aller Leben. Wie geht es dir damit?

Ganz gut jetzt. Ich kann wieder verkaufen! Das war eine Scheißzeit, als ich zuhause rumgammeln musste. Aber was sollte ich machen? Naja, ich bin trotzdem zu meinem Verkaufsplatz vor »Penny« gegangen und habe da meinen Kaffee getrunken, damit die Leute auch wissen, dass ich noch da bin und irgendwann wieder Asphalt verkaufe.

Also hast du gar nicht so viel an deinem Tagesablauf geändert?

Ich war schon mehr zuhause, aber eigentlich habe ich meinen Ablauf beibehalten. Ist ja auch kein Problem. Ich wohne um die Ecke, »Penny« ist nicht weit weg. Da sind meine Leute: Bekannte und Kunden – ein bisschen klönen, mit Abstand von zwei Metern natürlich! Hätte ich nur alleine in der Wohnung gehangen, wäre ich verrückt geworden. Ich habe hier nur meine Katze Chanel. Die ist super, aber mit der kann ich mich nicht unterhalten.

Hast du Angst vor dem Virus?

Ich habe mir meine Gedanken darüber gemacht … Ein bisschen Angst habe ich schon, aber eigentlich nicht so richtig. Ich lasse mich nicht verrückt machen, habe mich nicht anstecken lassen von der Panik.

Hast du gehamstert?

Nein. Was meinst du, was bei »Penny« los war! Sollte mir mal das Klopapier ausgehen, gibt es Leute, die mir eine Rolle geben, da mache ich mir keine Sorgen. Viele machen sich verrückt. Es ist jetzt aber so: Das Virus ist überall, daran lässt sich nichts ändern. Ich lebe mein Leben weiter, ich weiß, wie weit ich gehen kann. Ich gebe keinem die Hand, ich halte Abstand, ich nehme keinen in den Arm. Und ich war auch letztens erst bei meinem Lungenarzt: Alles im grünen Bereich!

Du hast COPD, eine chronische Lungenerkrankung.

Ja. Ich bin ein Risikopatient – oder sagen wir lieber: Risikomensch. Ich bin ja gar kein Patient. Ich könnte schon größere Probleme bekommen, sollte ich mich anstecken, aber bisher ist das nicht passiert. Ich habe zwar keine Angst, aber ich nehme das auch nicht auf die leichte Schulter – ich halte mich an die Empfehlungen der Virologen und auch an die der Kanzlerin. Ansonsten lebe ich mein Leben so weiter wie gehabt. Aber es hat sich schon viel verändert, die Menschen haben sich seit Corona verändert.

Wie denn?

Sie sind ruhiger, mehr in sich gekehrt, auch höflicher, als könnten sie morgen schon sterben. Ich nehme an, dass sie nachdenklicher sind. Das geht mir auch ein bisschen so. Manchmal ist es aber auch so, dass die Leute genervter sind, aggressiv sogar. Das habe ich bei mir zwischendurch auch beobachtet, aber dann habe ich zu mir selbst gesagt: »Klaus, bleib ruhig!« Auch das mit den Masken ist ja jetzt eine neue Erfahrung, da müssen sich auch alle erst mal dran gewöhnen. Angenehm ist das nicht, ich kriege auch schlecht Luft dadurch, noch schlechter als sonst, aber ich schütze andere, vielleicht auch mich – und das ist gut.

Du bist trockener Alkoholiker. Fiel es dir in dieser besonderen und auch psychisch herausfordernden Zeit schwerer, standhaft zu bleiben, nicht zu trinken?

Nein! Einen Grund zum Trinken kann man immer finden. Man ist ja auch immer irgendwie von Alkohol umgeben, alleine beim Einkaufen schon. »Nein, Klaus, das machst du nicht«, denke ich dann immer. Ich weiß, was ich mir dadurch alles kaputtgemacht habe, dass ich mich selbst kaputtgemacht habe – körperlich. Mir ging es am Ende nur noch schlecht: Ich konnte nicht richtig stehen oder gehen und hatte Schweißausbrüche, Angstzustände, habe gezittert … das darf nicht wieder anfangen. Das habe ich immer im Hinterkopf. Seit drei Jahren trinke ich nicht mehr. Und ich musste viel lernen seitdem.

Was denn?

Wenn ich getrunken hatte, hatte ich so etwas wie einen Schutzpanzer, da kam ich mehr aus mir raus und hatte nicht solche Hemmungen, war nicht so schüchtern, aber das war es nicht wert. Und das mit dem Schüchtern sein wird auch langsam besser, ich werde abgebrühter (lacht). Jetzt geht es mir doch so gut! Ich habe eine Wohnung für mich, tolle Vermieter …

Du wohnst in einer kleinen Wohnung seit einem Jahr, oder? Bei unserem letzten Gespräch warst du ja noch in einer Psychotherapeutischen Wohneinrichtung für Suchtkranke und hast dort in einer WG gelebt.

Ja, jetzt wohne ich in meiner eigenen kleinen Wohnung bei meinem Vermieter im Haus – und ich gehöre praktisch zur Familie. Sie haben mich aufgenommen wie ihren Sohn. Die Mutter meines Vermieters ist und war ja meine Asphalt-Kundin. Wir kamen ins Gespräch und sie hat mir die Wohnung angeboten. Einen großen Garten habe ich auch noch und eine Katze, die Familienkatze Chanel. Tagsüber ist sie draußen und abends kommt sie immer zu mir und guckt ins Fenster, dann lasse ich sie rein und sie schläft bei mir auf der Couch. Ich habe Asphalt viel zu verdanken: dass ich trocken bin und bleibe, dass ich diese Wohnung gefunden habe. Ich bin sehr froh, dass es Asphalt gibt und ich jetzt auch wieder verkaufen kann – das ist meine Aufgabe! Interview: Svea Müller

Fotos: privat

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