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Buchtipp Der Nachtstimmer
from Neu Nota Bene 21
by Mateo Sudar
Von verzwickten Situationen und unheimlichen nächtlichen Aktionen in dunklen Kirchengemäuern –Maarten ’t Harts neuester Roman

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Der Orgelstimmer Gabriel Pottjewijd fährt mit dem Zug in ein Hafenstädtchen in Südholland, voll von seltsamen, skurrilen Zeitgenossen. Sein Auftrag: das Stimmen der Orgel in der „Groote Kerk“ der Gemeinde. Schon Gabriels Ankunft am Ort, im sogenannten Seemannsheim, gestaltet sich alles andere als angenehm. Der Wirt ist unfreundlich, das Zimmer schmuddelig und im Bett versinkt der Orgelstimmer in einer fragwürdigen alten Matratze.
Ein tragikomisches Umfeld für einen typischen Roman des Niederländischen Autors. Die Geschichte ist zudem gespickt mit musikalischen Querverweisen, Fachwissen über das Orgelspiel, die Orgelstimm-Praxis und die allgemeine klassische Musikgeschichte. Wir begegnen seltsamen Gestalten, die scheinbar alle etwas wissen, was unserem Helden auf rätselhafte Weise verborgen bleibt. Hart versteht es, die verschiedenen Episoden spannend wie einen Kriminalfall, jedoch gleichzeitig voll von Wortwitz und Situationskomik, zu schildern.
Beim Orgelstimmen wird immer ein „Tastenhalter“ benötigt, der, während die Orgelpfeifen vom Fachmann gestimmt werden, die jeweilige Taste auf dem Manual oder im Pedal betätigt. Hierfür wird Gabriel im Roman die scheinbar geistig zurückgebliebene Tochter der brasilianischen Dorfschönheit empfohlen. Die junge Frau kann so zurückgeblieben nicht sein, denn sie hat eine unglaubliche musikalische Begabung und gibt die perfekte
Tastenhalterin ab. Die schöne Mutter begleitet ihre Tochter zu den Orgelstimmterminen. Gabriel verliebt sich selbstverständlich in die Schönheit, die aussieht wie die Pianistin Martha Argerich (so gibt der Autor uns Lesern um die Ecke herum ein Bild zur Hand von der wunderschönen Erscheinung der Dame). Scheinbar waren zahllose Herren aus der Hafenstadt schon vergeblich hinter der exotisch-erotischen Gracinha her.
Da die Arbeit des Orgelstimmens nunmehr nur nachts stattfinden kann, weil es tagsüber aufgrund des Geräuschpegels von der nahen Schiffswerft nicht möglich ist, bietet dies natürlich eine wunderbare Gelegenheit für unbekannte Eindringlinge, eingebildete oder echte Attentäter oder Mörder aus Eifersucht, die unseren Helden in der nächtlichen Kirche heimsuchen und erschrecken. Ach ja, einen Drohbrief eines Unbekannten gibt es auch noch. Es wird recherchiert und kombiniert und währenddessen ist der Unbekannte scheinbar ständig dabei, Gabriel auf offener Straße mit einem Velomobil zu verfolgen und zu bedrohen. Es sind spannende, witzige und außerordentlich skurrile Szenen, die Maarten ’t Hart mit seiner Art, ungewöhnliche Geschichten zu erzählen, uns Leserinnen und Lesern vorlegt. Tolle Sommerlektüre.
Wolfgang Waldenmaier
Maarten ’t Hart: Der Nachtstimmer
Piper Verlag München, 2021