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Ergotherapie in Zeiten von Corona
from Neu Nota Bene 20
by Mateo Sudar
Alltag, das bedeutet normalerweise, regelmäßig wiederholende Aktivitäten und Routinen. Sie geben Sicherheit und entlasten davon, sich um das alltägliche Handeln Gedanken zu machen. Unbeschwert und ausgeglichen wird so ein Alltag erlebt, in welchem die Dinge scheinbar leicht von der Hand gehen. Corona hat diesen Alltag verändert und gewohnte Routinen unterbrochen. Diese Unterbrechung bedeutete Verlust von Vertrautem. Unsicherheit und Stress können die Folgen sein. Sinnvollen Maßnahmen des Schutzes der Gesundheit können diese jedoch in Gefahr bringen. Aus Stress, Unsicherheit und Verlust von Vertrauen wird leicht eine Krise im privaten und gesellschaftlichen Zusammenhang.
Was bedeutet eine Krise? Sie gleicht einer Situation, die nicht als beherrschbar und kontrollierbar erlebt wird und bisherige Handlungsweisen als nicht mehr sinnvoll und vernünftig erscheinen lassen. Manchmal ist eine Erstarrung die Folge, kaum eine oder gar keine Aktivität scheinen möglich. Umgekehrt kann es auch dazu kommen, besonderen Aktionismus zu zeigen, der den Eindruck erwecken lässt, handlungsfähig zu sein und die Situation zu kontrollieren. In beiden Fällen ist genau das nicht mehr der Fall. Eine in der Ergotherapie als Betätigungsdeprivation bezeichneter Zustand ist entstanden, in welchem die davon betroffenen Menschen ihrer bisher als sinnvoll erachteten Betätigungen verlustig gehen. Eine Gefahr für Gesundheit und Wohlbefinden.
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Jede Krise ist ein Prozess der Veränderung und verläuft in Phasen. Zu Beginn dominiert das Erleben, das darf nicht wahr sein, das gibt es doch nicht. Diesem folgt ein chaotisch, emotionaler Ausbruch, der zugleich die Phase einleitet, in welcher erste Versuche gemacht werden, die Situation zu gestalten. Schließlich wird die Krise überwunden, in dem ein neuer Alltag entsteht.
Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken, ist zentrales Anliegen der Ergotherapie. Das prädestiniert sie gerade in Zeiten von Krisen und Umbrüchen, Menschen darin zu unterstützen, ihre Handlungsmöglichkeiten neu zu finden. Auch Menschen ohne Behinderung oder Erkrankung geraten in einer Krisensituation an ihre Grenzen, wie sich beispielweise auch in der Zunahme häuslicher Gewalt zeigt. Ergotherapie kann und soll einen Beitrag leisten, um dies zu vermeiden. Dafür müssen die Expertise und die Erfahrungen von Ergotherapeuten auch im Rahmen von Prävention und Gesundheitsförderung sowie im Gemein- und Gesundheitswesen stärker einfließen.
Über welche Kompetenzen verfügt Ergotherapie und wie sieht das praktisch aus? Unser Alltag ist bestimmt von Betätigungen aus den Bereichen Produktivität, Selbstversorgung, Freizeit und Erholung. Sie haben im Alltag ihren Platz und stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander – eine Balance, die Gesundheit und Wohlbefinden erzeugt. Ergotherapie kann dazu beitragen, die Balance auch in Zeiten einer Krise wieder herzustellen.
Ergotherapeuten unterstützen Menschen dabei, die Krisensituation und ihre Auswirkungen auf den Alltag und die Handlungsfähigkeit zu reflektieren. Dies lockert die ausschließliche Fokussierung auf die Krise und hilft, andere Aspekte des Lebens wahrzunehmen, wertzuschätzen und als Ressourcen zu nutzen. Das bedeutet, Routinen sollten, wenn möglich, erhalten bleiben. Erlaubt dies die Situation nicht, gilt es, neue zu schaffen. Dazu lohnt ein Blick auf die eigenen Aufgaben und Rollen, die man in seinem persönlichen Umfeld einnimmt. Was bleibt wie gehabt, was aber muss angepasst werden? Handlungsmuster anzupassen und zu verändern, ist besonders dann von Bedeutung, wenn es sich um persönlich wichtige Dine handelt. Überlegungen dazu, welche Aktivitäten persönlich regelmäßig und wichtig sind, sollen vorab gemacht werden. Das hilft, Prioritäten zu setzen.
Nicht zuletzt die berufliche Tätigkeit und damit die so wichtige Produktivität müssen in Zeiten von Corona angepasst werden und nicht selten wird das Zu Hause zum Arbeitsplatz. Hierbei Arbeit von Privatem zu trennen, ist nicht einfach, aber möglich, wenn
7 der Raum und die Zeit, in welcher gearbeitet wird, ungestört bleibt,
7 die Arbeitsumgebung möglichst ergonomisch gestaltet ist,
7 Pausen regelmäßig eingehalten werden
7 und nach Dienstschluss nicht an den Arbeitsplatz zurückgekehrt wird.
Die Coronakrise ist noch nie dagewesen, mittlerweile nicht mehr neu, doch in ihren Folgen noch nicht erforscht. Das wirkt auf uns Menschen und jede Krise bringt immer psychische Belastung mit sich. Ängste, Sorgen, schlechte Stimmung oder Ärger gehören dazu und brauchen ihren Raum. Auf Dauer kann sich die schwierige Situation allerdings verstärken. Es gilt herauszufinden, welche Dinge im persönlichen Leben besonders für schlechte Stimmung sorgen. Und Überlegungen anzustellen, wie sie zu reduzieren und damit zu kontrollieren sind. Ist das nicht möglich, so finden sich Wege, sie zu kanalisieren, ohne dabei Schaden anzurichten.
Die Beschreibung der möglichen Maßnahmen zeigt, den Alltag zu meistern, kann auch in Zeiten der Coronakrise gelingen. Die Ergotherapie trägt hier mit ihrem Wissen um Betätigung und ihrer Bedeutung für den Alltag dazu bei, die Krise zu überwinden. Den Alltag neu zu gestalten, lautet die Devise – und im Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit die Krise zu überwinden.
Anke Matthias-Schwarz
Ergotherapeutin/Gesundheits- u. Sozialmanagement B.A.