2 minute read

Alt werden ist nichts für Feiglinge

Wie wir unsere Eltern im Alter begleiten können

In ihrem Wegweiser „Nicht mehr wie immer“ gibt Katja Werheid erwachsenen Kindern, oft selbst schon dem Rentenalter nahe gekommen, Tipps im Umgang mit alternden Eltern. Katja Werheid, geb. 1969, lehrt in Berlin Neuropsychologie und Alterspsychotherapie und forscht mit Schlaganfall- und Demenzpatienten und deren Angehörigen. Aus dieser Arbeit heraus entstand das Buch, das unterschiedlichste Aspekte des Alterns beleuchtet und bisweilen humorvoll und mit einem Augenzwinkern Hilfestellung im Umgang damit gibt. Zum Beispiel wenn von der 87-jährigen Großmutter Waltraud berichtet wird, die ihre Enkelin, inzwischen schon Mitte 40 und damit längst erwachsen, seit Jahrzehnten während ihrer Besuche mit Buttercremetorte verwöhnt, weil sie die doch als Kind immer so gerne mochte. Heute würde die Enkelin etwas anderes bevorzugen. Etwas, das leichter verdaulich und für die Großmutter weniger beschwerlich herzustellen wäre. Doch keiner von beiden wagt es, dieses anzusprechen – aus der Sorge heraus, den anderen zu enttäuschen. Oder vielleicht, weil sich im tiefsten Inneren beide wünschen, es bliebe alles eben so wie immer. Was hier so banal klingt, ist doch oft die Problematik: In unserer multimedialen Zeit mit tausenderlei Kommunikationswegen scheint die Kommunikation in den engsten familiären Beziehungen oft am wenigsten zu gelingen, wie eben zwischen alternden Eltern und erwachsenen Kindern. Welche Hindernisse oder Gegenspieler da auftreten können, wie man diese auflösen oder damit Frieden schließen und weiterleben kann, wird in dem Buch beschrieben. Dabei kommt die Autorin ganz ohne erhobenen Zeigefinger aus, zeigt vielmehr Verständnis für alle Beteiligten, was sehr wohltuend und ermutigend wirkt.

Advertisement

Zur Entspannung für diejenigen, die an der einen oder anderen Stelle doch hin und wieder ein schlechtes Gewissen auf Grund zu wenig Zeitinvestment für die eigenen Eltern beschleicht, möglicherweise weil sie selbst noch im Berufsleben stehen und wenig Zeit haben, beschreibt die Autorin, dass es keineswegs auf die Dauer oder wöchentliche Häufigkeit der Kontakte zu unseren Altvorderen ankommt, sondern vielmehr auf die empfundene Qualität dieser Kontakte. Wir brauchen uns also nicht permanent auf der Pelle zu hocken, wenn wir wissen, dass wir ein gutes Verhältnis zueinander haben und uns gegenseitig wertschätzen und vertrauen. Nicht die Quantität der gemeinsam verbrachten Zeit ist entscheidend, sondern vielmehr die Qualität. Üben wir also früh, über Small Talk hinaus miteinander ins Gespräch zu

Katja Werheid

„Nicht mehr wie immer“, erschienen im Piper Verlag GmbH,

ISBN 978-3-492-06092-9

Preis 15,– € kommen und die Zeit mit unseren Eltern, Onkeln und Tanten aktiv zu gestalten. Um schwierige Themen anzusprechen eignet sich, soweit noch möglich, ein Spaziergang an einen Ort, zu dem man einen gemeinsamen Bezug hat.

Daneben kommen wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse keineswegs zu kurz, beispielsweise wenn es um verschiedene krankheitsbedingte Einschränkungen geht oder um die Häufigkeit unterschiedlicher Todesursachen je nach Alter. Denn obwohl jedes Kind bis zur Volljährigkeit scheinbar schon 18.000 Leichen in verschiedensten Medien gesehen haben soll, gehören das echte Sterben und der Tod in unserer Gesellschaft eher zu den Tabuthemen, die in professionelle Hände wie Kliniken, Pflegeheime und Hospize ausgelagert wurden. Daher hält es die Autorin für ratsam, sich auch damit zu befassen: „Denn wirklich erwachsen sind wir erst, wenn wir uns eingestehen, dass die gemeinsame Zeit mit den Eltern endlich ist.“ Und nicht nur die gemeinsame Zeit mit den Eltern ist endlich, sondern auch die eigene Lebenszeit. Vielleicht dient zum weisen Altwerden auch die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit und die Klärung, welche Wünsche und Erwartungen man selbst im Blick auf das eigene Alter, Sterben und Tod hat. So gelesen leistet das Buch vermutlich einen Beitrag zur Erleichterung und Unterstützung der eigenen Kinder, Nichten und Neffen oder sonstiger Helfer und Kümmerer. Denn die Veränderung unserer Eltern liegt nicht in unserer Verantwortung, unsere eigene aber sehr wohl!

Zugleich wird der Ratgeber ganz praktisch. Wenn es darum geht, Ressourcen zu erkennen und zu stärken oder Netzwerke zu aktivieren und Helferkreise zu kreieren. Es werden Ideen aufgezeigt und im Anhang hilfreiche Adressen genannt. Katja Werheid ist es mit diesem Buch gelungen, einen nützlichen, gleichzeitig leicht und teilweise amüsant zu lesenden Ratgeber für all die zu schreiben, die sich mit der Problematik des Alterns von Eltern und Verwandten und nicht zuletzt mit dem eigenen Altern konstruktiv auseinandersetzen wollen. Demzufolge kein Buch für Feiglinge!

Ursula Dehner

This article is from: