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„Ein untadeliger Mann“
from Neu Nota Bene 05
by Mateo Sudar
Erzählt wird die Lebensgeschichte des ehemaligen Hongkonger Anwaltes für Baurecht, Edward Feathers, der seinen Ruhestand gemeinsam mit seiner Frau in ihrem großzügigen Anwesen in Dorset verbringt. Feathers, in Kollegenkreisen auch Old Filth -Failed in London Try Hongkong genannt, hat wenig Freunde, einen ehemaligen Kollegen, den er zutiefst verachtet und den Ruf eines überaus korrekten und ordentlichen Mannes, der sich nie etwas zuschulden kommen lies.
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Als dieser ungeliebte Kollege eines Tages das Haus direkt neben ihm bezieht, seine Frau plötzlich stirbt und er gezwungenermaßen Kontakt zu ihm aufnehmen muss, fängt die sorgsam gehegte Fassade an, Risse zu zeigen. Er wird sich seiner Vergänglichkeit bewusst und dadurch gezwungen, über seine Vergangenheit nachzudenken.
Mittels stilsicher eingefügter Rückblenden wird auf fast liebevolle Art Stück um Stück seiner Kindheit offenbart, die ihn letztendlich zu diesem Mann machte, den er heute darstellt: Einen kühlen, liebesunfähigen Kopfmenschen.
Feathers ist ein Raj-Kind oder auch Empire-Waise. Dies sind Kinder der britischen Kolonialbeamten aus Hongkong, Singapur und Malaysia, die im Alter von ca. fünf Jahren aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen und nach England verschickt wurden. Dort kamen sie zu Verwandten oder Pflegeeltern, die sie in der Regel gegen Bezahlung aufnahmen, in die Schule und das Internat schickten und gegebenenfalls auch zum Studium. Da diese Wohnverhält- nisse kaum kontrolliert wurden, waren Raj-Kinder den Aufsichtspersonen völlig ausgeliefert, was teilweise zu großen physischen und psychischen Verletzungen führte.

Jane Gardam widmete dieses Buch den Raj-Waisen, sie kennt (Jahrgang 1928) viele von ihnen persönlich.
Feathers wächst die ersten viereinhalb Jahre bei seiner Amme in einem malay- ischen Dorf auf. Seine Mutter starb bei der Geburt und sein Vater, stark traumatisiert durch den Ersten Weltkrieg sowie alkoholkrank, zeigt kein Interesse an ihm. Auch er wird dann nach England verschifft und kommt, zusammen mit zwei entfernten Cousinen, zu Pflegeeltern nach Wales. Er durchläuft anschließend die seinerzeit übliche Laufbahn: Internate, Militär, Jura-Studium. Er geht nach Hongkong und erwirbt durch seine Arbeit als BaurechtsAnwalt großen Reichtum, heiratet und zieht sich nach seiner beruflichen Laufbahn in den Neunziger Jahren wieder in seine „Heimat“ England zurück.
Nach dem Tod seiner Frau und seines ehemaligen Kollegen, der ihm inzwischen so etwas wie ein Freund geworden war, beschließt Feathers zu reisen. Er trifft sich mit seinen Cousinen und sucht den Ort auf, an dem es ihm längere Zeit gut ging. Er lässt immer mehr Erinnerungen zu und mit Hilfe seiner Cousinen und einem jungen Geistlichen wird es ihm möglich, die ihm zugefügten Verletzungen zu erkennen, anzunehmen und seine vermeintliche Schuld als das wahrzunehmen, was es wirklich war. Er lernt sich zu vergeben und dadurch auch seinen Peinigern.
Gabriele Steckler
„Ein untadeliger Mann“ von Jane Gardam, aus dem Englischen von Isabel Bogdan Erschienen im Hanser Verlag Bestell-Nr. 978-3-446-24924-0
Die Autorin Jane Gardam, geboren am 11.07.1928 als Jean Mary Pearson in Coatham, Yorkshire, schreibt Erzählungen, Romane und Kinderbücher. Ebenso arbeitet sie als Kritikerin für Zeitungen und schreibt für BBC Radio.
Wo ein Lied eine Brücke sein kann
Musik in der Betreuung und in der Pflege
Dass das Singen, das Musizieren und auch das Musikhören eine immense Auswirkung auf die Lebensqualität besitzen, ist hinlänglich bekannt und in verschiedenen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen. Gerade das Singen kann laut Prof. Dr. Günter Kreuz (Universität Oldenburg) das Immunsystem stärken und durch die Ausschüttung des Hormons Oxytozin den Stressabbau unterstützen und den Wohlfühleffekt fördern.
In der Pflege älterer Menschen und in deren Alltagsgestaltung hat das Singen und Musizieren eine ganz besondere Bedeutung. Dies kann man, wenn man tagtäglich damit umgeht – anders als durch das bloße Studieren theoretischer Abhandlungen – in realen, erfassbaren Aktionen und Reaktionen hautnah erleben. Gleich ob eine Pflegeoder Betreuungskraft zur Gitarre greift und ein bekanntes Volkslied anstimmt oder ob auch nur von der Musikkonserve ein beliebtes Lied erklingt, die meisten Menschen in der Runde sprechen unmittelbar darauf an. Einige beginnen sofort textsicher mitzusingen, einige sprechen oder flüstern den Liedtext mit und einige zeigen durch ihre Mimik und Körpersprache an, dass etwas Wohlbekanntes bei ihnen ankommt.
Die Generation, die im Moment in unseren Senioreneinrichtungen lebt, hat anders als vielleicht die Jüngeren – einen unmittelbaren Bezug zum Singen. Egal ob zu Hause, im Schulunterricht, im Gesangsverein oder im Freundeskreis: gerade das gemeinsame Singen und Musizieren ist für unsere Bewohner immer schon ein herausragender, wichtiger und geliebter Bereich im Leben gewesen.
Da ist es selbstverständlich auch kein Wunder, wenn man als Pflegekraft oder als Alltagsbetreuer(in) zum Teil erstaunliche Erfahrungen macht. Menschen, die kommunikativ nur sehr eingeschränkt aktiv sind, deren kognitiven Fähigkeiten krankheitsbedingt reduziert sind oder die ganz und gar nicht mehr in der Lage sind, an Angeboten der Betreuung teilzunehmen, zeigen tatsächlich durch Musik individuell unterschiedliche Reaktionen.
So ist der wunderbare Fall der Dame aus dem Johanneshaus Bad Liebenzell erwähnenswert, deren Lieblingsoper „La Boheme“ von Puccini ist. Mit herkömmlichen Mitteln der Kommunikation dringt man normalerweise nicht mehr in ihre Welt vor. Bei Arientexten aus der deutschen Fassung des Werkes jedoch spricht sie sofort an und rezitiert ganze Textzeilen daraus. Noch verblüffender ist es nun aber, dass diese Bewohnerin auf das italienische Original von der CD noch intensiver reagiert: Sie singt leise in italienischer Sprache mit und ihre Körpersprache signalisiert äußerstes Wohlgefühl.

Wie Musik als Brücke dienen kann, lässt sich durch solche Erfahrungen doch leicht erahnen. Manchmal bleibt sie die einzige Verbindung zu Menschen, die durch andere Kommunikationsformen nicht oder nur sehr schwer zu erreichen sind. Hinsichtlich dieser Erkenntnis ist es ganz wichtig, dass innerhalb der Ausbildung zur Pflegekraft und auch zur Betreuungskraft, ein besonderes Augenmerk auf das Singen und Musizieren gelegt wird. Neben der Vermittlung der medizinischen Grundlagen, der anatomischen Zusammenhänge, der physiologischen Prozesse und des psychologischen Wissens, die zusammen die Grundvoraussetzung für eine fachlich korrekte Pflege bilden, gehört zur humanen und würdevollen Pflege nämlich auch das Erlernen einer Sprache, die auch dann noch funktioniert, wenn die herkömmlichen Formen versagen.
Wolfgang Waldenmaier
Ein Ratschlag aus der Apotheke

Vielen Besuchern einer heutigen Apotheke ist sicherlich nicht bekannt, dass trotz der großen Anzahl chemisch produzierter Arzneimittel bis heute ungefähr ein Drittel des Arzneischatzes aus unserer Natur stammt. Selbst modernste Entwicklungen nutzen häufig die Natur als Lieferanten der Ausgangssubstanzen.
Um die Vielfalt der Pflanzenwelt mit ihren Arzneistoff liefernden Arten besser kennen zu lernen, bin ich immer wieder auch mit der Kamera in der Natur unterwegs, um einzelne Exemplare für mein Archiv festzuhalten.
In regelmäßiger Folge möchte ich deshalb an dieser Stelle einzelne Pflanzen vorstellen und über ihre Wirkungsweise informieren.
Friedrich Böckle