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mehr als nur ein Ort
from Neu Nota Bene 04
by Mateo Sudar
Die Suche demenziel erkrankter Menschen nach dem einstigen „zu Hause“
Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit erinnern sich viele Menschen gerne oder auch mit etwas Wehmut an ihre Heimat, an ein in der Vergangenheit liegendes zu Hause. Die solche Erinnerungen begleitenden Gefühle werden neben dem, wie diese Heimat ehemals erlebt wurde, wesentlich davon mitbestimmt, wie ein Mensch in seiner gegenwärtigen Situation das eigene Beheimatet sein empfindet.
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Fraglos gehört es zu den menschlichen Grundbedürfnissen, an einem Ort daheim zu sein.
Worauf aber gründen sich Heimatgefühle oder was lässt einen Ort zur Heimat werden?
In Pflegeeinrichtungen erleben es die Mitarbeitenden immer wieder, dass Bewohnerinnen und Bewohner, insbesondere wenn diese an Demenz erkrankt sind, wieder „nach Hause“ möchten. Ist dieser Wunsch stark ausgeprägt und lassen es die körperlichen Möglichkeiten zu, entwickeln diese Menschen nicht selten das, was man landläufig als „Weglauftendenz“ bezeichnet. Sie sind auf der Suche nach einem zu Hause der Vergangenheit, welches oftmals für Angehörige überraschender Weise gar nicht der Ort ist, an dem sie zuletzt gelebt haben. In dem bemerkenswerten Buch „Der alte König in seinem Exil“ beschreibt Arno Geiger, wie sein an Demenz erkrankter Vater, ohne nachzudenken, die Adresse seines nun fremd gewordenen Zuhauses, seines Wohnortes nennen kann. Nachdem die Tochter mit dem Vater vor das Haus tritt, ihm quasi wie zum Beweis das Straßenschild und die Hausnummer zeigt, erwidert der Vater trocken, dass das Schild wohl gestohlen und daraufhin hier angeschraubt worden sei. Dies ist für Angehörige nicht selten schwer zu verstehen und wird häufig schmerzlich wahrgenommen. Ich erinnere mich dabei an meine eigene Großmutter, die sich in ihrer bereits fortgeschrittenen Demenz immer wieder mit einem Bündel unter dem Arm auf den Weg nach

Hause machen wollte. Es zog sie wohl in das durch Flucht verlassene Vaterland und das, obwohl sie nun schon einige Jahrzehnte zusammen mit meinem Großvater eine scheinbar neue Heimat gefunden hatte. Wie man heute weiß, ist die Suche nach der Heimat viel weniger die Suche nach einem Ort, als vielmehr die Suche nach etwas Altvertrautem, etwas Wohltuendem. Es ist die Sehnsucht nach Geborgenheit, Angenommen sein und Trost, nach Gerüchen und wohlbekannten Gesichtern – gleichsam die Sehnsucht, vertraute Stimmen und Sprache zu hören, die Menschen auf die Suche gehen lässt. So ist eine Weglauftendenz also eher eine Hinlauftendenz, denn es ist weniger der Drang, vom gegenwärtigen Wohnort wegzulaufen, als vielmehr der, zu etwas Vertrautem hinzulaufen oder zurück zu kehren. Wenn demenziel Erkrankte uns sagen, dass sie nach Hause möchten, oft sogar davon sprechen, dass sie längst verstorbene Angehörige, wie die eigene Mutter, suchen, dann sagt uns das, dass sie sich in diesem Moment fremd fühlen, dass sie Bekanntes und Vertrautes vermissen. Hermann Hesse schreibt in einem seiner Werke: „Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir drinnen oder nirgends.“ Und auch diese Heimat, die bestenfalls in einem selbst zu finden ist, geht Demenzkranken durch das fortschreitende Vergessen verloren. Die kognitiven Begabungen und damit auch die gewohnten äußeren Orientierungspunkte entschwinden mehr und mehr, keineswegs aber die emotionalen Fähigkeiten und Bedürfnisse.
Mit diesem Wissen können wir Verständnis für die an Demenz erkrankten Menschen entwickeln und zeigen. Unsere Aufgabe als Mitarbeitende einer Pflegeinrichtung ist es, den uns anvertrauten Menschen, und damit sind keineswegs nur die demenziel erkrankten Bewohnerinnen und Bewohner gemeint, empathisch zu begegnen und das hinter dem ausgesprochenen Wunsch oder dem für uns möglicherweise merkwürdigen Verhalten liegende Bedürfnis zu erkennen und darauf zu reagieren. Es ist ein zutiefst menschlicher Wunsch, irgendwo zu Hause sein zu können. Dabei sind die äußeren Gegebenheiten dieses Ortes weniger wesentlich, als die emotionalen Umstände, die mit diesem Ort verbunden sind. Wir wünschen uns sehr, dass es uns gelingt, unseren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Heimat zu geben, indem wir „ihre Sprache“ verstehen, indem wir es schaffen, empathisch mit ihnen in Beziehung zu treten und individuelle emotionale Bedürfnisse zu erkennen und nach Möglichkeit auch zu stillen.
Ursula Dehner
Einrichtungsleiterin im Johanneshaus Bad Liebenzell-Monakam
Die Planungen für das Johanneshaus Bad Liebenzell-Monakam sehen die Umstrukturierung von einem klassischen Pflegeheim in ein Kompetenzzentrum Geriatrie vor. Dies erfordert, dass sich die Einrichtung im Zuge der anstehenden, grundlegenden Sanierung und baulichen Erweiterung der Herausforderung eines multidisziplinären Fachpflegezentrums mit differenzierten Angeboten für unterschiedliche Krankheitsbilder stellen wird. Der Erweiterungsbau wird dabei auf zwei Ebenen auch zwei spezielle Dementenwohngruppen vorhalten. Die räumliche Gestaltung dieser Bereiche unterstützt in besonderem Masse Betreuungs-, Pflege- und Therapieanforderungen modellhaft konzipierter Dementen-Wohngruppen.