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Rechtsberatung: Energie
Fälle aus der Rechtsberatung Inflationsfolgen
Mit der hohen Inflation sind für Angestellte wie Apothekenleitungen neue Herausforderungen entstanden – aber auch neue gesetzliche Regelungen. Das spiegelt sich auch in den Fragen wider, die in der ADEXA-Rechtberatung gestellt werden.
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Fall 1: Eine kalte Apotheke
Susanna G., PTA aus Berlin, stand seit längerem in Kontakt mit der ADEXARechtsberatung, weil ihre Apothekenleitung wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden nimmt. So gibt es häufig Diskussionen über spät bearbeitete Urlaubsanträge oder kurzfristige Änderungen der Dienstpläne. Seit dem Spätherbst gibt es aber ein neues Problem: Wegen der gestiegenen Energiekosten hat die Apothekenleitung die Raumtemperatur in der Offizin und in den übrigen Apothekenräumen auf 18° Celsius reduziert. Susanna G. fürchtete jetzt, dass es ihr im Winter zu kalt wird. Insbesondere, weil es auch noch eine Automatik-Eingangstür gibt, durch die es schon bei „normaler“ Heizsituation in den vorigen Wintern schnell abkühlte im HV-Bereich. Sie fragte zum einen, ob sie eine warme Jacke über die Apothekenkleidung ziehen darf. Ebenso ist sie besorgt, inwieweit sie selber Überstunden leisten muss, wenn der Krankenstand unter den Kolleginnen wegen der zu erwartenden Erkältungserkrankungen steigt. Frau G. ist alleinerziehende Mutter eines schulpflichtigen Kindes und kann nur ganz eingeschränkt über die vereinbarte Zeit von 20 Stunden in der Woche hinaus arbeiten, weil ihr die Betreuung für ihr Kind sonst fehlt. Bei der Frage unseres Mitglieds kommen verschiedene rechtliche Aspekte zusammen: Es geht um Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, um Regelungen zur Mehrarbeit und auch um die Arbeitskleidung. Welche Temperaturen am Arbeitsplatz eingehalten werden müssen, regeln das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die Arbeitsstättenverordnung. Aus dem ArbSchG ergibt sich die grundsätzliche Verpflichtung der Arbeitgebenden, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten. Konkretisiert wird das in verschiedenen Verordnungen. Zur Temperatur am Arbeitsplatz gibt es Vorgaben, die abhängig von der jeweiligen Tätigkeit einzuhalten sind. Die Arbeitsstättenregel Raumtemperatur (ASR A 3.5) schreibt zum Beispiel bei einer Tätigkeit, die überwiegend im Stehen oder Gehen erbracht wird und von leichter oder mittlerer Schwere ist, eine MindestRaumtemperatur von 17° bis 19° Celsius vor. An diesem Mindestwert hat sich durch die aktuelle Verordnung zum Energiesparen (EnSikuMaV), die seit 1. September 2022 bis zum 28. Februar 2023 dafür sorgen soll, die kriegsbedingte Energiekrise durch kurzfristige Maßnahmen besser zu überstehen, nichts geändert. In der Verordnung, die im Herbst letzten Jahres für etwas Aufregung gesorgt hat, sind im Wesentlichen Vorgaben für öffentliche Betriebe und Behörden enthalten. Man müsste hier einmal ganz konkret die Tätigkeiten gegebenenfalls auch von der Berufsgenossenschaft überprüfen lassen, ob es sich um mittlere oder leichte Tätigkeiten handelt. In einigen Apotheken ist es ja tatsächlich so, dass das pharmazeutische Personal sehr bewegungsarm am HV-Tisch steht, weil die Vorgänge stark automatisiert ablaufen. In diesem Fall müsste die Temperatur mindestens bei 19° Celsius liegen. Für die Apotheke von Frau G. könnte sich allerdings auch auswirken, dass nach dieser Verordnung Eingangstüren von geheizten Geschäftsräumen nicht dauerhaft geöffnet sein dürfen. Eventuell gibt es die Möglichkeit, in der Apotheke die Öffnung der Eingangstür so zu regulieren, dass das Einströmen der kalten Luft reduziert wird.
Warme Kleidung: Absprache nötig
In diesem Winter werden wir alle wegen des Angriffskriegs in der Ukraine und der damit verschlechterten Energiesituation mit Einschränkungen leben müssen. Die Idee, sich mit wärmerer Kleidung vor möglichen Erkältungen zu schützen, ist sicher gut. Bevor man das in der Apotheke umsetzt, muss man sich allerdings mit der Apothekenleitung darüber ins Benehmen setzen, ob die warme Kleidung den Vorgaben zur Corporate Identity der Apotheke entspricht. Falls es derartige Vorgaben oder eine einheitliche Arbeitskleidung (noch) gar nicht gibt, sollte man trotzdem, idealerweise im Rahmen einer Teambesprechung klären, auf welche Kleidung man sich einigen kann. Vielleicht nimmt die Apothekenleitung diese Diskussion ja auch zum Anlass, in einheitliche warme Kleidung zu investieren.
Überstunden in Teilzeit?
Die zweite Frage unseres Mitglieds ergibt sich aus der Sorge, dass angesichts der ohnehin in vielen Apotheken sehr dünnen Personaldecke während der Erkältungszeiten die gesunden Mitarbeitenden Überstunden leisten müssen, damit die Aufgaben
noch erledigt werden können. Welche Arbeitszeiten die einzelnen Apothekenangestellten leisten müssen, ergibt sich aus ihren individuellen Arbeitsverträgen. Frau G. wird zur Sicherheit ihren Arbeitsvertrag zur Prüfung übersenden müssen. Ist dort ein Jahresarbeitszeitkonto nach der tariflichen Regelung vereinbart, darf die wöchentliche Arbeitszeit schwanken. Die Höchstgrenze liegt bei 130 Prozent der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit. Im Fall von Susanna G., die eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden vereinbart hat, wären es höchsten 26 Stunden. Ob sie darüber hinaus auch zu Mehrarbeit verpflichtet ist, müsste in ihrem Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart sein. Wenn bei Frau G. „nur“ eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vereinbart ist und kein Jahresarbeitszeitkonto, kann die Apothekenleitung in begründeten Ausnahmefällen Mehrarbeit verlangen. Es muss also tatsächlich ein akuter Personalmangel bestehen und – das ist wichtig – es muss sich um eine Ausnahme handeln. Die Situation, die Frau G. befürchtet, wäre von der tariflichen Regelung erfasst. Nicht erfasst sind die Fälle, in denen so wenig Personal vorhanden ist, dass die Mitarbeitenden permanent zu Überstunden herangezogen werden müssen. In diesen Fällen müsste die Apothekenleitung versuchen, neue Mitarbeiter:innen einzustellen oder, wenn das nicht (kurzfristig) möglich ist, die Stundenzahlen des Bestandspersonals aufstocken. Konkret ging es Frau G. um die Frage, wie viele Überstunden sie leisten muss. Als Obergrenze gibt es hier nur die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, wonach höchstens zehn Stunden pro Tag und 60 Stunden in der Woche gearbeitet werden dürfen. Die 60 Stunden nur dann, wenn innerhalb von 24 Kalenderwochen im Durchschnitt acht Stunden pro Werktag (48 Stunden in der Woche) nicht überschritten werden. Das hilft an dieser Stelle nicht weiter. Allerdings müssen Apothekenleitungen auch bei der Anordnung von Mehrarbeit soziale Aspekte berücksichtigen, also die konkreten Lebensumstände ihrer Beschäftigten. Bei Frau G. ist zu berücksichtigen, dass sie ein zu betreuendes Schulkind hat, also nachmittags nicht zur Verfügung stehen kann. Ebenso signalisieren Teilzeitkräfte grundsätzlich, dass sie, anders als Vollzeitkräfte, eben nicht in vollem Umfang der Apotheke zur Verfügung stehen können. Frau G. wird also nur zu den Zeiten und in dem Umfang herangezogen werden können, den sie auch leisten kann.
Fall 2: Sonderzahlung als Inflationsprämie
Seit Oktober 2022 und noch bis Ende 2024 dürfen Arbeitgeber:innen eine Inflationsausgleichsprämie, in den Medien auch Inflationsprämie genannt, steuerund sozialversicherungsfrei an ihre Angestellten auszahlen. Diese soll dazu beitragen, die wegen des Angriffskriegs in der Ukraine massiv gestiegenen Kosten für Energie und die damit verbundene hohe Inflation auszugleichen. Die Inflationsausgleichsprämie bietet also eine gute Möglichkeit für Apothekenleitungen, die Leistungen der Mitarbeitenden zusätzlich zu honorieren. PKA René O. aus Köln wendet sich an uns, weil seine Arbeitgeberin ihm vorgeschlagen hatte, die Sonderzahlung in 2023 als Inflationsausgleichsprämie zu zahlen. Er findet die Idee ganz interessant, weil er dadurch ja selber mehr Nettogehalt hätte. Tatsächlich scheint es auf den ersten Blick eine charmante Idee zu sein, die Inflationsausgleichsprämie „umzuwidmen“ und sie für die Sonderzahlung, also das 13. tarifliche Bruttomonatsgehalt zu verwenden. Ein Blick auf die Gehaltsabrechnung vom November 2022 zeigt, dass vom Brutto beim Netto oft gar nicht mehr wirklich viel übrig bleibt. Auch die Apothekenleitungen würden sparen, weil sie keine Sozialabgaben zahlen müssten.
Voraussetzung: zusätzlich zum Arbeitslohn
Dem Ansinnen der Apothekenleitung und auch unseres Mitglieds stehen allerdings unter Umständen rechtliche Gründe entgegen. Eine Inflationsausgleichsprämie darf nämlich nur dann steuer- und sozialversicherungsfrei gezahlt werden, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt wird. Wir müssen also prüfen, ob René O. einen Rechtsanspruch auf die Sonderzahlung hat. Wenn seine Arbeitgeberin ebenfalls Mitglied der Tarifvertragspartei im Kammerbezirk Nordrhein ist, also der TGL Nordrhein, dann würde der Rahmentarifvertrag Nordrhein, in dem der Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung geregelt ist, gesetzlich anwendbar sein. Die Sonderzahlung, also das 13. tarifliche Bruttomonatsgehalt, wäre Bestandteil des Arbeitslohns von René O., so dass die Leistung nicht zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen würde. Das Gleiche gilt, wenn in seinem Arbeitsvertrag vereinbart wäre, dass der RTV Nordrhein gilt oder dass er davon unabhängig Anspruch auf ein 13. Gehalt bzw. Weihnachtsgeld hat. Hier lohnt sich sowohl ein Blick in den Arbeitsvertrag als auch darauf, wie die Arbeitgeberin sich in den zurückliegenden Jahren verhalten hat. Wenn eine Leistung wie das Weihnachtsgeld drei Mal nacheinander gezahlt wurde, ohne dass die Apothekenleitung deutlich gemacht hat, dass es sich um eine freiwillige Leistung handelt, mit der man sich nicht für die Zukunft verpflichten wolle, kann hieraus ein eigener Rechtsanspruch erwachsen. Auch dann kann die Inflationsprämie nur on top ausgezahlt werden – also so wie sie vom Gesetzgeber gedacht ist.
Foto: Angela Pfeiffer
Minou Hansen
Leiterin der Rechtsabteilung