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Klimabewegung: Was wollen

Interview mit Esther Luhmann und Rebecca Schmidt Pharmacists for Future: Ziele, Projekte, Strukturen

Wie können Apotheken nachhaltig werden? Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Mitarbeitenden? Und warum ist soziale Gerechtigkeit eine wichtige Dimension für die Klimabewegung? Sigrid Joachimsthaler hat mit zwei Vertreterinnen der Pharmacists for Future gesprochen:

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u Frau Luhmann, wann und warum haben sich die Pharmacists for Future gegründet? Gab es einen konkreten Anlass oder eventuell ein Vorbild aus dem Ausland? Esther Luhmann: Begonnen hat alles natürlich mit Greta Thunberg. Doch es war schnell offensichtlich, dass es For-Future-Gruppen für alle Lebensbereiche geben muss. Einige von uns waren zunächst bei Health for Future aktiv, aber das war besonders den jungen Pharmaziestudierenden zu „medizinlastig“. Sie fanden sich dort nicht richtig wieder und wollten sich gezielter für den Bereich Pharmazie engagieren. Wir haben dann recherchiert und es gab noch keine Bewegung oder einen Hashtag für Pharmacists for Future. Daher haben wir unser Logo entworfen, haben uns an Demonstrationen beteiligt und sind so Anfang 2021 als Klimabewegung für die Pharmazie gestartet. Zu der Frage nach möglichen Vorbildern: Der britische National Health Service hatte Anfang 2020 angekündigt, bis 2030 klimaneutral werden zu wollen. Die meisten Zahlen stammen daher aus Großbritannien. Was man aber weiß und was uns nicht egal sein kann: In Deutschland trägt der Gesundheitsbereich rund 5-6 Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei. Emissionen sind aber nur ein Aspekt. In der Klimabewegung wird die Frage der sozialen Gerechtigkeit immer wichtiger: Es geht ja um nichts Geringeres, als unsere Lebensgrundlagen zu bewahren. Die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales müssen zusammen gedacht werden. u Wie sind Sie organisiert und wie viele Menschen engagieren sich derzeit bei Ihnen? Luhmann: Zurzeit sind wir etwa 20 Aktive. Wir erfahren große Beachtung und Unterstützung, aber natürlich kann nur ein Teil kontinuierlich aktiv mitmachen. Weil wir kein Verein sind, sondern eine Klimabewegung, muss man kein Mitglied werden. Wer Interesse hat, ist willkommen: So umfangreich wie

das Arzneimittelwesen sind die jeweiligen Berufserfahrungen und die damit Ökologie zusammenhängenden Herausforderungen in Bezug auf das Klima. Ökonomie Rebecca Schmidt: Wir Soziales sind eine ganz gemischte Gruppe: Studierende, Angestellte und Inhaber:innen aus öffentlichen und Krankenhausapotheken, Behörden und Industrie. Jeder kann ja in seinem Drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Tätigkeitsfeld einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz leisten: Approbierte, PTA und PKA, aber auch Reinigungskräfte oder diejenigen, die fürs Webhosting zuständig sind. Es gibt zwei feste AGs und zu bestimmten Themen bilden wir Kleingruppen, beispielsweise für die Auswertung der Expopharm. Aktuell betreuen drei Personen unseren Instagram-Account. Es gibt aber „Wir wollen keinen Vorstand oder ähnliches. Luhmann: Wir treffen uns jeden die Welt retten – ersten Dienstagabend im Monat online. Dazu sind Interessierte herzlich nicht mehr eingeladen; man kann einfach dazu kommen. Wir sind alle berufstätig und nicht weniger.“ und engagieren uns in unserer Frei zeit. Zu Beginn gibt es meist Input zu einem bestimmten Bereich, auch von Externen, damit wir uns gemeinsam etwas „fortbilden“ können. u Was sind Ihre wichtigsten Ziele? Und was gibt es an konkreten Projekten? Jeder kann Luhmann: Die Pharmacists for Future wollen dazu beitragen, die Ausmitmachen! wirkungen von Arzneimitteln auf Mensch und Umwelt über ihren gesamten Entwicklungs- und Lebenszy-

pharmacistsforfuture.org pharmacists_for_future pharmacistsforfuture

Soziale Aspekte der nachhaltigen Pharmazie

1. Mitsprache- & Entscheidungsrecht für Mitarbeitende

1. Nachhaltigkeit in Aus-, Fort- und Weiterbildung

2. Präventive Medizin in

Apothekenberatung integrieren

3. Sozial- und Umweltstandards für Rabattverträge

4. Psychische Gesundheit als

Gegenstand der Betriebsprüfung

5. Teamschulungen zur

Nachhaltigkeit

6. Rabatte für ehrenamtlich aktive und sozial engagierte

7. Förderung nachhaltiger Arzneimittelberatung

8. Gemeinwohlbilanzierung der Apotheke Am Expopharm-Stand der Pharmacists for Future konnten Besucher:innen bewerten, welche von insgesamt 42 Maßnahmen zur Nachhaltigkeit aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales ihnen besonders wichtig sind. Hier die Ergebnisse für die Dimension Soziales.

j -mel – Adobe Stock

klus zu evaluieren – und den Umgang mit ihnen unter Nachhaltigkeitsaspekten zu optimieren. So haben wir es auf unserer Website zusammengefasst. Schmidt: Von den verschiedenen Bereichen der Pharmazie denkt man da zunächst an die öffentliche Apotheke. Hier gibt es ja auch schon das entsprechende Buch. Aber es geht auch darum, welche Ressourcen bei der Herstellung verbraucht werden, um das Thema Verpackung – bis hin zur umweltgerechten Entsorgung und dem Eintrag ins Abwasser. So haben wir zum Beispiel gerade interessante Informationen von einem Unternehmen bekommen, das nachhaltige Blister-Materialien entwickelt. Luhmann: Wir erarbeiten auch – zusammen mit der Landesapothekerkammer Thüringen – eine Checkliste, die die wichtigsten Aspekte aus unserem Buch kompakt und leicht umsetzbar aufgreift, gratis für jede Apotheke. Schmidt: Diese Liste gibt es schon als „Prototyp“ auf unserer Website zum Download. Sie umfasst die drei Bereiche Mobilität und Arbeitswege, Energie und Wasser sowie Abfallmanagement mit einem Praxisbeispiel aus dem Labor. Bisher sind diese Bereiche aber noch nicht „gewichtet.“ Angedacht ist, dazu ein Punktesystem zu entwickeln, mit dem sich Apotheken selbst einschätzen können.

Luhmann: Eine Zertifizierung für Apotheken haben wir aber nicht geplant. So etwas existiert meines

Arzneimittel machen einen Anteil von etwa 20 Prozent des ökologischen Fußabdrucks im Gesundheitswesen aus.

Quelle: Aerzteblatt.de Wissens nur für einige Krankenhäuser und deren Apotheken. Aber von Noventi gibt es zum Beispiel die Initiative „Klimaneutrale Apotheke“. Florian Giermann, der als Autor an unserem Buch beteiligt ist, ist dafür zuständig. Eine Zertifizierung kann eine Außenwirkung entwickeln und Struktur geben. Ich fände es aber besser, wenn von der Apotheke „freiwillig“ Maßnahmen im QMS festgehalten werden, weil das Team dies sinnvoll findet.

u Wie war die Resonanz in München bei der Expopharm und beim DAT? Und wie ist sie überhaupt? Luhmann: Wir hatten eine tolle Lage für unseren Messestand und – ohne uns loben zu wollen – auch ein tolles Konzept. So konnten wir ganz viele Gespräche führen und haben sehr viel positives Feedback bekommen. Das ergab ein Stimmungsbild, wie es in den deutschen Apotheken aussieht – und teilweise auch international. Denn für mich ganz überraschend war auch viel internationales Publikum da. Schmidt: Derzeit sind wir dabei, unsere Umfrage am Expopharm-Stand auszuwerten und werden die Ergebnisse auf der Website und auf Instagram veröffentlichen (siehe Grafik). Luhmann: Anfang 2022 hatten wir an Avoxa und die ABDA geschrieben und ihnen einen Katalog mit Checklisten geschickt, wie man Messen und Kongresse nachhaltig durchführen kann. Für die Expopharm in München ist davon aber noch nichts berücksichtigt worden. Im Gegenteil: die aufwändigen Stände der Firmen, die vielen Werbegeschenke haben uns eine regelrechte Materialschlacht erleben lassen. Sehr unangemessen, wenn man den Klimaschwerpunkt des DAT bedenkt.

u Welche Rolle spielen die Angestellten, damit sich eine nachhaltige und klimafreundliche Pharmazie etablieren kann?

Schmidt: Das ist je nach Bereich unterschiedlich. Manche Dinge kann die Apothekenleitung anstoßen, andere können besser aus dem Team kommen. Gut ist es, wenn Nachhaltigkeit und Klimaschutz im QMS verankert wird. Am wichtigsten ist jedoch die Bereitschaft des Teams zur Umsetzung solcher Maßnahmen und entsprechende Kommunikation dazu. Luhmann: Manche Maßnahmen muss letztlich die Apothekenleitung entscheiden, wie etwa den Bezug von Ökostrom. PKA könnten im Einkauf zum Beispiel prüfen, inwieweit sich die Menge der Bestellungen reduzieren lässt – vorausgesetzt, dass eine ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln stattfindet. Und jede und jeder kann auch im Beratungsgespräch aktiv auf Klimaschutz eingehen, ganz ohne eine konkrete Handlungsanweisung. Ich nenne hier das Stichwort „klimasensible Gesundheitsberatung“, ein zukunftsfähiges Konzept, das sich in der Pharmazie aber noch nicht etabliert hat. Schmidt: Wünscht ein Kunde beispielsweise eine Großpackung eines Schmerzgels, weil sie vergleichsweise günstiger ist als eine kleine Packungsgröße, hinterfrage ich höflich, ob denn wirklich regelmäßig so viel von dem Produkt benötigt wird. Zuerst bringe ich meine Sorge zum Ausdruck, dass in dem Beschwerdefall ein Arzt besser helfen kann. Im zweiten Schritt bringe ich den Umweltaspekt an: „Wenn Sie eigentlich nur selten das Schmerzgel benötigen, verfällt Ihnen bestimmt eine große Restmenge. Das wäre ja schade, wenn dies im Müll landet, wo ohnehin schon viele Arzneimittel entsorgt werden. Außerdem ist das für Ihren Geldbeutel auch nicht günstiger, wenn Sie von einer großen Packung viel ungenutzt entsorgen und dann eine neue kaufen müssen.“

Positionspapier des BPhD vom 6.6.2022

Umwelt- und Klimakrise in der Pharmazie und der pharmazeutischen Lehre

Der BPhD fordert hier unter anderem, die Verbindung von Klimakrise und Gesundheit in die pharmazeutische Lehre zu integrieren.

Rebecca Schmidt

ursprünglich Chemielaborantin, nun PTA seit März 2022, arbeitet jetzt in einer öffentlichen, krankenhausversorgenden Apotheke in Dresden. Ihre Belegarbeit für die Prüfung hat sie zum Thema „Nachhaltiges Apothekenwesen“ angefertigt. Bei den Recherchen dazu war sie auf das Buch von Esther Luhmann gestoßen, hat Kontakt zu den PhFF aufgenommen und arbeitet seither aktiv mit.

u Sind Ihre Ziele und Ideen auch in das Positionspapier für die Novellierung der Approbationsordnung eingeflossen? Luhmann: Nein, davon ist nichts eingeflossen. Es gibt dazu aber ein Positionspapier des BPhD zur Umwelt- und Klimakrise in der Pharmazie und der pharmazeutischen Lehre. Das Wissen um die Verbindung von Klimaschutz und Gesundheit ist ein wichtiger Baustein nicht nur für die Approbationsordnung, sondern auch für die PTA-Ausbildung. Bildung ist für den Klimaschutz essenziell! Wir sollten wissen, welchen Fußabdruck Arzneimittel hinterlassen und wie

Esther Luhmann

ist PTA und Apothekerin; seit 2017 arbeitet sie in einer Apotheke im spanischen Valencia. Beim Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten e. V. (VdPP – Pharmazie in sozialer Verantwortung) ist Luhmann als Vorstandsreferentin tätig. Im Deutschen Apotheker Verlag erschien 2022 ihr Buch „Die nachhaltige Apotheke – Klimawandel, Umweltschutz und Gesundheit“, das wir in Spektrum 1/2022 vorgestellt haben.

der Klimawandel die Gesundheit beeinflusst. Denn dieses Wissen ist die Basis zum aktiven Handeln. Für diejenigen, die schon im Beruf sind, muss es außerdem Fort- und Weiterbildungsangebote geben. Vereinzelt werden Kammern aktiv und bieten Fortbildungsveranstaltungen zu dem Themenkomplex an. Es gibt auch Bestrebungen bei der Bundesapothekerkammer, entsprechende Module zu entwickeln Der Bedarf und das Interesse sind aus meiner Sicht groß!

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