Anne Glor: ‹Frieden Bauen›

Anne Gloor Geb. 1970, Studium der Politik und Geschichte in Bern und Paris. Sie arbeitet seit über zwanzig Jahren für Frieden und Menschenrechte (u.a. für Amnesty International, Rotes Kreuz, EDA, Europäische Kommission). Ihre Stiftung PeaceNexus fokussiert auf die Organisationsentwicklung von Behörden und NGOs in Krisenländern. Ihre Firma NexusVesting hilft Grosskonzernen dabei, ihr Potential für die Stabilisierung von Krisenländern einzusetzen.

UG_Gloor_Am Frieden bauen.indd Alle Seiten

Berichte aus Nepal, Sri Lanka, dem Sudan, Georgien, Zimbabwe, Mosambik, Somalia und der Schweiz.

Mit einem Vorwort von Altbundesrat Didier Burkhalter.

Frieden bauen

Was tun Menschen, die für den Frieden arbeiten?

Anne Gloor führte Gespräche mit Expertinnen und Experten, die in der internationalen Friedensförderung tätig sind und schrieb über ihre eigene Arbeit in Mosambik. Die sechs Aufzeichnungen geben einen einzigartigen Einblick in die Alltagsrealitäten der Interviewten und die Tätigkeit in Konfliktgebieten. Man erfährt zum Beispiel, weshalb lauwarmes Wasser zu einer diplomatischen Krise führen kann, was es mit den belegten Brötchen von Robert Mugabe auf sich hatte und wie man es anstellt, dass Soldaten aus verfeindeten Armeen in einem Team zusammenarbeiten.

Ein unerwartet heiteres Buch voller persönlicher Einblicke.

Anne Gloor

Foto: Catherine Lewis

Friedensarbeit heute

Anne Gloor

Frieden bauen Geschichten von der Arbeit in Krisengebieten

28.08.19 14:35

ANNE GLOOR FRIEDEN BAUEN GESCHICHTEN VON DER ARBEIT IN KRISENGEBIETEN

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 1

28.08.19 14:35

Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

www.fsc.org

FSC® C083411

© 2019 Zytglogge Verlag Alle Rechte vorbehalten Layout/Satz: Zytglogge Verlag Druck: CPI books GmbH, Leck ISBN: 978-3-7296-5017-6 www.zytglogge.ch

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 2

28.08.19 14:35

Anne Gloor

Frieden bauen Geschichten von der Arbeit in Krisengebieten

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 3

28.08.19 14:35

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 4

28.08.19 14:35

Inhalt Vorwort/ Préface Das schöne und geheimnisvolle Gesicht des Friedens . . . . 9 Didier Burkhalter Einleitung Was tun Menschen, die für Frieden arbeiten? . . . . . . . . . 15 Ein Einblick in die Welt der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung Auf der Spurensuche für Föderalismus in Somalia . . . . 20 Aus dem Gespräch mit Julian Hottinger über seine Arbeit im Auftrag des EDA in Somalia, 1999 bis 2006 Der Fall Robert Mugabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Aus dem Gespräch mit Victor Angelo über seine Arbeit im Auftrag der UNO in Simbabwe, 2000 bis 2004 Von Feinden zu Freunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Aus dem Gespräch mit Lisa Ibscher über ihre Arbeit im Auftrag des EDA im Sudan, 2004/2005 Brückenbau zwischen Konfliktparteien in Sri Lanka und Nepal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Aus dem Gespräch mit Markus Heiniger über seine Arbeit im Auftrag der Helvetas und später des EDA in Sri Lanka und Nepal, 1995 bis 2007

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 5

28.08.19 14:35

Von Seelsorgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Aus dem Gespräch mit Bruno Rösli über seine Arbeit im Auftrag des VBS in Georgien, 2001 Die Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Erinnerung von Anne Gloor an ihre Arbeit im Auftrag des EDA in Mosambik, 2002 bis 2005

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 6

28.08.19 14:35

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 7

28.08.19 14:35

Préface Le beau et mystérieux visage de la paix

La plus belle politique est celle qui conduit à la paix. Elle s’avère aussi, souvent, la plus difficile. Elle prend la forme d’un visage d’abord fermé, puis, exigeant, qui interroge, et, enfin, fragile, lunatique, qui hésite à sourire. L’ouvrage que vous avez ouvert et que vous tenez entre vos mains décrit quelques traits de ce visage à la fois prometteur et mystérieux; on y trouve quelques-unes des multiples expressions, des infinies différences qu’il peut prendre à travers la planète. Gageons que vous vous mettrez à éprouver, au fil des lignes, au gré des témoignages, un simple et beau respect à son égard.

Dans notre monde, il existe des spécialistes et des experts pour tout. La promotion de la paix n’échappe pas à ce phénomène.

On y rencontre parfois la froideur trop calculée des mots de la technique. Ces mots menacent de devenir des rituels désincarnés lorsqu’on parle de gérer des crises, d’accompagner des processus, de régler des conflits. En fait, les clés pour progresser vers la paix sont beaucoup plus lumineuses et fondamentalement humaines. Elles ont la merveilleuse chaleur des gens, la force inestimable de la vie. Ainsi, une crise ne se gère réellement que si l’on sait la regarder franchement, droit dans les yeux; les processus ne s’accompagnent vraiment que si l’on sait vivre intensément, loyalement, les cultures sur place; et les conflits ne trouvent leur règlement que si l’on sait chercher des solutions intelligemment au bon endroit, avec toutes les personnes concernées et en utilisant les mots justes.

8

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 8

28.08.19 14:35

Vorwort Das schöne und geheimnisvolle Gesicht des Friedens

Die schönste Politik ist jene, die zum Frieden führt. Oft stellt sich heraus, dass es auch die schwierigste ist. Sie nimmt die Form eines Gesichts an, das sich zuerst verschlossen zeigt, dann erwartungsvoll, fragend, schliesslich auch zerbrechlich, launisch, das zu lächeln zögert. Das Werk, das Sie geöffnet haben, beschreibt einige dieser Gesichtszüge, die so vielversprechend wie geheimnisvoll sein können. Man findet darin vielfältige Ausdrücke und zahlreiche Unterschiede, die dieses Gesicht auf unserem Planeten haben kann. Ich bin zuversichtlich, dass Sie mit jeder Zeile und mittels der Zeugenberichte Respekt dafür empfinden werden.

In unserer Welt gibt es Spezialisten und Expertinnen für alles.

Selbst die Friedensförderung ist von diesem Phänomen nicht ausgenommen. Manchmal trifft man auch dort auf kalte, technische Begriffe. Wenn von Krisenmanagement, Prozessbegleitung und Konfliktregelung die Rede ist, drohen Begriffe zu wirklichkeitsfremden Ritualen zu werden. Eigentlich aber liegen die Schlüssel zum Frieden auf einem Weg, der von Menschlichkeit geprägt ist.

Man trifft dort wunderbare Herzlichkeit und Lebenskraft. Eine Krise lässt sich aber nur bewältigen, wenn man ihr offen und direkt in die Augen schaut. Prozesse vor Ort lassen sich nur erfolgreich begleiten, wenn man kulturelle Begebenheiten intensiv erlebt und einbezieht. Und Konflikte lassen sich nur regeln, wenn man intelligente Lösungen findet, am richtigen Ort mit allen betroffenen Personen und den richtigen Worten.

9

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 9

28.08.19 14:35

Les spécialistes de la promotion de la paix les plus courageux sont des femmes et des hommes qui non seulement maîtrisent des techniques, mais qui font également rayonner des valeurs. Toute une kyrielle de valeurs, en fait. D’abord une grande confiance en soi pour être capable de donner de la confiance autour de soi ; ensuite, de l’empathie, cette capacité d’écoute et de compréhension dans les situations les pires qui donne une chance au dialogue ; puis une ténacité sans bornes, une volonté infatigable sans être bornée, cette conviction chevillée au corps qu’une solution existe, qu’elle peut être imaginée même lorsque personne ne peut encore la voir, même lorsque la route est parsemée d’échecs et de déceptions; enfin, une énorme modestie qui pousse constamment à la discrétion, à l’effacement de soi pour donner davantage de chances à la réussite de tous.

En d’autres termes, ce sont avant tout des qualités de cœur qui peuvent redonner son sourire au visage de la paix, trop souvent torturé, ridé par les passages déferlants des temps d’horreur et d’injustice, tuméfié par la corruption et l’absence de droits.

S’il est des femmes et des hommes qui portent en eux, dans leur cœur, la vocation de la paix, il est aussi des pays tout entiers qui peuvent soutenir ce mouvement. Qui peuvent en faire, précisément, leur plus belle politique. C’est tout spécialement le cas de la Suisse. Les fondements mêmes de nos institutions et le fonctionnement quotidien de notre société démocratique puisent leurs énergies profondes dans les valeurs d’écoute et de dialogue, de respect des différences et d’intégration des minorités, de sensibilité aux droits des individus et de recherche du bien commun.

A plusieurs reprises, dans ma vie passée au service de cette politique et de ce pays, des présidents d’autres nations m’ont de-

10

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 10

28.08.19 14:35

Die wirklich beherzten Friedensförderer sind Frauen und Männer, die nicht nur das Technische beherrschen, sondern auch Werte hochhalten. Sie besitzen eine ganze Reihe von Werten und Fähigkeiten. In erster Linie brauchen sie ein grosses Selbstvertrauen, um anderen Vertrauen geben zu können. Dann brauchen sie Empathie, die Fähigkeit zuzuhören und zu verstehen, um selbst in den schwierigsten Situationen dem Dialog Erfolgsaussicht zu geben. Auch brauchen sie eine grenzenlose Hartnäckigkeit, einen unermüdlichen Willen, ohne sich an einer Sache festzubeissen, eine tief verankerte Überzeugung, dass es eine Lösung gibt, wenn auch kaum sichtbar, auf einem Weg, der von Misserfolgen und Enttäuschungen gesäumt ist. Schliesslich bedingt die Friedensförderung Bescheidenheit, die an Diskretion appelliert, an die eigene Unsichtbarkeit, damit jeder Erfolg der Erfolg aller Beteiligten wird.

Mit anderen Worten: Es sind vorwiegend die Qualitäten des Herzens, die dem Gesicht des Friedens das Lachen zurückgeben, dem Gesicht, das zu oft Folter ausgesetzt ist, zerfurcht durch Wellen von Horror und Ungerechtigkeit, angeschwollen von Korruption und Rechtsunsicherheit.

Wie es Frauen und Männer gibt, die in sich einen Friedensauftrag tragen, gibt es auch ganze Länder, die für die Friedensförderung prädestiniert sind. Daraus kann ihre edelste Politik entstehen. Das ist insbesondere bei der Schweiz der Fall. Die Grundlagen unserer Institutionen und die tägliche Funktionsweise unserer demokratischen Gesellschaft basieren auf den Werten des Zuhörens und des Dialogs, des Respekts für die Unterschiede und die Integration von Minderheiten, der Sensibilität für individuelle Rechte und der Suche nach dem Gemeinschaftswohl.

11

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 11

28.08.19 14:35

mandé en aparté comment nous avions ainsi su apprivoiser la paix et maintenir au loin les mâchoires de la guerre. Ils voulaient savoir quel en était le secret?

Alors, je leur ai parlé de notre nature aux mille couleurs, de nos lacs balayés par les vents de toutes directions, de nos vallées vertes et accueillantes, de nos montagnes à la fierté sereine et blanche.

Je leur ai dit que nous avons bâti, dans notre pays, une culture de paix qui appartient à toutes et tous, qui est en quelque sorte notre signe distinctif, notre marque de fabrique. J’étais heureux de leur apprendre encore que notre texte fondamental – notre Constitution – mentionnait, telle une évidence, l’objectif essentiel de la promotion de la paix pour notre politique extérieure.

Car la chance d’avoir un pays en paix ne nous dédouane pas de notre responsabilité à l’égard de notre monde.

Les crises et les guerres ont toujours existé dans le monde peuplé par les hommes. Durant la dernière centaine d’année, les catastrophes potentielles ont pris une ampleur planétaire. Demain, c’est la survie de l’humanité qui sera en jeu. Dès lors, il est simplement et naturellement juste de donner la priorité à la politique de promotion de la paix et de soutenir avec conviction celles et ceux qui vont au front pour elle; pour que le beau et mystérieux visage de notre terre puisse toujours retrouver le sourire.

Didier Burkhalter Neuchâtel, mars 2019

12

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 12

28.08.19 14:35

Als ich in meinem früheren Leben dieser Politik und diesem Lande diente, haben mich Präsidenten anderer Länder bei mehreren Gelegenheiten beiseite genommen und gefragt, wie wir uns unseren Frieden geschaffen haben und wie wir den Klauen des Krieges ferngeblieben sind. Sie wollten wissen, was unser Geheimnis war. Also erzählte ich ihnen von unserer Natur, ihren tausend Farben, unseren Seen, von den Winden, die aus allen Richtungen wehen, von unseren grünen und einladenden Tälern, unseren Bergen mit ihrem weissen Stolz. Ich sagte ihnen, dass wir in unserem Land eine Friedenskultur geschaffen haben, die uns allen gehört, sie ist es, die uns von anderen unterscheidet, die unser Markenzeichen geworden ist. Ich war glücklich, ihnen zu eröffnen, dass unser Gründungstext – unsere Verfassung – die Friedensförderung offenkundig als wesentliches Ziel unserer Aussenpolitik erwähnt. Denn das Glück, ein friedliches Land zu haben, befreit uns nicht von der Verantwortung für die Welt.

Krisen und Kriege existieren, seit die Erde von Menschen bewohnt wird. Im Verlaufe der letzten hundert Jahre haben Katastrophen eine weltweite Tragweite angenommen. Schon morgen steht das Überleben der Menschheit auf dem Spiel. Infolgedessen ist es richtig, der Friedenspolitik Priorität zu geben und jene zu unterstützen, die dafür an die Front gehen. Damit das edle und mysteriöse Gesicht unserer Erde immer wieder zu seinem Lachen zurückfindet.

Didier Burkhalter Neuenburg, März 2019 Didier Burkhalter war von 2009 bis 2017 Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft. 2012 bis 2017 stand er dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten vor und wurde 2014 zum Bundespräsidenten gewählt. Übersetzung: Anne Gloor

13

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 13

28.08.19 14:35

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 14

28.08.19 14:35

Einleitung Was tun Menschen, die für Frieden arbeiten?

Bei mir hat alles angefangen, als ich einen Vortrag über Konflikte hörte. Der Redner sprach ganz ruhig, nicht so wie die meisten von uns, wenn sie über Konflikte reden. Er erklärte dem Publikum, dass viele gesellschaftliche Prozesse von Konflikten begleitet werden, dass Veränderungen nicht ohne Konflikte auskommen, dass Konflikte im Grossen und Ganzen also alltäglich sind. Diese Aussage, Konflikte sind alltäglich, wenn nicht gar normal, hatte fast etwas Schockierendes an sich. In meinem engsten Umfeld gehörten Konflikte zwar tatsächlich zum Alltag. Aber bei den meisten meiner Freundinnen zu Hause wurde selten bis nie gestritten. Bei meiner Tante herrschte die Harmonie geradezu mit eiserner Faust. Da fiel nie ein böses Wort.

Fast unheimlich kam mir das vor.

Konflikte können auch da existieren, wo nicht gestritten wird.

Das erklärte mir später der Redner, der mein Mentor geworden ist. Die versteckten oder in der Fachsprache «kalten Konflikte», die sich unterschwellig auswirken und oftmals nicht zum Vorschein kommen, sind eigentlich die schwierigsten. Gegen sie lässt sich kaum etwas tun, eben weil sie sich nicht offenbaren. Was nicht ausgesprochen wird, kann man nicht diskutieren und daher auch keine Missverständnisse ausräumen oder Lösungen suchen.

Kommen versteckte Konflikte zum Ausbruch, ist man oft überrascht. Haben Sie auch schon erlebt, wie jemand völlig uner-

15

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 15

28.08.19 14:35

wartet einen Wutanfall bekommt? Interessanterweise ist der Auslöser dabei selten die eigentliche Ursache.

Auch in grösserem gesellschaftlichem Rahmen kommt es zu diesen Explosionen, weil sich Ungleichgewichte aufbauen, ohne sich zu verschieben. Wenn Minderheiten über Generationen hinweg ausgegrenzt und Entscheide im Sinne von Wenigen gefällt werden, kann die Unzufriedenheit einen kritischen Punkt erreichen und schliesslich zu bewaffneten Auseinandersetzungen führen. Natürlich kommen viele Faktoren zusammen bis ein Krieg ausbricht.

Der Weg zurück, vom bewaffneten Konflikt zum anhaltenden Frieden, ist unendlich lang. Man muss sehr viele Elemente zusammenführen, damit eine Friedensvereinbarung gefunden wird und auch hält. Vor allem aber braucht es einen langen Atem und eine gute Portion Hoffnung, insbesondere von den Leuten, die betroffen sind.

Während des Vortrages, den ich eingangs erwähnte, habe ich zwar nicht alles verstanden, aber eines wurde mir sofort klar: Das ist das Feld, in dem ich arbeiten will. Konfliktbearbeitung und Friedensförderung. Das mache ich jetzt seit über zwanzig Jahren. Aber immer noch habe ich Mühe, eine eindeutige und klar verständliche Antwort zu geben, wenn die Frage kommt: Was ist Friedensförderung?

Sie sagen sich jetzt vielleicht: Wenn man etwas fördert, sollte man sich doch wohl im Klaren darüber sein, was man fördert.

Gerade das aber ist in unserem Berufsfeld nicht ohne weiteres der Fall. Man arbeitet nicht auf ein bestimmtes Ziel hin; man unterstützt einen Prozess, der, wenn man es richtigmacht, zu

16

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 16

28.08.19 14:35

einem Ergebnis führt, das die Beteiligten gemeinsam erarbeitet haben.

Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition von Frieden.

Wikipedia meint dazu: «Frieden ist im heutigen Sprachgebrauch der allgemeine Zustand zwischen Menschen, sozialen Gruppen oder Staaten, in dem bestehende Konflikte in rechtlich festgelegten Normen ohne Gewalt ausgetragen werden».

Sie wollen es vielleicht genauer wissen. Ich werde versuchen, Ihnen einige Elemente zu geben, aber eine vollständige Antwort bietet dieses Buch nicht. Stellen Sie sich eine Baustelle vor. Um in den Zustand des Friedens zu gelangen, braucht es Bausteine wie zum Beispiel ein gewisses Niveau an Sicherheit und Wohlstand, Respekt für den Anderen, Grundfreiheiten und Vertrauen in den Staat. Jede Gesellschaft hat mehr oder weniger von diesen Bausteinen. Gleiche Bausteine können zu unterschiedlichen Gebilden führen, je nachdem wie man sie zusammensetzt. Einige Konstruktionen sind stabil, andere weniger.

Eines haben alle Länder gemeinsam: Die Baustelle Frieden kommt nie zum Abschluss. Selbst in der Schweiz, wo wir stolz sein können auf unsere Friedensarchitektur, heisst es regelmäs­ sig Massnahmen treffen, damit wir im Gleichgewicht bleiben.

Und man muss nicht bis in den Nahen Osten gehen oder nach Afrika, um ernsthafte gesellschaftliche Spannungen zu sehen, da reicht auch der Blick über die Landesgrenze.

Was bietet also dieses Buch, wenn es keine vollständige Antwort darauf gibt, was Friedensförderung beinhaltet? Eigentlich wollte ich einfach nur Geschichten schreiben, Ihnen Ausschnitte

17

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 17

28.08.19 14:35

aus dem Alltag von Menschen zeigen, die in der Friedensförderung tätig sind, diesem weitgehend unbekannten Beruf.

Ich interviewte Kolleginnen und Kollegen1 , sammelte ihre Geschichten und schrieb sie auf, in der Hoffnung, dadurch Einblicke in unseren Beruf geben zu können. Es ging mir mehr um diese Geschichten als um eine vollständige Antwort auf die Frage, was wir in der Friedensförderung tun.

Die Texte geben grösstenteils wieder, was meine Kolleginnen und Kollegen sagten, und sind mit ihnen abgesprochen. Sie gaben mir aber die Freiheit, ihre Anekdoten in Bilder zu fassen. Sie erlaubten mir auch, die Komplexität ihrer Arbeit auf eine einfache Sprache runterzubrechen. Es ist mir daher wichtig festzuhalten, dass alles, was in diesen Geschichten steht, in meiner Verantwortung liegt und nicht in jener meiner Gesprächspartner. Die letzte Geschichte beschreibt einen kurzen, aber wichtigen Moment meiner eigenen Arbeit.

Was können Sie sonst noch erwarten von diesem Buch? Einblicke in Länder, die Ihnen vermutlich wenig vertraut sind wie Somalia, Nepal, Simbabwe, Sri Lanka oder der Südsudan.

In den Geschichten erfahren Sie zum Beispiel, wie man im Sudan verfeindete Soldaten dazu brachte, gemeinsam den Waffenstillstand zu überwachen. Wie der Chef der UNO-Mission in Simbabwe bei einem autoritären Staatschef an Frieden und Menschenrechte appellierte. Oder wie ein Schweizer Pfarrer Militärbeobachter der UNO betreute.

1

Innerhalb der einzelnen Artikel wird bei Personenbezeichnungen zuweilen die männliche Form verwendet. Die Angaben beziehen sich jedoch ausdrücklich auf alle Geschlechter.

18

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 18

28.08.19 14:35

Am meisten Spass machte mir beim Schreiben die Ausgestaltung von Details rund um Dinge wie ausgeleierte Musikkassetten, belegte Brötchen, lauwarmes Wasser, oder die Beschreibungen einer schönen Frau, eines Seelsorgers und von Pfadfindern.

Ich hoffe, es gelingt mir, Sie beim Lesen auch zum Lachen zu bringen und zu zeigen, dass, obwohl unsere Arbeit weitgehend in einem konfliktträchtigen Umfeld stattfindet, die Begegnungen mit den Leuten vor Ort oft von grosser Menschlichkeit geprägt sind.

Anne Gloor

19

IH_Gloor_Am Frieden bauen.indd 19

28.08.19 14:35