Roger Nordmann: ‹Klimaschutz und Energiesicherheit›

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Klimaschutz und Energiesicherheit

Wie die Schweiz eine rasche und gerechte Wende schafft

Klimaschutz und Energiesicherheit

© 2023 Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Alisa Charté

Korrektorat: Anna Katharina Müller

Übersetzt aus der französischsprachigen Originalausgabe

«Urgence énergie et climat. Investir pour une transition rapide et juste» (Editions Favre, 2023) von Peter Lauener unter

Mitarbeit von Roger Nordmann

Umschlagbild: Nikada

Umschlaggestaltung und Layout / Satz: Hug & Eberlein, Leipzig

Druck: Finidr, Tschechische Republik

ISBN: 978-3-7296-5140-1

www.zytglogge.ch

Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

Klimaschutz und Energiesicherheit

Wie die Schweiz

eine rasche und gerechte

Wende schafft

Roger Nordmann
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1. Einleitung: Ein Weg und eine Methode zum Handeln 7 TEIL I Fossile Energien und globale Erwärmung: 17 zwei Seiten derselben globalen Herausforderung 2. Der globale Verbrauch fossiler Energieträger 22 3. Die Erwärmungsszenarien des IPCC 30 TEIL II Die Situation in der Schweiz 37 4. Der Klimaschutz ist zu 80  Prozent eine Energiefrage 37 5 Die Energieversorgung der Schweiz 43 6. Die anstehende Elektrifizierung des Energiesystems 51 TEIL III Die aktuelle Klimapolitik in 57 der sozialen und ökologischen Sackgasse 7. Die geltende Energie- und Klimapolitik 57 8. Referendum über CO2-Gesetz von 2021: 68 Fehler nicht wiederholen 9. Die Grenzen des Verursacherprinzips zur Finanzierung 72 von Investitionen 10. Der sinnlose Streit um Investitionen oder Verzicht 80 TEIL IV Der Klimafonds zur Förderung 85 des Gemeinwohls 11. Die Antwort durch die «Klimafonds-Initiative» 86 12. Kostengünstige Erneuerbare und Energieeffizienz 90 verdrängen Gas und Öl TEIL V Die Klassiker: Investitionen in 95 Wohnraum und Landverkehr 13. Rasche Modernisierung des Immobilienbestands 96 14. Sichere Stromversorgung der Strassenmobilität 104
Inhaltsverzeichnis
5 TEIL VI Die Chancen: Dekarbonisierung 110 der Industrie und Sicherung der Stromerzeugung 15. Die Dekarbonisierung der Industrie 111 16. Die Herausforderung Winterstrom 116 17. Die Gesamtstrategie «Solar, Synthesegas 123 und Industrie» (SSI) 18. Mithilfe des Fonds die SSI umsetzen 135 TEIL VII Die schwierigen Bereiche: Luftfahrt, 141 nicht-fossile Emissionen und negative Emissionen 19. Die Herausforderung in der Luftfahrt 142 20 Landwirtschaft 149 21. Die Kehrichtverbrennung 156 22. Nicht-energetische Emissionen aus der Industrie 159 23 Negative Emissionen und Biodiversität 163 TEIL VIII Ressourcen vom Klimafonds 171 24. Die Grössenordnung der Investitionen 171 25. Keine Fondsfinanzierung über Mehrwertsteuer, 182 direkte Bundessteuer oder Energiebesteuerung 26. Schulden sind Investitionen in die Zukunft 186 27. Arme, Gehirne und Unternehmen für den Übergang 192 TEIL IX Zeit für die Aktion 197 TEIL X Anhänge 201 28. Anhang 1: Die Herausforderung saisonaler 201 Speicherung und Synthesegas 29. Anhang 2: Die Modellierung der Gesamtstrategie 210 «Solar, Synthesegas und Industrie» (SSI) 30 Anhang 3: Der Text der Volksinitiative 221 Für einen Klimafonds 31. Anhang 4: Anmerkungen und Quellen für 223 die Kostenschätzung 32. Anhang 5: Quellenangaben und Referenzen 223 33. Danksagung 228 34. Weitere Bücher von Roger Nordmann 229

1. Einleitung: Ein Weg und eine Methode

zum Handeln

In den letzten 200 Jahren haben sich die Lebensbedingungen der Menschen enorm verbessert; dieser Fortschritt darf nicht aufgegeben werden. Die Verbesserung ist nicht nur auf zunehmendes Wissen und mehr Bildung zurückzuführen, sondern auch auf den Einsatz grosser Mengen an natürlichen Ressourcen und Energie. Wir sind noch nicht am Ende dieses Prozesses angelangt. Milliarden Menschen leben noch immer in höchst prekären Verhältnissen und wollen zu Recht am Fortschritt teilhaben.

Leider gingen die Verbesserungen unserer Lebensbedingungen weitgehend auf Kosten der Umwelt. Die natürlichen Ressourcen werden immer knapper. Das gilt nicht nur für die fossilen Energieträger, also Erdöl, Erdgas und Kohle, sondern auch für die Mineralien und den Boden. Die Überbeanspruchung der natürlichen Ressourcen ist bereits deutlich sichtbar, ebenso der Rückgang der Artenvielfalt. Gleichzeitig beschleunigt sich die globale Klimakrise; sie stellt für die Menschen, Tiere und Pflanzen eine existenzielle Bedrohung dar. In der Schweiz spüren wir dies deutlich mit Hitzewellen, andauernder Trockenheit, Überschwemmungen und schmelzenden Gletschern. Anderswo sind die Auswirkungen noch gravierender: Hunderte Millionen Menschen leiden heute unter wiederkehrenden Hitzewellen von fast 50 Grad und schrecklichen Dürren.

Wenn es uns als Menschheit nicht gelingt, diese negative Entwicklung zu bremsen oder zu stoppen, riskieren wir eine erhebliche Verschlechterung unserer Lebensbedingungen. Es ist ein Paradox, das wir überwinden müssen: Unsere Anstrengungen, um unser Leben zu verbessern, gefährden dessen Grundlagen. Es geht also nicht einfach darum, «den Planeten zu retten», sondern eigentlich darum, den Menschen die Möglichkeit zu erhalten, auf diesem ohne Klimakatastrophen zu leben.

Mit Recycling von Materialien und nachhaltigerer Agrar- und Ernährungswirtschaft wäre eine Kurskorrektur beim Boden, den Mineralien und der biologischen Vielfalt möglich. Mit Recycling lässt sich dagegen weder unsere Abhängigkeit vom endlichen Vorrat an fossilen Energieträgern lösen noch die globale Erwärmung durch deren Verbrennung bremsen: Beim Verbrennen von fossilen Kohlenwasserstoffen oder Kohle wird die darin enthaltene Energie verteilt und CO2 freigesetzt, das jahrhundertelang in der Atmosphäre bleibt und den Planeten dauerhaft aufheizt.

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Dieser Prozess liesse sich nur umkehren, indem wir mehr Energie zuführen, als durch die ursprüngliche Verbrennung gewonnen wird. Das ist physikalisch unmöglich.

Heute ist klar, dass die menschliche Zivilisation nicht länger auf fossile Brennstoffe setzen kann:

Erstens, weil sich die Vorräte an Kohlenwasserstoffen rasch erschöpfen. Das führt zu Versorgungsengpässen und damit verbunden zu Preissteigerungen. Dies gilt auch für unsere Stromversorgung. Denn zwei Drittel der weltweiten Elektrizität werden mit fossiler Primärenergie erzeugt; in Europa ist es ein Drittel.

Zweitens trägt die Überbeanspruchung der fossilen Ressourcen zur Verschärfung der geopolitischen Spannungen bei. Die Versuchung steigt, sich die Bodenschätze mit militärischer Gewalt anzueignen; gerade für autoritäre Regimes ist sie besonders gross. Diese sehen in der Ressourcenplünderung – zu Recht oder zu Unrecht – ein Mittel, um an der Macht zu bleiben. Wenn wir unsere Ausbeutung nicht beenden, steigt die Kriegsgefahr. Nicht zu vergessen ist die Gefahr, dass mit künftigen Knappheiten kolonialistische Gewalt legitimiert wird.

Drittens stammen die Treibhausgasemissionen zu drei Vierteln aus der Verbrennung fossiler Energieträger [1]. Das Klima schützen bedeutet, auf fossile Brennstoffe zu verzichten. Die Energiewende und der Klimaschutz sind zwei Seiten derselben Medaille.

Aus all diesen Gründen muss der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen auf globaler Ebene schnell organisiert werden, und zwar ohne dabei den Rückgang der Biodiversität sowie andere Umweltprobleme zu verschärfen. Einige sehen diese Energiewende als einen philosophischen oder ethischen Imperativ, andere erkennen darin einfach unser Interesse als Menschen, die Grundlagen unserer eigenen Existenz zu erhalten.

Dieses Bewusstsein hat sich auf dem gesamten Planeten verbreitet. Es hat zur Ratifikation wichtiger internationaler Abkommen geführt, um unterschiedliche natürliche Ressourcen zu schützen, insbesondere das Klima. Diese gegenseitigen staatlichen Verpflichtungen haben jedoch nur dann einen Wert, wenn sie auf nationaler Ebene umgesetzt werden und dort wirken. Angesichts der schwierigen Umsetzung drohen die Abkommen allerdings zu Papiertigern zu verkommen. Glücklicherweise sind jedoch viele Länder wegen der lokalen Umweltbelastungen und der hohen Importkosten daran interessiert, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.

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Natürlich kann die Schweiz, die einen Tausendstel der Weltbevölkerung und der weltweiten Emissionen ausmacht, die globale Erwärmung nicht allein stoppen. Aber wenn sie ihren Teil nicht beiträgt

oder angesichts ihres Reichtums sogar noch etwas mehr Verantwortung übernimmt –, wie kann sie dann erwarten, dass die grossen Länder ihre Verantwortung wahrnehmen? Die Schweiz ist Teil der Welt. Sie muss wie alle Staaten handeln. Als Finanzplatz steht sie zudem besonders in der Verantwortung, da sie beeinflussen kann, wie Investitionen global getätigt werden – insbesondere im Rohstoff- und Energiebereich.

Wir stehen vor einer grossen Herausforderung: Dem zunehmenden Bewusstsein, dass unsere Lebensgrundlagen bedroht sind, müssen ein klarer Weg und eine festgelegte Strategie für deren Erhalt folgen. Sonst droht, dass sich die Gesellschaft spaltet: Viele werden an den Massnahmen verzweifeln, weil sie diese als zu schmerzhaft empfinden, sich verweigern und den Stillstand wählen. Andere wiederum werden die Massnahmen für ungenügend halten, die Apokalypse vorhersagen und sich von Verzweiflung lähmen lassen. Es besteht die Gefahr, dass sich die Gesellschaft in Empörte und Resignierte spaltet, was mutiges und rationales Handeln hemmt.

Um dieses Dilemma zu vermeiden, negieren einige die kollektive und politische Dimension des Problems. Sie versuchen die Energie- und Klimafrage gänzlich auf die individuelle Verantwortung zu schieben. Der Traum, dass persönliches Handeln die Rettung bringt, ist psychologisch nachvollziehbar, aber eine Sackgasse im Kampf gegen die Erderwärmung. Zwar kann jede und jeder mit freiwilligem Anpassen des Verhaltens einen wichtigen Beitrag leisten – zum Beispiel weniger fliegen oder weniger Fleisch essen. Doch etwa im Energiebereich zeigen die Zahlen und Fakten deutlich: Eine Einzelperson hat nur begrenzt Einfluss auf die eigenen Emissionen. Deren Ausmass hängt stark vom System ab, in dem sie lebt. Ihre Möglichkeiten sind limitiert. Zudem ist eine Einzelperson erfahrungsgemäss ohne klare Vorgaben und kollektiven Rahmen nur begrenzt bereit, ihre wenigen persönlichen Hebel auch zu nutzen.

Nicht zu vernachlässigen ist die Gruppe der Resignierten, die nicht handeln will. So stellte der CEO von IKEA etwas zerknirscht fest, dass sich zwar 75 Prozent seiner Kundinnen und Kunden Sorgen um das Klima machen. Aber nur drei Prozent sind bereit, mehr zu zahlen, um die Auswirkungen ihres Einkaufs auf das Klima zu verringern [2, S. 23]. Es ist naiv, zu hoffen, dass sich das

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Problem durch Anpassen des persönlichen Verhaltens löst. Kollektives, politisches Handeln ist unumgänglich.

Schliesslich muss an dieser Stelle noch eine letzte Illusion ausgeräumt werden: Viele Nostalgikerinnen und Nostalgiker glauben immer noch, dass mit der Rückkehr zur früheren Lebensweise die Klimaveränderung beseitigt werden könnte. Ihre Idee: Wie in den guten alten Zeiten bewirtschaften viele Landwirtinnen und Landwirte ihr kleines Landstück. Eine Gesellschaft, die ihre Maschinen und Roboter abschaltet und stattdessen auf lokale Wirtschaft und Energieverzicht setzt, würde uns von unseren Qualen befreien. Doch die Geschichte lässt sich nicht zurückspulen; und eine solche Lebensweise würde acht, neun oder bald zehn Milliarden Menschen kein menschenwürdiges Leben ermöglichen.

Die Strategie muss sich also in die Logik der globalen Gerechtigkeit einbetten und folgende Anforderungen erfüllen: sich so schnell wie möglich von fossilen Energieträgern befreien, sich nicht bloss auf Einzelpersonen verlassen, nicht in Weltuntergangsrhetorik verfallen und nicht die Zeit zurückdrehen wollen. Stattdessen braucht es eine glaubwürdige politische Strategie für ein kollektives, klares, mobilisierendes und verständliches Handeln.

Angesichts des Ausmasses dieser Herausforderung und der anstehenden Transformation ist entscheidend, dass diese sozial gerecht erfolgt. Ist dies nicht der Fall, gerät der Prozess früher oder später ins Stocken – vor allem wenn sich diverse Ängste der Bürgerinnen und Bürger summieren. Zur Furcht vor immer stärker werdender Erwärmung wird sich die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg gesellen. Das geht einher mit der Ahnung, dass diese beiden Gefahren zusammenhängen: Die globale Erwärmung wirkt sich wirtschaftlich schädlich aus.

Dieser Zusammenhang könnte zu einem regelrechten Teufelskreis werden: Einerseits wird alles knapper und teurer, wofür es natürliche Ressourcen braucht, insbesondere Nahrungsmittel, Energie und verarbeitete Gegenstände. Das schränkt den Spielraum ein, wirksame Massnahmen gegen die Erderwärmung durchzusetzen. Andererseits besteht die Gefahr, dass schlecht abgestimmte Eingriffe die Kaufkraft der unteren und mittleren Einkommensschichten untergraben. Solche Massnahmen würden sicherlich abgelehnt, was zu einem Stillstand führt, der die Probleme noch verschärft.

Es ist daher zwingend, eine Strategie zu entwickeln, die sowohl ein wirksames Handeln als auch eine gerechte Verteilung der Anstrengungen gewährleistet. Mit anderen Worten: Es ist an

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der Zeit, ein konstruktives, gerechtes und hoffnunggebendes Projekt zu entwickeln.

Die Energiewende kann unsere Lebensqualität verbessern. Natürlich erfordert sie zuerst Anstrengungen, die deutlich spürbar sind und unsere Gewohnheiten bis zu einem gewissen Grad verändern. Aber sie enthält auch die Aussicht auf eine Welt, die frei ist von fossilen Brennstoffen und deren schädlichen Auswirkungen wie auch der damit verbundenen geopolitischen Spannungen. Dazu kommt die Aussicht auf eine Zufriedenheit, die weniger von der materiellen Anhäufung abhängt, was für diejenigen, die bereits im Überfluss schwimmen, möglicherweise gar nicht schlecht wäre.

Für die Schweiz schlagen wir eine Strategie vor, die auf Investitionen basiert. Diese wird durch die Eidgenössische Volksinitiative «Für eine gerechte Energie- und Klimapolitik: Investieren für Wohlstand, Arbeit und Umwelt» konkretisiert, deren Kurztitel «Klimafonds-Initiative» lautet. Dieser Ansatz setzt auf effektive Massnahmen und gerechte Verteilung der Anstrengungen. Die Initiative schlägt vor, dass der Bund einen Klimafonds mit jährlich 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) speist. Diese Mittel sollen dazu dienen, private und öffentliche Investitionen in die Energie- und Klimawende zu tätigen.

Die Verfassungsinitiative wurde im September  2022 lanciert und legt die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen für eine Energiewende, die effizient und gerecht ist. Sie schlägt einen rationalen Weg und eine kohärente Methode vor, um bei der Energie- und Klimawende schnell voranzukommen. Das kollektive Handeln ermöglicht es, individuelle Verweigerung oder Verzweiflung zu überwinden. Die Initiative schafft eine Dynamik, in der individuelle Anstrengungen Teil des Gesamtgeschehens werden und einen nützlichen Beitrag leisten.

Konkret will die Initiative der Schweiz die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, um ihre Anlagen, Infrastrukturen und Verfahren – insbesondere im Energiesektor – anzupassen. Sie soll es ermöglichen, die Energieversorgung radikal umzubauen und zu sichern, indem unser Land die Energie effizienter nutzt und auf einheimische, erneuerbare Energien setzt anstelle von massiven Importen fossiler Energieträger. Die Investitionskosten für erneuerbare Energien und die Steigerung der Energieeffizienz werden gesenkt, womit diese wirtschaftlicher werden als die fossilen Energien.

Die Initiative will auch die Treibhausgasemissionen aus Quellen reduzieren, die nicht mit der Energieverwendung

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zusammenhängen. Um diese Änderung schnell genug zu erreichen, schlägt sie vor, erhebliche Finanzmittel für Investitionen zu mobilisieren. Dabei ist zu beachten, dass die Anstrengungen gerecht verteilt werden.

Dieses Buch kann als Umsetzungsplan der «Klimafonds-Initiative» gelesen werden. Es behandelt zum einen, welche Veränderungen gegen die Klimakrise nötig sind. Andererseits wird aufgezeigt, wie mit einem Klimafonds diese Umstellungen finanziert und die anstehenden Anstrengungen gerecht verteilt werden. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als das Bereitstellen der finanziellen Mittel, damit wir unsere internationalen Verpflichtungen erfüllen können, insbesondere diejenigen des Übereinkommens von Paris. Hierfür sind der private und der öffentliche Sektor gemeinsam verantwortlich.

Die Initiative zieht auch einige Lehren aus der Vergangenheit und lässt sich von diesen inspirieren. Die historische Erfahrung zeigt, dass wir in der Schweiz grosse kollektive Handlungsfähigkeit haben, um unsere Lebensbedingungen zu verbessern. Das gilt in wirtschaftlichen und sozialen Bereichen – etwa bei der Einführung der AHV, der Arbeitslosenversicherung oder der polytechnischen Hochschulen. Das gilt aber auch für die Infrastruktur – etwa für den schrittweisen Bau unserer Stromversorgung von den ersten Wasserkraftwerken bis zum Hochspannungsnetz.

Das Schlimmste ist immer möglich, aber nicht unvermeidlich: Mit politischem Willen lassen sich Umweltprobleme lösen. Das wissen wir in der Schweiz schon sehr lange. Bereits im Mittelalter galten Regeln, um die Wälder vor Abholzung zu schützen oder zum gerechten Aufteilen von Ressourcen wie Weideland oder Wasser. Schon damals wusste man, dass sich ohne Regulierung die Plünderung durchsetzt.

Wir verfügen also über eine relativ lange Erfahrung, wie sich Umweltschäden in bestimmten Bereichen reduzieren lassen. Das wohl symbolträchtigste Beispiel ist das Verbot, Abwasser in Flüsse zu leiten. Dies hat seit den 1950er-Jahren zum Bau eines Netzes von Kläranlagen geführt, wodurch eine hervorragende Wasserqualität wiederhergestellt werden konnte.

Ein weiteres Beispiel ist die Verstaatlichung des Bahnnetzes und die Gründung der SBB im Jahr 1902. Dieser visionäre Akt war der Ausgangspunkt für eine aussergewöhnliche Entwicklung in den folgenden 120 Jahren. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die neuen Alpentransversalen, die Renaissance der Trams oder der Bau einer U-Bahn.

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Bezogen auf die aktuelle Herausforderung ist die Elektrifizierung des Bahnsystems am interessantesten: Sie erfolgte grösstenteils zwischen 1920 und 1945 und ermöglichte es, Kohle durch Elektrizität zu ersetzen. Das führte zu einem namhaften Effizienzgewinn [3]. 1920 verbrauchte die SBB durchschnittlich noch 190 KWh – grösstenteils aus importierter Kohle gewonnen – um einen Zug über einen Kilometer zu ziehen. Im Jahr 1945 waren für die gleiche Leistung nur noch 19 KWh nötig, hauptsächlich in Form von Elektrizität. Trotz längerer Züge mit mehr Sitzplätzen und mehr Gütertonnen ging der Fortschritt weiter. Im Jahr 2000 betrug der Verbrauch nur noch 14 KWh pro Zugkilometer. Bis 2021 sank er auf 11 KWh [4].

Die Elektrifizierung der Bahn zeigt beispielhaft, was wir nun in grossem Massstab wiederholen müssen. Es gilt den Grossteil unserer Anlagen und Infrastrukturen zur Energiegewinnung und -nutzung umzustellen.

Die Schweiz verfügt natürlich nicht allein über derartige Erfahrungen. Die europäische Integration aus den Trümmern des katastrophalen Zweiten Weltkriegs ist die Geschichte eines eindrücklichen Wiederaufbaus. Es erstaunt darum auch nicht, dass die Europäische Union die treibende Kraft ist im Kampf gegen die globale Erwärmung. Diese existenzielle Bedrohung verlangt von allen einen tiefgreifenden Umbau des Energiesystems. Zudem ist sie kollektiv und grenzüberschreitend, sie kann nicht allein durch die Nationalstaaten gelöst werden. Es ist auch kein Zufall, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die Ukraine zuvorderst in einem Krieg unterstützen, in dem es auch um die Energiefrage geht.

All dies zeigt, dass die Schweizer Energie- und Klimapolitik den europäischen Kontext berücksichtigen muss. Die Umgestaltung unserer Energieproduktion und unseres Energieverbrauchs ist nicht nur eine klimapolitische Dringlichkeit (Überleben – Wohlstand), sondern auch eine geopolitische (Krieg – Frieden) und kulturelle (Beziehung zu anderen und zur Welt).

Damit alle Sektoren der Schweizer Volkswirtschaft klimaneutral werden, müssen wir zur Tat schreiten und die Grundlagen für den Umbau unseres Energiesystems legen. Dabei ist klar: Diese Investitionen verursachen anfänglich Kosten. Der Investitionsbedarf ist gewaltig, aber darauf zu verzichten würde auf lange Sicht kostspieliger und existenzbedrohend. Denn die knapper werdenden fossilen Energieträger werden immer teurer und die Klimakrise immer gravierender.

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Das Fazit am Ende dieses Buches zeigt, dass wir den Übergang zu einem nachhaltigeren Lebensstil mit jährlichen Investitionen zwischen 2 und 2,5 Prozent des BIP über alle Sektoren hinweg schaffen. Private, Unternehmen, Kantone und Gemeinden werden einen Teil dieser Investitionen finanzieren. Damit reicht es, wenn der Bund den Fonds jährlich mit 1 Prozent des BIP ausstattet. Das ist – gemessen an der Gesamtstärke unserer Wirtschaftsleistung – eine durchaus machbare Investition. Wir haben die Mittel, und es lohnt sich, diese einzusetzen.

Teil I zeigt die energetischen und klimatischen Herausforderungen auf globaler Ebene. Dabei stellen wir fest, dass die Krise der fossilen Brennstoffe und die globale Erwärmung zwei Seiten derselben Medaille sind. Natürlich befassen wir uns auch mit der Situation in der Schweiz (Teil II). Es wird sich zeigen, dass dieser Zusammenhang bei uns noch stärker als auf der globalen Ebene ist. In diesem Teil skizzieren wir in groben Zügen die Transformation des Energiesystems im schweizerischen Kontext.

In Teil III untersuchen wir, warum sich die aktuelle Klimapolitik in einer ökologischen und sozialen Sackgasse befindet. Wir setzen uns mit ihren Grenzen und Unzulänglichkeiten auseinander, aber auch mit ihren Erfolgen. Dabei geht es auch darum, die Lehren aus der Ablehnung des CO2-Gesetzes im Jahr 2021 zu ziehen. Insbesondere stellen wir die absolute Dominanz des Verursacherprinzips in Frage. Wir stellen fest, dass dieses Prinzip, indem es mechanisch vorschreibt, dass die Energienutzenden die Kosten für Umweltbelastungen und Investitionen tragen müssen, zu Blockaden führt; zumindest wenn es dogmatisch angewandt wird. An dieser Stelle sprechen wir die sozialen und verteilungspolitischen Auswirkungen der Klimapolitik an.

Anschliessend erläutern wir die Logik, die unserem Ansatz zugrunde liegt, Investitionen zu unterstützen – mit einem kritischen Blick auf die unfruchtbare Kontroverse zwischen Investitionen und Verzicht. Wir erläutern auch, wie Investitionen dazu beitragen, fossile Energieträger vom Markt zu verdrängen (Teil IV). Im Vergleich zu früheren Transformationen zeichnet sich die Energiewende dadurch aus, dass sie öffentliche und private Massnahmen miteinander verbindet. Einige Infrastrukturen sind kollektiv, während andere wie Gebäude oder Industrieunternehmen vor allem privat sind. Dies gilt es zu berücksichtigen.

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Ab Teil V gehen wir auf die verschiedenen Bereiche ein, in denen der Klimafonds tätig werden kann. Zunächst behandeln wir die klassischen Bereiche Wohnen und Verkehr.

Die Klimasanierung der Industrie und die Sicherung der Stromversorgung sind Gegenstand von Teil VI. Wir sehen, welche enormen Chancen ein koordinierter Ansatz zwischen Industrie und Stromerzeugung bietet. Wir zeigen einen Weg, der nicht nur die Dekarbonisierung des Verkehrs und der Gebäude ermöglicht, sondern auch des Industriesektors. Dazu gehört auch die winterliche Elektrizitätsversorgung ohne Strom aus fossilen Quellen. Er basiert hauptsächlich auf Photovoltaik, beinhaltet aber auch eine moderate Menge Windkraft, das Erhöhen von Staudämmen und das effiziente Nutzen von Synthesegas, das in der Schweiz produziert und gespeichert wird. Wir fassen all das in einer Gesamtstrategie namens «Solar, Synthesegas und Industrie», kurz SSI, zusammen.

Teil VII widmet sich den schwierigeren Bereichen, beginnend mit dem Flugverkehr. Anschliessend behandelt er die Emissionen aus nichtfossilen Quellen in der Landwirtschaft und im Abfallsektor. Hier geht es unter anderem um die sogenannten «prozessbedingten», das heisst nicht-energetischen Emissionen der Industrie. Wir befassen uns ebenfalls mit negativen Emissionen, also damit, CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre zu entfernen bzw. zu verhindern, dass es in die Atmosphäre gelangt.

Anschliessend (Teil VIII) kommen wir zu den Mitteln: In welcher Grössenordnung bewegen sich die Kosten? Welche finanziellen Mittel wird der Klimafonds benötigen? Und wie viele helfende Hände und kluge Köpfe gilt es auszubilden? Wir zeigen, dass der Fonds die beste Möglichkeit ist, das Problem anzugehen, und dass Verschuldung für die Finanzierung oder Investitionsförderung durchaus sinnvoll ist.

Die Schlussfolgerung kommt in Teil IX. Wir belegen, dass Untätigkeit keine Option ist. Und dass eine gerechte Verteilung der Anstrengungen absolut zentral ist für ein effektives Handeln.

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Zusammenfassung des Kapitels 1

• Unser Wohlstand gründet noch weitgehend auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, insbesondere fossiler Brennstoffe. Aufgrund der globalen Erwärmung und der Überbeanspruchung der Ressourcen droht ein erheblicher Rückschritt unserer Lebensbedingungen. Das grösste Risiko besteht darin, dass die einen durch Verleugnung der Herausforderungen und die anderen durch Verzweiflung über deren Ausmass gelähmt werden.

• Es braucht einen rationalen Weg, um unser System grundlegend umzugestalten, sodass es zukunftsfähig wird.

• Damit die Anstrengungen auf Dauer tragbar sind, müssen sie sowohl innerhalb der Schweiz als auch zwischen den Ländern gerecht verteilt werden.

• Nötig ist ein starker politischer Impuls, um die Investitionen in die Modernisierung unseres Energiesystems massiv zu beschleunigen. Dies ist das Ziel der «Klimafonds-Initiative».

• Dieser Klimafonds soll einen kollektiven Impuls geben wie einst die Gründung der SBB, der AHV, der Eidgenössischen Technischen Hochschulen oder der Bau der Staudämme.

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Fossile Energien und globale Erwärmung: zwei Seiten derselben globalen Herausforderung

Seit der Urzeit haben die Menschen versucht, dank Energienutzung nicht mehr ausschliesslich von der eigenen körperlichen Arbeit abhängig zu sein. Am Beginn stand das Beherrschen des Feuers und später der Kraft der Tiere. Bald darauf nutzten sie die Windkraft für die Schifffahrt und schliesslich die Wasserkraft. Indem sie Energie einsetzten, konnten sich die Menschen von schwerer körperlicher Arbeit befreien; sie konnten einen Komfort geniessen, der durch die eigene Arbeit nicht mehr erreichbar war (oder durch diejenige der Tiere oder Sklaven).

Die Herkunft des Worts «Energie» spiegelt folgende Bedeutung von Arbeit und Aktivität wider: Das Wort geht auf das altgriechische ἐνέργεια zurück, das mit ἔργον (das Werk, die Arbeit) über das Adjektiv ἐνεργής, ής, ές (handelnd, aktiv, wirksam) in Verbindung gebracht wird. Darauf die moderne Bedeutung von (Lohn-)Arbeit zu projizieren wäre allerdings angesichts der kulturellen und zeitlichen Distanz ein Anachronismus [5].

In den letzten 250 Jahren verbesserten die Entwicklung der Dampfmaschine und später des Verbrennungsmotors die Lebensbedingungen eines grösseren Teils der Menschheit massgeblich. Damit einhergehend steigt der Verbrauch fossiler Energieträger derart, dass sie heute bei Weitem die wichtigste Energiequelle sind.

Mit dem Aufkommen der Telekommunikation, des Computers und des Internets hängt der Zugang zu Informationen und Wissen nun auch vom Zugang zu Energie ab, genauer gesagt zu Elektrizität. Das ist eine grundlegende Herausforderung für soziale Gerechtigkeit und Fairness. Ohne Energie, insbesondere ohne Strom, gibt es kaum Entwicklung.

Die Verbrennung fossiler Energieträger ist für drei Viertel der jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich, welche die Menschheit global ausstösst. Sie sind also der Haupttreiber der globalen Erwärmung, die unsere Existenz mittel- bis langfristig bedroht. Das schlimmste Szenario wäre eine Erhöhung der Temperatur von mehr als 5 Grad in den nächsten 80 Jahren, was die

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Meeresspiegel um fast einen Meter steigen liesse und viele extreme Wetterereignisse verursachen würde. Hunderte von Millionen Menschen müssten ihren Lebensraum verlassen. Ein solches Szenario würde nicht nur den ärmsten Menschen den Zugang zu menschenwürdigeren Lebensbedingungen verunmöglichen, sondern auch das Wohlbefinden der gesamten Menschheit erheblich beeinträchtigen.

Das Energiesystem ist fraglos der wichtigste Hebel, um das Klima zu schützen und die Erderwärmung zu bekämpfen. Hier braucht es vor allem grosse Veränderungen. Solche haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft der einzelnen Länder.

Auch andere Bereiche wie etwa die Zementindustrie oder die Landwirtschaft müssen natürlich ihren Beitrag leisten. Zudem gilt es die Abholzung der Wälder zu stoppen.

Bevor wir uns mit Szenarien zum voraussichtlichen Ausmass der Erwärmung befassen, werfen wir einen Blick auf ihre Hauptursache: die Verbrennung fossiler Brennstoffe.

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Was ist Energie?

Energie ist eine Möglichkeit, ein Potenzial: Mit Energie kann man Bewegung oder Arbeit erzeugen (z. B. einen Hang hinaufklettern), eine chemische Reaktion auslösen (Materialien umwandeln), Kälte erzeugen oder einfach nur Wärme abgeben (die minderwertige Form von Energie).

Energie kann enthalten oder gespeichert sein:

• in chemischer Form (Holz, Öl),

• als Potenzial (Wasser in Hochlage),

• in nuklearer Form (Atome, die gespalten oder verschmolzen werden),

• in elektrischer Form (Batterie, dank einer umkehrbaren chemischen Reaktion),

• oder einfach als Wärme (z. B. in einer Thermoskanne).

Energie wird in Wattstunden (Wh) oder Joule gemessen – aber auch als Gewicht oder Volumen einer Materie angegeben (z. B. eine Tonne trockenes Holz oder ein Liter Benzin). Auch Nahrungsmittel enthalten Energie, die in Kalorien gemessen wird. Wenn wir Energie nutzen, wandeln wir sie um. Die erste Umwandlung ist die von Primärenergie (die man in der Natur sammelt) zu Endenergie (die man nutzt). Beispielsweise wird Erdöl in Benzin oder Diesel umgewandelt. Oder Kohle wird in Strom umgewandelt.

Jede Umwandlung ist zwangsläufig mit Verlusten verbunden, in der Regel in Form von Wärme. So geht bei der Stromerzeugung aus Kohle zwei Drittel der Energie in Form von Wärme verloren. Kühltürme dienen dazu, diese enorme Menge an ungenutzter Wärme abzuführen.

Die zweite Umwandlung findet bei der Nutzung statt: Wenn ein mittelgrosses Auto mit Benzinmotor einen Pass mit 1000 m Höhenunterschied hinauffährt, verbraucht es acht Liter Benzin. Drei Viertel der Energie gehen als Motorwärme und ein kleiner Teil als Luftreibung verloren. Nur der Rest wird genutzt, um hochzufahren und wird somit in potenzielle Energie (Energie der Lage) umgewandelt.

Die potenzielle Energie ist eine spezielle Form der mechanischen Energie. Ein Körper hat aufgrund seiner Position in einer erhöhten Lage die Fähigkeit, Energie abzugeben (wie Wasser, das

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Verluste bei der Umwandlung (+ durch Lagerung und Transport)

Primärenergie: z. B. Öl, Wasser in Höhenlagen, Wind, Sonnenstrahlung, Uran

◼ Pfeilstärke = Leistung = Menge der gelieferten oder genutzten Energie pro Zeiteinheit

Endenergie: z. B. Strom, Benzin, Holzpellets.

Verluste bei der Umwandlung (+ durch Lagerung und Transport)

Nutzen: z. B. Beleuchtung, Kochen, Besteigen eines Passes.

aus einem alpinen Stausee nach unten fliesst und damit Strom erzeugt). Nachdem das Auto gegen die Schwerkraft gearbeitet hat, erreicht es die Passhöhe. Es hat nun potenzielle Energie gewonnen, die z. B. 1,5 Litern Benzin entspricht.

Wenn das Auto den Berg wieder hinunterfährt, verbraucht es kein Benzin. Stattdessen wandelt es seine potenzielle Energie in Luftreibung und Bremswärme um. Wenn es sich aber um ein Elektroauto handelt, kann es die potenzielle Energie zurückgewinnen, indem es statt zu bremsen seinen Motor als Generator nutzt und die so erzeugte Elektrizität in seine Batterie lädt.

Ein anderes Beispiel: Eine herkömmliche Glühbirne leuchtet nicht nur, sondern gibt auch viel Wärme ab. Sie ist wenig effizient. Eine LED-Glühbirne gibt bei gleicher Leuchtkraft nur wenig Wärme ab. Sie ist effizienter.

Die Effizienz ist das Verhältnis zwischen der verbrauchten und der nutzbaren Energie: Zum Beispiel verbraucht die herkömmliche Glühbirne, die eine Stunde brennt, 60 Wh Energie, liefert dabei aber nur 6 Wh Licht. Ihre Effizienz liegt nur bei 10 Prozent, der Verlust in Form von Wärme beträgt 90 Prozent.

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Von der Primärenergie zur Nutzung Abbildung 1: Von der Primärenergie zur Nutzung

Die Leistung

Die Leistung ist die Menge an Energie, die in einer bestimmten Zeit geliefert oder genutzt wird. So benötigt ein grosser SUV, der doppelt so schwer ist wie ein kleines Auto, auch die doppelte Leistung: Der SUV verbraucht in einer halben Stunde 12 Liter, um den Pass hinaufzufahren, während das kleine Auto in der gleichen Zeit nur 6 Liter verbraucht.

Jedes Gerät – eine Windkraftanlage, ein Bügeleisen oder ein Auto – hat eine maximale Leistung, die in Watt (W) gemessen wird. Zur Veranschaulichung: Die maximale Motorleistung des SUV reicht aus, um mit 80 km/h eine Steigung von 15 Prozent zu bewältigen.

Wenn die maximale Leistung des SUV hypothetisch 330 Kilowatt (KW) beträgt und er eine Stunde lang mit voller Leistung fährt, verbraucht er 330 KW multipliziert mit 1 Stunde – also 330 KWh. Diese 330 KWh entsprechen dem Energiegehalt von 30 Litern Benzin.

Einige Abkürzungen für Masseinheiten von grossen Energiemengen:

1 Wh × 1000 = 1 KWh (Kilowattstunde),

1 KWh × 1000 = 1 MWh (Megawattstunde),

1 MWh × 1000 = 1 GWh (Gigawattstunde),

1 GWh × 1000 = 1 TWh (Terawattstunde).

Die in diesem Buch häufig verwendete Masseinheit Terawattstunde entspricht also einer Milliarde Kilowattstunden.

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2. Der globale Verbrauch fossiler Energieträger

Der weltweite Verbrauch von Primärenergie hat sich in fast 60 Jahren vervierfacht, wie die folgende Grafik zeigt. Die Nutzung fossiler Primärenergieträger hat sich seit  1965 verdreifacht. Fossile Energie macht heute 82 Prozent der weltweit gehandelten Energie aus (Abbildung 2).

Dieser massive Anstieg zeigt, wie stark die Menschheit von fossilen Brennstoffen abhängig ist: Sie sind mittlerweile der Hauptmotor unserer Wirtschaft. Um die Grössenordnung des Verbrauchs zu erklären, gilt es nicht nur den sichtbaren Verbrauch für Transport und Heizung zu berücksichtigen, sondern auch den eher versteckten Einsatz als Energie in der Industrie, in der Stromerzeugung, in der Produktion von Düngemitteln für die Landwirtschaft oder als Rohmaterial.

Bisher scheint sich bei den fossilen Energieträgern nur der Kohleverbrauch zu stabilisieren. Zwar macht sich die globale Verknappung der Öl- und Gasressourcen allmählich bemerkbar, doch das letzte Barrel oder der letzte Kubikmeter ist noch lange nicht in Sicht. Da die Kohlereserven enorm sind, reichen sie beim derzeitigen Verbrauch theoretisch noch für mehr als ein Jahrhundert. Das könnte im schlimmsten Fall zur Renaissance dieser Energieform führen.

Die daraus resultierenden CO2-Emissionen und die Luftverschmutzung würden den Planeten in einen Ofen mit dreckiger Luft verwandeln. Länder wie die Schweiz, die von anderen Ländern geförderte fossile Energieträger importieren müssen, hätten noch mehr Versorgungsschwierigkeiten. Die Folge wären höhere Einkaufskosten.

Immerhin ist vor allem in den letzten zehn Jahren deutlich mehr erneuerbare Energie produziert worden, wie Abbildung 2 zum Primärenergieverbrauch zeigt (grüne und hellblaue Fläche, da Wasserkraft auch erneuerbare Energie ist).

Am stärksten sind die Nutzungsveränderungen bei der Elektrizität – einer besonders wertvollen und nützlichen Energieform. Die rund 28 000 TWh Strom, welche die Menschheit jedes Jahr produziert, sind aber nur ein Bruchteil der 160 000 TWh Primärenergie, die jährlich gewonnen werden.

Abbildung 3 zeigt, dass weltweit immer noch 62 Prozent des Stroms aus fossilen Brennstoffen produziert werden. 36 Prozent des Stroms werden aus Kohle erzeugt, welche die höchsten CO2-Emissionen pro KWh verursacht. Mittlerweile stammen

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Abbildung 2: Der weltweite Primärenergieverbrauch seit 1965

Anmerkung: Werden fossile Brennstoffe oder Uran als Primärenergie zur Stromerzeugung genutzt, gehen in der Regel zwischen der Hälfte und drei Viertel als ungenutzte Wärme verloren. Aus den 7 000 TWh Kernbrennstoff Primärenergie (Abbildung 2) wurde 2021 nur 2 800 TWh Strom (Abbildung 3) erzeugt.

23 0 5000 10 000 15 000 20 000 25 000 30 000 TWh /Jahr ◼ Kohle ◼ Erdöl ◼ Erdgas ◼ Atomkraft ◼ Wasserkraft ◼ Solar ◼ Wind ◼ Biomasse, Geothermie und Diverse 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Abbildung 3: Die weltweite Stromerzeugung seit 1985 Quelle der Daten: [6] 0 50000 100000 150000 200000 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 TWh /Jahr ◼ Kohle ◼ Erdöl ◼ Erdgas ◼ Atomstrom ◼ Wasserkraft ◼ Erneuerbare (Brennstoffe, Treibstoffe und Strom ohne Wasserkraft)
Quelle der Daten: [6]

13 Prozent des weltweiten Stroms aus neuen erneuerbaren Energien. Ihr Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht, ein bemerkenswertes und ermutigendes Ergebnis. Dazu kommt noch die klassische erneuerbare Energie «Wasserkraft» mit 15 Prozent.

Angesichts der grossen Anstrengungen, die für die Umgestaltung unserer Energieversorgung erforderlich sind, ist ein Blick auf die historische Verantwortung angebracht. Abbildung 4 zeigt den weltweiten Pro-Kopf-Energieverbrauch im Lauf der Zeit. Der extreme Verbrauch Nordamerikas sticht sofort ins Auge: Bei gleichem Lebensstandard verbrauchen die Nordamerikanerinnen und -amerikaner doppelt so viel Primärenergie wie die Europäerinnen und Europäer. Und das schon seit Jahrzehnten. Dies spiegelt einen immensen Unterschied in der Effizienz der Energieverwendung wider. Ebenso zeigt es, dass der europäische Lebensstil weniger auf den Verbrauch von Unmengen fossiler Brennstoffe ausgerichtet ist als der nordamerikanische.

Der Energieverbrauch in Europa liegt aber nach wie vor weit über demjenigen in anderen Teilen der Welt. Der Unterschied ist sogar noch grösser als er in Abbildung 4 gezeigt wird. Denn der Raum «Asien und Pazifik» ist heute die Werkbank der Welt. Der dortige Primärenergieverbrauch findet zu einem grossen Teil für die Herstellung von Gütern statt, die in den Rest der Welt exportiert werden – besonders in Länder, die viel CO2 ausstossen. Mehr dazu in Kapitel 4.

Die Anteile am Verbrauch verändern sich aber schnell: 2001 waren Europa und Nordamerika noch für 51 Prozent des gesamten weltweiten Primärenergieverbrauchs verantwortlich. Ihr Anteil beträgt 20 Jahre später bloss noch 33 Prozent. Gleichzeitig ist der weltweite Primärenergieverbrauch um 49 Prozent gestiegen.

Weder das Klima noch die verfügbaren Ressourcen könnten einem Energieverbrauch in Asien, Afrika und Südamerika standhalten, wenn dieser auf das Niveau von Europa, geschweige denn auf das der USA käme. Von den reichen Ländern kann verlangt werden, dass sie ihren Lebensstandard nicht mehr steigern und dank Effizienzverbesserung mit weniger Energieverbrauch auskommen.

Von den armen Ländern kann dies nicht verlangt werden. Diese wollen zu Recht den Lebensstandard ihrer Bevölkerung erhöhen. Die Ausgangslage ist anspruchsvoll: Die armen Länder sollen direkt auf einen nachhaltigen und effizienten Umgang mit Energie setzen, ohne den klimaschädlichen Umweg der alten Industrieländer.

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Abbildung 4: Primärenergieverbrauch pro Kopf und Jahr in den Quelle der Daten: [6] Grossregionen

Abbildung 5: Die Bevölkerungsprognose der UNO für die Welt

der Grafik: [7]

25 0 10 000 20 000 30 000 40 000 50 000 60 000 70 000 80 000 ◼ Nordamerika ◼ Ex-Sowjetunion ◼ Europa 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 ◼ Mittlerer Osten ◼ Süd- und Zentralamerika ◼ Asien und Pazifikraum ◼ Afrika Weltbevölkerung 1950 1975 2000 2025 2050 2075 2100 Weltbevölkerung (in Milliarden) Mittleres Szenario 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 Vertrauensintervall 95 %
Quelle
der Welt

Es ist aufschlussreich, die Abbildung 4 über den Energieverbrauch pro Kopf mit der gesamten Anzahl Menschen in Beziehung zu setzen und dabei auch die Bevölkerungsprognosen zu beachten (Abbildung 5). Denn der künftige Energieverbrauch entspricht der Multiplizierung dieser beiden Parameter.

Die jüngsten, nach unten korrigierten Prognosen der UNO gehen in ihrem mittleren Szenario davon aus, dass im Jahr 2085 rund 10,5 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Im Jahr 2022 waren es 7,9 Milliarden.

Diese Entwicklung ist eine Folge davon, dass sich die Geburtenzahlen auf der ganzen Welt stabilisieren (Abbildung 6). Das momentane Bevölkerungswachstum ist hauptsächlich auf die steigende Lebenserwartung zurückzuführen und damit auf die Alterung der Bevölkerung. Letztere führt zu mehr Sterbefällen. Um das Jahr  2085 sterben mehr Menschen als Kinder geboren werden, womit der demografische Höhepunkt erreicht ist.

Bricker und Ibbitson vertreten in ihrem Buch Empty Planet (2019) [8] die Ansicht, dass die UNO auch mit ihrer angepassten Bevölkerungsprognose noch zu pessimistisch ist. Der Höchststand werde viel früher erreicht, auf einem Niveau deutlich unter 10 Milliarden Menschen. Sie erwarten, dass die sozioökonomische Entwicklung eher schneller verläuft als von den Vereinten Nationen angenommen und dass die Geburtenzahl schneller zurückgeht.

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Vertrauensintervall 95 % Anzahl Geburten und Todesfälle pro Jahr (in Mio.) 180 160 140 120 100 80 60
Geburten Todesfälle 1950 1975 2000 2025 2050 2075 2100
Anzahl Geburten und Todesfälle pro Jahr Abbildung 6: Die globale Entwicklung der Geburten und Todesfälle Quelle der Grafik: [7]

Ungeachtet, welche Annahme zutrifft, die Folgen sind bedeutend: So gilt es als sicher, dass die chinesische Bevölkerung am Ende des Jahrhunderts von heute 1,3 Milliarden auf 700 Millionen Menschen, oder sogar darunter, zurückgeht.

Um die Herausforderungen im Energie- und Klimabereich zu bewältigen, ist es eine sehr gute Nachricht, dass sich die Bevölkerungszahl stabilisiert. Das Ende der Bevölkerungsexplosion könnte aber wegen des damit einhergehenden grundlegenden demografischen Wandels andere Schwierigkeiten nach sich ziehen: Verfügen China, Japan oder einige osteuropäische Staaten mit stark schrumpfender Bevölkerung und immer mehr älteren Menschen über die personellen und finanziellen Ressourcen, um in den Übergang zu investieren? Und werden sie dazu gewillt sein?

Auch die wirtschaftliche Entwicklung der ärmeren Länder ist klimarelevant. Die Haltung, dass es für das Klima gut sei, wenn ein Teil der Menschheit in grosser Armut verharre, ist zynisch und falsch. Denn eine Bevölkerung in prekären Verhältnissen hat keine andere Wahl, als die natürlichen Ressourcen massiv und unkoordiniert zu nutzen, um das tägliche Überleben zu sichern. Eine Bevölkerung ohne Zugang zu Elektrizität ist beispielsweise gezwungen, ineffiziente Stromgeneratoren zu verwenden und Wälder fürs Kochen zu roden. Daher muss die Entwicklung in den ärmsten Ländern unterstützt werden, sodass sie direkt einen umweltfreundlicheren Entwicklungspfad einschlagen.

Die Erfahrung zeigt, dass Bevölkerungsstabilisierung und wirtschaftliche Entwicklung Hand in Hand gehen. Kommt hierzu noch eine nachhaltige Energiestrategie, führt das zu einem positiven Aufwärtstrend.

Das ist aber nicht zwingend. Vorstellbar ist auch ein anhaltender Bevölkerungsboom ohne sozioökonomische Entwicklung. Das hätte katastrophale Auswirkungen sowohl auf den Energieverbrauch als auch auf das Klima. Dazu käme die Erschöpfung anderer natürlicher Ressourcen.

Rechtsextreme Kräfte behaupten in der politischen Debatte gerne, dass die Zuwanderung für unser Klimaproblem verantwortlich sei. Diese argumentative Verknüpfung ist haltlos. Eine zugewanderte Person verbraucht bei uns oft weniger fossile Energie als in ihrem Herkunftsland. Dies ist unter anderem auf unsere effizienteren Infrastrukturen und unseren Service public zurückzuführen. Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall – wenn auch seltener.

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Es gibt also keinen systematischen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Klima in die eine oder andere Richtung. Diese Verbindung ist absurd. Auch die statistischen Fakten widerlegen diese Argumentation: Ungeachtet des Bevölkerungswachstums sind die Treibhausgasemissionen in der Schweiz von 2009 bis 2019 pro Kopf um 17 Prozent gesunken. In absoluten Zahlen beträgt die Verminderung acht Prozent.

Die Migrationsfeindlichen wären aber gut beraten, sich mit folgendem kausalen Zusammenhang zu befassen: Die globale Erwärmung verursacht eine erzwungene Migration. Eine weitere Verschlechterung des Klimas treibt Hunderte Millionen Menschen in die Flucht.

Unabhängig davon, wie die Bevölkerungsentwicklung und die Pro-Kopf-Emissionen in Zukunft ausfallen: Der heutige Energieverschleiss wirkt sich bereits jetzt katastrophal auf das Klima aus. Im nächsten Kapitel untersuchen wir die wichtigsten Aspekte dieser Entwicklung.

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Zusammenfassung des Kapitels 2

• Fossile Brennstoffe machen immer noch 82  Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus. Doch ihr Verbrauch wächst eher langsamer.

• Die Zunahme der erneuerbaren Energien ist substanziell, insbesondere bei der Elektrizitätsproduktion. Doch noch immer stammen 62 Prozent des weltweit erzeugten Stroms aus der Verbrennung fossiler Energieträger.

• Die früh industrialisierten Länder tragen eine sehr grosse Verantwortung für die CO2-Menge, die bereits in die Atmosphäre gelangt ist.

• Drei Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen sind auf die Verbrennung fossiler Energieträger zurückzuführen. Ihre Reduktion ist der wichtigste Hebel, um die globale Erwärmung zu bremsen.

• Die Demografie hat einen starken Multiplikatoreffekt. Glücklicherweise hört das Wachstum der Weltbevölkerung allmählich auf.

• Die ärmsten Länder sollen bei ihren Bemühungen für ein besseres Leben ihrer Bevölkerung eine Aufwärtsspirale anstreben. Ihre sozioökonomische Entwicklung soll sofort eine effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen anpeilen.

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3. Die Erwärmungsszenarien des IPCC

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) trägt den Forschungsstand zur Klimaerwärmung und ihren Folgen in Berichten zusammen. Der IPCC wurde 1988 gegründet, «um detaillierte Bewertungen des wissenschaftlichen, technischen und sozioökonomischen Kenntnisstands über den Klimawandel, seine Ursachen, seine potenziellen Auswirkungen und die Strategien zu seiner Bewältigung bereitzustellen.» [9]

Die IPCC-Berichte sind eine Art diplomatisch-wissenschaftlicher Konsens zwischen den Staaten. Sie enthalten die konsolidierten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung und nicht die Avantgarde des Wissens. Diese Zurückhaltung beinhaltet das Risiko, dass das Ausmass des Problems unterschätzt wird. Dafür bietet sie eine Garantie, dass die Aussagen in keinem Fall übertrieben sind.

Abbildung 7 und Abbildung 8 stammen aus der neusten «Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger» des IPCC [10]. Die erste zeigt fünf mögliche Szenarien der Emissionsentwicklung bis zum Jahr 2100.

Das hellblaue Szenario ist eindeutig das Beste für die Menschheit: Die CO2-Emissionen sinken bis 2050 auf «Netto-Null» und die anderen Treibhausgase einigermassen unter Kontrolle zu halten. Mit «Netto-Null» im Jahr  2050 ist gemeint, dass die verbleibenden Emissionen zu diesem Zeitpunkt vollständig durch negative Emissionen ausgeglichen werden. Dass also durch menschliches Handeln CO2 aus der Atmosphäre entfernt und insbesondere in der Biomasse, in der Humusschicht oder im Untergrund gebunden wird. Ab 2050 steigt somit die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht mehr weiter, sondern beginnt sogar etwas zu sinken. Da jedoch die von Menschen verursachten Emissionen anderer Treibhausgase nicht vollständig verschwinden (siehe S. 35), sinken die globale Treibhausgaskonzentration und die Temperatur nur langsam wieder ab.

Das rote Szenario ist das Worst-Case-Szenario: Die jährlichen CO2-Emissionen verdreifachen sich in den nächsten 60 Jahren.

Die verbleibenden drei Szenarien liegen dazwischen. Das dunkelblaue markiert Klimaneutralität im Jahr 2070.

Abbildung 8 zeigt auf, wie sich das Klima bis Ende des 21. Jahrhunderts je nach Emissionsszenario ändert. Das rote Szenario entspricht mit einem Temperaturanstieg um weitere vier Grad im Vergleich zu heute dem schlimmsten Fall. Damit einher steigen

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Anmerkung: CO2 macht drei Viertel der Treibhausgasemissionen aus [11]. Die IPCC-Szenarien berücksichtigen die anderen Treibhausgase auch 1 (siehe S. 35).

die Meeresspiegel verglichen mit dem heutigen Niveau erheblich: um etwa 70 Zentimeter. Gleichzeitig setzt sich die Versauerung der Ozeane fort, was das Wachstum von Plankton beeinträchtigt und somit die Nahrungskette schwächt.

Dieses Szenario hat dramatische Folgen für Hunderte Millionen Menschen. Sie können nicht mehr dort wohnen, wo sie heute leben – etwa an den grossen Flussdeltas am Nil oder am Ganges-Brahmaputra, die von Salzwasser überflutet werden. Oder in Gebieten, wo die Temperatur bis zu 50 Grad erreicht, wie es in Zentralindien immer häufiger der Fall ist. Der menschliche Körper verträgt es nicht, dauerhaft einer solchen Hitze ausgesetzt zu sein. Sie ist besonders lebensbedrohend für Säuglinge, Schwangere, ältere Menschen, solche mit Vorerkrankungen oder Personen, die körperlich schwer arbeiten. Für Milliarden Menschen

einschliesslich der Stadtbewohnerinnen und -bewohner in der nördlichen Hemisphäre – verschlechtern sich die Lebensbedingungen deutlich.

https://ourworldindata.org/co2-and-other-greenhouse-gas-emissions.

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– 20 0 20 40 60 80 10 0 120 140 2015 2050 210 0 SSP1-1.9
1 Eine gute Visualisierung der Treibhausgasemissionen nach Herkunftssektor, Zeitachse oder Land findet sich unter
SSP1-2.6 SSP2-4.5 SSP3-7.0 SSP5-8.5
Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr Abbildung 7: Die fünf Hauptszenarien für die Entwicklung der CO2-Emissionen Quelle: [10, S. 13]

Abbildung 8: Die Entwicklung der Temperatur, des Säuregehalts der Ozeane Quelle: [10, S. 22] an der Oberfläche und des Meeresspiegels gemäss den fünf IPCC-Szenarien

Mittlere globale Temperaturveränderung im Vergleich zu 1850–1900

Durchschnittlicher Säuregehalt an der Oberfläche der Ozeane (pH)

Veränderung des durchschnittlichen Meeresspiegels im Vergleich zu 1850–1900

Szenario mit hohen Auswirkungen, einschliesslich einer Instabilität der Eiszyklen, mit geringer Wahrscheinlichkeit (SSP5-8.5)

Anmerkung: Der höhere Säuregehalt der Ozeane hemmt das Wachstum des Planktons und schwächt die gesamte Nahrungskette der Ozeane.

32 SSP1-2.6 SSP2-4.5 SSP3-7.0 SSP5-8.5 1950 2000 2020 2050 2100 1 1.5 2 0.5 0 m SSP1-1.9 SSP1-1.9 SSP1-2.6 SSP2-4.5 SSP3-7.0 SSP5-8.5 1950 2000 2015 2050 2100 7.6 7.8 7.7 7.9 8.0 8.1 8.2 ° C 0 –1 1950 2000 2015 2050 2100 1 2 3 4 5 SSP1-1.9 SSP1-2.6 SSP2-4.5 SSP3-7.0 SSP5-8.5
Übersäuerung der Ozeane

Der Klimawandel ist die vordringlichste Aufgabe unserer Generation. Angesichts der Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen fühlen sich viele Menschen zunehmend ohnmächtig. Doch Nichtstun ist keine Option. Wir müssen handeln – und zwar jetzt! In diesem Buch skizziert

Roger Nordmann konkret, wie die Schweiz mithilfe eines Klimafonds bis spätestens 2050 das Ziel von Netto-Null erreichen kann. Denn es gibt einen Weg, um gemeinsam die globale Erwärmung aufzuhalten. Investitionen in eine sichere und saubere Energieversorgung erlauben es zudem, effektiven Klimaschutz nicht nur pragmatisch, sondern auch sozial gerecht zu gestalten.

Roger Nordmann ist Präsident der Sozialdemokratischen Fraktion im Schweizer Parlament (2015–2023), Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) und Autor von Sonne für den Klimaschutz. Dieses 2019 veröffentlichte Werk rückte das enorme Potenzial der Solarenergie ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Ein Teil seiner Vorschläge ist mittlerweile bereits gesetzlich verankert oder steht kurz vor der Verabschiedung.

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