
Joseph Deiss
Joseph Deiss
Vom Moléson via Napf auf den Säntis
®
www.fsc.org
MIX
Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC® C083411
© 2025ZytgloggeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG,Basel AlleRechtevorbehalten
Lektorat:AngeliaSchwaller
Korrektorat:Baer&Wendel,Berlin
Fotografien:JosephDeiss
Coverbilder:DominiqueJaton,JosephDeiss
Covergestaltung:Hug&Eberlein,Leipzig
Layout/Satz:3w + p,Rimpar
Druck:CPIbooksGmbH,Leck
Herstellerinformation:ZytgloggeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG, St.Alban-Vorstadt76,CH-4052Basel,info@zytglogge.ch VerantwortlichePersongem.Art.16GPSR:SchwabeVerlagGmbH, Marienstr.28,D-10117Berlin,info@schwabeverlag.de
ISBN978-3-7296-5199-9
www.zytglogge.ch
VomMolésonviaNapfaufdenSäntis
Inhalt ImBannderinnerenSchweiz
1.MarktfleckenundBauernhöfe
2.HüpferüberSaaneundAare
3.AufdenSpurenderWiedertäufer,Leninsundvon BruderKlaus
4.EinTummelfeldfürPatrioten
5.AufinsWanderparadiesAlpstein
6.KrönungaufdemDrei-Kantone-Gipfel SchwägalpAR
7.KurzerAbstechernachQuintenSGundSt.Georgen KapelleSG,umsichetwasAussergewöhnliches zugönnen
8.AlleinaufderWelt,imunbewohntenSaminatal SargansSG –
ImBannderinnerenSchweiz
VomMolésonviaNapfaufdenSäntis
DieTatsacheistallgemeinbekannt:DieSchweizbefindetsicheingeschlosseninderMitteKontinentaleuropas.SiehatkeinendirektenZugangzumMeer.IhreGrenzenverlaufengrösstenteilsentlang derGebirgskettenundBerggipfeloderschlummernaufdemGrund vonSeenundFlüssen.FürNormalsterblichesinddieseoftunzugänglich.DieserelativeEngeunddasFehlendesoffenenMeeres mögeneinigeCharakterzügeihrerBewohnererklären.DerRückzug insichselbst,dieRücksichtaufdieNachbarn,Diskretion,aberauch einegewisseEmpfänglichkeitfürpopulistischeImpulse,welchedie Autarkiepreisen,sindEigenschaften,dieoftalsKlischeesdargestellt werden.
GenausovieleRichtigstellungenzielendaraufab,diesenMangel anOffenheitzuverneinen.SindwirnichteineHandelsnation,sowohlimExportalsauchimImport,überzeugterAnhängerdesFreihandelsalso?AlsHerkunftslandgrosserReisenderundEntdecker mangeltesderSchweiznichtanZeugnissen,diebeweisen,dassihre Staatsangehörigennichtdavorzurückschrecken,sichmitAusländernanzulegen.ObschondasHeimweheinesderhäufigstenLeiden derSöldnerwar,diedazuverurteiltwaren,ihrenUnterhaltimSold dergrossenKriegernationenzuverdienen.
DasselbegiltaufregionalerEbenefürjeneKantone,dieich«innereSchweiz»oder«Binnenschweiz»nenne.Jene,diekeinen physischenKontaktzumAuslandbesitzen,sondernnurandereMiteidgenossenalsNachbarnhaben.NachdemichunterdemMotto In alleHimmelsrichtungen – WanderungeninverborgeneWinkelder
Schweiz1 zudenviergeografischenExtrempunktenderSchweizer LandesgrenzengewandertbinundsodieäusserenKantoneund Halbkantone,alsojene,dieeinegemeinsameGrenzemiteinem Nachbarlandbesitzen – insgesamtdererfünfzehn –,besuchthabe, istesnunanderZeit,michaufdieelf«inneren»Kantonezukonzentrieren,jene,dievondenGrenzkantonenumschlossenwerden.
AusderAufzählung – UR,SZ,OW,NW,LU,ZG,GL,BE,FR,
AIundAR – wirddeutlich,dassessichumdieältestenKantone oderzumindestumsolchehandelt,diespätestens1513derEidgenossenschaftbeigetretensind.UnterdiesemGesichtspunkthatdie getroffeneAuswahleinemetaphorischeundhistorischeDimension, undmankönnteauchvomKernoderHerzendesLandessprechen. DieseelfBinnenkantonebildenjedochnichtalleindie«Dreizehn AltenOrte» – odersechzehn,wennmanberücksichtigt,dassdrei davoninHalbkantoneaufgeteiltsind(UnterwaldenseitAnbeginn, Appenzellseit1597undBaselseit1833).Abersiegehörenallezur AltenEidgenossenschaft,dievonMarignano(1515)biszumEinmarschderfranzösischenTruppenindieSchweizimJahr1798 währte.
InnerhalbdieserSchweiz,dievordem19.Jahrhundertbestand, sindfünfKantone – nämlichZH,SO,BS,BLundSH – Teilder heutigenPeripherie.SiehabenweiterhingemeinsameGrenzenmit denausländischenNachbarn.Im19.Jahrhundert – derJuraerstim 20.Jahrhundert – kamenzehnneueKantonehinzu,diealleperipheranderLandesgrenzeliegen,alsobdiesogenannten«Urkantone » sichmiteinem«entmilitarisierten»Gürtelumgebenwollten, dersievondenNachbarländerntrennt.
VonLaBrévineausstartendistalsomeinunmittelbaresZieldie vonmirbezeichnete«innereSchweiz».DasScharnier,andemich 1 JosephDeiss, InalleHimmelsrichtungen,WanderungeninverborgeneWinkelder Schweiz,Zytglogge,Basel,2024.
michorientierenwerde,hatanseinemwestlichenEndedenKanton Neuenburg,derdieGrenzemitFrankreichteilt.DasöstlicheEnde bildetderKantonSt.Gallen,derÖsterreichundLiechtensteinund indirektüberdenBodenseeauchDeutschlandberührt.Zusätzlich umschliesstervollständigdiebeidenAppenzell.Letztereentpuppen sichdaheralsdoppeltgefangen.
AusphysischerSichtistesdieAchse,diedenFreiburgerMoléson (2002m)unddendreiteiliggipfelndenSäntis(2502m)verbindet, andessenSpitzesichdieKantoneAI,ARundSGgleichzeitigberührenundderauchdenhöchstenPunktdesAlpsteinmassivsdarstellt.EinesTagesversuchtemireinFreundausdieserGegendzu erklären,wasderSäntisfürdieOstschweizerbedeutet:
– DieAppenzellerAlpen,alsUntergruppedesAlpen-undVoralpenmassivs,nehmeneinenördlicheVorpostenpositionein,nur30 KilometervomBodenseeentfernt.DerSäntisspieltdieRolleeiner Vorhut.Kurzgesagt,eristderMolésonderOstschweiz.
– Ichfügehinzu,dassermiteinemungefährenBreitengradvon 478 15’ NnochnäheramNordpolliegtalsderMoléson,dernur 468 33’ Nanzeigt.
– Hervorzuhebengäbeesnocheineandere,ehergeometrische Besonderheit,diezeigt,wiesehrdiesebeidenGipfelwiedieNadel einesKompassesnachNordenausgerichtetsind.Wennwirnämlich eineGeradeziehen,welchediebeidenGipfeldurchdieganze Schweizhindurchverbindet,sehenwir,dassesindenVoralpennur wenigeBergspitzenüber2000Metergibt,dienördlichdieserAchse liegen.DiebekanntestensindderPilatus(2128m)inderZentralschweiz(468 58’ N),sehrknapp,sowiederGantrisch(2176m)in denBernerVoralpen(468 42’)unddieKaiseregg(2185m)inden FreiburgerVoralpen(468 39’).DazukommennocheinigeNachbargipfelderFreiburgerundBernerVoralpen,zumBeispieldieMähre (2091m),derOchsen(2188m)oderdieHohmad(2076m),alle imMassivKaiseregg-Gantrischgelegen.
AufhalbemWegzwischendiesenbeidenfürdieVoralpenemblematischenGipfelliegtderNapf(1406m,478 00’ N),der,ohnevulkanischenUrsprungszusein,als Massifcentral derSchweizfungierenkannundausKonglomeratgestein(Nagelfluh)besteht.Seine BesteigungkannvonallenvierHimmelsrichtungenerfolgen,jedoch nurzuFuss,denGratendesBernerEmmentalsoderdesLuzerner Entlebuchsfolgend.
DerBezugaufdiebeidenLinienMoléson-NapfundNapf-Säntis verdeutlicht,dassesnördlichdieservirtuellenGrenzenkeineweiterenWipfelüber2000Metermehrgibt,sodassMoléson,Napfund SäntisdiedreiammeistenvorgeschobenenWächterdesAlpenmassivsinRichtungMittellandundDeutschlanddarstellen.Interessant istschliesslich,dasssichderNapfaufderlinearenVerlängerungder Salève-Moléson-Achsebefindet.TatsächlichwirdmeineReisedurch dieinnereSchweiz,manchmalnachNorden,manchmalnachSüden,vondieserLuftlinieabweichen,dieimaginärzwischendenbeidenberühmtenGipfelngezogenwerdenkann.Realistischerwärees daher,vonderAchseLaBrévine-Feldkirchzusprechen,welchedie beidenEndenderReisemitsamtLiechtensteineinschliesst.
Ichgebezu,dassdasvonmirgewählteAbgrenzungskriterium, alsodasFehleneinergemeinsamenGrenzemitdemAusland,nicht dasgängigsteist.EsmangeltihmdahernichtanOriginalität,aber auchnichtanWillkür – Elemente,diedenCharmevonAusnahmenausmachen.Eswirdsiegeben,dieseSonderfälle.Ichverspreche es.ZudengebräuchlichstenMethodenderAbgrenzunggehören nämlichdieSprachen – mitdemunausweichlichen«Röstigraben» –,dasRelief – unterteiltinJura,PlateauundAlpen –,dieReligionen – mitdenZeugenausderZeitderReformationunddenKonfessionskriegen –,aberauchdie«Stadt-Land»-Konfrontation – in einemLand,dasehereinergrossenUrbanisierungaufdemLand gleicht.DersoimplizitpräsenteVerweisaufdienationalegeopolitischeAufteilungvermittelteineinteressanteMöglichkeitdesVergleichs,daerdieräumlicheDimensionderGeografieunddiezeitli-
cheOptikderGeschichtemiteinanderverbindet.EsistdieseVerknüpfung,dieamgetreustendieEntwicklungdernationalenrechtlichenundpolitischenOrganisationerklärt.
BevorichmichendgültigaufdenWegmache,wirdmeineNeugiervorallemvoneinerFrageangetrieben:WirdmirderRundgang durchdieseinnereSchweizeinanderesLandalsdasdergeografischenExtrempunkteoffenbaren?WirddieErfahrungdesHinterlandes,diesichderWandererimZeitlupentempoauferlegt,anders ausfallenalsdas,wasichanderLandesgrenzeerlebthabe?Wird sichdieseErwartungeinerauthentischerenArtvonHelvetiaerfüllenoderbinichdabei,neueKlischeeszufabrizieren,dieunterder LupediesesindiskretenWanderers,derichbin,verwässertwerden?
UnmittelbarerfolgtderStartzunächstimNeuenburgerJura,von woausmandurchdenKantonFreiburgindieinnereSchweizvordringt,nichtohnekurzdenKantonWaadtinseinemnördlichen TeilamUferdesNeuenburgersees,oberhalbGrandsonundYverdon-les-Bains,zuberühren.DieWahlvonLaBrévineliegtdaran, dassesderdemMolésonamnächstengelegenePunktderLandesgrenzedarstellt.UndFreiburgistderwestlichsteder«eingeschlossenen»Kantone,dereinzigeinderWestschweiz.
1.MarktfleckenundBauernhöfe
LaBrévineNE – BulleFR(93km)
Freiburg – LaBrévineNE(23.April2023)
ZweieinhalbStundenFahrtmitBahnundBusreichenaus,umvon FreiburgnachLaBrévinezugelangen.AndiesemSonntagnachmittagbinichmirüberdasneueWanderprojektnochimmerunschlüssig.Ausser,dassesRichtungOstengehensoll,istnochnichtsklar definiert.IchhabeeinZimmerim Hôtel-de-Ville gebuchtundhoffe,denChefJean-DanielOppligerundseineFrauInnazutreffen.
WährendderAnreisebeschäftigtmichdastragischeSchicksal vonJeannetteundAntonio.FrançoisHainard2 hatdasDramaihrer aussichtslosenLiebeinseinemRoman Leventetlesilence feinfühligundtaktvollbeschrieben.ÜbrigensstelleichbeimVorbeifahren fest,dassdieNaturimValdeTraverseinenVorsprunghat.Buchen sowieandereBäumeundSträuchersindbereitsmitdemzarten GründesFrühlingsgeschmückt.
MeineersteSorgebeimAussteigenausdemBusbestehtdarin,an derFassadedesGemeindehauseszuüberprüfen,obdernationale Kälterekordvon – 41,8 8C,gemessenam12.Januar1987,immer nochgiltundangezeigtwird.IndiesemWintermachteichmir nämlichSorgenumdieNachhaltigkeitdes«SchweizerSibiriens». AmSägitalseeBEwurdenneuerdings – 42,3 8Cgemessen.Dies könnteLaBrévinedenTitelderKältehauptstadtkosten.
– Nein,nein,beschwichtigenzwardieMeteorologen.Diesist keinneuerRekord,denneshandeltsichumeineprivateBeobachtungsstation,welchedieBedingungenfüreineZertifizierungnicht erfüllt.ZusätzlichliegtderSägitalseeauf1935Meterüberdem
2 FrançoisHainard, Leventetlesilence,EditionsGd’ Encre,LeLocle,2017.
Meeresspiegel,währendLaBrévinenurauf1043Meterliegt.VergleichenwirdochVergleichbares.
AlsichimHotelankomme,setztplötzlichderRegenein.Inna stehtamEingangundheisstmichwillkommen.InderNachtsollte esnocheinmaleinenGussgeben,sagtsiebesorgtundreichtmir einenRegenschirm.
DerSchauerhältmichnichtdavonab,eineweitereRundedurch dasDorfzudrehen.IchkommeandermythischenBäckereivorbei, indersichJeannetteundAntoniobeiderArbeitkennengelernthaben.DerBrunnen,derauseinemmassivenSteinblockimHinterhof gehauenwurde,wosiemitihrenKollegenzupausierenpflegten, sprudeltundmurmeltnochimmer,leiseundunbeirrt.DieWetterstationverkündetstolz,dassLaBrévineeineStädtepartnerschaftmit derGemeindeGronoGRunterhält,diemit +41,5 8CdenHitzerekorddesLandesinnehat.EineaufmerksameundoriginelleIdee,geradeinZeitenderglobalenErwärmung.
AmAbendgesellensichJean-DanielundInnazumiranden Tisch,sobaldichmeineRöstimitSpiegeleiernvertilgthabe.Wir tauschendieneuestenNachrichtenaus.Inna,dieukrainischerAbstammungist,kehrtemehrfachinihreHeimatzurück.IndenMedienverfolgtedieganzeWestschweizJean-DanielsmutigesHandeln,alserwährendderrussischenInvasionnachLwiwfuhr,um InnaundihreAngehörigenzurückindieSchweizzubringen.
LaBrévineNE – CouvetNE(24.April2023,14km)
AmMontagmorgensteheichum6:30Uhrauf.Innahatterecht.In derNachthatesgeregnetundessind4 8C.DieStrassenachCouvetführtunterdem«grossenKreuzhindurch,dasderPfarrerRené ausirgendeinemGrunderrichtenliess,weilesineinemprotestantischenLandjakeineKreuzeinderLandschaftgibt»(Hainard, S.162).EsdominiertdasganzeTalundnichtweitvonhiersteht diemächtigeTanne,unterdersichdiebeidenjungenLiebenden denTodgaben.DerHimmeliststürmisch,dunkelundbedrohlich.
DieschwarzenSilhouettenderhohenTannenunddesKruzifixes verheissenetwasBeklemmendes – genauso,wieesanjenemverhängnisvollenSonntagmorgen,dem18.Februar1945,gewesensein muss.
TrotzdeszuerwartendenSchlammsentscheideichmichfürden Wanderweg.IchmöchtenichtbisnachCouvetaufderasphaltiertenStrassebleiben,entlangwelchergesternAbendderBusgefahren ist.DieWegweiserfolgensichamBandundlenkendenWanderer längsdenHöhenmitBlickaufdenLacdesTaillères.Hiergiltes, dieKurvevordemAufstiegnachLesBansundLaCalamenichtzu verpassen,diemit1224MeterndenHöhepunktdesTagesdarstellen.IchhaltedieseHöheeineWeile,passierediePetiteCharbonnièreunddasSignaldesFrançais,wanderedurcheineVielzahlgefällterBaumstämmeundvorbeianeinigenhübschenNarzissenfeldern. BeiderZitadelleoberhalbvonMôtiersNEangelangt,mussman leichtnachNordostenabbiegen,umaufCouvet,demEtappenort desTages,abzusteigen.
NacheinemAbstechermitBahnundBusnachLesVerrièresNE landeichschliesslichim Salt&Pepper beimeinemFreundRiaz undseinerFrauinFleurierNE.AufdemKopfträgterimmernoch seinenBorsalino,aberseineschwarz-weissenSchuhehateraufgegeben.SeinInnovationsgeististjedochungebrochen.Erschufsogar eineJurte,umseineNachbildungdesLuzernerBourbaki-Panoramas alsWanderausstellungquerdurchsLandzuzeigen.DieletzteöffentlichePräsentationfandvoreinpaarWochenwährenddesKältefestivalsvonLaBrévinestatt.EinunglaublicherPublikumserfolg, wieesscheintundwieseineClipsmitdenGreyerzerSennen( Armaillis)beweisen,diemunterundlautdas Lioba-Liedsingen.
–
IchhabeIhnendochbereitserzählt,dassderbesteGruyère AOPinLaBrévinehergestelltwird!3
IchnutzemeinenNachmittag,umdashübscheStädtchenFleurierzuerkunden.ZusammenmitCouvethandeltessichumzwei grossewohlhabendeDörfer,derenbehäbigeGebäudeandieglorreichenZeitenderUhren-undMetallindustrieerinnern.Umbauten undNeuorientierungenwarenjedochnötigunddieErneuerung nimmtallmählichGestaltan.DasganzeTalstrahlteinegewisse Ruheaus.AuchderAbsinthmarkierthierseinePräsenz,ebensowie dasberühmteCouvet-ViaduktausdemJahr1911,dessenUrsprung aufdieDampfeisenbahnvonNeuenburgnachPontarlierzurückgeht.
FürdenAbendhatmirRiazeinenTischinseinem Salt&Pepper reserviert.ErerzähltmirvonseinerJurteunddemBourbakiPanorama,aberauchvondengelbenMangosausIndienundvon seinemHotelsowievomStaunenalljener,dieüberraschtsind,dass sicheinInderzumSchweizerErbebekennt.SeinTraumwärees, mitseinerJurtedurchdieganzeSchweizzustreifen.
CouvetNE – GrandsonVD(25.April2023,24km)
DieEtappevonCouvetnachGrandsonerweistsichalsmühevoll. Nachden14Kilometern«Sonntagsspaziergang»desVortages konfrontierenmichdie24Kilometerund +500/–800Höhenmeter derEtappedesTageswiedermitderüblichenAnstrengungeines Durchschnittspensums.
InderNachthateswiedergeregnetundderganzeTagverspricht kühlesWetter.5:40UhristnichtzufrühzumAufstehen,wenn manbedenkt,dassichzuerstmitdemZugvonFleuriernachCouvetfahrenmuss,dieTemperaturbei4 8CliegtunddieWetterpro-
3 JosephDeiss, SurlechemindeCanterbury,Rossolis,Bussigny,2022.Sowie:Joseph Deiss, LaSuissecardinale,Rossolis,Bussigny,2023.
gnosensogarSchneeaufdenHöhenankündigen.Ichrüstemich entsprechendmitderwasserdichtenHüllefürdenRucksackund dem Landi-RegenschutzfürdenOberkörperaus.
WährendderschönenJahreszeitstartetdiekürzesteRouteüber denBergeigentlichinFleurier.AberbisEndeAprilistderWanderwegdurchPouetta-RaissefürFussgängergesperrt.Esistdaherzwingend,diegeteerteStrassevonCouvetnachMauborgetVDzubenutzen.Sicherheitgehtvor.DerAufstiegdurchLesRuillèresundLe Couventbisauf1113MeterHöheistanspruchsvoll.Entlangder EbenezwischenVers-chezPillotundSurleCrêtpassiertmanbereitszweimalWaadtländerBoden,bevormansichendgültigimbevölkerungsreichstenderfranzösischsprachigenKantonebefindet. IchfolgederStrasse,dieVuissensVDumgehtundauf1253Meter gipfelt.
AndiesemOrtwerdeichvoneinerWindböeundeinemWirbel vonSchneeflockenüberrascht,einUnwetter,dasmichbisnach Mauborgetbegleitenwird.ZumGlückbinichwarmeingepackt! TrotzdemfrierenmeineFinger,dennichhabenurdieleichteVersionmeinerHandschuhemitgenommen.ManchmalistdieSichteingeschränktundderSchneebeginntsichaufdenWiesenanzusammeln.AbermeineRegenwesteschütztmichgutunddie wasserdichteHülleder Coop-Tascheistsehrnützlichundersetzt gleichzeitigdiegelbeWeste.WasanfangswieeinleichtesGestöber aussah,verwandeltsichfortschreitendineinenkleinenSchneesturm.AuffälligistdiegrosseMengeangefälltemHolz.TannenstämmevonbeeindruckenderLängestapelnsichamStrassenrand undbietendieerstenOberflächen,aufdenensichdieweissenFlockenniederlassen.
MauborgetliegtaufeinerTerrassein1200MeternHöhemit BlickaufdenNeuenburgersee.EndlicheinSonnenstrahl,ummich währendderPauseaufzuwärmen.IchsetzemichaufdieMauereinesmalerischen,kleinenFriedhofsundgeniessedieherrlicheAussichtaufdengrössten,gänzlichinderSchweizgelegenenSee.Von
hierauswarteteinlangerAbstiegvon800MeternHöhenunterschiedbisaufdasNiveaudiesesausgedehntenGewässersinGrandson.DieRouteerstrecktsichvonFontainesnachFiezundindie Senke,welchediesebeidenOrtevomSeetrennt.
MeineerstenEindrückevonGrandsonsindeherenttäuschend. EsistnichtmehrdascharmanteDorf,dasichwiederentdecken wollte,eingebettetringsumseinmächtigesSchloss.DieBewohner undBehördenderheutigenZeittragendafürkeineSchuld.DennochteiltdieBahndieAgglomerationentlangihrergesamtenStreckeinzweiTeile.Schlimmernoch,dieZügefahrensogardurcheine Öffnung,dieindieBurgmauergebohrtwurde!Hinzukommt,dass derengeLandstreifenzwischenBahnundSeekomplettbisanden RanddesWassersüberbautundfürdieÖffentlichkeitnichtzugänglichist.DieStadtscheintsichbewusstzusein,dassdieexklusive NutzungderUferdurcheinigewenigePrivateigentümerdochzu weitgeht.DieBehördenhabenmitHumorversucht,diesteilweise zumildern,indemsieeinigedreiodervierMeterbreiteÖffnungen geschaffenhaben,diealsMinisträndedienen.Dochwaswohlweislich KleinerSandstrand , A.JuferBeach oder KleinerSteinstrand genanntwird,istebenehereinWitzoderdientalsAblenkungsmanöver.
DereinzigeGasthofinderAltstadtistdienstagsgeschlossen,sodassnurdas RestaurantlesQuais unddas Cercledelavoile,beide amSeegelegen,übrigbleiben.Siebefindensichaufeinerschönen Grünfläche,dieunterhalbdesBahnhofsangelegtwurde.Dermit grossenGlasfensternhellbeleuchteteSpeisesaal,derangenehmeServiceunddieguteKüchedes Quais versöhnenmichschliesslichmit diesemStädtchen,dessenNamestolzdieSchweizerGeschichtsbücherziert,inErinnerungandieberühmteSchlachtvom2.März 1476,inderdieEidgenossendieBeutedervonKarldemKühnen angeführtenBurgunderbeschlagnahmten.
Ichübernachteim HôtelduLac,dasimWiderspruchzuseinem NamenkeinenBlickaufdenSeebietet.AnderRueBasse,der
HauptverkehrsachsedesOrtesgelegen,istesdennochkomfortabel undhindertmichnichtdaran,einengesundenundtiefenSchlafzu finden.
Die28KilometerdesPensumsdurchdashügeligeGros-de-Vaud, diemichvonGrandsonnachMoudonführen,zwingenmich,bei siebenStundenFussmarschwiederzumeinerüblichenFormzurückzufinden.Um6:30UhristdasFrühstückbereitsserviert.Man wähntsichinderDeutschschweiz!UndauchdieSonneistwieder da.DasMorgenlichtistwunderschön,umdieangenehmeRoute nachYverdon-les-BainsVDanzutreten.IchdurchquereeineabwechslungsreicheSeeuferlandschaft:Wildes,teilsunwegsamesGeländewechseltsichabmitCampingplätzen,Wohngebieten,WerftenundSportplätzen,dieurbanereGebieteankündigen.Ichbin beeindrucktvonderMengegefällterriesigerBäume,dieüberallherumliegen.IstesdasErgebniseinesTornados?OdersollendieUfer vonGrundaufneugestaltetwerden?Ichkommegutvoran,ohne aufdieKarteoderdasGPSzurückgreifenzumüssen,daichweiss, dassdieMetropoledesnördlichenWaadtlands,dieentschlossen ihreBerufungalsBadekurortverkündet,amsüdlichenEndedesSees liegt.
IchwähledenMomentderÜberquerungderBrückeüberdie Thièle,umeinerstesMaldenStadtplanzukonsultieren.MeinZiel istes,Yverdon-les-BainsaufdemkürzestenWeginRichtungPomy VDzudurchqueren.Dashindertmichnichtdaran,amSchloss,der RuedelaPlaineundderAvenuedesBainsvorbeizugehen.Die StadtstrahltGeschichte,EleganzundGrossräumigkeitaus.Esist einMomentderEntspannung,vordemanspruchsvollenAufstieg, dermichnachPomyführt.
WerzuFussunterwegsist,wirdsichderHundertenvonHöhenmeternbewusst,dieeszuerklimmengilt,umindieRegiondes Gros-de-Vaudzugelangen.AusgehendvonderHöhedesNeuenbur-
gerseesauf429MeternhatderWanderergenügendZeitzuschwitzen,bevorerkurznachThierrens,inLeMarchât,denhöchsten PunktdesTagesauf806Meternerreicht.Alldaserinnertdaran, dassderKantonWaadtmitseinengrossenLändereien,ausgedehntenFeldern,stattlichenHerdenundzahlreichenNebenerwerbsbetriebenwiederZuchtvonKleintierenundPferdeneinederwichtigstenLandwirtschaftsregionenderSchweizdarstellt.
DiedurchquertenDörferstrahlensolidenWohlstandaus.Man istnichtumsonstCalvinistundhatdieGewohnheitenderreichen BernerBauernbewahrt:fleissigarbeiten,umeingutesAuskommen zuhaben,ohneesjedochzurSchauzustellen.
ZudieserJahreszeitbeginnendieWeizenfelderentlangdes «WegesdesBrotes»zukeimenundEchallensVDmitseinem MuséeduBléetduPain istnichtweitentfernt.EsistauchdieJahreszeitderweitengelbenRapsfelder,derenBlütelangsameinsetzt.All diesatmetdassakrosankte Terroir,einBegriff,denmanmit«Heimat»oder«Scholle»übersetzenkönnte.DieDörfersindsauber, geschmückt,aberauchmenschenleer.InPrahinsVDgibteszwei prächtigeüberdachteBrunnenim Comtois-Stil.Siefunktionieren nochimmer,obwohldieSpurenmenschlichenLebensnurmarginal sind,wenneinmaldieKinderinderSchuleunddieAktivenbeider Arbeitsind,inLausanneoderYverdon-les-Bains.
ImSektorPomyüberquertmandieAutobahn,ohneeszubemerken.SieverläuftnämlichunterirdischundnutztdenTunnel, derdenNamendesOrtesträgt.
EinesderDörfermitbesterLageanderSonneistCronayVD. AnseinerSüdflankethrontesüberDonneloyeVD,dastiefindie Schluchteingebettetist.Aberwirsindnochnichtamhöchsten Punktangelangt.Vorerstgiltes,nachPrahinsundChanéazVD,auf 780MeterHöheaufzusteigen.GanzinderNäheliegtdieFreiburgerEnklaveVuissensFR.Dennochwäreeszufrüh,denerstender «inneren»KantonevonWestenherzubetreten.Freiburgistin derTatdereinzigefranzösischsprachigeKanton,dernichtanein
fremdesLandgrenzt.Vorausgesetzt,manzähltBernnichtzuden WestschweizerKantonen.DochauchBerngehörtmittlerweilezur Gruppeder«inneren»Kantone,haterdochseitderGründung desKantonsJurakeinendirektenphysischenBerührungspunktmit Frankreichmehr.
DannfolgtThierrens,dasheuteindergrossenfusioniertenGemeindeMontanaireVDaufgegangenist.Nördlichdesausgedehnten JoratwaldesbefindenwirunsnochimEinzugsgebietdesNeuenburgersees(Mentue)unddesMurtensees(Broye),wasfürRegenwasser einSchicksalimRheinunddanninderNordseebedeutet.Dasgilt auchfürMoudon,dasvonderBroyedurchflossenwird.
WiediemeistenStädtedieserGrössehatauchMoudonimLaufe derZeiteinpaarFaltenbekommen.WährendGrandsonvomZug inzweiTeilegeschnittenwird,istMoudonvonderKantonsstrasse inzweiHälftengeteilt.Diesesregionaleundlandwirtschaftliche ZentrumhatjedocheinbedeutendesarchitektonischesErbe,dasan dieBlütezeiteinerwohlhabenden«Landbourgeoisie»erinnert.AbgesehenvondennationalenVerkaufskettenistdieAltstadtreichan verlassenenSchaufensternundGeschäftsräumen,trotzflorierender neuerDienstleistungenimBereichderKörperpflege,vonHörgerätenüberkünstlicheFingernägelbishinzuWellnessundTätowierungen.
WährendichdieRoutefürdennächstenTagvorbereite,entdeckeich Fromart,dieReifekellervon GruyèreAOP. Daistkein ZweifelamPlatz:WirbefindenunsineinemOrtmitrustikaler undsoliderBodenhaftung.MoudonhatsogareineVergangenheit, dieihmeinekulinarischeBerufunghätteverleihenkönnen.ImJahr 1792suchtederberühmtefranzösischePolitiker,ViolinistundGastronomJean-AnthelmeBrillat-Savarin(1755 – 1826)füreinigeZeit ZufluchtinderStadt.IhmzuEhrentragenderweicheundluftige Savarin-Kuchen(BabaauRhum)(1850)sowiederTriple-CrèmeFrischkäseBrillat-Savarin(1930)seinenNamen.Dochesistder GruyèreAOP,derdemvonderBroyeumspültenStädtchenzu
Ruhmverhalf,wiedievomMarkeninhaberEmmiaufgestellten Schilderstolzbezeugen.
IchirredurchdielangenundbreitenGassenderAltstadtinder Hoffnung,einRestaurantzufinden,dasdieAussichtaufeineBegegnungmitdieserglorreichenVergangenheitzulässt,wassichals echteHerausforderungherausstellt.Glücklicherweisegibtesdas RestaurantduChemindefer,dasderNivellierungwiderstehtundtraditionelleGerichtemitNierchenundKalbsleber,jasogarRinderzungemitKapernsauceanbietetsowiedieberühmteWaadtländer Spezialitätdes PapetVaudois,einenEintopfausWurst(Saucisson), LauchgemüseundKartoffeln.NichtsdestotrotzbleibtMoudonein wichtigerEtappenortdesSchweizerJakobswegsnachCompostela. Daskonntejedochnichtverhindern,dassdaseinzigeHotelder Stadt,das HôteldelaGare,seinenGlanzvergangenerTageteilweise eingebüssthat.EsstammtausderÄradesStädtebauersHaussmann undhatzweifellosbessereZeitenerlebt.
HingegengibteskeineSpurdesgrossenDichtersPhilippeJaccottet,einSohndesOrtes.Erwurde1925inMoudongeborenund gingnachdemUmzugseinerElterninLausannezurSchule.1950 nahmerdiefranzösischeStaatsbürgerschaftan,verbrachtediemeisteZeitseinesLebensinGrignanFundhattedeshalbnurwenigBezugzuseinemGeburtsort.Ichweissnicht,oberjeaufBesuchzurückkehrte.«Wirwerdenälter,wennwiranfangen,uns umzudrehen»schrieberin Atraversunverger. AlsvielbewunderterDichterundbegnadeterÜbersetzergelangihmdieAufnahmein denexklusivenKreisjenerWenigen,derengesammelteWerke schonzuLebzeiteninder Pléiade erschienensind.
MoudonVD – BulleFR(27.April2023,27km)
AmnächstenTaggehtesweitermiteinerEtappevongleicherBedeutung.27KilometerzwischenMoudonundBulle.SiebenStundenfüreinenHöhenunterschiedvon +800/– 300Metern.Ichste-
heum5:30Uhrauf.DieTemperaturliegtbei4 8CunddasWetter isttrocken.
DerWanderwegnachChavannes-sur-MoudonVDbeginntmit einemsteilenAnstieg.DannvertraueichmeinemGPS,dasmich, wiezumSpass,aufFeldwegendurchWiesenundWälderbisnach VuarmarensFRherumstrolchenlässt.Dasistwichtig,dennaneinemOrtnamens Beauregard – einName,derhält,waserverspricht – betrittmandenKantonFreiburg,wiegesagt,denersten der«inneren»Kantone.DieAussicht,aufdiederOrtsnamehinweist,reichtbiszudenDentsduMidioberhalbvonSaint-Maurice. EsistLöwenzahnzeitunddieWiesensindherrlichgelbundahmen zaghaftdieFeldernach,diestolzdemRapsgewidmetsind.
Gegen9UhrbinichbereitsinUrsyFR,einemkleinenländlichenZentrum,unweitdes ChâteaudeRue. Möglicherweiseistdas SchlossderGrundfürdasbeträchtlicheAusmassderNeubauten –ingewisserWeiseeineStadtaufdemLand.Danngehtesweiter durchVauderensFRundunterderEisenbahnhindurch,nichtweit vomberühmtenTunnelentfernt.VondortausklettertderWegallmählichnachLesEcasseysFRhinauf,auffast1000MeterHöhe, demhöchstenPunktdesTages.
BeimAufstieg,nachderÜberquerungvonLaRafour,südlich vonPrez-vers-SiviriezFR,treffeichbeimDurchquerendesWaldes vonRiaud’ EnfereineWandererinan,dieetwasjüngeralsichist undderenSilhouetteeinensportlichenEindruckmacht:
– Hallo.EndlichhabenwirdieSonne,umunserenSpaziergang zuverschönern.WosindSieheutesofrühaufgebrochen?
– Ichwohnenichtweitvonhier,hinterdemHügel,inMossel FR.IchgehejedenTagalleinaufdenRundgang,meinMannkann keinelangenSpaziergängemehrunternehmen.AberwelcherWeg führtSiedennindiesenabgelegenenWinkel?
– IchbinamMontaginLaBrévinegestartet.AmviertenTag, alsoheuteMorgen,brachichvonMoudonaufundwillnachBulle.
SagenSiemir,Mossel,istdasnichtdasDorf,indemsichdieKapelle UnsererLiebenFrauvonderBarmherzigkeit befindet?
– Genau.Ichwohnenichtweitdavonentfernt.Siewissen,dass siezumGedenkenandieOpferderfürchterlichenPestvon1636 erbautwurde,diedieBevölkerungderRegiondezimierte.Entlang desWeges,demSiegeradedurchdenWaldfolgen,wurdenauchdie meistenOpferbegraben.
– Ja,ichkennedieseGeschichte.IchhabeaufgrundderCoronaPandemieeinigeNachforschungenangestellt,diemichanvieleEreignisseimZusammenhangmitdenheimsuchendenSeuchenerinnerten,dieEuropaimMittelalterverwüsteten.Eswirdsogargesagt, dassdieGemeindeVuarmarensbisvorKurzemjedesJahreinenPilgernachEinsiedelnSZentsandte,umdieFürsprachederJungfrau Mariazuerbitten.
– SindSieHistoriker,umalldieseDetailszukennen?Nein, nein,jetztkannichSieeinordnen.SiesindeinehemaligerStaatsrat …
Wirhättenunsnochvielzuerzählen.Beiderseitsgeniessenwir dieChancedieserangenehmenBegegnung.AberdieUnrastdes Wanderersmachtsichraschwiederbemerkbar,dennesgilt,den Rhythmusnichtzuverlieren.Wirverabschiedenunsundwünschen unsallesGute,erfrischtvondiesemunerwartetenKennenlernen.
DieSonneistjetztkräftigmitvonderPartieunddasWetter schonfastsommerlich.DerlangeAbstiegvonLaJouxFRnachSiongeFRistziemlichmühsamundichbinfroh,einschattigesPlätzchenfürdieMittagspausezufinden.DasEndederEtappeisturbaner.MangehtfastimmeraufdenTrottoirsentlangder HauptstrassedurchVaulruzFRundVuadensFR.DieIndustriegebietezwischenAutobahnundKantonsstrasseschiessenhierwiedie PilzenachdemRegenausdemBoden.Wennmanbedenkt,dass Rolexnochnichteinmalbegonnenhat,sichhierniederzulassen.
InBullemündetderWeginechteBoulevards.DieStadtund ihregesamteRegionerweckendenEindruck,alswürdensieexplo-
dieren.KeinWunder,dassderneueBahnhofgeradezupharaonische Ausmasseannimmt.AlsichindenZugeinsteige,flüstertmirein Umstehender,dermeinErstaunenbemerkt,zu:
– WennwirdenStolzderGreyerzersowiediekleinmütigeund linkePolitikderKantonshauptstadtkennen,istessicher,dassBulle innerhalbeinesJahrzehntsdieZähringerstadtFreiburgüberholthabenwird.
2.HüpferüberSaaneundAare
BulleFR – KonolfingenBE(124km)
BulleFR – Moléson-sur-GruyèresFR(15.Mai2023,11km)
Bei6 8Cwirddie KalteSophie,diebekanntestederEisheiligen,die denDeutschschweizernsehramHerzenliegt,ihremRufnichtgerecht.DasJahr2023wirdwohlnichtindieListederKälterekorde, dietraditionellandiesemDatumerwartetwerden,Einzughalten. DasWetteristregnerischundbringtmichbeimAufstiegvonBulle nachMoléson-sur-GruyèresFR(1132m,Moléson-Village)beider WahlmeinerKleidungmehrmalsinVerlegenheit.
HeuteabsolviereicheineÜbergangsetappe,diemichfürdieBesteigungdesMoléson(2002m),diefürden9.Junigeplantist,vorbereitet.DerersteSchauerbeimVerlassendesBahnhofsvonBulle nötigtmich,denRegenschutzüberdenAnorakzustülpen,um nichtzuvielZeitzuverlieren.DieRueJoseph-Reichlen – benannt nacheinembekanntenGreyerzerMalerdes19.Jahrhunderts – ist leichtzufinden,bevorichdieTrêmeüberquere.Ichweichevonden üblichenWegenab,diezumMolésonführen,daichnochinMontbarryFRundPringyFRvorbeischauenmöchte.
Ichweiss,dassichmichzudiesemZweckzuerstnachLePâquier FRrichtenmuss.DasDorfistleichtzufinden.EineriesigeFesthütte,dieandiesemMontagmorgenmenschenleerist,unddieweiten, inParkplätzeumgewandeltenWiesen,dieebenfallsverlassenwirken,erinnernmichdaran,dasssichamTagzuvordergesamteBezirkzumjährlichenTreffenderGreyerzer-Blaskapellenversammelt hatte.DieStrassenarbeitersindmitdemAufräumenbeschäftigtund helfenmir,dasDorfmöglichstohnegrosseUmwegezudurchqueren.
Icherkenne,wiesehrsichderOrtseitmeinemletztenBesuch veränderthat.EsistmehralssechzigJahreher,dassmeineEltern
regelmässignachMontbarrykamen,umdorteinpaarTageUrlaub zuverbringen.DerAufstiegzudiesemmärchenhaftenGebäude,das vollständigausHolzgebautist – wahrscheinlichausTanne – und aussieht,alswäreesmitderLaubsägezugeschnitten,wecktinmir unzähligeErinnerungenanmeineJugendzeit.DerersteEindruck heuteMorgenlässtmichglauben,derWegseivielkürzeralsdamals, alsunserekurzenKinderbeinediesenAnstiegvielbeschwerlichererscheinenliessenalsichesheuteerlebe.
Ichbinenttäuscht,dassichdieStatuettederMadonnanicht mehrfinde,diePapaimHohlraumeinesderKastanienbäumeder Alleeeingebettethatte.DiesesSpaliervonBäumenziertdieletzten HektometerdesWeges,bevordieserzumFerienheimführt.Das HauptgebäudesowiedasangrenzendeFoyermitseinerKapellewirkenwieeingeschlafen.KeineSpureinermenschlichenPräsenz. WildwüchsigeFarne,KamilleundandereKräuterhabendieTreppe zumHaupteingang,diedenGästeneinstvertrautwar,überwuchert.
EinflüchtigerBlickdurcheinesderFensterverrät,dassdasgeräumigeRefektoriumimErdgeschossnochdenParkettbodenbesitzt,der unterdenleichtenSchrittenderNonnen,diefürdieBedienungder Gästezuständigwaren,stetsleiseknarrte.Dochheutestehendie StühleaufdenTischen,undderStaubbedeckteinerstarrtesund stummesDurcheinander.
EinneuerRegengusszwingtmich,aufdieVerandadesErdgeschosseszuflüchten.Icherinneremich,wiewohlwirunsanregnerischenTagenaufdenBalkonen,mitBlickaufdieDentsdeBroc, ChamoisundBurgo,fühlten,dieunseinengeräumigenundmöbliertenUnterschlupfimFreienboten.Leidergibtesheutekeine StühleoderSofasmitmüderFederungundkuscheligenKissen mehr.IchverlängerediePausealsonichtunnötig.VordemBauernhofderFamilieThürlermachenzweiFahrzeugeohneKennzeichen deutlich,dassauchhierdasAnwesennichtmehrganzjährigbewirtschaftetwird.
MitleiserNostalgieüberquereichdennahegelegenenBach,in demsichmeinVersteckbefand,alsichalsKnabedortZuflucht suchte,umDämmezubauenunddanndasangesammelteWasser alsreissendeFlutloszulassen.WievieleStundenhabeichindieser idyllischenUmgebungverbracht,einemgeheimenHort,derallmeinenFantasienalsDreikäsehoch-IngenieurderBachverbauungoffenstand,umsodieUrlaubslangeweiledesJungenzuüberwinden,an einemOrt,derhauptsächlichfürErwachsenefortgeschrittenenAltersbestimmtwar?
EsistauchderWeg,derdenWanderernachundnachdascharmanteStädtchenGruyèresFRentdeckenlässt,dasmitseinemimposantenSchlossaufeinemFelsspornamsüdlichenEndederErweiterungdesSaanetalsliegt.EswarMamasLieblingsspaziergang,bei demsieimmerbereitwar,ErdbeerenundHimbeerenimSchatten desSchlosseszugeniessen,verfeinertmitdemberühmtenDoppelrahm.PringyistnichtmehrderWeilervondamals,sondernbildet heuteeinstattlichesDorf,westlichdesnagelneuenBahnhofsvon GruyèresundderangrenzendenSchaukäserei.
AndieserStellegiltes,dieentgegengesetzteRichtungdeshistorischenStädtchenseinzuschlagen,umdieverbleibendendreiKilometerhochzugehen,dienachMoléson-sur-Gruyèresführen.Heute MorgenzieheichwegenderregennassenWegedieKantonsstrasse demFusspfadvor.DerungenannteGrundist,dassichmeineneuen Bergschuheteste.IchmöchtesieschonenundnichtgleichbeimerstenMalbeschmutzen.
ZuerstaufdemrechtenFuss,dannaufdemlinken,beginneich deninnerenKnöchelzuspüren.Wahrscheinlichhabeichmeine Schuhezuenggeschnürt.Dasistüberraschend,denninmeinem FallsindesmeistdieäusserenKnöchel,dieamempfindlichsten sind.ImMomentsinddieSchmerzenerträglich,abereinigeAnpassungensindnocherforderlich,auchwennmeineneuen LaSportiva , diealsdasNonplusultragelten,eineglücklicheWahlzuseinscheinen.
Joseph Deiss, ehemaliger Bundesrat und passionierter Wanderer, erkundet die elf Kantone, die er als «innere Schweiz» bezeichnet: UR, SZ, OW, NW, LU, ZG, GL, BE, FR, AI und AR. Diese Kantone, die nicht an das Ausland grenzen, gehören zu den ältesten Mitgliedern der Eidgenossenschaft und bilden das geografische Zentrum des Landes.
Zu Fuss verbindet Deiss auf seiner Route den Moléson (2002 m), den Napf (1406 m) und den Säntis (2502 m) –symbolträchtige Gipfel der Voralpen. Dabei stellt er spannende Überlegungen an: Sind diese Kantone besonders authentisch? Fördert ihre Abgeschiedenheit die Bewahrung von Tradition und Identität? Oder ist es an der Zeit, alte Klischees neu zu betrachten?
Begleiten Sie Joseph Deiss auf einer inspirierenden Entdeckungsreise durch das Herz der Schweiz, bei der Geschichte, Legenden und moderne Sichtweisen zu einem einzigartigen Panorama verschmelzen.