Maria Lauber: ‹Chüngold›

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Maria Lauber

Chßngold Erzählung

Kulturgutstiftung Frutigland (Hg.)


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Flurnamen zu Chüngold 1 Frombärghore 2 Tschiparelehore 3 Mäggisserehore 4 Dorfgrat 5 Mäggissere 6 Eggwiid 7 Stägiwald 8 Geburtshaus Maria Lauber

9 Praschte 10 Gassa 11 Grundwäg (Adelbodenstrasse) 12 Entschliga 13 Gantembach 14 Zismasegg 15 Bräschgebach 16 Frutigen

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Kulturgutstiftung Frutigland (Hg.)

Chßngold Maria Lauber Erzählung

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Inhalt Vorwort der Kulturgutstiftung Frutigland ................................................................................. 7 Einleitung von Christian Schmid ....................................................................................................... 9 ‹Chüngold› Erwache ............................................................................................................................................................ 17 Uugewasser ................................................................................................................................................... 26 Wunder .............................................................................................................................................................. 35 Lineli .................................................................................................................................................................... 43 Gfätterle ............................................................................................................................................................ 55 Paradys .............................................................................................................................................................. 67 Wärhe ................................................................................................................................................................. 84 Tierleni ............................................................................................................................................................ 106 Gnuegtue ...................................................................................................................................................... 120 Fragi .................................................................................................................................................................. 143 ‹Rosina Imlaub› (hochsprachliche Vorstufe zu ‹Chüngold›) Einleitung von Erich Blatter ......................................................................................................... 160 Erstes Kapitel: Geburt. Getragen werden. ........................................................................ 164 Über ‹Chüngold› Lebensdaten von Maria Lauber ................................................................................................. 172 Rezensionen zu ‹Chüngold› ......................................................................................................... 174 Briefstellen zu ‹Chüngold› ............................................................................................................. 179 Zwei Beiträge aus padägogischer Sichtweise zum Werk Maria Laubers von Urs Küffer, Kira Ammann und Gaudenz Welti ........... 181 Bildverzeichnis ............................................................................................................................................ Worterklärungen und editorische Notizen von Erich Blatter................................ Dank ..................................................................................................................................................................... Zur beigelegten CD ..................................................................................................................................

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Vorwort der Kulturgutstiftung Frutigland (Hg.) «Höei ot der Brauwi stiit mys Huus»

Maria Laubers Geburtshaus steht geduckt am steilen Bergrücken, dem Sonnenaufgang zugewendet; den Wohnteil des Hauses schützen Stall und Heudiele vor der zugigen Bise, das schirmende Schindeldach beschweren Steine aus dem nahen Graben. Das schlichte, traditionell gebaute Bauernhaus lässt von aussen nicht erahnen, welch reiche, lebensvolle Innensicht uns Maria Lauber auf ihre Kindheit an diesem Ort mit dem Buch ‹Chüngold› gewährt. Ihre prägenden Erinnerungen und Erfahrungen von der Geburt bis zur Jugendlichen, die sich auf den Weg ins städtische Seminar macht, verarbeitete sie fast vierzig Jahre später in der Gestalt des aufgeweckten, sensiblen Mädchens Chüngold. Im Buch ist es nun Chüngi, welches dort oben im Haus an Prasten «erwachet, gfätterlet, wärhet, Uugewasser het, im Paradys ischt u Fragi stellt». In zehn Kapiteln bündelt die Dichterin ihren Rückblick, wählt dazu die besondere Erzählperspektive des Kindes, aus diesem Blickwinkel von unten wird Kleines gross, Unscheinbares ein Abenteuer. In dieser sensiblen Darstellung zeigt Maria Lauber ihre tiefe Verwurzelung in diesem Ort ihrer Kindheit. In einem Gedicht schreibt sie: «Chumm hiim, du ghöersch zun öes.» Diesem Ruf konnte sie sich lebenslang nicht entziehen, dem Heimweh, «Lengizyt» nach der Geborgenheit in der Einheit von Familie, Spiel und Arbeit und dem Eingebundensein in die schöne, oft auch raue Natur. Ihr gegenteiliges, starkes Gefühl, das Fernweh, das Sehnen nach dem «Blauwen ot dem Grat», kündet sich im Buch in der wachen, kindlichen Neugier von Chüngold an. Beide, Heimweh und Fernweh, wurden die starken Gestaltungskräfte, die Maria Lauber zum literarischen Schreiben in der klangvollen Mundart brachten. Eine Hörprobe dazu findet sich auf der zum Buch gehörenden CD; Luise Schranz und Andreas Wäfler lesen mit «Farb und Chuscht» die zwei ersten Kapitel aus ‹Chüngold›. Das Hören der Texte erleichtert auch den Einstieg zum eigenen Lesen. Im vorliegenden Buch erscheint erstmals ein Ausschnitt des Manuskripts ihrer Kindheitserinnerungen, die sie 1938 in der Hochsprache unter dem Titel ‹Rosina Imlaub› verfasste. Im Kommentar von Erich Blatter erschliessen sich nicht nur neue Einblicke in die Arbeitsweise und Person Maria Laubers, er zeigt aber vor allem den poetischen Gewinn durch die überarbeitete Mundartfassung. Heute stellt sich der Leserschaft die Frage: Was kann uns die Erzählung ‹Chüngold› noch bedeuten? Ist sie mehr als ein historisches, vielleicht nostalgisches Zeitdokument über das Aufwachsen eines Kindes in einer Bergbauernfamlie am Ende des 19. Jahrhunderts? 7

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Anregungen zu einer Antwort geben Christian Schmids gehaltvolle Würdigung der Mundartschriftstellerin und die zwei feinen, fachkundigen Beiträge von Urs Küffer, Kira Ammann und Gaudenz Welti, die belegen, wie ergiebig ‹Chüngold› für die Erziehungswissenschaft ist. Und Maria Lauber ihrerseits schreibt im Gedicht ‹Ghi Wäg› rückblickend auf ihr Aufwachsen im Haus «höei ot der Brauwi»: «I ds Jugetland findscht nie emzrugg. – Glych: ds Schyne, wa van da usgiit, das züntet bis zur Ewigkiit.» Urs Gilgien, Vizepräsident der Kulturgutstiftung Frutigland

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‹Chüngold› – ein einzigartiges literarisches Dokument von Christian Schmid

Anmerkungen S. 192

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Für mich ist das Lesen von Maria Laubers Buch ‹Chüngold› eine zweifache Herausforderung und ein zweifacher sinnlicher Genuss. Auf der einen Seite fordert mich ihre Sprache, ihr geschriebenes Frutigdütsch, heraus. Ich muss mich einlesen, bis sich diese Sprache in meinem Kopf entfaltet und ich nicht nur verstehe, sondern auch höre, was sie schreibt. Wenn es «läuft», was nach einigen Seiten der Fall ist, bewege ich mich in einem mundartlichen Universum, das schöner, vielfältiger und kristallklarer nicht sein könnte. Maria Lauber erzählt sehr sprachbewusst und sehr sprachmächtig. Sie achtet sowohl auf den Klang und den Erzählfluss als auch auf das genaue Benennen und das emotio­ nale Verorten des Erzählten. Auf der anderen Seite führt mich Maria Lauber in eine Welt, die es heute so nicht mehr gibt. Es ist jene Welt «näbenusse», die ich als kleines Kind noch in einem winzigen Grenzweiler in der Ajoie erlebt habe. In ihr ist das Schweigen allgegenwärtig. Zu jeder Stimme gehört ein Gesicht, Sprache strömt noch nicht aus Apparaten und füllt lautsprecherverstärkt Räume, sie fällt ins Schweigen und nicht in den Lärm. Es ist eine Welt, in der man die Kargheit als Fülle erlebt, weil alles fehlt, was wir heute unverzichtbar nennen: Computer, Laptop- und Handheld-Geräte, Fernsehen, Radio, Motorfahrzeuge, die meisten Küchen- und Haushaltmaschinen, Spielzeug. Die Kinder spielen mit Gefundenem: Scherben, Schneckenhäusern, Holzstücken, Gras, Blumen, Moos. Vater, Mutter, die Geschwister, die Nachbarn, die Tiere gehören dieser Welt so selbstverständlich an wie die Bäume und das Gras. Sie sind einfach da wie die Dinge auch. Deshalb kann ein schön geschwungener Türbeschlag für die kleine Chüngold zur Süsäni werden; sie spricht mit ihr und kniet sich sogar vor sie hin. Der Kitt zwischen den Menschen, auch zwischen den Menschen und den Tieren, ist die Liebe, die in einer Bewegung, in einem Blick, in einer Liebkosung zum Ausdruck kommt, selten auch mit Worten. Manchmal will der Kitt reissen, wenn Zorn aufkommt, wenn die Geschwister widerborstig sind, wenn sich Chüngold unverstanden fühlt oder einfach traurig ist. Im Kreis der Familie wächst Chüngold vom Spielen ins Zudienen mit kleinen Hilfeleistungen und Handreichungen und dann ins Arbeiten. Über diesen Kreis hinaus hebt sie die Schule. Maria Lauber führt mich in diese Welt mit den Augen eines Mädchens, wenn sie Chüngold ist, und mit den Augen, den Sinnen und den Emotionen einer Frau, wenn sie über Chüngold spricht. Ja, spricht, denn sie erzählt mir die Geschichte, als sässe ich neben ihr; sie ist eine mündliche Geschichtenerzählerin und nicht eine Romanschreiberin. Manchmal spricht sie mich direkt an: «Wäder gang! Der 9

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Maria Lauber ‹Chüngold›

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Erwache

Anmerkungen S. 192

Es ischt usgeänds1 Uugschte gsy. An den obrischte spitze Hürenen2 uf der Sunnsyte het sig d Suna etgreätet3. Völig wie ds chlarluter Gold rünnt’s lengerschig wyter aha uber d Bärghüüter4 un iren Agsli5, wan ging briiter u briiter wärde, jitz uber en ganzen Grat ewägg un aha uber d Höuwmeder, jitz uber di stotzigem Bärgleni6 un aha i Wald un uber d Wiideni embraab, jitz ischt d Suna schon in der Schafwiid, u gugg mer du! I ds Grosatte Gmächli7 feät jitz es Schybi aa zwitzeren8 u schyne. Das würft der Glanz uber ds ganz Tal ewägg, u wär dür en Grund yn ol uus giit, mues gwüni9 uehigugge, höei embruuf zun däm lutere Schynen uber der Schafwiid un uber alem Schatte, wa nug uber der Tüüffi lyt. Ds Schybi züntet eso wyt i ds Land. Isch’ net wi d Lüteri us neren ganz andere Wäld? Aber d Suna rückt ging wyter u wyter aha, jitz uber d Stägigassa10 im stotzige Wald, u jitz isch’i wääger schon in de Hiimetlene11. Hie ud da es Sägesemblatt schynt uuf in ere Made, der Tou tropfet draab, hie ud da uber mene Schindeltach es blautaas12 Rüüheli zergiit in der Luft. Jitz priicht’s der Tolde13 vam obrischte Chirschbuum i ds Glauwis14 Hostettli. Da fa zwüü Müüseni15 aa zwischperen u tue, wes dass16 si eärscht jitze d Suna hetti gweckt, u wes dass’s fürschig17 nug Ustag18 weä. Flüügen dür d Escht düür u riitelen19 uf den usserischte Gschössene20, gugge zwüren21 under nes iedersch Bletti, un es isch ma se z trüuwe22, si finde z tischiniere23 gnueg. Aber d Suna achtet sen des Gfladersch nüt. Giit wyter ahi zum chlynen Öpfelbüümi. Das stiit ganz stills u het der Wermi dar. Fascht es jedes Blatt feät aa schynen i sym Tou, u van däne Halbdotzen Öpfene, wan da hange, prabiert sig es iedersch vürha z drücken u sys grasgrüem Bühi24 an der Sune z spiegle, dass ma söllti miine, wohl, es wellti nug öppis us nen gä. Un aber toocht’s25 iim denn doch schier umhi, si ghücke26 sig artig under d Bletter u tüeje schier schamig27 irer Gringi28 twäge29. Aber d Suna schynt früntlig uber Grings u Grosses, in de tuusig u tuusig Gresene feät’s jitz aa zwitzeren u lüüchte, es fyns Morgelüfti ggangglet30 uber ds Gras, dass’s iim toocht, mi ghöeri di blauwe Gloggemblüemeni drind ganz, ganz hiimlig u hübschelig lütte, aber ging wyter u wyter ahi rückt d Suna, räblet31 uber en grauwe Schragzun32 uber i ds under Hiimetli, u wie im ne paar Gümpene isch’i jitz nidna im Grund33. Wien e Schlyjer en graublauwa Huuch lyt nug druber, aber er zerlat sig, u jitz, jitz feät ds Lantwasser34 aan ufschyne wi ds luter gschmolze Silber: bist uberhi a d Schattsyta schynt d Suna uber ds ganz Tal ewägg. Der höei blau Himel, Wald u Bärg u di stili Öi35 am schynige Wasser, allz ischt wien en ii-inzigi Früüd, allz ischt wi sufer gwäsches, allz wi nagelnüuws am eärschte Tag, wan der Liebgott d Wäld het gschaffen u wa’s dervaan in der 17

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Bibli hiisst: «Und er sah, dass es gut war36.» Es ischt nug der Summer i syr volen umbbrochne Chraft u Schöeni, aber es ischt doch eso, dass der Herbscht di eärschte Fäden inhiwibt in das unbisune37 fyn u fürnäm Wubb38. Mi chönnti net säge, wi’s z merke weä, aber z gspüren isch’. Isch’, wil der Himel hiiterer, der Tag vil luterer ischt wa süscht? Gwüni, chunnt net schon us em Öpfelbüümi e lenga, lenga Fade, giit uuf u nider in der Luft, u der Suneschyn riitelet druff, e Fade, wi ma si süscht nume gseät im Herbscht? Aber in däm lutere Morge stiit ds Glauwis Huus wie mit zuetanen Uugne. Die grüenem Bälke sy zue. U numen dür nen ganz schmala Chlack39 chunnt Lüteri40 i d Stuba. Chunnt wien e Strahl var goldige Sune. U liit sig jitz schreäg uber nes Wagi41. Uber em brune Sytelade mit dem ganz chlynen Gitterli druff u mit de holzige Chnöpfe, wa ma d Fiselschnuer42 chan druberzie, uber nes blaughöltschets43 Tackbetti, uber nes gfaldets rots Stirneli under füechtem Haar, giit jitz uber ds gross Bett, wan dernäbe stiit, uber zwoo Hend, wan oni e Wiiggi44 z tue uf der Techi lige, uber nes schmals, bliichs Gsicht, uber schynigs, schwarzes Haar. Das ischt ds Eni45, ds Glauwis Wyb, wan da lyt. Chimbettera46. Jitz schleät’s d Uugen uuf. Wi süess het’s gschlafe! Glych47, wi müeds, müeds isch’ nug! Aber eso unbisune wohl isch’ ma. Es dreäit ds Huut48 uf d Syta, gäge ds Wagi. Da lyt sys Miiti. Es Mentschi meä uf der Wäld. Un äs het ma ds Läbe ggä. Es ischt sys. Un ali Angscht, all entsetzlig Schmärze – wyt, wyt ewägg. Ds Eni gugget zur Tür u lost gäge d Chuchi. Äs ischt z schwachs. Aber we numen öpper cheämi u geäbi ma sys Miiti i ds Ärmli49. Dass’s chönnti sys luub50 Schnüüfi51 ghöeren a syr Bruscht and, dass’s es chönnti gugge! – Nume nug es paar Tag. De würd’s es tragen uf synen Ärmlenen dür ds Mattewägli uus. Ds frisch grüe Gras würd gugge, we’s chunnt mit sym Bäli52! Der Uugetroscht53 am Wägport würd schom blüeje, u di wyssem Blüeschteni räblen am holzige Stengel höejer ueha, striipfe’s a sym Chuttlissuum54, u di früntligen gälben Uügeni wii parforsch55 gugge, wär’sch da triit. Di blauwe Gloggemblüemeni chlingelen u lütten dür di ganzi Matta uus: ds Glauwis Eneli het umhi es Chlys! De setzt se sig es bröesi nider im Schatte van den Eäsche56, wan da stah wyter ussna am Zun, u lüuwet57. U zringetsum im jungen Gras stah d Herbschtzytlosi wie d Opferflämeni, wa d Bibli dervaa zelt58, u bätte still u danke für inis dem lieben Gott, das allz vüür59 ischt u das allz guet ischt. U dür ds eäschig Luub düür flismet60 u fingerlet61 d Suna u wellti iisderdar62, iisderdar das luub Miiti gugge. Aber am liebschte syn dem Eni die fromem Blüemeni, wan da bätte. Herbschtblüemeni. Es herbschtet og bin ima. Sys sibet Büdi63 isch', wa’s da würd trage zun den Eäsche. Würd’s sys leschta sy? Würd’s am Läbem blyben u net stärben in de Windle, win eso mengs stirbt? 18

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Es ischt e schüüchter64 mildta Herbscht gsyn denn das Jahr. Es het de Lüten uf der Sunnsyte wääger fascht nüt z tüe ggä, d Häbeni65 z graben u z ströuwenen66 in de Waldblüttene67, wa’s ma hii gsiit ‚in dem Bäche’68. Due sy si gwüni nug ggange, im Wymaanet69, u sy nug iinischt hinder ds Obendüürhöuwe70. Es ischt sövel schöes Gras nug gsyn obenuus, u wär Loopeni71 het, cha’s ging bruhe, wan der Winter chunnt lenga. U ds Eni het va syr chlyne Tächter72 furt müessen un og zusosig73 u ga räche. Un es het doch das Miiti nug gsüügt74. Es het’s müessen dem Ani75, dem eltischte Tächterli, uberla. «Gugg, i han der Milch ggrächet76 uf em Chuchischaft, tue ma sa guet erwelen77 un imel es tolls Chnübi Zucker dry. U we’s umhi räärigs78 ischt u sig würmet79 u chrümpt u Buchweä het, su gang i Garten u lis es paar Blüemeni Kamila ab u mach ma Teä. Tue’s guet putzen u bruch Ammermähl80, dass’s imel net seärsch81 würd. Tröchne d Windli an der Sunen u mach nuch gäbig Zaabe82, u we’s der’sch git, su wisch mer d Strümpf uus, wa z linte83 syn im Züber.» Dermit ischt ds Huswäsen84 der dryzähejehrige Tächter übergäs gsy. Di chlyni Miita u ds Zwüüjehriga, ds Chrischteli, u ds Elseli. Ds Eneli ischt net gääre ggange. D Milch het’s den albe plaget, un es ischt iifach nu net rächt bi Chrefte gsy. Aber ds Glauwi, der Maa, het ii Tag85 gfragt: «Möchtischt net oppa og zusuehi? Es mangti mer bitterübel86 öpper z hälfe. Es weä ja nume für nes paar Tag.» Wa ds Eneli dür e Stägiwald87 uehigiit, mit dem Rächen un im ne Huttetli88 öppis z ässe, gäge d Meder, blybt’s ot89 der Holzflue90 es Umenti91 stah. Da gseät’s ahi uf ire Hustach. Es wiis: drunder lyt sys Miiti under em blaughöltschete Tackbettli, di runde Wängeni warmi vam Schlaf. Würd’s ächt nüggele92 jitz grad a sym nüuwe Süügi93? U würd ma imel ds Ani der Tag uber ufpassen uf ds Chrischteli, dass’s ma net oppa e hiissa Hafe chan at dem Tisch aha schrysse? Omna, in der Bhöuwig94, rächet ds Eni der ganz Tag, iisderschfort95 un iisderdar. Schier bi jedem Rächezuug sinet’s a sys Chlyna nidna im Grund. Esmal, in der schröckelige Hitz, wott ses d Schwechi schier ubernäh. «Chöntischt nus vlicht gan es Schlücki Ggaffi mache,» siit ds Glauwi, wa’s es gseät. Wi gääre lat sig das Wyb nider näb em Drübiinerpfäni u blast i d Gluet. Wi näbe ma ds blau Rüüheli ufgiit gäge Himel – wie ischt er hie omna eso höeja! –, da het’s es Umenti Zyt, ahi z guggen uber en grosse Wald ewägg. Aber ahi a d Sunnsyta96, wan ire Huus stiit am Rii97, gseäts net. O, hinet, hinet98 de, da cha se sig i ds Bett legen u lüuwe. De nimmt’s sys Miiti zue ma, es ischt sövel ging buchweäjigs99, u we’s schon uuf mues, vlicht mengsmal in der Nacht, su cha’s doch näbe ma lige, näbe sym ruerige100 Miiti. – Es cha fascht net ufstah nam Ggaffi, der Rügg tuet ma schüüchter weä, wi gäärem bliibi’s imel nug grad es Umenti, aber nii, es wott se nüt achte101, es wott wärhe102, wärhe für sys Miiti. Nume nug 19

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es paar Stund, de wärde d Schatten änet vam Brunnerschwald103 ging lenger u lenger, graaggen us em Graben ueha, uber d Egga ueha, ud de, nüt uber lang, cha’s zusahi104. Vlicht nachtet’s, we’s dür e Stägiwald chunnt, aber nidna, im Grund, wartet sys Miiti u wartet ds chly Chrischteli105. Würd’s uuf möge zmorndrischt106, z rächter Zyt, dass’s omna ischt vur Sune107, für ga z räche? Ds Eni ischt zmorndrischt umhi zusosig. Es het der ganz Winter düür syner Purschleni z Schuel gschickt, het gröeseri u chlynderi Süuwleni ghirtet, het dem Glauwi di gstabete108 Hosi griiset109, ud dernäbe, was’s ma het mögen ggä, gwoben im chalten Gadem110 bist am Aabe, dass’s nüt meä het gseä. Es ischt im Ustage früei umhi usi u vürhi111 i d Ustigwärch, es het a sym Mul der Spys112 abgspart u ds Brot u fürschig nug d Häbeni, dass imel d Chind z ässe hiige. Wäder gang! Der Mentsch ischt eghis113 Ross, u der bescht Wile cha net ging d Chraft ersetze. Es ischt dem Eneli gnueg u z viil worde. E schröckeligi Schwechi het ses tröuwt114 ganz z ubernäh, wa’s umhi gäge Summer het grückt, u wääger, zlescht het’s ma sig angfange vercheären un äs ischt schier verusi cho115. Ds Glauwi ischt erchlüpft u het ma prabiert zuez’haa116, was’s het chöne: undermalen117 es grüüsi118 grües119 Fliisch us em Dorf, undermalen es Schnäfi120 trochena Bärgcheäs, esmal e Putäla121 Wy. Es het weänig u nüt vüürtrage122. Ja äbe, es ischt drum öppis im Gschlächt gsy, scho ds Enelis Vetter123 ischt lang, lang schüüchter schwermüetiga gsyn ud due däwäg gstorbe. Zlescht het sig das arm Wyb sys Chinds, sys Miitis, gross Schutza124 numen gar nüt meä angnu. Es het ma eghim Blick ggän un ischt imstand gsy, ses mitts im Suge z nähn u va syr Bruscht denaz’ghyje, es het’s net g’achtet, we’s us em Wagi ueha d Ärmeni na ma het gstreckt u mit emene Lächeli het bbättlet, das ma’s nähmi. Den umhi, angens125 druuf, het’s es chöne härzen u trücke, wes dass’s es söllti müesse furtgä, u ds Uugewasser ischt ma – es het nüt ghaben derzue z säge – uber beäd Wangen aha grune. Ds iint Mal isch’ gsy wien imene feäschtere Chlack ina, wa’s allzem brandschwarzes het gseä: sys Miiti es liids126, syner andere Chind un­gschichti, sys Manndli es wüeschts, ud denn umhi, we’s em Blick het tan in di luteren Üügeni vam Chlyne, ischt es Glück un en unbisuneni127 Früüd uber sches cho, ja, es hetti chöne sägen e Seäligkiit, dass’s het müessen ga ds Pfeäschter uftuen u d Ärmleni het usgspriitet gägen der Sunen u hetti möge jutzen u singen uber ds ganz Tal ewägg. Vüür u vüür, zwääg dürhi128 im Summer, het’s ma angfangen es bröesi129 nahla, aber sicher isch’ nie gsy, das net underiinischt umhi e Rüuwi130 uber is chömi. Däwäg ischt di Zyt cho, im Herbscht, wa’s ds Miiti het sölen ga lan impfe. Es het ma, äs sälber, prabiert es Röcki z mache: ds Impfröcki. Es bröesi Tuech 20

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het’s chönen ermärten im Lade, wa’s alben es Wubb131 het abggä, es Räschti bruni Indiena132 mit wyssem Blüemenen drind. Gwüni, es isch ma ggrate: z ringetsum fyni Fäldeni het’s gmacht, wa’s ds Chütti a ds Gstälti het gneäit, u luschtigi Puffelermeni133, wi’s es het gseän a ds Lisis134 Miiti im Lade. Den grad völig e chöschtligi135 Tächter ischt das gsy, wa’s het ahitragen gäg ds Dorf, für scha ga la z impfe. Es het sa gvisidiert136 underwägen im Gässli: das blüemelet Röcki, es sufersch wysses Süüfermänteli137, ds falb138 grolet Hääri druber, di hiitergrauen Üügeni sy fascht gsy wim blauwi – dass das Miiti wohl es briits, grobs Näsi het u schier mutschochts139 ischt, wi d Gschwyja140 het wele säge, das het di glückligi Mueter in däm Ument net gseä, si ischt hüdi141 u zwääg gsyn u völig gümperlet dür ds Gässli embraab. Wa’s vam Impfe chunnt dür d Summermatta ueha, ischt ds Eni aber grad e Schwechi aacho. Es het’s toocht, es mangti z lüuwen u setzt sig uf ds Mürli nider am Schürli, wan da am Wäg ischt gstande. Derzue het’s grägnet, un es het saaft142 es grüüsi törfe schärme. Jitz chunnt – myn Gott, wi isch’ erchlüpft! – e lengi, lengi grautaani143 Schlanga dahar uber ds Tachtruuf144 ewägg u graagget145 um en Eggen um under ds Schürli. «Opfere!» Numen es inzigs Wort isch’, wan däm erchlüpfte Wyb dür sys arm Huut düürgiit – un umhi: «Opfere!» Wärum grad das Wort, hetti’s syder nie chöne säge. Aber e furchtbari, schreckligi Macht chunnt jitz uber is, es ischt, wes dass der Tüüfel hinder ma stuendi u wien e Stimm, wa’s ghöert: «Du muescht das Chind opfere. La gseä! Würf’s der Schlangen dar!» Wes dass’s ma e Schriis146 geäbi mitts dür ds Härz, springt das arm Wyb uuf, es gspürt’s tüttlig, zwo Gwalti strytte sig um sy Seäl – weli würd’s möge? – Aber es springt uuf, tuet e Gump mit dem Chlynen under em Tachtruuf ewägg, springt zusy uber d Summermatta, trückt sys Chind a ds Härz, es wott ses schier zertrücke, ds Miiti feät aa rääre, aber jitz ischt ds Eneli erlöests, es atmet tüüf147 uuf, u ds Uugewasser, zäme mit dem Rägewasser, wan aha luuft us em Haar, rünnt ma wien em Bach uber ds Gsicht. Gfelig!148 Dessen alem isch’e das Miiti net innd worde149. Wa’s ischt gröeser gsyn u sig het chöne zruggbsinen an die eärschti Zyt i sym Läbe, da sys ganz anderi Bilder gsy, wa sig hiin darta150 vur ma. Bim iinte het’s es ging glächeret, we’s ma ischt vorcho151. Es gseät sig sitzen uf em – ja, uf em Nachthäfi. Wiso dass’s das omna uf em Bödeli vur em Gaden ischt, het’s nie gwüsse. Aber d Gadestür ischt offeni, u ds Mueti wibt. Äs, ds Miiti, süfenet152 u schnüzt153 es bitzi. Vermuetlig het se sig gwert, uf das chintlig154 Stüeli z sitze. Aber wi’s jitz aha gugget zwüsse syner Chnöuweni uf e wysse rundem Buuch vam Häfi, gseät’s druff der Widerschyn van dänem bliichrote Strümpfene, wa’s and het. Kurios ischt das u ds eärscht Mal, wa’s öppis söligs gseät. Aber schöe ischt das scho, un es vergisst, dass’s ischt am Rääre gsy. 21

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Wien diz, eso ischt og ds ander Bildi: wien usagschnittes us nere lengere Gschicht, aber ds Endi u der Afang wiiss’s net meä. Omna bir Schüür, wan da stiit, wan der Riin ufhört. Ds Grosatti – under em churzen Ermel va sym Mutz155 chunnt ds wyss Hemli vürha – ds luub Grosatti triit’s uf em Ärmli. U giit mit ma var Schüür ewägg. Aber äs, ds Miiti, gugget ma uber d Agsla u streckt d Ärmeni emzrugg u wert sig: sys Strümpfi, sys rot Strümpfi lyt vur der Schüür im Gras u ds Grosatti gseät’s nüt. Es wellti ma’s säge, aber es wiis net wie. Es streckt syner Ärmeni u böglet156 sig uuf, aber ds Grosatti achtet se nüt u triit’s dervaa. Un umhi: Grosatt. Var Luuben157 uus gugget’s ma nahi. Er giit gäg e Wald. Er triit ds Biel uber der Agsle, u d Schnyda158 mit dem spitzen Egge grabt sig grad yn i syn graue Mutz. Dass ma das nüt tuet! Dass das ne nüt hüuwt!159 Aber äbe, wil’s der Grosatt ischt. U jitz, wa’s schon gröeser ischt. Richtig, es tuet nug schüüchter gnueg, syner Biindeni uber d Madi z büre160, wan da gmeäitu161 ligen uf der Matte. All Höuwstruffla162 hiin es Wäse163, wen äs chunnt, gumpe höei vur ma uuf u pfützen164 dervaa. Aber si bruchte’s nüt z fürchte. Es achtet sig irere chum. Es ischt drum, wil wyter omna ds Mueti es Umenti lüuwet un in de Made sitzt. Entlig het’s es mögen erriihe. U jitz sitzt’s halbersch, halbersch lyt’s dem Mueti i sym linde Schoos. Ds Mueti gugget uber d Matta ewägg u singt ganz hübschelig. Aber äs, ds Miiti, tuet d Üügeni zue, es schmeckt der süesslig Gschmack va Schwiis, wan us ds Muetis Jäggi vürhachunnt, es het d Uuge zue, u seälig nuwlet se sig tüüffer i ds Muetis Ärmli un i sy Schoos. Ja, es het drum dem Mueti umhi bbesseret. Es het schier nie meä däre Rüuwene, u we si ma chöme, su sy si liechter u net z verglyhe mit däne var eärschte Zyt. Es het drum jitz og es Schützi chöne lüuwen un eghis Chlys uberchon u bis zum eärschten165 isch’ nu wyt. Aber eärscht, wan das due im Wagi lyt, siit niemer meä, un o net ds Mueti, der chlyne Tächter ‚ds Miiti’, si bsine sig underiinischt, wi’s den iigetlig hiisst, u rüeffe ma: Chüngi166. «Was bischt mer jitz ga mache! E söliga altvätterischa Name!», verwysset167 ds Eni dem Glauwi, wa’s ma chunnt ga sägen us em Dorf ueha, es hiigi di chlyni Tächter la ‚Küngold’ schrybe. Un es ischt tuubs. «Wir hii’s doch zämen abgmacht, Lineli söli’s hiisse, u d Mueter sälber het schom bim Eärschte gsiit: «Mit de Näme, da muescht inis168 la mache. U süscht hescht zum Bruuch ghabe, uf d Mueter z lose. Das han ig jitz grad völig ungääre.» Aber ds Glauwi siit i früntligem Äärischt169 u tuet, wes dass’s scho lang druuf hetti ds Rächt ol fürschig d Pflicht ghabe: «D Stammmueter van öesem Gschlächt het eso ghiisse, dia, wan der va ra ha zelt, mit däne viile Chinde, un ischt sövel z Eäre cho. Het 22

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si’s net verdienet, das nach vlicht mengem hundert Jahren umhi iis ira Name het? Si chömen esmal umhi uuf, di alte Näme, vlicht eänder, wan das ma gluubt.» Un es feät aa, sig völig eryfere: «Küngold – ischt das net ganz e schöena Name? Sinet ma net a d Tächter vam ene Chünig, wa se wärt ischt, ne z trage? U was ischt luterer u chöschtliger wan Gold?» Ds Eni het ma glost u sig halbersch tröeschtet. Aber nume halb. «Wan ig afe sälber e Name ha, wa si nume früejer hi ghabe, myr Grosmueter twäge», brummlet’s u fert luter u dezidiert wyter: «Uf e Name chunnt og öppis aa.» «Das han ig mit der170», macht ds Glauwi u schwügt dernah. Dem Wort sinet ds Eni nahi u cha sig zlescht ganz guet dryschicken u speäter, wa’s esmal das Chüngi gseät uber ds Mattewägli uus gumpe, d Margriteni im Gras tüen di schöenen Üügeni uuf u gugge ma nahi, u d Suna macht i sym falbe Hääri goldig Fäden ufz’schyne – – «mys Chünigli», frohlocket da ds Eni, «mys goldig Chünigschind!» Un es ischt jungs gnueg, für sig in de schönschte Farben usz’male, was allz us dem Chindi chönnti wärde, un es gseät e schöeni Frou i chöschtligem Gwand un es paar härzigi Strübeni171 um sa um. U nug anderi Bilder sy’s, wan dem Chüngi speäter dür e Sii sy ggange. Es gseät sig vur der Türfale stah. Isch’ ds Chrischteli gsy, wa vorhi grad d Tür het zuegschlagen un usi ischt i d Chuchi, isch’ ds Mueti, wa vlicht i Chuchischaft öppis ischt ga suehe, es wiiss’s net meä, aber es gseät sig elinzigen u verlaasses stahn in der leäre Stube. Es stellt sig uf syner Tschüggeni172, es streckt sys Lybi173 un ali föef Fingeni, di Türfala toocht ses sövel by174 in ira abgriffenen Gletti, es mag fascht u fascht gar uehi, es niflet175 drand mit de Fingerbörene, aber alimal bschlipft’s ab at dem glatten Yse, es ischt nüt un ischt aber nüt, es ischt nug z chlys. Un in der Chuchi ussna syn di andere, un äs hie in der leäre Stube. Es nimmt der Egge va sym Schürzi u bysst dryn i voller Tüübi176 u schrysst drand u heächt ds Mul u feät a rääre. Un umhi: in der Wagle lyt’s u söllti schlafe. Aber es chan gar net. Ds Elseli söll’s nunnele177. «Der gross Totsch178 wegle! 179», brummlet das, «öes het ma albe d Weli ggä180 ...» Aber es folget. Ds Chüngi dreäit ds Hüüti uf disi un uf di anderi Syta. Es cha net schlafe. Da hanget an der Wand ds Zyt. Di gälbi Pandüla giit hin u har un iisderdar hin u har. Goldigi Liechteni schynen drind – der Widerschyn van de Pfeäschtere – u wärde jitz gröeser u jitz umhi chlyni, ging u ging un iisderdar. Es wott dem Chüngi d Uuge zuezie. Da hört’s uuf wegle. «Net höre!181», sinet’s u feät aa sure. Un umhi giit d Wagla u giit d Pandüla uuf un aab. – Jitz het’s di vergwenti Tächter doch gnu. Oder denn: Es lyt in der Mueter grossem Bett. Warum, wiss’s jitz net meä. Vlicht het’s törfe zum Mueti inhischlüüffe, wa ds Atti furt ischt, vlicht het ma ds Wagi welen aafa z chlys wärde. Glych: öppis het’s gweckt. Es nuwlet182 sig 23

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us der schüüchtere183 Techi vürha, es ghöert ds Mueti chachtlen184 u hushalteren in der Chuchi. Es rybt ds Haar u der Flitz185 us den Uugne. Da tuet d Mueter d Stubestür wyt uuf: «Tächteni! – d Amsla singt im Schwendliwald.» Ds Elseli u ds Ani hii sig uuf in de Chüssenen u la sig umhi nider. Aber äs springt uuf u pfützt zur Mueter usi, i sym gstryffete Parchethemi. Es het nu nie en Amsla ghöert. U d Mueter nimmt’s uf ds Ärmli u windet’s in ira grosse Schurz y, giit mit ma usi uf d Luuba u bürt’s uehi uf e Sinze186. Es tuet eghis Müxi187. U beädi zäme lose si. Esmal gugget’s d Mueter aan u fragt ganz hübschelig: «Ghöerscht jitz?» Aber es het net Zyt, Bschiid z gä. Um z vermerke188 tüttet’s mit dem Huut, es ziet chum der Atem u lost u lost. Es würd ma, es wiis net wie. Nie het’s es vergässe. U syder ging: Ali Schöeni vam Ustigmorge lyt in däm eärschten Amsellied. Aber si lyt og im andere, wa’s gseät angends druufhii189. Dür ds Mattewägli uus wott’s gümpene. Da gseät’s u würd sen innd: Wi höeji das di Tana stiit am Zun. Di Tana, wa ds Atti het gschniitet190 em Blätz uehi, dass si jitz ischt win en grossa, dicka Bluemen uf emne riine Stiil. E lenga Schatte würft si bist fascht ueha gäg e Wäg. Da lyt nug der Schneä, salziga, un ischt am Zergah. Aber dernäbe stah scho d Huetriifeni191, wyss u blau, u warte, bis dass er ganz vergangna ischt. U ds Chüngi blybt stahn u gugget, was’s nu nie het gseä. Jitz ghöert’s, wi’s in den Eschte var Tanen aafeät suusen u singe, u wie se sig ganz hübschelig aafeät wiiggen192 im Luft. Es stiit u lost. Aber was tuet ma wöhler wan diz – nie i sym Läbe cha ds Chüngi drasine, oni dass’s es völig bhärziget193: ds Atti het’s i syner Ärmleni gnu. Wi mengischt dervor het’s hinder ma d Ärmeni gstreckt u hetti gääre ghabe, we’s es hetti gnun un es bitzi tragen u gguumt194. Aber Tättä195 het nie Zyt ghabe. Het müessen ga tengelen ol ga ds jung Chälbschi treähe. Ud doch het’s esmal der Gotte Miiti gnu, wan das het grääret, u het ma d Waldsaaga ziigt, wan an der Wand ischt ghanget, het mit de Fingeren dragchlopfet, dass dia het angfange töenen u singe, u ds Miiti het gschwüge. Ischt ds Chüngi scho z grosses, für das ma’s nimmt? Het’s ds Atti net gääre, inis? Aber doch! Het’s ma net esmal syner Tschüggeni abzoge, wa se si flätschnassi het ghaben, u het ma syner Füesseni gwärmt i syr grosse, warme Hand? U het’s net esmal, wa si vam Militär hii gredt, u wa’s dem Chrischteli syner Füess het gvisidiert, druufhii syner, ds Chüngis, gschouwet u gfragt: «U das, syn das Plattfüess? – Potz nii – das – nug öppis Höejersch geäbi das!» U ds Chüngi het’s für Äärischt gnu. Aber wa ds Atti druufahi d Scheäri nimmt: «Wir wii d Nägeni abhouwe!», u’s Gattig macht, er weli grad mit de Zeäjen ab, da het’s ma es Umenti nüt trüuwet. Hingägen due dasmal: ds Chüngi träppelet uber di Bsetzi196 har u sinet a nüt. Underiinischt197 chunnt ds Atti un erwüscht’s u nimmt’s uf ds Ärmli – da, wa 24

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d Bsetzi ufgmureti ischt u d Tachzuba198 alben i d Tüüffi ghyt, da stellt se sig hin u weglet ds Chüngi hin u har u tuet derglyhe, es weli’s uber ds Mürli uus wärfe. Es nimmt en Aaluuf: jitz – u jitz – u jitz! Es chlys, chlys bröesi Fürchte: es würd doch imel net! – Aber derby en usägligi Seäligkiit: das gross, starch Atti – würf nume, würf! – O, hetti’s nume nie ufghört, ds Atti, hetti’s es nume net umhi am Bode gstellt!

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Anmerkung zu ‹Chüngold› – ein einzigartiges literarisches Dokument 1

Zum Autor: Geb. 1947 in Rocourt. Studium der Germanistik und Anglistik in Basel und New York, Lizentiat und Promotion in Basel. Assistent am Deutschen Seminar der Universität Basel (1980–1988), wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sprachatlas der deutschen Schweiz (1983–1996) und Lehrbeauftragter an der Universität Zürich (1997–2003). Von 1988 bis zur Pensionierung 2012 Redaktor beim Schweizer Radio SRF. Mitbegründer der Mundartsendung ‹Schnabelweid›. Lebt heute als Autor und Publizist in Schaffhausen. Verheiratet, Vater von zwei Kindern.

Anmerkungen zu Erwache 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

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usgeänds – (gegen) Ende [markiert den Ablauf einer Zeitfrist] Hürenen n./Pl. – Hörnchen (Sg. Hüri n. ‹kleines Horn›)

etgreätet – die ersten Sonnenstrahlen zeigten sich am Grat; die Bergspitzen röteten sich; die Sonne schlug morgens mit ihren ersten Strahlen die obersten Berghöhen an

Bärghüüter n./Pl. – Bergspitzen (Personifizierung; das Grundwort im Sg. Huut n. ‹Kopf›) Agsli f./Pl. – Achseln (Personifizierung; Sg. Agsla f.) Bärgleni n./Pl. – Alpteile, Bergweiden, Kuhalpen

Gmächli n. – Weidhütte, Berghütte mit Wohnung (Verkleinerungsform zu Gmaach n.) zwitzeren – glitzern, funkeln gwüni – gewiss

Stägigassa f. – Steiler, im oberen Teil z.T. mit Steintritten versehener Weg im Gebiet Stägi und Holzflue. – Zur genauen Lokalisierung der in ‹Chüngold› erwähnten Toponyme konsultiere man die Filzstiftzeichnung von Paul Schär im Vorsatz dieses Buches oder die Seiten 16–19 in ‹Frutiger Orts- und Flurnamen›. Hrsg. Kulturgutstiftung Frutigland. Frutigen 2015. [Bezugsquelle: http://kulturgutstiftung.ch/Kiosk/kiosk.html] Hiimetlene n./Pl. – kleine Heimwesen, Bauerngüter

blautaas – bläuliches (die Ableitungssilbe -taa in der Bedeutung ‹geartet, beschaffen›) Tolde m. – Baumwipfel

Glauwis, Gläuwis – Niklausens (Vorname von Chüngolds Vater; überlieferte Formen u.a. Claus, Klaus, Clawi, Glauwi, Clawo, Clewi, Kläwi, Cläuwy) Müüseni n./Pl. – Meislein (zumeist Finkenmeise, auch die kleine Kohlmeise, Blaumeise; Sg. Müüsi n.) wes dass – als ob, wie wenn

fürschig – vielleicht, am Ende, wer weiss, nachgerade, etwa gar Ustag m. – Frühling riitelen – schaukeln

Gschössene n./Pl. – Sprossen, Schösslinge, Pflanzenkeime (Verkleinerungsform zu Gschoss n.) zwüren – zweimal

es isch ma se z trüuwe – es ist ihnen zuzutrauen, es wird als möglich angesehen

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tischiniere – frühstücken, zu Morgen essen (frz. déjeuner) Bühi n. – Bäuchlein (Verkleinerungsform zu Buuch m.) toocht’s – es dünkt

ghücke – (sich) ducken, klein machen, niederkauern schamig – schamhaft, verschämt, schüchtern Gringi f. – Schmächtigkeit, Geringheit twäge – wegen

ggangglet – spielt, schwankt hin und her, treibt übermütig räblet – klettert (mühsam)

Schragzun m. – (alpiner) Zaun, mit schräg gestellten Scheien; besondere Art eines Stäckezuns Grund m. – Talboden zwischen Adelboden und Frutigen

Lantwasser n. – Talfluss, Hauptbach oder -fluss eines Tals; hier: die Entschlige/Engstlige Öi f. – Aue, Wiese am Fluss

Und er sah, dass es gut war – Altes Testament, 1 Mose 1,10; 1,12; 1,18; 1,21; 1,25 unbisune – sehr, ungemein

Wubb n. – Gewebe; das im Webstuhl eingespannte Gewebe, Tuch Chlack m. – Spalte, Riss

Lüteri f. – Tageshelle, Helligkeit

Wagi n. – (Kinder-)Wiege (Verkleinerungsform von Wagla f.) Fiselschnuer f. – Schnur

blaughöltschets – blaukariertes, -gewürfeltes (g(e)chöltschet ‹kölschartig gewoben, wie Kölsch [zweifarbiger Baumwollstoff mit Würfelmuster] aussehend›) Wiiggi f. – Bewegung

Eni – Kose- oder Verkleinerungsform des Taufnamens Anna (freundliche Mitteilung von Dr. Andreas Burri, Schweizerisches Idiotikon, Zürich); Vorname von Chüngolds Mutter Chimbettera f. – Wöchnerin

glych – dennoch, gleichwohl, trotzdem Huut n. – Kopf

Ärmli n. – Arm (meist in der Verkleinerungsform gebraucht, die affektiven Gehalt markiert) luub – (breite Bedeutungspalette) lieben, sanften, angenehmen, zufriedenen

Schnüüfi n. – leichten, kurzen Atemzug (Verkleinerungsform von Schnuuf m.) Bäli n. – kleiner Ball, Bällchen (Verkleinerungsform von Bale f.)

Uugetroscht m. – (Pflanzenname) Augentrost, Euphrasia rostkoviana (officinalis) Chuttlisuum m. – Saum des Frauenrocks (des Jupes) parforsch – unbedingt, um jeden Preis

Eäsche Pl. – Eschen (Gemeine Esche oder Hohe Esche; Fraxinus excelsior; Sg. Eäsch/ Eesch m.)

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