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Vorarlberg – die konjunkturelle Entwicklung stimmt positiv
by medianet
WK-Präsident Hans Peter Metzler und IV-Präsident Martin Ohneberg über die Herausforderungen im Ländle und deren notwendige Adressierung.
Nach einigen Jahren, welche geprägt waren von robusten Wachstumsraten in der Bruttowertschöpfung, erlitt die Vorarlberger Konjunktur pandemiebedingt im Jahr 2020 einen empfindlichen Rückschlag. Die reale Bruttowertschöpfung (ohne Land- und Forstwirtschaft) 2020 sank um -6,4 Prozent und liegt damit im Bundesschnitt. Im Bereich Einzelhandel gingen die Umsätze mit -3,8 Prozent etwas weniger zurück als im Österreichschnitt (-4,6 Prozent). Die Entwicklung des Produktionsindex der abgesetzten Produktion zeigte sich 2020 in Vorarlberg mit einem Minus von 3,2 Prozent etwas schlechter als im Vorjahr, aber besser als in der gesamtösterreichischen Entwicklung (-5,5 Prozent). Die Vorarlberger Baubranche verzeichnete mit +3,2 Prozent (Vergleich Österreich: -1,8 Prozent) hingegen einen überdurchschnittlich starken Anstieg. „Kurzarbeit und CoronaWirtschaftshilfen haben einen wesentlich stärkeren Abbau der Beschäftigungszahlen verhindert“, sagt dazu Wirtschaftslandesrat Marco Tittler.
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Die Krise hatte starke Auswirkungen auf alle Wirtschaftsbereiche, der Tourismus war im Jahresdurchschnitt 2020 von allen Branchen am stärksten betroffen. Auch die Vorarlberger Exportwirtschaft musste im ersten Halbjahr 2020 spürbare Umsatzverluste hinnehmen. Nach vorläufigen Ergebnissen wurden in den Monaten Jänner bis Juni 2020 Waren im Wert von 4,87 Mrd. Euro exportiert und 3,7 Mrd. Euro importiert. Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres sanken die Ausfuhren um -8,4 Prozent und die Einfuhren um -8,5 Prozent. Die Handelsbilanz ist mit 1,17 Mrd. Euro positiv. Österreichweit waren die Rückgänge mit -12,6 Prozent bei den Einfuhren und -11,7 Prozent bei den Ausfuhren höher. Die konjunkturelle Entwicklung für heuer zeigt jedoch einen Trend nach oben, wie der aktuelle Vorarlberger Wirtschaftsbericht aufzeigt.
Mehr Einblicke in Vorarlbergs Wirtschaft und Industrie geben Hans Peter Metzler, Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg, und Martin Ohneberg, Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg.
Herr Metzler, Herr Ohneberg – wie geht es ‚Ihren‘ Unternehmen und Betrieben? Hans Peter Metzler: Die Krise hat uns alle getroffen, die Herausforderungen der weltweiten Pandemie sind vielfältig und kennen keine Branchengrenzen. Vom einen auf den anderen Tag standen vom EPU bis hin zum internationalen Top-Player alle vor neuartigen, nie dagewesenen Tatsachen. Kaum etwas war wichtiger wie Planungssicherheit, steuerliche Entlastung, finanzielle Krisenhilfe und Förderprogramme, Investitionen, Innovationen, Digitalisierung,

Martin Ohneberg, Präsident der IV Vorarlberg: „Vorarlberg ist derzeit an letzter Stelle in Österreich, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Innovation geht.“
Versorgung mit Rohstoffen und passable Lösungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Krise bietet die Chance, die Zusammenhänge des Wachstums besser zu verstehen. Die konjunkturelle Entwicklung zeigt jedenfalls einen Trend nach oben, wie der aktuelle Vorarlberger Wirtschaftsbericht aufgezeigt hat. Martin Ohneberg: Nach der anfänglichen, großen Unsicherheit zu Beginn des Jahres 2020 aufgrund der Pandemie und den nicht absehbaren Folgen für die Wirtschaft gibt es jetzt – rund ein Jahr danach – einen erkennbaren Aufschwung: Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, die Stimmung bei den Betrieben ist gut. Die hohen Rohstoffpreise, die Rohstoffknappheit und der Fachkräftemangel trüben allerdings den Ausblick. Das führt auch dazu, dass Betriebe nicht wie gewünscht produzieren können. Insgesamt kann man sagen, dass sich die Vorarlberger Industrie zwar optimistisch zeigt, aber dennoch mit den Auswirkungen der Pandemie bis ins nächste Jahr hinaus noch zu beschäftigen hat.
Schon vor dem Sommer stieg die Durchimpfungsrate bei fallenden Infektionszahlen. Das Ärgste scheint überstanden. Aber ist es tatsächlich überstanden? Ist die Krise vorbei? Worauf wäre nun besonders zu achten? Metzler: Viel Optimismus wird sicherlich vom Impffortschritt getragen. Mit der Modellregion konnten wir außerdem einen weiteren Lockdown verhindern, das war wirtschaftlich wie psychologisch sehr wichtig. Wir waren Vorreiter bei den Testkonzepten und deren digitaler Organisation. Nun dürfen wir aber die hart und geduldig erarbeiteten und mit vielen Verlusten und Rückschlägen verbundenen Wege aus der Krise und einen nun stabileren Status quo nicht durch einen allzu leichtfertigen Umgang mit Covid riskieren. Einen neuerlichen totalen Stillstand und Schockzustand packen wir nicht noch einmal – weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft.
Während wir uns um die aktuellen und punktuellen Herausforderungen der Pandemie kümmern, dürfen wir nicht auf grundlegende Forderungen und Ziele vergessen: Arbeitsmarkt, Investitionen, Forschung, Bildung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Infrastruktur, und und und. Dazu gehört auch, obwohl die Zusammenarbeit mit der Politik sehr gut funktioniert, diese in vielen Bereichen auch weiterhin in die Pflicht zu nehmen und an der Ausarbeitung der richtigen Rahmenbedingungen dranzubleiben, denn nur so funktioniert eine Partnerschaft. Ohneberg: Die Krise hat gezeigt, dass es deutliche Schwächen gibt. Vom großen Nachholbedarf in der Digitalisierung, über eine mangelhafte überregionale Zusammenarbeit bis hin zur schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Daraus müssen wir lernen und uns vorbereiten, schließlich ist die Pandemie noch nicht vorbei. Ziel muss es sein, die Impfbereitschaft drastisch zu erhöhen, damit wir

Vorarlberg kann der Welt marktfähige wie klima- und umweltfreundliche Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und Konsummuster bieten – aber auch Traumlandschaften.
wieder zur Normalität übergehen können. Schlussendlich müssen wir lernen, mit dieser Krankheit umzugehen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass die Medien weniger über dieses Thema berichten und damit die Hysterie aus dem Thema rausgenommen wird …
Man sollte ja immer positiv denken – konnten Sie beziehungsweise die IV etwas Positives aus der Coronakrise mitnehmen? Wenn ja, was? Metzler: Der Durchhaltewille, die Flexibilität und die Konsequenz der Unternehmen, aber vor allem auch das gemeinsame Anpacken der Probleme vonseiten der Wirtschaft, der Politik und der Bevölkerung hat mich sehr stark beeindruckt und mich jeden Tag unglaublich positiv gestimmt. Das hat sicherlich immens geholfen, mit den vielen Hiobsbotschaften umzugehen und ein gemeinsames Verständnis für den Weg aus der Krise zu stärken.
Außerdem haben viele Unternehmen auch eine ordentliche Portion Flexibilität an den Tag gelegt und mitunter auch Chancen in der Pandemie erkannt. Mein Wunsch und mein Ziel ist es, mit allen zusammen ‚unseren‘ Beitrag klar zu definieren – was wir als Wirtschaftskammer für das Ganze, für die Unternehmen und damit für das Land leisten können, jetzt und in Zukunft. Die Unternehmen spielen dabei eine zentrale Rolle; sie haben in der Krise vieles gelernt: flexibler mit Veränderungen umzugehen und sich den Gegebenheiten besser anzupassen. Mit diesen neuen Erfahrungen kommen sie wieder gestärkt aus dem ‚Krisenmodus‘, und das sorgt auch für eine positive Stimmung in allen Bereichen.
Sehen Sie sich einmal die Gründerstatistik für 2020 an: Bei insgesamt rund 1.200 Neugründungen in Vorarlberg gab es durchschnittlich drei Neugründungen pro Tag; diese Zahlen übertreffen nicht nur das Vorjahresergebnis um 11,3 Prozent, sondern auch die coronabedingten Erwartungen. Die aktuelle Gründerstatistik für das erste Halbjahr 2021 zeigt mit 756 Vorarlberger Neugründungen sogar ein Plus von 33 Prozent. Wenn dieser Unternehmergeist nicht positiv stimmt …
Die Anforderungen und Erwartungen an Produkte und Dienstleistungen werden immer komplexer, wobei sich die Vorarlberger Betriebe im stetig steigenden globalen Wettbewerbsdruck durch ihre große Innovationskraft gut behaupten können. Dabei war gerade die Pandemie ein regelrechter Innovationsbooster: Die Patentanmeldungen aus Vorarlberg sprechen für sich, der Innovationspreis macht die Kreativität und die Bemühungen der Unternehmen zudem deutlich sichtbar.
Auch bei den Exporten im Jahr 2020 liegen wir wieder über einem Volumen von zehn Mrd. Euro: Minus 2,6 Prozent lautet das Ergebnis der Vorarlberger Exportwirtschaft – angesichts der


Die IV will bei Infrastruktur-Themen, wie dem Bau der Bodensee-Schnellstraße, Tempo machen. Im Bild das Autobahnkreuz Bregenz der A14, der Rheintalautobahn.
schwierigen Bedingungen im Corona-Jahr kann dieser leichte Rückgang als Erfolg eingestuft werden! Ohneberg: Es hat ein starker Wertewandel in der Gesellschaft stattgefunden, der tief in die Bevölkerung hineingeht. Sichere und beste Arbeitsplätze haben eine neue Bedeutung gewonnen. So verhält es sich auch bei einer hochwertigen Ausbildung, egal ob in der Lehre, Schule oder in der Hochschule. Sehr stark an Bedeutung bei den Menschen gewonnen haben auch das Gütesiegel ‚Made in Vorarlberg‘ und regionale Themen. Für die Industrie ist dabei Regionalisierung und Globalisierung kein Widerspruch. Sie steht mit ihrem Bekenntnis zu Vorarlberg und der Wertschöpfung im Umkreis ihrer Betriebe für Regionalität, braucht aber globale Märkte. Ein weiteres Learning ist, dass wir der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch mehr Bedeutung schenken müssen; hier tut die Industrie schon sehr viel, beispielsweise beim Aufbau von betrieblichen Kindergärten. Die Politik ist bei diesem Thema aber stärker gefordert, bei der Kinderbetreuung auch geeignete Rahmenbedingungen für die berufstätigen Eltern herzustellen.
Worauf wird die Wirtschaftskammer Vorarlberg ihren Fokus im kommenden Jahr 2022 legen? Metzler: Es liegt auf der Hand, aber ich möchte es dennoch mit aller Deutlichkeit sagen: 2022 wird ein wichtiges Jahr. Wir stecken nun mitten im Restart. Dieser braucht auch einen guten Weg, der aus vielen einzelnen Themen gepflastert wird; hier haben wir in der Wirtschaftskammer bereits 2018 mit dem breit angelegten Strategieprozess einen wichtigen Impuls angestoßen. Das Ziel: Mehr Unternehmertum in Entscheidungsprozesse einfließen lassen und mit neuen Ansätzen die Interessen der Unternehmerinnen und Unternehmer vertreten. Es ist uns gelungen, die Interessenvertretung weiterzuentwickeln, konkrete Projekte zu identifizieren und in Umsetzung zu bringen. Der Prozess hat mit der Pandemie umso mehr an Bedeutung gewonnen und ist kein Strohfeuer – vielmehr hat sich gezeigt, dass es sich lohnt, sich ständig weiter zu fordern und sich am Puls der Entwicklungen zu halten. Es geht um das Gestalten und auch Nutzen von Potenzialen, Chancen und – unserer Zukunft.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde: Klimawandel, Umweltschutz, Energieeffizienz, gesellschaftliche Herausforderungen und Verantwortung – Hürden wie auch Chancen für die Wirtschaft sind vielseitig. Wesentlich dabei ist, dass umweltpolitische, gesellschaftliche und ökonomische Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sich vielmehr gleichrangig gegenüber und stark zueinander in Beziehung stehen. Die Vorarlberger Wirtschaft als exportstarke und mit Schlüsseltechnologien ausgestattete Region hat das Potenzial, gleichermaßen marktfähige wie klima- und umwelt-
freundliche Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und Konsummuster in die Welt zu tragen, regionale Wertschöpfung zu schaffen und so einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels, zum Schutz der Umwelt zu leisten und dadurch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Ein kleines, überschaubares Land wie Vorarlberg lebt außerdem von strategisch klugen Zukunfts- und Standortpartnerschaften. Das zu enge Denken in geografischen Grenzen, aber auch in gedanklichen Grenzen, hindert so manche Entwicklung in unserem Land. Im Sinne einer echten Standortpartnerschaft für Vorarlberg gilt es, konstruktive Kräfte zu bündeln und gemeinsam die Zukunft des Landes zu gestalten.
Nach Abschluss der Pflichtschule fehlt es zu vielen Jugendlichen an den insbesondere für eine erfolgreiche Ausbildung erforderlichen Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen. Die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen entsprechend ihren Begabungen und Möglichkeiten als eine wesentliche Voraussetzung für eine chancenreiche Bildung gelingt derzeit in unseren Bildungssystem noch zu wenig. Die vielfältigen Möglichkeiten in der Bildungs- und Berufswahl sind den Jugendlichen oft nicht ausreichend bekannt, was sich unter anderem auch durch die Anzahl der Bildungsabbrüche zeigt. Die Lehrlingsausbildung wird in der Wahrnehmung ihrer Attraktivität in unserer Gesellschaft nach wie vor weit unter ihrem tatsächlichen Wert geschlagen. Darum: Bildung, Bildung, Bildung. Und gerade die Bildung geht Hand in Hand mit der digitalen Innovation: Es braucht mehr digitale Bildung (Next Generation), digitale Initiativen (Konferenzen, Hackathons, etc.). Es braucht mehr Transparenz, mehr Austausch, ja ein Ökosystem für digitale Innovation als Standortfaktor. Es braucht Verbesserungen in Sachen Innovations-Infrastruktur. Außerdem sollte auf einer breiten Basis an den Mindsets gearbeitet werden: Veränderung oder Innovation wird oft erst aus der Risikoperspektive betrachtet, anstatt aus der Perspektive der Möglichkeiten.

Und bei Ihnen, Herr Ohneberg? Was steht bei der Vorarlberger Industriellenvereinigung im kommenden Jahr auf der ‚industriellen‘ Agenda? Ohneberg: Einerseits werden wir weiterhin aufzeigen, welche Bedeutung die Vorarlberger Industrie für das Gemeinwohl hat: Sie leistet über 1 Mrd. Euro an zusätzlichen, freiwilligen Beiträgen für ihre Mitarbeitenden, für die Menschen in Vorarlberg und darüber hinaus, etwa durch medizinische Leistungen und Gesundheitsförderung, Aus- und Weiterbildungen, die Unterstützung von Vereinen und vieles mehr. Außerdem zahlt die Vorarlberger Industrie über 2,2 Mrd. Euro an Steuern und Abgaben pro Jahr – das ist mehr, als das Land Vorarlberg mit 1,9 Mrd. Euro an Budget zur Verfügung hat. Wir wollen damit transparent machen, welchen enormen Mehrwert die Industrie für unser Bundesland hat und so eine wirtschaftsfreundlichere Grundstimmung schaffen.
Andererseits gibt es natürlich auch politische Themen, für die wir uns auch 2022 stark einsetzen werden. Aus jetziger Sicht glaube ich, dass es uns auch im kommenden Jahr brauchen wird, um bei Infrastrukturthemen wie dem S18-Bodensee-SchnellstraßenThema Tempo zu machen. Dasselbe gilt auch bei der Kinderbetreuung, da geht derzeit noch nicht genug weiter. Auch bei der Raumordnung müssen wir mutiger werden und neue Wege gehen und auch das Thema Fachkräfte und Arbeitskräfte insgesamt wird uns die nächsten Jahre beschäftigen – schließlich muss unser Standort attraktiv bleiben. Und wir werden uns im kommenden Jahr auch stärker mit dem Thema Innovation auseinandersetzen. Vorarlberg ist derzeit an letzter Stelle in Österreich, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Innovation geht. Das darf nicht so sein und da werden wir nicht nur Probleme aufzeigen, sondern auch Lösungen präsentieren. ◆