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Tirol – von der Pandemie hart getroffen, geht es nun aufwärts
by medianet
IV-Präsident Christoph Swarovski und WK-Präsident Christoph Walser über „ihre“ Betriebe und das klare Bekenntis zum Land Tirol.
Tirols Wirtschaft startete kräftig ins zweite Halbjahr 2021. Die Erholung ist deutlich sichtbar, aber Rohstoffkosten und ein Wiederaufleben der Pandemie bleiben ein Risiko für den Herbst. Die Inzidenzzahlen waren seit dem späteren Frühjahr, Frühsommer deutlich nach unten gegangen – das hatte im Gegenzug die Konjunktur nach oben steigen lassen. Nach 15 Monaten Rezession ging ein starker Ruck durch die Tiroler Wirtschaft: Der Geschäftsklimawert drehte aus dem Minusbereich in ein sattes Plus und kletterte auf ein erfreuliches Vorkrisenniveau.
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Das Tiroler Industrie & Wirtschaft-Duo Christoph & Christoph weiß freilich mehr: Christoph Swarovski, Präsident der Industriellenvereinigung Tirol, und Christoph Walser, Präsident der Wirtschaftskammer Tirol, im Interview.
Herr Swarovski, Herr Walser – wie geht es ‚Ihren‘ Unternehmen und Betrieben? Christoph Swarovski: Den meisten unserer Mitgliedsunternehmen geht es gut. Allerdings kämpfen nicht wenige mit Lieferproblemen, und der Mangel an Fachkräften ist geblieben. Die enormen Preissteigerungen bei Baumaterialien sind bei Investitionsvorhaben zu verkraften. Auch wenn die Stimmung derzeit gut ist, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Corona auch die Industrie hart getroffen hat. Wir sind es aber gewohnt, mit Veränderungen umzugehen und verwenden die Zeit für Lösungen und nicht mit Jammern. Christoph Walser: Auf jeden Fall wesentlich besser als noch vor einem halben Jahr. Das zeigt unser aktuelles Top Tirol Konjunkturbarometer. Zum Jahreswechsel lag der Geschäftsklimawert, also der Mittelwert zwischen aktueller Lage und den Erwartungen für die kommenden sechs Monate, bei minus vier Prozentpunkten. Jetzt ist er auf +44 Prozentpunkte gestiegen und dockt damit wieder an das Niveau von 2019 an. Der Optimismus ist also zurück, wenngleich es noch branchenmäßige Unterschiede gibt. 61 Prozent der Unternehmen im produzierenden Sektor sind mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden; im Dienstleistungssektor sind es hingegen nur 32 Prozent. Die größte Herausforderung in den kommenden Monaten und Jahren ist der Fachkräftemangel: 70 Prozent der Unternehmen sehen darin ihr massivstes Problem für den Zeitraum 2021/2022. Kopfweh bereiten vielen Unternehmen auch steigende Arbeitskosten (48 Prozent), Lieferkettenprobleme (47 Prozent) und explodierende Energie- und Rohstoffpreise (48 Prozent). Das drückt die Erträge für die Be-

Christoph Swarovski, Präsident der IV Tirol: „Bei jedem Virus, das auftaucht, die gesamte Wirtschaft lahmzulegen, werden wir uns auf Dauer nicht leisten können.“
triebe und treibt die Preise für die Endkunden nach oben. Ich hoffe, dass sich in diesen Bereichen nach einer gewissen Anlaufphase wieder Normalität einstellt.
Schon vor dem Sommer stieg die Durchimpfungsrate bei fallenden Infektionszahlen. Das Ärgste scheint überstanden. Aber ist es tatsächlich überstanden? Ist die Krise vorbei? Worauf wäre nun besonders zu achten? Swarovski: Wir haben nicht mit einem zweiten Lockdown gerechnet und dann hatten wir bisher drei. Sicher ist in dieser Krise also überhaupt nichts. Wir müssen aber alles tun, um einen vierten Lockdown zu verhindern, also weiter vorsichtig bleiben und die wenigen Regeln, die es noch gibt, einhalten. Das Wichtigste ist aber, dass wir uns auf Krisen insgesamt besser vorbereiten. Bei jedem Virus, das auftaucht, die gesamte Wirtschaft lahmzulegen, werden wir uns auf Dauer nicht leisten können. Walser: Dem Impffortschritt kommt eine zentrale Rolle zu. Die in Tirol angebotenen Impftage, an denen jeder ohne Voranmeldung bei den Impfstraßen vorbeikommen kann, haben sich bewährt und sollen fortgesetzt werden. Von einem Impfzwang halte ich nicht viel. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit Aufklärung und Überzeugungsarbeit die erforderliche Impfrate erreichen können. Und natürlich braucht es weiterhin ein gesundes Maß an Eigenverantwortung, mit der sich viele Infektionen verhindern lassen. Das Virus ist nach wie vor da, wir müssen lernen, damit zu leben. Es ist darüber hinaus nun Zeit, sich von der Jagd auf Inzidenzzahlen zu verabschieden und auch andere Faktoren, insbesondere die Hospitalisierungen, mit zu betrachten.
Man sollte ja immer positiv denken – konnten Sie beziehungsweise die IV etwas Positives aus der Coronakrise mitnehmen? Wenn ja, was? Swarovski: Positiv war jedenfalls, zu sehen, dass die Wirtschaft – und zum Teil auch die öffentliche Hand – unter Druck sehr flexibel sind. Wir haben auch gesehen, dass viele berufliche Reisen verzichtbar sind und die Zeit besser genutzt werden kann. Das wird bleiben und das ist gut so.

In Tirol wird aktuell an einer MINT-Strategie gearbeitet: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik soll in der (Aus-)Bildung mehr Gewicht verliehen werden.
Walser: Sieht man genauer hin, werden auch positive Effekte aus dem Corona-Jahr übrig bleiben: Corona hat auch für Kapitalismuskritiker deutlich gemacht, wie wichtig gesunde Betriebe für die Arbeitsplätze und damit für unseren Wohlstand sind. Darüber hinaus hat die Digitalisierung in den vergangenen Monaten einen massiven Schub erhalten, der uns auch in den kommenden Jahren helfen wird. Und schließlich hat die Krise das Bekenntnis ‚Ja zu Tirol‘ gestärkt. Die regionalen Wirtschaftskreisläufe sind in unserer kleinstrukturierten Wirtschaft ein wesentlicher Faktor, um betrieblichen Erfolg und Arbeitsplätze zu sichern.
Worauf wird die Industriellenvereinigung Tirol ihren Fokus im kommenden Jahr 2022 legen? Swarovski: Aktuell arbeiten wir mit allen Beteiligten an einer MINT-Strategie für Tirol. Es geht darum, Technik, Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern in der Bildung mehr Gewicht zu verleihen. Die Umsetzung zu begleiten, ist ein Schwerpunkt 2022. Wir werden uns nächstes Jahr auch intensiv mit den Themen Klima, Energie, Ressourcen, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit beschäftigen. Da brauchen unsere Mitgliedsunternehmen Unterstützung und Vernetzung und darum werden wir uns kümmern.
Und die Wirtschaftskammer? Was steht bei Euch 2022 auf der Agenda? Walser: Wir haben das ‚Restart Programm‘ ausgearbeitet und sind gerade in Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern. Es braucht auf Landes- und Bundesebene Maßnahmen, um den Neustart der Wirtschaft nachhaltig abzusichern. Dazu gehören unter anderem die Verlängerung der Unterstützungen für besonders hart getroffene Branchen, ein Maßnahmenmix gegen den Fachkräftemangel, Steuer- und Bürokratieerleichterungen sowie die Realisierung des ‚Tirol Fonds‘. Die Idee dahinter ist, dass sich Private an heimischen Firmen beteiligen und damit die Eigenkapitalquote heben. Das stärkt die Betriebe und sichert Arbeitsplätze. Unser Vorschlag lautet, dass das Land hier eine Ausfallshaftung übernehmen soll. Auch die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit liegen 2022 im Fokus der WK Tirol – wir werden hier eine Reihe von Beratungsangeboten und Unterstützungen für unsere Mitgliedsbetriebe bieten. ◆