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Wien – ein Wirtschaftsstandort profitiert von seiner Vielfalt
by medianet
IV-Präsident Christian C. Pochtler und WK-Präsident Walter Ruck über die jeweiligen Herausforderungen in der Bundeshauptstadt.
Die Covid-19-Krise hat auch in Wien eine schwere Rezession ausgelöst: Die Bruttowertschöpfung brach im Jahr 2020 um 5,6 Prozent ein, wegen eines geringeren Einbruchs der Wirtschaftsleistung im 1. Halbjahr schwächer als in Österreich (–6,4 Prozent). Allerdings verlief auch die Konsolidierung nach dem Sommer in Wien etwas schwächer (zweites Halbjahr –4,8 Prozent, Österreich –4,6 Prozent). Das Wachstumsminus gehe dabei zur Gänze auf den Wiener Dienstleistungsbereich zurück – mit Tourismus, Verkehrswirtschaft, Kultur- und Freizeitwirtschaft als Brennpunkten, heißt es beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, Wifo. Die Zahl der aktiv unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisse nahm im Durchschnitt des Jahres 2020 um 2,4 Prozent ab (Österreich –2,0 Prozent), auch wegen eines statistischen (Einmal-)Effekts.
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Mit den umgesetzten Öffnungsschritten und einer weiterhin robusten Aufwärtsentwicklung des internationalen (Industriewaren-)Handels erwartet das Wifo eine kräftige Erholung im weiteren Jahresverlauf; sie werde in Wien trotz der noch durch Lockdown-Maßnahmen geprägten Monate Jänner bis Mai einen Wertschöpfungszuwachs von real +3,6 Prozent und einen Beschäftigungszuwachs von +2,0 Prozent im Jahresschnitt 2021 ermöglichen. Damit werde Wien der nationalen Aufwärtstendenz (+3,9 Prozent bzw. +2,1 Prozent) folgen, mit geringfügigen Nachteilen aus der erst schrittweisen Erholung des internationalen Dienstleistungshandels, und damit des Städtetourismus als ökonomischem Brennpunkt der Covidkrise in Wien. Auch werde sich der regionale Arbeitsmarkt in der kräftigen Aufwärtstendenz spürbar erholen. Allerdings seien laut Wifo diverse Ausblicke mit Vorsicht zu genießen: Prognosen zur Entwicklung der Wirtschaftsleistung im heurigen Jahr blieben durch erhebliche Unsicherheiten behaftet.
So viel zu den trockenen Zahlen. Eine persönlichere Sicht auf Wiens Industrie und Wirtschaft geben Christian C. Pochtler, Präsident der Industriellenvereinigung Wien, und Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien.
Herr Pochtler, Herr Ruck – wie geht es ‚Ihren‘ Unternehmen und Betrieben? Christian C. Pochtler: Die Wiener Industrie konnte selbst in Pandemiezeiten nahezu durchgehend weiterarbeiten und so auch in der Krise ihre Rolle als Motor der Wirtschaft wahrnehmen. Dennoch war und ist diese Zeit für viele unserer Mitgliedsunternehmen eine

Walter Ruck, Präsident der WK Wien: „Wir brauchen Maßnahmen, die den Eigenkapitalaufbau der Unternehmen begünstigen und unterstützen – etwa im Steuerrecht.“
große Herausforderung – gerade in Branchen, die von internationalen Lieferketten abhängig sind. Nach einer anfänglichen Schrecksekunde ist es aber den meisten Betrieben hervorragend gelungen, sich auf die veränderten Gegebenheiten einzustellen, und wir werden daher, sofern es die Rahmenbedingungen zulassen, auch wesentlich zum Wiederaufschwung beitragen können. Geradezu erfolgskritisch ist dabei vor allem die Sicherstellung eines ausreichenden Fachkräftepotenzials sowie in vielen Branchen auch die Verfügbarkeit von dringend erforderlichen Rohstoffen und Halbfertigprodukten. Walter Ruck: Die Wiener Unternehmen sind erstmal sehr erleichtert, dass sie wieder mit fast keinen Einschränkungen arbeiten können. Zudem zeigen Konjunkturindikatoren eine schnellere Erholung der Wirtschaft als erwartet. Das ist ausgesprochen positiv. Der Wirtschaftsstandort Wien wird davon besonders profitieren, weil er sehr vielfältig ist. Das ist eine große Stärke. Es zeigt sich aber auch, dass beispielsweise Branchen, die stark vom Tourismus abhängig sind, noch immer mit den Folgen der Pandemie kämpfen. Wien fehlen die internationalen Gäste.
Schon vor dem Sommer stieg die Durchimpfungsrate bei fallenden Infektionszahlen. Das Ärgste scheint überstanden. Aber ist es tatsächlich überstanden? Ist die Krise vorbei? Worauf wäre nun besonders zu achten? Pochtler: Die Impfung war und ist der Gamechanger im Kampf gegen die Pandemie, sowohl was die gesundheitlichen Auswirkungen als auch den wirtschaftlichen Fallout angeht. Wir haben uns als IV-Wien daher immer intensiv dafür eingesetzt, dass nach den vulnerablen Gruppen rasch auch Schlüsselkräfte geimpft werden. Hier ist uns mit der Stadt Wien und der Wirtschaftskammer Wien im Frühjahr eine gute Lösung gelungen. Die Krise ist aber keinesfalls vorbei. Denn unabhängig vom Gesundheitsaspekt: Wirtschaft und Arbeitsmarkt werden noch länger brauchen, um sich wieder vollständig von den Pandemiefolgen zu erholen. Die Politik muss daher kluge Anreize setzen, um unternehmerische Aktivitäten anzukurbeln und so nachhaltig Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land zu sichern. Ich denke hier in einem ersten Schritt insbesondere an Investitionsanreize, wie etwa in Form der Investitionsprämie sowie insgesamt an längst überfällige steuerliche Entlastungsmaßnahmen. Die im Regierungsprogramm versprochene Senkung der KöSt wäre ein guter Anfang. Ruck: Die Delta-Variante des Virus breitet sich derzeit leider aus. Oberstes Ziel muss daher sein, weitere Schließungen zu verhindern. Daher sind rasche Impfungen und verlässliche Tests notwendig. In Wien sind wir hier in einer privilegierten Lage: Es gibt jetzt ein breites Impfangebot, und ich bin sehr froh, dass wir ‚Alles gurgelt‘ frühzeitig mir der Stadt umsetzen konnten. Damit stellen wir flächendeckende und niederschwellige PCR-Tests für alle sicher.

Das liebe Geld – Wiener Unternehmen müssen an ihren Eigenkapitalaufbau denken; sowohl IV als auch WK wollen die Wiener Unternehmen dabei unterstützen.
Man sollte ja immer positiv denken – konnten Sie beziehungsweise die IV etwas Positives aus der Coronakrise mitnehmen? Pochtler: Jede Krise ist auch ganz klar eine Chance. Wir dürfen daher nach dem Ende der Pandemie keinesfalls zur Tagesordnung übergehen und in alte Muster verfallen. Vielmehr müssen wir aus den Versäumnissen dieser Krise lernen, um uns für die nächsten großen Herausforderungen, etwa den Klimawandel, zu wappnen. Was ich persönlich aus der Krise mitnehme, ist unter anderem, dass globale Probleme nur global gelöst werden können. Das wird für den Klimaschutz ebenso gelten, wie es für die Pandemie gilt, oder besser gesagt, gelten sollte. Zugleich braucht es in der Politik auch einen holistischeren, evidenzbasierten Planungsansatz, kombiniert mit entsprechender Managementkompetenz, um Maßnahmen geordnet und effektiv umsetzen zu können. Wenn es uns als Gesellschaft gelingt, die richtigen Lehren aus dieser Krise zu ziehen und sie auf die bevorstehenden Probleme anzuwenden, dann wird uns die Pandemie auf lange Sicht resilienter gemacht haben. Das ist für mich jedenfalls etwas Positives. Ruck: Krisenhafte Situationen sind immer Beschleuniger von Entwicklungen – so auch die Coronapandemie. Beispielsweise hat sich das Tempo in der Digitalisierung gesteigert. Viele Unternehmen, die sich damit vielleicht noch nicht so intensiv auseinandergesetzt hatten, haben das nun im Zuge von Corona in Angriff genommen. Entsprechende Förderungen waren auch sehr rasch ausgeschöpft und wurden immer wieder aufgestockt. Den Schwung in der Digitalisierung müssen wir auch in der Zeit nach der Krise mitnehmen. Es gibt nach wie vor Lücken in der Versorgung mit schnellem Internet, auch in Wien. Gesellschaftlich hat sich gezeigt, dass es durchaus sinnvoll ist, ein wenig mehr aufeinander zu achten.
Worauf wird die Industriellenvereinigung Wien ihren Fokus im kommenden Jahr 2022 legen? Pochtler: Die Wirtschaftskrise wird auch im Jahr 2022 noch nicht vollständig überwunden sein. Wir werden uns daher weiter mit aller Kraft für entsprechende Rahmenbedingungen einsetzen, damit Unternehmen in Wien und Österreich ein Umfeld vorfinden, in dem innovatives, erfolgreiches Wirtschaften möglich ist. Dazu gehören beispielsweise die Stärkung der Eigenkapitalbasis unserer Unternehmen, die fortschreitende Digitalisierung oder geeignete Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Aber natürlich wird das nächste Jahr auch ganz im Zeichen des Klimathemas stehen, bei dem wir als Industrie eng mit der Politik zusammenarbeiten wollen, um die Transformation auf eine Art und Weise zu schaffen, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch und sozial nachhaltig ist.
Und bei Ihnen, Herr Ruck? Was steht bei der Wiener Wirtschaftskammer im kommenden Jahr auf der Agenda? Ruck: Was die Krise auch gezeigt hat: Die Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital ist ausbaufähig. Wir brauchen hier Maßnahmen, die den Eigenkapitalaufbau begünstigen und unterstützen – beispielsweise im Steuerrecht. Die Erfahrungen der Coronakrise sollten gut analysiert werden und in ein neues Epidemiegesetz einfließen. Wir brauchen auch adäquate, zeitgemäße Pläne zur Krisenvorsoge. Darauf werden wir drängen. ◆